Chapter 13

„Auf, Kinder Frankreichs, zu den Waffen,Der Tag des Ruhms ist wieder da...“

„Auf, Kinder Frankreichs, zu den Waffen,Der Tag des Ruhms ist wieder da...“

„Auf, Kinder Frankreichs, zu den Waffen,Der Tag des Ruhms ist wieder da...“

„Auf, Kinder Frankreichs, zu den Waffen,

Der Tag des Ruhms ist wieder da...“

England ist da... Wirft lachend Volk auf Volk in den Weltbrand. Reißt im Sturm die Erde hinter sich her. So wie der alte General seine Tochter und deren Mann in ein Nebenzimmer schleifte, wo sie allein waren. Dort kanzelte er sie puterrot und atemlos ab.

„Sehen wir zu: das ist mehr als eine Dummheit! Das ist ein Verbrechen, was in diesem Hause vorgeht!“

„Was meinen Sie, mein Vater?“

„Gottlob kam ich vielleicht noch zurecht, von einer bösen Ahnung getrieben. Seid Ihr denn von Sinnen? Wollt Ihr Euer Kind morden?“

„Wir verstehen nicht...“

„Ist denn dies der Augenblick für Ghislaine, sich von ihrem Mann zu trennen — gerade wo er im Begriff steht,die Früchte seiner unermüdlichen Opfer für Frankreich zu pflücken! Er liebt unser Frankreich. In seiner Art. Er gesteht es frei. Auf russische Weise. Man wird es ihm überschwänglich lohnen, nach dem Krieg!“

„Sollte denn wirklich der Krieg...“

„Er liebt auch immer noch diese übelberatene junge Frau, Eure Tochter! Ich merkte es an der zärtlichen Sanftmut seiner Stimme. Noch giebt es ein Zurück. Denkt an die Siegestrophäen nach dem Krieg. Wir werden diesen edelmütigen russischen Freund umarmen, die Frauen von Paris werden ihn dankbar küssen. Nur seine eigene Frau steht abseits. Eine Geschiedene. Aus freiem Willen. Eine Baronintelle et telle!... Und er wird inzwischen vielleicht Fürst...“

„Fürst?... Vater... Sie scherzen...“

„Die Zeit, die heraufsteigt, ist so groß, daß in ihr die Wunder zum Polichinellspiel werden! Nichts ist mehr unmöglich, außer einer Niederlage! Dieser unerschrockene Schjelting ist jetzt schon ein Günstling des Großfürsten, um dessen Fahnen der Sieg weht. Der Zar schaltet in den eroberten Ländern und verteilt die Würden...Madame la Princesse... ah ... das klingt anders, meine Guten...“

„Es klingt wie ein Märchen, mein Vater!“

„Sapristi: Wir werden aus dem Märchen Wirklichkeit machen — wir! Wir mit den Waffen! Und Ihr habt die erbarmungswürdige Kurzsichtigkeit, diesem Mann den Stuhl vor die Türe zu setzen!... Parbleu... Dann jagt doch auch gleich mich, Euren alten Vater, auf die Straße!“

„Mein Gott, beruhigen Sie sich, Schwiegervater!“

„Setzen Sie sich auf Ihre Kaffeesäcke, mein teuerer Léon! Von Valorisation und brasilianischen Kursen mögen Sie Etwas verstehen. Aber mahnen Sie jetzt nicht einen alten Soldaten des Kaiserreichs zur Ruhe! Hoho! Und wenn ich auch bald Achtzig bin: ich reibe mir die Hände! DieWelt wird höllisch unruhig werden, mein Lieber! Man wird Euch Epiciers nicht fragen!“

Léon Lambert schwieg verschüchtert, innerlich unsicher, nur in Einem fest: der Sorge um Geld und Gut. Seine Frau, die Pariserin, wiederholte kopfschüttelnd:

„Madame la Princesse de Schjelting...“

Der Alte lachte.

„Vielleicht ist es nur ein Bonmot, meine Tochter! Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich nicht mehr dabei, wenn die Welt verteilt wird. Aber ein guter Brocken fällt für Jeden ab, der den Mut hatte, sie aus den Angeln zu heben. Das ist sicher. Nun: Ihr wischt Euch den Mund! Ihr verzichtet. Ich bemitleide Euch! Oder vielmehr dies verblendete Kind! Ja, Dich meine ich, meine Enkelin Ghislaine!“

Zwischen den auseinandergeschlagenen Falten des Vorhangs zum Nebenraum stand Ghislaine de Schjelting.

„Ist er in Brüssel?“

„Ich traf ihn vorhin beim Rechtsanwalt!“ sagte ihr Vater. Und ihr Großvater:

„Und ich eben im Hotel!“

„Ich möchte ihn sprechen!“

„Du weißt schon...“

„Mein Gott... Ich war hier im Nebenzimmer. Sie reden laut genug, Großpapa, wenn Sie erhitzt sind!“

„Umso besser! Es spart mir nur Worte, die ich sonst an Dich gerichtet hätte, mein Kind! Ermahnungen wegen Deines Mannes!“

„Er soll zu mir kommen!“

„Von selbst kommt er nicht!“

„So holen Sie ihn!“

„Und dann?“

Ghislaine von Schjelting hob nachdenklich die schmalen Schultern. Ihre weißen Zähne nagten an der Unterlippe. Sie sah aus wie ein ratloses Kind.

„Sie haben mich verwirrt, Großpapa, mit dem, was Sie vorhin durch das Haus schrieen!“

„Aha!“

„Vielleicht ist es nicht die Zeit zu überstürzten Entschlüssen!“

„Das meine ich auch!“

„Er wird mich besuchen! Man wird sich unterhalten!“

„Gut so!“

„Ich möchte keinen falschen Schritt tun! Die Reue kommt zu spät! Helfen Sie mir, Großpapa!“

„Ich werde sehen, was sich tun läßt!“ sagte der Greis. Er fuhr nach dem Hotelpalast am Nordbahnhof zurück. Es schien ihm unterwegs, als fiebere dies ewig heiß brodelnde Brüsseler Gassengewühl in den letzten Stunden noch mehr wie sonst. Die nach vorne offenen Kaffeehäuser waren überfüllt. Zwischen erregten Geberden und lebhaftem Mienenspiel unter Zylinderhüten blinkte an den Straßenecken das Weiß der neuesten Zeitungsblätter. Und doch war dieser alte französische General, der da durch die Straßen der belgischen Hauptstadt fuhr, vielleicht der einzige Mensch, der tiefernst darein schaute. Die Brüsseler selber — ah bah — das Leben floß leicht dahin ... man würde ja sehen ... morgen war auch noch ein Tag... Es gab an den Kursstürzen der Börse zu verdienen... Herr von Rigolet sah ärgerliche, unruhige, neugierige, selbst belustigte Gesichter — aber keines unter den Tausenden, auf dem das Gefühl der Verantwortung für das große Ganze lag. Kein Belgier hätte ihn auch, wenn er ihn gefragt hätte, begriffen. Jeder für sich und Gott für Alle! Wer dachte an die Folgen der Dinge? Man war doch frei! Und England schützte diese Freiheit...

General de Rigolet kam gerade noch zurecht. Die Beiden, der Russe und der Brite, waren eben im Begriff, das Hotel zu verlassen, ein Paar, in dessen Eintracht sichder Wille von Dreiviertel der Erdoberfläche verkörperte. Wer von den Staatsmännern, den Deputierten, den Notabeln, den Redakteuren des kleinen Landes Belgien wagte noch zu atmen, wenn das Zarenreich und das britische Imperium Arm in Arm leutselig lächelnd bei ihm eintrat? Zum Erstaunen des alten Franzosen war Nicolai Schjelting sofort bereit, seine Frau zu besuchen. Es war nur die Frage, ob Sir William geneigt sein würde, hier noch eine Viertelstunde zu verziehen?

Oh — mit wahrem Vergnügen! Der sehr ehrenwerte Higgins war jetzt gegen Ausländer die aufrichtige und schlichte Liebenswürdigkeit selbst. England brauchte in dieser Stunde alle Völker des Erdballs. Und nun gar den Arm der dritten Republik. Nichts konnte ihm angenehmer sein, als von Herrn von Rigolet, diesem hervorragenden Militär-Theoretiker Frankreichs, Aufschlüsse über den Aufmarsch gegen den Rhein zu gewinnen. Sie ließen sich Beide in der Wandelhalle des Hotels an einem Tischchen nieder. Der General war Feuer und Flamme. Seine zitterige Greisenhand malte mit einem Bleistift rasch und geübt die Ostgrenze auf die Marmorplatte. Er dämpfte seine Stimme, damit die ringsherum sich räkelnden Yankees und nägelkauenden Misses aus Arizona nichts hörten. Pah ... keine Sorge! Hierher kamen die Deutschen nicht. Hierher nach Belgien nicht!...

„Täten sie denn von Ihrem Standpunkt nicht weise, nach Belgien zu gehen?“

„Sie müssen! Sie müssen! Ihre Generale begingen ein Verbrechen, wenn sie die Blüte ihrer Mannschaft vor unseren Sperrforts niedermähen ließen, während der Weg nebenan in seiner ganzen Breite von Trier bis Aachen frei ist!“

„Nun also...“

„Haha — — wenn sie nicht, zum Glück, Doktrinäre wären — diese Teutonen! Ihre Professoren werden sichden Kopf zerbrechen, ob es auch erlaubt ist, durch Belgien zu gehen! Sie werden es sich so lange überlegen...“

‚Bis wir von der anderen Seite kommen!‘ dachte sich der Brite. Er brauchte es nicht erst zu sagen. Er und der Franzose verstanden sich schon. Der Alte kritzelte eifrig auf dem Marmortischchen den Süden seiner Schlachtlinie.

„Oh — wir werden nicht müßig gehen unterdessen ... wir Franzosen! Hier die Trouée von Belfort!... Der Rhein... Der Idsteiner Klotz ... die Hüninger Linien ... man wird sie überwinden!...“

„Und dies hier?“

Der General war entsetzt über diese bodenlose, britisch-insulare Unwissenheit in militärischen Dingen. Eine Sekunde stutzte er in dem Gedanken: Und dabei fangen sie einen Weltkrieg an!...

„Dies hier, Mylord, ist die Grenze der Rheinpfalz! Die große Lücke zwischen Hardt und Vogesen! Von hier geht der Stoß bis Stuttgart. Dort werden unsere Braven sich verschnaufen und auf den russischen Kanonendonner von Wien her warten!“

„In der Tat ... sehr interessant!“ sagte der Londoner Zeitungsmann kalt. Beide beugten sich wieder über die zukunftsschweren Bleistiftlinien. Nicolai Schjelting stieg inzwischen die Treppe im Hause seiner Schwiegereltern empor. Den Weg zu dem kleinen Boudoir seiner Frau. Er kannte diese seelenlosen, weißgoldenen Empiremöbel. Er haßte sie, während er auf Ghislaine wartete. Er dachte sich: Werden sie in dieser Familie einmal nicht eine Pendule unter einem Glassturz auf den Kamin stellen? Eher stürzt die Welt ein. Sie sind tötend für einen Mann von Geist, diese Krämer! Langweilig. Einer dem anderen gleich wie die Heuschrecken! Ihre Frauen auch. Drahtpuppen ohne Seele. Kein Wille. Kein Widerstand. Ah ... genug davon...

Er schnupperte in der Luft ... dies wohlbekannte Parfum ... das hatte sie immer noch... Es war, als atmete man Paris ... süßlich ... ein wenig welk ... da lag der ‚Gaulois‘... Alles Paris ... auch sie selbst, wie sie in einem flüsternden Froufrou von weißer Seide, beinahe lautlos, eintrat — dieser weiße Puderhauch auf dem schönen Kindergesicht mit den leise bewegten Nasenflügeln, diese schwermütigen Augen, deren dunkle Tiefe so viel versprach und so wenig hielt. Diese müden und weichen Bewegungen einer Schauspielerin vom Gymnase oder Vaudeville. Sie hatte das Seelenvolle eines leidenden und schmerzlichen Lächelns an sich. Sie blieb mitten im Zimmer stehen, da, wo sie das Licht der Fenster am besten auf sich ruhend wußte, und sagte sanft:

„Ich danke Ihnen, mein Freund, daß Sie gekommen sind!“

Schjelting schwieg, mit einem boshaft-geschmeidigen Gesichtsausdruck. Asien war in seinem Blick.

„Nun, Nicolai: warum sehen Sie mich an?“

„Ich bin erstaunt und betrübt: Sie sind doch sonst eine Frau von Geschmack. Dies Schwarz-weiß steht Ihnen nicht... Erstens sind es die Farben Preußens! Nun, wir werden Wilhelms Schilderhäuser verbrennen...“

„Aber: dies Kleid ist doch rein weiß!“

„Nicht von ihm spricht man. Sondern von dem Automantel...“

„Welchem Automantel?“

„Den Sie vorhin in dieser lackierten Eierschale trugen. Es ist schlechter Geschmack... Man merkt, daß ich nicht mehr da bin! Es ist Alles schlechter Geschmack... Auch dieser Windhund selber... Nun, meinetwegen, Madame! Wie’s beliebt!“

„Sie erschrecken mich...“

„Warum denn? Ich tue Ihnen nichts. Sie wissen, ich bin ein Mensch wie ein Kind...“

„Sie sind mir unheimlich!“

„Wieso, meine Liebe? Sie sehen, ich lächele. Ich bin Philosoph!“

„Sie spielen mit mir! Das dulde ich nicht!“

„Ich spiele noch mit ganz anderen Leuten!“ sagte Nicolai Schjelting schroff, setzte sich und drehte sich gleichmütig eine Zigarette. „Mit Ihnen ist es kein Kunststück. Denn Sie waren unvorsichtig, viel zu unvorsichtig...“

„Sind Sie nur erschienen, um mir das zu sagen?“

„Da Sie es offenbar hören wollten — ja!“

„Und Sie wagen es, den Sittenrichter zu spielen — Sie?“

„Nicht wahr — es ist gegen meine Art? Ich war immer gegen Sie zu nachsichtig!“

„Gegen sich! Oh ja — ich gestehe es! Wann waren Sie denn zuletzt in Wiesbaden?“

„Wiesbaden?“ sagte Nicolai Schjelting mit einem kühlen und überlegenen Lächeln. „Wie kommen Sie gerade auf Wiesbaden, meine Teure?“

„Wir unterhielten uns schon einmal über diesen Gegenstand! Glauben Sie, daß ein solcher Badeort nicht tausend Augen und Ohren hat? Inzwischen habe ich Näheres erfahren. Die Beauforts erzählten es mir. Sie hörten es von Holländern, den de Vries van Aaken, die dort ständig wohnen!“

„Die Welt ist klein!“

„Sie lächeln? Nun: Sie haben ja allen Grund! Ich beglückwünsche Sie zu Ihren Erfolgen...“

„Wollen Sie mir nicht erst diese Erfolge selbst nennen?“

„Spielen Sie den Unschuldigen? Man sagt, daß diese Dame bereits verlobt war, als Sie auftauchten! Daß sie Ihretwegen diesen preußischen Offizier verabschiedete. Er soll sich nach der Türkei gewandt haben. Aha ... nun röten sich Ihre Wangen...“

Nicolai Schjelting fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er fühlte das Blut heiß zu Kopf steigen. Diese Worte, die wie Nadelstiche von den geschminkten Lippen dort kamen, diese Worte schenkten ihm ein Atemholen befriedigter Eitelkeit, wie sie selbst er, der Selbstbewußte, der Petersburger, noch kaum empfunden. Es war vielleicht nicht wahr. Er hatte sich in seinen eigenen Träumen nicht so weit verstiegen. Aber wenn es Anderen schon so schien... Zum ersten Mal in seinem Leben dachte er sich: Gut... — ich war vielleicht zu bescheiden...

„Sie schweigen...?“ sagte seine Frau spöttisch nach einer Weile.

Er machte eine Kopfbewegung, als wehrte er eine Fliege ab. Alles zitterte in ihm. Er sagte sich: Noch hat der Kampf nicht begonnen, und ich habe für mein Teil schon gesiegt! Den Deutschen aus dem Feld geschlagen! Ein Glück, wenn man abergläubisch ist! Da geben Einem solche Schicksalszeichen Mut!

„Also: Wann reisen Sie denn wieder nach Wiesbaden?“

„Sie bringen mich auf eine gute Idee: Morgen!“

„Ah — das ist stark!“

„Was wollen Sie?... Man muß die Zeit nutzen!“

„Und das sagen Sie mir leichten Herzens ins Gesicht?“

„Ich weiß Sie ja hier in guter Obhut. Sie haben Ihre Freunde. Oder, seien wir korrekt: Ihren Freund!“

„Und Sie dort! In dieser tragischen Zeit? Hat diese Deutsche Sie verhext? Sie, der Sie sonst noch nicht eine Birne ohne Berechnung schälen.“

Nicolai Schjelting stand mit einem grausamen und triumphierenden Gesichtsausdruck auf.

„Vielleicht habe ich mir auch einmal den Luxus gestattet, mich zu verlieben!“ sagte er.

„Ah...“

„Warum soll das nur Ihr Vorrecht oder das Anderer sein? Belieben Sie: Auch ich bin ein Mensch!“

„Unerhört...“

„Mit Dank gegen Gott kann ich mir das jetzt erlauben!“

„Sie wagen auch noch, zu spotten...“

„... weil ich Euch Alle nicht mehr brauche! Ich brauche Euer Geld nicht mehr! Es stinkt mir in der Tasche...“

„Man wird Sie davon befreien...“

„Ihr habt mir Euren Dienst getan! Genug davon! Grüßen Sie mir diesen beschränkten Papa Léon! Auch Maman! Die Beiden haben Ihnen einen schlechten Gefallen erwiesen, meine arme Ghislaine! Klagen Sie Ihre Eltern an und Ihre ganze Umgebung!“

„Ich weiß selbst, was ich tue!“

„Wozu denn die Tränen in Ihren schönen Augen? Dämmert es Ihnen jetzt, daß Sie Einsatz und Gewinn Ihres Lebens zugleich verlieren? Seien wir offen: Es war nicht klug! Man erhebt sich nicht vom Spieltisch eine Minute, bevor Zéro schlägt!“

„Gehen Sie...“

„Ich bestimme den Zeitpunkt selbst, an dem ich mich von Ihnen verabschiede und vor meinem Nachfolger verneige! Vielleicht gewinnt er doch einmal einen dritten Preis in einer Automobil-Wettfahrt irgendwo da unten, unter diesen guten Leuten der Provinz! Ich werde das leider nicht verfolgen können. Meine Zeit werden nach dem Krieg die mir anvertrauten Geschäfte des Ministeriums oder der Botschaft allzusehr in Anspruch nehmen!“

„Pah...“

„Und mein einziger Schmerz wird sein, daß ich diese Ehren nicht mehr mit Ihnen teilen kann! Aber Sie haben es so gewollt. Sie sind eine schlichte Natur. Allem Äußerlichen abhold! Der Glanz des Hofes von St. James würde Sie als Botschafterin verwirren!“

„Hören Sie auf...“

„Hören Sie auf, zu weinen! Es schadet dem Schmelz Ihrer Augen und hilft nichts! Ihre Reue kommt zu spät, meine arme Freundin! Senf nach der Mahlzeit! Ah — man hat nicht mehr darauf gewartet. Man ist inzwischen fortgeschritten!“

„Sind Sie zu Ende? Sie sehen, daß Sie mich ermüden!“

„Nur noch zwei Worte! Sie erwähnen mit einer bewundernswerten Beharrlichkeit das Wort Wiesbaden. Nun — Frauenwille ist Gotteswille! Plaudern wir darüber!“

„Genug! Ah ... diese Deutsche...“

„Diese Deutsche wird ernten, was Sie, meine Teure, kurzsichtig verschmähten! Sie wird auf die Stelle emporsteigen, die ich in jahrelanger, unermüdlicher Arbeit für meine erste Frau vorbereitet hatte. Von da wird sie auf Sie hinabsehen!“

„Unerhört...“

„Sie wird an meiner Seite den Schmerz ihres Vaterlandes vergessen. Sie wird späterhin mit meiner Erlaubnis und mit zarten Händen jene Beziehungen zu ihrer Heimat wieder anknüpfen, wie sie den inzwischen geregelten Machtverhältnissen Europas entsprechen. Sie wird zwischen Siegern und Besiegten vermitteln...“

„Kein Wort mehr von ihr!“

„Ich fürchte, Sie werden meinen und ihren Namen noch häufig genug im Cirkel der großen Ereignisse hören und lesen! Das ist ja der Unterschied zwischen uns: Sie hören auf! Ich fange an!“

„Und nur deshalb haben Sie mich noch einmal aufgesucht...?“

„Ich bin untröstlich! Aber ich muß gestehen: Ja!“

„Sie sind ein Elender!“

„Jahrelang haben Sie Ihr Spiel mit mir getrieben, Ghislaine! Ich war schwach. Leider. Ich bin immer schwach gegenüber den Frauen. Oft wehrlos!“

„Man sah es in Wiesbaden!“

„Es ist ein Fehler. Ich weiß es. Aber keine Frau hat meine Schwäche so bar gemünzt, wie Sie! Sie haben die zartesten Regungen meiner Eifersucht mißbraucht...“

„... in der Sie Vasen und Spiegelscheiben mit Ihrem silbernen Tula-Stock zertrümmerten...“

„Sie hatten kein Mitleid mit mir... Ich mußte oft abwesend sein! Wichtige Dinge, die sich jetzt erfüllen, riefen mich. Sie amüsierten sich, was ich unterwegs bei dem Gedanken an die Möglichkeiten litt, die unterdessen hier in Brüssel...“

„Sie wußten Manches ganz genau! Sie wollten es nur nicht wissen!“

„Gut! Decken wir alle Karten auf! Wenn dem so ist, so habe ich eben mit der Vergeltung gewartet! Erlauben Sie, daß ich mich jetzt revanchiere! Ich erhebe Ihre Nebenbuhlerin zur Königin. Ich entlasse Sie wieder in die Niederungen der Kaffeeröster und Weizenwucherer zurück, aus denen Sie stammen! Glückliche Reise!“

Ein zuckender Vorstoß des hochfrisierten Kopfes drüben wie von einer Schlange:

„Und das befürchten Sie nicht, daß Jene Ihnen ebenso den Laufpaß giebt wie ich?“

„Mir?!...“ sagte Nicolai Schjelting mit unergründlichem Lächeln.

„Nun — ich tat es!“

„Pardon! Ich habe die Brücken abgebrochen. Sie waren zur Versöhnung bereit! Und nun Schluß! Das Übrige zwischen uns ordnet Maître Nicolas. Auch wegen der Erziehung der Knaben. Sie weinen noch immer? Sie erweisen mir zu viel Ehre! Nun, mit Gott!“

Nicolai Schjelting stand vor der in sich zusammengesunkenen und krampfhaft schluchzenden Pariserin mit der Beruhigung der genommenen Rache: mit den Instinktendes Ostens, wie ein Mann des Morgenlands, der seinem Weib den Scheidebrief schrieb, um eine Andere zu ehelichen. Eine brutale Verachtung: Ich verstoße Dich! Nimm Deine Mitgift und geh’!

Vor dem Haustor drehte er sich grausam lächelnd eine Zigarette. Und doch klopfte sein Herz. Leuchteten seine Augen. Er dachte an Wiesbaden. Er dachte an die Welt. Beides verschwamm ihm im Rausch dieser Tage zu Einem. Er sagte sich: Ja. Ich stehe in vollem Brand. Während er dann das Streichholz entzündete, dachte er weiter: Und so setzt man die Welt in Brand! Eines trägt das Andere...

Und heute ist die Antwort Serbiens auf das Wiener Ultimatum fällig...

Er kannte sie schon. Ihn beunruhigte sie nicht. Er ging zu Fuß die glänzenden Straßenzüge hinunter. Die geputzten Menschen umher erschienen ihm ahnungslos wie Schafe auf grüner Wiese. Er verachtete sie. Selbst die hübschen Frauen langweilten ihn durch ihren Anblick. Er war der Kultur und ihrer Schranken überdrüssig. Er sah Kosackenfackeln vor sich. Hörte von den Steppen des Ostens das ferne, wilde, zehntausendfache ‚Urrahâ!‘ Eine nervöse Blutgier belebte ihn bis in die Fingerspitzen. Eine zurückflutende Welle aus grauer Vorzeit, da man den Häuptling des Feindesstammes mit der Steinaxt erschlug und seine Tochter als Siegesbeute auf starken Armen heimtrug. Er dachte sich: So hole ich mir meine zweite Frau aus den Flammen Deutschlands heraus...

Unten, am Platz Charles Rogier, saßen der General de Rigolet und der sehr ehrenwerte Higgins noch an den Geheimzeichen des Marmortischchens. Sie hatten inzwischen auch Budapest erobert und sich im Norden siegreich mit den durch Westfalen vorrückenden Engländern vereinigt. Hannover war bereits wieder ein Teil desVereinigten Königreichs. Das Schicksal Bayerns noch nicht entschieden.

Die Beiden, der Franzose und der Engländer, reichten dem herantretenden Russen herzlich die Hand. Sir William Higgins tauchte eine Serviette in das Wasserglas neben der Kaffeetasse und rieb sorgfältig alle Bleistiftspuren ab. Sein bartloses Antlitz, dessen steinerne und doch gesunde Falten ebensogut auf einen Mann von fünfunddreißig wie von fünfzig Jahren schließen lassen konnten, zeigte einen trockenen Ernst. Er saß, das linke Bein über das rechte Knie gezogen, die Stummelpfeife im Mund, gedankenvoll wie ein Geschäftsmann in Erwartung wichtiger Kabelkurse. Dann runzelte er die Stirne, sah auf die Uhr und versetzte plötzlich und halblaut:

„Well! In Kurzem bringen alle Abendblätter Europas die serbische Antwort. Ihr Wortlaut ist mir seit gestern bekannt. Ich kann ihn Ihnen jetzt mitteilen.“

Der Weißkopf des Generals senkte jäh ein Ohr gegen die dünnen Lippen des Anderen.

„Und was sagt die Note?“

„In allen wesentlichen Punkten: Nein!“

„Oh — dies unerschrockene kleine Serbien! Sein heldenmütiges Beispiel wird die Zögernden in dem großen Frankreich mit sich reißen!“

„Das tut allerdings not!“ sagte Higgins kalt.

„Sapristi: den letzten Mann werden wir aufbieten zur Rettung der Kultur. Wir holen unsere bewunderungswürdige, schwarze Armee über das Meer. Unsere Turkos und Senegalneger werden im Hafen von Marseille Eure Sikhs und Gurkhas bejubeln...“

„Wir rufen von London aus alle Männer der Erde bis zu den Basutos und Maoris zu den Waffen!“

„Unsere tapferen Kosacken des Zaren werden Euch nach Potsdam entgegenreiten! Das heilige Rußlandverbrüdert sich mit Euch zum Kampf für die Zivilisation!“

„Ja. Alles hängt jetzt von Rußland ab!“ versetzte William Higgins und sah Schjelting forschend an.

„An dem Willen des Zaren hängt das Schicksal der Welt!“ sagte atemlos der alte Rigolet. „An diesem einen Namenszug: ‚Nicolai‘!“

„Sie schweigen immer noch, Herr von Schjelting! Sie entsetzen mich. Sollte wirklich Ihr erhabener Herrscher noch zögern?“

Über den Platz kam rasch sich näherndes, wildes Geschrei. Die Zeitungsverkäufer rannten, ließen hinter sich einen Wirbel von Blättern in den Händen, auf dem Boden wie von Schneeflocken. In der Wandelhalle waren die Gäste aufgesprungen und rissen den Kellnern die Nummern aus der Hand. Ein Stimmengewirr: „Voilà!...Belgrade!...La réponse ... ah ... voyons...“ Nur die Yankees blieben begriffstutzig sitzen. Was wußten sie von Serbien und dem Balkan? Von Europa überhaupt, außer ihren beiden Jahrmärkten der Eitelkeit: Paris und London?

Die Antwort Serbiens auf das Ultimatum... Serbien leistete Widerstand. Serbien lud seine Geschütze. Woher kam ihm dieser Mut zum Spiel um Sein und Nichtsein? Nicolai von Schjelting zog ein Notizblatt aus der Tasche.

„Auch ich kannte die Antwort!“ sagte er zu dem Zeitungskönig aus Oxfordstreet. „Aber auch ihren Ursprung...“

„Man frug von Belgrad aus in Petersburg an, was tun? Ich weiß...“

„Nun: hier die urkundliche Erwiderung Rußlands!“

William Higgins las:

„Bitte zu mobilisieren!“

Ein Schweigen. Dann versetzte er, das Blättchen hinlegend:

„Das ist der Weltkrieg!“

„Der Weltkrieg nach Rußlands Wille!“ sagte Nicolai von Schjelting. Ein unheimliches Leuchten glomm in seinen Pupillen. Im Geist sah er, fern da unten, den Strand der Donau, da, wo an der großen und kleinen Kriegsinsel die Save sich in sie ergießt. Es dämmerte nun wohl schon dort im Südosten über Belgrad. Mit ausgelöschten Lichtern graute die Teufelsstadt durch die Nacht, hinüber nach Semlin und über die breite Wasserfläche nach dem ungarischen Nordufer. Und in dem Dunkel dieser Nacht regte es sich vielleicht jetzt schon geheimnisvoll zu beiden Seiten der beiden Ströme, ratterten Automobile, knarrten Räder, klirrten Waffen, raunten Stimmen. Plötzlich ein kurzer, lauter Befehl: ‚Erstes Geschütz Feuer!‘ Ein Purpurzucken durch das Schwarz. Der Doppelklang von Abschuß und Einschlag. In der finsteren Weite von Wasser, Luft und Land verrollte der Widerhall des ersten Schusses...


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