IV.
Dampferlinien nach Cuba.
Unter den großen Weltverkehrsbahnen, die nach Cuba streben, waren bis auf den heutigen Tag vor allen Dingen zwei bedeutsam: die, welche von Cadiz ihren Ausgang nimmt — nicht weit von der denkwürdigen Bucht von Huelva, von der Kolumbus zu seiner ersten Entdeckerfahrt aufbrach —, und die, welche ihren Anfangspunkt in New York hat. Auf ihnen vollzog sich bislang der weitaus größte Teil der Güter- und Personenbewegung, die zwischen der westindischen Hauptinsel und den anderen Erdgegenden hin und her flutete. Die erstere, gegen 3800 Seemeilen lange Bahn entspricht den althergebrachten Beziehungen zwischen der Kolonie und ihrem Mutterlande, die durch die geschichtliche Großthat des Kolumbus eingeleitet wurden und durch sie wohl genug legitimiert waren. Diese Linie berührt bei San Juan Puertorico, die kleinste der Großen Antillen, um sodann der Küste von Haiti entlang und durch den Alten Bahamakanal nach Habana oder durch die Monadurchfahrt (zwischen Puertorico und Haiti) oder Windwarddurchfahrt (zwischen Haiti und Cuba) nach Santiago zu führen. Die letztere Bahn aber, die nur etwa 1200 Meilen lang ist, erklärt sich zur Genüge daraus, daß die Nordamerikanische Union unter den großen wirtschaftlichen und politischen Gemeinwesen der Erde das Cuba am nächsten benachbarte ist, und daß die beiden Länder sich hinsichtlich ihrer Produktionsverhältnisse in gewisser Weise wechselseitig ergänzen; und sie erscheint von Anfang als eine Doppelbahn, bezugsweise als ein Doppelgeleis, indem der Schnellverkehr der Personen und Nachrichten sich vorwiegend von New York über Land nach Tampa in Florida und fernerweit über Key West nach Habana bewegt, der Güterverkehr aber durch die Floridastraße nach Habana, Matanzas, Cardenas, Sagua und Remedios oder durch die Durchfahrten des Bahamaarchipels (besonders die Crookedpassage) nach den nordöstlichen und südlichen Häfen Cubas. Alle anderen Verkehrsbahnen nach Cuba, und besonders auch die von Hamburg, Bremen, Liverpool, Bordeaux und New Orleans, sowie von den westindischen Nachbarinseln ausgehenden, können nur als Nebenbahnen gelten. Die wichtigste und belebteste davon ist aber die von Hamburg über St. Thomas nach Habana.
Abb. 28.Kokospalmenallee.âGRÖSSERES BILD
Abb. 28.Kokospalmenallee.
âGRÖSSERES BILD
Umgebung von Baracoa.
Dem Reisenden, der sich Cuba auf der zuerst bezeichneten Bahn nähert, zeigt die Insel ein überaus eindrucksvolles und typisches erstes Bild. Ein stattlicher Tafelberg taucht vor seinen Blicken aus den Fluten auf — der Yunque (Amboß) von Baracoa, der den Schiffern weithin als unverkennbares Wahrzeichen dient. Und indem der Kurs sich auf den kleinen Hafenplatz Baracoa zu lenkt, erscheinen dahinter in der Ferne scharfgeschnittene andere Bergzacken — die Cuchillas de Baracoa —, die gegen die Ostspitze der Insel, das Kap Maisi, niedriger und niedriger werden. Allmählich hebt sich dann auch das Vorland jener Berge deutlicher heraus, und das Auge unterscheidet drei merkwürdig regelmäßige Terrassenstufen, aus denen sich dasselbe aufbaut. Die ganze Landschaft aber prangt in dem Schmucke einer reichen Tropenvegetation, und vor allen Dingen winkt von allen Berghängen die ebenso anmutige als majestätische Königspalme (Oreodoxa regia) herab — der eigentliche Charakterbaum Cubas, den der palmenkundige Alexander von Humboldt einen der schönsten seines Geschlechtes nennt (Abb. 26und27). Brächten die üppige Vegetation und der Stufenbau des Landes nicht fremdartige Momente in das Bild, so könnte es wohl an die südeuropäischen Küstenbilder gemahnen.
Abb. 29.Ein Ananasfeld.
Abb. 29.Ein Ananasfeld.
Bucht von Baracoa.
Die unterste Terrassenstufe erhebt sich im allgemeinen als eine gegen 10mhohe, steile Klippenwand aus der See und erweist sich bei näherer Betrachtung als ein reiner Korallenbau. Ungezählte Millionen von Astraeen, Maeandrinen, Poriten, Madreporen, Colpophyllien, Orbicellen u. s. w. von derselben Art, wie sie heute noch um die Bahamainseln, um Südflorida und um Cuba herum ihr wunderbares Wesen treiben, haben daran gearbeitet, ihn zustande zu bringen. Die von dem herrschenden Nordostpassatwinde, noch mehr aber von dem öfters einbrechenden starken Nordwestwinde („Norte“) gepeitschten Wogen schäumen in wilder Brandung an der Klippenwand hoch auf. Das zierliche Gefüge der Korallenzellen bewährt sich dabei aber als ein viel festeres und widerstandsfähigeres, als man glauben sollte, und das Zerstörungswerk, das die Brandung daran treibt, erscheint dem Auge als geringfügig. Verwettert genug sieht die Seefront allerdings aus, und eine einsame Felsenbank am Eingange in die Bucht von Baracoa, der sogenannte Buren, bekundet, daß die Klippe einst weiter vorsprang und daß ein Teil des natürlichen Wogenbrechers aus Korallenkalk, der die Bucht vor dem Seegange schützte, zusammengebrochen und weggewaschen ist. Heute ist die Öffnung der Bucht infolgedessen eine weitere, als den Schiffern, die darin zu verkehren haben, lieb sein kann, und die beiden angegebenen Hauptwinde der Gegend treiben häufig eine schwere See in sie hinein. Das von den Wellen zerriebene Trümmermaterial nebst den vom Lande herabgespülten Sedimentmassen aber ist an den Rändern der Bucht in der Gestalt eines sandigen Strandes zur Ablagerung gekommen, und der in sie mündende Macaguaniguafluß wird durch das so entstandene, von Mangrovegebüsch (Manglar) bewachsene Schwemmland auf einer beträchtlichen Strecke abgedämmt, so daß er in weitem Bogen hart an ihr entlang fließt, ehe er in ihrem geschütztesten östlichen Winkel seinen Ausgang findet. Vor der Flußmündung schwimmen gravitätisch graue Pelikane hin und her, am Ufer stehen ihrer Beute harrend kleine weiße und bläuliche Reiher (Ardea occidentalisundArdea coerulea), und aus dem Gebüsch heraus ertönt der Gesang des Canario de Manglar (Dendroica petechia) und des westindisch-nordamerikanischen Spottvogels (Mimus polyglottus), dessen Stimme Kolumbus für Nachtigallengesang nahm.
Abb. 30.Bananenstock.
Abb. 30.Bananenstock.
An der Oberfläche ist die unterste Terrassenstufe mit einer dünnen Schicht von Roterde (tierra colorada) bedeckt, zum Teil überstreuen Korallenfelsbruchstücke nach Art deutscher Feldsteine den Boden, und das hier und da zu Tage stehende Grundgestein erscheint allenthalben bienenwabenähnlich zerlöchert und zerfressen — unverkennbare Zeugnisse davon, daß die mächtigen cubanischen Regengüsse so wenig ohne Wirkung auf sie geblieben sind wie die Meeresbrandung.
Die höheren Stufen, die nur eine kleine Strecke weiter landein liegen, bestehen aus weißem, gelbem und rötlichem Kalkstein jung- und mitteltertiären Alters, in dem korallines Gefüge nur stellenweise sichtbar wird, und ebenso ist es auch mit den darüber aufragenden Bergstöcken und Bergketten, vor allem mit dem Yunque, den bisher nur wenige Reisende erklommen haben. Zwar ist die Erhebung des letzteren über den Meeresspiegel nur eine mäßige (556m), gleich zahlreichen anderen cubanischen Bergen stürzt derselbe aber ringsum mit jähen, teils von dichtem Waldwuchse bekleideten, teils völlig kahlen Wänden und Hängen zur Tiefe, und sein flacher Gipfel ist nur auf einem einzigen schwierigen Pfade erreichbar. Daß die Wettergeister der Tropen auch an der Zerstörung des Yunque rastlos thätig sind, verraten einesteils die weithin leuchtenden kahlen Wände, die ihren Ursprung samt und sonders unlängst stattgehabten Bergstürzen verdanken, anderenteils aber auch die mächtigenTrümmermassen, die den Fuß umlagern, und man kann sich angesichts dieser Wände und Trümmer und angesichts einer einzigen Regenflut, die auf sie niedergeht, des Gedankens nicht erwehren, daß der schöne Bergstock nichts anderes ist, als die zur Zeit noch stehen gebliebene Ruine einer viel ausgedehnteren Kalksteintafel, bezugsweise der Überrest einer höchsten Terrassenstufe, die die übrigen Stufen weit überragte. Die niedrigen Berge der Gegend, wie der Monte de Santa Teresa (210m) und der Monte Majayara (160m), östlich von Baracoa, ergeben sich dann als die Reste von Zwischenstufen. Betreffs der Bildungsgeschichte von Cuba aber scheint das ganze Landschaftsbild von Baracoa lehren zu wollen, daß die Insel seit der mittleren Tertiärzeit ruckweise und mit langen Ruhepausen höher und höher aus dem Meere emporgetaucht oder daß der Meeresspiegel an ihrem Gestade in solcher Weise gesunken ist. Das letztere für das Wahrscheinlichere zu halten, könnte man namentlich im Hinblick auf den vollkommen horizontalen Verlauf der korallinen Küstenwand geneigt sein.
Abb. 31.Ländliche Fuhrwerke.
Abb. 31.Ländliche Fuhrwerke.
Kulturen bei Baracoa.
In allen Einsenkungen und Thalungen auf den höheren Terrassen und zwischen den Bergen lagert eine mehr oder minder mächtige Schicht von Roterde, die als das schließliche Verwitterungsprodukt des Kalksteins dahin geschwemmt worden ist, und vor allen Dingen: diese Roterdestrecken tragen eine artenreiche und hochstämmige tropische Vegetation. Insbesondere sind dieselben die Stätten, wo die Hauptkulturen der Gegend gedeihen: die schattigen Kokospalmenhaine (Abb. 28), die sonnigen Ananasfelder (Abb. 29), die üppigen Bananenpflanzungen (Platanales,Abb. 30) und die Kakao-, Orangen- und Mangogärten, aus denen hier und da eine leicht gebaute, von Negern oder Creolen bewohnt, Palmpfahl- und Palmstrohhütte (Bohio) hervorblickt.
Die Stadt Baracoa (6000 Einw.), die am östlichen Winkel ihrer Bucht auf der untersten Terrassenstufe steht, während der den Hafeneingang bewachende alte Festungsbau die zweite Terrasse krönt, verdient als die älteste Stadt Cubas und als eine der ältesten und ehrwürdigsten Städte der gesamten Neuen Welt Beachtung. Schon Christoph Kolumbus, der den Hafen Puerto Santo nannte, weilte hier länger als an anderen Punkten der cubanischen Nordostküste, und er knüpfte hier seine ersten engeren Beziehungen zu den Eingeborenen; Diego Velasquez aber gründete hier die erste spanische Niederlassung im Jahre 1512.Wegen seiner gegen die Bahamas und gegen Haiti, sowie gegen Europa vorgeschobenen Lage und wegen seiner daraus sich ergebenden leichten Verbindung mit dem Mutterlande und mit dem übrigen westindischen Kolonialbesitze schien der Ort den Spaniern eben als Stützpunkt ihrer Herrschaft über die Insel ganz besonders geeignet, und eine gewisse strategische Bedeutung könnte man im Hinblick auf die Windwarddurchfahrt, auf die Hauptdurchfahrten des Bahama-Archipels (die Caicos-, Mariguana- und Crookedpassage) und auf den Alten Bahamakanal füglich auch heute noch geltend machen. Als Eingangspforte in das Innere von Cuba konnte Baracoa aber immer nur eine untergeordnete Rolle spielen, weil die steilhängigen, wild zerklüfteten Gebirge wenige Meilen süd- und westwärts nur unter großen Mühsalen übersteiglich und ihre Thäler der Kultur in sehr beschränktem Umfange zu gewinnen sind. Velasquez selbst wandte sich daher auch bald wieder von ihm weg und verlegte den Regierungssitz nach Santiago, und die Rolle, welche Baracoa als Handelsplatz gespielt hat, ist immer eine bescheidene geblieben. Belangreich ist in der Gegenwart nur seine Ausfuhr von Ananas und Bananen, sowie von Kokosnüssen und Kokosöl, und die kleinen Dampfer und Schoner, die in dem Hafen Ladung nehmen, verkehren beinahe ausschließlich nach der großen nordamerikanischen Welthandelsmetropole New York. Um höheren Bedürfnissen zu genügen, würde der Hafen sehr der künstlichen Verbesserung bedürfen, sowohl weil der in ihn hineinwirkende Seegang den vor Anker liegenden Schiffen unmittelbar verderblich werden kann, als auch, weil er durch das Spiel der Wellen und den einmündenden Strom in fortschreitender Versandung begriffen ist.
Baracoasche Küstenlandschaft.
Von Baracoa westwärts geht die Seefahrt einer überaus malerischen Küste entlang, und auch größere Schiffe können sich in naher Sicht derselben halten, weil das Meer — es handelt sich um den Eingang zu dem Alten Bahamakanale — bis auf eine oder zwei Seemeilen Abstand eine beträchtliche Tiefe besitzt und gefahrdrohende Korallenriffe nur hier und da unmittelbar am Lande liegen. Die aus fossilen Korallenbauten zusammengesetzte Küstenwand ist auch hier allerwärts deutlich erkennbar, und nicht minder der weiße Schaum der unter dem Einfluß des Passatwindes dagegen donnernden Brandung. Die höheren Terrassenstufen aber sucht das Auge im allgemeinen vergebens, und statt ihrer folgen wieder in bunter Reihe bald höhere und bald niedrigere Tafelberge (mesasundyunques), Sattelberge (sillas), zugespitzte oder abgestumpfte Kegelberge (picosundpans) und abgerundete Kuppen (arcosundtetas) — Bergformen, für deren Benennung die spanische Sprache einen so beneidenswert reichen Wortschatz zur Verfügung hat. Man kann schon aus der Ferne wahrnehmen, daß die tropischen Regengüsse und die von ihnen geschwellten Gebirgsbäche und Ströme hier in noch rüstigerer Weise als bei Baracoa an der Zerfeilung und Ausgestaltung der Landschaft gearbeitet haben. Und wem es gelingt, eine Strecke in das Innere einzudringen — im kleinen Ruderboot auf dem Rio de Tanamo oder Rio de Mayari oder auf dem Rücken eines Maultieres an anderem Orte —, dem wird dies besonders in den Monaten Mai bis November, wenn hier an den meisten Tagen ein schwerer Gewitterschauer und Wolkenbruch schnell auf den anderen folgt, noch nachdrücklicher zum Bewußtsein gebracht. Der Erosionseffekt der fließenden Gewässer ist in dieser Zeit allerwärts ein gewaltiger, es erfolgen Uferzerreißungen und größere und kleinere Bergrutsche an tausend Orten, und die Schluchten, in denen die Bäche und Ströme dahinrasen, werden sozusagen vor den Augen des Beschauers und von einem Tage zum anderen tiefer und weiter zugleich. Nicht bloß am Tageslichte thun aber die cubanischen Atmosphärilien solchergestalt ihr physikalisch-geographisches Werk, sondern in sehr bedeutendem Maßstabe geschieht dies auch unterirdisch, und die Gegend ist infolgedessen voll von mehr oder minder ausgedehnten Höhlengängen und Hohlräumen, von denen viele in einem prächtigen Stalaktiten- und Stalagmitenschmuck prangen, manche auch interessante vorgeschichtliche Reste bergen. Wir weisen besonders auf die Höhlen hin, aus denen der Rio Moa, der Abfluß der Sierra de Moa, hervorbricht, um sich alsbald in der Gestalt eines etwa 100mhohen Wasserfalles in die Schlucht hinabzustürzen, durch welche er dem Meere zueilt; sowie daneben auf die Höhlen der Sierra de Frijol, etwas weiter südlich, und auf die berühmten Yumurihöhlen in der Nähe von Baracoa.
Baracoasche Berglandschaft.
Die Berge in der unmittelbaren Nachbarschaft der Küste halten sich im allgemeinen in der Höhe von 200–300m, die Silla de Jaragua, welche nördlich von der Mündung des wilden Rio de Toar die Hauptlandmarke für die Seefahrer bildet, ist aber auf 420mbestimmt worden, und die Bergketten tiefer im Binnenlande — die Sierra de Toar, die sich dem Nordufer des gleichbenannten Stromes entlang zieht und von der die genannte Silla den östlichen Abbruch bezeichnet, die Sierra de Moa, die ihren nordwestlichen Parallelzug bildet, die Sierra de Cristal an der Nordseite des oberen Rio de Mayari und die Sierra de Catalina und Sierra de Frijol am oberen Rio de Tanamo — mögen gegen 600moder annähernd zu derselben Höhe wie der Yunque von Baracoa emporragen. Wahrscheinlich waren alle diese Ketten einst mit dem Yunque zu derselben großen Kalksteintafel verwachsen, und es ist einzig und allein die ober- und unterirdische Erosion gewesen, die sie getrennt und in sich zerklüftet hat.
Abb. 32.Korbhändler.
Abb. 32.Korbhändler.
Zur Zeit ist die fragliche Landschaft, die wir der Einfachheit wegen als Baracoasche Berglandschaft bezeichnen, in den allermeisten Gegenden noch eine pfadlose und ursprüngliche Wildnis, und weder die stattlichen Kiefern- und Palmenbestände, die schon Kolumbus bewunderte und in ihrem wirtschaftlichen Werte würdigte, noch die Bestände der Mahagoni-, Cedrelen-, Tecoma-, Gayacum-, Sapota-, Catalpa-, Sideroxylon-, Balata-, Chlorophora- und Lorbeerbäume, die in dem wechselvollen Durcheinander ihrer Gestalt und Belaubung Höhen und Thäler bis dicht an die Meeresküste bekleiden, sind irgendwo in bemerkenswerter Weise gelichtet worden. Und wer die seltsame einheimische Tierwelt Cubas kennen lernen will, durch die sich die Insel zusammen mit den übrigen Großen Antillen als ein ähnlich selbständiger Erdraum bekundet, wie Madagaskar und Neuseeland, der findet hier dazu die beste Gelegenheit. Besonders sind die Hutias (Capromys) und Aires (Solenodon) in diesen Wäldern sehr zahlreich, nicht minder aber auch die von den nord- und südamerikanischen stark abweichenden Flatterer, die ungiftigen Schlangen, die Iguanas u. s. w.
Hier und da öffnet sich in der korallinen Küstenwand der Eingang in eine weite und zumeist auch tiefe Bucht, und manche dieser Buchten würde fähig sein, Riesenflotten zu bergen. Alle ohne Ausnahme haben aber die schlimme Schattenseite, daß sie in strenger Weise von dem Passatwinde beherrscht werden und daß schon das Einsegeln in sie, mehr aber noch das Aussegeln aus ihnen außerordentlich schwierig, ja zu Zeiten vollkommen unmöglich ist. Nur an der Minderzahl, wie an der Bucht von Juragua, an der von Tanamo und an der von Cabonico und Levisa, sind daher kleine Niederlassungen entstanden, deren Palmhütten von Bataten-, Yams- und Bananenpflanzungen und Kokoshainen umgeben sind, und irgend welchen Kultureinfluß, der weit in das Innere reicht, hat keine der Buchten auszuüben vermocht.
Bucht von Nipe.
Auch selbst die herrliche Bucht von Nipe sowie diejenige von Banes, die zwischender malerischen Sierra de Nipe (der westlichen Fortsetzung der Sierra de Cristal) und der Kette des weithin sichtbaren Pan de Sama tief in das Land hineingreifen und die unter einem anderen Luftströmungsregime den vorzüglichsten Naturhäfen der Erde zuzählen könnten, werden im Laufe des Jahres nur von wenigen Fahrzeugen besucht, und sowohl das Uferland des auf einer kurzen Strecke (12km) schiffbaren Rio Mayari als auch der Südabhang der Sierra de Sama sind ungeachtet ihrer fruchtbaren Roterde nur in geringem Umfange von Tabak- und Bananenpflanzungen bestanden, während die weite Schwarzerdeniederung zwischen den genannten Bergzügen beinahe in ihrer ganzen Ausdehnung noch eine ähnliche jungfräuliche Urwaldwildnis bildet, wie das beschriebene Gebirgsland.
Abb. 33.Eingang in die Bucht von Santiago(mit Morro und Socapa-Batterie).
Abb. 33.Eingang in die Bucht von Santiago(mit Morro und Socapa-Batterie).
Abb. 34.Bai von Santiago.âGRÖSSERES BILD
Abb. 34.Bai von Santiago.
âGRÖSSERES BILD
Abb. 35.Äußere Santiagobuchtmit Lotsendorf.âGRÖSSERES BILD
Abb. 35.Äußere Santiagobuchtmit Lotsendorf.
âGRÖSSERES BILD
Von physikalisch-geographischem Gesichtspunkte aus ist an den Buchten von Nipe und Banes sowie an dem Pan de Sama, der sie in einer Höhe von 280müberragt, bemerkenswert, daß die Terrassenstufen des Küstenlandes daselbst wieder ebenso deutlich ausgeprägt erscheinen, wie an der Bucht von Baracoa, ja daß stellenweise über der dritten Kalksteinbank noch eine vierte sichtbar ist.
Umgebung von Jibara.
Westlich von dem leuchtturmgekrönten und weit gegen den Bahama-Archipel vorspringenden Kap Lucrecia, das zusammen mit dem Kap Cruz die größte Querausmessung des schmächtigen cubanischen Landkörpers bezeichnet (280km), deutet eine Reihe von Tafelbergen, die der Sierra de Sama angehören, darauf hin, daß auch hier einst höhere Terrassenstufen vorhanden waren. Im allgemeinen ist das Küstengebirge hier aber beinahe noch wunderlicher zerklüftet und zersägt, als zwischen Baracoa und Banes — ähnlich wie etwa das Kalksteingebirge der „Fränkischen Schweiz“ oder gewisse Teile des Krainer Karstes, denen die cubanische Landschaft geologisch nahe genug verwandt ist. Von den nierenförmigen oder handförmigen Meeresbuchten, die hier in die Küstengegend eingreifen, und darunter auch von der schönen und tiefen Bucht von Naranjo, gilt aber dasselbe wie von den früher erwähnten, und nur die weit geöffnete und gleich derjenigen von Baracoa gegen den Seegang ungenügend geschützte Jibarabucht, über der sich ein hübscher Sattel- und Zuckerhutberg nebeneinander erheben, hat in den letzten Jahrzehnten eine höhere Bedeutung als Ausfuhrhafen gewonnen, so daß an ihren Ufern eine Stadt entstanden ist, die trotz ihrer Jugend Baracoa an Volkszahl und an Rührigkeit übertrifft.
Abb. 36.Straßenbild von Santiago de Cuba.
Abb. 36.Straßenbild von Santiago de Cuba.
Holguin und Binnenlandschaft von Jibara.
Südlich von Jibara (7500 Einwohner) nimmt nämlich das cubanische Binnenland teilweise einen anderen Charakter an, und es erstrecken sich daselbst nicht mehr ausschließlich Kalksteingebirge kultur- und verkehrsfeindlich von Ost nach West, sondern das archäische Grundgerüst der Insel tritt an vielen Orten zu Tage, und gerundete Kuppen und Hügel aus Granit, Syenit, Diorit und Serpentin — sogenannte „Lomas“ (Brotlaib-Berge) und „Cerros“ (Rundhügel) — reihen sich lose aneinander, engere und breitere Thalmulden mit sandigem Lehmboden von schokoladenbrauner oder roter Farbe umschließend. Namentlich dehnt sich aber am oberen Rio Salado, der dem Rio Cauto zufließt, eine große und fruchtbare Roterdeebene aus. Hier ist das Waldkleid Cubas an vielen Stellen gelichtet, und der Anbau von Zuckerrohr und Mais, von Tabak und Baumwolle und von anderen Feldfrüchten sowie daneben die Rinderzucht hat statt seiner Platz gegriffen. Die Stadt Holguin (10000 Einwohner) aber, die um die Mitte des XVIII. Jahrhunderts in der fraglichen Ebene begründet worden ist, erfreut sich einer verhältnismäßig hohen und zunehmenden Blüte. Bis Ende der siebziger Jahre mußten ihrem Verkehre die schwerfälligen cubanischen Ochsenkarren (Abb. 31) und Lasttiere (Abb. 32) genügen, jetzt verbindet sie aber mit Jibara eine Eisenbahn, und es wäre wohl möglich, daß diese Bahn demnächst in der Richtung auf Santiago und Manzanillo eine Fortsetzung erhielte. Ein Teil des entwickelungsfähigen Hinterlandes von Jibara ist übrigens durch den für kleine Fahrzeuge schiffbaren Rio Jibara, der dem Berglande von Holguin entströmt, zu erreichen.
Abb. 37.Am Mercado von Santiago.
Abb. 37.Am Mercado von Santiago.
Von Jibara westwärts ändert sich mit der Physiognomie des Binnenlandes auch die Physiognomie der Küstenlandschaft. Die Bergketten — auch hier noch aus tertiärem Kalkstein bestehend — treten weiter und weiter von dem Meere zurück, und das unmittelbare Gestade ist flach und niedrig und von breiten Sandbänken begleitet, dergestalt, daß die im allgemeinen nicht höher als 1msteigenden Springfluten öfters darüber hinwegschlagen. Ganz besonders ist dies der Fall an den Buchten von Padre, von Malagueta, von Manati und von Nuevas Grandes, durch die die Küste sich hier gliedert und in deren Umgebung nur einige unbedeutende Hügel über die mit üppigem Mangrove- und Palmenwuchs bedeckte Seestrandsniederung emporragen. Das Leben der Rallen, Reiher, Pelikane, Papageien, Manglarsänger u. s. w. mag hier noch bunter und reicher sein als bei Baracoa, und ebenso auch das Leben der Schildkröten, Krokodile und Seekühe und das Leben der zahllosen Insekten — nicht zu vergessen den zur Nachtzeit prächtig leuchtenden Cucujo (Pyrophorus noctilucus) und die bösen Landplagen der Sandflöheund Moskitos. Die Vorbedingungen für das Gedeihen namhafter Siedelungen sind aber in dieser Gegend entschieden schlechte, denn abgesehen davon, daß der Passatwind sich auch an den Einfahrten der Padre- und Manati-Bucht in keiner Weise als ein guter Handelswind —trade wind— bewährt, so fehlt es daselbst vor allem an gutem Baugrund und an gesundem Trinkwasser.
Isthmus von Tunas.
An dem Rio Naranjo, der in die Bucht von Manati mündet, sowie auch an dem Rio Cabreras, der sich erst in zahlreiche Arme spaltet und dann zur Bucht von Nuevas Grandes erweitert, streckt sich der Mangrovesumpf in breiten Streifen weit in das Binnenland, und wir sind geneigt, hierin eine Art Naturgrenze für den in vielfacher Beziehung eigenartigen Ostteil Cubas zu erblicken. Von Süden greift ja annähernd unter dem gleichen Meridian der große Golf von Guacanayabo (Manzanillo) gliedernd in den Inselkörper ein, und wenn der letztere an der fraglichen Stelle schon dadurch halsartig zusammengeschnürt erscheint, so ist dies durch die Sümpfe, die sich von Norden und Süden her einander entgegenerstrecken, mindestens verkehr- und kulturgeographisch in einem noch viel höheren Maße der Fall. Mit gutem Grunde hat das spanische Kolonialregiment also die Gegend östlich von der Zusammenschnürung (die wir als Isthmus von Jobaba oder Tunas bezeichnen) als eine besondere Provinz behandelt und zu Zwecken der Civilverwaltung nach der Hauptstadt Santiago, zu Zwecken der Militärverwaltung aber Departamento Oriental genannt, und der Geograph könnte den Ostteil Cubas beim Hinblicke auf das an einen schmächtigen Eidechsen- oder Fischkörper erinnernde Kartenbild der Insel recht wohl als ihren Kopfteil gelten lassen. Um diesen Ostteil aber so viel als möglich als ein zusammenhängendes Ganzes kennen zu lernen und seine Eigenart einheitlich zu beurteilen, brechen wir unsere Fahrt bei Nuevas Grandes bis auf weiteres ab — wie dies Kolumbus seiner Zeit wenige Meilen weiter westlich that —, und wir wenden uns nach Baracoa zurück, um von dort aus das Kap Maisi zu umschiffen und von der Südseite her das Eindringen zu versuchen.
Abb. 38.Innere Santiagobucht.
Abb. 38.Innere Santiagobucht.
Abb. 39.Innere Santiagobucht.âGRÖSSERES BILD
Abb. 39.Innere Santiagobucht.
âGRÖSSERES BILD