Die Dienstbotenfrage.

[pg 94]Die Dienstbotenfrage.Der schwarze Fensterputzer.Straßendemonstrationen.Es war in Philadelphia. Mir gegenüber im zweiten Stockwerk eines netten, epheuumrankten Familienhauses war ein junger Nigger mit Fensterputzen beschäftigt. Bekanntlich gibt es in Amerika keine Flügelfenster, sondern ausschließlich jene greulichen englischen Schiebefenster, welche ein behagliches Hinausschauen, ein geschwindes Kopfherausstrecken nach einer rasch vorüber brausenden Straßensensation fast unmöglich machen. Denn die Fenster sind fast durchweg so niedrig über dem Fußboden angebracht, daß die bewegliche untere Hälfte einem ausgewachsenen Menschen kaum bis zur Brusthöhe reicht. Wenn man also hinausschauen will, so muß man, um nicht etwa das Übergewicht zu verlieren und kopfüber hinauszupurzeln, schon auf den Boden hinknien und seinen Hals, auf die Gefahr hin, bei etwaigem schlechten Funktionieren der Sperrfedern geköpft zu werden, unter die gläserne Guillotine stecken. Mein Nigger hatte es sich im Reitsitz auf dem Fensterbrett gemütlich gemacht; das eine Bein hing auf die Straße hinaus, obwohl es empfindlich kalt an diesem sonnigen Januartage war. Während er sein Handwerkszeug, Schwamm, Trockentuch und Lederlappen, bedächtig auf dem Fensterbrett zurecht legte, pfiff er sich eins, blickte die schmale Seitenstraße hinunter und die breite Avenue hinauf (denn es war ein Eckhaus). Da doch vorläufig nichts Besonderes zu sehen war, so stellte er sein Pfeifen ein und schaute mit sorgenvoll gerunzelter Stirn aufwärts. Er dachte offenbar angestrengt über das[pg 95]Problem nach, wie er wohl, ohne sein kostbares Leben zu gefährden, d. h. auf dem Fensterbrett stehend, mit dem Oberkörper rückwärts hinausgelehnt und nur mit einer Hand am Fensterrahmen in der Mitte sich festklammernd, die obere Scheibe von außen reinigen könnte. Da er zu diesem waghalsigen Turnerstückchen sich nicht aufgelegt fühlte, so schüttelte er seinen dicken Wollkopf und versuchte, wie weit er mit ausgestreckter Hand über sich emporreichen könnte. Die Fingerspitzen langten nur gerade ein weniges über die mittlere Rahmenleiste hinaus; das genügte ihm aber vorläufig. Er ergriff seinen Lappen und wischte am äußeren unteren Rande der Mittelleiste ein wenig Staub hinweg. Darauf erhob er sich und befummelte im Stehen die innere Seite des hinaufgeschobenen Fensters. Er ließ sich sehr reichlich Zeit hierzu, ohne deswegen jedoch die Sache gar zu ernst zu nehmen. Als die innere obere Scheibe seiner Meinung nach genügend sauber war, nahm er wieder auf dem Fensterbrett Platz und ließ sein linkes Bein, dessen zierliches Plattfüßchen mit einem riesigen Footballstiefel bekleidet war, wieder ins Freie baumeln. Nachdem er eine ganze Weile untätig vor sich hingeträumt hatte, unternahm er den Versuch, die innere Fensterhälfte herunterzuziehen, um nunmehr das Glas von außen zu bearbeiten. Es dauerte sehr lange, bis es ihm gelang, das Fenster aus seiner Ruhelage zu bringen, und als er es endlich glücklich los hatte und nun versuchte, die schwere Glasscheibe auf seinem rechten Knie so zu stützen, daß ein genügend großer Spalt offen blieb, um ihm das Hantieren im Sitzen zu gestatten, fand er alsbald, daß er sich dadurch in eine höchst unbequeme Lage begeben und besonders seinem zarten Kniechen zu viel zugemutet habe. Er schob also stöhnend und schnaufend die Scheibe wieder hinauf, wischte sich[pg 96]mit dem Ärmel über den Schädel und fletschte zornig sein anmutiges „G’frieß“ gegen die Scheibe hinauf – gerade wie es die Kinder machen, wenn sie mit der Kommode böse sind, an der sie sich gestoßen haben. Plötzlich verklärte sich seine intelligente Schimpansenphysiognomie. In der Ferne ließ sich Militärmusik vernehmen. Bum, bum, tschindara! Master Kinkywoolly wurde ganz Ohr und ganz Seligkeit. Er beugte sich so weit hinaus wie möglich und spähte die breite Hauptstraße hinunter. Etwas ganz besonders Herzerhebendes mußte da los sein, denn mein Nigger klatschte begeistert in die Hände und zeigte, seine zierliche Fresse weit aufreißend, die lachenden Zähne im Leckermaul. Ich schob nun gleichfalls mein Fenster hoch, kniete auf den Boden nieder und reckte den Hals hinaus, um mir den seltenen Anblick eines militärischen Aufzuges nicht entgehen zu lassen. Aber es war ganz etwas anderes, was ich zu sehen bekam, etwas ganz spezifisch Amerikanisches. Gassenbuben und Strolche vorweg, dann eine uniformierte Kapelle und dann in Rotten zu vieren ein schlotteriger Parademarsch, inszeniert von einem politischen Boß und ausgeführt von einer Elitetruppe seiner Parteifreunde. Lauter freie Republikaner gesetzten Alters, wohl genährt, sauber und glatt rasiert, alle mit den gleichen gelben Gamaschen, denselben Schlipsen, denselben Hüten und denselben Bambusstöcken mit vernickelten Griffen, die sie wie die Gewehre aufrecht an die Schulter gedrückt trugen, wie ehemals unser Militär bei dem Griff „faßt das Gewehr an“. Ein gerade zu Besuch anwesender Eingeborener erklärte mir, daß die Parteikasse die Ausrüstung an Gamaschen, Schlipsen, Hüten und Spazierstöcken stelle und diese öffentlichen Umzüge ansehnlicher, sichtbarlich satter und zufriedener Mitbürger von Zeit zu Zeit ver[pg 97]anstalte, um dem Publikum zu beweisen, wie gut es sich unter den Fittichen ihrer Partei leben lasse. Ein unerhört fetter schwarzer Schutzmann, der an der Straßenkreuzung postiert war, führte vor Vergnügen über diesen gelungenen Aufzug einen veritablen Cakewalk nach dem munteren Rhythmus der Musik aus, und mein Fenster putzendes Niggerlein jauchzte vor Vergnügen über solchen grotesken Anblick und bewegte sich im Takte der Musik, als ob er ein tanzendes Zirkuspferd zwischen den Schenkeln hätte. Offenbar gehörten der cancanierende Schutzmann und der reitende Fensterputzer gleichfalls der Partei der Demonstranten an und fühlten sich durch den erhebenden Parademarsch ihrer Vertrauensmänner in ihren patriotischen Gefühlen angenehm gekitzelt. – Bis der letzte Hauch der Blechmusik verklungen war, dachte selbstverständlich der farbige Jüngling gegenüber nicht daran, sein Fenster wieder vorzunehmen. Dann aber griff er tief aufseufzend wieder zum Wischtuch und hielt es nachdenklich in der Hand, während seine schwarzen Sammetaugen sich bekümmert an den dummen Fensterrahmen hefteten, der so gar keine Miene machte, von selber zu ihm herunter zu kommen. Plötzlich kam wieder Leben in die schier erstarrte Gestalt. Master Kinkywoolly drehte den Kopf über die Schulter und äugte höchst gespannt die Avenue hinauf. – Wahrhaftig, noch eine Parade! Mehrere Dutzend Geistliche der Stadt, paarweise nebeneinander in schwarzen Talaren. Und statt der Bambusrohre mit Nickelknöpfen schulterten sie ihre Regenschirme. Die schwarzen Herren waren auf dem Wege zum Oberbürgermeister, um feierlich bei ihm vorstellig zu werden, daß er die fromme Quäkerstadt beschützen möge vor dem Satansgreuel der Salome von Richard Strauß, deren Aufführung in Philadelphia eine[pg 98]fremde Operntruppe angekündigt hatte. Es wäre eigentlich passend gewesen, daß der fette schwarze Schutzmann an der Straßenkreuzung bei dieser Gelegenheit den Tanz der sieben Schleier aufgeführt hätte. Aber er schien zu Richard Strauß und seiner Kunst noch nicht Stellung genommen zu haben, denn er ließ die Parade ohne sichtliche Gemütsbewegung vorüberziehen und sorgte nur dafür, den Wagenverkehr derweil zu bändigen. – Mein Fensterputzer stierte blöd der schwarzen Prozession nach, bis sie um die Ecke verschwunden war; dann führte er mit seinem kalt gewordenen Spielbein einige Freiübungen aus und war eben dabei, tatsächlich seinen Schwamm ins Wasserbecken zu tauchen, um vielleicht doch den Versuch einer flüchtigen Wäsche von außen zu wagen, als es vom nächsten Kirchturm zwölf schlug. Der Schwamm flog ins Becken, das Bein über das Fensterbrett und der schwarze Jüngling davon zum schwer verdienten Lunch. Ich vermute, daß er am nächsten Ersten um eine Lohnerhöhung eingekommen ist.Pflichten und Rechte des Dienstpersonals.Das Beispiel dieses schwarzen Fensterputzers dürfte einigermaßen typisch sein für den Eifer, mit dem häusliche Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten verrichtet werden. Gewiß arbeitet ein frisch von Europa eingewandertes Hausmädchen fleißiger und gründlicher, dafür ist es aber auch sehr viel anmaßender und sehr viel schwieriger zu behandeln als der Niggerboy, der doch wenigstens freundlich grinst und danke sagt, wenn er ein Trinkgeld kriegt. Ja, die Dienstbotennot ist wirklich die Frage aller Fragen, nicht nur für die Hausfrau des amerikanischen Mittelstandes. Die ganz reichen Leute freilich leisten sich einen englischenButler(Haushofmeister), einen französischenValet de chambre, einen italienischen Koch, einige griechische Lakaien von klassi[pg 99]scher Gesichtsbildung und unbezahlbarer Frechheit und etliche appetitliche irische Mädchen. Für Geld, d. h. für sehr viel Geld ist natürlich auch eine aristokratisch luxuriöse, gut gedrillte Dienerschaft in den Vereinigten Staaten zu haben; aber die Leute von mittlerem und kleinem Vermögen, also von einem Einkommen, wie es hier unsere armen Schlucker von Regierungspräsidenten, Generalmajoren, Oberpostdirektoren und beliebten Schriftsteller besitzen, können sich eine perfekte Köchin und noch ein tüchtiges Stubenmädchen dabei schwerlich leisten. Denn eine Köchin, die etwas Eßbares zu kochen imstande ist, dürfte unter 100 Mk. Monatslohn nicht zu haben sein, und 10 Dollars muß man sogar für einen frisch importierten, unerprobten Besen schon anlegen. Sind diese Damen bereits ein paar Monate im Lande, so daß sie sowohl von der Sprache wie von dem Wesen ihrer staatsbürgerlichen Rechte einigen Begriff haben, so machen sie mit ihrer Herrschaft einen Vertrag mit zahlreichen Paragraphen, welche genau ihre Pflichten und Rechte festlegen. Darin ist bestimmt, daß sie außer dem Sonntag, an welchem sie nur morgens die Schlafzimmer aufzuräumen haben, noch an einem Wochentag ausgehen, ferner dasParlor(Wohnzimmer) bei Besuchen ihrer Freunde und Verwandte mitbenutzen und selbstverständlich ohne Kündigung abziehen dürfen, sobald es ihnen beliebt. Irgendwelche schwere oder schmutzige Arbeit verrichten diese Damen grundsätzlich nicht, dazu müssen extra Nigger, Chinesen, Polacken oder dergleichen Kroppzeug gehalten werden. Verlangt die Hausfrau irgendwelchen Dienst von ihnen, der nicht kontraktlich stipuliert oder landesüblich einbegriffen ist, so entgegnet ihr das Fräulein achselzuckend: „That’s not my business, Ma’m“ – und fertig. Ein Mädchen, das für die Küche[pg 100]angestellt ist, wird beispielsweise um keinen Preis dem Hausherrn einen Knopf annähen; und ein Hausmädchen wird sich auch im Falle der höchsten Not schwerlich herbei lassen, ein Kind aufs Töpfchen zu setzen. Einer geborenen Amerikanerin zumuten zu wollen, die Stiefel zu putzen, wäre ungefähr gleichbedeutend mit schwerer körperlicher Mißhandlung. Eine junge deutsche Dame, die einen amerikanischen Landsmann geheiratet hatte, erzählte mir, daß sie, um den Schwierigkeiten der Dienstbotenwirtschaft zu entgehen, sich eine alte, treu anhängliche Dienerin mitgebracht habe, die schon 14 Jahre in der Familie gewesen war. Nach drei Wochen bereits habe sie ihr die Stiefelbürste vor die Füße geworfen und erklärt, daß sie sofort heimreisen werde, wenn ihr solche entwürdigende Zumutung noch länger gestellt würde. An einer Frauenuniversität, an der ich eine Vorlesung gehalten hatte, wurde mir das einzige für männliche Gäste reservierte Zimmer zum Übernachten angewiesen, in welchem der Herr Bischof untergebracht zu werden pflegte, wenn er zur Kirchenvisitation kam. Ich entdeckte im Badezimmer ein schön poliertes Mahagonikästchen, und als ich es neugierig öffnete, fand ich darin ein komplettes Wichszeug vor. Der Herr Bischof mußte sich also auch höchst eigenhändig seine Stiefel putzen, da es im Gebiete der Damenuniversität natürlich keinen öffentlichen Wichsier gab. Daß gerade gegen die ehrenhafte Betätigung des Stiefelputzens ein solches Vorurteil besteht, ist um so merkwürdiger, als der freie Amerikaner niederen Standes es sonst durchaus nicht für unter seiner Würde hält, seine Karriere als Inhaber eines Straßenwichsstandes zu beginnen und als nicht wenige der heutigen Multimillionäre in diesem Geschäft den Grundstock ihres Vermögens legten![pg 101]Karriere besserer Dienstmädchen.Deutsche Dienstmädchen gibt es schon lange kaum mehr; die meisten der Damen, die so anfingen, fahren heute in ihrem eignen Auto spazieren. Denn wenn sie auch nur eine Ahnung von der edlen Kochkunst hatten und einigermaßen nett anzusehen waren, wurden sie mit Wonne von besser situierten Landsleuten geheiratet. Auch die einstmals als Hausmädchen besonders beliebten Irinnen trifft man heute höchstens noch in sehr vornehmen Hotels in dieser Stellung an. Im Westen soll es noch schlimmer sein als im Osten. In San Franzisco verdient ein Maurer 7 $, also gegen 30 Mk. pro Tag! Selbstverständlich denken seine Töchter nicht daran, in Dienst zu gehen, auch nicht in die Fabrik. Sie spielen lieber Klavier und gehen in echten Ponypelzen spazieren. Gegenwärtig sind Ungarinnen besonders gefragt, und wer eine solche dralle, hochgestiefelte Pußtadirne nicht erschwingen kann, der nimmt mit einer Kroatin, Slowakin, Ruthenin oder dergleichen vorlieb. Wer aber dem ewigen Ärger und der ewigen Angst, ob er morgen noch auf die Unterstützung seiner Perle zu rechnen oder abermals den Gang aufs Mietsbureau anzutreten haben werde, seiner Konstitution nicht zutraut, oder als echter Demokrat zu feinfühlig ist, um Menschen seinesgleichen, freie Mitbürger in unwürdiger Abhängigkeit zu erhalten, der verzichtet überhaupt auf häusliche Dienstboten. Und zu diesen vernünftigen Leuten gehören fast alle Männer, die das Glück hatten, eine Frau zu erwischen, die von Küche und Haushalt etwas versteht, und der eine rege Betätigung im eignen Heim mehr Freude macht, als das fade Gesellschaftsleben und die Hetze von Verein zu Verein, von Vergnügen zu Vergnügen.Der Professor als Mädchen für Alles.An einem sonnigen Sonntagvormittag traf ich beim Spaziergang durch eine der reizenden ländlichen Uni[pg 102]versitäten des Nordens eine meiner neuen Bekanntschaften von einem Diner am vorhergehenden Abend. Es war ein hochgewachsener, schlanker junger Herr in den Dreißigern, der in einen höchst eleganten Sealskinpelz gehüllt, einen glänzend gebügelten Zylinderhut auf dem Kopf und eine edle Havanna mit goldfunkelnder Leibbinde zwischen den kostbar plombierten Zähnen – einen eleganten Kinderwagen mit Inhalt vor sich herschob! Lebhaftes Interesse für seinen glücklicherweise schlummernden Sprößling heuchelnd, begrüßte ich den Herrn Professor. Er mochte mir wohl anmerken, daß mir begriffsstutzigen Europäer seine väterliche Betätigung in diesem Aufzuge etwas sonderbar vorkomme und erklärte mir aus freien Stücken den Zusammenhang. „Look here“, sagte er, „wir sind jung verheiratet, wir haben nur ein kleines Haus und ein kleines Einkommen; wir können uns keine Dienstboten halten – außerdem ziehen wir es vor, in unserer zärtlichen jungen Ehe unbeaufsichtigt zu bleiben und wollen uns nicht den halben Tag den Kopf darüber zerbrechen, wie wir aus unserer Mary oder Jane die größtmögliche Arbeitsleistung herausziehen könnten, ohne ihrer Empfindlichkeit als Mitbürgerin zu nahe zu treten. Wir haben nur eine alte Negerin zur Hilfe, die vormittags zwei Stunden die gröblichere Arbeit verrichtet, und einen Mann, der alle Wochen einmal die Asche aus dem Zentralfeuerloch im Keller ausräumt und die Müllkasten vor die Tür stellt; alles andere besorgen wir selbst. Sehen Sie, heute früh z. B. habe ich zunächst, wie alle Tage, das Feuer in der Zentralheizung geschürt und Kohlen nachgefüllt, dann habe ich Kaffee gekocht, da meine Frau nicht ganz wohl ist, und das Frühstück für uns beide hergerichtet. Dann habe ich, weil es in der Nacht lustig geschneit hat, vor unserer[pg 103]Haustür und auf dem Trottoir Schnee geschippt und darauf mich wieder in einen Gentleman verwandelt. Da es darüber für die Kirche zu spät geworden war, habe ich vorgezogen, meine Sonntagsandacht in Gesellschaft meines vorläufig einzigen Sohnes durch ein edles Rauchopfer im Sonnenschein zu verrichten. Zum Luncheon behelfen wir uns mit kalter Küche, und wenn meiner Frau bis abends nicht besser wird, so nehme ich mein Dinner im Klub, nachdem ich ihr eine Suppe gekocht und eine Konservenbüchse gewärmt habe. Vor dem Schlafengehen schütte ich dann noch einmal im Keller Kohlen auf die Heizung, und damit habe ich alles getan, was die Haushaltungsmaschine braucht, um regelrecht zu funktionieren.“„Sehr schön,“ sagte ich in ehrlicher Anerkennung. „Aber das nimmt Ihnen doch sehr viel Zeit weg. Und wenn Sie nun früh morgens eine Vorlesung haben, was machen Sie dann?“„Well, dann stehe ich eben eine Stunde früher auf,“ lachte er vergnügt, „und gehe abends eine Stunde früher ins Bett. Das ist sehr gesund. Ich habe immer acht Stunden guten Schlaf, und wenn die Frau wohlauf ist, kostet mich mein Anteil an der Hausarbeit kaum mehr als eine Stunde am Tag. Wir haben es noch nie bereut, die Wirtschaft mit den Dienstboten überhaupt erst gar nicht probiert zu haben. Und dabei brauchen wir noch nicht einmal auf Geselligkeit im Hause zu verzichten. Wie haben schon einmal 50 Leute eingeladen gehabt.“„Nicht möglich! Wie haben Sie denn das angestellt?“„O, sehr einfach. Wir besitzen Service für 12 Personen, also waren wir 12 Personen zum Lunch. Natürlich haben wir kein Eßzimmer, in dem 12 Personen bei Tische sitzen könnten, es mußte sich also jeder setzen,[pg 104]wo er gerade Platz fand. Dann kriegte jeder einen Teller, eine Serviette und ein Besteck, und darauf wurden die Schüsseln, eine nach der anderen, herumgereicht – alles auf denselben Teller. Bei einigem guten Willen geht es schon, und meine Frau kann wirklich kochen. Natürlich hatten wir dabei Hilfe, aber nicht etwa bezahlte Mädchen, sondern zwei meiner Studentinnen; die machen das viel intelligenter und netter. Nach dem Essen kamen dann die übrigen 38 Personen – die wurden aber nur mit geistigen Genüssen traktiert. Ich las ihnen etwas vor, und eine meiner akademischen Aushilfskellnerinnen spielte, von meiner Frau begleitet, einige Flötensolos. Außerdem konnten wir sogar noch mit der berühmtesten Schönheit von Pawtucket, Connecticut, die sich gerade auf der Durchreise befand, aufwarten!“ – –Und so wie dieser junge Professor halten es die meisten vernünftigen Amerikaner von ähnlicher gesellschaftlicher Position und Vermögenslage. Wir waren einmal bei der Dekanin einer Frauenuniversität zu einem intimen Diner geladen. Während des Essens stieß mich meine Frau unter dem Tisch mit dem Fuße und richtete meine Aufmerksamkeit durch ihre Blicke auf die bedienende Maid, die in ihrem weißen Kleid, mit dem weißen getollten Häubchen auf dem üppigen Blondhaar allerdings eine Sehenswürdigkeit darstellte. Wir drückten der Gastgeberin erst auf Deutsch, und als dies durch warnendes Räuspern abgelehnt wurde, auf Französisch, dann auf Italienisch unsere Bewunderung für dieses nicht nur ungewöhnlich hübsche, sondern auch ungewöhnlich intelligent aussehende Hausmädchen aus. Da aber fing die ganze Gesellschaft zu kichern an, und die schöne Blondine bekam einen roten Kopf und hastete in größter Verlegenheit hinaus. Und nun wurde uns anvertraut, daß[pg 105]dieses reizende Servierfräulein eine junge akademische Kollegin von Fräulein Professor sei, nämlich – die Privatdozentin für Sanskrit!Demokratischer Stolz.Unstetigkeit des Handwerks.Das Merkwürdige an diesem kleinen Erlebnis soll nun nicht so sehr der Umstand sein, daß es in der neuen Welt bereits Privatdozentinnen für Sanskrit gibt, welche obendrein auch noch sehr hübsch sind, als vielmehr, daß in diesem angeblich so freien und vorurteilslosen Lande zwar die gebildeten Menschen keinerlei notwendige Arbeit scheuen und sich in der liebenswürdigsten Weise gegenseitig in ihren häuslichen Schwierigkeiten aushelfen, während gerade die untersten, auf körperliche Arbeit angewiesenen Stände die Lohnarbeit im Hause geradezu als eine Schande anzusehen scheinen. Obwohl es in dem Lande, wo die Dienstboten so hoch entlohnt werden wie nirgends in der Welt und mit zarter Rücksicht wie die rohen Eier behandelt werden müssen, damit sie nicht gleich wieder fortlaufen, keifende Hausdrachen und grob anschnauzende Hausherrn wie bei uns wohl überhaupt nicht geben dürfte, ziehen doch die Mädchen die unangenehmste Arbeit in der Fabrik, den anstrengenden Laden- und Bureaudienst dem bequemen Schlaraffenleben als Haushaltsangestellte vor. Gehorchen zu sollen ist eben für den Amerikaner die furchtbarste Zumutung, die man ihm stellen kann. Er dient nur so lange, wie er es absolut nötig hat. Sobald er sich ein paar Dollar zurückgelegt hat, sucht er sich selbständig zu machen. Bei dem elenden Dasein eines kleinen Handelsmannes, der auf der Straße Ansichtspostkarten, Popcorn oder Kaugummi verkauft, fühlt er sich zehnmal stolzer und zufriedener, als in der bequemsten häuslichen Stellung, in der er sich einem fremden Willen unterzuordnen hat. Es kommt noch dazu, daß dem Bürger der Neuen Welt[pg 106]nicht nur jedes Gefühl für die Schönheit und Würde des sich Einfügens in ein patriarchalisches Abhängigkeitsverhältnis von Herr und Knecht, von Meister und Geselle, sondern auch jeglicher Zunftstolz abgeht, jegliche Liebe zu dem Handwerk etwa, in das einer hinein geboren oder für das einer bei uns erzogen wird. Im Grunde genommen sind die Menschen drüben alle Spieler und Glücksritter. Sie ergreifen ohne langes Besinnen, was sich ihnen gerade bietet, und treiben es nur so lange –until a better job turns up–, bis sich eine bessere Sache bietet. Jeder junge Mensch drüben fühlt sich einfach zu allem berufen. Wenn er heute aus Hunger zugreifen und sich in den weißen Anzug eines New Yorker Straßenkehrers stecken lassen müßte, so zweifelte er darum doch keinen Augenblick daran, daß er berufen sein könnte, übers Jahr bereits Teilhaber einer Minenausbeutungsgesellschaft in Oklahama zu sein und auf der Höhe seines Lebens in den Senatspalast von Washington einzuziehen. Es ist eigentlich niemand etwas Gewisses in diesem Lande; selbst bei meinem Kollegen, dem erfolgreichen Dramatiker, bin ich nicht sicher, ob er nicht übers Jahr Flugmaschinen fabriziert oder Truthähne en gros züchtet. Daher kommt es, daß auf dem Gebiete der persönlichen Dienstleistungen und des handwerklichen Betriebs keine fachmännische Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit existiert. In Madison (Wisconsin) ließ ich mir einen zerbrochenen Zeiger an meiner Uhr durch einen neuen ersetzen. Als ich nach Hause kam, stellte sich heraus, daß der neue Zeiger sich absolut nicht bewegte. Der angebliche Uhrmacher, der ihn eingesetzt hatte, war vermutlich vorgestern noch Verkäufer in einer geräucherten Fischwarenhandlung gewesen. In New York wollte ich mir eine Kleinigkeit an einem silbernen Stockgriff löten lassen.[pg 107]Man schickte mich von Pontius zu Pilatus über fünf Instanzen hinweg; endlich, in einer Silberwarenfabrik, erbot sich der Besitzer nach vielen Bedenklichkeiten und Hin- und Herreden über Wetter und Politik, einen seiner Arbeiter zu ersuchen, die Kleinigkeit zu besorgen. Ich bekam auch wirklich schon nach ein paar Minuten meinen Stock zurück. Der äußerst geschickte Silberarbeiter hatte das losgelöste Monogramm allerdings mit dem Lötrohr befestigt, dabei aber den oberen Rand des Stockes zu Kohle verbrannt. Und als ich mit dem reparierten Gegenstand daheim anlangte, mußte ich die Entdeckung machen, daß das Monogramm endgültig verloren war, nachdem es 14 Tage lang doch wenigstens noch an einem Faden gehangen hatte. Man gibt sich eben in diesemgroßenLande nicht gerne mit Kleinigkeiten ab. Was mit der Maschine nicht gemacht werden kann, das wird schlecht oder gar nicht gemacht, weil der Amerikaner seine Menschenwürde so überaus hoch einschätzt, daß er die Handarbeit und gar das persönliche Dienstverhältnis verachtet. Darum strengt er auch seinen hellen Verstand auf das äußerste an, um immer mehr notwendige Verrichtungen durch die Maschine besorgen zu lassen und die unumgänglichen Handarbeiten tunlichst zu vereinfachen. Weil die Dienstboten so rar, so teuer und so überaus bequem sind, lieben sie z. B. das Messerputzen durchaus nicht, folglich hat man fast ausschließlich Messer von Bronze in Gebrauch genommen, mit denen man zwar nicht schneiden kann, die dafür aber auch durch einfaches Durchziehen durch heißes Wasser und Abtrocknen zu säubern sind. Da es nun aber Messer mit einer scharfen Schneide nicht gibt, so kann es selbstverständlich auch keinen Braten geben. Das Roastbeef und das Geflügel macht man durch Zerreißen[pg 108]zwischen Gabel und Messer einigermaßen mundgerecht. Im allgemeinen aber richtet man die Speisen lieber gleich in einer breiförmigen Gestalt her, sodaß sie nur einfach in den aufgesperrten Rachen hineingeschaufelt zu werden brauchen; man spart damit auch viel kostbare Zeit.Vorläufig findet ja noch ein starker Zustrom von slawischen, südeuropäischen und westasiatischen Völkerschaften statt. So lange diesen noch nicht der Knopf aufgegangen ist, d. h. so lange sie sich ihrer Bedeutung als selbstherrliche Bürger der glorreichsten Republik der Welt nicht bewußt sind, geben sie sich ja noch teils aus Hunger, teils aus angeborener Knechtseligkeit zu Kellnern, Hausmädchen und dergl. her. Aber, wie gesagt, immer nur bis der bessere „Job“ auftaucht, dann gesellen sie sich alsbald der stolzen Klasse der selbständigen Unternehmer zu. Wenn nun aber einmal das Land voll ist, so daß es seine Tore vor den Einwanderern zusperren muß – wer soll dann all die häusliche und sonstige, niemals völlig aus der Welt zu schaffende Handarbeit verrichten? Ich legte diese kniffliche Frage auch meinem hochverehrten Gastfreunde in Ithaka, Andrew D. White, dem früheren Botschafter in Berlin, vor. Er wiegte bedenklich seinen schönen weißen Gelehrtenkopf, und dann gab er mir verschmitzt lächelnd zur Antwort: „Ja, sehen Sie, wir Amerikaner sind eben Optimisten. Wir sagen: es ist noch immer gegangen, und dies wird auch gehen, so oder so. Warum sollen wir uns die Köpfe unserer Enkel zerbrechen?“Schwierige Frage an die Zukunft.Hm! allerdings – man hat schon Bronzemesser eingeführt und auf Braten verzichtet; man kann sich ja das Bett, das man jetzt schon allgemein abends selber aufdecken muß, auch morgens selber machen; man kann auch seine Frau hinten zuknöpfen, ohne an seiner Mannes[pg 109]ehre Schaden zu leiden, aber man kann schließlich doch nicht auf Wohnen, Schlafen, Essen, Kinderkriegen und Sterben im eignen Heim gänzlich und unter allenUmständenverzichten. Und alle diese Notwendigkeiten setzen doch wenigstens unter gewissen Verhältnissen die Hilfe von Leuten voraus, die nicht gerade akademische Bildung oder ein Scheckkonto auf der Bank zu besitzen brauchen. Wo sollen die herkommen, wenn alle Amerikaner erst einmal selbständige Unternehmer geworden sind?Ich muß gestehen, mein beschränktes Europäergehirn ist, so oft es über diese Frage nachgedacht hat, schließlich immer wieder zu demselben Schluß gekommen:Die selbstlosen Idealisten der Vereinigten Staaten haben die Sklaverei mindestens 100 Jahre zu früh aufgehoben![pg 110]Die Kochkunst der Yankees.Da ich mich in meinem vorigen Kapitel mit Köchinnen beschäftigt habe, dürfte es angebracht sein, im Anschluß ein wenig in die amerikanische Küche hineinzuleuchten. Nach dem unzweifelhaften Wahrwort, daß der Weg zum Herzen des Mannes durch den Magen führe, dürfte es noch sehr lange dauern, bevor Dame Dollarica sich in der kulinarisch gebildeten Männerwelt einer auch nur annähernd ähnlichen Beliebtheit erfreut wie Madame Marianne oder die Commare Italia oder die nahrhafte Tante Austria. In Dingen des guten Geschmacks tut es eben der Reichtum allein nicht, sondern die große Vergangenheit einer aristokratischen Kultur, und innerhalb dreier lumpiger Jahrhunderte entwickelt sich keine neue Rasse von Fressern zu Speisern. Wie lange ist es denn überhaupt her, daß sich die Besiedler der neuen Welt des Segens sicherer behaglicher Häuslichkeit erfreuen? Viele der jetzt üppig blühenden Großstädte sind ja erst ein paar Jahrzehnte und nur ganz wenige über ein Jahrhundert alt. Der wüsten Raubbau treibende angelsächsische Kolonist, der meist unbeweibt in selbstgezimmertem Blockhause hauste, briet sich über dem offenen Feuer am Spieß seinen Fetzen Fleisch und manschte sich aus den ihm zugewachsenen Zerealien irgend etwas zurecht, was einer genießbaren Speise vielleicht entfernt ähnlich sah. Als dann im 18. und 19. Jahrhundert die weibliche Zuwanderung sich hob, fanden die mit der Kochkunst einigermaßen vertrauen Frauen – unter den Britinnen sind sie nicht besonders häufig – eine Männerwelt vor,[pg 111]die einfach mit allem zufrieden war, was ihr vorgesetzt wurde. Erst in neuester Zeit, als die Vereinigten Staaten willige und splendid zahlende Abnehmer für alle Luxusprodukte der alten Welt wurden, begannen auch bewährte Meister der Kochkunst über den Ozean zu ziehen; aber die traten selbstverständlich nur in den Dienst der vornehmsten Hotels, der teuersten Restaurants und der Milliardäre ein und konnten folglich nicht für die breite Masse des mäßig begüterten Bürgertums erziehlich wirken. Die amerikanischen Esser sind die dankbarsten der Welt, weil ihnen im Vergleich zu ihrer barbarischen Küche natürlich die Speisekarte der Kulturvölker lauter überraschende Offenbarungen bietet.Süß muß es sein!Die unkultivierte Kindlichkeit des Geschmacks offenbart sich denn auch in Amerika nirgends deutlicher als auf dem Gebiete der Küche. Das Haupterfordernis der Eßbarkeit ist für den Yankee die Süße. Alles, was süß ist, schmeckt ihm ausgezeichnet. Bezeichnenderweise ist es mir trotz größter Mühe nicht gelungen, irgendwo in den Vereinigten Staaten ein Mundwasser aufzutreiben, das nicht schauderhaft verzuckert gewesen wäre. So ist Süßigkeit das erste, was der Yankee, sobald er sich dem Schlaf entwunden, in den Mund bekommt. Seinem ersten Frühstück geht der Genuß von Früchten: Orangen, Grapefruit oder Melonen voran, die unter einem Berge von Streuzucker mit dem Löffel hervorgegraben werden. (Nebenbei gesagt: das Fruchtessen vor dem Frühstück ist die einzige nationale Speisesitte, die ich Europäern zur Nachahmung empfehlen möchte. Die wundervoll saftige Grapefruit mit ihrem Chiningehalt besonders ist höchst erfrischend und bekömmlich.) In einem üppigeren Haushalt ist schon der Frühstückstisch reicher gedeckt als bei uns manche Mittagstafel. Beefsteak, Hammel[pg 112]kotelette, Fischgerichte, kalter Aufschnitt verschiedenster Art werden von den Männern bevorzugt, während die Frauen und Kinder eine große Auswahl der zum Teil wunderlichsten Eier- und Mehlspeisen zur Verfügung haben. Weizen, Korn, Gerste, Mais, Hirse, Buchweizen, Hafer, Reis, kurz: alle erdenklichen Getreidearten erscheinen in der Form von Grütze, Graupen, Flocken, Fäden oder papierdünnen Schnipfeln, roh, gekocht oder geröstet und werden größtenteils mit Rahm und sehr viel Zucker angerührt. Dünne Eierkuchen werden mit übersüßen Fruchtsäften übergossen, und der Toast sowie die meist gleichfalls süßen Semmeln mit Fruchtgelees und Marmeladen bestrichen. Diese Vorliebe für den Genuß von Süßigkeiten von Tagesanbruch ab ist aber durchaus nicht etwa auf die Frauen und Kinder oder auf die wohlhabenden Klassen beschränkt, sondern sie ist ganz offenbar eine nationale Raserei.Es gibt in den Vereinigten Staaten keine Cafés im Wienerischen Sinne. Als ich daher einmal auf dem Broadway ein Wirtshausschild mit der Aufschrift „Coffeehouse“ erblickte, stürmte ich begeistert in das Lokal. Es war eine große reinliche Halle, die Diele mit Sand bestreut, ohne Tische und Stühle, nur den Wänden entlang zogen sich Holzbänke, die durch Zwischenwände in einzelne Sitze eingeteilt waren, und auf diesen trennenden Seitenwänden waren genügend breite, rund geschnittene Bretter angebracht, um eine Tasse und einen Teller daraufstellen zu können. Am Kopfende der Halle befand sich ein riesiges Buffet, auf dem die herrlichsten Kuchen und Torten aufgebaut waren, sowie zwei blitzblanke vernickelte Samovars für Tee und Kaffee. Das Publikum dieses eigenartigen Kaffeehauses bestand aber ausschließlich aus Droschkenkutschern, Chauffeuren,[pg 113]Messenger Boys, Policemen und Arbeitern. Keine Frau betrat das Lokal. Kaffee gab es reichlich und anständig, und den ganz vorzüglichen und für New-Yorker Verhältnisse sehr billigen Schaum- und Fruchttorten, Apfelkuchen mit Schlagrahm und Minced Pie sprach dieses robuste Mannsvolk mit dem Behagen schleckermäuliger Schuljungens zu.Icecream und Zahnarzt.Die eigentliche Nationalspeise ist keineswegs das Roastbeef oder der hochfestlicheTurkey(Puter), sondern derIcecream, das Gefrorene. Icecream wird Winters und Sommers von mittags bis Mitternacht verzehrt von Alt und Jung, von Hoch und Niedrig; Icecream besänftigt die ungebärdigen Säuglinge; Icecream gilt als Vorspeise, als Dessert, als Kompott sogar; er kehrt bei großen Diners mehrmals im Laufe der Speisenfolge als Zwischenaktsmusik wieder, er ersetzt den verpönten Alkohol und bewirkt, daß die Amerikaner sich der besten Zahnärzte der Welt erfreuen – denn das schroffe Durchsetzen siedheißer Suppen und glühender Breie mit Eiswasser und Icecream können selbst die besten Gebisse nicht vertragen. Der Schmelz springt ab, und die vom ewigen Zuckerschleimstrom umspülten, schutzlosen Zähne sind der Karies rettungslos preisgegeben. Infolgedessen hat jedermann fortwährend den Zahnarzt nötig, und man braucht sich nicht zu wundern, Kanalausräumer und schmierige Nigger mit so viel Gold im Munde zu sehen wie die köstlichste Maimorgenstunde.Tafelfreuden im Pensionat.Ich habe bereits im vorigen Kapitel darauf hingewiesen, wie durch den Mangel an Dienstpersonal die Küche und die Tafelgewohnheiten beeinflußt werden. Ich bemerkte, daß durch den Mangel an scharfen Messern mit schwer zu putzenden Stahlklingen ein Braten zu einer schwer zu bewältigenden Speise geworden sei.[pg 114]Folglich kommen gekochtes Rindfleisch, Schmorbraten, Sauerbraten, Kalbs- und Hammelsrücken oder Schlegel so gut wie gar nicht auf den Tisch. Das nationale angelsächsische blutrünstige Roastbeef, drüben jedoch nicht so, sondernPrime rib of Beefgenannt, muß man von der Gabel mittels des stumpfen Bronzemessers abzustemmen versuchen, wenn man nicht vorzieht, den ganzen Fladen in den Mund zu nehmen und mittels der Gabel oder der Finger durch die Zähne zu ziehen. Übrigens sind diese Ochsenrippenstücke neben den sehr üppigen und teuren Rinds- und Hammelsteaks das einzige gebratene Fleisch, welches wirklich schmackhaft zubereitet zu sein pflegt, während Kalbskoteletten und Schnitzel meistens ungenießbar sind. Als niedliches Kuriosum möchte ich erwähnen, daß ich einmal bei einem Sonntagsdiner Honig als Kompott zum Roastbeef angeboten bekam! Geflügel wird sehr viel mehr als bei uns gegessen. Es wird zu unwahrscheinlichen Dimensionen herangezüchtet. Ich habe Hennen gesehen, die so hoch waren wie ein Storch und so fett wie ein Mops; aber das Fleisch dieser abnorm großen Tiere ist dafür auch wenig zart, und die Keulen besonders bekommen einen ganz anderen Charakter als das Brustfleisch; es wird beim Braten braun und mürbe, während das weiße Fleisch trocken und charakterlos bleibt. Meistens wird einem aber der Genuß selbst eines wohlgeratenen jungen Hahns durch eine pappige, süßliche Mehltunke verkümmert. Da das Tellerabwaschen die Geduld des feinnervigen Küchenpersonals auf eine zu harte Probe stellen würde, so muß man sich, wenigstens in Haushaltungen bescheideren Stils, die ganze Mittags- oder Abendmahlzeit einschließlich des Kompotts auf ein und denselben Teller packen. In dem Boardinghouse bester Art, in dem wir in New-York wochenlang lebten,[pg 115]bestand die sonderbare Sitte, daß nach der Suppe warme Teller mit einem Kleckschen Fisch, etwa von Daumendicke und -länge, verabfolgt wurden, selbstverständlich in einer seimig-süßen Sauce versteckt. (Übrigens sind die Fische des Atlantischen Ozeans auf der amerikanischen Seite wenig schmackhaft; wirkliche Delikatessen findet man nur unter den Fluß- und Süßseefischen.) Nachdem der Fischbissen verschluckt, beziehungsweise mißtrauisch auf den hohen Rand geschoben war, wurde der ganze Tisch voll kleiner Platten gestellt: verschiedene Fleischsorten verwischten Charakters, unseren Klopsen, falschen Hasen, Bouletten, Rouladen und dergleichen ähnlich, in irgendeiner mehlweißen oder kapuzinerbraunen Schmiere halb versunken, das unvermeidliche Chicken, dazu verschiedene Gemüse, unter denen grüne Erbsen, Lima-Bohnen und Blumenkohl die genießbarsten, sowie Kartoffeln in mehrerlei Aufmachung, in der Schale im ganzen gebacken – man bricht sie auf und schält sie mit dem Teelöffel heraus; recht empfehlenswert – oder als Brei, oder kloßartig, oder gebraten. Niemals fehlen auf dem Tische die beliebtenSweet Potatoes, Gebilde von Gurkenausdehnung, vor denen ich Fremdlinge eindringlichst warnen möchte, denn sie sehen wie gezuckerte Glyzerinseife aus und schmecken leider auch so ähnlich.All diese Genußmittel, noch um diverse eingekochte Früchte vermehrt, arrangiert man sich nun nach Geschmack und Talent auf seinem Fischteller, und man kann von Glück sagen, wenn einem die Gräten nicht in die grünen Erbsen, das Kompott nicht in die ausgehöhlte Kartoffelpelle und die Hühnerknochen nicht in den falschen Hasen geraten. Echte Hasen gibt es überhaupt nicht. Der Ersatz dafür, und überhaupt das einzige einheimische Wild, ist das hasenfarbigeRabbit(Kaninchen), das die[pg 116]Natur da drüben aus Kautschuk verfertigt zu haben scheint – möglicherweise wird es aber auch aus Abfällen der Schuhfabrikation künstlich hergestellt. Alles übrige Wild haben die begeisterten Freischützen in den kultivierteren Staaten schon längst abgeschossen – bis auf die Ratten und die Klapperschlangen. Hat man die eßbaren Bestandteile der wüsten Speisenaufhäufung auf seinem Universalteller herausgefuttert, so bilden die Überbleibsel ein ästhetisch reizvolles Stilleben. Sind sie endlich entfernt, so erscheint als eiserner Bestand jedes amerikanischen Menüs sowohl im Hotel ersten Ranges, wie auf dem einfachsten bürgerlichen Mittagstisch der Salat, der niemals in einer Schüssel herumgereicht, sondern immer fertig auf winzigen flachen Tellerchen einem vorgesetzt wird. Mich wundert, daß noch kein Yankeedichter diesen Salat besungen hat, denn in ihm feiert die Phantasie des amerikanischen Kochkünstlers orgiastische Triumphe.Amerikanischer Salat.Ich glaube, es gibt in den drei Naturreichen nichts, was nicht in solch einem amerikanischen Salat zu finden wäre. Den Grundstock bilden ein bis drei große grüne Blätter, die nicht unbedingt der Salatstaude zu entstammen brauchen. Darauf werden einige Tropfen Essig und Öl geschüttet und auf dieser Unterlage ein mehr oder minder kühner Aufbau von allem möglichen und unmöglichen Süßem, Sauerem, Salzigem, Bitterem, Hartem, Weichem, Flüssigem, Genießbarem und Ungenießbarem vollzogen. In einem feinen Hause, in dem sich die Hausfrau selbst auf ihre Kochkunst viel zugute tat, wurde beispielsweise eine solche Salatdichtung mit außerordentlichem Beifall beehrt, deren Komposition ich dem Augenschein und der Zunge nach ungefähr folgendermaßen analysieren möchte: zwei Blätter Salat mit je fünf Tropfen Essig und Öl, darauf eine Scheibe frische Tomate, eine[pg 117]viertel Scheibe Ananas, etwas weißes Hühnerfleisch, einige Scheiben Radieschen, einige gepickelte Erbsen und Karotten, ein Klecks Butter, mit Streuzucker durchgerührt, ein Teelöffel Schokoladencream und eine Rumkirsche als Turmknopf oben drauf. Totaleindruck auf Zunge und Gaumen zauberhaft; schmeckt – wie mein Freund, der Rechtsanwalt in Landau, sagen würde – wie Öl und Werg! Diese kulinarische Offenbarung erfolgte aber, wie gesagt, in einem Hause, dessen Herrin ihren Xenophon in der Ursprache zu lesen vermochte. In minder gebildeten Familien ist man natürlich weniger wählerisch und verwendet zur Salatbereitung die nächstliegenden Gegenstände, also in erster Reihe die mehr oder minder traurigen Überreste früherer Mahlzeiten, soweit sie eßbaren Naturprodukten einigermaßen noch ähnlich sehen. Fehlt es aber zum Beispiel an gepickelten Spargelspitzen, so kann man dazu auch einen klein geschnittenen Spazierstock verwenden, da die Spazierstöcke drüben außer Mode gekommen sind, und statt der Fleischbeigaben die Reste in Gedanken stehen gebliebener Gummigaloschen, die die Trüffel täuschend ersetzen, zumal, wenn sie vorher in sauren Rahm eingelegt und dann mit braunem Zucker kandiert werden. Salat von Fischgräten, Kalmus und Bananen, mit roten Pfefferschoten und Knallerbsen garniert, soll auch sehr gut sein; ich habe ihn aber nicht gegessen, sondern nur nach einer besonders anregenden Mahlzeit – erträumt!Den Fruchttorten, die man an Stelle der Mehlspeisen zum Nachtisch reicht, wird regelmäßig ein derbes Stück Käse beigefügt; zu welchem Zwecke, weiß ich nicht. Als ich zum erstenmal diese Zusammenstellung erblickte, steckte ich den Käse instinktiv in die Westentasche; ich hielt ihn für ein Stück Radiergummi, den ich in meinem[pg 118]Geschäft immer brauchen kann. Befindet sich Obst auf dem Tische, so nehme man sich davon beizeiten und reichlich, fülle auch womöglich seinen Pompadour damit an, denn alles Obst ist in Amerika von ganz vorzüglicher Qualität – und man weiß ja nie, wie’s kommen mag! Was meine Person betrifft, so muß ich gestehen, daß ich mich während der ganzen Boardinghouse-Periode kümmerlich von Austern und Hummern genährt habe, denn die sind von unvergleichlicher Güte, Größe und Nahrhaftigkeit und nebenbei auch das einzige amerikanische Produkt, das man – neben Stiefeln – als billig bezeichnen kann. Europäer von noch nicht genügend fortgeschrittener Perversität möchte ich jedoch vor denClamswarnen, einer kleinen, lachsfarbenen Muschelart, deren penetranter Nachgeschmack einen besserenNeurasthenikerzum Selbstmord verführen könnte.Die raffinierten Schlemmer unter den Yankees sind übrigens sehr selten, und ihre Begierde wandelt andere Pfade wie die des europäischen Genießers. Im vornehmsten Hotel in Buffalo „Zum Irokesen“ sollte ich zum erstenmal die Bestimmung eines geheimnisvollen Utensils kennen lernen, das mir schon in vielen Hotels und Restaurants aufgefallen war: ein massives, etwa einen halben Meter hohes, zylindrisches Silbergerät mit einer oben herausragenden, durch einen derben Querbalken betätigten Schraube. Ein einsamer Speiser ließ sich an einem Nebentisch nieder, dessen Bestellung sogleich eine Menge Kellner in aufgeregte Bewegung versetzte. Offenbar war dieser wuchtige Geselle mit dem römischen Imperatorenkopf ein Genießer höherer Grade. Nach längerer Zeit brachte man eine große verdeckte silberne Schüssel, die auf ein Spiritusrechaud gestellt wurde. Zwei Kellner trugen dann jenen rätselhaften schweren Silbergegenstand herbei und schraubten dessen[pg 119]obere Hälfte ab. Darauf hob der Oberkellner mit feierlicher Miene den Deckel der Silberschüssel auf und spießte von den beiden darunter befindlichen, leicht angebratenen Vögeln (Enten waren es meiner Meinung nach) einen auf und pfropfte ihn mit Mühe in jenen Zylinder hinein, worauf das Oberteil wieder aufgesetzt und nunmehr die Schraube mit Anstrengung beider Hände betätigt wurde. Aus einer Ausflußöffnung am Boden des Gefäßes rann dickes, schwärzliches Blut in eine vorgehaltene Schale. Dieses Blut wurde mit allerlei Gewürzen angerührt und schließlich als Sauce über den anderen halb rohen Vogel gegossen. Dieses kannibalische Gericht verzehrte der Einsame mit dem Gleichmut eines Lukull. Ich erinnere mich nicht, ob er Tee dazu getrunken hat. Zu verwundern wäre es weiter nicht gewesen, da der Yankee auch die opulentesten Mahlzeiten mit Eiswasser, Tee oder Kaffee hinunter zu spülen pflegt.Billige Speisehäuser.Der Fremde, dessen Mittel nicht ausreichen, in erstklassigen Hotels und Restaurants zu speisen, und der sich mit der Yankeeküche gewöhnlichen Schlages nicht zu befreunden vermag, fährt am besten, wenn er sich in eines der zahlreichen, meist billigen und einfach gehaltene Speisehäuser begibt, die seine heimische Küche pflegen. Man kann in dem teuren New York, und wohl auch in den meisten der ganz großen Städte, französisch, deutsch, italienisch, griechisch, polnisch, ungarisch, chinesisch und koscher essen. Namentlich an guten, sehr billigen italienischen Lokalen, in denen es noch einen trinkbaren Wein gratis gibt, ist in New York wenigstens kein Mangel. Dagegen habe ich wienerische Speiserestaurants ebenso schmerzlich wie Wiener Cafés vermißt. Ich meine, hier wäre noch eine Kulturmission für die Einwanderer der österreichischen Kronländer zu erfüllen. Wenn ich[pg 120]drüben irgendwo ein Stück Rindfleisch mit Beilage, wie bei Meisl & Schaden, vorgesetzt bekommen hätte, ich hätte es knieend verzehrt und hernach stehend die österreichische Nationalhymne gesungen. Und die Einführung des Berliner Systems Kempinski, nämlich eine große Auswahl von Gerichten in tadelloser Qualität zu einem sehr billigen Einheitspreis zu geben, könnte eine Revolution des Ernährungswesens drüben hervorbringen. Bis dahin muß der deutsche andachtsvolle Genießer mit heißer Liebe seine wohlhabenden Landsleute umbuhlen, denn es sind drüben fast allein die Deutschen, die den Schwerpunkt ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes auf eine gute Tafel im heimatlichen Stil verlegen.Das Volk der Kauer.Beim richtigen Yankee scheinen es übrigens nicht die Geschmackswarzen zu sein, welche ihm den Genuß beim Essen vermitteln, sondern vielmehr die Kinnbacken und die Speicheldrüsen. Das Kauen und das Schlucken an sich macht diese einfachen Naturkinder glücklich. Wer zum erstenmal nach den Vereinigten Staaten kommt, kann sich nicht genug darüber wundern, hier einem Volke von Wiederkäuern zu begegnen. In der Straßenbahn, in den Geschäften, in den Vergnügungslokalen wie auf der Straße sind die Kauwerkzeuge dieser seltsamen Nation in unausgesetzter Bewegung, und ein Widerschein von Zufriedenheit überstrahlt von dieser Kinnbackenbetätigung aus die Gesichter. Junge hübsche Ladnerinnen kauen, wenn sie mittags zum Lunch gehen und wenn sie vom Lunch ins Geschäft zurückkehren. Die Soldaten kauen beim Exerzieren; sie würden sicher auch kauend ihre Schlachten schlagen. Der gesetzte junge Mann mit ernsten Absichten kaut, wenn er seine Liebeserklärung macht, und seine Erwählte erwidert errötend: „Mum mum mum – tschap tschap, sprechen Sie mit Mama.“ Und der[pg 121]gewaltige, 125 Kilo schwere Schutzmann rennt kauend dem Dieb nach und packt ihn beim Kragen mit dem Ausruf: „Dscham dscham – ich verhafte Sie – mum mum – im Namen des Gesetzes!“ Ein Stückchen gezuckerter Gummi (Chewing Gum) zwischen die Backzähne geschoben, beglückt alle diese Leute wie den Seemann sein Priemchen und wiegt sie in die freundliche Täuschung ein, in der besten aller Welten zu leben. Wäre Cartesius als Yankee zur Welt gekommen, er hätte sicher sein berühmtes „cogito ergo sum“ abgewandelt in: „Ich kaue, folglich bin ich.“

[pg 94]Die Dienstbotenfrage.Der schwarze Fensterputzer.Straßendemonstrationen.Es war in Philadelphia. Mir gegenüber im zweiten Stockwerk eines netten, epheuumrankten Familienhauses war ein junger Nigger mit Fensterputzen beschäftigt. Bekanntlich gibt es in Amerika keine Flügelfenster, sondern ausschließlich jene greulichen englischen Schiebefenster, welche ein behagliches Hinausschauen, ein geschwindes Kopfherausstrecken nach einer rasch vorüber brausenden Straßensensation fast unmöglich machen. Denn die Fenster sind fast durchweg so niedrig über dem Fußboden angebracht, daß die bewegliche untere Hälfte einem ausgewachsenen Menschen kaum bis zur Brusthöhe reicht. Wenn man also hinausschauen will, so muß man, um nicht etwa das Übergewicht zu verlieren und kopfüber hinauszupurzeln, schon auf den Boden hinknien und seinen Hals, auf die Gefahr hin, bei etwaigem schlechten Funktionieren der Sperrfedern geköpft zu werden, unter die gläserne Guillotine stecken. Mein Nigger hatte es sich im Reitsitz auf dem Fensterbrett gemütlich gemacht; das eine Bein hing auf die Straße hinaus, obwohl es empfindlich kalt an diesem sonnigen Januartage war. Während er sein Handwerkszeug, Schwamm, Trockentuch und Lederlappen, bedächtig auf dem Fensterbrett zurecht legte, pfiff er sich eins, blickte die schmale Seitenstraße hinunter und die breite Avenue hinauf (denn es war ein Eckhaus). Da doch vorläufig nichts Besonderes zu sehen war, so stellte er sein Pfeifen ein und schaute mit sorgenvoll gerunzelter Stirn aufwärts. Er dachte offenbar angestrengt über das[pg 95]Problem nach, wie er wohl, ohne sein kostbares Leben zu gefährden, d. h. auf dem Fensterbrett stehend, mit dem Oberkörper rückwärts hinausgelehnt und nur mit einer Hand am Fensterrahmen in der Mitte sich festklammernd, die obere Scheibe von außen reinigen könnte. Da er zu diesem waghalsigen Turnerstückchen sich nicht aufgelegt fühlte, so schüttelte er seinen dicken Wollkopf und versuchte, wie weit er mit ausgestreckter Hand über sich emporreichen könnte. Die Fingerspitzen langten nur gerade ein weniges über die mittlere Rahmenleiste hinaus; das genügte ihm aber vorläufig. Er ergriff seinen Lappen und wischte am äußeren unteren Rande der Mittelleiste ein wenig Staub hinweg. Darauf erhob er sich und befummelte im Stehen die innere Seite des hinaufgeschobenen Fensters. Er ließ sich sehr reichlich Zeit hierzu, ohne deswegen jedoch die Sache gar zu ernst zu nehmen. Als die innere obere Scheibe seiner Meinung nach genügend sauber war, nahm er wieder auf dem Fensterbrett Platz und ließ sein linkes Bein, dessen zierliches Plattfüßchen mit einem riesigen Footballstiefel bekleidet war, wieder ins Freie baumeln. Nachdem er eine ganze Weile untätig vor sich hingeträumt hatte, unternahm er den Versuch, die innere Fensterhälfte herunterzuziehen, um nunmehr das Glas von außen zu bearbeiten. Es dauerte sehr lange, bis es ihm gelang, das Fenster aus seiner Ruhelage zu bringen, und als er es endlich glücklich los hatte und nun versuchte, die schwere Glasscheibe auf seinem rechten Knie so zu stützen, daß ein genügend großer Spalt offen blieb, um ihm das Hantieren im Sitzen zu gestatten, fand er alsbald, daß er sich dadurch in eine höchst unbequeme Lage begeben und besonders seinem zarten Kniechen zu viel zugemutet habe. Er schob also stöhnend und schnaufend die Scheibe wieder hinauf, wischte sich[pg 96]mit dem Ärmel über den Schädel und fletschte zornig sein anmutiges „G’frieß“ gegen die Scheibe hinauf – gerade wie es die Kinder machen, wenn sie mit der Kommode böse sind, an der sie sich gestoßen haben. Plötzlich verklärte sich seine intelligente Schimpansenphysiognomie. In der Ferne ließ sich Militärmusik vernehmen. Bum, bum, tschindara! Master Kinkywoolly wurde ganz Ohr und ganz Seligkeit. Er beugte sich so weit hinaus wie möglich und spähte die breite Hauptstraße hinunter. Etwas ganz besonders Herzerhebendes mußte da los sein, denn mein Nigger klatschte begeistert in die Hände und zeigte, seine zierliche Fresse weit aufreißend, die lachenden Zähne im Leckermaul. Ich schob nun gleichfalls mein Fenster hoch, kniete auf den Boden nieder und reckte den Hals hinaus, um mir den seltenen Anblick eines militärischen Aufzuges nicht entgehen zu lassen. Aber es war ganz etwas anderes, was ich zu sehen bekam, etwas ganz spezifisch Amerikanisches. Gassenbuben und Strolche vorweg, dann eine uniformierte Kapelle und dann in Rotten zu vieren ein schlotteriger Parademarsch, inszeniert von einem politischen Boß und ausgeführt von einer Elitetruppe seiner Parteifreunde. Lauter freie Republikaner gesetzten Alters, wohl genährt, sauber und glatt rasiert, alle mit den gleichen gelben Gamaschen, denselben Schlipsen, denselben Hüten und denselben Bambusstöcken mit vernickelten Griffen, die sie wie die Gewehre aufrecht an die Schulter gedrückt trugen, wie ehemals unser Militär bei dem Griff „faßt das Gewehr an“. Ein gerade zu Besuch anwesender Eingeborener erklärte mir, daß die Parteikasse die Ausrüstung an Gamaschen, Schlipsen, Hüten und Spazierstöcken stelle und diese öffentlichen Umzüge ansehnlicher, sichtbarlich satter und zufriedener Mitbürger von Zeit zu Zeit ver[pg 97]anstalte, um dem Publikum zu beweisen, wie gut es sich unter den Fittichen ihrer Partei leben lasse. Ein unerhört fetter schwarzer Schutzmann, der an der Straßenkreuzung postiert war, führte vor Vergnügen über diesen gelungenen Aufzug einen veritablen Cakewalk nach dem munteren Rhythmus der Musik aus, und mein Fenster putzendes Niggerlein jauchzte vor Vergnügen über solchen grotesken Anblick und bewegte sich im Takte der Musik, als ob er ein tanzendes Zirkuspferd zwischen den Schenkeln hätte. Offenbar gehörten der cancanierende Schutzmann und der reitende Fensterputzer gleichfalls der Partei der Demonstranten an und fühlten sich durch den erhebenden Parademarsch ihrer Vertrauensmänner in ihren patriotischen Gefühlen angenehm gekitzelt. – Bis der letzte Hauch der Blechmusik verklungen war, dachte selbstverständlich der farbige Jüngling gegenüber nicht daran, sein Fenster wieder vorzunehmen. Dann aber griff er tief aufseufzend wieder zum Wischtuch und hielt es nachdenklich in der Hand, während seine schwarzen Sammetaugen sich bekümmert an den dummen Fensterrahmen hefteten, der so gar keine Miene machte, von selber zu ihm herunter zu kommen. Plötzlich kam wieder Leben in die schier erstarrte Gestalt. Master Kinkywoolly drehte den Kopf über die Schulter und äugte höchst gespannt die Avenue hinauf. – Wahrhaftig, noch eine Parade! Mehrere Dutzend Geistliche der Stadt, paarweise nebeneinander in schwarzen Talaren. Und statt der Bambusrohre mit Nickelknöpfen schulterten sie ihre Regenschirme. Die schwarzen Herren waren auf dem Wege zum Oberbürgermeister, um feierlich bei ihm vorstellig zu werden, daß er die fromme Quäkerstadt beschützen möge vor dem Satansgreuel der Salome von Richard Strauß, deren Aufführung in Philadelphia eine[pg 98]fremde Operntruppe angekündigt hatte. Es wäre eigentlich passend gewesen, daß der fette schwarze Schutzmann an der Straßenkreuzung bei dieser Gelegenheit den Tanz der sieben Schleier aufgeführt hätte. Aber er schien zu Richard Strauß und seiner Kunst noch nicht Stellung genommen zu haben, denn er ließ die Parade ohne sichtliche Gemütsbewegung vorüberziehen und sorgte nur dafür, den Wagenverkehr derweil zu bändigen. – Mein Fensterputzer stierte blöd der schwarzen Prozession nach, bis sie um die Ecke verschwunden war; dann führte er mit seinem kalt gewordenen Spielbein einige Freiübungen aus und war eben dabei, tatsächlich seinen Schwamm ins Wasserbecken zu tauchen, um vielleicht doch den Versuch einer flüchtigen Wäsche von außen zu wagen, als es vom nächsten Kirchturm zwölf schlug. Der Schwamm flog ins Becken, das Bein über das Fensterbrett und der schwarze Jüngling davon zum schwer verdienten Lunch. Ich vermute, daß er am nächsten Ersten um eine Lohnerhöhung eingekommen ist.Pflichten und Rechte des Dienstpersonals.Das Beispiel dieses schwarzen Fensterputzers dürfte einigermaßen typisch sein für den Eifer, mit dem häusliche Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten verrichtet werden. Gewiß arbeitet ein frisch von Europa eingewandertes Hausmädchen fleißiger und gründlicher, dafür ist es aber auch sehr viel anmaßender und sehr viel schwieriger zu behandeln als der Niggerboy, der doch wenigstens freundlich grinst und danke sagt, wenn er ein Trinkgeld kriegt. Ja, die Dienstbotennot ist wirklich die Frage aller Fragen, nicht nur für die Hausfrau des amerikanischen Mittelstandes. Die ganz reichen Leute freilich leisten sich einen englischenButler(Haushofmeister), einen französischenValet de chambre, einen italienischen Koch, einige griechische Lakaien von klassi[pg 99]scher Gesichtsbildung und unbezahlbarer Frechheit und etliche appetitliche irische Mädchen. Für Geld, d. h. für sehr viel Geld ist natürlich auch eine aristokratisch luxuriöse, gut gedrillte Dienerschaft in den Vereinigten Staaten zu haben; aber die Leute von mittlerem und kleinem Vermögen, also von einem Einkommen, wie es hier unsere armen Schlucker von Regierungspräsidenten, Generalmajoren, Oberpostdirektoren und beliebten Schriftsteller besitzen, können sich eine perfekte Köchin und noch ein tüchtiges Stubenmädchen dabei schwerlich leisten. Denn eine Köchin, die etwas Eßbares zu kochen imstande ist, dürfte unter 100 Mk. Monatslohn nicht zu haben sein, und 10 Dollars muß man sogar für einen frisch importierten, unerprobten Besen schon anlegen. Sind diese Damen bereits ein paar Monate im Lande, so daß sie sowohl von der Sprache wie von dem Wesen ihrer staatsbürgerlichen Rechte einigen Begriff haben, so machen sie mit ihrer Herrschaft einen Vertrag mit zahlreichen Paragraphen, welche genau ihre Pflichten und Rechte festlegen. Darin ist bestimmt, daß sie außer dem Sonntag, an welchem sie nur morgens die Schlafzimmer aufzuräumen haben, noch an einem Wochentag ausgehen, ferner dasParlor(Wohnzimmer) bei Besuchen ihrer Freunde und Verwandte mitbenutzen und selbstverständlich ohne Kündigung abziehen dürfen, sobald es ihnen beliebt. Irgendwelche schwere oder schmutzige Arbeit verrichten diese Damen grundsätzlich nicht, dazu müssen extra Nigger, Chinesen, Polacken oder dergleichen Kroppzeug gehalten werden. Verlangt die Hausfrau irgendwelchen Dienst von ihnen, der nicht kontraktlich stipuliert oder landesüblich einbegriffen ist, so entgegnet ihr das Fräulein achselzuckend: „That’s not my business, Ma’m“ – und fertig. Ein Mädchen, das für die Küche[pg 100]angestellt ist, wird beispielsweise um keinen Preis dem Hausherrn einen Knopf annähen; und ein Hausmädchen wird sich auch im Falle der höchsten Not schwerlich herbei lassen, ein Kind aufs Töpfchen zu setzen. Einer geborenen Amerikanerin zumuten zu wollen, die Stiefel zu putzen, wäre ungefähr gleichbedeutend mit schwerer körperlicher Mißhandlung. Eine junge deutsche Dame, die einen amerikanischen Landsmann geheiratet hatte, erzählte mir, daß sie, um den Schwierigkeiten der Dienstbotenwirtschaft zu entgehen, sich eine alte, treu anhängliche Dienerin mitgebracht habe, die schon 14 Jahre in der Familie gewesen war. Nach drei Wochen bereits habe sie ihr die Stiefelbürste vor die Füße geworfen und erklärt, daß sie sofort heimreisen werde, wenn ihr solche entwürdigende Zumutung noch länger gestellt würde. An einer Frauenuniversität, an der ich eine Vorlesung gehalten hatte, wurde mir das einzige für männliche Gäste reservierte Zimmer zum Übernachten angewiesen, in welchem der Herr Bischof untergebracht zu werden pflegte, wenn er zur Kirchenvisitation kam. Ich entdeckte im Badezimmer ein schön poliertes Mahagonikästchen, und als ich es neugierig öffnete, fand ich darin ein komplettes Wichszeug vor. Der Herr Bischof mußte sich also auch höchst eigenhändig seine Stiefel putzen, da es im Gebiete der Damenuniversität natürlich keinen öffentlichen Wichsier gab. Daß gerade gegen die ehrenhafte Betätigung des Stiefelputzens ein solches Vorurteil besteht, ist um so merkwürdiger, als der freie Amerikaner niederen Standes es sonst durchaus nicht für unter seiner Würde hält, seine Karriere als Inhaber eines Straßenwichsstandes zu beginnen und als nicht wenige der heutigen Multimillionäre in diesem Geschäft den Grundstock ihres Vermögens legten![pg 101]Karriere besserer Dienstmädchen.Deutsche Dienstmädchen gibt es schon lange kaum mehr; die meisten der Damen, die so anfingen, fahren heute in ihrem eignen Auto spazieren. Denn wenn sie auch nur eine Ahnung von der edlen Kochkunst hatten und einigermaßen nett anzusehen waren, wurden sie mit Wonne von besser situierten Landsleuten geheiratet. Auch die einstmals als Hausmädchen besonders beliebten Irinnen trifft man heute höchstens noch in sehr vornehmen Hotels in dieser Stellung an. Im Westen soll es noch schlimmer sein als im Osten. In San Franzisco verdient ein Maurer 7 $, also gegen 30 Mk. pro Tag! Selbstverständlich denken seine Töchter nicht daran, in Dienst zu gehen, auch nicht in die Fabrik. Sie spielen lieber Klavier und gehen in echten Ponypelzen spazieren. Gegenwärtig sind Ungarinnen besonders gefragt, und wer eine solche dralle, hochgestiefelte Pußtadirne nicht erschwingen kann, der nimmt mit einer Kroatin, Slowakin, Ruthenin oder dergleichen vorlieb. Wer aber dem ewigen Ärger und der ewigen Angst, ob er morgen noch auf die Unterstützung seiner Perle zu rechnen oder abermals den Gang aufs Mietsbureau anzutreten haben werde, seiner Konstitution nicht zutraut, oder als echter Demokrat zu feinfühlig ist, um Menschen seinesgleichen, freie Mitbürger in unwürdiger Abhängigkeit zu erhalten, der verzichtet überhaupt auf häusliche Dienstboten. Und zu diesen vernünftigen Leuten gehören fast alle Männer, die das Glück hatten, eine Frau zu erwischen, die von Küche und Haushalt etwas versteht, und der eine rege Betätigung im eignen Heim mehr Freude macht, als das fade Gesellschaftsleben und die Hetze von Verein zu Verein, von Vergnügen zu Vergnügen.Der Professor als Mädchen für Alles.An einem sonnigen Sonntagvormittag traf ich beim Spaziergang durch eine der reizenden ländlichen Uni[pg 102]versitäten des Nordens eine meiner neuen Bekanntschaften von einem Diner am vorhergehenden Abend. Es war ein hochgewachsener, schlanker junger Herr in den Dreißigern, der in einen höchst eleganten Sealskinpelz gehüllt, einen glänzend gebügelten Zylinderhut auf dem Kopf und eine edle Havanna mit goldfunkelnder Leibbinde zwischen den kostbar plombierten Zähnen – einen eleganten Kinderwagen mit Inhalt vor sich herschob! Lebhaftes Interesse für seinen glücklicherweise schlummernden Sprößling heuchelnd, begrüßte ich den Herrn Professor. Er mochte mir wohl anmerken, daß mir begriffsstutzigen Europäer seine väterliche Betätigung in diesem Aufzuge etwas sonderbar vorkomme und erklärte mir aus freien Stücken den Zusammenhang. „Look here“, sagte er, „wir sind jung verheiratet, wir haben nur ein kleines Haus und ein kleines Einkommen; wir können uns keine Dienstboten halten – außerdem ziehen wir es vor, in unserer zärtlichen jungen Ehe unbeaufsichtigt zu bleiben und wollen uns nicht den halben Tag den Kopf darüber zerbrechen, wie wir aus unserer Mary oder Jane die größtmögliche Arbeitsleistung herausziehen könnten, ohne ihrer Empfindlichkeit als Mitbürgerin zu nahe zu treten. Wir haben nur eine alte Negerin zur Hilfe, die vormittags zwei Stunden die gröblichere Arbeit verrichtet, und einen Mann, der alle Wochen einmal die Asche aus dem Zentralfeuerloch im Keller ausräumt und die Müllkasten vor die Tür stellt; alles andere besorgen wir selbst. Sehen Sie, heute früh z. B. habe ich zunächst, wie alle Tage, das Feuer in der Zentralheizung geschürt und Kohlen nachgefüllt, dann habe ich Kaffee gekocht, da meine Frau nicht ganz wohl ist, und das Frühstück für uns beide hergerichtet. Dann habe ich, weil es in der Nacht lustig geschneit hat, vor unserer[pg 103]Haustür und auf dem Trottoir Schnee geschippt und darauf mich wieder in einen Gentleman verwandelt. Da es darüber für die Kirche zu spät geworden war, habe ich vorgezogen, meine Sonntagsandacht in Gesellschaft meines vorläufig einzigen Sohnes durch ein edles Rauchopfer im Sonnenschein zu verrichten. Zum Luncheon behelfen wir uns mit kalter Küche, und wenn meiner Frau bis abends nicht besser wird, so nehme ich mein Dinner im Klub, nachdem ich ihr eine Suppe gekocht und eine Konservenbüchse gewärmt habe. Vor dem Schlafengehen schütte ich dann noch einmal im Keller Kohlen auf die Heizung, und damit habe ich alles getan, was die Haushaltungsmaschine braucht, um regelrecht zu funktionieren.“„Sehr schön,“ sagte ich in ehrlicher Anerkennung. „Aber das nimmt Ihnen doch sehr viel Zeit weg. Und wenn Sie nun früh morgens eine Vorlesung haben, was machen Sie dann?“„Well, dann stehe ich eben eine Stunde früher auf,“ lachte er vergnügt, „und gehe abends eine Stunde früher ins Bett. Das ist sehr gesund. Ich habe immer acht Stunden guten Schlaf, und wenn die Frau wohlauf ist, kostet mich mein Anteil an der Hausarbeit kaum mehr als eine Stunde am Tag. Wir haben es noch nie bereut, die Wirtschaft mit den Dienstboten überhaupt erst gar nicht probiert zu haben. Und dabei brauchen wir noch nicht einmal auf Geselligkeit im Hause zu verzichten. Wie haben schon einmal 50 Leute eingeladen gehabt.“„Nicht möglich! Wie haben Sie denn das angestellt?“„O, sehr einfach. Wir besitzen Service für 12 Personen, also waren wir 12 Personen zum Lunch. Natürlich haben wir kein Eßzimmer, in dem 12 Personen bei Tische sitzen könnten, es mußte sich also jeder setzen,[pg 104]wo er gerade Platz fand. Dann kriegte jeder einen Teller, eine Serviette und ein Besteck, und darauf wurden die Schüsseln, eine nach der anderen, herumgereicht – alles auf denselben Teller. Bei einigem guten Willen geht es schon, und meine Frau kann wirklich kochen. Natürlich hatten wir dabei Hilfe, aber nicht etwa bezahlte Mädchen, sondern zwei meiner Studentinnen; die machen das viel intelligenter und netter. Nach dem Essen kamen dann die übrigen 38 Personen – die wurden aber nur mit geistigen Genüssen traktiert. Ich las ihnen etwas vor, und eine meiner akademischen Aushilfskellnerinnen spielte, von meiner Frau begleitet, einige Flötensolos. Außerdem konnten wir sogar noch mit der berühmtesten Schönheit von Pawtucket, Connecticut, die sich gerade auf der Durchreise befand, aufwarten!“ – –Und so wie dieser junge Professor halten es die meisten vernünftigen Amerikaner von ähnlicher gesellschaftlicher Position und Vermögenslage. Wir waren einmal bei der Dekanin einer Frauenuniversität zu einem intimen Diner geladen. Während des Essens stieß mich meine Frau unter dem Tisch mit dem Fuße und richtete meine Aufmerksamkeit durch ihre Blicke auf die bedienende Maid, die in ihrem weißen Kleid, mit dem weißen getollten Häubchen auf dem üppigen Blondhaar allerdings eine Sehenswürdigkeit darstellte. Wir drückten der Gastgeberin erst auf Deutsch, und als dies durch warnendes Räuspern abgelehnt wurde, auf Französisch, dann auf Italienisch unsere Bewunderung für dieses nicht nur ungewöhnlich hübsche, sondern auch ungewöhnlich intelligent aussehende Hausmädchen aus. Da aber fing die ganze Gesellschaft zu kichern an, und die schöne Blondine bekam einen roten Kopf und hastete in größter Verlegenheit hinaus. Und nun wurde uns anvertraut, daß[pg 105]dieses reizende Servierfräulein eine junge akademische Kollegin von Fräulein Professor sei, nämlich – die Privatdozentin für Sanskrit!Demokratischer Stolz.Unstetigkeit des Handwerks.Das Merkwürdige an diesem kleinen Erlebnis soll nun nicht so sehr der Umstand sein, daß es in der neuen Welt bereits Privatdozentinnen für Sanskrit gibt, welche obendrein auch noch sehr hübsch sind, als vielmehr, daß in diesem angeblich so freien und vorurteilslosen Lande zwar die gebildeten Menschen keinerlei notwendige Arbeit scheuen und sich in der liebenswürdigsten Weise gegenseitig in ihren häuslichen Schwierigkeiten aushelfen, während gerade die untersten, auf körperliche Arbeit angewiesenen Stände die Lohnarbeit im Hause geradezu als eine Schande anzusehen scheinen. Obwohl es in dem Lande, wo die Dienstboten so hoch entlohnt werden wie nirgends in der Welt und mit zarter Rücksicht wie die rohen Eier behandelt werden müssen, damit sie nicht gleich wieder fortlaufen, keifende Hausdrachen und grob anschnauzende Hausherrn wie bei uns wohl überhaupt nicht geben dürfte, ziehen doch die Mädchen die unangenehmste Arbeit in der Fabrik, den anstrengenden Laden- und Bureaudienst dem bequemen Schlaraffenleben als Haushaltsangestellte vor. Gehorchen zu sollen ist eben für den Amerikaner die furchtbarste Zumutung, die man ihm stellen kann. Er dient nur so lange, wie er es absolut nötig hat. Sobald er sich ein paar Dollar zurückgelegt hat, sucht er sich selbständig zu machen. Bei dem elenden Dasein eines kleinen Handelsmannes, der auf der Straße Ansichtspostkarten, Popcorn oder Kaugummi verkauft, fühlt er sich zehnmal stolzer und zufriedener, als in der bequemsten häuslichen Stellung, in der er sich einem fremden Willen unterzuordnen hat. Es kommt noch dazu, daß dem Bürger der Neuen Welt[pg 106]nicht nur jedes Gefühl für die Schönheit und Würde des sich Einfügens in ein patriarchalisches Abhängigkeitsverhältnis von Herr und Knecht, von Meister und Geselle, sondern auch jeglicher Zunftstolz abgeht, jegliche Liebe zu dem Handwerk etwa, in das einer hinein geboren oder für das einer bei uns erzogen wird. Im Grunde genommen sind die Menschen drüben alle Spieler und Glücksritter. Sie ergreifen ohne langes Besinnen, was sich ihnen gerade bietet, und treiben es nur so lange –until a better job turns up–, bis sich eine bessere Sache bietet. Jeder junge Mensch drüben fühlt sich einfach zu allem berufen. Wenn er heute aus Hunger zugreifen und sich in den weißen Anzug eines New Yorker Straßenkehrers stecken lassen müßte, so zweifelte er darum doch keinen Augenblick daran, daß er berufen sein könnte, übers Jahr bereits Teilhaber einer Minenausbeutungsgesellschaft in Oklahama zu sein und auf der Höhe seines Lebens in den Senatspalast von Washington einzuziehen. Es ist eigentlich niemand etwas Gewisses in diesem Lande; selbst bei meinem Kollegen, dem erfolgreichen Dramatiker, bin ich nicht sicher, ob er nicht übers Jahr Flugmaschinen fabriziert oder Truthähne en gros züchtet. Daher kommt es, daß auf dem Gebiete der persönlichen Dienstleistungen und des handwerklichen Betriebs keine fachmännische Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit existiert. In Madison (Wisconsin) ließ ich mir einen zerbrochenen Zeiger an meiner Uhr durch einen neuen ersetzen. Als ich nach Hause kam, stellte sich heraus, daß der neue Zeiger sich absolut nicht bewegte. Der angebliche Uhrmacher, der ihn eingesetzt hatte, war vermutlich vorgestern noch Verkäufer in einer geräucherten Fischwarenhandlung gewesen. In New York wollte ich mir eine Kleinigkeit an einem silbernen Stockgriff löten lassen.[pg 107]Man schickte mich von Pontius zu Pilatus über fünf Instanzen hinweg; endlich, in einer Silberwarenfabrik, erbot sich der Besitzer nach vielen Bedenklichkeiten und Hin- und Herreden über Wetter und Politik, einen seiner Arbeiter zu ersuchen, die Kleinigkeit zu besorgen. Ich bekam auch wirklich schon nach ein paar Minuten meinen Stock zurück. Der äußerst geschickte Silberarbeiter hatte das losgelöste Monogramm allerdings mit dem Lötrohr befestigt, dabei aber den oberen Rand des Stockes zu Kohle verbrannt. Und als ich mit dem reparierten Gegenstand daheim anlangte, mußte ich die Entdeckung machen, daß das Monogramm endgültig verloren war, nachdem es 14 Tage lang doch wenigstens noch an einem Faden gehangen hatte. Man gibt sich eben in diesemgroßenLande nicht gerne mit Kleinigkeiten ab. Was mit der Maschine nicht gemacht werden kann, das wird schlecht oder gar nicht gemacht, weil der Amerikaner seine Menschenwürde so überaus hoch einschätzt, daß er die Handarbeit und gar das persönliche Dienstverhältnis verachtet. Darum strengt er auch seinen hellen Verstand auf das äußerste an, um immer mehr notwendige Verrichtungen durch die Maschine besorgen zu lassen und die unumgänglichen Handarbeiten tunlichst zu vereinfachen. Weil die Dienstboten so rar, so teuer und so überaus bequem sind, lieben sie z. B. das Messerputzen durchaus nicht, folglich hat man fast ausschließlich Messer von Bronze in Gebrauch genommen, mit denen man zwar nicht schneiden kann, die dafür aber auch durch einfaches Durchziehen durch heißes Wasser und Abtrocknen zu säubern sind. Da es nun aber Messer mit einer scharfen Schneide nicht gibt, so kann es selbstverständlich auch keinen Braten geben. Das Roastbeef und das Geflügel macht man durch Zerreißen[pg 108]zwischen Gabel und Messer einigermaßen mundgerecht. Im allgemeinen aber richtet man die Speisen lieber gleich in einer breiförmigen Gestalt her, sodaß sie nur einfach in den aufgesperrten Rachen hineingeschaufelt zu werden brauchen; man spart damit auch viel kostbare Zeit.Vorläufig findet ja noch ein starker Zustrom von slawischen, südeuropäischen und westasiatischen Völkerschaften statt. So lange diesen noch nicht der Knopf aufgegangen ist, d. h. so lange sie sich ihrer Bedeutung als selbstherrliche Bürger der glorreichsten Republik der Welt nicht bewußt sind, geben sie sich ja noch teils aus Hunger, teils aus angeborener Knechtseligkeit zu Kellnern, Hausmädchen und dergl. her. Aber, wie gesagt, immer nur bis der bessere „Job“ auftaucht, dann gesellen sie sich alsbald der stolzen Klasse der selbständigen Unternehmer zu. Wenn nun aber einmal das Land voll ist, so daß es seine Tore vor den Einwanderern zusperren muß – wer soll dann all die häusliche und sonstige, niemals völlig aus der Welt zu schaffende Handarbeit verrichten? Ich legte diese kniffliche Frage auch meinem hochverehrten Gastfreunde in Ithaka, Andrew D. White, dem früheren Botschafter in Berlin, vor. Er wiegte bedenklich seinen schönen weißen Gelehrtenkopf, und dann gab er mir verschmitzt lächelnd zur Antwort: „Ja, sehen Sie, wir Amerikaner sind eben Optimisten. Wir sagen: es ist noch immer gegangen, und dies wird auch gehen, so oder so. Warum sollen wir uns die Köpfe unserer Enkel zerbrechen?“Schwierige Frage an die Zukunft.Hm! allerdings – man hat schon Bronzemesser eingeführt und auf Braten verzichtet; man kann sich ja das Bett, das man jetzt schon allgemein abends selber aufdecken muß, auch morgens selber machen; man kann auch seine Frau hinten zuknöpfen, ohne an seiner Mannes[pg 109]ehre Schaden zu leiden, aber man kann schließlich doch nicht auf Wohnen, Schlafen, Essen, Kinderkriegen und Sterben im eignen Heim gänzlich und unter allenUmständenverzichten. Und alle diese Notwendigkeiten setzen doch wenigstens unter gewissen Verhältnissen die Hilfe von Leuten voraus, die nicht gerade akademische Bildung oder ein Scheckkonto auf der Bank zu besitzen brauchen. Wo sollen die herkommen, wenn alle Amerikaner erst einmal selbständige Unternehmer geworden sind?Ich muß gestehen, mein beschränktes Europäergehirn ist, so oft es über diese Frage nachgedacht hat, schließlich immer wieder zu demselben Schluß gekommen:Die selbstlosen Idealisten der Vereinigten Staaten haben die Sklaverei mindestens 100 Jahre zu früh aufgehoben![pg 110]Die Kochkunst der Yankees.Da ich mich in meinem vorigen Kapitel mit Köchinnen beschäftigt habe, dürfte es angebracht sein, im Anschluß ein wenig in die amerikanische Küche hineinzuleuchten. Nach dem unzweifelhaften Wahrwort, daß der Weg zum Herzen des Mannes durch den Magen führe, dürfte es noch sehr lange dauern, bevor Dame Dollarica sich in der kulinarisch gebildeten Männerwelt einer auch nur annähernd ähnlichen Beliebtheit erfreut wie Madame Marianne oder die Commare Italia oder die nahrhafte Tante Austria. In Dingen des guten Geschmacks tut es eben der Reichtum allein nicht, sondern die große Vergangenheit einer aristokratischen Kultur, und innerhalb dreier lumpiger Jahrhunderte entwickelt sich keine neue Rasse von Fressern zu Speisern. Wie lange ist es denn überhaupt her, daß sich die Besiedler der neuen Welt des Segens sicherer behaglicher Häuslichkeit erfreuen? Viele der jetzt üppig blühenden Großstädte sind ja erst ein paar Jahrzehnte und nur ganz wenige über ein Jahrhundert alt. Der wüsten Raubbau treibende angelsächsische Kolonist, der meist unbeweibt in selbstgezimmertem Blockhause hauste, briet sich über dem offenen Feuer am Spieß seinen Fetzen Fleisch und manschte sich aus den ihm zugewachsenen Zerealien irgend etwas zurecht, was einer genießbaren Speise vielleicht entfernt ähnlich sah. Als dann im 18. und 19. Jahrhundert die weibliche Zuwanderung sich hob, fanden die mit der Kochkunst einigermaßen vertrauen Frauen – unter den Britinnen sind sie nicht besonders häufig – eine Männerwelt vor,[pg 111]die einfach mit allem zufrieden war, was ihr vorgesetzt wurde. Erst in neuester Zeit, als die Vereinigten Staaten willige und splendid zahlende Abnehmer für alle Luxusprodukte der alten Welt wurden, begannen auch bewährte Meister der Kochkunst über den Ozean zu ziehen; aber die traten selbstverständlich nur in den Dienst der vornehmsten Hotels, der teuersten Restaurants und der Milliardäre ein und konnten folglich nicht für die breite Masse des mäßig begüterten Bürgertums erziehlich wirken. Die amerikanischen Esser sind die dankbarsten der Welt, weil ihnen im Vergleich zu ihrer barbarischen Küche natürlich die Speisekarte der Kulturvölker lauter überraschende Offenbarungen bietet.Süß muß es sein!Die unkultivierte Kindlichkeit des Geschmacks offenbart sich denn auch in Amerika nirgends deutlicher als auf dem Gebiete der Küche. Das Haupterfordernis der Eßbarkeit ist für den Yankee die Süße. Alles, was süß ist, schmeckt ihm ausgezeichnet. Bezeichnenderweise ist es mir trotz größter Mühe nicht gelungen, irgendwo in den Vereinigten Staaten ein Mundwasser aufzutreiben, das nicht schauderhaft verzuckert gewesen wäre. So ist Süßigkeit das erste, was der Yankee, sobald er sich dem Schlaf entwunden, in den Mund bekommt. Seinem ersten Frühstück geht der Genuß von Früchten: Orangen, Grapefruit oder Melonen voran, die unter einem Berge von Streuzucker mit dem Löffel hervorgegraben werden. (Nebenbei gesagt: das Fruchtessen vor dem Frühstück ist die einzige nationale Speisesitte, die ich Europäern zur Nachahmung empfehlen möchte. Die wundervoll saftige Grapefruit mit ihrem Chiningehalt besonders ist höchst erfrischend und bekömmlich.) In einem üppigeren Haushalt ist schon der Frühstückstisch reicher gedeckt als bei uns manche Mittagstafel. Beefsteak, Hammel[pg 112]kotelette, Fischgerichte, kalter Aufschnitt verschiedenster Art werden von den Männern bevorzugt, während die Frauen und Kinder eine große Auswahl der zum Teil wunderlichsten Eier- und Mehlspeisen zur Verfügung haben. Weizen, Korn, Gerste, Mais, Hirse, Buchweizen, Hafer, Reis, kurz: alle erdenklichen Getreidearten erscheinen in der Form von Grütze, Graupen, Flocken, Fäden oder papierdünnen Schnipfeln, roh, gekocht oder geröstet und werden größtenteils mit Rahm und sehr viel Zucker angerührt. Dünne Eierkuchen werden mit übersüßen Fruchtsäften übergossen, und der Toast sowie die meist gleichfalls süßen Semmeln mit Fruchtgelees und Marmeladen bestrichen. Diese Vorliebe für den Genuß von Süßigkeiten von Tagesanbruch ab ist aber durchaus nicht etwa auf die Frauen und Kinder oder auf die wohlhabenden Klassen beschränkt, sondern sie ist ganz offenbar eine nationale Raserei.Es gibt in den Vereinigten Staaten keine Cafés im Wienerischen Sinne. Als ich daher einmal auf dem Broadway ein Wirtshausschild mit der Aufschrift „Coffeehouse“ erblickte, stürmte ich begeistert in das Lokal. Es war eine große reinliche Halle, die Diele mit Sand bestreut, ohne Tische und Stühle, nur den Wänden entlang zogen sich Holzbänke, die durch Zwischenwände in einzelne Sitze eingeteilt waren, und auf diesen trennenden Seitenwänden waren genügend breite, rund geschnittene Bretter angebracht, um eine Tasse und einen Teller daraufstellen zu können. Am Kopfende der Halle befand sich ein riesiges Buffet, auf dem die herrlichsten Kuchen und Torten aufgebaut waren, sowie zwei blitzblanke vernickelte Samovars für Tee und Kaffee. Das Publikum dieses eigenartigen Kaffeehauses bestand aber ausschließlich aus Droschkenkutschern, Chauffeuren,[pg 113]Messenger Boys, Policemen und Arbeitern. Keine Frau betrat das Lokal. Kaffee gab es reichlich und anständig, und den ganz vorzüglichen und für New-Yorker Verhältnisse sehr billigen Schaum- und Fruchttorten, Apfelkuchen mit Schlagrahm und Minced Pie sprach dieses robuste Mannsvolk mit dem Behagen schleckermäuliger Schuljungens zu.Icecream und Zahnarzt.Die eigentliche Nationalspeise ist keineswegs das Roastbeef oder der hochfestlicheTurkey(Puter), sondern derIcecream, das Gefrorene. Icecream wird Winters und Sommers von mittags bis Mitternacht verzehrt von Alt und Jung, von Hoch und Niedrig; Icecream besänftigt die ungebärdigen Säuglinge; Icecream gilt als Vorspeise, als Dessert, als Kompott sogar; er kehrt bei großen Diners mehrmals im Laufe der Speisenfolge als Zwischenaktsmusik wieder, er ersetzt den verpönten Alkohol und bewirkt, daß die Amerikaner sich der besten Zahnärzte der Welt erfreuen – denn das schroffe Durchsetzen siedheißer Suppen und glühender Breie mit Eiswasser und Icecream können selbst die besten Gebisse nicht vertragen. Der Schmelz springt ab, und die vom ewigen Zuckerschleimstrom umspülten, schutzlosen Zähne sind der Karies rettungslos preisgegeben. Infolgedessen hat jedermann fortwährend den Zahnarzt nötig, und man braucht sich nicht zu wundern, Kanalausräumer und schmierige Nigger mit so viel Gold im Munde zu sehen wie die köstlichste Maimorgenstunde.Tafelfreuden im Pensionat.Ich habe bereits im vorigen Kapitel darauf hingewiesen, wie durch den Mangel an Dienstpersonal die Küche und die Tafelgewohnheiten beeinflußt werden. Ich bemerkte, daß durch den Mangel an scharfen Messern mit schwer zu putzenden Stahlklingen ein Braten zu einer schwer zu bewältigenden Speise geworden sei.[pg 114]Folglich kommen gekochtes Rindfleisch, Schmorbraten, Sauerbraten, Kalbs- und Hammelsrücken oder Schlegel so gut wie gar nicht auf den Tisch. Das nationale angelsächsische blutrünstige Roastbeef, drüben jedoch nicht so, sondernPrime rib of Beefgenannt, muß man von der Gabel mittels des stumpfen Bronzemessers abzustemmen versuchen, wenn man nicht vorzieht, den ganzen Fladen in den Mund zu nehmen und mittels der Gabel oder der Finger durch die Zähne zu ziehen. Übrigens sind diese Ochsenrippenstücke neben den sehr üppigen und teuren Rinds- und Hammelsteaks das einzige gebratene Fleisch, welches wirklich schmackhaft zubereitet zu sein pflegt, während Kalbskoteletten und Schnitzel meistens ungenießbar sind. Als niedliches Kuriosum möchte ich erwähnen, daß ich einmal bei einem Sonntagsdiner Honig als Kompott zum Roastbeef angeboten bekam! Geflügel wird sehr viel mehr als bei uns gegessen. Es wird zu unwahrscheinlichen Dimensionen herangezüchtet. Ich habe Hennen gesehen, die so hoch waren wie ein Storch und so fett wie ein Mops; aber das Fleisch dieser abnorm großen Tiere ist dafür auch wenig zart, und die Keulen besonders bekommen einen ganz anderen Charakter als das Brustfleisch; es wird beim Braten braun und mürbe, während das weiße Fleisch trocken und charakterlos bleibt. Meistens wird einem aber der Genuß selbst eines wohlgeratenen jungen Hahns durch eine pappige, süßliche Mehltunke verkümmert. Da das Tellerabwaschen die Geduld des feinnervigen Küchenpersonals auf eine zu harte Probe stellen würde, so muß man sich, wenigstens in Haushaltungen bescheideren Stils, die ganze Mittags- oder Abendmahlzeit einschließlich des Kompotts auf ein und denselben Teller packen. In dem Boardinghouse bester Art, in dem wir in New-York wochenlang lebten,[pg 115]bestand die sonderbare Sitte, daß nach der Suppe warme Teller mit einem Kleckschen Fisch, etwa von Daumendicke und -länge, verabfolgt wurden, selbstverständlich in einer seimig-süßen Sauce versteckt. (Übrigens sind die Fische des Atlantischen Ozeans auf der amerikanischen Seite wenig schmackhaft; wirkliche Delikatessen findet man nur unter den Fluß- und Süßseefischen.) Nachdem der Fischbissen verschluckt, beziehungsweise mißtrauisch auf den hohen Rand geschoben war, wurde der ganze Tisch voll kleiner Platten gestellt: verschiedene Fleischsorten verwischten Charakters, unseren Klopsen, falschen Hasen, Bouletten, Rouladen und dergleichen ähnlich, in irgendeiner mehlweißen oder kapuzinerbraunen Schmiere halb versunken, das unvermeidliche Chicken, dazu verschiedene Gemüse, unter denen grüne Erbsen, Lima-Bohnen und Blumenkohl die genießbarsten, sowie Kartoffeln in mehrerlei Aufmachung, in der Schale im ganzen gebacken – man bricht sie auf und schält sie mit dem Teelöffel heraus; recht empfehlenswert – oder als Brei, oder kloßartig, oder gebraten. Niemals fehlen auf dem Tische die beliebtenSweet Potatoes, Gebilde von Gurkenausdehnung, vor denen ich Fremdlinge eindringlichst warnen möchte, denn sie sehen wie gezuckerte Glyzerinseife aus und schmecken leider auch so ähnlich.All diese Genußmittel, noch um diverse eingekochte Früchte vermehrt, arrangiert man sich nun nach Geschmack und Talent auf seinem Fischteller, und man kann von Glück sagen, wenn einem die Gräten nicht in die grünen Erbsen, das Kompott nicht in die ausgehöhlte Kartoffelpelle und die Hühnerknochen nicht in den falschen Hasen geraten. Echte Hasen gibt es überhaupt nicht. Der Ersatz dafür, und überhaupt das einzige einheimische Wild, ist das hasenfarbigeRabbit(Kaninchen), das die[pg 116]Natur da drüben aus Kautschuk verfertigt zu haben scheint – möglicherweise wird es aber auch aus Abfällen der Schuhfabrikation künstlich hergestellt. Alles übrige Wild haben die begeisterten Freischützen in den kultivierteren Staaten schon längst abgeschossen – bis auf die Ratten und die Klapperschlangen. Hat man die eßbaren Bestandteile der wüsten Speisenaufhäufung auf seinem Universalteller herausgefuttert, so bilden die Überbleibsel ein ästhetisch reizvolles Stilleben. Sind sie endlich entfernt, so erscheint als eiserner Bestand jedes amerikanischen Menüs sowohl im Hotel ersten Ranges, wie auf dem einfachsten bürgerlichen Mittagstisch der Salat, der niemals in einer Schüssel herumgereicht, sondern immer fertig auf winzigen flachen Tellerchen einem vorgesetzt wird. Mich wundert, daß noch kein Yankeedichter diesen Salat besungen hat, denn in ihm feiert die Phantasie des amerikanischen Kochkünstlers orgiastische Triumphe.Amerikanischer Salat.Ich glaube, es gibt in den drei Naturreichen nichts, was nicht in solch einem amerikanischen Salat zu finden wäre. Den Grundstock bilden ein bis drei große grüne Blätter, die nicht unbedingt der Salatstaude zu entstammen brauchen. Darauf werden einige Tropfen Essig und Öl geschüttet und auf dieser Unterlage ein mehr oder minder kühner Aufbau von allem möglichen und unmöglichen Süßem, Sauerem, Salzigem, Bitterem, Hartem, Weichem, Flüssigem, Genießbarem und Ungenießbarem vollzogen. In einem feinen Hause, in dem sich die Hausfrau selbst auf ihre Kochkunst viel zugute tat, wurde beispielsweise eine solche Salatdichtung mit außerordentlichem Beifall beehrt, deren Komposition ich dem Augenschein und der Zunge nach ungefähr folgendermaßen analysieren möchte: zwei Blätter Salat mit je fünf Tropfen Essig und Öl, darauf eine Scheibe frische Tomate, eine[pg 117]viertel Scheibe Ananas, etwas weißes Hühnerfleisch, einige Scheiben Radieschen, einige gepickelte Erbsen und Karotten, ein Klecks Butter, mit Streuzucker durchgerührt, ein Teelöffel Schokoladencream und eine Rumkirsche als Turmknopf oben drauf. Totaleindruck auf Zunge und Gaumen zauberhaft; schmeckt – wie mein Freund, der Rechtsanwalt in Landau, sagen würde – wie Öl und Werg! Diese kulinarische Offenbarung erfolgte aber, wie gesagt, in einem Hause, dessen Herrin ihren Xenophon in der Ursprache zu lesen vermochte. In minder gebildeten Familien ist man natürlich weniger wählerisch und verwendet zur Salatbereitung die nächstliegenden Gegenstände, also in erster Reihe die mehr oder minder traurigen Überreste früherer Mahlzeiten, soweit sie eßbaren Naturprodukten einigermaßen noch ähnlich sehen. Fehlt es aber zum Beispiel an gepickelten Spargelspitzen, so kann man dazu auch einen klein geschnittenen Spazierstock verwenden, da die Spazierstöcke drüben außer Mode gekommen sind, und statt der Fleischbeigaben die Reste in Gedanken stehen gebliebener Gummigaloschen, die die Trüffel täuschend ersetzen, zumal, wenn sie vorher in sauren Rahm eingelegt und dann mit braunem Zucker kandiert werden. Salat von Fischgräten, Kalmus und Bananen, mit roten Pfefferschoten und Knallerbsen garniert, soll auch sehr gut sein; ich habe ihn aber nicht gegessen, sondern nur nach einer besonders anregenden Mahlzeit – erträumt!Den Fruchttorten, die man an Stelle der Mehlspeisen zum Nachtisch reicht, wird regelmäßig ein derbes Stück Käse beigefügt; zu welchem Zwecke, weiß ich nicht. Als ich zum erstenmal diese Zusammenstellung erblickte, steckte ich den Käse instinktiv in die Westentasche; ich hielt ihn für ein Stück Radiergummi, den ich in meinem[pg 118]Geschäft immer brauchen kann. Befindet sich Obst auf dem Tische, so nehme man sich davon beizeiten und reichlich, fülle auch womöglich seinen Pompadour damit an, denn alles Obst ist in Amerika von ganz vorzüglicher Qualität – und man weiß ja nie, wie’s kommen mag! Was meine Person betrifft, so muß ich gestehen, daß ich mich während der ganzen Boardinghouse-Periode kümmerlich von Austern und Hummern genährt habe, denn die sind von unvergleichlicher Güte, Größe und Nahrhaftigkeit und nebenbei auch das einzige amerikanische Produkt, das man – neben Stiefeln – als billig bezeichnen kann. Europäer von noch nicht genügend fortgeschrittener Perversität möchte ich jedoch vor denClamswarnen, einer kleinen, lachsfarbenen Muschelart, deren penetranter Nachgeschmack einen besserenNeurasthenikerzum Selbstmord verführen könnte.Die raffinierten Schlemmer unter den Yankees sind übrigens sehr selten, und ihre Begierde wandelt andere Pfade wie die des europäischen Genießers. Im vornehmsten Hotel in Buffalo „Zum Irokesen“ sollte ich zum erstenmal die Bestimmung eines geheimnisvollen Utensils kennen lernen, das mir schon in vielen Hotels und Restaurants aufgefallen war: ein massives, etwa einen halben Meter hohes, zylindrisches Silbergerät mit einer oben herausragenden, durch einen derben Querbalken betätigten Schraube. Ein einsamer Speiser ließ sich an einem Nebentisch nieder, dessen Bestellung sogleich eine Menge Kellner in aufgeregte Bewegung versetzte. Offenbar war dieser wuchtige Geselle mit dem römischen Imperatorenkopf ein Genießer höherer Grade. Nach längerer Zeit brachte man eine große verdeckte silberne Schüssel, die auf ein Spiritusrechaud gestellt wurde. Zwei Kellner trugen dann jenen rätselhaften schweren Silbergegenstand herbei und schraubten dessen[pg 119]obere Hälfte ab. Darauf hob der Oberkellner mit feierlicher Miene den Deckel der Silberschüssel auf und spießte von den beiden darunter befindlichen, leicht angebratenen Vögeln (Enten waren es meiner Meinung nach) einen auf und pfropfte ihn mit Mühe in jenen Zylinder hinein, worauf das Oberteil wieder aufgesetzt und nunmehr die Schraube mit Anstrengung beider Hände betätigt wurde. Aus einer Ausflußöffnung am Boden des Gefäßes rann dickes, schwärzliches Blut in eine vorgehaltene Schale. Dieses Blut wurde mit allerlei Gewürzen angerührt und schließlich als Sauce über den anderen halb rohen Vogel gegossen. Dieses kannibalische Gericht verzehrte der Einsame mit dem Gleichmut eines Lukull. Ich erinnere mich nicht, ob er Tee dazu getrunken hat. Zu verwundern wäre es weiter nicht gewesen, da der Yankee auch die opulentesten Mahlzeiten mit Eiswasser, Tee oder Kaffee hinunter zu spülen pflegt.Billige Speisehäuser.Der Fremde, dessen Mittel nicht ausreichen, in erstklassigen Hotels und Restaurants zu speisen, und der sich mit der Yankeeküche gewöhnlichen Schlages nicht zu befreunden vermag, fährt am besten, wenn er sich in eines der zahlreichen, meist billigen und einfach gehaltene Speisehäuser begibt, die seine heimische Küche pflegen. Man kann in dem teuren New York, und wohl auch in den meisten der ganz großen Städte, französisch, deutsch, italienisch, griechisch, polnisch, ungarisch, chinesisch und koscher essen. Namentlich an guten, sehr billigen italienischen Lokalen, in denen es noch einen trinkbaren Wein gratis gibt, ist in New York wenigstens kein Mangel. Dagegen habe ich wienerische Speiserestaurants ebenso schmerzlich wie Wiener Cafés vermißt. Ich meine, hier wäre noch eine Kulturmission für die Einwanderer der österreichischen Kronländer zu erfüllen. Wenn ich[pg 120]drüben irgendwo ein Stück Rindfleisch mit Beilage, wie bei Meisl & Schaden, vorgesetzt bekommen hätte, ich hätte es knieend verzehrt und hernach stehend die österreichische Nationalhymne gesungen. Und die Einführung des Berliner Systems Kempinski, nämlich eine große Auswahl von Gerichten in tadelloser Qualität zu einem sehr billigen Einheitspreis zu geben, könnte eine Revolution des Ernährungswesens drüben hervorbringen. Bis dahin muß der deutsche andachtsvolle Genießer mit heißer Liebe seine wohlhabenden Landsleute umbuhlen, denn es sind drüben fast allein die Deutschen, die den Schwerpunkt ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes auf eine gute Tafel im heimatlichen Stil verlegen.Das Volk der Kauer.Beim richtigen Yankee scheinen es übrigens nicht die Geschmackswarzen zu sein, welche ihm den Genuß beim Essen vermitteln, sondern vielmehr die Kinnbacken und die Speicheldrüsen. Das Kauen und das Schlucken an sich macht diese einfachen Naturkinder glücklich. Wer zum erstenmal nach den Vereinigten Staaten kommt, kann sich nicht genug darüber wundern, hier einem Volke von Wiederkäuern zu begegnen. In der Straßenbahn, in den Geschäften, in den Vergnügungslokalen wie auf der Straße sind die Kauwerkzeuge dieser seltsamen Nation in unausgesetzter Bewegung, und ein Widerschein von Zufriedenheit überstrahlt von dieser Kinnbackenbetätigung aus die Gesichter. Junge hübsche Ladnerinnen kauen, wenn sie mittags zum Lunch gehen und wenn sie vom Lunch ins Geschäft zurückkehren. Die Soldaten kauen beim Exerzieren; sie würden sicher auch kauend ihre Schlachten schlagen. Der gesetzte junge Mann mit ernsten Absichten kaut, wenn er seine Liebeserklärung macht, und seine Erwählte erwidert errötend: „Mum mum mum – tschap tschap, sprechen Sie mit Mama.“ Und der[pg 121]gewaltige, 125 Kilo schwere Schutzmann rennt kauend dem Dieb nach und packt ihn beim Kragen mit dem Ausruf: „Dscham dscham – ich verhafte Sie – mum mum – im Namen des Gesetzes!“ Ein Stückchen gezuckerter Gummi (Chewing Gum) zwischen die Backzähne geschoben, beglückt alle diese Leute wie den Seemann sein Priemchen und wiegt sie in die freundliche Täuschung ein, in der besten aller Welten zu leben. Wäre Cartesius als Yankee zur Welt gekommen, er hätte sicher sein berühmtes „cogito ergo sum“ abgewandelt in: „Ich kaue, folglich bin ich.“

[pg 94]Die Dienstbotenfrage.Der schwarze Fensterputzer.Straßendemonstrationen.Es war in Philadelphia. Mir gegenüber im zweiten Stockwerk eines netten, epheuumrankten Familienhauses war ein junger Nigger mit Fensterputzen beschäftigt. Bekanntlich gibt es in Amerika keine Flügelfenster, sondern ausschließlich jene greulichen englischen Schiebefenster, welche ein behagliches Hinausschauen, ein geschwindes Kopfherausstrecken nach einer rasch vorüber brausenden Straßensensation fast unmöglich machen. Denn die Fenster sind fast durchweg so niedrig über dem Fußboden angebracht, daß die bewegliche untere Hälfte einem ausgewachsenen Menschen kaum bis zur Brusthöhe reicht. Wenn man also hinausschauen will, so muß man, um nicht etwa das Übergewicht zu verlieren und kopfüber hinauszupurzeln, schon auf den Boden hinknien und seinen Hals, auf die Gefahr hin, bei etwaigem schlechten Funktionieren der Sperrfedern geköpft zu werden, unter die gläserne Guillotine stecken. Mein Nigger hatte es sich im Reitsitz auf dem Fensterbrett gemütlich gemacht; das eine Bein hing auf die Straße hinaus, obwohl es empfindlich kalt an diesem sonnigen Januartage war. Während er sein Handwerkszeug, Schwamm, Trockentuch und Lederlappen, bedächtig auf dem Fensterbrett zurecht legte, pfiff er sich eins, blickte die schmale Seitenstraße hinunter und die breite Avenue hinauf (denn es war ein Eckhaus). Da doch vorläufig nichts Besonderes zu sehen war, so stellte er sein Pfeifen ein und schaute mit sorgenvoll gerunzelter Stirn aufwärts. Er dachte offenbar angestrengt über das[pg 95]Problem nach, wie er wohl, ohne sein kostbares Leben zu gefährden, d. h. auf dem Fensterbrett stehend, mit dem Oberkörper rückwärts hinausgelehnt und nur mit einer Hand am Fensterrahmen in der Mitte sich festklammernd, die obere Scheibe von außen reinigen könnte. Da er zu diesem waghalsigen Turnerstückchen sich nicht aufgelegt fühlte, so schüttelte er seinen dicken Wollkopf und versuchte, wie weit er mit ausgestreckter Hand über sich emporreichen könnte. Die Fingerspitzen langten nur gerade ein weniges über die mittlere Rahmenleiste hinaus; das genügte ihm aber vorläufig. Er ergriff seinen Lappen und wischte am äußeren unteren Rande der Mittelleiste ein wenig Staub hinweg. Darauf erhob er sich und befummelte im Stehen die innere Seite des hinaufgeschobenen Fensters. Er ließ sich sehr reichlich Zeit hierzu, ohne deswegen jedoch die Sache gar zu ernst zu nehmen. Als die innere obere Scheibe seiner Meinung nach genügend sauber war, nahm er wieder auf dem Fensterbrett Platz und ließ sein linkes Bein, dessen zierliches Plattfüßchen mit einem riesigen Footballstiefel bekleidet war, wieder ins Freie baumeln. Nachdem er eine ganze Weile untätig vor sich hingeträumt hatte, unternahm er den Versuch, die innere Fensterhälfte herunterzuziehen, um nunmehr das Glas von außen zu bearbeiten. Es dauerte sehr lange, bis es ihm gelang, das Fenster aus seiner Ruhelage zu bringen, und als er es endlich glücklich los hatte und nun versuchte, die schwere Glasscheibe auf seinem rechten Knie so zu stützen, daß ein genügend großer Spalt offen blieb, um ihm das Hantieren im Sitzen zu gestatten, fand er alsbald, daß er sich dadurch in eine höchst unbequeme Lage begeben und besonders seinem zarten Kniechen zu viel zugemutet habe. Er schob also stöhnend und schnaufend die Scheibe wieder hinauf, wischte sich[pg 96]mit dem Ärmel über den Schädel und fletschte zornig sein anmutiges „G’frieß“ gegen die Scheibe hinauf – gerade wie es die Kinder machen, wenn sie mit der Kommode böse sind, an der sie sich gestoßen haben. Plötzlich verklärte sich seine intelligente Schimpansenphysiognomie. In der Ferne ließ sich Militärmusik vernehmen. Bum, bum, tschindara! Master Kinkywoolly wurde ganz Ohr und ganz Seligkeit. Er beugte sich so weit hinaus wie möglich und spähte die breite Hauptstraße hinunter. Etwas ganz besonders Herzerhebendes mußte da los sein, denn mein Nigger klatschte begeistert in die Hände und zeigte, seine zierliche Fresse weit aufreißend, die lachenden Zähne im Leckermaul. Ich schob nun gleichfalls mein Fenster hoch, kniete auf den Boden nieder und reckte den Hals hinaus, um mir den seltenen Anblick eines militärischen Aufzuges nicht entgehen zu lassen. Aber es war ganz etwas anderes, was ich zu sehen bekam, etwas ganz spezifisch Amerikanisches. Gassenbuben und Strolche vorweg, dann eine uniformierte Kapelle und dann in Rotten zu vieren ein schlotteriger Parademarsch, inszeniert von einem politischen Boß und ausgeführt von einer Elitetruppe seiner Parteifreunde. Lauter freie Republikaner gesetzten Alters, wohl genährt, sauber und glatt rasiert, alle mit den gleichen gelben Gamaschen, denselben Schlipsen, denselben Hüten und denselben Bambusstöcken mit vernickelten Griffen, die sie wie die Gewehre aufrecht an die Schulter gedrückt trugen, wie ehemals unser Militär bei dem Griff „faßt das Gewehr an“. Ein gerade zu Besuch anwesender Eingeborener erklärte mir, daß die Parteikasse die Ausrüstung an Gamaschen, Schlipsen, Hüten und Spazierstöcken stelle und diese öffentlichen Umzüge ansehnlicher, sichtbarlich satter und zufriedener Mitbürger von Zeit zu Zeit ver[pg 97]anstalte, um dem Publikum zu beweisen, wie gut es sich unter den Fittichen ihrer Partei leben lasse. Ein unerhört fetter schwarzer Schutzmann, der an der Straßenkreuzung postiert war, führte vor Vergnügen über diesen gelungenen Aufzug einen veritablen Cakewalk nach dem munteren Rhythmus der Musik aus, und mein Fenster putzendes Niggerlein jauchzte vor Vergnügen über solchen grotesken Anblick und bewegte sich im Takte der Musik, als ob er ein tanzendes Zirkuspferd zwischen den Schenkeln hätte. Offenbar gehörten der cancanierende Schutzmann und der reitende Fensterputzer gleichfalls der Partei der Demonstranten an und fühlten sich durch den erhebenden Parademarsch ihrer Vertrauensmänner in ihren patriotischen Gefühlen angenehm gekitzelt. – Bis der letzte Hauch der Blechmusik verklungen war, dachte selbstverständlich der farbige Jüngling gegenüber nicht daran, sein Fenster wieder vorzunehmen. Dann aber griff er tief aufseufzend wieder zum Wischtuch und hielt es nachdenklich in der Hand, während seine schwarzen Sammetaugen sich bekümmert an den dummen Fensterrahmen hefteten, der so gar keine Miene machte, von selber zu ihm herunter zu kommen. Plötzlich kam wieder Leben in die schier erstarrte Gestalt. Master Kinkywoolly drehte den Kopf über die Schulter und äugte höchst gespannt die Avenue hinauf. – Wahrhaftig, noch eine Parade! Mehrere Dutzend Geistliche der Stadt, paarweise nebeneinander in schwarzen Talaren. Und statt der Bambusrohre mit Nickelknöpfen schulterten sie ihre Regenschirme. Die schwarzen Herren waren auf dem Wege zum Oberbürgermeister, um feierlich bei ihm vorstellig zu werden, daß er die fromme Quäkerstadt beschützen möge vor dem Satansgreuel der Salome von Richard Strauß, deren Aufführung in Philadelphia eine[pg 98]fremde Operntruppe angekündigt hatte. Es wäre eigentlich passend gewesen, daß der fette schwarze Schutzmann an der Straßenkreuzung bei dieser Gelegenheit den Tanz der sieben Schleier aufgeführt hätte. Aber er schien zu Richard Strauß und seiner Kunst noch nicht Stellung genommen zu haben, denn er ließ die Parade ohne sichtliche Gemütsbewegung vorüberziehen und sorgte nur dafür, den Wagenverkehr derweil zu bändigen. – Mein Fensterputzer stierte blöd der schwarzen Prozession nach, bis sie um die Ecke verschwunden war; dann führte er mit seinem kalt gewordenen Spielbein einige Freiübungen aus und war eben dabei, tatsächlich seinen Schwamm ins Wasserbecken zu tauchen, um vielleicht doch den Versuch einer flüchtigen Wäsche von außen zu wagen, als es vom nächsten Kirchturm zwölf schlug. Der Schwamm flog ins Becken, das Bein über das Fensterbrett und der schwarze Jüngling davon zum schwer verdienten Lunch. Ich vermute, daß er am nächsten Ersten um eine Lohnerhöhung eingekommen ist.Pflichten und Rechte des Dienstpersonals.Das Beispiel dieses schwarzen Fensterputzers dürfte einigermaßen typisch sein für den Eifer, mit dem häusliche Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten verrichtet werden. Gewiß arbeitet ein frisch von Europa eingewandertes Hausmädchen fleißiger und gründlicher, dafür ist es aber auch sehr viel anmaßender und sehr viel schwieriger zu behandeln als der Niggerboy, der doch wenigstens freundlich grinst und danke sagt, wenn er ein Trinkgeld kriegt. Ja, die Dienstbotennot ist wirklich die Frage aller Fragen, nicht nur für die Hausfrau des amerikanischen Mittelstandes. Die ganz reichen Leute freilich leisten sich einen englischenButler(Haushofmeister), einen französischenValet de chambre, einen italienischen Koch, einige griechische Lakaien von klassi[pg 99]scher Gesichtsbildung und unbezahlbarer Frechheit und etliche appetitliche irische Mädchen. Für Geld, d. h. für sehr viel Geld ist natürlich auch eine aristokratisch luxuriöse, gut gedrillte Dienerschaft in den Vereinigten Staaten zu haben; aber die Leute von mittlerem und kleinem Vermögen, also von einem Einkommen, wie es hier unsere armen Schlucker von Regierungspräsidenten, Generalmajoren, Oberpostdirektoren und beliebten Schriftsteller besitzen, können sich eine perfekte Köchin und noch ein tüchtiges Stubenmädchen dabei schwerlich leisten. Denn eine Köchin, die etwas Eßbares zu kochen imstande ist, dürfte unter 100 Mk. Monatslohn nicht zu haben sein, und 10 Dollars muß man sogar für einen frisch importierten, unerprobten Besen schon anlegen. Sind diese Damen bereits ein paar Monate im Lande, so daß sie sowohl von der Sprache wie von dem Wesen ihrer staatsbürgerlichen Rechte einigen Begriff haben, so machen sie mit ihrer Herrschaft einen Vertrag mit zahlreichen Paragraphen, welche genau ihre Pflichten und Rechte festlegen. Darin ist bestimmt, daß sie außer dem Sonntag, an welchem sie nur morgens die Schlafzimmer aufzuräumen haben, noch an einem Wochentag ausgehen, ferner dasParlor(Wohnzimmer) bei Besuchen ihrer Freunde und Verwandte mitbenutzen und selbstverständlich ohne Kündigung abziehen dürfen, sobald es ihnen beliebt. Irgendwelche schwere oder schmutzige Arbeit verrichten diese Damen grundsätzlich nicht, dazu müssen extra Nigger, Chinesen, Polacken oder dergleichen Kroppzeug gehalten werden. Verlangt die Hausfrau irgendwelchen Dienst von ihnen, der nicht kontraktlich stipuliert oder landesüblich einbegriffen ist, so entgegnet ihr das Fräulein achselzuckend: „That’s not my business, Ma’m“ – und fertig. Ein Mädchen, das für die Küche[pg 100]angestellt ist, wird beispielsweise um keinen Preis dem Hausherrn einen Knopf annähen; und ein Hausmädchen wird sich auch im Falle der höchsten Not schwerlich herbei lassen, ein Kind aufs Töpfchen zu setzen. Einer geborenen Amerikanerin zumuten zu wollen, die Stiefel zu putzen, wäre ungefähr gleichbedeutend mit schwerer körperlicher Mißhandlung. Eine junge deutsche Dame, die einen amerikanischen Landsmann geheiratet hatte, erzählte mir, daß sie, um den Schwierigkeiten der Dienstbotenwirtschaft zu entgehen, sich eine alte, treu anhängliche Dienerin mitgebracht habe, die schon 14 Jahre in der Familie gewesen war. Nach drei Wochen bereits habe sie ihr die Stiefelbürste vor die Füße geworfen und erklärt, daß sie sofort heimreisen werde, wenn ihr solche entwürdigende Zumutung noch länger gestellt würde. An einer Frauenuniversität, an der ich eine Vorlesung gehalten hatte, wurde mir das einzige für männliche Gäste reservierte Zimmer zum Übernachten angewiesen, in welchem der Herr Bischof untergebracht zu werden pflegte, wenn er zur Kirchenvisitation kam. Ich entdeckte im Badezimmer ein schön poliertes Mahagonikästchen, und als ich es neugierig öffnete, fand ich darin ein komplettes Wichszeug vor. Der Herr Bischof mußte sich also auch höchst eigenhändig seine Stiefel putzen, da es im Gebiete der Damenuniversität natürlich keinen öffentlichen Wichsier gab. Daß gerade gegen die ehrenhafte Betätigung des Stiefelputzens ein solches Vorurteil besteht, ist um so merkwürdiger, als der freie Amerikaner niederen Standes es sonst durchaus nicht für unter seiner Würde hält, seine Karriere als Inhaber eines Straßenwichsstandes zu beginnen und als nicht wenige der heutigen Multimillionäre in diesem Geschäft den Grundstock ihres Vermögens legten![pg 101]Karriere besserer Dienstmädchen.Deutsche Dienstmädchen gibt es schon lange kaum mehr; die meisten der Damen, die so anfingen, fahren heute in ihrem eignen Auto spazieren. Denn wenn sie auch nur eine Ahnung von der edlen Kochkunst hatten und einigermaßen nett anzusehen waren, wurden sie mit Wonne von besser situierten Landsleuten geheiratet. Auch die einstmals als Hausmädchen besonders beliebten Irinnen trifft man heute höchstens noch in sehr vornehmen Hotels in dieser Stellung an. Im Westen soll es noch schlimmer sein als im Osten. In San Franzisco verdient ein Maurer 7 $, also gegen 30 Mk. pro Tag! Selbstverständlich denken seine Töchter nicht daran, in Dienst zu gehen, auch nicht in die Fabrik. Sie spielen lieber Klavier und gehen in echten Ponypelzen spazieren. Gegenwärtig sind Ungarinnen besonders gefragt, und wer eine solche dralle, hochgestiefelte Pußtadirne nicht erschwingen kann, der nimmt mit einer Kroatin, Slowakin, Ruthenin oder dergleichen vorlieb. Wer aber dem ewigen Ärger und der ewigen Angst, ob er morgen noch auf die Unterstützung seiner Perle zu rechnen oder abermals den Gang aufs Mietsbureau anzutreten haben werde, seiner Konstitution nicht zutraut, oder als echter Demokrat zu feinfühlig ist, um Menschen seinesgleichen, freie Mitbürger in unwürdiger Abhängigkeit zu erhalten, der verzichtet überhaupt auf häusliche Dienstboten. Und zu diesen vernünftigen Leuten gehören fast alle Männer, die das Glück hatten, eine Frau zu erwischen, die von Küche und Haushalt etwas versteht, und der eine rege Betätigung im eignen Heim mehr Freude macht, als das fade Gesellschaftsleben und die Hetze von Verein zu Verein, von Vergnügen zu Vergnügen.Der Professor als Mädchen für Alles.An einem sonnigen Sonntagvormittag traf ich beim Spaziergang durch eine der reizenden ländlichen Uni[pg 102]versitäten des Nordens eine meiner neuen Bekanntschaften von einem Diner am vorhergehenden Abend. Es war ein hochgewachsener, schlanker junger Herr in den Dreißigern, der in einen höchst eleganten Sealskinpelz gehüllt, einen glänzend gebügelten Zylinderhut auf dem Kopf und eine edle Havanna mit goldfunkelnder Leibbinde zwischen den kostbar plombierten Zähnen – einen eleganten Kinderwagen mit Inhalt vor sich herschob! Lebhaftes Interesse für seinen glücklicherweise schlummernden Sprößling heuchelnd, begrüßte ich den Herrn Professor. Er mochte mir wohl anmerken, daß mir begriffsstutzigen Europäer seine väterliche Betätigung in diesem Aufzuge etwas sonderbar vorkomme und erklärte mir aus freien Stücken den Zusammenhang. „Look here“, sagte er, „wir sind jung verheiratet, wir haben nur ein kleines Haus und ein kleines Einkommen; wir können uns keine Dienstboten halten – außerdem ziehen wir es vor, in unserer zärtlichen jungen Ehe unbeaufsichtigt zu bleiben und wollen uns nicht den halben Tag den Kopf darüber zerbrechen, wie wir aus unserer Mary oder Jane die größtmögliche Arbeitsleistung herausziehen könnten, ohne ihrer Empfindlichkeit als Mitbürgerin zu nahe zu treten. Wir haben nur eine alte Negerin zur Hilfe, die vormittags zwei Stunden die gröblichere Arbeit verrichtet, und einen Mann, der alle Wochen einmal die Asche aus dem Zentralfeuerloch im Keller ausräumt und die Müllkasten vor die Tür stellt; alles andere besorgen wir selbst. Sehen Sie, heute früh z. B. habe ich zunächst, wie alle Tage, das Feuer in der Zentralheizung geschürt und Kohlen nachgefüllt, dann habe ich Kaffee gekocht, da meine Frau nicht ganz wohl ist, und das Frühstück für uns beide hergerichtet. Dann habe ich, weil es in der Nacht lustig geschneit hat, vor unserer[pg 103]Haustür und auf dem Trottoir Schnee geschippt und darauf mich wieder in einen Gentleman verwandelt. Da es darüber für die Kirche zu spät geworden war, habe ich vorgezogen, meine Sonntagsandacht in Gesellschaft meines vorläufig einzigen Sohnes durch ein edles Rauchopfer im Sonnenschein zu verrichten. Zum Luncheon behelfen wir uns mit kalter Küche, und wenn meiner Frau bis abends nicht besser wird, so nehme ich mein Dinner im Klub, nachdem ich ihr eine Suppe gekocht und eine Konservenbüchse gewärmt habe. Vor dem Schlafengehen schütte ich dann noch einmal im Keller Kohlen auf die Heizung, und damit habe ich alles getan, was die Haushaltungsmaschine braucht, um regelrecht zu funktionieren.“„Sehr schön,“ sagte ich in ehrlicher Anerkennung. „Aber das nimmt Ihnen doch sehr viel Zeit weg. Und wenn Sie nun früh morgens eine Vorlesung haben, was machen Sie dann?“„Well, dann stehe ich eben eine Stunde früher auf,“ lachte er vergnügt, „und gehe abends eine Stunde früher ins Bett. Das ist sehr gesund. Ich habe immer acht Stunden guten Schlaf, und wenn die Frau wohlauf ist, kostet mich mein Anteil an der Hausarbeit kaum mehr als eine Stunde am Tag. Wir haben es noch nie bereut, die Wirtschaft mit den Dienstboten überhaupt erst gar nicht probiert zu haben. Und dabei brauchen wir noch nicht einmal auf Geselligkeit im Hause zu verzichten. Wie haben schon einmal 50 Leute eingeladen gehabt.“„Nicht möglich! Wie haben Sie denn das angestellt?“„O, sehr einfach. Wir besitzen Service für 12 Personen, also waren wir 12 Personen zum Lunch. Natürlich haben wir kein Eßzimmer, in dem 12 Personen bei Tische sitzen könnten, es mußte sich also jeder setzen,[pg 104]wo er gerade Platz fand. Dann kriegte jeder einen Teller, eine Serviette und ein Besteck, und darauf wurden die Schüsseln, eine nach der anderen, herumgereicht – alles auf denselben Teller. Bei einigem guten Willen geht es schon, und meine Frau kann wirklich kochen. Natürlich hatten wir dabei Hilfe, aber nicht etwa bezahlte Mädchen, sondern zwei meiner Studentinnen; die machen das viel intelligenter und netter. Nach dem Essen kamen dann die übrigen 38 Personen – die wurden aber nur mit geistigen Genüssen traktiert. Ich las ihnen etwas vor, und eine meiner akademischen Aushilfskellnerinnen spielte, von meiner Frau begleitet, einige Flötensolos. Außerdem konnten wir sogar noch mit der berühmtesten Schönheit von Pawtucket, Connecticut, die sich gerade auf der Durchreise befand, aufwarten!“ – –Und so wie dieser junge Professor halten es die meisten vernünftigen Amerikaner von ähnlicher gesellschaftlicher Position und Vermögenslage. Wir waren einmal bei der Dekanin einer Frauenuniversität zu einem intimen Diner geladen. Während des Essens stieß mich meine Frau unter dem Tisch mit dem Fuße und richtete meine Aufmerksamkeit durch ihre Blicke auf die bedienende Maid, die in ihrem weißen Kleid, mit dem weißen getollten Häubchen auf dem üppigen Blondhaar allerdings eine Sehenswürdigkeit darstellte. Wir drückten der Gastgeberin erst auf Deutsch, und als dies durch warnendes Räuspern abgelehnt wurde, auf Französisch, dann auf Italienisch unsere Bewunderung für dieses nicht nur ungewöhnlich hübsche, sondern auch ungewöhnlich intelligent aussehende Hausmädchen aus. Da aber fing die ganze Gesellschaft zu kichern an, und die schöne Blondine bekam einen roten Kopf und hastete in größter Verlegenheit hinaus. Und nun wurde uns anvertraut, daß[pg 105]dieses reizende Servierfräulein eine junge akademische Kollegin von Fräulein Professor sei, nämlich – die Privatdozentin für Sanskrit!Demokratischer Stolz.Unstetigkeit des Handwerks.Das Merkwürdige an diesem kleinen Erlebnis soll nun nicht so sehr der Umstand sein, daß es in der neuen Welt bereits Privatdozentinnen für Sanskrit gibt, welche obendrein auch noch sehr hübsch sind, als vielmehr, daß in diesem angeblich so freien und vorurteilslosen Lande zwar die gebildeten Menschen keinerlei notwendige Arbeit scheuen und sich in der liebenswürdigsten Weise gegenseitig in ihren häuslichen Schwierigkeiten aushelfen, während gerade die untersten, auf körperliche Arbeit angewiesenen Stände die Lohnarbeit im Hause geradezu als eine Schande anzusehen scheinen. Obwohl es in dem Lande, wo die Dienstboten so hoch entlohnt werden wie nirgends in der Welt und mit zarter Rücksicht wie die rohen Eier behandelt werden müssen, damit sie nicht gleich wieder fortlaufen, keifende Hausdrachen und grob anschnauzende Hausherrn wie bei uns wohl überhaupt nicht geben dürfte, ziehen doch die Mädchen die unangenehmste Arbeit in der Fabrik, den anstrengenden Laden- und Bureaudienst dem bequemen Schlaraffenleben als Haushaltsangestellte vor. Gehorchen zu sollen ist eben für den Amerikaner die furchtbarste Zumutung, die man ihm stellen kann. Er dient nur so lange, wie er es absolut nötig hat. Sobald er sich ein paar Dollar zurückgelegt hat, sucht er sich selbständig zu machen. Bei dem elenden Dasein eines kleinen Handelsmannes, der auf der Straße Ansichtspostkarten, Popcorn oder Kaugummi verkauft, fühlt er sich zehnmal stolzer und zufriedener, als in der bequemsten häuslichen Stellung, in der er sich einem fremden Willen unterzuordnen hat. Es kommt noch dazu, daß dem Bürger der Neuen Welt[pg 106]nicht nur jedes Gefühl für die Schönheit und Würde des sich Einfügens in ein patriarchalisches Abhängigkeitsverhältnis von Herr und Knecht, von Meister und Geselle, sondern auch jeglicher Zunftstolz abgeht, jegliche Liebe zu dem Handwerk etwa, in das einer hinein geboren oder für das einer bei uns erzogen wird. Im Grunde genommen sind die Menschen drüben alle Spieler und Glücksritter. Sie ergreifen ohne langes Besinnen, was sich ihnen gerade bietet, und treiben es nur so lange –until a better job turns up–, bis sich eine bessere Sache bietet. Jeder junge Mensch drüben fühlt sich einfach zu allem berufen. Wenn er heute aus Hunger zugreifen und sich in den weißen Anzug eines New Yorker Straßenkehrers stecken lassen müßte, so zweifelte er darum doch keinen Augenblick daran, daß er berufen sein könnte, übers Jahr bereits Teilhaber einer Minenausbeutungsgesellschaft in Oklahama zu sein und auf der Höhe seines Lebens in den Senatspalast von Washington einzuziehen. Es ist eigentlich niemand etwas Gewisses in diesem Lande; selbst bei meinem Kollegen, dem erfolgreichen Dramatiker, bin ich nicht sicher, ob er nicht übers Jahr Flugmaschinen fabriziert oder Truthähne en gros züchtet. Daher kommt es, daß auf dem Gebiete der persönlichen Dienstleistungen und des handwerklichen Betriebs keine fachmännische Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit existiert. In Madison (Wisconsin) ließ ich mir einen zerbrochenen Zeiger an meiner Uhr durch einen neuen ersetzen. Als ich nach Hause kam, stellte sich heraus, daß der neue Zeiger sich absolut nicht bewegte. Der angebliche Uhrmacher, der ihn eingesetzt hatte, war vermutlich vorgestern noch Verkäufer in einer geräucherten Fischwarenhandlung gewesen. In New York wollte ich mir eine Kleinigkeit an einem silbernen Stockgriff löten lassen.[pg 107]Man schickte mich von Pontius zu Pilatus über fünf Instanzen hinweg; endlich, in einer Silberwarenfabrik, erbot sich der Besitzer nach vielen Bedenklichkeiten und Hin- und Herreden über Wetter und Politik, einen seiner Arbeiter zu ersuchen, die Kleinigkeit zu besorgen. Ich bekam auch wirklich schon nach ein paar Minuten meinen Stock zurück. Der äußerst geschickte Silberarbeiter hatte das losgelöste Monogramm allerdings mit dem Lötrohr befestigt, dabei aber den oberen Rand des Stockes zu Kohle verbrannt. Und als ich mit dem reparierten Gegenstand daheim anlangte, mußte ich die Entdeckung machen, daß das Monogramm endgültig verloren war, nachdem es 14 Tage lang doch wenigstens noch an einem Faden gehangen hatte. Man gibt sich eben in diesemgroßenLande nicht gerne mit Kleinigkeiten ab. Was mit der Maschine nicht gemacht werden kann, das wird schlecht oder gar nicht gemacht, weil der Amerikaner seine Menschenwürde so überaus hoch einschätzt, daß er die Handarbeit und gar das persönliche Dienstverhältnis verachtet. Darum strengt er auch seinen hellen Verstand auf das äußerste an, um immer mehr notwendige Verrichtungen durch die Maschine besorgen zu lassen und die unumgänglichen Handarbeiten tunlichst zu vereinfachen. Weil die Dienstboten so rar, so teuer und so überaus bequem sind, lieben sie z. B. das Messerputzen durchaus nicht, folglich hat man fast ausschließlich Messer von Bronze in Gebrauch genommen, mit denen man zwar nicht schneiden kann, die dafür aber auch durch einfaches Durchziehen durch heißes Wasser und Abtrocknen zu säubern sind. Da es nun aber Messer mit einer scharfen Schneide nicht gibt, so kann es selbstverständlich auch keinen Braten geben. Das Roastbeef und das Geflügel macht man durch Zerreißen[pg 108]zwischen Gabel und Messer einigermaßen mundgerecht. Im allgemeinen aber richtet man die Speisen lieber gleich in einer breiförmigen Gestalt her, sodaß sie nur einfach in den aufgesperrten Rachen hineingeschaufelt zu werden brauchen; man spart damit auch viel kostbare Zeit.Vorläufig findet ja noch ein starker Zustrom von slawischen, südeuropäischen und westasiatischen Völkerschaften statt. So lange diesen noch nicht der Knopf aufgegangen ist, d. h. so lange sie sich ihrer Bedeutung als selbstherrliche Bürger der glorreichsten Republik der Welt nicht bewußt sind, geben sie sich ja noch teils aus Hunger, teils aus angeborener Knechtseligkeit zu Kellnern, Hausmädchen und dergl. her. Aber, wie gesagt, immer nur bis der bessere „Job“ auftaucht, dann gesellen sie sich alsbald der stolzen Klasse der selbständigen Unternehmer zu. Wenn nun aber einmal das Land voll ist, so daß es seine Tore vor den Einwanderern zusperren muß – wer soll dann all die häusliche und sonstige, niemals völlig aus der Welt zu schaffende Handarbeit verrichten? Ich legte diese kniffliche Frage auch meinem hochverehrten Gastfreunde in Ithaka, Andrew D. White, dem früheren Botschafter in Berlin, vor. Er wiegte bedenklich seinen schönen weißen Gelehrtenkopf, und dann gab er mir verschmitzt lächelnd zur Antwort: „Ja, sehen Sie, wir Amerikaner sind eben Optimisten. Wir sagen: es ist noch immer gegangen, und dies wird auch gehen, so oder so. Warum sollen wir uns die Köpfe unserer Enkel zerbrechen?“Schwierige Frage an die Zukunft.Hm! allerdings – man hat schon Bronzemesser eingeführt und auf Braten verzichtet; man kann sich ja das Bett, das man jetzt schon allgemein abends selber aufdecken muß, auch morgens selber machen; man kann auch seine Frau hinten zuknöpfen, ohne an seiner Mannes[pg 109]ehre Schaden zu leiden, aber man kann schließlich doch nicht auf Wohnen, Schlafen, Essen, Kinderkriegen und Sterben im eignen Heim gänzlich und unter allenUmständenverzichten. Und alle diese Notwendigkeiten setzen doch wenigstens unter gewissen Verhältnissen die Hilfe von Leuten voraus, die nicht gerade akademische Bildung oder ein Scheckkonto auf der Bank zu besitzen brauchen. Wo sollen die herkommen, wenn alle Amerikaner erst einmal selbständige Unternehmer geworden sind?Ich muß gestehen, mein beschränktes Europäergehirn ist, so oft es über diese Frage nachgedacht hat, schließlich immer wieder zu demselben Schluß gekommen:Die selbstlosen Idealisten der Vereinigten Staaten haben die Sklaverei mindestens 100 Jahre zu früh aufgehoben!

Der schwarze Fensterputzer.Straßendemonstrationen.

Der schwarze Fensterputzer.Straßendemonstrationen.

Es war in Philadelphia. Mir gegenüber im zweiten Stockwerk eines netten, epheuumrankten Familienhauses war ein junger Nigger mit Fensterputzen beschäftigt. Bekanntlich gibt es in Amerika keine Flügelfenster, sondern ausschließlich jene greulichen englischen Schiebefenster, welche ein behagliches Hinausschauen, ein geschwindes Kopfherausstrecken nach einer rasch vorüber brausenden Straßensensation fast unmöglich machen. Denn die Fenster sind fast durchweg so niedrig über dem Fußboden angebracht, daß die bewegliche untere Hälfte einem ausgewachsenen Menschen kaum bis zur Brusthöhe reicht. Wenn man also hinausschauen will, so muß man, um nicht etwa das Übergewicht zu verlieren und kopfüber hinauszupurzeln, schon auf den Boden hinknien und seinen Hals, auf die Gefahr hin, bei etwaigem schlechten Funktionieren der Sperrfedern geköpft zu werden, unter die gläserne Guillotine stecken. Mein Nigger hatte es sich im Reitsitz auf dem Fensterbrett gemütlich gemacht; das eine Bein hing auf die Straße hinaus, obwohl es empfindlich kalt an diesem sonnigen Januartage war. Während er sein Handwerkszeug, Schwamm, Trockentuch und Lederlappen, bedächtig auf dem Fensterbrett zurecht legte, pfiff er sich eins, blickte die schmale Seitenstraße hinunter und die breite Avenue hinauf (denn es war ein Eckhaus). Da doch vorläufig nichts Besonderes zu sehen war, so stellte er sein Pfeifen ein und schaute mit sorgenvoll gerunzelter Stirn aufwärts. Er dachte offenbar angestrengt über das[pg 95]Problem nach, wie er wohl, ohne sein kostbares Leben zu gefährden, d. h. auf dem Fensterbrett stehend, mit dem Oberkörper rückwärts hinausgelehnt und nur mit einer Hand am Fensterrahmen in der Mitte sich festklammernd, die obere Scheibe von außen reinigen könnte. Da er zu diesem waghalsigen Turnerstückchen sich nicht aufgelegt fühlte, so schüttelte er seinen dicken Wollkopf und versuchte, wie weit er mit ausgestreckter Hand über sich emporreichen könnte. Die Fingerspitzen langten nur gerade ein weniges über die mittlere Rahmenleiste hinaus; das genügte ihm aber vorläufig. Er ergriff seinen Lappen und wischte am äußeren unteren Rande der Mittelleiste ein wenig Staub hinweg. Darauf erhob er sich und befummelte im Stehen die innere Seite des hinaufgeschobenen Fensters. Er ließ sich sehr reichlich Zeit hierzu, ohne deswegen jedoch die Sache gar zu ernst zu nehmen. Als die innere obere Scheibe seiner Meinung nach genügend sauber war, nahm er wieder auf dem Fensterbrett Platz und ließ sein linkes Bein, dessen zierliches Plattfüßchen mit einem riesigen Footballstiefel bekleidet war, wieder ins Freie baumeln. Nachdem er eine ganze Weile untätig vor sich hingeträumt hatte, unternahm er den Versuch, die innere Fensterhälfte herunterzuziehen, um nunmehr das Glas von außen zu bearbeiten. Es dauerte sehr lange, bis es ihm gelang, das Fenster aus seiner Ruhelage zu bringen, und als er es endlich glücklich los hatte und nun versuchte, die schwere Glasscheibe auf seinem rechten Knie so zu stützen, daß ein genügend großer Spalt offen blieb, um ihm das Hantieren im Sitzen zu gestatten, fand er alsbald, daß er sich dadurch in eine höchst unbequeme Lage begeben und besonders seinem zarten Kniechen zu viel zugemutet habe. Er schob also stöhnend und schnaufend die Scheibe wieder hinauf, wischte sich[pg 96]mit dem Ärmel über den Schädel und fletschte zornig sein anmutiges „G’frieß“ gegen die Scheibe hinauf – gerade wie es die Kinder machen, wenn sie mit der Kommode böse sind, an der sie sich gestoßen haben. Plötzlich verklärte sich seine intelligente Schimpansenphysiognomie. In der Ferne ließ sich Militärmusik vernehmen. Bum, bum, tschindara! Master Kinkywoolly wurde ganz Ohr und ganz Seligkeit. Er beugte sich so weit hinaus wie möglich und spähte die breite Hauptstraße hinunter. Etwas ganz besonders Herzerhebendes mußte da los sein, denn mein Nigger klatschte begeistert in die Hände und zeigte, seine zierliche Fresse weit aufreißend, die lachenden Zähne im Leckermaul. Ich schob nun gleichfalls mein Fenster hoch, kniete auf den Boden nieder und reckte den Hals hinaus, um mir den seltenen Anblick eines militärischen Aufzuges nicht entgehen zu lassen. Aber es war ganz etwas anderes, was ich zu sehen bekam, etwas ganz spezifisch Amerikanisches. Gassenbuben und Strolche vorweg, dann eine uniformierte Kapelle und dann in Rotten zu vieren ein schlotteriger Parademarsch, inszeniert von einem politischen Boß und ausgeführt von einer Elitetruppe seiner Parteifreunde. Lauter freie Republikaner gesetzten Alters, wohl genährt, sauber und glatt rasiert, alle mit den gleichen gelben Gamaschen, denselben Schlipsen, denselben Hüten und denselben Bambusstöcken mit vernickelten Griffen, die sie wie die Gewehre aufrecht an die Schulter gedrückt trugen, wie ehemals unser Militär bei dem Griff „faßt das Gewehr an“. Ein gerade zu Besuch anwesender Eingeborener erklärte mir, daß die Parteikasse die Ausrüstung an Gamaschen, Schlipsen, Hüten und Spazierstöcken stelle und diese öffentlichen Umzüge ansehnlicher, sichtbarlich satter und zufriedener Mitbürger von Zeit zu Zeit ver[pg 97]anstalte, um dem Publikum zu beweisen, wie gut es sich unter den Fittichen ihrer Partei leben lasse. Ein unerhört fetter schwarzer Schutzmann, der an der Straßenkreuzung postiert war, führte vor Vergnügen über diesen gelungenen Aufzug einen veritablen Cakewalk nach dem munteren Rhythmus der Musik aus, und mein Fenster putzendes Niggerlein jauchzte vor Vergnügen über solchen grotesken Anblick und bewegte sich im Takte der Musik, als ob er ein tanzendes Zirkuspferd zwischen den Schenkeln hätte. Offenbar gehörten der cancanierende Schutzmann und der reitende Fensterputzer gleichfalls der Partei der Demonstranten an und fühlten sich durch den erhebenden Parademarsch ihrer Vertrauensmänner in ihren patriotischen Gefühlen angenehm gekitzelt. – Bis der letzte Hauch der Blechmusik verklungen war, dachte selbstverständlich der farbige Jüngling gegenüber nicht daran, sein Fenster wieder vorzunehmen. Dann aber griff er tief aufseufzend wieder zum Wischtuch und hielt es nachdenklich in der Hand, während seine schwarzen Sammetaugen sich bekümmert an den dummen Fensterrahmen hefteten, der so gar keine Miene machte, von selber zu ihm herunter zu kommen. Plötzlich kam wieder Leben in die schier erstarrte Gestalt. Master Kinkywoolly drehte den Kopf über die Schulter und äugte höchst gespannt die Avenue hinauf. – Wahrhaftig, noch eine Parade! Mehrere Dutzend Geistliche der Stadt, paarweise nebeneinander in schwarzen Talaren. Und statt der Bambusrohre mit Nickelknöpfen schulterten sie ihre Regenschirme. Die schwarzen Herren waren auf dem Wege zum Oberbürgermeister, um feierlich bei ihm vorstellig zu werden, daß er die fromme Quäkerstadt beschützen möge vor dem Satansgreuel der Salome von Richard Strauß, deren Aufführung in Philadelphia eine[pg 98]fremde Operntruppe angekündigt hatte. Es wäre eigentlich passend gewesen, daß der fette schwarze Schutzmann an der Straßenkreuzung bei dieser Gelegenheit den Tanz der sieben Schleier aufgeführt hätte. Aber er schien zu Richard Strauß und seiner Kunst noch nicht Stellung genommen zu haben, denn er ließ die Parade ohne sichtliche Gemütsbewegung vorüberziehen und sorgte nur dafür, den Wagenverkehr derweil zu bändigen. – Mein Fensterputzer stierte blöd der schwarzen Prozession nach, bis sie um die Ecke verschwunden war; dann führte er mit seinem kalt gewordenen Spielbein einige Freiübungen aus und war eben dabei, tatsächlich seinen Schwamm ins Wasserbecken zu tauchen, um vielleicht doch den Versuch einer flüchtigen Wäsche von außen zu wagen, als es vom nächsten Kirchturm zwölf schlug. Der Schwamm flog ins Becken, das Bein über das Fensterbrett und der schwarze Jüngling davon zum schwer verdienten Lunch. Ich vermute, daß er am nächsten Ersten um eine Lohnerhöhung eingekommen ist.

Pflichten und Rechte des Dienstpersonals.

Pflichten und Rechte des Dienstpersonals.

Das Beispiel dieses schwarzen Fensterputzers dürfte einigermaßen typisch sein für den Eifer, mit dem häusliche Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten verrichtet werden. Gewiß arbeitet ein frisch von Europa eingewandertes Hausmädchen fleißiger und gründlicher, dafür ist es aber auch sehr viel anmaßender und sehr viel schwieriger zu behandeln als der Niggerboy, der doch wenigstens freundlich grinst und danke sagt, wenn er ein Trinkgeld kriegt. Ja, die Dienstbotennot ist wirklich die Frage aller Fragen, nicht nur für die Hausfrau des amerikanischen Mittelstandes. Die ganz reichen Leute freilich leisten sich einen englischenButler(Haushofmeister), einen französischenValet de chambre, einen italienischen Koch, einige griechische Lakaien von klassi[pg 99]scher Gesichtsbildung und unbezahlbarer Frechheit und etliche appetitliche irische Mädchen. Für Geld, d. h. für sehr viel Geld ist natürlich auch eine aristokratisch luxuriöse, gut gedrillte Dienerschaft in den Vereinigten Staaten zu haben; aber die Leute von mittlerem und kleinem Vermögen, also von einem Einkommen, wie es hier unsere armen Schlucker von Regierungspräsidenten, Generalmajoren, Oberpostdirektoren und beliebten Schriftsteller besitzen, können sich eine perfekte Köchin und noch ein tüchtiges Stubenmädchen dabei schwerlich leisten. Denn eine Köchin, die etwas Eßbares zu kochen imstande ist, dürfte unter 100 Mk. Monatslohn nicht zu haben sein, und 10 Dollars muß man sogar für einen frisch importierten, unerprobten Besen schon anlegen. Sind diese Damen bereits ein paar Monate im Lande, so daß sie sowohl von der Sprache wie von dem Wesen ihrer staatsbürgerlichen Rechte einigen Begriff haben, so machen sie mit ihrer Herrschaft einen Vertrag mit zahlreichen Paragraphen, welche genau ihre Pflichten und Rechte festlegen. Darin ist bestimmt, daß sie außer dem Sonntag, an welchem sie nur morgens die Schlafzimmer aufzuräumen haben, noch an einem Wochentag ausgehen, ferner dasParlor(Wohnzimmer) bei Besuchen ihrer Freunde und Verwandte mitbenutzen und selbstverständlich ohne Kündigung abziehen dürfen, sobald es ihnen beliebt. Irgendwelche schwere oder schmutzige Arbeit verrichten diese Damen grundsätzlich nicht, dazu müssen extra Nigger, Chinesen, Polacken oder dergleichen Kroppzeug gehalten werden. Verlangt die Hausfrau irgendwelchen Dienst von ihnen, der nicht kontraktlich stipuliert oder landesüblich einbegriffen ist, so entgegnet ihr das Fräulein achselzuckend: „That’s not my business, Ma’m“ – und fertig. Ein Mädchen, das für die Küche[pg 100]angestellt ist, wird beispielsweise um keinen Preis dem Hausherrn einen Knopf annähen; und ein Hausmädchen wird sich auch im Falle der höchsten Not schwerlich herbei lassen, ein Kind aufs Töpfchen zu setzen. Einer geborenen Amerikanerin zumuten zu wollen, die Stiefel zu putzen, wäre ungefähr gleichbedeutend mit schwerer körperlicher Mißhandlung. Eine junge deutsche Dame, die einen amerikanischen Landsmann geheiratet hatte, erzählte mir, daß sie, um den Schwierigkeiten der Dienstbotenwirtschaft zu entgehen, sich eine alte, treu anhängliche Dienerin mitgebracht habe, die schon 14 Jahre in der Familie gewesen war. Nach drei Wochen bereits habe sie ihr die Stiefelbürste vor die Füße geworfen und erklärt, daß sie sofort heimreisen werde, wenn ihr solche entwürdigende Zumutung noch länger gestellt würde. An einer Frauenuniversität, an der ich eine Vorlesung gehalten hatte, wurde mir das einzige für männliche Gäste reservierte Zimmer zum Übernachten angewiesen, in welchem der Herr Bischof untergebracht zu werden pflegte, wenn er zur Kirchenvisitation kam. Ich entdeckte im Badezimmer ein schön poliertes Mahagonikästchen, und als ich es neugierig öffnete, fand ich darin ein komplettes Wichszeug vor. Der Herr Bischof mußte sich also auch höchst eigenhändig seine Stiefel putzen, da es im Gebiete der Damenuniversität natürlich keinen öffentlichen Wichsier gab. Daß gerade gegen die ehrenhafte Betätigung des Stiefelputzens ein solches Vorurteil besteht, ist um so merkwürdiger, als der freie Amerikaner niederen Standes es sonst durchaus nicht für unter seiner Würde hält, seine Karriere als Inhaber eines Straßenwichsstandes zu beginnen und als nicht wenige der heutigen Multimillionäre in diesem Geschäft den Grundstock ihres Vermögens legten!

Karriere besserer Dienstmädchen.

Karriere besserer Dienstmädchen.

Deutsche Dienstmädchen gibt es schon lange kaum mehr; die meisten der Damen, die so anfingen, fahren heute in ihrem eignen Auto spazieren. Denn wenn sie auch nur eine Ahnung von der edlen Kochkunst hatten und einigermaßen nett anzusehen waren, wurden sie mit Wonne von besser situierten Landsleuten geheiratet. Auch die einstmals als Hausmädchen besonders beliebten Irinnen trifft man heute höchstens noch in sehr vornehmen Hotels in dieser Stellung an. Im Westen soll es noch schlimmer sein als im Osten. In San Franzisco verdient ein Maurer 7 $, also gegen 30 Mk. pro Tag! Selbstverständlich denken seine Töchter nicht daran, in Dienst zu gehen, auch nicht in die Fabrik. Sie spielen lieber Klavier und gehen in echten Ponypelzen spazieren. Gegenwärtig sind Ungarinnen besonders gefragt, und wer eine solche dralle, hochgestiefelte Pußtadirne nicht erschwingen kann, der nimmt mit einer Kroatin, Slowakin, Ruthenin oder dergleichen vorlieb. Wer aber dem ewigen Ärger und der ewigen Angst, ob er morgen noch auf die Unterstützung seiner Perle zu rechnen oder abermals den Gang aufs Mietsbureau anzutreten haben werde, seiner Konstitution nicht zutraut, oder als echter Demokrat zu feinfühlig ist, um Menschen seinesgleichen, freie Mitbürger in unwürdiger Abhängigkeit zu erhalten, der verzichtet überhaupt auf häusliche Dienstboten. Und zu diesen vernünftigen Leuten gehören fast alle Männer, die das Glück hatten, eine Frau zu erwischen, die von Küche und Haushalt etwas versteht, und der eine rege Betätigung im eignen Heim mehr Freude macht, als das fade Gesellschaftsleben und die Hetze von Verein zu Verein, von Vergnügen zu Vergnügen.

Der Professor als Mädchen für Alles.

Der Professor als Mädchen für Alles.

An einem sonnigen Sonntagvormittag traf ich beim Spaziergang durch eine der reizenden ländlichen Uni[pg 102]versitäten des Nordens eine meiner neuen Bekanntschaften von einem Diner am vorhergehenden Abend. Es war ein hochgewachsener, schlanker junger Herr in den Dreißigern, der in einen höchst eleganten Sealskinpelz gehüllt, einen glänzend gebügelten Zylinderhut auf dem Kopf und eine edle Havanna mit goldfunkelnder Leibbinde zwischen den kostbar plombierten Zähnen – einen eleganten Kinderwagen mit Inhalt vor sich herschob! Lebhaftes Interesse für seinen glücklicherweise schlummernden Sprößling heuchelnd, begrüßte ich den Herrn Professor. Er mochte mir wohl anmerken, daß mir begriffsstutzigen Europäer seine väterliche Betätigung in diesem Aufzuge etwas sonderbar vorkomme und erklärte mir aus freien Stücken den Zusammenhang. „Look here“, sagte er, „wir sind jung verheiratet, wir haben nur ein kleines Haus und ein kleines Einkommen; wir können uns keine Dienstboten halten – außerdem ziehen wir es vor, in unserer zärtlichen jungen Ehe unbeaufsichtigt zu bleiben und wollen uns nicht den halben Tag den Kopf darüber zerbrechen, wie wir aus unserer Mary oder Jane die größtmögliche Arbeitsleistung herausziehen könnten, ohne ihrer Empfindlichkeit als Mitbürgerin zu nahe zu treten. Wir haben nur eine alte Negerin zur Hilfe, die vormittags zwei Stunden die gröblichere Arbeit verrichtet, und einen Mann, der alle Wochen einmal die Asche aus dem Zentralfeuerloch im Keller ausräumt und die Müllkasten vor die Tür stellt; alles andere besorgen wir selbst. Sehen Sie, heute früh z. B. habe ich zunächst, wie alle Tage, das Feuer in der Zentralheizung geschürt und Kohlen nachgefüllt, dann habe ich Kaffee gekocht, da meine Frau nicht ganz wohl ist, und das Frühstück für uns beide hergerichtet. Dann habe ich, weil es in der Nacht lustig geschneit hat, vor unserer[pg 103]Haustür und auf dem Trottoir Schnee geschippt und darauf mich wieder in einen Gentleman verwandelt. Da es darüber für die Kirche zu spät geworden war, habe ich vorgezogen, meine Sonntagsandacht in Gesellschaft meines vorläufig einzigen Sohnes durch ein edles Rauchopfer im Sonnenschein zu verrichten. Zum Luncheon behelfen wir uns mit kalter Küche, und wenn meiner Frau bis abends nicht besser wird, so nehme ich mein Dinner im Klub, nachdem ich ihr eine Suppe gekocht und eine Konservenbüchse gewärmt habe. Vor dem Schlafengehen schütte ich dann noch einmal im Keller Kohlen auf die Heizung, und damit habe ich alles getan, was die Haushaltungsmaschine braucht, um regelrecht zu funktionieren.“

„Sehr schön,“ sagte ich in ehrlicher Anerkennung. „Aber das nimmt Ihnen doch sehr viel Zeit weg. Und wenn Sie nun früh morgens eine Vorlesung haben, was machen Sie dann?“

„Well, dann stehe ich eben eine Stunde früher auf,“ lachte er vergnügt, „und gehe abends eine Stunde früher ins Bett. Das ist sehr gesund. Ich habe immer acht Stunden guten Schlaf, und wenn die Frau wohlauf ist, kostet mich mein Anteil an der Hausarbeit kaum mehr als eine Stunde am Tag. Wir haben es noch nie bereut, die Wirtschaft mit den Dienstboten überhaupt erst gar nicht probiert zu haben. Und dabei brauchen wir noch nicht einmal auf Geselligkeit im Hause zu verzichten. Wie haben schon einmal 50 Leute eingeladen gehabt.“

„Nicht möglich! Wie haben Sie denn das angestellt?“

„O, sehr einfach. Wir besitzen Service für 12 Personen, also waren wir 12 Personen zum Lunch. Natürlich haben wir kein Eßzimmer, in dem 12 Personen bei Tische sitzen könnten, es mußte sich also jeder setzen,[pg 104]wo er gerade Platz fand. Dann kriegte jeder einen Teller, eine Serviette und ein Besteck, und darauf wurden die Schüsseln, eine nach der anderen, herumgereicht – alles auf denselben Teller. Bei einigem guten Willen geht es schon, und meine Frau kann wirklich kochen. Natürlich hatten wir dabei Hilfe, aber nicht etwa bezahlte Mädchen, sondern zwei meiner Studentinnen; die machen das viel intelligenter und netter. Nach dem Essen kamen dann die übrigen 38 Personen – die wurden aber nur mit geistigen Genüssen traktiert. Ich las ihnen etwas vor, und eine meiner akademischen Aushilfskellnerinnen spielte, von meiner Frau begleitet, einige Flötensolos. Außerdem konnten wir sogar noch mit der berühmtesten Schönheit von Pawtucket, Connecticut, die sich gerade auf der Durchreise befand, aufwarten!“ – –

Und so wie dieser junge Professor halten es die meisten vernünftigen Amerikaner von ähnlicher gesellschaftlicher Position und Vermögenslage. Wir waren einmal bei der Dekanin einer Frauenuniversität zu einem intimen Diner geladen. Während des Essens stieß mich meine Frau unter dem Tisch mit dem Fuße und richtete meine Aufmerksamkeit durch ihre Blicke auf die bedienende Maid, die in ihrem weißen Kleid, mit dem weißen getollten Häubchen auf dem üppigen Blondhaar allerdings eine Sehenswürdigkeit darstellte. Wir drückten der Gastgeberin erst auf Deutsch, und als dies durch warnendes Räuspern abgelehnt wurde, auf Französisch, dann auf Italienisch unsere Bewunderung für dieses nicht nur ungewöhnlich hübsche, sondern auch ungewöhnlich intelligent aussehende Hausmädchen aus. Da aber fing die ganze Gesellschaft zu kichern an, und die schöne Blondine bekam einen roten Kopf und hastete in größter Verlegenheit hinaus. Und nun wurde uns anvertraut, daß[pg 105]dieses reizende Servierfräulein eine junge akademische Kollegin von Fräulein Professor sei, nämlich – die Privatdozentin für Sanskrit!

Demokratischer Stolz.Unstetigkeit des Handwerks.

Demokratischer Stolz.Unstetigkeit des Handwerks.

Das Merkwürdige an diesem kleinen Erlebnis soll nun nicht so sehr der Umstand sein, daß es in der neuen Welt bereits Privatdozentinnen für Sanskrit gibt, welche obendrein auch noch sehr hübsch sind, als vielmehr, daß in diesem angeblich so freien und vorurteilslosen Lande zwar die gebildeten Menschen keinerlei notwendige Arbeit scheuen und sich in der liebenswürdigsten Weise gegenseitig in ihren häuslichen Schwierigkeiten aushelfen, während gerade die untersten, auf körperliche Arbeit angewiesenen Stände die Lohnarbeit im Hause geradezu als eine Schande anzusehen scheinen. Obwohl es in dem Lande, wo die Dienstboten so hoch entlohnt werden wie nirgends in der Welt und mit zarter Rücksicht wie die rohen Eier behandelt werden müssen, damit sie nicht gleich wieder fortlaufen, keifende Hausdrachen und grob anschnauzende Hausherrn wie bei uns wohl überhaupt nicht geben dürfte, ziehen doch die Mädchen die unangenehmste Arbeit in der Fabrik, den anstrengenden Laden- und Bureaudienst dem bequemen Schlaraffenleben als Haushaltsangestellte vor. Gehorchen zu sollen ist eben für den Amerikaner die furchtbarste Zumutung, die man ihm stellen kann. Er dient nur so lange, wie er es absolut nötig hat. Sobald er sich ein paar Dollar zurückgelegt hat, sucht er sich selbständig zu machen. Bei dem elenden Dasein eines kleinen Handelsmannes, der auf der Straße Ansichtspostkarten, Popcorn oder Kaugummi verkauft, fühlt er sich zehnmal stolzer und zufriedener, als in der bequemsten häuslichen Stellung, in der er sich einem fremden Willen unterzuordnen hat. Es kommt noch dazu, daß dem Bürger der Neuen Welt[pg 106]nicht nur jedes Gefühl für die Schönheit und Würde des sich Einfügens in ein patriarchalisches Abhängigkeitsverhältnis von Herr und Knecht, von Meister und Geselle, sondern auch jeglicher Zunftstolz abgeht, jegliche Liebe zu dem Handwerk etwa, in das einer hinein geboren oder für das einer bei uns erzogen wird. Im Grunde genommen sind die Menschen drüben alle Spieler und Glücksritter. Sie ergreifen ohne langes Besinnen, was sich ihnen gerade bietet, und treiben es nur so lange –until a better job turns up–, bis sich eine bessere Sache bietet. Jeder junge Mensch drüben fühlt sich einfach zu allem berufen. Wenn er heute aus Hunger zugreifen und sich in den weißen Anzug eines New Yorker Straßenkehrers stecken lassen müßte, so zweifelte er darum doch keinen Augenblick daran, daß er berufen sein könnte, übers Jahr bereits Teilhaber einer Minenausbeutungsgesellschaft in Oklahama zu sein und auf der Höhe seines Lebens in den Senatspalast von Washington einzuziehen. Es ist eigentlich niemand etwas Gewisses in diesem Lande; selbst bei meinem Kollegen, dem erfolgreichen Dramatiker, bin ich nicht sicher, ob er nicht übers Jahr Flugmaschinen fabriziert oder Truthähne en gros züchtet. Daher kommt es, daß auf dem Gebiete der persönlichen Dienstleistungen und des handwerklichen Betriebs keine fachmännische Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit existiert. In Madison (Wisconsin) ließ ich mir einen zerbrochenen Zeiger an meiner Uhr durch einen neuen ersetzen. Als ich nach Hause kam, stellte sich heraus, daß der neue Zeiger sich absolut nicht bewegte. Der angebliche Uhrmacher, der ihn eingesetzt hatte, war vermutlich vorgestern noch Verkäufer in einer geräucherten Fischwarenhandlung gewesen. In New York wollte ich mir eine Kleinigkeit an einem silbernen Stockgriff löten lassen.[pg 107]Man schickte mich von Pontius zu Pilatus über fünf Instanzen hinweg; endlich, in einer Silberwarenfabrik, erbot sich der Besitzer nach vielen Bedenklichkeiten und Hin- und Herreden über Wetter und Politik, einen seiner Arbeiter zu ersuchen, die Kleinigkeit zu besorgen. Ich bekam auch wirklich schon nach ein paar Minuten meinen Stock zurück. Der äußerst geschickte Silberarbeiter hatte das losgelöste Monogramm allerdings mit dem Lötrohr befestigt, dabei aber den oberen Rand des Stockes zu Kohle verbrannt. Und als ich mit dem reparierten Gegenstand daheim anlangte, mußte ich die Entdeckung machen, daß das Monogramm endgültig verloren war, nachdem es 14 Tage lang doch wenigstens noch an einem Faden gehangen hatte. Man gibt sich eben in diesemgroßenLande nicht gerne mit Kleinigkeiten ab. Was mit der Maschine nicht gemacht werden kann, das wird schlecht oder gar nicht gemacht, weil der Amerikaner seine Menschenwürde so überaus hoch einschätzt, daß er die Handarbeit und gar das persönliche Dienstverhältnis verachtet. Darum strengt er auch seinen hellen Verstand auf das äußerste an, um immer mehr notwendige Verrichtungen durch die Maschine besorgen zu lassen und die unumgänglichen Handarbeiten tunlichst zu vereinfachen. Weil die Dienstboten so rar, so teuer und so überaus bequem sind, lieben sie z. B. das Messerputzen durchaus nicht, folglich hat man fast ausschließlich Messer von Bronze in Gebrauch genommen, mit denen man zwar nicht schneiden kann, die dafür aber auch durch einfaches Durchziehen durch heißes Wasser und Abtrocknen zu säubern sind. Da es nun aber Messer mit einer scharfen Schneide nicht gibt, so kann es selbstverständlich auch keinen Braten geben. Das Roastbeef und das Geflügel macht man durch Zerreißen[pg 108]zwischen Gabel und Messer einigermaßen mundgerecht. Im allgemeinen aber richtet man die Speisen lieber gleich in einer breiförmigen Gestalt her, sodaß sie nur einfach in den aufgesperrten Rachen hineingeschaufelt zu werden brauchen; man spart damit auch viel kostbare Zeit.

Vorläufig findet ja noch ein starker Zustrom von slawischen, südeuropäischen und westasiatischen Völkerschaften statt. So lange diesen noch nicht der Knopf aufgegangen ist, d. h. so lange sie sich ihrer Bedeutung als selbstherrliche Bürger der glorreichsten Republik der Welt nicht bewußt sind, geben sie sich ja noch teils aus Hunger, teils aus angeborener Knechtseligkeit zu Kellnern, Hausmädchen und dergl. her. Aber, wie gesagt, immer nur bis der bessere „Job“ auftaucht, dann gesellen sie sich alsbald der stolzen Klasse der selbständigen Unternehmer zu. Wenn nun aber einmal das Land voll ist, so daß es seine Tore vor den Einwanderern zusperren muß – wer soll dann all die häusliche und sonstige, niemals völlig aus der Welt zu schaffende Handarbeit verrichten? Ich legte diese kniffliche Frage auch meinem hochverehrten Gastfreunde in Ithaka, Andrew D. White, dem früheren Botschafter in Berlin, vor. Er wiegte bedenklich seinen schönen weißen Gelehrtenkopf, und dann gab er mir verschmitzt lächelnd zur Antwort: „Ja, sehen Sie, wir Amerikaner sind eben Optimisten. Wir sagen: es ist noch immer gegangen, und dies wird auch gehen, so oder so. Warum sollen wir uns die Köpfe unserer Enkel zerbrechen?“

Schwierige Frage an die Zukunft.

Schwierige Frage an die Zukunft.

Hm! allerdings – man hat schon Bronzemesser eingeführt und auf Braten verzichtet; man kann sich ja das Bett, das man jetzt schon allgemein abends selber aufdecken muß, auch morgens selber machen; man kann auch seine Frau hinten zuknöpfen, ohne an seiner Mannes[pg 109]ehre Schaden zu leiden, aber man kann schließlich doch nicht auf Wohnen, Schlafen, Essen, Kinderkriegen und Sterben im eignen Heim gänzlich und unter allenUmständenverzichten. Und alle diese Notwendigkeiten setzen doch wenigstens unter gewissen Verhältnissen die Hilfe von Leuten voraus, die nicht gerade akademische Bildung oder ein Scheckkonto auf der Bank zu besitzen brauchen. Wo sollen die herkommen, wenn alle Amerikaner erst einmal selbständige Unternehmer geworden sind?

Ich muß gestehen, mein beschränktes Europäergehirn ist, so oft es über diese Frage nachgedacht hat, schließlich immer wieder zu demselben Schluß gekommen:Die selbstlosen Idealisten der Vereinigten Staaten haben die Sklaverei mindestens 100 Jahre zu früh aufgehoben!

[pg 110]Die Kochkunst der Yankees.Da ich mich in meinem vorigen Kapitel mit Köchinnen beschäftigt habe, dürfte es angebracht sein, im Anschluß ein wenig in die amerikanische Küche hineinzuleuchten. Nach dem unzweifelhaften Wahrwort, daß der Weg zum Herzen des Mannes durch den Magen führe, dürfte es noch sehr lange dauern, bevor Dame Dollarica sich in der kulinarisch gebildeten Männerwelt einer auch nur annähernd ähnlichen Beliebtheit erfreut wie Madame Marianne oder die Commare Italia oder die nahrhafte Tante Austria. In Dingen des guten Geschmacks tut es eben der Reichtum allein nicht, sondern die große Vergangenheit einer aristokratischen Kultur, und innerhalb dreier lumpiger Jahrhunderte entwickelt sich keine neue Rasse von Fressern zu Speisern. Wie lange ist es denn überhaupt her, daß sich die Besiedler der neuen Welt des Segens sicherer behaglicher Häuslichkeit erfreuen? Viele der jetzt üppig blühenden Großstädte sind ja erst ein paar Jahrzehnte und nur ganz wenige über ein Jahrhundert alt. Der wüsten Raubbau treibende angelsächsische Kolonist, der meist unbeweibt in selbstgezimmertem Blockhause hauste, briet sich über dem offenen Feuer am Spieß seinen Fetzen Fleisch und manschte sich aus den ihm zugewachsenen Zerealien irgend etwas zurecht, was einer genießbaren Speise vielleicht entfernt ähnlich sah. Als dann im 18. und 19. Jahrhundert die weibliche Zuwanderung sich hob, fanden die mit der Kochkunst einigermaßen vertrauen Frauen – unter den Britinnen sind sie nicht besonders häufig – eine Männerwelt vor,[pg 111]die einfach mit allem zufrieden war, was ihr vorgesetzt wurde. Erst in neuester Zeit, als die Vereinigten Staaten willige und splendid zahlende Abnehmer für alle Luxusprodukte der alten Welt wurden, begannen auch bewährte Meister der Kochkunst über den Ozean zu ziehen; aber die traten selbstverständlich nur in den Dienst der vornehmsten Hotels, der teuersten Restaurants und der Milliardäre ein und konnten folglich nicht für die breite Masse des mäßig begüterten Bürgertums erziehlich wirken. Die amerikanischen Esser sind die dankbarsten der Welt, weil ihnen im Vergleich zu ihrer barbarischen Küche natürlich die Speisekarte der Kulturvölker lauter überraschende Offenbarungen bietet.Süß muß es sein!Die unkultivierte Kindlichkeit des Geschmacks offenbart sich denn auch in Amerika nirgends deutlicher als auf dem Gebiete der Küche. Das Haupterfordernis der Eßbarkeit ist für den Yankee die Süße. Alles, was süß ist, schmeckt ihm ausgezeichnet. Bezeichnenderweise ist es mir trotz größter Mühe nicht gelungen, irgendwo in den Vereinigten Staaten ein Mundwasser aufzutreiben, das nicht schauderhaft verzuckert gewesen wäre. So ist Süßigkeit das erste, was der Yankee, sobald er sich dem Schlaf entwunden, in den Mund bekommt. Seinem ersten Frühstück geht der Genuß von Früchten: Orangen, Grapefruit oder Melonen voran, die unter einem Berge von Streuzucker mit dem Löffel hervorgegraben werden. (Nebenbei gesagt: das Fruchtessen vor dem Frühstück ist die einzige nationale Speisesitte, die ich Europäern zur Nachahmung empfehlen möchte. Die wundervoll saftige Grapefruit mit ihrem Chiningehalt besonders ist höchst erfrischend und bekömmlich.) In einem üppigeren Haushalt ist schon der Frühstückstisch reicher gedeckt als bei uns manche Mittagstafel. Beefsteak, Hammel[pg 112]kotelette, Fischgerichte, kalter Aufschnitt verschiedenster Art werden von den Männern bevorzugt, während die Frauen und Kinder eine große Auswahl der zum Teil wunderlichsten Eier- und Mehlspeisen zur Verfügung haben. Weizen, Korn, Gerste, Mais, Hirse, Buchweizen, Hafer, Reis, kurz: alle erdenklichen Getreidearten erscheinen in der Form von Grütze, Graupen, Flocken, Fäden oder papierdünnen Schnipfeln, roh, gekocht oder geröstet und werden größtenteils mit Rahm und sehr viel Zucker angerührt. Dünne Eierkuchen werden mit übersüßen Fruchtsäften übergossen, und der Toast sowie die meist gleichfalls süßen Semmeln mit Fruchtgelees und Marmeladen bestrichen. Diese Vorliebe für den Genuß von Süßigkeiten von Tagesanbruch ab ist aber durchaus nicht etwa auf die Frauen und Kinder oder auf die wohlhabenden Klassen beschränkt, sondern sie ist ganz offenbar eine nationale Raserei.Es gibt in den Vereinigten Staaten keine Cafés im Wienerischen Sinne. Als ich daher einmal auf dem Broadway ein Wirtshausschild mit der Aufschrift „Coffeehouse“ erblickte, stürmte ich begeistert in das Lokal. Es war eine große reinliche Halle, die Diele mit Sand bestreut, ohne Tische und Stühle, nur den Wänden entlang zogen sich Holzbänke, die durch Zwischenwände in einzelne Sitze eingeteilt waren, und auf diesen trennenden Seitenwänden waren genügend breite, rund geschnittene Bretter angebracht, um eine Tasse und einen Teller daraufstellen zu können. Am Kopfende der Halle befand sich ein riesiges Buffet, auf dem die herrlichsten Kuchen und Torten aufgebaut waren, sowie zwei blitzblanke vernickelte Samovars für Tee und Kaffee. Das Publikum dieses eigenartigen Kaffeehauses bestand aber ausschließlich aus Droschkenkutschern, Chauffeuren,[pg 113]Messenger Boys, Policemen und Arbeitern. Keine Frau betrat das Lokal. Kaffee gab es reichlich und anständig, und den ganz vorzüglichen und für New-Yorker Verhältnisse sehr billigen Schaum- und Fruchttorten, Apfelkuchen mit Schlagrahm und Minced Pie sprach dieses robuste Mannsvolk mit dem Behagen schleckermäuliger Schuljungens zu.Icecream und Zahnarzt.Die eigentliche Nationalspeise ist keineswegs das Roastbeef oder der hochfestlicheTurkey(Puter), sondern derIcecream, das Gefrorene. Icecream wird Winters und Sommers von mittags bis Mitternacht verzehrt von Alt und Jung, von Hoch und Niedrig; Icecream besänftigt die ungebärdigen Säuglinge; Icecream gilt als Vorspeise, als Dessert, als Kompott sogar; er kehrt bei großen Diners mehrmals im Laufe der Speisenfolge als Zwischenaktsmusik wieder, er ersetzt den verpönten Alkohol und bewirkt, daß die Amerikaner sich der besten Zahnärzte der Welt erfreuen – denn das schroffe Durchsetzen siedheißer Suppen und glühender Breie mit Eiswasser und Icecream können selbst die besten Gebisse nicht vertragen. Der Schmelz springt ab, und die vom ewigen Zuckerschleimstrom umspülten, schutzlosen Zähne sind der Karies rettungslos preisgegeben. Infolgedessen hat jedermann fortwährend den Zahnarzt nötig, und man braucht sich nicht zu wundern, Kanalausräumer und schmierige Nigger mit so viel Gold im Munde zu sehen wie die köstlichste Maimorgenstunde.Tafelfreuden im Pensionat.Ich habe bereits im vorigen Kapitel darauf hingewiesen, wie durch den Mangel an Dienstpersonal die Küche und die Tafelgewohnheiten beeinflußt werden. Ich bemerkte, daß durch den Mangel an scharfen Messern mit schwer zu putzenden Stahlklingen ein Braten zu einer schwer zu bewältigenden Speise geworden sei.[pg 114]Folglich kommen gekochtes Rindfleisch, Schmorbraten, Sauerbraten, Kalbs- und Hammelsrücken oder Schlegel so gut wie gar nicht auf den Tisch. Das nationale angelsächsische blutrünstige Roastbeef, drüben jedoch nicht so, sondernPrime rib of Beefgenannt, muß man von der Gabel mittels des stumpfen Bronzemessers abzustemmen versuchen, wenn man nicht vorzieht, den ganzen Fladen in den Mund zu nehmen und mittels der Gabel oder der Finger durch die Zähne zu ziehen. Übrigens sind diese Ochsenrippenstücke neben den sehr üppigen und teuren Rinds- und Hammelsteaks das einzige gebratene Fleisch, welches wirklich schmackhaft zubereitet zu sein pflegt, während Kalbskoteletten und Schnitzel meistens ungenießbar sind. Als niedliches Kuriosum möchte ich erwähnen, daß ich einmal bei einem Sonntagsdiner Honig als Kompott zum Roastbeef angeboten bekam! Geflügel wird sehr viel mehr als bei uns gegessen. Es wird zu unwahrscheinlichen Dimensionen herangezüchtet. Ich habe Hennen gesehen, die so hoch waren wie ein Storch und so fett wie ein Mops; aber das Fleisch dieser abnorm großen Tiere ist dafür auch wenig zart, und die Keulen besonders bekommen einen ganz anderen Charakter als das Brustfleisch; es wird beim Braten braun und mürbe, während das weiße Fleisch trocken und charakterlos bleibt. Meistens wird einem aber der Genuß selbst eines wohlgeratenen jungen Hahns durch eine pappige, süßliche Mehltunke verkümmert. Da das Tellerabwaschen die Geduld des feinnervigen Küchenpersonals auf eine zu harte Probe stellen würde, so muß man sich, wenigstens in Haushaltungen bescheideren Stils, die ganze Mittags- oder Abendmahlzeit einschließlich des Kompotts auf ein und denselben Teller packen. In dem Boardinghouse bester Art, in dem wir in New-York wochenlang lebten,[pg 115]bestand die sonderbare Sitte, daß nach der Suppe warme Teller mit einem Kleckschen Fisch, etwa von Daumendicke und -länge, verabfolgt wurden, selbstverständlich in einer seimig-süßen Sauce versteckt. (Übrigens sind die Fische des Atlantischen Ozeans auf der amerikanischen Seite wenig schmackhaft; wirkliche Delikatessen findet man nur unter den Fluß- und Süßseefischen.) Nachdem der Fischbissen verschluckt, beziehungsweise mißtrauisch auf den hohen Rand geschoben war, wurde der ganze Tisch voll kleiner Platten gestellt: verschiedene Fleischsorten verwischten Charakters, unseren Klopsen, falschen Hasen, Bouletten, Rouladen und dergleichen ähnlich, in irgendeiner mehlweißen oder kapuzinerbraunen Schmiere halb versunken, das unvermeidliche Chicken, dazu verschiedene Gemüse, unter denen grüne Erbsen, Lima-Bohnen und Blumenkohl die genießbarsten, sowie Kartoffeln in mehrerlei Aufmachung, in der Schale im ganzen gebacken – man bricht sie auf und schält sie mit dem Teelöffel heraus; recht empfehlenswert – oder als Brei, oder kloßartig, oder gebraten. Niemals fehlen auf dem Tische die beliebtenSweet Potatoes, Gebilde von Gurkenausdehnung, vor denen ich Fremdlinge eindringlichst warnen möchte, denn sie sehen wie gezuckerte Glyzerinseife aus und schmecken leider auch so ähnlich.All diese Genußmittel, noch um diverse eingekochte Früchte vermehrt, arrangiert man sich nun nach Geschmack und Talent auf seinem Fischteller, und man kann von Glück sagen, wenn einem die Gräten nicht in die grünen Erbsen, das Kompott nicht in die ausgehöhlte Kartoffelpelle und die Hühnerknochen nicht in den falschen Hasen geraten. Echte Hasen gibt es überhaupt nicht. Der Ersatz dafür, und überhaupt das einzige einheimische Wild, ist das hasenfarbigeRabbit(Kaninchen), das die[pg 116]Natur da drüben aus Kautschuk verfertigt zu haben scheint – möglicherweise wird es aber auch aus Abfällen der Schuhfabrikation künstlich hergestellt. Alles übrige Wild haben die begeisterten Freischützen in den kultivierteren Staaten schon längst abgeschossen – bis auf die Ratten und die Klapperschlangen. Hat man die eßbaren Bestandteile der wüsten Speisenaufhäufung auf seinem Universalteller herausgefuttert, so bilden die Überbleibsel ein ästhetisch reizvolles Stilleben. Sind sie endlich entfernt, so erscheint als eiserner Bestand jedes amerikanischen Menüs sowohl im Hotel ersten Ranges, wie auf dem einfachsten bürgerlichen Mittagstisch der Salat, der niemals in einer Schüssel herumgereicht, sondern immer fertig auf winzigen flachen Tellerchen einem vorgesetzt wird. Mich wundert, daß noch kein Yankeedichter diesen Salat besungen hat, denn in ihm feiert die Phantasie des amerikanischen Kochkünstlers orgiastische Triumphe.Amerikanischer Salat.Ich glaube, es gibt in den drei Naturreichen nichts, was nicht in solch einem amerikanischen Salat zu finden wäre. Den Grundstock bilden ein bis drei große grüne Blätter, die nicht unbedingt der Salatstaude zu entstammen brauchen. Darauf werden einige Tropfen Essig und Öl geschüttet und auf dieser Unterlage ein mehr oder minder kühner Aufbau von allem möglichen und unmöglichen Süßem, Sauerem, Salzigem, Bitterem, Hartem, Weichem, Flüssigem, Genießbarem und Ungenießbarem vollzogen. In einem feinen Hause, in dem sich die Hausfrau selbst auf ihre Kochkunst viel zugute tat, wurde beispielsweise eine solche Salatdichtung mit außerordentlichem Beifall beehrt, deren Komposition ich dem Augenschein und der Zunge nach ungefähr folgendermaßen analysieren möchte: zwei Blätter Salat mit je fünf Tropfen Essig und Öl, darauf eine Scheibe frische Tomate, eine[pg 117]viertel Scheibe Ananas, etwas weißes Hühnerfleisch, einige Scheiben Radieschen, einige gepickelte Erbsen und Karotten, ein Klecks Butter, mit Streuzucker durchgerührt, ein Teelöffel Schokoladencream und eine Rumkirsche als Turmknopf oben drauf. Totaleindruck auf Zunge und Gaumen zauberhaft; schmeckt – wie mein Freund, der Rechtsanwalt in Landau, sagen würde – wie Öl und Werg! Diese kulinarische Offenbarung erfolgte aber, wie gesagt, in einem Hause, dessen Herrin ihren Xenophon in der Ursprache zu lesen vermochte. In minder gebildeten Familien ist man natürlich weniger wählerisch und verwendet zur Salatbereitung die nächstliegenden Gegenstände, also in erster Reihe die mehr oder minder traurigen Überreste früherer Mahlzeiten, soweit sie eßbaren Naturprodukten einigermaßen noch ähnlich sehen. Fehlt es aber zum Beispiel an gepickelten Spargelspitzen, so kann man dazu auch einen klein geschnittenen Spazierstock verwenden, da die Spazierstöcke drüben außer Mode gekommen sind, und statt der Fleischbeigaben die Reste in Gedanken stehen gebliebener Gummigaloschen, die die Trüffel täuschend ersetzen, zumal, wenn sie vorher in sauren Rahm eingelegt und dann mit braunem Zucker kandiert werden. Salat von Fischgräten, Kalmus und Bananen, mit roten Pfefferschoten und Knallerbsen garniert, soll auch sehr gut sein; ich habe ihn aber nicht gegessen, sondern nur nach einer besonders anregenden Mahlzeit – erträumt!Den Fruchttorten, die man an Stelle der Mehlspeisen zum Nachtisch reicht, wird regelmäßig ein derbes Stück Käse beigefügt; zu welchem Zwecke, weiß ich nicht. Als ich zum erstenmal diese Zusammenstellung erblickte, steckte ich den Käse instinktiv in die Westentasche; ich hielt ihn für ein Stück Radiergummi, den ich in meinem[pg 118]Geschäft immer brauchen kann. Befindet sich Obst auf dem Tische, so nehme man sich davon beizeiten und reichlich, fülle auch womöglich seinen Pompadour damit an, denn alles Obst ist in Amerika von ganz vorzüglicher Qualität – und man weiß ja nie, wie’s kommen mag! Was meine Person betrifft, so muß ich gestehen, daß ich mich während der ganzen Boardinghouse-Periode kümmerlich von Austern und Hummern genährt habe, denn die sind von unvergleichlicher Güte, Größe und Nahrhaftigkeit und nebenbei auch das einzige amerikanische Produkt, das man – neben Stiefeln – als billig bezeichnen kann. Europäer von noch nicht genügend fortgeschrittener Perversität möchte ich jedoch vor denClamswarnen, einer kleinen, lachsfarbenen Muschelart, deren penetranter Nachgeschmack einen besserenNeurasthenikerzum Selbstmord verführen könnte.Die raffinierten Schlemmer unter den Yankees sind übrigens sehr selten, und ihre Begierde wandelt andere Pfade wie die des europäischen Genießers. Im vornehmsten Hotel in Buffalo „Zum Irokesen“ sollte ich zum erstenmal die Bestimmung eines geheimnisvollen Utensils kennen lernen, das mir schon in vielen Hotels und Restaurants aufgefallen war: ein massives, etwa einen halben Meter hohes, zylindrisches Silbergerät mit einer oben herausragenden, durch einen derben Querbalken betätigten Schraube. Ein einsamer Speiser ließ sich an einem Nebentisch nieder, dessen Bestellung sogleich eine Menge Kellner in aufgeregte Bewegung versetzte. Offenbar war dieser wuchtige Geselle mit dem römischen Imperatorenkopf ein Genießer höherer Grade. Nach längerer Zeit brachte man eine große verdeckte silberne Schüssel, die auf ein Spiritusrechaud gestellt wurde. Zwei Kellner trugen dann jenen rätselhaften schweren Silbergegenstand herbei und schraubten dessen[pg 119]obere Hälfte ab. Darauf hob der Oberkellner mit feierlicher Miene den Deckel der Silberschüssel auf und spießte von den beiden darunter befindlichen, leicht angebratenen Vögeln (Enten waren es meiner Meinung nach) einen auf und pfropfte ihn mit Mühe in jenen Zylinder hinein, worauf das Oberteil wieder aufgesetzt und nunmehr die Schraube mit Anstrengung beider Hände betätigt wurde. Aus einer Ausflußöffnung am Boden des Gefäßes rann dickes, schwärzliches Blut in eine vorgehaltene Schale. Dieses Blut wurde mit allerlei Gewürzen angerührt und schließlich als Sauce über den anderen halb rohen Vogel gegossen. Dieses kannibalische Gericht verzehrte der Einsame mit dem Gleichmut eines Lukull. Ich erinnere mich nicht, ob er Tee dazu getrunken hat. Zu verwundern wäre es weiter nicht gewesen, da der Yankee auch die opulentesten Mahlzeiten mit Eiswasser, Tee oder Kaffee hinunter zu spülen pflegt.Billige Speisehäuser.Der Fremde, dessen Mittel nicht ausreichen, in erstklassigen Hotels und Restaurants zu speisen, und der sich mit der Yankeeküche gewöhnlichen Schlages nicht zu befreunden vermag, fährt am besten, wenn er sich in eines der zahlreichen, meist billigen und einfach gehaltene Speisehäuser begibt, die seine heimische Küche pflegen. Man kann in dem teuren New York, und wohl auch in den meisten der ganz großen Städte, französisch, deutsch, italienisch, griechisch, polnisch, ungarisch, chinesisch und koscher essen. Namentlich an guten, sehr billigen italienischen Lokalen, in denen es noch einen trinkbaren Wein gratis gibt, ist in New York wenigstens kein Mangel. Dagegen habe ich wienerische Speiserestaurants ebenso schmerzlich wie Wiener Cafés vermißt. Ich meine, hier wäre noch eine Kulturmission für die Einwanderer der österreichischen Kronländer zu erfüllen. Wenn ich[pg 120]drüben irgendwo ein Stück Rindfleisch mit Beilage, wie bei Meisl & Schaden, vorgesetzt bekommen hätte, ich hätte es knieend verzehrt und hernach stehend die österreichische Nationalhymne gesungen. Und die Einführung des Berliner Systems Kempinski, nämlich eine große Auswahl von Gerichten in tadelloser Qualität zu einem sehr billigen Einheitspreis zu geben, könnte eine Revolution des Ernährungswesens drüben hervorbringen. Bis dahin muß der deutsche andachtsvolle Genießer mit heißer Liebe seine wohlhabenden Landsleute umbuhlen, denn es sind drüben fast allein die Deutschen, die den Schwerpunkt ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes auf eine gute Tafel im heimatlichen Stil verlegen.Das Volk der Kauer.Beim richtigen Yankee scheinen es übrigens nicht die Geschmackswarzen zu sein, welche ihm den Genuß beim Essen vermitteln, sondern vielmehr die Kinnbacken und die Speicheldrüsen. Das Kauen und das Schlucken an sich macht diese einfachen Naturkinder glücklich. Wer zum erstenmal nach den Vereinigten Staaten kommt, kann sich nicht genug darüber wundern, hier einem Volke von Wiederkäuern zu begegnen. In der Straßenbahn, in den Geschäften, in den Vergnügungslokalen wie auf der Straße sind die Kauwerkzeuge dieser seltsamen Nation in unausgesetzter Bewegung, und ein Widerschein von Zufriedenheit überstrahlt von dieser Kinnbackenbetätigung aus die Gesichter. Junge hübsche Ladnerinnen kauen, wenn sie mittags zum Lunch gehen und wenn sie vom Lunch ins Geschäft zurückkehren. Die Soldaten kauen beim Exerzieren; sie würden sicher auch kauend ihre Schlachten schlagen. Der gesetzte junge Mann mit ernsten Absichten kaut, wenn er seine Liebeserklärung macht, und seine Erwählte erwidert errötend: „Mum mum mum – tschap tschap, sprechen Sie mit Mama.“ Und der[pg 121]gewaltige, 125 Kilo schwere Schutzmann rennt kauend dem Dieb nach und packt ihn beim Kragen mit dem Ausruf: „Dscham dscham – ich verhafte Sie – mum mum – im Namen des Gesetzes!“ Ein Stückchen gezuckerter Gummi (Chewing Gum) zwischen die Backzähne geschoben, beglückt alle diese Leute wie den Seemann sein Priemchen und wiegt sie in die freundliche Täuschung ein, in der besten aller Welten zu leben. Wäre Cartesius als Yankee zur Welt gekommen, er hätte sicher sein berühmtes „cogito ergo sum“ abgewandelt in: „Ich kaue, folglich bin ich.“

Da ich mich in meinem vorigen Kapitel mit Köchinnen beschäftigt habe, dürfte es angebracht sein, im Anschluß ein wenig in die amerikanische Küche hineinzuleuchten. Nach dem unzweifelhaften Wahrwort, daß der Weg zum Herzen des Mannes durch den Magen führe, dürfte es noch sehr lange dauern, bevor Dame Dollarica sich in der kulinarisch gebildeten Männerwelt einer auch nur annähernd ähnlichen Beliebtheit erfreut wie Madame Marianne oder die Commare Italia oder die nahrhafte Tante Austria. In Dingen des guten Geschmacks tut es eben der Reichtum allein nicht, sondern die große Vergangenheit einer aristokratischen Kultur, und innerhalb dreier lumpiger Jahrhunderte entwickelt sich keine neue Rasse von Fressern zu Speisern. Wie lange ist es denn überhaupt her, daß sich die Besiedler der neuen Welt des Segens sicherer behaglicher Häuslichkeit erfreuen? Viele der jetzt üppig blühenden Großstädte sind ja erst ein paar Jahrzehnte und nur ganz wenige über ein Jahrhundert alt. Der wüsten Raubbau treibende angelsächsische Kolonist, der meist unbeweibt in selbstgezimmertem Blockhause hauste, briet sich über dem offenen Feuer am Spieß seinen Fetzen Fleisch und manschte sich aus den ihm zugewachsenen Zerealien irgend etwas zurecht, was einer genießbaren Speise vielleicht entfernt ähnlich sah. Als dann im 18. und 19. Jahrhundert die weibliche Zuwanderung sich hob, fanden die mit der Kochkunst einigermaßen vertrauen Frauen – unter den Britinnen sind sie nicht besonders häufig – eine Männerwelt vor,[pg 111]die einfach mit allem zufrieden war, was ihr vorgesetzt wurde. Erst in neuester Zeit, als die Vereinigten Staaten willige und splendid zahlende Abnehmer für alle Luxusprodukte der alten Welt wurden, begannen auch bewährte Meister der Kochkunst über den Ozean zu ziehen; aber die traten selbstverständlich nur in den Dienst der vornehmsten Hotels, der teuersten Restaurants und der Milliardäre ein und konnten folglich nicht für die breite Masse des mäßig begüterten Bürgertums erziehlich wirken. Die amerikanischen Esser sind die dankbarsten der Welt, weil ihnen im Vergleich zu ihrer barbarischen Küche natürlich die Speisekarte der Kulturvölker lauter überraschende Offenbarungen bietet.

Süß muß es sein!

Süß muß es sein!

Die unkultivierte Kindlichkeit des Geschmacks offenbart sich denn auch in Amerika nirgends deutlicher als auf dem Gebiete der Küche. Das Haupterfordernis der Eßbarkeit ist für den Yankee die Süße. Alles, was süß ist, schmeckt ihm ausgezeichnet. Bezeichnenderweise ist es mir trotz größter Mühe nicht gelungen, irgendwo in den Vereinigten Staaten ein Mundwasser aufzutreiben, das nicht schauderhaft verzuckert gewesen wäre. So ist Süßigkeit das erste, was der Yankee, sobald er sich dem Schlaf entwunden, in den Mund bekommt. Seinem ersten Frühstück geht der Genuß von Früchten: Orangen, Grapefruit oder Melonen voran, die unter einem Berge von Streuzucker mit dem Löffel hervorgegraben werden. (Nebenbei gesagt: das Fruchtessen vor dem Frühstück ist die einzige nationale Speisesitte, die ich Europäern zur Nachahmung empfehlen möchte. Die wundervoll saftige Grapefruit mit ihrem Chiningehalt besonders ist höchst erfrischend und bekömmlich.) In einem üppigeren Haushalt ist schon der Frühstückstisch reicher gedeckt als bei uns manche Mittagstafel. Beefsteak, Hammel[pg 112]kotelette, Fischgerichte, kalter Aufschnitt verschiedenster Art werden von den Männern bevorzugt, während die Frauen und Kinder eine große Auswahl der zum Teil wunderlichsten Eier- und Mehlspeisen zur Verfügung haben. Weizen, Korn, Gerste, Mais, Hirse, Buchweizen, Hafer, Reis, kurz: alle erdenklichen Getreidearten erscheinen in der Form von Grütze, Graupen, Flocken, Fäden oder papierdünnen Schnipfeln, roh, gekocht oder geröstet und werden größtenteils mit Rahm und sehr viel Zucker angerührt. Dünne Eierkuchen werden mit übersüßen Fruchtsäften übergossen, und der Toast sowie die meist gleichfalls süßen Semmeln mit Fruchtgelees und Marmeladen bestrichen. Diese Vorliebe für den Genuß von Süßigkeiten von Tagesanbruch ab ist aber durchaus nicht etwa auf die Frauen und Kinder oder auf die wohlhabenden Klassen beschränkt, sondern sie ist ganz offenbar eine nationale Raserei.

Es gibt in den Vereinigten Staaten keine Cafés im Wienerischen Sinne. Als ich daher einmal auf dem Broadway ein Wirtshausschild mit der Aufschrift „Coffeehouse“ erblickte, stürmte ich begeistert in das Lokal. Es war eine große reinliche Halle, die Diele mit Sand bestreut, ohne Tische und Stühle, nur den Wänden entlang zogen sich Holzbänke, die durch Zwischenwände in einzelne Sitze eingeteilt waren, und auf diesen trennenden Seitenwänden waren genügend breite, rund geschnittene Bretter angebracht, um eine Tasse und einen Teller daraufstellen zu können. Am Kopfende der Halle befand sich ein riesiges Buffet, auf dem die herrlichsten Kuchen und Torten aufgebaut waren, sowie zwei blitzblanke vernickelte Samovars für Tee und Kaffee. Das Publikum dieses eigenartigen Kaffeehauses bestand aber ausschließlich aus Droschkenkutschern, Chauffeuren,[pg 113]Messenger Boys, Policemen und Arbeitern. Keine Frau betrat das Lokal. Kaffee gab es reichlich und anständig, und den ganz vorzüglichen und für New-Yorker Verhältnisse sehr billigen Schaum- und Fruchttorten, Apfelkuchen mit Schlagrahm und Minced Pie sprach dieses robuste Mannsvolk mit dem Behagen schleckermäuliger Schuljungens zu.

Icecream und Zahnarzt.

Icecream und Zahnarzt.

Die eigentliche Nationalspeise ist keineswegs das Roastbeef oder der hochfestlicheTurkey(Puter), sondern derIcecream, das Gefrorene. Icecream wird Winters und Sommers von mittags bis Mitternacht verzehrt von Alt und Jung, von Hoch und Niedrig; Icecream besänftigt die ungebärdigen Säuglinge; Icecream gilt als Vorspeise, als Dessert, als Kompott sogar; er kehrt bei großen Diners mehrmals im Laufe der Speisenfolge als Zwischenaktsmusik wieder, er ersetzt den verpönten Alkohol und bewirkt, daß die Amerikaner sich der besten Zahnärzte der Welt erfreuen – denn das schroffe Durchsetzen siedheißer Suppen und glühender Breie mit Eiswasser und Icecream können selbst die besten Gebisse nicht vertragen. Der Schmelz springt ab, und die vom ewigen Zuckerschleimstrom umspülten, schutzlosen Zähne sind der Karies rettungslos preisgegeben. Infolgedessen hat jedermann fortwährend den Zahnarzt nötig, und man braucht sich nicht zu wundern, Kanalausräumer und schmierige Nigger mit so viel Gold im Munde zu sehen wie die köstlichste Maimorgenstunde.

Tafelfreuden im Pensionat.

Tafelfreuden im Pensionat.

Ich habe bereits im vorigen Kapitel darauf hingewiesen, wie durch den Mangel an Dienstpersonal die Küche und die Tafelgewohnheiten beeinflußt werden. Ich bemerkte, daß durch den Mangel an scharfen Messern mit schwer zu putzenden Stahlklingen ein Braten zu einer schwer zu bewältigenden Speise geworden sei.[pg 114]Folglich kommen gekochtes Rindfleisch, Schmorbraten, Sauerbraten, Kalbs- und Hammelsrücken oder Schlegel so gut wie gar nicht auf den Tisch. Das nationale angelsächsische blutrünstige Roastbeef, drüben jedoch nicht so, sondernPrime rib of Beefgenannt, muß man von der Gabel mittels des stumpfen Bronzemessers abzustemmen versuchen, wenn man nicht vorzieht, den ganzen Fladen in den Mund zu nehmen und mittels der Gabel oder der Finger durch die Zähne zu ziehen. Übrigens sind diese Ochsenrippenstücke neben den sehr üppigen und teuren Rinds- und Hammelsteaks das einzige gebratene Fleisch, welches wirklich schmackhaft zubereitet zu sein pflegt, während Kalbskoteletten und Schnitzel meistens ungenießbar sind. Als niedliches Kuriosum möchte ich erwähnen, daß ich einmal bei einem Sonntagsdiner Honig als Kompott zum Roastbeef angeboten bekam! Geflügel wird sehr viel mehr als bei uns gegessen. Es wird zu unwahrscheinlichen Dimensionen herangezüchtet. Ich habe Hennen gesehen, die so hoch waren wie ein Storch und so fett wie ein Mops; aber das Fleisch dieser abnorm großen Tiere ist dafür auch wenig zart, und die Keulen besonders bekommen einen ganz anderen Charakter als das Brustfleisch; es wird beim Braten braun und mürbe, während das weiße Fleisch trocken und charakterlos bleibt. Meistens wird einem aber der Genuß selbst eines wohlgeratenen jungen Hahns durch eine pappige, süßliche Mehltunke verkümmert. Da das Tellerabwaschen die Geduld des feinnervigen Küchenpersonals auf eine zu harte Probe stellen würde, so muß man sich, wenigstens in Haushaltungen bescheideren Stils, die ganze Mittags- oder Abendmahlzeit einschließlich des Kompotts auf ein und denselben Teller packen. In dem Boardinghouse bester Art, in dem wir in New-York wochenlang lebten,[pg 115]bestand die sonderbare Sitte, daß nach der Suppe warme Teller mit einem Kleckschen Fisch, etwa von Daumendicke und -länge, verabfolgt wurden, selbstverständlich in einer seimig-süßen Sauce versteckt. (Übrigens sind die Fische des Atlantischen Ozeans auf der amerikanischen Seite wenig schmackhaft; wirkliche Delikatessen findet man nur unter den Fluß- und Süßseefischen.) Nachdem der Fischbissen verschluckt, beziehungsweise mißtrauisch auf den hohen Rand geschoben war, wurde der ganze Tisch voll kleiner Platten gestellt: verschiedene Fleischsorten verwischten Charakters, unseren Klopsen, falschen Hasen, Bouletten, Rouladen und dergleichen ähnlich, in irgendeiner mehlweißen oder kapuzinerbraunen Schmiere halb versunken, das unvermeidliche Chicken, dazu verschiedene Gemüse, unter denen grüne Erbsen, Lima-Bohnen und Blumenkohl die genießbarsten, sowie Kartoffeln in mehrerlei Aufmachung, in der Schale im ganzen gebacken – man bricht sie auf und schält sie mit dem Teelöffel heraus; recht empfehlenswert – oder als Brei, oder kloßartig, oder gebraten. Niemals fehlen auf dem Tische die beliebtenSweet Potatoes, Gebilde von Gurkenausdehnung, vor denen ich Fremdlinge eindringlichst warnen möchte, denn sie sehen wie gezuckerte Glyzerinseife aus und schmecken leider auch so ähnlich.

All diese Genußmittel, noch um diverse eingekochte Früchte vermehrt, arrangiert man sich nun nach Geschmack und Talent auf seinem Fischteller, und man kann von Glück sagen, wenn einem die Gräten nicht in die grünen Erbsen, das Kompott nicht in die ausgehöhlte Kartoffelpelle und die Hühnerknochen nicht in den falschen Hasen geraten. Echte Hasen gibt es überhaupt nicht. Der Ersatz dafür, und überhaupt das einzige einheimische Wild, ist das hasenfarbigeRabbit(Kaninchen), das die[pg 116]Natur da drüben aus Kautschuk verfertigt zu haben scheint – möglicherweise wird es aber auch aus Abfällen der Schuhfabrikation künstlich hergestellt. Alles übrige Wild haben die begeisterten Freischützen in den kultivierteren Staaten schon längst abgeschossen – bis auf die Ratten und die Klapperschlangen. Hat man die eßbaren Bestandteile der wüsten Speisenaufhäufung auf seinem Universalteller herausgefuttert, so bilden die Überbleibsel ein ästhetisch reizvolles Stilleben. Sind sie endlich entfernt, so erscheint als eiserner Bestand jedes amerikanischen Menüs sowohl im Hotel ersten Ranges, wie auf dem einfachsten bürgerlichen Mittagstisch der Salat, der niemals in einer Schüssel herumgereicht, sondern immer fertig auf winzigen flachen Tellerchen einem vorgesetzt wird. Mich wundert, daß noch kein Yankeedichter diesen Salat besungen hat, denn in ihm feiert die Phantasie des amerikanischen Kochkünstlers orgiastische Triumphe.

Amerikanischer Salat.

Amerikanischer Salat.

Ich glaube, es gibt in den drei Naturreichen nichts, was nicht in solch einem amerikanischen Salat zu finden wäre. Den Grundstock bilden ein bis drei große grüne Blätter, die nicht unbedingt der Salatstaude zu entstammen brauchen. Darauf werden einige Tropfen Essig und Öl geschüttet und auf dieser Unterlage ein mehr oder minder kühner Aufbau von allem möglichen und unmöglichen Süßem, Sauerem, Salzigem, Bitterem, Hartem, Weichem, Flüssigem, Genießbarem und Ungenießbarem vollzogen. In einem feinen Hause, in dem sich die Hausfrau selbst auf ihre Kochkunst viel zugute tat, wurde beispielsweise eine solche Salatdichtung mit außerordentlichem Beifall beehrt, deren Komposition ich dem Augenschein und der Zunge nach ungefähr folgendermaßen analysieren möchte: zwei Blätter Salat mit je fünf Tropfen Essig und Öl, darauf eine Scheibe frische Tomate, eine[pg 117]viertel Scheibe Ananas, etwas weißes Hühnerfleisch, einige Scheiben Radieschen, einige gepickelte Erbsen und Karotten, ein Klecks Butter, mit Streuzucker durchgerührt, ein Teelöffel Schokoladencream und eine Rumkirsche als Turmknopf oben drauf. Totaleindruck auf Zunge und Gaumen zauberhaft; schmeckt – wie mein Freund, der Rechtsanwalt in Landau, sagen würde – wie Öl und Werg! Diese kulinarische Offenbarung erfolgte aber, wie gesagt, in einem Hause, dessen Herrin ihren Xenophon in der Ursprache zu lesen vermochte. In minder gebildeten Familien ist man natürlich weniger wählerisch und verwendet zur Salatbereitung die nächstliegenden Gegenstände, also in erster Reihe die mehr oder minder traurigen Überreste früherer Mahlzeiten, soweit sie eßbaren Naturprodukten einigermaßen noch ähnlich sehen. Fehlt es aber zum Beispiel an gepickelten Spargelspitzen, so kann man dazu auch einen klein geschnittenen Spazierstock verwenden, da die Spazierstöcke drüben außer Mode gekommen sind, und statt der Fleischbeigaben die Reste in Gedanken stehen gebliebener Gummigaloschen, die die Trüffel täuschend ersetzen, zumal, wenn sie vorher in sauren Rahm eingelegt und dann mit braunem Zucker kandiert werden. Salat von Fischgräten, Kalmus und Bananen, mit roten Pfefferschoten und Knallerbsen garniert, soll auch sehr gut sein; ich habe ihn aber nicht gegessen, sondern nur nach einer besonders anregenden Mahlzeit – erträumt!

Den Fruchttorten, die man an Stelle der Mehlspeisen zum Nachtisch reicht, wird regelmäßig ein derbes Stück Käse beigefügt; zu welchem Zwecke, weiß ich nicht. Als ich zum erstenmal diese Zusammenstellung erblickte, steckte ich den Käse instinktiv in die Westentasche; ich hielt ihn für ein Stück Radiergummi, den ich in meinem[pg 118]Geschäft immer brauchen kann. Befindet sich Obst auf dem Tische, so nehme man sich davon beizeiten und reichlich, fülle auch womöglich seinen Pompadour damit an, denn alles Obst ist in Amerika von ganz vorzüglicher Qualität – und man weiß ja nie, wie’s kommen mag! Was meine Person betrifft, so muß ich gestehen, daß ich mich während der ganzen Boardinghouse-Periode kümmerlich von Austern und Hummern genährt habe, denn die sind von unvergleichlicher Güte, Größe und Nahrhaftigkeit und nebenbei auch das einzige amerikanische Produkt, das man – neben Stiefeln – als billig bezeichnen kann. Europäer von noch nicht genügend fortgeschrittener Perversität möchte ich jedoch vor denClamswarnen, einer kleinen, lachsfarbenen Muschelart, deren penetranter Nachgeschmack einen besserenNeurasthenikerzum Selbstmord verführen könnte.

Die raffinierten Schlemmer unter den Yankees sind übrigens sehr selten, und ihre Begierde wandelt andere Pfade wie die des europäischen Genießers. Im vornehmsten Hotel in Buffalo „Zum Irokesen“ sollte ich zum erstenmal die Bestimmung eines geheimnisvollen Utensils kennen lernen, das mir schon in vielen Hotels und Restaurants aufgefallen war: ein massives, etwa einen halben Meter hohes, zylindrisches Silbergerät mit einer oben herausragenden, durch einen derben Querbalken betätigten Schraube. Ein einsamer Speiser ließ sich an einem Nebentisch nieder, dessen Bestellung sogleich eine Menge Kellner in aufgeregte Bewegung versetzte. Offenbar war dieser wuchtige Geselle mit dem römischen Imperatorenkopf ein Genießer höherer Grade. Nach längerer Zeit brachte man eine große verdeckte silberne Schüssel, die auf ein Spiritusrechaud gestellt wurde. Zwei Kellner trugen dann jenen rätselhaften schweren Silbergegenstand herbei und schraubten dessen[pg 119]obere Hälfte ab. Darauf hob der Oberkellner mit feierlicher Miene den Deckel der Silberschüssel auf und spießte von den beiden darunter befindlichen, leicht angebratenen Vögeln (Enten waren es meiner Meinung nach) einen auf und pfropfte ihn mit Mühe in jenen Zylinder hinein, worauf das Oberteil wieder aufgesetzt und nunmehr die Schraube mit Anstrengung beider Hände betätigt wurde. Aus einer Ausflußöffnung am Boden des Gefäßes rann dickes, schwärzliches Blut in eine vorgehaltene Schale. Dieses Blut wurde mit allerlei Gewürzen angerührt und schließlich als Sauce über den anderen halb rohen Vogel gegossen. Dieses kannibalische Gericht verzehrte der Einsame mit dem Gleichmut eines Lukull. Ich erinnere mich nicht, ob er Tee dazu getrunken hat. Zu verwundern wäre es weiter nicht gewesen, da der Yankee auch die opulentesten Mahlzeiten mit Eiswasser, Tee oder Kaffee hinunter zu spülen pflegt.

Billige Speisehäuser.

Billige Speisehäuser.

Der Fremde, dessen Mittel nicht ausreichen, in erstklassigen Hotels und Restaurants zu speisen, und der sich mit der Yankeeküche gewöhnlichen Schlages nicht zu befreunden vermag, fährt am besten, wenn er sich in eines der zahlreichen, meist billigen und einfach gehaltene Speisehäuser begibt, die seine heimische Küche pflegen. Man kann in dem teuren New York, und wohl auch in den meisten der ganz großen Städte, französisch, deutsch, italienisch, griechisch, polnisch, ungarisch, chinesisch und koscher essen. Namentlich an guten, sehr billigen italienischen Lokalen, in denen es noch einen trinkbaren Wein gratis gibt, ist in New York wenigstens kein Mangel. Dagegen habe ich wienerische Speiserestaurants ebenso schmerzlich wie Wiener Cafés vermißt. Ich meine, hier wäre noch eine Kulturmission für die Einwanderer der österreichischen Kronländer zu erfüllen. Wenn ich[pg 120]drüben irgendwo ein Stück Rindfleisch mit Beilage, wie bei Meisl & Schaden, vorgesetzt bekommen hätte, ich hätte es knieend verzehrt und hernach stehend die österreichische Nationalhymne gesungen. Und die Einführung des Berliner Systems Kempinski, nämlich eine große Auswahl von Gerichten in tadelloser Qualität zu einem sehr billigen Einheitspreis zu geben, könnte eine Revolution des Ernährungswesens drüben hervorbringen. Bis dahin muß der deutsche andachtsvolle Genießer mit heißer Liebe seine wohlhabenden Landsleute umbuhlen, denn es sind drüben fast allein die Deutschen, die den Schwerpunkt ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes auf eine gute Tafel im heimatlichen Stil verlegen.

Das Volk der Kauer.

Das Volk der Kauer.

Beim richtigen Yankee scheinen es übrigens nicht die Geschmackswarzen zu sein, welche ihm den Genuß beim Essen vermitteln, sondern vielmehr die Kinnbacken und die Speicheldrüsen. Das Kauen und das Schlucken an sich macht diese einfachen Naturkinder glücklich. Wer zum erstenmal nach den Vereinigten Staaten kommt, kann sich nicht genug darüber wundern, hier einem Volke von Wiederkäuern zu begegnen. In der Straßenbahn, in den Geschäften, in den Vergnügungslokalen wie auf der Straße sind die Kauwerkzeuge dieser seltsamen Nation in unausgesetzter Bewegung, und ein Widerschein von Zufriedenheit überstrahlt von dieser Kinnbackenbetätigung aus die Gesichter. Junge hübsche Ladnerinnen kauen, wenn sie mittags zum Lunch gehen und wenn sie vom Lunch ins Geschäft zurückkehren. Die Soldaten kauen beim Exerzieren; sie würden sicher auch kauend ihre Schlachten schlagen. Der gesetzte junge Mann mit ernsten Absichten kaut, wenn er seine Liebeserklärung macht, und seine Erwählte erwidert errötend: „Mum mum mum – tschap tschap, sprechen Sie mit Mama.“ Und der[pg 121]gewaltige, 125 Kilo schwere Schutzmann rennt kauend dem Dieb nach und packt ihn beim Kragen mit dem Ausruf: „Dscham dscham – ich verhafte Sie – mum mum – im Namen des Gesetzes!“ Ein Stückchen gezuckerter Gummi (Chewing Gum) zwischen die Backzähne geschoben, beglückt alle diese Leute wie den Seemann sein Priemchen und wiegt sie in die freundliche Täuschung ein, in der besten aller Welten zu leben. Wäre Cartesius als Yankee zur Welt gekommen, er hätte sicher sein berühmtes „cogito ergo sum“ abgewandelt in: „Ich kaue, folglich bin ich.“


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