Da weckte ihn die Stimme des Jägers. »Grüß Gott, Herr Fürst! A bißl lang hat's dauert, gelt? Aber der Tag wird heiß, da hab ich den Hirsch net liegen lassen können. Drum bin ich gleich ummi gsprungen auf d' Sebenalm und hab a paar Leut auftrieben, die den Hirsch heut noch aussi liefern ins Jagdhaus.« Pepperl hatte den Garten erreicht und schwang sich über den Zaun. »Gleich hab ich mir denkt, daß ich Ihnen da im Gartl von der Fräuln Petri find.« Er guckte zur Hütte hinüber. »Schad! Sie muß net daheim sein, 's Hüttl is gsperrt. Aber gelten S', schön is daherin! So a Platzerl findt man net leicht in der Welt. Dös hat er verstanden, ihr Vater!«
»Sie haben ihn gekannt?«
»Den Maler-Emmerle? Freilich hab ich den kennt!«
»Wiesagten Sie, daß er hieß?«
»Emmerich Petri hat er gheißen. Aber d' Leut haben allweil gsagt: der Maler-Emmerle. In der ersten Zeit, wie er von der Münchnerstadt kommen is und hat sich in der Leutasch dös Häusl kauft, da haben d' Leut a bißl glacht über seine gspaßigen Sachen. Aber spater haben s' ihn gern mögen. Er is aber auch a lieber, guter Manngwesen.«
»Er war ein Künstler?«
»A Künstler? Ah na! Gott bewahr! Der is schon was Bessers gwesen!« beteuerte Pepperl, der nach ländlicher Anschauung unter »Kienschtler« nur die »Seiltanzler« und »Komödispieler« verstand. »Wissen S', a Taferlmaler is er gwesen. A Marterl hat keiner net schöner malen können als wie der Herr Petri. Und die Heiligen, die er an d' Häuser hingmalen hat, die schauen nobel aus. Für ihm selber hat er diemal auch so Bildln gmalen, kleine und endsgroße.«
»Sie haben solche Bilder von ihm gesehen?«
»Aber freilich! Hängen ja draußten in seim Häusl alle Stuben voll. Herr Fürst, dö Bildln müssen S' Ihnen amal anschauen!« Pepperl kicherte. »Was da für narrische Sachen dabei sind! Am liebsten hat er allweil die jungen Buben gmalen, und völlig nacket — aber bloß in der oberen Hälft. Statt die menschlichen Füß hat er ihnen Geißbockhaxln hingmalen. Und Rösser hat er gmalen mit Mannsbilderköpf. Und Tigerkatzen mit Frauenzimmergsichter. Und Weibsbilder mit Karpfenschwanzln statt die Füß. Und lauter so verruckte Gschichten!« Pepperl schüttelte sich vor Lachen. »Gleich hinwerden könnt man vor lauter Gaudi, wann man so was anschaut!«
Auch Ettingen lächelte. Zentauren, Faune, Tritonen und Sphinxe — und dazu der Kunstverstand des gutenPraxmaler-Pepperl: in diesem Kontrast lag eine Komik, der auch die ernste Stimmung Ettingens nicht zu widerstehen vermochte. Aber es widerstrebte ihm, noch weitere Fragen zu stellen. Schweigend trat er zum Tisch, warf die schon welk gewordenen Steinrosen über den Zaun und schmückte seinen Hut mit der Edelrose, die ihm Lolo Petri gereicht hatte.
Praxmaler riß die blauen Augen auf, als hätte er etwas Unerhörtes erlebt. »Aber Duhrlaucht! Mar und Joseph! Dö Blümeln, dö S' da wegwerfen — dös is ja der Bruch für'n Hirsch!«
»Dieser Zweig gefällt mir besser.«
Pepperl schwieg; doch er schüttelte die Kreuzerschneckerln und sah seinen Herrn von der Seite an. Daß es einen blühenden Zweig auf Erden geben konnte, der einem Jäger besser gefiel als der grüne Bruch für einen Vierzehnender? Das war für den Praxmaler-Pepperl etwas Unverständliches.
Ettingen setzte den Hut auf und griff nach dem Bergstock.
Da sagte der Jäger, als hätten seine Gedanken eine jähe Wendung gemacht: »Ja, schauen wir, daß wir heimkommen. Der Herr Kammerdiener wird eh schon auf der Paß liegen!«
Sie gingen zum Zauntürchen. Lächelnd blickte Ettingen noch einmal über die blühenden Beete hin undempor zu den stillgewordenen Wipfeln des Harfenbaumes, die mit umleuchtetem Grün hinaufstiegen in das reine Blau des Himmels.
»Welch ein schöner Morgen! Wie diese Luft sich atmet! Wie leicht und froh man sich fühlt! Als ginge man einer großen Freude entgegen!«
Pepperl seufzte. Denn er — in seinem verantwortungsvollen Herzen war der Gedanke an das »unbetreute dumme Gansl« wach geworden —er ging einer schweren Sorge entgegen.
Während sie auf schmalem Pfad über das Latschenfeld hinunterstiegen, fuhr Praxmaler plötzlich aus seinen Gedanken auf: »Was is denn dös gwesen jetzt?« Er spähte über die Latschen hin.
»Was haben Sie?« fragte Ettingen.
»Gwesen is mir, als hätt ich was ghört in die Latschen drin. Ich muß mich aber täuscht haben. Es rührt sich nix mehr.«
Sie schritten weiter und verschwanden im Schatten des nahen Waldes.
Als ihre Schritte verhallt waren, tauchte aus den Latschen das bleiche Gesicht Mazeggers auf. Eine Weile stand der Jäger unbeweglich und spähte mit funkelnden Augen gegen den Wald hinunter. In hartem Lächeln preßte er die schmalen blutlosen Lippen zusammen. Dann wand er sich durch die lichten Büsche auf den Pfad heraus. Hier legte er Büchse und Bergstock ab, kniete aufden Boden nieder und holte mit zitternder Vorsicht aus seinem Rucksack ein blühendes Edelweißstöcklein hervor, dessen Erdballen mit einem Taschentuch umbunden war. Er entfernte das Tuch, kniff mit den Nägeln ein paar welk gewordene Blätter fort, schöpfte mit der Hand von dem Wasser, das neben dem Pfad in dünnem Faden sickerte, und besprengte den dürr gewordenen Wurzelballen und die erst halb entwickelten weißgrünen Blütensterne. In Unruh und dennoch geduldig wartete er fast eine halbe Stunde, bis sich die schmachtenden Pflänzchen wieder erholt hatten und frisch erschienen. Dann erhob er sich und stieg zum See hinunter. Als er den Waldsaum erreichte, schlug ihm brennende Röte über das bleiche Gesicht. Hastig lehnte er Bergstock und Büchse an einen Baum.
Am Ufer einer seicht verlaufenden Seebucht saß Lolo Petri auf einem Stein. Vor ihr stand eine leichte Feldstaffelei mit kleiner Leinwand, deren frische Farben eine begonnene Studie zeigten: ein Stück des Ufers mit dem Spiegelbild der überhängenden Blumen und einem halb versunkenen Wurzelstock. Die Skizze war nur erst in den Grundtönen angelegt, und dennoch verriet sie schon, mit welcher Treue die klaren ruhigen Mädchenaugen alle Farben der Natur zu erfassen wußten. Aber sie schien mit ihren Gedanken nicht bei der Arbeit zu sein. Der Arm mit der Palette hing lose nieder, und während sie lächelte wie in freundlichem Erinnern, glitt ihr Blicküber den stillen See.
Da weckte sie der Schritt des Jägers. Als sie Mazegger erkannte, glitt ein Schatten des Unbehagens über ihr Gesicht. Doch als er sie mit seiner rauhen, erregten Stimme grüßte, dankte sie ruhig. Dann nahm sie die Arbeit auf, als wäre sie allein.
Er stand hinter ihr und umklammerte mit der Hand so fest den Wurzelballen der kleinen Pflanze, daß die Erde zu Boden bröselte. »Schauen Sie doch her, Fräulein, was ich Ihnen gebracht hab!«
Sie hob das Gesicht, und der Anblick der seltenen Pflanze schien ihr Freude zu machen. »Ein Edelweiß! Wo haben Sie das gefunden?« Schon wollte sie die Blume nehmen. Da begegnete ihr Blick seinen heißen Augen. Sie zog die Hand zurück. »Ich danke für Ihren guten Willen, Mazegger, aber ich kann diese Blume nicht nehmen.«
Aus dem Gesicht des Jägers war alles Blut gewichen. »Nicht nehmen? So? Und warum nicht?«
»Weil — weil die Pflanze in der Blütezeit ausgegraben ist und verwelken muß. Sie gewöhnt sich nicht mehr an neuen Boden.«
»Das ist eine Ausred! Vorige Woche hat Ihnen der Förster ein Edelweiß gebracht. Das hat doch auch schon geblüht. Warum soll das meinige nicht fortkommen? Oder wollen Sie es nur nicht nehmen, weil es vonmir ist?«
Sie schwieg und mischte auf der Palette eine Farbe.
»Fräulein?« Die Stimme des Jägers zitterte. »Ich bin um das Blüml einen harten Weg gestiegen. Schauen S' hinauf zur Tejawand! Von da droben hab ich's heruntergeholt. Weil ich gemeint hab, das Blüml macht Ihnen Freud. Jetzt frag ich in allem Ernst: wollen Sie das Edelweiß nehmen?«
»Nein!« erwiderte sie ruhig.
Mit ersticktem Fluch zerquetschte er die Pflanze in der Faust und schleuderte sie weit in den See hinaus.
Da sah sie zu ihm auf. Dann rückte sie die Staffelei beiseite, um das Motiv, das sie begonnen hatte, breiter überschauen zu können.
Mit geballten Fäusten stand er hinter ihr und wartete, als müßte sie ihm noch ein Wort zu sagen haben. »Also wirklich?« unterbrach er die Stille mit heiseren Worten. »Das einzige kurze Wörtl ist alles gewesen? Alles für mich?«
Sie schwieg und setzte die gemischte Farbe mit sicheren Pinselstrichen auf die Leinwand.
»Und vor den anderen hat man sich hinstellen können eine geschlagene Stund, daß ein End schier nicht zu erleben war?«
Sie schien nicht zu hören, was er sagte.
»Aber der! Natürlich! Der ist halt was Feineres alsunsereiner! Ein Fürst! Da rentiert sich's freilich, daß man 's Göscherl aufmacht! Aaaah! So ein gnädiger Herr Fürst!«
Nun blickte sie doch verwundert auf. »Ein Fürst? Wer?«
Mazeggers Antwort war ein Lachen, das sein ganzes Gesicht verzerrte. »Gut verstellen können Sie sich auch, das muß ich sagen! Aber Sie wissen schon, wenn ich mein'! Er hat sich ja so gnädig bei Ihnen verhalten, daß er schier aufs Fortgehn vergessen hat!«
Da huschte eine leichte Röte über ihre Wangen. »Das war der Fürst? Der die Jagd im Geißtal gepachtet hat?«
»Geh, Fräulein, tun S' nur nicht, als ob Sie das nicht gewußt hätten!«
»Nein, das hab ich nicht gewußt.« Sie wandte sich wieder zu ihrer Arbeit.
»Aber gefallen hat er Ihnen, gelt? Natürlich, wenn so einer kommt, mit seinem hochfeinen Spinnwebengsicht und seinen glanzigen Frauenzimmeraugen, aaah, da springen gleich alle verriegelten Türen auf!«
Ohne die Arbeit zu unterbrechen, sagte sie mit kaum merklicher Erregung in der Stimme: »Wenn es der Fürst ist, von dem Sie sprechen, dann ist es auch Ihr Herr, dem Sie Achtung schulden. Ich will mir denken, daß Sie nicht wissen, was Sie da geredet haben. Undjetzt gehen Sie, Mazegger! Sie sehen, ich arbeite.«
Sein rauhes Lachen unterbrach sie. Er würgte an Worten, die ihm nicht über die Zunge wollten, und plötzlich faßte er mit rohem Griff ihren Arm. Aus ihren Augen traf ihn ein so ruhig stolzer Blick, daß ihm die Hand hinunterfiel wie gelähmt. Schweigend legte sie den Farbenkasten zusammen und stellte ihn mit der Staffelei in den Schatten eines nahen Baumes. Prüfend betrachtete sie noch einmal ihre Arbeit, nahm den Basthut ab und strich die Haare von den Wangen zurück. Dann stieg sie gegen die Hütte hinauf.
Mazegger stand wie versteinert, solang er sie noch sehen konnte. Als sie verschwunden war, reckte er seine Gestalt, wie von einem Bann erlöst, und brach in ersticktes Lachen aus. Das Gesicht von Blässe überzogen, ging er zu dem Baum zurück, an den er seine Büchse gelehnt hatte. Zitternd klammerten sich seine Hände um die Waffe, während sein Blick die Höhe suchte, über deren Büsche das von Efeu umsponnene Dächlein herunterblickte. Eine wilde Drohung flammte aus den brennenden Augen des Jägers.
Er warf die Büchse auf den Rücken und schritt in den Wald hinein. Jeden Pfad vermeidend, kletterte er zwischen dem Gewirr der bemoosten Blöcke an der Lehne des Berges hin. Und plötzlich warf er sich ins Moos und grub das Gesicht in die Arme. Fast eine Stunde lag er so. Müd, als wären ihm alle Glieder wie gebrochen,richtete er sich endlich auf. Sein Gesicht brannte, und die Falten des Ärmels hatten ihm Striemen auf die Wangen gedrückt.
Er zog die Uhr. Es war Mittag geworden. Da konnte er ins Tal hinuntersteigen, ohne fürchten zu müssen, daß ihm der Förster oder einer der Jäger auf dem Weg begegnen könnte, der ihm verboten war.
Es ging auf ein Uhr mittags, als Praxmaler im Tempo eines Wettläufers bei den Jagdhäusern eintraf. Auf halbem Wege war er vorausgegangen unter dem Vorwand, die Heimkehr des Fürsten anzumelden, damit der »Herr Kammerdiener« alle Bequemlichkeit für seinen Herrn in Bereitschaft halten könnte. Ettingen hatte dem etwas auffälligen Diensteifer des Jägers gerne zugestimmt, da es ihm lieb war, mit seinen Gedanken allein zu sein. Da hatte nun Pepperl, sobald er seinem Herrn aus dem Gesicht gekommen war, einen Dauerlauf angeschlagen, bei dem er schließlich das letzte »Bröserl« seines Atems auspumpte.
Als er die Tillfußer Lichtung erreichte, schnappte er nach Luft, wie ein aufs trockene geratener Fisch nach Wasser. Die Faust auf die arbeitende Brust drückend,spähte er nach allen Seiten, ohne was Verdächtiges zu gewahren. Friedlich lagen die Jagdhäuser mitsamt der Sennhütte in der weißen Mittagssonne, kein Mensch war zu sehen, nur ein paar Kühe grasten mit bimmelnden Glocken über das Almfeld hin. Das Bild dieses sonnigen Friedens wirkte wie Öl auf die erregten Wogen in Pepperls Seele. Er atmete auf und stieg zum Jagdhaus hinauf. »He! Herr Kammerdiener!« Keine Antwort. Er wird wohl in der Kuchl sein! dachte Pepperl und ging auf die Tür zu, aus der ihm so wundersame Düfte entgegenquollen, daß er schnuppernd die Nase hob. »Sakra! Sakra! Da gibt's was Nobels!« Er stellte Büchse und Bergstock nieder, nahm das Hütl ab und trat in die Küche. Sein erster Blick suchte den Kammerdiener, und da er ihn nicht fand, vergaß er, die Jungfer Köchin zu grüßen, und fragte nur: »Wo is er denn?«
»Wer?«
»Der Herr Martin.«
»Wahrscheinlich sitzt er wieder drunten in der Almhütt und schneidet der Sennerin die Cour. Ein rundes, gesundes Mädl! Das ist der Werktagsgusto von unserem Kammermops!«
»So, schön!« stotterte Pepperl, dem der Schreck in alle Glieder fuhr. Er stolperte zur Tür hinaus und rannte über das Almfeld hinunter. Als er den Stall erreichte, blieb er stehen und faßte sich bei der Joppe. »Nimm dich zamm, Pepperl! Seiduder Gscheiter!«
Lautlos bog er um die Ecke der Sennhütte, hörte aus der Almstube die beiden Stimmen und guckte aufgeregt durch eines der kleinen Rauchlöcher, welche die Wand durchbrachen.
Da drinnen saß der Kammermops in seiner schwarzen Gala und mit glänzend frisiertem Scheitel am Tisch, hielt in vornehmer Nonchalance die Beine mit den Schnallenschuhen übereinandergeschlagen und schmauchte eine Zigarette. Seinen hochgezogenen Brauen war es anzumerken, daß er mit dem Ergebnis der zärtlichen Stunde nicht ganz zufrieden war. Vor ihm stand die Sennerin am Herd und rührte mit langem Holzlöffel in dem großen Kupferkessel herum, der über dem flackernden Feuer hing. Das hübsche Gesicht des Mädels brannte. Das schien nicht nur von der Hitze des Feuers zu kommen, denn eine Furche des Unwillens lag zwischen ihren Brauen.
»Nun?« fragte Martin. »Warum so schweigsam, schönes Kind? Soll ich keine Antwort bekommen?«
Es schien kein freundliches Wort zu sein, das dem Mädel auf der Zunge lag. Schon wollte sie sprechen. Da hörte sie mit ihrem feinen Ohr ein leises Rascheln an der Mauer. Und es fiel ihr auf, daß an einem der Rauchlöcher die Sonnenhelle, die durch die Öffnung geleuchtet hatte, plötzlich verschwunden war. Ein feindseliges Lächeln zuckte um den kirschroten Schnabel der Sennerin. Dieses böse Lächeln verwandelte sich in schadenfrohesSchmunzeln. Und während sie mit blitzenden Augen über die Schulter zu Martin hinüberguckte, sagte sie zögernd, als müßte sie sich jedes Wort überlegen: »Ja, wissen S', mit Ihnen hat a Madl a harts Reden! Sie sind so a stadtischer Pfiffikus! Da muß man Obacht geben — wenn S' mir auch sonst net gar so übel gfallen täten, ja!« Diese letzten Worte sprach sie mit auffallend lauter Stimme.
Martin schien die jähe Schwenkung im Verhalten des Mädels mit Vergnügen zu bemerken und gab seiner Antwort einen Herzton schöner Ehrlichkeit: »Aber ich bitt Sie, mein liebes Kind, einen aufrichtigeren Menschen als ich bin, gibt es gar nicht mehr. Wenn ich was sage, können Sie sich drauf verlassen, daß es so ist!«
»Ja, freilich!« Burgi lachte. »Die Mannsbilder alle mitanander sind Lugenschüppel, schon gar, wenn s' zu eim Madl von der Lieb reden. Da sind unsere Burschen auch net anders als die nobligen Herrn aus der Stadt. Und erst die Jager! Eh so einer 's Maul aufmacht, hat er schon dreimal glogen. Schauen S' den Pepperl an, der sich neulich auf d' Nacht so fein gegen Ihnen benommen hat! Dös is schon gar der Ärgste! Zwiderer, wie mirderis, kann mir net leicht einer sein!«
»Na, hören Sie, mein liebes Kind, Sie werden mich doch hoffentlich nicht mit solch einem ungebildeten Lümmel vergleichen wollen?«
»Ah, Gott bewahr! So viel Augen hab ich schon, daßich an Unterschied merk.«
»Das ist nett von Ihnen, daß Sie mir das so ehrlich sagen. Und eine Ehrlichkeit für die andere: so gut wie Sie, liebe Burgi, hat mir im Leben noch kein Mädel gefallen. Sie haben so was Heiteres, Gesundes, Frisches und Herziges —«
»Hören S' auf, Sie süßer Schmalger, Sie!« erwiderte die Sennerin lachend, wurde aber dabei doch rot bis über die Ohren, als hätte dieses schmeichelnde Bekenntnis völlig wirkungslos an das verriegelte Türchen ihrer Mädchenseele gepocht.
»Das dürfen Sie mir glauben, daß ich noch nie einem Mädel so was gesagt habe!« sprach Martin mit Eifer weiter. »Wahrhaftiger Gott, ich habe mich nie besonders viel um die Frauenzimmer gekümmert. Mein Dienst und mein Herr, das war für mich immer das Höchste. In einer so wichtigen Stellung hat man keine Zeit für Dummheiten übrig.«
»Dummheiten?« Burgi guckte nachdenklich in den brodelnden Kessel. »No,garso was Dumms kann d' Lieb ja doch net sein!«
»Jaaa! Wenn es die richtige Liebe ist! Treu, aufrichtig und ehrenhaft! Aber wie sich das in der Stadt gewöhnlich macht? Nein, dafür dank ich! Wenn ich dawollte, an jedem Finger könnt ich eine haben.«
Burgi musterte den feinen Herrn. »Ah ja! A nobligsMannsbild! So nobel wie Sie geht net amal der Herr Fürst umanand. Dös tut doch net leicht a Mensch, daß er seim Dienstboten 's bessere Gwand zum Tragen gibt, und er selber tragt a gringers. Der Herr Fürst muß Ihnen gern haben!«
»Er weiß, was er an mir hat!« sagte Martin, über das naive Mißverständnis des Mädels mit heiterem Lächeln hinübergleitend. »Und wenn es an der Zeit ist, wird er mir auch für meine treuen Dienste entsprechend danken!« Er blies eine Rauchwolke vor sich hin und lehnte sich behaglich zurück. »Ich bin ja mit meiner Stellung ganz zufrieden. Aber man will doch auch einmal selbständig werden und eine Familie gründen.«
»Familli gründen?« Dieses Bild schien für Burgi eine Nuß zu sein, die man erst knacken mußte, um auf den Kern zu kommen. »Ah so! Heiraten, meinen S'?« Sie hatte augenscheinlich einen großen Respekt vor dem Worte: »Heiraten!« Das verriet die ehrfürchtige Breite, mit der sie es aussprach.
»Heiraten! Ja!« Martin schmunzelte. »Es ist nicht gut, wenn der Mensch allein bleibt. Das steht in der Heiligen Schrift.«
»A fromms und gottgfälligs Wörtl, ja!«
»Und wenn ich einmal das Frauerl gefunden habe, das mir gefällt, dann brauch ich nur mit meinem Herrn zu sprechen. Da kann ich mir auf seinem Gut einen Posten als Inspektor aussuchen. Aaah, meine Frau, die wird'seinmal gut haben! Denken Sie nur, liebe Burgi, Licht, Holz und Wohnung, alles frei! Dazu ein Gehalt von drei-bis viertausend Gulden im Jahr.«
»Was! Vier — tausend — Gulden! Mar und Joseph! Is dös a Geld!« Burgi machte Augen, als wäre Martin plötzlich für sie ein anderer Mensch geworden, einer, den man mit Achtung behandeln mußte. Dabei erlosch in ihr der Gedanke an jenes kleine Rauchloch, aus dem die Sonne verschwunden war. »Vier — tausend — Gulden! Mehr hat ja bei uns in Tirol kein Bischof! Sie, Herr Martin, da können S' Ihnen a nobels Stadtfräuln aussuchen!«
»Na, wissen Sie, mit denen aus der Stadt —« Martin schüttelte den Kopf und schnellte die Asche von der Zigarette. »Ich hab mir immer was anderes gedacht. So was Urwüchsiges und Unverdorbenes! Das warmeinGeschmack. Und dann — in einem unbewohnten Schloß die Zimmer lüften, das paßt mir auch nicht recht.«
»Um Gotts willen, Herr Martin, lassen S' dö viertausend Gulden net aus!«
»Wenn ich mir was Besseres wüßte?«
»Nochwas Bessers? Dös gibt's ja gar net!«
»Wer weiß!« Martin lächelte geheimnisvoll. »Wenn Sie mir versprechen, daß Sie nichts weiterschwatzen, sag ich Ihnen was.«
»Ich? Und an Tratsch machen? Da tät ich mir lieber 's Züngl abbeißen. Zu mir können S' unscheniert reden.«
»Hand darauf?«
Burgi wischte die Hand an der Schürze ab, bevor sie einschlug. »Hand drauf, ja!«
Vertraulich zog Martin das schmucke Mädel an seine Seite und streichelte zärtlich die sonnverbrannte Hand. »Das wissen Sie doch, daß unsere Durchlaucht die große Jagd da auf zehn Jahre gepachtet hat?«
»Freilich, ja! Und der Pacht, und 's Winterfutter, und die Jager alle! Mein Gott, mein Gott, dös muß a schauderhafts Stückl Geld kosten!«
»Das glaub ich! Und da können Sie sich denken, daß da ein verläßlicher Mensch hergehört, der alles leitet und überwacht, die Verrechnung führt —«
»Dös macht ja der Förstner! Sie, dös is an ehrenhafter Mensch. Auf den kann sich der Herr Fürst verlassen.«
»Ja, ja! Ich will ihm auch von seinen guten Eigenschaften nichts abstreiten. Aber auf einen solchen Posten gehört ein Mensch von Bildung, der alles so zu richten versteht, wie es unserer Durchlaucht angenehm ist.«
»Um Gotts willen! Der gute Herr Förstner wird doch net sein Posten verlieren?«
»Gott bewahre! Der kann bleiben, was er ist. Aberüberihn wird noch ein Jagdverwalter gesetzt, verstehenSie?«
Ganz verstand sie die Sache nicht; aber sie nickte: »Ah ja! Ah ja!«
»Das wird noch heuer im Herbst gemacht. Unsere Durchlaucht hat bereits mit mir über die Sache gesprochen. Und im Frühjahr wird draußen in Leutasch für den Verwalter ein neues Haus gebaut, natürlich zweistöckig, mit einem großen Garten, mit einem Stall für zwei Pferde und vier Milchkühe —«
»Da ghört a Heustadl und a Holzschupfen auch dazu!«
»Natürlich! Wird gebaut!« Martin warf die Zigarette über den Tisch und zog das Mädel fester an sich. »Na, und jetzt raten Sie mal, wer das sein wird? Der neue Jagdverwalter?« Lächelnd tätschelte er den runden, molligen Arm der Sennerin und zwinkerte vergnügt zu ihr hinauf.
Da begriff sie und platzte los: »Am End gar Sie, Herr Martin!«
Er nickte.
»Hören S', da därf man Ihnen gratalieren!«
»Nicht wahr? Aber —einenHaken hat die Sache noch.«
»Was denn für ein'?«
»Der Verwalter hier, das muß einer sein, der verheiratet ist.«
»No ja, so heiraten S' halt. Für so an Posten kannman's riskrieren.«
»So? Meinst du?«
Sie merkte gar nicht, daß er sie duzte.
»Aber wo find ich so schnell eine, die mich nimmt?«
»Ui jegerl!« sagte sie ernst. »Bei so was greift doch jede zu mit alle zwei Händ.«
»Na ja! Aber ich kenn eben keine.« Martin legte den Arm um Burgis Hüfte. »Und jetzt sag mal, Burgerl? Möchtest du mir nicht eine suchen helfen?«
»Ich?« Nun lachte sie, als hätte sie in ihrem Leben was Lustigeres nicht gehört. »O du mein lieber Herrgott! Mit so einer, wie s' mir bekannt sind, da wären S' sauber aufgricht! Sie! Und a Bauernmadl!«
»Na, weißt du, das wird doch wohl nicht anders gehen. Eine vom Land werd ich mir nehmen müssen. Eine, die sich auf den Stall versteht. Von Kühen und Pferden versteh ich nichts, rein gar nichts. Das muß eben dann meine Frau übernehmen.«
»Ah ja!« Das leuchtete ihr ein. »Dös is wahr, da brauchen S' eine, die ihr Sach versteht und ghörig schaffen kann.«
»Na also! Und da mußt du mir suchen helfen! Denk mal ein bißchen nach! Ich mein' immer, daß du gar nicht weit zu suchen brauchst, um so eine für mich zu finden, so recht eine Hübsche, Frische, Gesunde!«
Sie fühlte den zärtlichen Druck seines Armes, spürteseinen heißen Atem, sah seine dürstenden Augen — und da begriff sie. Das wirkte, als hätte der Blitz vor ihr eingeschlagen. Sie versuchte erschrocken, seinen Arm von sich abzuwehren. Bei diesem Befreiungsversuche schien ihr die rechte Kraft zu fehlen. Er gelang nicht.
Was in ihr vorging, war deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen. Ihr erster Gedanke war Unglaube. Der Menschenverstand in ihrem hübschen Zauskopf war, so anspruchslos ihn die Natur auch geschaffen hatte, doch zu gesund, um sie nicht vor dem groben Köder zu warnen, den sie vor ihren Augen winken sah. Aber sie hätte nicht das praktisch rechnende Kind des Dorfes sein müssen, wenn ihr neben allem Zweifel nicht auch die Erwägung gekommen wäre: »Vielleicht is doch was dran! Undwennwas dran is, därf ich mir's net verscherzen!« Und sie hätte nicht das arme, mit aller Not des Lebens kämpfende Mädel sein dürfen, um nicht auch die scheue Sehnsucht zu empfinden, die der Traum vom großen Los erweckt. Ihr Herz war frei, sie dachte an keinen andern — der Praxmaler-Pepperl war ihr ja »so zwider wie net leicht einer«. Und wenn der gesunde Verstand ihr auch sagte: »Glaub dem Schmalger nix, er lügt dich an!« — so hinderte das nicht, daß in ihrem sumsenden Köpfl ein winkendes Luftschloß zu glänzen begann. Sie sah das zweistöckige Haus, den Garten mit Sellerie und Kopfsalat, die große Wiese, den Stall mit Pferden und Kühen. Sie sah den Vater, den sie seit Jahren ernährte,unbesoffen und zufrieden in seinem Stübchen. Sie sah sich im seidenen Kleid zur Kirche gehen und im ersten Betstuhl knien. Sie sah sich am Sonntagnachmittag beim Kaffee sitzen, während die Tür sich auftat und die Jäger zum Rapport erschienen, voran der Praxmaler-Pepperl, der höflich das Hütl von den trauernden Kreuzerschneckerln herunterzog: »Recht schön guten Abend, Frau Jagdverwalterin!« —
Bei diesem Traumbild stotterte sie zu Tod erschrocken: »Mar und Joseph!« Sie hatte plötzlich an das Rauchloch da drüben denken müssen, in dem die Sonne verschwunden war. »Lassen S' mich aus! Ich bitt Ihnen, lieber Herr Martin, lassen S' mich aus!«
»Aber Burgerl, Kind, sag mir doch —« Martin versuchte, das Mädel auf seinen Schoß zu ziehen. Da verfinsterte sich die Tür, und eine Stimme, die kaum merklich bebte und dennoch ganz anders war als die gewohnte Stimme des Praxmaler-Pepperl, klang in die Dämmerung herein: »Recht schön guten Abend beinander!« Im gleichen Augenblick stand Burgi schon am Herd und begann im Kessel ein verzweifeltes Rühren.
Martin streckte die Beine, brannte sich eine frische Zigarette an und schielte über das flackernde Zündholz nach dem Jäger.
Pepperl stand wie ein Baum unter der Tür, die Daumen in die Hosenträger eingehakt. »Sie, Herr Kammerdiener! Tummeln S' Ihnen! Der Herr Fürst wirdgleich heimkommen.«
»Also ist er noch nicht da? Na, dann wird's nicht so pressieren!« meinte Martin. Er stäubte eine Aschenflocke von seinem Frack, erhob sich, zog die Weste herunter und ging zur Tür. »Wollen Sie gefälligst den Weg freigeben?«
Pepperl rührte sich nicht. »Ja, gleich! Aber z'erst noch a Wörtl! Neulich auf d' Nacht hab ich an Rausch ghabt. Und da hab ich mich a bißl unghörig aufgführt. Dös reut mich, ja! Aber heut bin ich nüchtern.«
Martin runzelte die Brauen. »Was soll das heißen?«
»Es is nur, daß der Herr Kammerdiener weiß, wie er dran is mit mir.« Pepperl trat von der Tür weg. »So!«
»Sie scheinen zu glauben, daß ich an Ihr unqualifizierbares Benehmen von neulich eine Minute später noch gedacht habe? Da tun Sie sich zuviel Ehre an, junger Mann.«
»Is schon möglich! Unsereins halt eben a bißl was auf Ehr. Deswegen zwick ich Ihnen von der Ihrigen nix ab. Die tat mir net in d'Joppen passen.«
Martin zuckte hochmütig die Schultern, und während er zur Tür hinausschritt, grüßte er freundlich: »Adieu Burgerl!«
»Bhüt Ihnen Gott, Herr Martin!« klang es so dünn wie ein Zwirnsfaden vom Herd herüber.
Draußen waren Martins Schritte schon verhallt, und Pepperl stand immer noch stumm und regungslos nebender Tür.
Burgi tat, als wäre der Jäger Luft für sie. Bald hantierte sie mit dem Geschirr, bald wieder legte sie ein frisches Scheit in das flackernde Feuer, und bei allem drehte sie der Tür immer den Rücken zu.
»Jiija!« sagte Pepperl endlich, ging auf den Tisch zu, setzte sich auf den leer gewordenen Stuhl und begann in aller Gemütsruhe sein Pfeiflein zu stopfen. Als diese umständliche Arbeit erledigt war, hob er das Bein und strich an der Schattenseite seiner Lederhose das Zündholz an. »Ja, ja, ja, ja!« nickte er vor sich hin, während er nachdenklich den brennenden Schwefel betrachtete. »So geht's auf der Welt!« Mit langen Zügen begann er zu paffen.
Burgi schoß einen wütenden Blick nach dem Jäger. »Mußt denn du allweil grad bei mir da sitzen?«
»Da gfallt's mir halt, weißt!«
»Wär mir schon lieber, es tät dir woanders gfallen.«
»DieZeit kann auch noch kommen.«
»Hoffentlich bleibt's net gar z'lang aus!«
»Is schon möglich. Es gibt Sacherln auf der Welt, die haben gschwinde Füß.«
Unter trockenem Lachen faßte Burgi den langen Holzlöffel, um den Inhalt des Kessels aufzurühren. Eine Weile hörte man nur das Knistern des Feuers und das angestrengte Paffen des Praxmaler-Pepperl. DiesesSchweigen zog sich immer zäher in die Länge.
»Heut macht's an staden Tag!« sagte Pepperl endlich. »Plauschen wir lieber a bißl was!« Ein kurzes Auflachen. »No also, wie geht's, wie steht's denn allweil, Frau Jagdverwalterin? Haben S' heut den herrschaftlichen Stall schon ausgputzt? Ja?«
Burgi fuhr auf wie von einer Natter gestochen. Im ersten Augenblick wußte sie nicht, was sie sagen sollte. Dann trat sie schneidig auf den Jäger zu, beugte den Kopf bis zu seiner Nase hinunter und zischelte ihm ins Gesicht: »Du! Jetzt will ich dir was sagen! Um alles andere frag ich net — aber beim Herrn Martin seiner Privatsach, die er mir anvertraut hat, da hab ich d' Hand drauf geben, daß nix weiterkommt. Und dös möcht ich mir verbitten, daßdujetzt an Tratsch machst, und daß's hintnach heißen tät:ichhab's gsagt! Verstehst mich?«
Pepperl blies ihr den Rauch ins Gesicht, daß sie husten mußte. »Dös kann ich halten, wie ich mag. Ich hab nix versprochen.«
»So? So?« Fuchtelnd wehrte sie mit beiden Händen den Rauch von sich ab. »Gleichschauen tät's dir schon, dir, daß d' umanand rennst in der ganzen Gegend und alles ausschreist! Gelt?«
Das Blut stieg ihm ins Gesicht, doch er blieb ruhig. »So? Schaut's mir gleich? No ja!« Und paff, hatte sie wieder eine Wolke unter der Nase.
»Jetzt hör amal auf!« fuhr sie ihn hustend an. »Blasmir net allweil dein Stinkadores ins Gsicht!«
»Freilich, du vertragst halt bloß so a feins Zigarettendampfl. Übrigens, wenn dir sonst kei' Sorg net aufliegt, als daß ich an Tratsch mach, da kannst dich trösten. Lugen red ich net weiter. Denn daß ich den Schwindel mit der Jagdverwaltung glaub, für so strohkalbldumm möcht ich mich von die Leut net halten lassen.«
Burgi atmete erleichtert auf und kehrte zum Herd zurück. Einen »Tratsch« brauchte sie nicht zu fürchten, das wußte sie jetzt. Und über das Loch, das Pepperl mit dem Wörtlein »Schwindel« in ihre halbe Hoffnung gerissen hatte, machten ihre Gedanken einen großen Sprung. »Bist ihm halt neidisch, gelt?«
»Dem? Na!«
»Und ärgern tust dich, daß er sich mitdirnet abgibt.«
»Ich hab halt nix so ›Urrwixikäs‹ und ›Härzikäs‹, wie er's gern hat.«
»Natürlich, so a Lümmel wie du!«
»Freilich! Ich hab's ja hören können, daß dir net leicht einer so zwider is wie ich.«
»So?« Die Schadenfreude blitzte in ihren Augen. »Hast es aufgschnappt? Ich hab's eh nur gsagt, damit du's hörst.«
»Geh?«
»Ja! Meinst, ich hab dich net umraspeln hören hinterder Wand da draußen?« Als sie die verdutzten Augen sah, die er machte, versetzte sie der Wahrheit einen gelinden Puff und sagte: »Hätt's da herin was zum Verheimlichen geben, meinst, ich hätt den Herrn Martin weiterreden lassen, wenn ich weiß, wer draußen steht mit die gspitzten Luser! Übrigens, schenieren möcht ich mich! Mit die Ohrwascheln umanand rutschen hinter der Mauer! Aber — ›Der Lauscher an der Wand hört die eigene Schand!‹ — Kennst es ja, dös Sprüchl, gelt?«
»Ja!« Pepperl biß in die Pfeifenspitze, daß es knirschte. »Schand hab ich gnug ghört. Aber net die meinig.«
»Du!«
Das Wort war wie ein Dolch. Und das brennende Scheit, das Burgi gerade tiefer ins Feuer schieben wollte, hatte sie in der Hand behalten und aus der Glut gerissen. Der Rauch quoll an ihr hinauf, und die Flamme züngelte nach ihrer Schürze.
Da war es um Pepperls Ruhe geschehen. Ein Sprung, und er stand an ihrer Seite, riß ihr das Scheit aus der Hand, um es ins Feuer zu werfen, und schrie ihr mit aller Überzeugung eines ehrlichen Menschen ins Gesicht: »Madl! Er schmiert dich an! Der!«
Sie wurde bleich. »So was laß ich mir net sagen! Von dir schon gar net. Und zum Anschmieren ghören zwei. Da müßt ich auch noch dabei sein. Aber weilduvom Herrn Martin bloß allweil 's Schlechte glaubst, deswegen mußt noch lang net recht haben!«
»Madl! Madl!« Pepperl fuhr ihr mit den fuchtelnden Händen fast ins Gesicht. »Wie kannst denn so was glauben! Der? Und Jagdverwalter? Da macht man ehnder an Pudel zum Pfarrer! Und wieviel hat er gsagt? Viertausend Gulden? Ja! Viertausend Pfifferling mit Schneckensoß und den Buckel voll Prügel zum Eintunken! Dös verdient er! Der!« Der Brustton, mit welchem Pepperl predigte, schien den zornigen Trotz des Mädels schon ins Wanken zu bringen. Aber was der Jäger im heißen Eifer weiter noch vorbrachte, verdarb wieder alles. »Meinst, ich hab's net gmerkt, gleich am ersten Abend, wie er dich angschaut hat? Kümmern tut's mich freilich nix. Ich? Und von dir was mögen? Ah na! Fallt mir net ein! Aber als gute Seel, hab ich mir denkt, muß ich dös dumme Madl doch a bißl verwarnigen. Drum hab ich in der Nacht an deiner Kammer klopft. Ja! Sonst wegen nix. Aber hast dir ja nix sagen lassen. Natürlich, und jetzt is der Teufel los! Jetzt hat er dich anplauscht. Und glauben tust ihm auch schon und möchtest am liebsten gleich mit alle zwei Füß ins Unglück einihupfen, gelt? Aber da is noch was gut dafür! Da bin ich noch da! Verstehst mich? Du gehst mich netsoviel an, weißt! Aber die gute Repadazion von unserer Gegend liegt mir am Gwissen. Und daß 's bei die Leut umanand heißen soll: auf der Tillfußer Alm, wo d' Jager hausen, geht's zu wie auf der ungraden Hochzeit, die der Pfarr verschlafen hat — dös laß ichnet zu! Verstehst mich!«
»Du, mir scheint, dir hat d' Sonn a bißl z'heiß aufs Dachl brennt!« fiel Burgi mit zornbebender Stimme ein. »Komm her, du, ich kühl dich ab!« Und ehe Pepperl den Sinn dieser Worte zu deuten vermochte, hatte sie den Tränkzuber gepackt und schüttete dem Jäger einen Guß ins Gesicht, daß das Wasser in plätschernden Fäden an ihm hinuntertroff.
»So? No, wart nur, du!« Pepperl schüttelte sich, daß die Tropfen nach allen Seiten flogen. »Wir zwei sind fertig mitanander! Du und ich! Für ewige Zeiten! Jetzt soll dir an andrer ins Gewissen reden! Jetzt muß dein Vater her! Dein Vater soll's wissen, wie's steht um dich! Ja, schau mich nur an, du! Heut noch laß ich ihm Botschaft sagen. Dein Vater muß her! Und jetzt bin ich fertig, so!« Er quetschte das Wasser aus den Ärmeln und schleuderte die Tropfen von den Händen. »Mich siehst nimmer in deiner Hütten!«
Wie er zur Tür hinauskam, das schien er selber nicht recht zu wissen. Er merkte nur plötzlich, daß er draußen in der Sonne stand, und da schob er das Hütl zurück und griff sich an die Stirn, als müßte er sich erst besinnen, was denn eigentlich geschehen wäre. Der Anblick seiner pritschelnassen Kleider schien ihm alles wieder in Erinnerung zu bringen. »An saubern Dank hat man von der moräulischen Gwissenhaftigkeit!« Er zog die Joppe herunter, trocknete mit dem Sacktuch das Gesicht unddrückte das Wasser aus der Lederhose, die sich anfühlte wie ein vollgesogener Schwamm. Und da er in dem Zustand, in dem er sich befand, das Försterhäuschen nicht betreten wollte, sprang er gegen den Wald hinunter und legte sich auf einer kleinen, versteckten Lichtung in die Sonne, um trocken zu werden. »Grad zerreißen könnt ich dös Weiberleut!« murrte er mit geballten Fäusten vor sich hin, als er zwischen den Stauden hockte und sich von der Mittagshitze braten ließ.
Er hatte »seine Schuldigkeit getan«, hatte sein Gewissen entlastet. Aber der Ausdruck seiner Züge war nicht der friedliche des guten Hirten, der sein bedrohtes Schäflein gerettet weiß.
Es dauerte eine gute Stunde, bis Pepperl in der sommerlichen Backofenhitze trocken wurde — wenn auch nicht trocken bis auf die Haut. »Unterschichtig« klebte ihm noch das Gewand am Körper, aber auswendig, meinte er, »tut's es schon!«
Um nur ja nicht an der Sennhütte vorüber zu müssen, machte er zum Försterhäuschen einen weiten Umweg durch den Wald, bis hinunter zum Bach. Da begegnete ihm der Bote, der für den Fürsten die Post aus Leutasch gebracht hatte und jetzt wieder heimwanderte. Pepperls Augen funkelten vor Freude. »So! Du kommst mir recht. Kannst mir Botschaft tragen?«
»Was denn?«
»Triffst den alten Brenntlinger heut noch?«
»Der Burgi ihren Vater?«
»Ja.«
»Heut nimmer, na! Aber morgen, wann ich am Wirtshaus vorbeikomm, da hockt er schon drin.«
»Richt ihm aus, daß ich ihm ganz ebbes Wichtigs sagen muß. Er soll mich aufsuchen. Je bälder, je lieber.«
»Sagen tu ich's ihm schon.« Der Mann lachte. »Ob ihm der Schnaps aber Urlaub gibt, dös weiß ich net.«
»Versprich ihm halt, daß er bei mir auch sein Stamperl kriegt.«
»No, da kann's sein, daß er kommt!«
Pepperl lüftete die Joppe, lachte spöttisch vor sich hin und spähte durch den Wald hinauf. »Gelt, sag's ihm feingwiß! Ich tu dir an andersmal auch wieder an Gfallen dafür. Und tummel dich, daß d' heimkommst und den Postwagen net versaumst. Hast viel mitkriegt vom Herrn Fürsten?«
»Schier gar nix, na! Bloß a Telegramm, dös er gschwind noch gschrieben hat, grad jetzt, wie er heimkommen is.«
»No also, da mußt doppelt flinke Füß machen! Bhüt dich Gott!«
Während Pepperl seine Lederhose auf ihre »unterschichtige« Feuchtigkeit prüfte, wanderte der Bote davon.
Die Depesche, die er mit forttrug, war an den GrafenSternfeldt adressiert und lautete: »Erkundige Dich, bitte, nach einem Maler Emmerich Petri, der vor zehn oder fünfzehn Jahren in München lebte. Jedes Wort, das Du über ihn erfahren kannst, hat Interesse für mich. Dank und herzlichen Gruß. Ich bin gesund und guter Dinge, wie ein Fisch in klarem Wasser. — Heinz.«
Ein stiller Tag verging, an dem das Blau des Himmels gegen die Nebel kämpfte, die überall aus der Luft herauswuchsen und sich wie graue Kappen über alle Zinnen der Berge stülpten.
Gegen Abend begann es zu regnen.
Förster Kluibenschädl war im Fürstenhaus zu Tisch geladen. Als er sich nach heiter verplaudertem Mahl von seinem Jagdherrn verabschiedete, erbat er sich Urlaub für den nächsten Tag. Neue Jagdsteige wären zu bauen, und da müßte die Zustimmung der weideberechtigten Gemeinde eingeholt werden.
»Sie gehen nach Leutasch?« fragte der Fürst. »Wollen Sie mich mitnehmen?«
»Wollen? Ich bitt, Duhrlaucht, es wär mir ja die größte Ehr! Aber 's Wetter, mein' ich, wird Mannderln machen. Und viel is in der Leutasch draußen net zumSehen.«
Ettingen lächelte.
»Es wär net der Müh wert, daß Duhrlaucht naß werden.«
»Ich hoffe, das Wetter bessert sich wieder bis morgen, und dann gehen wir.«
Der Wunsch des Fürsten erfüllte sich. Die halbe Nacht währte das Strömen und Gießen, aber der Morgen brachte wieder klares Wetter, sonnig und dennoch kühl.
Auf zehn Uhr morgens war der Abmarsch nach Leutasch festgesetzt — für Pepperl ein triftiger Grund, schon um neun Uhr von der Frühpirsche heimzukehren. Wenn der Fürst das Jagdhaus verließ, hatte der Kammerdiener einen freien Tag, und da mußte ein Riegel vor die Tür der Sennhütte geschoben werden. Freilich war Pepperl mit »der da drunten« für alle Ewigkeit »fertig«. Aber er hatte nun einmal die »Verantwortigung« auf sich genommen, und solch eine Gewissenspflicht wirft ein ehrlicher Christenmensch nicht von sich ab, bevor er nicht sicher ist, daß ein anderer sie auf seine Schultern nimmt. Für diesen anderen war bereits gesorgt. »Leicht kommt er schon heut, der Brenntlinger? Da bin ich's endlich amal los, die verwünschte Sorg! Bei so was hat man Tag und Nacht kei' Ruh!«
Als Pepperl in die Hüttenstube trat, machte Kluibenschädl sich wegfertig. »Gelten S', Herr Förstner, heutdärf ich mich ausschnaufen und daheim bleiben?«
»Ja, Bub! Hast a paar harte Täg hinteranander ghabt. Laß dir d' Ruh heut schmecken!«
»Ruh?« brummte Pepperl vor sich hin, während der Förster zum Fürstenhaus hinaufstieg. »Wenn ich mein Schmarren drunten hab, hock ich mit'm Gheimnis vom Wohdekastl vors Hüttentürl her. Den ganzen Tag! Da kommt mir nix aus.«
Eine Viertelstunde später wanderte Ettingen mit dem Förster über das Almfeld hinunter. Als sie an der Sennhütte vorübergingen, kam Burgi mit einem Schaff Wasser vom Brunnen und grüßte stumm, bevor sie in den Stall trat. »Ist das die Sennerin?« fragte Ettingen. »Ein hübsches Mädel!«
»Ja, gar net übel! Aber was in dös Madl einigfahren is, dös weiß der Kuckuck. Sonst hat's den ganzen Tag allweil gsungen wie a Starl im Fruhjahr. Jetzt macht's a Gsicht wie neun Tag Regenwetter. Sie muß krank sein!«
»Oder verliebt. Das gäb eine schmucke Jägersfrau.«
»Die?« Kluibenschädl machte große Augen. »Die hat ja nix!«
Ettingen lachte. »Was haben? Gehört das zum Glück? Auch hier im Dorf? Ich dachte, daß die Leute in den Bergen das Leben natürlicher nehmen als wir verbildeten Kulturkinder der Stadt.«
»Die Bauern? O du mein! Wann a Bauer heiret, wird um jeden Kuhschwanz ghandelt. Und d' Leut haben recht. Von der Lieb hat noch keiner zehrt. Steigen d' Sorgen zum Fenster eini, so fahrt d' Liebsfreud auf'm Besenstiel zur Haustür aussi! Und nachher wird grauft und gscholten.«
Ettingen sah den Förster von der Seite an. »Sie waren wohl nie verliebt?«
»Ich?« Kluibenschädl schlug ein Kreuz. »Gott soll mich bewahren!« Dem Ton dieser Worte war es anzumerken, daß der Förster über eine böse Erinnerung seines Lebens wegsprang. »Na na! Mein Dienst, meine Berg und mein Wald! Mehr verlang ich mir nimmer im Leben.«
Ettingen nickte.
»Schauen S' ihn nur an, unsern Wald! Kann's denn was Schöners geben? Oft, wenn mich 's Leben völlig verdrossen hat, da hab ich mir gsagt: ›Marsch, Brüderl, naus in dein Wald, da verleidst es schon wieder!‹« Er lachte. »Und wahr is gwesen. Wieder lustig bin ich worden. Noch jedsmal!«
Sie waren aus dem Schatten des Waldes in die Sonne getreten und hatten die Straße erreicht, die am Ufer des rauschenden Wildbaches hinlief. Die beiden Wegstunden bis zum Dorfe vergingen dem Fürsten so rasch, daß er, als das weite Wiesental der Leutasch sich vor ihnen öffnete, verwundert fragte: »Wir sind schonda?«
Sie konnten das schöne Tal bis zu den Bergen, die es in der Ferne begrenzten, frei überblicken. Gleich blinkenden Silberwürfeln lagen die weißgetünchten Häuser zwischen dem Grün der Obstgärten, zwischen dem gelben Geröll des Bachlaufes und den Goldgevierten der reifenden Haferfelder. Auf den Wiesen waren die Leute mit dem Heu beschäftigt, und die kleinen Figürchen in Hemdärmeln, die Wagen, die beladen wurden, die Zugtiere, alles flimmerte im Sonnenglanz. Eine Kette sanft gerundeter Waldberge schloß das Wiesental, und hinter ihren zierlichen Wipfelkämmen hoben sich die Felsenpaläste des Karwendelgebirges empor, die einsame Seefeldspitze und am Horizont die langgestreckten Inntaler Berge, deren fernste Zinnen nur noch wie bläulicher Hauch in die schimmernde Luft gezeichnet waren.
Bei den ersten Häusern sagte der Förster: »Duhrlaucht! Vor wir ins Dorf einimarschieren, müssen S' mir was versprechen!«
»Was?«
»Daß ich wegen die Steigbauten allein mit'm Bürgermeister reden därf. Zu dem laß ich Ihnen net in d' Stuben eini.«
»Halten Sie es nicht für gut, daß ich als Jagdherr selbst mit den Leuten spreche?«
»Gott bewahr! Wann die Bauern an Jagdherrn sehen, wissen s' gleich gar nimmer, was s' verlangenmüssen. Schaut wo a Zehner aussi, so reißt der Bauer d' Augen gleich auf für an Tausender. Deswegen is er net schlechter und net besser wie andere Leut. Aber einbilden tut er sich: er is der Gscheite, und der Stadtherr is allweil der Dumme. Und hat er ihn übers Ohr ghaut, so lacht er ihn hintnach aus. Jetzt gar noch a Jagdpächter! Der is eh schon der Kiniglhaas! Von dem wird abigrissen, was runter geht an Woll. Na na! Bleiben S' davon, Duhrlaucht! Sie mit Ihrer Güt möchten schön grupft ins Jagdhaus zruckkommen! Aber a Stündl wird's allweil dauern, bis ich d' Erlaubnis für unsere Steigbauten ohne Blutgeld aussidruckt hab. Wie wollen S' Ihnen denn derweil unterhalten, Duhrlaucht?«
»Ich mache einen Spaziergang durch das Dorf. Oder — neulich am Sebensee hab ich eine junge Dame kennengelernt, ein Fräulein Petri —«
»Ah so! Die Fräuln Lo?« Der Förster blieb stehen, und es leuchtete warm in seinen Augen. »Net, Duhrlaucht, die muß Ihnen doch gfallen haben? Dös is a Frauenzimmerl, dös sogar ich gelten laß, und dös will viel sagen! Aber mit der Fräuln Lo, da wird's schlecht ausschaun heut. Die is an so eim Tag allweil im Wald oder z'höchst in die Berg droben. Die treffen S' heut net daheim, Duhrlaucht!«
»Die junge Dame hat mir manches von ihrem Vater erzählt, und das merkwürdige Schicksal dieses Mannes interessiert mich lebhaft. Es wäre mir eine Freude, dieBilder zu sehen, die von ihm noch vorhanden sind.«
»Nix leichter wie dös! D' Frau Petri hat die größte Freud, wann einer kommt und die Sachen anschaut.«
»Sind die Bilder verkäuflich?«
»Na, Duhrlaucht, da wird sich nix machen lassen. Es hätt schon oft a Sommerfrischler so a Taferl gern mitgnommen. Aber was vom Herrn Petri noch da is, dös halten die zwei Frauenleutln fest wie mit eiserne Händ.«
»Also ist die Familie in guten Verhältnissen und hat ohne Sorge zu leben?«
»Aber gwiß. Erstens amal sind s' zfrieden mit allem und verstehen sich drauf, wie man 's Leben schön sparsam einrichten muß. Und nacher haben s' auch a bißl was. Der Herr Petri is a fleißigs Mannsbild gwesen. Der hat sich in die fufzehn Jahr bei uns da schön was verdient. So gut wie der hat's net leicht einer verstanden, wie man die Marterln macht, die Votivitaferln und die Heiligen an die Häuser. Von der ganzen Gegend hat er die Kundschaft kriegt und is gut zahlt worden, acht Gulden für a Marterl, zwölfe für an ganzen Heiligen. Freilich, diemal hat er seine narrischen Zeiten ghabt und hat wochenlang bloß für ihm selber gmalen. Da hat er Sachen gmacht, auf die der Herr Pfarr net gut zum reden war. Und ich muß selber sagen — ich bin keiner von die Mucker, die meinen, es müßt alles zuknöpfelt sein bis zum Nasenspitzl — aber da hat er vor drei, vier Jahr so an Endstrumm Tafel gmalen: die VersuchungChristi — und da hat er a Frauenzimmer vor unsern Heiland hingstellt — Kreuzsakra, die hätt a Gwandl brauchen können! Und so was hängt er mitten in d' Wohnstuben eini, daß 's jeder Mensch gleich sehen hat müssen. Was sagen S' jetzt zu so was, Duhrlaucht?«
Ettingen schwieg.
»Aber da is der Pfarr eingruckt über ihn! Da hat's in dem stillen Häuserl a hitzigs Stündl geben. Z'erst is der Herr Petri grob worden. Und 's Grobsein, dös hat er doch sonst net in der Manier ghabt, is allweil a guter, freundschäftlicher Patron gwesen. Aber selbigsmal hätt er den Pfarr bald zur Tür aussi gworfen. Der hat aber net auslassen und hat ihm androht, daß er ihn aussidruckt zum Dorf, wann dös Bild net wegkommt. Da müssen dem Herrn Petri doch die Grausbirn aufgstiegen sein. Gahlings hat er 's Gsicht in d' Händ einidruckt und hat zum weinen angfangen.«
In Gedanken nickte Ettingen vor sich hin, als verstünde er diese Tränen und die zerbrochene Seele, aus der sie geflossen waren. »Und das Bild?«
»Dös is verschwunden. Was er angstellt hat damit, dös weiß ich net. Gsehen hab ich's nimmer derzeit. Und a Glück war's für'n Herrn Petri, daß er selbigsmal in der Feuerkapellen den schönen heiligen Laurenzi am Bratspieß gmalen hat, dem aus'm Göscherl raus a Bandl geht, wo draufgschrieben is, was der Heilige im Martyrigsagt hat zu die Schindersknecht: ›Schüret das Feuer noch heißer, es brennet mich nicht, denn mir ist kühl!‹ Ja, der schöne Laurenzi, der hat den Pfarr wieder ausgsöhnt. Aber wissen S', Duhrlaucht — der Pfarr hat mir's selber gsagt — dös unschenierte Frauenzimmer hätt ihn noch gar net amal so arg verdrossen. Was den Pfarr am schiechsten g'ärgert hat, dös war der Teufel. Der is viel schöner gmalen gwesen als wie der Heiland. Und dös geht ja doch net, daß eim der höllische Versucher besser gfallt als wie der Herrgott. Na na! Der Herr Petri wär gscheiter bei seine Heiligen blieben. Auf die hat er sich verstanden. Schauen S', Duhrlaucht, da kommt grad so a Haus, dös er gmalen hat!«
Ein großer Bauernhof trat mit der fensterreichen Giebelfront an die Straße vor. Bis unter das Dach war die Wand mit Darstellungen aus dem Leben der heiligen Maria geschmückt.
Ettingen mußte etwas anderes erwartet haben, als es hier zu sehen gab; der erste Blick auf die bunte Bilderei enttäuschte ihn so sehr, daß er schweigend den Kopf schüttelte. Diese Heiligen mit ihren blauen und grünen Mänteln, mit ihren roten Gesichtern und schwefelgelben Strahlenkronen, mit ihren eckigen Bewegungen und grellen Farben unterschieden sich wenig von den handwerksmäßigen Malereien, die in den Gebirgsdörfern zahlreich auf den Wänden der Häuser zu finden sind. Hatte der Künstler seine Sache nicht besser verstanden? War ervon jenen Unglücklichen einer, die zum Schaffen allen Willen haben, und denen nur eines fehlt: die Kraft? Hatte er sich, ein schwärmerischer Stümper, in die Rolle des verkannten Genies hineingeredet, für dessen Geisteshöhe und Seelentiefe der »Unverstand des Pöbels« zu kurze Augen hat — in eine Rolle, in der ihn alle verlachten, zwei Menschen ausgenommen: die Frau, die in ihm den Gatten liebte, und das Kind, das in ihm den Vater vergötterte?
Während Ettingen in Gedanken diese Fragen stellte, fiel seinem Blick ein nebensächliches Detail auf, das ihn fesselte: ein kleines, stilisiert geflecktes, drolliges Hündchen, das die flüchtende Maria am Mantel zurückhalten will — ein Hündchen von einer Rasse, die der Natur nicht eingefallen war, nur der spielenden Laune einer krausen Künstlerphantasie. Und wie dieses unmögliche Tierchen lebte! Wie es die Füße zornig in den Sand stemmte! Wie es an dem Mantel zerrte, als ob es sagen wollte: »Du heilige Frau, wenn auch die Menschen dich verkannten, ich, das Tier, ich fühle, wer du bist, und möchte dich bitten, dich zwingen: bleib!«
Und dort das kosende Taubenpaar! Oder waren es weiße Raben? Wie natürlich ihre Schwingen sich bewegten! Mit wie zärtlichem Leben sie sich aneinanderschmiegten! Und jener Star? Oder war's ein Spatz, der in die Tinte gefallen? Wie er wütend eine Blumenknospe der Girlande zerzauste, die sich in sonderbarenSchlangenwindungen um alle figuralen Szenen ringelte! Das waren Blätter von seltsamer Form, Blumen von merkwürdiger Farbe und wunderlicher Gestalt — Blumen, die sich ansahen wie werdende Vögel und Schmetterlinge — und dennoch waren es Blumen, die auf gesunder Erde gewachsen und nicht nur zu blühen, auch zu duften schienen.
Wer dieses naiv gedankenvolle, so unwirkliche und doch so lebendig berührende Beiwerk schaffen konnte, mußte auch die künstlerische Kraft besessen haben, um die Gestalten dieser Heiligen leben und sprechen zu machen. Und wenn er sich selbst verleugnet und diesen schreienden Unwert gepinselt hatte, weshalb tat er es? Weil er sich nach dem Geschmack der Besteller richten mußte, um zu verdienen? Oder weil er in Selbstironie sich sagte: »Jene anderen, die mich verstießen, mußten nehmen, was ich zu geben hatte — euch aber, ihr Einfältigen des Geistes, will ich geben, was ihr verlangt von mir!« Ob nun das eine oder das andere der Fall war — die Arbeit, die der weltflüchtige Künstler auf der Wand dieses Bauernhauses geleistet hatte, mußte ein Martyrium gewesen sein.
Je länger Ettingen die grellen Schildereien und ihr schönes Beiwerk betrachtete, desto deutlicher erwachte in seiner Erinnerung jedes Wort, das er draußen am Sebensee gehört hatte. Und aus dem Anblick dieser Farben floß eine Stimmung auf ihn über, die er empfand wie einen Schmerz. Er wandte sich ab und folgte schweigendder Straße.
Der Förster musterte das nachdenkliche Gesicht seines Herrn. »Mir scheint, Duhrlaucht, die Heiligen haben Ihnen net gfallen?«
Da lächelte Ettingen wieder. »Sie gefallen doch dem Pfarrer und gewiß auch dem Bauer, der sie bezahlte. Da sind sie wohl so, wie sie sein müssen. Aber sagen Sie mir, lieber Förster — der Teufel auf jenem Bilde war so schön, daß er den Pfarrer ärgerte?«
»Ja! A bißl a verruckts Frauenzimmer hätte sich in so an Satanas über Hals und Kopf verlieben können!«
»Sie sind doch ein guter Christ?«
»Ich?« Der Förster war über diese Frage ganz verblüfft. »No ja, es tut's! Der Mensch is a schwachs Röhrl. Aber gar so leicht laß ich mich net biegen von der Sünd, und mit Wissen tu ich nix Unrechts.«
»Wenn nun der Teufel erschiene, um Sie zu versuchen?«
»Mar und Joseph! Duhrlaucht! Malen S' ihn net an d' Wand!«
»Und er käme, wie ihn der Pfarrer von der Kanzel herab den Bauern schildert: mit schwarzer Kaminfegerfratze und langer Zunge, mit Ziegenhörnern, Kuhschweif und Pferdefüßen? Würden Sie sich von dem verführen lassen?«
»Na, Duhrlaucht! Da möcht ich gschwind sagen: ›PfuiTeufel, fahr ab, du!‹«
»Nun also? Muß denn die Versuchung nicht schön sein, wenn sie uns gewinnen will? Zu unterlassen, was wir selbst für abscheulich halten, das ist doch kein Verdienst. Wenn wir uns einer Sünde in die Arme werfen? Welche Entschuldigung hätten wir denn, wenn nicht die eine: daß die Sünde schön war?« Ettingens Stimme bebte, als hätten seine Worte noch einen anderen Sinn als nur jenen, den der Förster hören konnte.
Der runzelte die Stirn, ein Zeichen, daß ihm ein Gedanke zu schaffen machte. Dann rückte er verlegen den Hut. »Duhrlaucht! Jetzt haben S' mich auf ebbes bracht. Aber so is der Mensch! Zu meine Jagdghilfen kann ich allweil sagen:z'erstdenken undnachherreden! Und ich selber hab jetzt grad so blind in Tag einigredt. Jetzt schaut sich die Sach mit dem Herrn Petri seiner Versuchungstafel anders an. Dös is ja grad, als ob er sagen hätt wollen: ›Schauts amal her, so wunderschön is die Verführung zu unserm Heiland kommen, und dengerst hat er sich zruckghalten — da nehmts enk a Beispiel dran!‹ Ja, meiner Seel, da is eigentlich der Herr Petri viel christlicher gwesen als wie der Pfarr!«
Ettingen schien auf die Worte des Försters nicht mehr gehört zu haben; plötzlich verhielt er den Schritt und sagte erregt: »Dashier? Das muß das Haus sein! Nicht wahr?«
Sie hatten einen grünen Staketenzaun erreicht; gleichlaufendmit einer gestutzten Holunderhecke umschloß er einen kleinen Besitz, der sich zwischen den anderen Häusern und Gehöften ausnahm wie ein schöngefaßter Schmuckstein neben den grauen Kieseln der Straße. Das Haus, das im Garten stand, war früher wohl ein bescheidener Bauernhof gewesen. Das verriet noch die an den Wohntrakt angebaute Tenne. Aber es hatte größere Fenster und ein grünliches Schieferdach bekommen, dessen Kanten und Firste geschmückt waren mit wunderlichen Tierzieraten. Das Unterdach und die vorspringenden Balken, das Tennentor, die Kreuzstöcke und Fensterläden waren blaugrün bemalt und mit weißen und blaßroten Linienornamenten ausgezeichnet. Vor allen Fenstern, durch deren spiegelnde Scheiben die schneeweißen Vorhänge herausleuchteten, waren zierlich gegitterte Blumenbretter mit blühenden Stöcken angebracht, und daneben verschwanden die weißen Mauern unter dem Grün der sorgsam gezogenen Obstspaliere, deren Zweige von der Erde bis zum Schatten des Daches mit reifenden Früchten behangen waren.
Heiter und farbig, schmuck und freundlich, erhob sich das kleine Haus wie auf einem breiten Sockel blühender Blumen. Geranienbüsche zogen sich am Fuß der Mauern hin, und der Vorgarten war in vier große Beete geteilt, mit Rosen und Nelken in allen Farben. Zwei lange Blumenbeete liefen zu beiden Seiten des Hauses gegen den weiten Hintergarten, zwischen dessen Obstbäumenund Gemüsebeeten eine große schattige Laube und ein luftiges Sommerhäuschen stand, das ganz aus wunderlich gewachsenen Ästen geschränkt und geflochten war. Silberweiße Kieswege schieden die Beete voneinander und umzogen in der Mitte des Vorgartens ein mit Tropfsteinen ausgelegtes Wasserbassin, in dem zwei murmelnde Brünnlein über eine moosige Felsgruppe niederrannen. Aus diesen Felsen erhob sich ein hoher, buntbemalter Balken und trug das Taubenhaus, das mit seinen Türmchen und Erkern sich ansah wie das Modell einer gotischen Burg. Überall in den Kronen der Bäume und auf schlanken Stangen waren Starenhäuschen und Meisenkästen angebracht, und mit dem Gezwitscher der hundert Vögel, die hier nisteten, mischte sich das Geflatter und Gurren der weißen Tauben.
Wie einen Gedanken schließend, der ihn auf dem Wege begleitet hatte, schüttelte Ettingen den Kopf und murmelte: »Nein! So wohnt kein Verzweifelter! So wohnen nur zufriedene Menschen, die ihr Glück gefunden und über die stille Schönheit ihres Lebens hinaus keinen Wunsch mehr haben.«
Der Förster wollte in den Garten treten, blieb stehen und sagte: »Ich bitt schön, Duhrlaucht, wenn d' Frau Petri daheim is — tun S' das Frauerl net viel um ihren Seligen fragen! Da wird ihr 's Reden a bißl hart.« Er ging auf das Haus zu und sprach eine Magd an, die mit eisernem Rechen die Wege ebnete. Dannkam er wieder. »Es is kein Mensch net daheim, außer der Hausmagd.« Er öffnete vor seinem Herrn das grüne Gitter. »'s Fräuln is in der Fruh vom Sebensee heimkommen, aber sie is schon wieder fort, in d' Fischzucht ummi. Und d' Frau is heut auf Innsbrucki abi, ihr Studenterl heimholen in d' Vakanz.«
»Fräulein Petri hat einen Bruder?«
»Ja! A vierzehnjährigs Bürscherl. Gustl heißt er. Der is den dritten Winter auf'm Gymnasi drunt. A liebs Manderl! Und gsund. 's richtige Gebirgsblut, ja! Is a Leutascher! Gleich nach'm ersten Jahr is er kommen, wie s' heraußen waren. Und ganz seim Vatern schlagt er nach. Wie das Büberl den Wald schon gern hat! Allweil draußen mit der Schwester! Und kaum sieht er ein von uns Jager, da hängt er eim schon am Kittel: ›Ich bitt schön, Herr Förster, darf ich mit?‹ Und anschauen tut er ein' mit seine Guckerln — da kannst net Na sagen!« Sie hatten das Haus erreicht, und der Förster sprach die Magd an: »So, Nanni, jetzt tust mir den Herrn schön rumführen im ganzen Haus und zeigst ihm jedes Taferl!«
»Wohl!« sagte das Mädel und lehnte den Rechen an das Spalier. Es war eine derbe Bauerndirn mit unschönem, grobknochigem Gesicht, aber mit hellblauen Augen, die gutmütig und zufrieden blickten; sie war einfach und doch mit auffallender Sauberkeit gekleidet und trug die Haare so fest geflochten, als wären die Zöpfeaus Eichenholz geschnitten.
Der Förster verabschiedete sich mit dem Versprechen, seinen Herrn in einer Stunde wieder abzuholen.
Neben der Schwelle streifte die Magd ihre Schuhe ab, klopfte den Sand von den blauen Strümpfen, schlüpfte in ein Paar Strohpantoffel, und die Haustür öffnend, sagte sie: »So, Herr, kommen S'!«
Als ihr Ettingen in den Hausflur folgen wollte, gewahrte er über der Tür, schon halb von den Zweigen des Spaliers überwachsen, eine lateinische Inschrift — drei Worte:Hic rideo ego!— »Hier lacheich!«
Welch eine Stunde reiner und tröstender Freude mußte es für jenen Weltflüchtigen gewesen sein, als er auf der Schwelle dieser schönen Heimstatt sich sagen konnte: »Das Lachen der anderen, das mich marterte, ist fern und ich hör es nicht mehr. Hier lacht nur einer. Ein Glücklicher, der die Ruhe fand! Und der bin ich!«
Ettingen nahm den Hut ab und trat ins Haus.
Schon im Flur hing bis an die Decke hinauf eine Leinwand neben der anderen, jede von einer schmalen, braungebeizten Holzleiste umzogen: Skizzen, unvollendete Studien und leicht untermalte Entwürfe, die oft kaum das Motiv des Bildes erkennen ließen, das hier hätte entstehen sollen. Blumenstudien wechselten mit Luftstimmungen, Felspartien mit Waldszenen, naturtreue Tierskizzen mit mythologischen Träumereien. MancheLeinwand zeigte deutlich, wie geduldig und liebevoll sich der Künstler in das kleinste Detail eines Modells vertieft hatte. Oft war die gleiche Blume ein dutzendmal nebeneinander gemalt, in verschiedenem Licht, frisch erblühend mit Knospen, mit entblättertem Kelch, im Beginn des Welkens, mit gebrochenem Stengel. Man sah, wie aufmerksam der Künstler die Natur beobachtet hatte, um sie seinen Phantasiegebilden dienstbar zu machen. So war auf einer Leinwand ein schwarz-und rotgefleckter Bergsalamander abgebildet, wie er mühsam aus dem Gras auf eine Steinscholle klettert — und daneben, größer, doch ganz mit der gleichen Körperbewegung, suchte ein fetter Triton, der triefend dem Meer entstieg, ein Riff zu erklimmen. Eine andere Skizze zeigte eine graue Hauskatze, die mit gekreuzten Pfoten liegt und funkelnden Blickes eine grüne Mücke verfolgt, die ihr um die Nase summst; daneben der Entwurf einer Sphinx, die aus der Waldschlucht einen Wanderer kommen sieht, den es nach Rätseln gelüstet. Dieser tragische Vorwurf war in einer Ecke der Leinwand lustig parodiert: die Sphinx, und vor ihr, klein wie die Mücke, ein grüner Polizist mit der Pickelhaube, der auf eine Tanne kletterte, um dem lächelnden Ungeheuer einen Polizeibefehl vor dieNasezu halten.
Langsam ging Ettingen von einer Leinwand zur anderen, und inzwischen stand die Magd geduldig und still in einer Ecke und zog immer wieder den Saum derSchürze durch die Finger. Als Ettingen das letzte Bild betrachtet hatte, öffnete sie vor ihm die Tür eines Zimmers.
»Der Frau Petri ihr Stüberl.«
Ein bescheidener Raum mit schlichtem Gerät. Durch eine offene Tür sah man in das Nachbarstübchen, das den jungen Feriengast, das »Studenterl«, zu erwarten schien, denn auf weißgedecktem Tische prangten ein herrlicher Rosenstrauß und ein mandelgespickter Kuchen, von einem Kränzlein frischer Bergblumen umschlungen.
Auch hier, in beiden Räumen, waren alle Wände mit Bildern bedeckt: tanzende Nymphen, spielende Najaden; ein Faun, der die Zotten seiner Bocksfüße kämmt und dazu ein Liedchen pfeift; ein Tritonweibchen, das in eine Fischreuse geraten ist und den Ausweg nicht mehr findet; auf weißer Marmorsäule ein Hermeskopf, dem eine Natter auf die Schulter kriecht; der von Ekel geschüttelte Gott ist festgewachsen auf dem Stein und kann nicht fliehen, er hat keine Arme, um die giftige Häßlichkeit von sich abzuwehren.
Fast eine ganze Wand war von einem großen Gemälde bedeckt: von einem Triptychon, dessen drei Bildflächen die Hauptszenen einer phantastischen Geschichte zeigten, während die Zwischenszenen mit blassen Farben auf die breiten Leisten der Holzumrahmung gemalt waren. Eine städtische Gesellschaft junger Mädchen und modisch gekleideter Jünglinge hat sich auf einer Bergpartie imWalde verirrt; sie nehmen das Unglück von der heiteren Seite und trösten sich mit einem tollen Ringelreihen um die Bäume; eine übermütige Schöne mit koketten Augen ist ihrem Galan, der sie haschen wollte, davongeflattert — wollte sie ihm wirklich entfliehen? oder wollte sie ihn nur in das einsame Dunkel des Waldes locken? Plötzlich sieht sie sich allein, verirrt sich noch weiter und gerät vor eine tief in den Berg gesenkte Höhle, deren blaugrüne Dämmerung wie ein Geheimnis ihre Neugier weckt; scheu und dennoch lächelnd tritt sie ein und findet im Zwielicht der Höhle einen schlafenden Zentaur, halb bedeckt vom Geröll der Felsen, halb überwachsen von Moos und Geschling; noch redet aus ihren Zügen der erste Schreck, den sie empfunden, aber schon regt sich in ihr die Spottlust der klugen Städterin und der prickelnde Reiz, dieses Niegesehene, dieses unglaublich und unmöglich Scheinende auf seine Wirklichkeit zu prüfen; sie zupfte den Schlummernden am Bart; der Schläfer regt sich nicht; sie besteigt seinen Rücken und schlägt ihn mit dem Fächer auf den Scheitel; da erwacht der Zentaur und bäumt sich; in tollen Sprüngen trägt er die entsetzte Reiterin durch den Wald und über steile Felsen, bis sie den Halt verliert und stürzt; Groll in den gefurchten Brauen und doch einen Blick des Erbarmens unter den Wimperschleiern seiner Augen betrachtet er die Zerschmetterte, während ihre schreckensbleichen Gefährten schon heraufklimmendurch den Bergwald; langsam, mit dem buschigen Schweif die Flanken peitschend, steigt der Zentaur zum Grat des Berges empor und schaut von einem schroffen Fels ins Tal hinunter, in dessen Tiefe man die blutige Leiche hinausträgt durch den stillen Wald.