Vierzehntes Kapitel.Meine Fahrt nach Babylon.

Unsere beiden Gendarmen (rechts).Vierzehntes Kapitel.Meine Fahrt nach Babylon.

Unsere beiden Gendarmen (rechts).

Unsere beiden Gendarmen (rechts).

Am 15. Mai wurde ich bei Tagesanbruch geweckt, kleidete mich in aller Eile an und eilte zum Kai hinunter, wo bereits ein Belem auf Herzog Adolf Friedrich, Rittmeister Schölvinck und mich wartete.

Unser Reiseziel war Babylon. Die deutschen Ordonnanzen des Herzogs, sein Kammerdiener und sein Koch, beide Neger aus Togo, dessen Gouverneur der Herzog bei Kriegsausbruch war, sowie mein arabischer „Silberdiener“, wie Schölvinck Sale nannte, waren mit dem Gepäck vorausgefahren. Wir hätten den ganzen Weg im Kerbelawagen zurücklegen können, zogen es aber vor, die Feldbahn nach Risvanije zu benutzen und von dort aus auf dem Euphrat zu fahren.

Es war ein herrlicher Morgen. Die Luft war lau, am Himmel segelte nur hier und da ein Wölkchen. Wie ein Ball weißglühenden Eisens stieg die Sonne empor, von den Gebetsrufern der Minarette begrüßt, und vergoldete die Balkone und Palmen auf dem rechten Ufer.

Das Boot landete an dem Kai, wo die Feldbahn beginnt. Eine Draisine stand bereit, und bald rollten wir durch die stille Wüste, als eben die Eidechsen, Heuschrecken, Käfer und andere Insekten ihr Tagewerk begannen. Heute ging es schneller als das vorige Mal: in drei Stunden waren wir am Ziel.

Mein alter Schahtur lag noch an seinem Platz. Doch brauchten wir ihn nicht. Der Herzog hatte die große Fähre „Emden“ instand setzen lassen, und sie hatte sich, seitdem ich in ihrer Gesellschaft den Euphrat hinabgefahren war, sehr angenehm verändert. Mittschiffs erhob sich ein Deck mit Bänken, Tischen und Feldstühlen; darüber war auf senkrechten Stangen ein Zeltdach gespannt. An den Seiten stand unser Gepäck aufgeschichtet, und hinten residierte der schwarze Koch mit seinem Petroleumofen und seinen Proviantkisten. Die Besatzung bestand aus acht Arabern und einer Eskorte von zwei bis an die Zähne bewaffneten Gendarmen. Der Flußweg bis Babylon galt nicht für sicher, besonders in diesen unruhigen Zeiten, die jetzt auch in der Provinz Irak herrschten. Auch der Herzog hatte als geschickter Jäger und Schütze seine und seiner Soldaten Waffen in Bereitschaft.

Die Fähre stieß vom Land und wurde sogleich von der gewaltigen Strömung fortgeführt. Wir saßen auf bequemen Stühlen unter dem Sonnendach mit freier Aussicht flußabwärts, zogen unsere Jacken aus, zündeten die Zigaretten an und genossen die Fahrt in vollen Zügen. In Gedanken aber war ich den ganzen Tag in meinem lieben, alten Heim zu Stockholm, wo mein ehrwürdiger Vater heute sein neunzigstes Lebensjahr vollendete.

Schon vor 12 Uhr betrug die Temperatur im Schatten 36 Grad. Die Hitze wurde aber etwas gemildert durch den Nordwind, der uns zuweilen nach dem rechten Ufer hinübertrieb und uns zwang, die Fähre ziehen zu lassen. Doch ließ er bald nach, und es gab eine herrliche Fahrt an Jublatije und den weiten Weizenfeldern von M’Gessab vorüber.

Die Fähre „Emden“.⇒GRÖSSERES BILD

Die Fähre „Emden“.⇒GRÖSSERES BILD

⇒GRÖSSERES BILD

Die beiden Neger des Herzogs, rechts Sale.⇒GRÖSSERES BILD

Die beiden Neger des Herzogs, rechts Sale.⇒GRÖSSERES BILD

⇒GRÖSSERES BILD

Auf dem rechten Ufer erhebt sich die Grabkapelle El-Fasl, und von vereinzelten Palmen geschmückt liegt im Sonnenbrand das Dorf El-Batsch. Am Uferrand knarren die üblichen Wasserwerke mit ihren unermüdlichen Ledersäcken. Auf der Steppe zu beiden Seiten hüten die Nomaden ihre Schafe und Ziegen; hier und da hat ein wandernderStamm seine schwarzen, immer gleich malerischen Zelte aufgeschlagen. Bei dem Dorf Nahrlatefije auf dem linken Ufer weiden zahlreiche Pferde, Esel und Zebuochsen. Bei El-chidr-lias ruht ein Heiliger unter einer weißen, von Palmen beschatteten Grabkuppel. In dieser Gegend zeigen sich am Ufer seichte Seen, die Chor genannt werden. Zuweilen sieht man Fischereigeräte derselben Art, wie an den Ufern des Tarim in Ost-Turkestan.

Um 1 Uhr zeigt das Thermometer 37 Grad, und der Wind hat aufgehört. Das Flußwasser hat eine Temperatur von 24,1 Grad. Der Himmel ist türkisblau und völlig klar, nur eine einzige kleine Wolke schwebt über der Wüste, über der die Luft wie Dampf über einer bratenden Pfanne zittert.

Zu Beginn der Fahrt machte der Euphrat scharfe Windungen. Jetzt geht er geradeaus und ist zuweilen nach Südosten offen wie eine Meeresbucht. Bäume und Palmen werden selten, das Land ist kahl und flach. Aber häufig zeigen sich die prismatischen Strohdächer der Lehmhütten, in denen Nomaden und Bauern wohnen.

Gegen Abend wird es herrlich, trotzdem wir noch um 5 Uhr über 36 Grad haben. Aber die Sonne ist etwas bedeckt, und ein leichter Nordwind beschleunigt unsere Fahrt nach Südsüdosten.

Wir hielten uns in der Mitte des Stroms, der hier gegen 800 Meter breit und 5–6 Meter tief ist. Da erschien nicht weit vor uns das Dorf Soba, und wir sahen etwa zehn Araber am Ufer stehen. Sie waren mit Gewehren bewaffnet, und als wir uns näherten, nahmen sie eine drohende Haltung ein; einige hockten in Schußstellung und brachten auf einer kleinen Brustwehr ihre Gewehre in Anschlag, andere standen schußbereit da und forderten uns in befehlendem Tone auf zu landen.

Der eine von unseren beiden Gendarmen legte eilig sein Gewehr über die Reling, und der Herzog lud kaltblütig seine Büchse. Die Lage war etwas kritisch, und wir warteten natürlich mit einiger Spannung, wer wohl zuerst schießen werde. Unterdes trieb die Fähre mit der Strömung ruhig weiter; wir waren schon den kriegerischen Arabern gerade gegenüber, ohne daß etwas geschah, und entfernten uns schon wieder langsam von ihnen. Da gaben sie plötzlich ihre drohende Haltungauf, bildeten eine Gruppe und unterhielten sich lebhaft. Einer von ihnen, wahrscheinlich der Führer, rief uns, wohl um ihr Benehmen zu entschuldigen, zu: „Wir wußten nicht, daß ihr Deutsche an Bord hattet.“ Jedenfalls hatten sie uns, wie unsere Begleiter meinten, für Kaufleute gehalten, die mit Waren stromabwärts reisten und, wenn sie sich hätten einschüchtern lassen zu landen, in aller Ruhe geplündert worden wären.

So nahm unser kleines Abenteuer einen harmlosen Verlauf, und wir fuhren weiter, saßen wieder behaglich unter unserm Zeltdach, tranken Rotwein mit Wasser aus irdenen, in feuchte Tücher gehüllten Töpfen und freuten uns der eigenartigen Landschaft, die so flach ist wie ein zugefrorener See, und in die nur Zelte, Palmen und weidende Tiere einige Abwechslung bringen. Die Posthalterei Matardas sah aus der Ferne wie eine Festung aus, in der Nähe schrumpfte sie zur Unbedeutendheit zusammen.

Phot.: Schölvinck.Der Herzog an Bord.

Phot.: Schölvinck.Der Herzog an Bord.

Phot.: Schölvinck.

Hinter der Insel Dschenabijin wird der Strom von leichten Vegetationsgürteln eingefaßt. Links überwiegen Laubbäume, rechts Palmen, dazwischen erscheinen Gehöfte, Dörfer und Äcker; die Gegend ist wieder belebter, und die Wüste verschwindet. Um ½6 Uhr haben wir nur 34,8 Grad Wärme, und man fühlt sich schon behaglicher.

Museyib.(Linkes Ufer.)⇒GRÖSSERES BILD

Museyib.(Linkes Ufer.)⇒GRÖSSERES BILD

⇒GRÖSSERES BILD

Neugierige am Landungsplatz.⇒GRÖSSERES BILD

Neugierige am Landungsplatz.⇒GRÖSSERES BILD

⇒GRÖSSERES BILD

Der Strom wird schmäler, und vor uns liegt auf beiden Ufern die Stadt Museyib. Die Häuser tragen wie in Bagdad Galerien, Balkone und Erker; doch ist am Ufer ein Fußsteig freigelassen, auf dem viele Araber umhergehen.

Die Fähre steuerte nach dem linken Ufer hinüber. Aber als wir anlegen wollten, rieten uns die Leute am Strande, nach rechts hinüberzufahren, wo die Behörden ihren Sitz hätten. Man merkte ihnen an, daß etwas Ungewöhnliches geschehen war; in mehreren langen, schmalen Booten wurden fünfzehn verwundete türkische Soldaten über den Strom nach einem Krankenhaus gerudert.

Auf dem rechten Ufer lagerten türkische Truppen, und bald standen wir vor dem großen, malerischen Haus, in dessen erstem Geschoß der Mutessarrif oder Gouverneur von Museyib sein Amtszimmer hatte. Im Erdgeschoß befand sich ein Café, gedrängt voll von Türken und Arabern, und es wimmelte von Turbanen, Fessen und arabischen Kopftüchern. Ein Derwisch ohne Kopfbedeckung, aber mit einem aufrechtstehenden Haarbüschel, in der Hand eine Art Karnevalspritsche, erheiterte seine Zuhörerschar durch Possen.

Sogleich sammelten sich Neugierige um uns. Die Gendarmen, die am Tor Wache hielten, zeigten uns den Weg die halsbrecherische Treppe hinauf. Man führte uns durch ein mit Teppichen belegtes, verfallenes Zimmer auf eine große Veranda mit prächtiger Aussicht auf den Strom. Hier saß der Mutessarrif, umgeben von Offizieren und Zivilisten, auf einem großen Sofa bei der Arbeit.

Der Gouverneur grüßte uns höflich und bot uns seine Dienste an. Die Unruhe in Museyib war durch einen Aufruhr in Kerbela verursacht worden, von dem wir bereits in Bagdad allerhand hatten munkeln hören. Leicht war es auch hier nicht, Genaueres darüber zu erfahren. Angeblich hatten die Schiiten in Kerbela die türkische Garnison angegriffen und mehrere Offiziere erschossen, worauf die Türken die Stadt metertief unter Wasser setzten. Die Araber der Gegend hatten die Unordnung benutzt, um die Grabmoschee Imam Husseins zu plündern, die außerordentlich reich an Schätzen und kostbaren Geschenken ist. Die Truppen, die wir am Flußufer gesehen, hatten sich wegen der Überschwemmung zurückziehen müssen. Doch schien der Aufruhr inzwischen niedergeschlagen zu sein; wir hörten auch später nichts mehr davon.

Bis zum Dorf Sedde, versicherte uns der Gouverneur, seien wir völlig sicher. Aber unterhalb dieses Punktes müßten wir auf der Hut sein, denn zwei hier hausende Araberstämme, Beni Hassan und El-Fethla, lägen miteinander im Kriege. Der Ingenieur Nahat Bei in Sedde, an den er uns einige Zeilen mitgab, würde uns weitere Aufklärung geben.

Es war 6 Uhr, und die Sonne ging gerade unter, als unsere „Emden“ wieder vom Ufer abstieß. Ein neuer Lotse fuhr mit, der das Fahrwasser besser kannte, als die Besatzung aus Risvanije. Die Dämmerung sank hernieder. Die Einzelheiten an den Ufern verschwammen und flossen zu dunklen Umrissen zusammen. Der Wind hatte ganz aufgehört; ½8 Uhr zeigte das Thermometer nur 27 Grad.

Bald umgab uns völlige Dunkelheit. Vor uns ertönte ein zunehmendes Brausen wie von einem Wasserfall. Der Lotse erklärte, das sei die Strömung unter der Brücke von Sedde. Hier sei ein gefährlicher Strudel. Sobald das Brausen ganz nahe kam, mußten einige Leute unserer Besatzung ans Land springen, um an einem Seil die Fähre zu bremsen, falls sie in den Strudel hineingeriet. Doch glitten wir ganz ruhig nach der Brücke hin, die sechs kleine Wölbungen und eine breitere siebente für Segelboote hat, und während wir Nahat Bei unsern Empfehlungsbrief sandten, wurde die „Emden“ durch die Brücke bugsiert und vertäut.

Bei der Brücke von Sedde teilt sich der Strom in zwei Betten, links das alte des Schatt-el-Hille, rechts das neue des Hindije. Die ganze Wassermasse hat eine Neigung nach rechts und würde das alte Bett völlig aufgeben, wenn nicht Dämme einen Teil des Wassers zwängen, nach dem Schatt-el-Hille hinüberzugehen. Oberhalb Sedde hat ein anderer Arm sich vom Flusse abgezweigt, der Husseinije-Kanal, der südwestlich nach Kerbela geht.

Von Nahat Bei, der sich in größerer Gesellschaft einfand, erfuhr ich, der Hauptstrom habe bei höchstem Wasserstand 3000 Kubikmeter, der Hille-Arm aber nur 90. Der letztere sei bei Beginn 30, der erstere 300 Meter breit.

Landschaft auf dem rechten Euphratufer.⇒GRÖSSERES BILD

Landschaft auf dem rechten Euphratufer.⇒GRÖSSERES BILD

⇒GRÖSSERES BILD

Leider konnte ich mir, da es Nacht war, von diesem interessanten Punkt keinen klaren Begriff machen. Sir William Willcocks, der im Dienst der türkischen Regierung die Messungs- und Untersuchungsarbeitenzur regelrechten Bewässerung des untern Mesopotamiens übernommen hatte, erklärte 1909, schon die ersten Arbeiten müßten 1200000 Hektar Land bewässern und einen Ertrag von 1000000 Tonnen Weizen und 100000 Tonnen Baumwolle bringen. Im Jahre 1912 sagte er, das Wichtigste seien die Dämme bei Feludscha und Hindije (Sedde), sowie die Trockenlegung von überschwemmtem Gebiet und die damit zusammenhängende Kanalisierung. Das Land gegen Überschwemmung zu schützen und das Wasser möglichst vom Schlamm zu reinigen, seien schwierige, doch keineswegs unüberwindliche Aufgaben. Euphrat und Tigris führen zur Hochwasserzeit fünfmal soviel Schlamm mit sich wie der Nil. Infolge der jährlichen Überschwemmungen häufen sich die Ablagerungen an den Ufern. Der Vegetationsgürtel mit seinen Abfällen und seinen Wurzeln trägt ebenfalls dazu bei, die Uferstreifen zu erhöhen, so daß die Wasserfläche bei Hochwasser höher liegt als die angrenzende Steppe. Der Uferdamm wird auch von Zeit zu Zeit durchbrochen, so bei Sedde, wo die Hauptmasse des Euphrat sich in den Hindije-Arm hineinzwängt. So hat der Strom im Lauf der Jahrtausende mehrfach sein Bett geändert; die modernen Ausgrabungen können das hier und da im Einzelnen nachweisen.

Schatt-el-Hille.

Schatt-el-Hille.

Der Hindije-Arm geht fast geradeaus nach Süden bis Kufa in der Nähe von Nedschef oder Mesched-Ali, dem vornehmsten Wallfahrtsort der Schiiten nächst Kerbela oder Mesched-Hussein. Dann biegt der Strom nach Südosten ab, nimmt wohl den Überschuß auf, der vom Schatt-el-Hille kommen kann, und vereint sich mit dem Tigris — nicht wie früher während eines halben Jahrtausends bei Korna, sondern bei Garmet Ali in der Nähe von Basra.

Bahije, 18jährige Araberin aus Hille.

Bahije, 18jährige Araberin aus Hille.

Sehr anfechtbar scheint mir Willcocks, wenn er (im „Geographical Journal“ 1910 und 1912) drei von den Flüssen Edens in Kanälen und Armen des Euphrat wiederfinden will. Nur an dem vierten, dem „Frat“ der Genesis, kann er nicht rütteln. Auch ist es keineswegs so sicher, daß der im Altertum bekannte Pallakopas der jetzige Hindije-Arm sei, denn jener begann weit unterhalb Babylons, während dieser von Sedde ausgeht. Strabo sagt freilich nach Aristobulus, Alexander der Große sei flußaufwärts gefahren, als er die Kanäle bei Babylon untersuchte, aber nach Arrian ruderte er zur Mündung des Pallakopas euphratabwärts. Der Name wird auch Pallakotta geschrieben, auf babylonisch Pallakut. Nach Eduard Meyer lebt dieser Name fort in Fellûga (Felludscha).

Alexanders Fahrt fand kurz vor seinem Tode statt, und ihre Schilderung bei Arrian ist von großem Interesse. In gedrängter Kürze enthältsie eine vortreffliche Beschreibung vom Euphrat und dem Verhältnis des Hauptstroms zu den Kanälen. Außerdem zeigt sie auch den Scharfsinn Alexanders im hellsten Licht:

„Während die Dreiruderer für Alexander gebaut und der Hafen bei Babylon ausgegraben wurden, machte er eine Fahrt von Babylon aus den Euphrat hinunter nach dem Flusse Pallakopas. Dieser ist von Babylon ungefähr 800 Stadien (20 Stunden) entfernt und kein aus Quellen entspringender Fluß, sondern ein vom Euphrat auf der Westseite abgeleiteter Kanal. Der Euphrat, der vom armenischen Gebirge herabkommt, fließt nämlich zur Winterszeit, wenn er wenig Wasser hat, in seinem Bett. Bei Frühlingsanfang aber und namentlich gegen die Sommersonnenwende schwillt er an und ergießt sich über seine Ufer hinweg in die Fluren Assyriens. Denn dann vermehrt die Schneeschmelze in den armenischen Gebirgen seine Wassermasse bedeutend, und da er ein flaches Bett und einen hohen Lauf hat, so überschwemmt er das Land, wenn man ihm nicht einen Ablauf verschafft und ihn durch den Pallakopas in die Teiche und Sümpfe leitet, die von diesem Kanal aus beginnen und bis an die Grenzen des Araberlandes reichen ... Nach der Schneeschmelze, ungefähr zur Zeit des Niedergangs der Plejaden, hat der Euphrat einen niedrigen Wasserstand, gibt aber nichtsdestoweniger den größten Teil seines Wassers durch den Pallakopas an die Sümpfe ab. Wenn man nun nicht wieder den Pallakopas abdämmte, so daß das Wasser, in die Ufer zurückgedrängt, in seinem Bett bliebe, würde sich der Euphrat unfehlbar in den Pallakopas ergießen und Assyrien nicht mehr bewässern.“

Arrian berichtet dann noch, wie leicht man das Euphratwasser in den Pallakopas-Arm hineinleiten konnte, während der Statthalter von Babylonien große Mühe hatte, die zwischen zahllosen Schlammablagerungen geöffnete Mündung wieder zu verstopfen. 10000 Assyrer fanden dabei volle Beschäftigung. „Berichte hiervon bestimmten Alexander, etwas zum Nutzen des assyrischen Landes zu tun. Deshalb beschloß er, da, wo sich der Lauf des Euphrat dem Pallakopas zuwendet, den Ausfluß fest zu verstopfen. Als er aber ungefähr 30 Stadien weiterging, zeigte sich Felsengrund, von dem man annehmen mußte, daß er, durchstochen und mit dem alten Kanal des Pallakopas in Verbindunggebracht, einerseits das Wasser dank der Festigkeit des Erdreichs nicht durchsickern, andererseits seine Zurückdrängung zur bestimmten Jahreszeit leicht bewerkstelligen lassen würde. Deshalb befuhr er den Pallakopas und ruderte auf ihm in die Sümpfe hinab bis zum Lande der Araber. Als er hier einen schöngelegenen Punkt sah, baute und befestigte er dort eine Stadt und besiedelte sie mit einer Anzahl griechischer Söldlinge, die sich teils freiwillig anboten, teils durch Alter oder Verstümmelung nicht mehr dienstfähig waren.“

Rast am Ufer des Schatt-el-Hille.⇒GRÖSSERES BILD

Rast am Ufer des Schatt-el-Hille.⇒GRÖSSERES BILD

⇒GRÖSSERES BILD

Alexander war sehr vergnügt, fügt Arrian hinzu, denn die Prophezeiung der Chaldäer von einem Unglück, das ihm in Babylonien zustoßen werde, war nicht eingetroffen. Als er aber auf der Rückfahrt seinen Dreiruderer mit eigener Hand durch die Sümpfe lenkte, entführte ihm ein heftiger Windstoß seine Kopfbedeckung und die darumgewundene Stirnbinde. Diese blieb im Schilf auf einem der alten assyrischen Königsgräber hängen — schon ein bedenkliches Vorzeichen. Einer seiner Begleiter stürzte sich ins Wasser und holte schwimmend die Binde des Königs zurück; damit sie nicht naß wurde, wand er sie um seinen eigenen Kopf. Alexander schenkte ihm dafür zur Belohnung ein Talent, befahl aber zugleich, ihn zu köpfen, denn wer sein Königsdiadem getragen, müsse sterben. Nach andern Gewährsmännern blieb der Schwimmer am Leben und war niemand anders als Seleucus. Der Vorfall wurde von vielen dahin gedeutet, daß Alexander am Schlusse seiner Laufbahn stehe und Seleucus sein Nachfolger sein werde, was ja auch in gewissem Sinne zutraf. —

Doch zurück in die Gegenwart! Um 10 Uhr waren wir wieder an Bord und fuhren auf dem alten Euphrat weiter. Der Schatt-el-Hille läuft hier so gerade wie ein Kanal und ist nur etwa 170 Meter breit. Selten sah man Menschen oder Feuer an den Ufern. Die Stille wurde nur ab und zu von Hundegebell unterbrochen oder vom Klatschen der Ruder, wenn wir einem Ufer zu nahe kamen. Die Stimmung war zauberhaft, in herrlichem Mondschein glitten wir dahin.

Palmenwald auf dem rechten Ufer des Schatt-el-Hille.⇒GRÖSSERES BILD

Palmenwald auf dem rechten Ufer des Schatt-el-Hille.⇒GRÖSSERES BILD

⇒GRÖSSERES BILD

Als wir um 5 Uhr erwachten, waren die Ufer des Schatt-el-Hille mit zahlreichen Palmen geschmückt, die ihre dunkelgrünen Federn im Wasser spiegelten. Die Fähre bewegt sich nur langsam vorwärts, denn dieser Arm des Euphrat hat geringe Strömung. Eine feierlicheStimmung weht uns aus den dunkeln Säulenhallen der Palmen entgegen. Ihre Wurzeln saugen ja ihre Kraft aus den Gräbern Babylons, und eine Fülle großer Erinnerungen aus Tausenden von Jahren strömt auf uns ein. In ehrfürchtigem Schweigen fahren wir ihnen entgegen.

Auf dem linken Ufer erhebt sich jetzt über die Palmen hinweg eine scharf abgegrenzte plateauförmige Anhöhe. Das ist Babil, ein Name, der noch heute von den Arabern gebraucht wird, ein Name, der 5 bis 6000 Jahre alt ist. Wohl ist die Anhöhe nur ein Haufen Trümmer, unter denen der Sommerpalast Nebukadnezars ausgegraben ist. Aber doch steht sie da wie eine Klippe im Meer, über dessen Fläche verheerende Stürme dahingegangen sind.

Noch eine schwache Biegung, und in einem Wald von Palmen zeigen sich die graugelben Lehmhäuser des Dorfes Kweiresch. Die Landschaft ist herrlich und übertrifft alles, was der Euphrat bisher an reizvollen Uferbildern geboten hat. Auch hier knarren die Wasserräder ihre einförmigen Melodien. Graue Büffel nehmen ihr Morgenbad im Moor am Ufer und wühlen sich in den Schlamm hinein, bis nur Nase und Hörnerspitzen über dem Wasser zu sehen sind.

Nahe bei Kweiresch erheben sich runde Schutthaufen — hier beginnt das Trümmerfeld des alten Babylon.

Phot.: Deutsche Orient-Gesellschaft.Das Expeditionshaus der Deutschen in Babylon.

Phot.: Deutsche Orient-Gesellschaft.Das Expeditionshaus der Deutschen in Babylon.

Phot.: Deutsche Orient-Gesellschaft.

Aus dem dichten Grün tritt ein ungewöhnlich großes, gutgebautes Haus hervor mit zwei Stockwerken. Wachen stehen vor dem Tor. In seiner Nähe landen wir, und an grauen Gartenmauern vorüber führt uns ein Weg hinauf. Zwei Herren in weißer europäischer Kleidung eilen uns entgegen und heißen uns herzlichst willkommen. Der eine von ihnen, ein älterer Mann mit energischen Zügen, mustert uns mit durchdringenden Blicken unter buschigen Augenbrauen. Sein Name ist weltberühmt. Es ist Professor Robert Koldewey, der gelehrte deutsche Assyriologe. Seit zwölf Jahren ist er hier am Werke, die alten Burgen und Paläste von Babylon auszugraben und diese alte Welt aus ihrem langen Schlummer zu wecken. Unterstützt von einem wechselnden Stab junger Archäologen hat er sich wie kein anderer in diese Vergangenheit hineingearbeitet, und Babylon ist die große Liebe seines Lebens geworden. Sein Begleiter ist der AssistentDr.Buddensieg. Beide Herren tragen nicht wie wir Tropenhelme, sondern schwarze Schaffellmützen, und der Professor mit seinem dichten, graugesprenkelten Bart gleicht so den Gestalten, die man auf den assyrischen Reliefs abgebildet findet.

Hofinneres des Deutschen Hauses.

Hofinneres des Deutschen Hauses.

Es mag überraschen, daß die deutschen Gelehrten während des Weltkriegs auf ihrem Posten geblieben sind. Aber von Gefahren sind sie ja stets umgeben. Ihre Nachbarn, die Araber, sind nichts weniger als zuverlässig, und nicht selten schwirren Gewehrkugeln durch die Fenster oder pfeifen diesen Männern der Wissenschaft um die Ohren, wenn sie draußen auf dem Felde arbeiten. Der Krieg im Irak hatte die Stellung der Deutschen natürlich noch unsicherer gemacht,besonders seitdem die Engländer ihre Operationen gegen Bagdad begonnen hatten.

Aber gerade der Gefahren wegen, die den Früchten der deutschen Arbeit und den großen Sammlungen drohten, ist Koldewey geblieben, obgleich die Ausgrabungen einstweilen nicht fortgesetzt werden. Nur einmal mußten er und Buddensieg Babylon verlassen, als die britische Armee den Dijala überschritt und nur einige Kilometer von Bagdad entfernt stand. Um der Gefangenschaft zu entgehen, flüchteten sie nach Aleppo. Sie kehrten jedoch bald zurück und fanden ihr Haus geplündert, aber nicht von den Engländern, sondern von den benachbarten Arabern. Diese hatten alles mitgenommen, was für sie von Wert war, Proviant, Geschirr, Porzellan, Kochgefäße, Tischzeug und anderes. Der Verlust, den die Deutsche Orient-Gesellschaft dadurch erlitt, betrug etwa 6000 Mark. Aber Koldewey nahm die Sache mit Humor und erzählte mir lachend, die Araberfrauen in Kweiresch stolzierten jetzt in nagelneuen weißen Kleidern umher, die aus deutschen — Bett- und Tischtüchern geschneidert seien. Die kostbaren Sammlungen, mit denen die Araber nichts anzufangen wissen, hatten die Diebe unberührt gelassen.

Koldewey führte uns im Schatten der Palmen nach dem deutschen Expeditionshaus, dessen starkes Tor für den Fall einer Belagerung mit Riegeln, Balken und Eisenstangen verrammelt werden kann wie in einer Festung. Es geht nach Norden; einen andern Eingang gibt es nicht. Man gelangt zunächst in einen kurzen Korridor, an dessen Seiten die Wachräume liegen; von hier aus führen Treppen nach dem Haus der Gäste, wo auch wir einquartiert werden. Von einer zweistöckigen Galerie gelangt man in die Zimmer. Alle Fenster haben Gitternetze von feinstem Stahldraht, um Fliegen und Mücken fernzuhalten. Gegen Sandfliegen und Moskitos bieten sie freilich keinen Schutz. Aber diese schlimmsten Plagegeister der Gegend beginnen ihre Tätigkeit erst abends, wenn man nicht zu Hause ist. Den Boden bedecken Strohmatten; die übrige Einrichtung besteht aus einem gewaltigen Topf mit frischem Wasser und einem kleineren mit Trinkwasser. Eine dritte Treppe geht auf das Dach; hier steht eine Reihe primitiv gezimmerter Betten, die wir jedoch nicht benutzten, da wir unsere eigenen mitgebracht hatten.

Phot.: Schölvinck.Blick vom Haus der deutschen Archäologen auf die Ruinenhügel von Babylon.⇒GRÖSSERES BILD

Phot.: Schölvinck.Blick vom Haus der deutschen Archäologen auf die Ruinenhügel von Babylon.⇒GRÖSSERES BILD

Phot.: Schölvinck.

⇒GRÖSSERES BILD

Von dem mit einer Brustwehr versehenen Dach hat man über die Kronen der größten Palmen hinweg eine großartige Aussicht. Im Süden und Südsüdwesten breitet sich in unmittelbarer Nähe, in Gärten gebettet, das Dorf Kweiresch aus. Im Nordnordosten erhebt sich in einer Entfernung von 2½ Kilometer der Hügel Babil, im Osten ganz nahe der Hügel Kasr, und im Südsüdosten, 1400 Meter entfernt, der Hügel Amran. Zwischen Kasr und Amran, ja, man kann sagen, zwischen Babil und einem Punkt 1 Kilometer südlich von Amran ist das ganze Gelände voller Ruinen, die sich auch 4 Kilometer nach Osten erstrecken, wenn man alles mitrechnet, was innerhalb der alten Stadtmauer liegt. Zwischen dem deutschen Hause und dem Ausgrabungsfeld läuft die breite Landstraße nach Hille.

Auf dem rechten Ufer des Schatt-el-Hille sieht man die kleinen Araberdörfer Anane und Sindschar mit ihren Gärten und vor allem zahllose Palmen, die zu einem einzigen Beet üppigen Grüns verschmelzen. Durch die Mitte zieht der Fluß einen blitzenden, schwachgebogenen Strich, und im Osten breitet sich in der Ferne die große Wüste, die am Tage so glühend heiß ist, daß nur Araber barfuß über ihren Lehm und Sand gehen können.

Wir steigen wieder hinab nach dem Gewölbe, wo die Gendarmen sich aufhalten, und betreten den ersten Hof, wo einige Reitpferde stehen und Diener ihre Arbeit verrichten. Dort liegen Schienen und Schwellen für eine Feldbahn, die unter normalen Verhältnissen die Verbindung zwischen dem Trümmerfeld und der Station herstellt und während der Grabungen Schutt fortschafft.

Ein gewölbter Gang, an den Küche und Dienerzimmer stoßen, führt in den innern Hof. Unter einem vorspringenden Dach linker Hand stehen Hunderte von Kisten aufgetürmt, alle voll von Altertümern, die nach Deutschland geschickt werden sollen. Ringsumher liegen mächtige Fragmente von steinernen Menschengestalten, mit Keilschrift bedeckte Steinplatten, Töpfe, Terrakottalampen, Ziegel und anderes, was noch nicht eingepackt ist.

Den Hof verbindet eine Treppe mit den Arbeitsräumen der Archäologen. Auch hier eine Galerie mit auf Säulen ruhender Decke. An den Seiten stehen Regale und Tische mit kleinen Terrakottafiguren, Öllampen, irdenen Gefäßen, Schalen mit und ohne Ornamentik, Fayencestückemit Gefäßscherben, kleine Pyramiden, Zylinder und Scheiben aus gebranntem Lehm mit Keilschrift, Knochenwirbel von Menschen und Tieren, quadratische Ziegelsteine mit königlichen Stempeln in verschiedener Form und unzähliges andere. Es ist ein vollständiges Museum, das uns einen Begriff gibt von dem hohen Stand der alten babylonischen Kultur.

Professor Koldewey führt uns dann nach der nächsten Höhe, nach Kasr, wo Nebukadnezars Palast und Tempel standen. Durch einen langsam ansteigenden Hohlweg zwischen Hügeln und Haufen von Schutt, Sand, Staub und Ziegelsteinen gelangen wir bald auf den welligen Gipfel, vorüber an einem gigantischen Basaltlöwen, der von hohem Sockel aus die Verwüstung überblickt. An der Straße der Prozessionen bleiben wir stehen.

Um uns herum die schlafende Stadt, die die Forschung unserer Zeit zu neuem Leben ruft. Von seinen Vorgängern nennt Koldewey: Rich, der im Jahre 1811 eine Reise nach Babylon unternahm, Layard (1850), den Verfasser des Buches „Ninive und Babylon“, Oppert (1852–54) und Rassam (1878–79). So verdienstlich und bahnbrechend die Arbeiten der englischen und französischen Archäologen auch sind, so können sie sich doch an systematischer Genauigkeit und Gründlichkeit nicht mit den deutschen Ausgrabungen messen, die auf Veranlassung der Deutschen Orient-Gesellschaft am 26. März 1899 an der Ostseite von Kasr, nördlich vom Ischtartor, begannen. Koldewey hatte den Platz schon 1887 und 1897 besucht und dabei Stücke emaillierter Ziegelreliefs gesammelt, die der Anlaß zu dem Entschluß wurden, die Hauptstadt des babylonischen Weltreichs auszugraben.

Man arbeitete das Jahr über täglich mit bis zu 250 Arbeitern, die 3–5 Piaster Tagelohn erhielten. Sie drangen auf breiter Front in die Tiefe; Schutt und Erde wurden auf Feldbahnen fortgeschafft. Ziegelmauern kamen zum Vorschein und wurden bloßgelegt. Die Arbeit war ungeheuer schwer, da die Fundstücke mit einer 12, zuweilen 24 Meter tiefen Schicht von Schutt und Bruchstücken überdeckt waren und die Festungsmauern 17–22 Meter dick sind. Als nach fünfzehnjähriger Arbeit die Ausgrabungen durch den Weltkrieg unterbrochen wurden, hatten die deutschen Forscher, wie sie versicherten, erst die Hälfte ihrer Aufgabe gelöst.


Back to IndexNext