Hundertneunundzwanzigster Brief.

Hundertneunundzwanzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 19. März 1849.

Wichtige Nachrichten kommen jetzt durch den Telegraphen so schnell nach Berlin, daß man durch Briefe eigentlich nichts Neues berichten, und nur Theilnahme für den Berichterstatter zu geduldigem Lesen antreiben kann. Da indeß kleine Einzelnheiten bisweilen die großen Züge des Bildes erhellen und erleuchten, so fahre ich in alter Weise fort, und suche meine Schneckenpost neben dem Telegraphen aufrecht zu erhalten.

Aus der gestrigen Berathung im Weidenbusche also Folgendes:

1) Ein sächsischer Abgeordneter trug vor, daß Nachricht eingelaufen, der beauftragte Ausschuß werde sich gegen die Zahlung der Flottenbeiträge erklären, die Mehrheit der Kammern wahrscheinlich auf seine Seite bringen und von schlechtem Partikularismus aus, den Rechten und Pflichten der Reichsgewalt zu nahe treten. Er wolle hierüber eine Frage an dasReichsministerium richten. — Einige meinten: dies sei voreilig, man müsse die Beschlüsse der Kammern abwarten. — Ich entgegnete: dann sei die offene Fehde nicht zu vermeiden, die Rücknahme schwierig; vielleicht lasse man sich warnenu. s. w.— Diese Ansicht gewann die Oberhand.

2) Bemerkte ich: die Behauptung, es werde durch ein erbliches Kaiserthum, die Zukunft des Vaterlandes in Gefahr gesetzt, ja preisgegeben, finde viel Anklang. Deshalb sei es nöthig, daß einer der erwählten, nichtpreußischen Redner erweise, wie die Erblichkeit (im Gegensatz der Wahlen und Wahlumtriebe [siehe Polen]) eben die Gefahr abhalte und die Zukunft sichere.

3) Ebenso müsse Lassaux’s Behauptung: der König von Preußen werde durch Annahme der Kaiserwürde wortbrüchig, widerlegt werden. Der König habe ein solches Wort nie gegeben, und selbst wenn dies jemals geschehen, sei es thöricht bei ganz neuen, früher ungeahnten Verhältnissen, an alten Ansichten festhalten zu wollen und darauf einseitige Schlußfolgen zu gründen.

Beide Bemerkungen zu 2 und 3 werden einzelne Redner berücksichtigen.

4) Mehre Abgeordnete der Linken (darunter Max Simon, Temme und andere einflußreiche Personen) ließenvorläufigeAnträge machen, wonach sie mituns stimmen wollten. Ohne Zweifel würden wir alsdann die Mehrheit auf unserer Seite haben; allein nur unter folgenden lästigen Bedingungen:

a) Die Fassung des ersten Absatzes über den Reichsumfang in einigen Bestimmungen zu ändern.b) Das aufschiebende Veto anzunehmen. Desgleichenc) Die heimliche Abstimmung bei den Wahlen.d) Sollten sich wenigstens 140 Glieder der Gesellschaft des Weidenbusches verpflichten, jeder von Berlin aus beantragten Abänderung der angenommenen Verfassung zu widersprechen.

a) Die Fassung des ersten Absatzes über den Reichsumfang in einigen Bestimmungen zu ändern.

b) Das aufschiebende Veto anzunehmen. Desgleichen

c) Die heimliche Abstimmung bei den Wahlen.

d) Sollten sich wenigstens 140 Glieder der Gesellschaft des Weidenbusches verpflichten, jeder von Berlin aus beantragten Abänderung der angenommenen Verfassung zu widersprechen.

Diese Vorschläge fanden im Weidenbusche keinen Anklang; doch beschloß man, sie erst nach der morgenden Sitzung, und überhaupt erst dann zu berathen, wenn sieförmlichübergeben würden.

In der Regel sind die Grundsätze des Weidenbusches besser, als die seiner Gegner; die Taktik aber ungeschickter und mangelhafter. Möchten wir nicht in frühere Fehler verfallen und dadurch besiegt werden. Bis jetzt hat man im Eifer für einen unbedingten Sieg wenig daran gedacht, was wir für den (leider) möglichen Fall thun wollen und thun können, wenn wir keinenunbedingtenSieg davontragen, sondern (wenigstens theilweise) geschlagen werden. Welche Stellungen und Punkte muß manaufgeben? Welche bis zum Äußersten vertheidigen? Welche Bedingungen annehmen oder verwerfen?u. s. w.

Wie ich persönlich über Veto und Wahlform denke, habe ich schon früher geschrieben: ich halte den zweiten Punkt für wichtiger als den ersten, und den vierten Antrag für zu unbestimmt.AlleMitglieder des Weidenbusches würdenz. B.widersprechen, wenn man das Volkshaus verweigerte, oder die sieben Prinzen mit neun Stimmen empföhle; allein alle und jede Berichtigung und Modification zurückweisen, welche sich im Laufe der Zeit als nothwendig und nützlich herausstellen sollte, ista priorinicht zu rechtfertigen unda posteriorinoch tadelnswerther. Endlich

5) beschloß man: morgen nicht auf den Schluß der Berathung zu dringen, sondern auch den Dienstag dazu einzuräumen. Dies ist um so nöthiger, da über diewichtigeFragestellung und Reihenfolge der Abstimmungen gewiß viel Zweifel entstehen und Einreden erhoben werden.

Welche große Gefahren mitjederArt der Abstimmung über einen Hauptantrag und etwa 20 Verbesserungsvorschläge verbunden sind, ergiebt sich aus folgendem Beispiele. Stellt man den Hauptantrag (den wir vertheidigen)voran, so stimmen viele Liebhaber ihrer eigenen Verbesserungsvorschläge in der Hoffnung dagegen, für dieselben die Mehrheit zu gewinnen. Kommt jenerzuletztan die Reihe, nachdem die Verbesserungsvorschläge sämmtlich verworfen sind, so zürnen die Urheber derselben und stimmen gegen den Hauptantrag, — woraus folgt, daß gar nichts zu Stande kommt! Über diese Gefahren kannkeineForm, sondern nur ächte Vaterlandsliebe hinweghelfen, welche sich unterordnet, um dasGutedurchzubringen, wenn dasBeste(le meilleur) unerreichbar erscheint.


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