Wutschang.Hankau als Handelsstadt.
Wutschang.
Wutschang.
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Hankau ist unzweifelhaft der wichtigste Handelsmittelpunkt im Innern von China, eine der größten Städte des Reiches der Mitte, an der größten Verkehrsstraße des letzteren, an dem Jangtsekiang gelegen. Etwa tausend Kilometer von der Mündung dieses mächtigen Stromes aufwärts mündet der von Norden herkommende Hanfluß in den Jangtsekiang, und rings um diese Mündung liegen die schon im vorigen Kapitel erwähnten drei Städte, welche irrtümlicherweise zu dem Begriff Hankau zusammengefaßt werden. Stellt man sich den Zusammenlauf der Flüsse etwa wie ein umgekehrtesT(⟂) vor, so bildet der Horizontalstrich den Jangtsekiang, der Vertikalstrich den Hanfluß. In der linken Ecke liegt die Stadt Hanyang, in der rechten Hankau, und beiden gegenüber auf dem südlichen Ufer des Jangtsekiang, also auf der unteren Seite des Horizontalstriches, die große Stadt Wutschang, die Hauptstadt der Provinz Hupei und bis vor kurzem Residenz des aufgeklärten und europäerfreundlichen Vicekönigs Tschang-tschi-Tung. An Einwohnerzahl ist Wutschang die größte des Städtetrios, aber der Handelsverkehr steht nicht im Einklang mit dieser Größe, was teilweise auf die steilen, für Hafenanlagen und dergleichenungünstigen Ufer und die festen hohen Mauern zurückzuführen ist, welche Wutschang umgeben und direkt von den Ufern emporsteigen, ähnlich wie es auch in Nanking der Fall ist. Diese Mauern verbergen auch die Stadt fast vollständig, und man sieht von ihr vom Flusse aus nur einige Pagoden, darunter die berühmte Hoang holin, d. h. die Pagode vom gelben Kranich, eine der bemerkenswertesten und seltsamsten von ganz China, weshalb ihre Abbildung in geographischen Werken auch häufig zu sehen ist und auch auf den Briefmarken des europäischen Postamtes in Hankau vorkommt. Wutschang ist hauptsächlich Militärstadt und Festung. Von Europäern wohnen innerhalb ihrer Mauern nur einige Missionare; der Handel mit europäischen Waren für Wutschang sowohl wie für das angrenzende Gebiet gegen Süden zu liegt in den Händen von chinesischen Kaufleuten, und der lokale Flußverkehr zwischen Wutschang und den am gegenüberliegenden Ufer des Jangtsekiang gelegenen Städten Hankau und Hanyang ist sehr gering. Ebenso gering ist auch jener über den Hanfluß zwischen den beiden letztgenannten Städten, obschon alle drei zusammen eine Einwohnerzahl von etwa anderthalb Millionen Seelen besitzen dürften. Anderswo wären bei einer so großen Menschenansammlung gewiß längst Dampffähren für den Lokalverkehr eingerichtet worden, und es ist zu verwundern, daß Tschang-tschi-Tung diese nicht auf eigene Rechnung laufen läßt. Nächst dem Vicekönig von Tschili, Li-Hung-Tschang, ist der frühere Vicekönig von Hupei der unternehmendste aller Provinzgouverneure. Er hat in Wutschang selbst große Baumwollspinnereien und Eisenwerke anlegen und zu den etwas weiter flußabwärts befindlichen Eisengruben eine Eisenbahn bauen lassen. Bis zum Jahre 1894 lag die Leitung dieser Unternehmungen in den Händen eines deutschen Ingenieurs.
Gerade so wie Wutschang ist auch Hankau mit einer Umfassungsmauer umgeben, eine der Dutzendstädte des chinesischen Inlandes ohne besondere Sehenswürdigkeiten, ja man könnte sagen, ohne besondere Bedeutung, denn die letztere beschränkt sich auf die wenigen Schollen Landes außerhalb der Chinesenstadt an den Ufern des Jangtsekiang, wo die Europäer ihre Wohnsitze aufgeschlagen haben. Die Engländer und Franzosen starteten im Wettlauf um den Handel des Jangtsekiangthales ziemlich gleichzeitig, aber während sich auf der englischen Konzession schöne Bungalows (Wohnhäuser indischen Stils), Godowns (Warenlager), Klubs, Kirchen und dergleichen erheben und dem Bund, d. h. der längs dem Jangtsekiang angelegten Uferstraße, ein so großstädtisches Aussehen geben, wie es in Ostasien nur der Bund in Shanghai besitzt, ist die französische Konzession öde und verlassen. Nur der französische Konsul hat dort, wie bereits bemerkt, seinen Wohnsitz und mag aus lauter Langeweile seine Fingernägel benagen, denn französische Geschäftsleute giebt es in Hankau keine. Wären sie vorhanden, so würden sie wahrscheinlich ebenso wie jene in Shanghai und Canton fürsorglich die französische Konzession meiden und in der englischen ihre Wohnsitze aufschlagen.
Pagode in Wutschang.
Pagode in Wutschang.
Zu der englischen und französischen Konzession ist im Jahre 1895 nun auch eine deutsche gekommen, allerdings etwas spät, aber sie ist nun vorhanden, was in Anbetracht der großen Wichtigkeit Hankaus für den deutschen Handel die Hauptsache ist. Sie hätte schon vor mehr als drei Jahrzehnten erfolgen sollen, denn es war Preußen, welches sich in seinem 1861 mit China abgeschlossenen und 1863 ratifizierten Vertrage die Eröffnung Hankaus für den fremden Handel ausbedungen hat. Leider ist dieser handelspolitische Erfolg damals nicht weiter ausgebeutet worden. Die Engländer und nächst ihnen die Franzosen ließen sich bald nach der Oeffnung des Hafens von der chinesischen Regierung kleine Landstrecken längs der Ufer des Jangtsekiang in Hankau abtreten, und die sieben dort ansässigen deutschen Firmen sind seither bei den Engländern zu Gast. Nun hat Deutschland das Versäumte nachgeholt, und die deutsche Konzession im Herzen Chinas kann nur auf das freudigste begrüßt werden. Sie erstreckt sich auf etwas über einen Kilometer längs der Uferfront und hat den allerdings nicht sehr großen Umfang von etwa sechsundvierzig Hektar.
Was Shanghai für das ganze Jangtsekiangthal ist, das ist Hankau für den oberen Teil desselben und für die angrenzenden mittleren Provinzen, ja, eine beträchtliche Zahl von Seeschiffen berührt den Hafen von Shanghai, Wusung, kaum, sondern fährt direkt nach Hankau, klariert, nimmt Ladung und fährt wieder direkt nach Europa, hauptsächlich nach England und Odessa zurück. Große Kriegsschiffe erscheinen häufig vor Hankau. Der Jangtsekiang ist aber für größere Dampfer noch um sechshundertvierzig Kilometer weiter stromaufwärts bis nach Itschang schiffbar, und kleinere Dampfer können sogar bis nach Tschungking, das noch einmal soweit stromaufwärts liegt, vordringen.
1887 liefen in Itschang 24 englische und 31 chinesische Dampfer, von Hankau kommend, ein. 1896 war diese Zahl auf 46 englische und 43 chinesische gestiegen, und der Tonnengehalt erreichte 63000 Tonnen. Der Wert der Waren betrug, soweit er überhaupt bekannt wurde, etwa 50 Millionen Mark, dürfte aber in Wirklichkeit viel höher gewesen sein. Davon waren mehr als die Hälfte für Tschungking bestimmt. Indessen sind Tschungking sowohl wie Itschang ausschließlich nur Dependenzen von Hankau. Welchen Handelsverkehr die etwa hundert dort angesiedelten Europäer zu bewältigen haben, geht aus den großen, stets steigenden Ein- und Ausfuhrwerten hervor. 1887 beliefen sich die Einfuhrwerte zusammen auf 120 Millionen Mark, die Ausfuhrwerte auf 92 Millionen; im Jahre 1896 hatten die Einfuhrwerte den englischen Konsularberichten zufolge etwa 140 Millionen Mark, die Ausfuhrwerte über 70 Millionen Mark erreicht, zusammen also 210 Millionen Mark, während der Gesamtwert des Handels nach mir vorliegenden Privatnachrichten 300 Millionen Mark überstiegen haben dürfte. Diese Zahlen beweisen die Wichtigkeit Hankaus für den deutschen Handel und die Notwendigkeit, diesem Emporium des Jangtsekiang noch größere Aufmerksamkeit zuzuwenden als bisher. Die Einrichtung eines deutschen Settlements wird dazu wohl das Ihrige beitragen. An den deutschen Industriellen und Exporteuren liegt es, auch ihrerseits mehr Unternehmungsgeist zu zeigen und womöglich eigene erfahrene Leute zum Studium des chinesischen Inlandmarktes nach Hankau zu senden, wie es mehrere französische Handelskammern gethan haben. Die Regierung hat die Bresche geschaffen, den Weg geebnet; jetzt liegt es an den Interessenten selbst, das Weitere zu thun. Der Norddeutsche Lloyd unterhält einen zweiwöchentlichen Dampferverkehr mit Shanghai, und im Anschluss an diese Prachtdampfer laufen nunmehr auch deutsche Dampfer auf dem Jangtse.
Die wichtigsten Ausfuhren Hankaus sind in erster Linie Thee im Werte von nahezu 100 Millionen Mark. Ein deutscher Theehändler, Herr Theodor aus London, hat im Jahre 1894 allein für etwa 4 Millionen Mark Thee aufgekauft und nach Europa verschifft. Nächst Thee kommen Tabak, Seide, Medizinalwaren, Baumöl, Hanf, Häute, Wachs, Galläpfel und Reis. Die wichtigsten Einfuhren Hankaus sind:
Dieser große Warenverkehr bewegte sich bisher hauptsächlich auf englischen Schiffen; denn von der gesamten Schiffahrtsbewegung Hankaus im Jahre 1896, etwa 1400 Schiffe mit 1½ Millionen Tonnen, waren über 1000 englische, 400 chinesische, etwa 38 norwegische und nur 10 deutsche. Frankreich ist an dem Handel von Hankau, wo es, wie gesagt, ein eigenes Settlement besitzt, gar nicht beteiligt.
Diese Verhältnisse werden sich nunmehr gewiß bald zu Gunsten Deutschlands ändern, und man möge ja rechtzeitig die erforderlichen Schritte thun, damit ein noch größerer Anteil an dem Handel gesichert werden kann; denn Hankau ist dazu ausersehen, der Mittelpunkt des chinesischen Eisenbahnnetzes zu werden. Die einleitenden Schritte zur Erbauung der chinesischen Zentralbahn Peking-Hankau sind bereits geschehen, und die Weiterführung derselben von Hankau nach Canton steht nicht mehr in weiter Ferne.
Für deutsche Kaufleute bietet Hankau günstigeren Boden zur Ansiedelung und Errichtung von Agenturen als irgend eine andere offene Stadt Chinas, Shanghai und vielleicht Tientsin ausgenommen. Die Fahrt von Shanghai nach Hankau auf prächtigen Flußdampfern erfordert vier Tage, und fast täglich kommen und gehen Dampfer, so daß die Verbindung mit der Außenwelt und mit Europa sehr günstig ist. Das Leben in Hankau ist ganz ansprechend, das Klima ähnlich dem unserigen, nur ist es im Sommer während einiger Wochen heißer und feuchter. An Vergnügungen ist dort eher zu viel als zu wenig vorhanden; es bestehen zwei Klubs mit vielen Zeitungen, Billards und Spielsälen, Cricket, Lawntennis, Jagden, Ruder-, Yacht- und sonstige Sportvereine. Im Winter werden Bälle, im Frühjahr Pferderennen und Football matches veranstaltet. Es fehlt nicht an Aerzten, an Kaufläden für den nötigen Hausbedarf, und die beiden katholischen Missionen haben eigene Hospitäler, von denen eins eine Abteilung für Europäer besitzt.
Die chinesische Bevölkerung wird zuweilen ein wenig unangenehm, und es ist schon zu ziemlich ernsten Unruhen und Aufständen gegen die Europäer gekommen, doch pflegt im Strome vor den europäischen Ansiedelungen irgend ein englisches, deutsches oder sonstiges Kriegsschiff zu liegen, das im Notfalle die ganze fremde Bevölkerung leicht aufnehmen kann. Ueberdies wissen die Europäer sich sehr gut zu verteidigen. Sie haben zu diesem Zweck ein eigenes, mit Gewehren, Kanonen,Hieb- und Stichwaffen versehenes Arsenal, dazu spanische Reiter zur Absperrung der Zugänge. Gelegentlich der Unruhen im Jahre 1891 erließ der englische Konsul am 19. Juni an die Europäer Hankaus eine Proklamation, die zur Charakterisierung der dortigen Zustände und als Kuriosum hier wörtlich wiedergegeben werden mag, denn ein ähnliches Schriftstück ist wohl in der Geschichte selten vorgekommen.
I. Das Verteidigungskomitee von Hankau hat die Hongs (d. h. Warenhäuser) der Herren Moltschanoff, Petschatnoff u. Cie. und der Herren Jardine, Matheson u. Cie. als die beiden Zufluchtsstätten bestimmt, wohin im Falle von Alarmierung alle Frauen und Kinder sofort gebracht werden sollen. Dies soll von den Familienvätern persönlich besorgt werden.Alarmsignale. Bei Tage: drei rasch aufeinanderfolgende Kanonenschüsse. Bei Nacht: außerdem Raketen und blaue Signalfeuer.II. Der unterzeichnete Konsul hat keine Nachricht, der zufolge in absehbarer Zeit ein Angriff auf die Europäer beabsichtigt wird. Wir haben im Strome zwei Kanonenboote liegen, die uns beschützen würden.Der Unterzeichnete hat volles Vertrauen in den Willen und in die Macht der (chinesischen) Behörden, Aufstände zu unterdrücken. Dem Unterzeichneten ist es aus seiner dreißigjährigen Erfahrung in China bekannt, daß geheime Gesellschaften hier immer bestanden haben, allein sie sind seiner Ansicht nach heute weniger gefährlich als früher, und auch in den Gesinnungen der chinesischen Beamten gegen uns ist eine Wendung zum Bessern bemerkbar.Der Unterzeichnete unterstützt alle von den Europäern unternommenen Vorkehrungen zur Verteidigung;... er besitzt in Bezug auf das Verhalten des chinesischen Pöbels gewisse Erfahrungen; Aufstände des letzteren können durch einige resolute Männer, welche gemeinsam und unter einheitlicher Leitung sofort auftreten, leicht unterdrückt werden.Der kgl. großbritannische Konsul: C. T. Gardner,m. p.
I. Das Verteidigungskomitee von Hankau hat die Hongs (d. h. Warenhäuser) der Herren Moltschanoff, Petschatnoff u. Cie. und der Herren Jardine, Matheson u. Cie. als die beiden Zufluchtsstätten bestimmt, wohin im Falle von Alarmierung alle Frauen und Kinder sofort gebracht werden sollen. Dies soll von den Familienvätern persönlich besorgt werden.
Alarmsignale. Bei Tage: drei rasch aufeinanderfolgende Kanonenschüsse. Bei Nacht: außerdem Raketen und blaue Signalfeuer.
II. Der unterzeichnete Konsul hat keine Nachricht, der zufolge in absehbarer Zeit ein Angriff auf die Europäer beabsichtigt wird. Wir haben im Strome zwei Kanonenboote liegen, die uns beschützen würden.
Der Unterzeichnete hat volles Vertrauen in den Willen und in die Macht der (chinesischen) Behörden, Aufstände zu unterdrücken. Dem Unterzeichneten ist es aus seiner dreißigjährigen Erfahrung in China bekannt, daß geheime Gesellschaften hier immer bestanden haben, allein sie sind seiner Ansicht nach heute weniger gefährlich als früher, und auch in den Gesinnungen der chinesischen Beamten gegen uns ist eine Wendung zum Bessern bemerkbar.
Der Unterzeichnete unterstützt alle von den Europäern unternommenen Vorkehrungen zur Verteidigung;... er besitzt in Bezug auf das Verhalten des chinesischen Pöbels gewisse Erfahrungen; Aufstände des letzteren können durch einige resolute Männer, welche gemeinsam und unter einheitlicher Leitung sofort auftreten, leicht unterdrückt werden.
Der kgl. großbritannische Konsul: C. T. Gardner,m. p.