21. Kapitel.

Der furchtbare Wachtmeister aber sagte sich, der Kommandant werde nicht zürnen, wenn er die Lipker nicht verschone; er steckte ihnen bloß aus angeborener Grausamkeit Rasen in den Mund, um ihr Schreien zu verhüten, und schlachtete sie ab wie Rinder. Nur den einen, Eliasewitsch, verschonte er, weil er glaubte, er werde ihnen als Führer notwendig sein. Als er mit der blutigen Arbeit fertig war, zog er die noch zitternden Körper vom Feuer fort und legte sie der Reihe nach hin; dann ging er, um nach dem Kommandanten zu sehen.

»Und wenn er wahnsinnig geworden wäre,« brummte er vor sich hin, »wir müssen doch den da bekommen.«

Die Mittagsstunde ging vorüber, der Nachmittag ebenfalls — der Tag neigte sich dem Ende zu. Jene anfänglich kleinen Wolken nahmen das ganze Firmament ein, sie wurden immer dichter und dunkler, ohne den kupferfarbenen Glanz an den Säumen zu verlieren. Sie bewegten sich schwerfällig wie Mühlsteine um ihre eigene Achse; bald gingen sie ineinander über, bald stießen sie eine die andere und kamen in dichten Haufen immer tiefer zur Erde herab. Der Wind fuhr von Zeit zu Zeit mit einem mächtigen Stoße vorüber, wie der Flügelschlag eines Raubvogels, und beugte die Kirschbäume und Hundsbeerensträucher zu Boden, wirbelte eine Staubwolke von Blättern auf und warf sie rasend umher; bald hielt er wieder ein, als sei er in die Erde versunken. In diesem Augenblicke der Stille hörte man in den geballten Wolken ein unheilverkündendes Zischen, Pfeifen und Rauschen. Es war, als sammelten sich die Heerscharen des Donners, als stellten sie sich in einer Schlachtreihe auf, als wollten sie mit dumpfem Knurren ihre eigene Wut und Rasereianstacheln, ehe sie ausbrachen und gegen den verzagten Erdball ihre Keile schleuderten.

»Ein Sturm naht,« flüsterten sich die Dragoner einander zu.

Der Sturm kam, es wurde immer dunkler. Da erhob sich im Osten, von der Dniestrseite her, ein Donner und fuhr mit furchtbarem Getöse über den Himmel weithin gegen den Pruth; dort verstummte er eine Weile, aber bald erhob er sich wieder, dröhnte über die Steppen des Budschiak und verbreitete sich endlich über den ganzen Horizont. Die ersten großen Regentropfen fielen auf den versengten Rasen.

In diesem Augenblick erschien Nowowiejski vor den Dragonern.

»Aufs Pferd!« schrie er mit Donnerstimme.

Kurz darauf rückte er an der Spitze von hundertfünfzig Reitern ab; am Ende des Wäldchens verband er sich mit der anderen Hälfte seiner Leute, welche bei der Herde darauf geachtet hatten, daß keiner der Pferdehirten sich zum Lager stehle. Die Dragoner umritten in einem Augenblick die Herde, indem sie den wilden, den tatarischen Hirten eigenen Schrei ausstießen, und stürmten vorwärts, die aufgeschreckten Pferde vor sich herjagend.

Der Wachtmeister führte Eliasewitsch an der Schlinge und schrie ihm ins Ohr, so laut, daß er das Getöse des Donners übertönte:

»Führe uns, Hundeblut, den ganzen Weg, sonst stoße ich dir das Messer in die Kehle.«

Inzwischen hatten sich die Wolken so tief gesenkt, daß sie fast die Erde berührten. Plötzlich brach es hervor wie Glut aus dem Ofen, und ein entsetzlicher Orkan erhob sich. Blendende Helligkeit zerriß das Dunkel, der Donner krachte, in der Luft verbreitete sich ein Schwefelgeruch. Wiederherrschte Dunkelheit. Entsetzen erfaßte die Pferde; von hinten her durch die wilden Ausrufe der Dragoner aufgescheucht, trieben sie mit offenen Nüstern und fliegender Mähne dahin, ohne die Erde im Laufe zu berühren; der Donner ruhte nicht einen Augenblick, der Wind heulte, und die Reiter jagten rasend dahin in diesem Sturm, in dieser Finsternis, in diesem drohenden Gepolter, von dem die Erde zu bersten schien, getrieben von der Rache, und glichen in dieser öden Steppe dem entsetzlichen Reigen der Vampire oder bösen Geistern.

Der Raum schwand vor ihnen hin, sie brauchten keinen Führer, denn die Herde lief schnurstracks in das Lager der Lipker, das immer näher und näher kam. Noch ehe sie es erreichten, war der Sturm so entfesselt, als wäre Himmel und Erde in Raserei. Der ganze Horizont stand in Feuer. Bei dem Glanze dieser Helligkeit erblickten sie schon aus der Ferne die Zelte in der Steppe. Die Welt bebte vom Donnergepolter. Es schien, als müßten die Wolkenballen jeden Augenblick bersten und über der Erde zusammenstürzen; alle Schleusen des Himmels öffneten sich, und der Regen ergoß sich in Strömen über die Steppe. Eine Meereswoge hüllte die Welt ein, so daß man auf wenig Schritte Entfernung nichts sehen konnte; von der glühenden, versengten Erde erhob sich dichter Dunst.

Einen Augenblick noch, und die Herde und die Dragoner sind im Lager. Aber unmittelbar vor dem Zelte stoben die Pferde in wilder Scheu nach beiden Seiten auseinander. Dreihundert Menschen entrang sich ein furchtbarer Schrei, dreihundert Schwerter erglänzten im Feuerschein der Blitze, und die Dragoner stürzten in die Zelte.

Die Lipker hatten vor dem Ausbruch des Regens beim Schein der Blitze die heranreitende Herde wahrgenommen, aber niemand hatte vermutet, welch furchtbare Hirten sievor sich hertrieben. Verwunderung und Unruhe ergriff sie darüber, daß die Pferde in gerade Linie auf die Zelte zueilten; sie begannen zu schreien, um die Pferde zu erschrecken. Asya selbst schob den Linnen-Vorhang zur Seite und trat trotz des Regens drohenden Antlitzes hinaus. Aber gerade in diesem Augenblick war die Herde auseinandergestoben, und unter den Strömen des Regens und den Ausdünstungen des Bodens tauchten dunkle, entsetzliche Gestalten in weit größerer Anzahl als die Pferdehirten auf, und ein dröhnender Schrei erklang:

»Schlagt, mordet!«

Es war keine Zeit zu verlieren, ja, es war weder Zeit dazu, nachzudenken, was geschehen war, noch zum Erschrecken. Ein Orkan von Menschen, schrecklicher und wütender als der Sturm, fuhr über das Lager her; ehe Tuhaj-Beys Sohn vermochte, mit einem Schritt in das Zelt zurückzutreten — man hätte glauben können, eine übermenschliche Kraft habe ihn vom Boden erhoben — empfand er plötzlich, daß ihn zwei eiserne Arme umklammert hielten, daß sich seine Knochen unter dieser Umarmung bogen, daß seine Rippen brachen. Einen Augenblick sah er im Nebelscheine ein Gesicht, das furchtbarer als das Antlitz des Teufels anzuschauen war, und ihn verließ das Bewußtsein.

Unterdessen hatte die Schlacht, oder richtiger ein blutiges Schlachten begonnen. Der Sturm, die Dunkelheit, die unbekannte Zahl der Angreifer, die Plötzlichkeit des Überfalles, das Auseinanderstieben der Pferde hatten verursacht, daß sich die Lipker fast gar nicht wehrten; es hatte sie geradezu eine Raserei der Angst ergriffen; niemand wußte, wohin er entfliehen, niemand, womit er sich schützen solle. Viele hatten gar keine Waffen bei sich, viele hatte der Überfall im Schlafe überrascht, und so drängten sie sich betäubt, irre vorEntsetzen, in dichten Haufen zusammen, wälzten sich fort, indem sie einander zu Boden warfen und mit Füßen traten. Die Pferde drängten sie zusammen und warfen sie mit der Brust zu Boden, die Säbel hieben auf sie ein, die Hufe traten sie in den Staub. Der Sturm bricht und verwüstet die junge Waldanpflanzung nicht in gleicher Weise, die Wölfe wüten nicht so in der Herde aufgescheuchter Schafe, wie die Dragoner die Lipker niedertraten und niederhieben. Verwirrung von der einen Seite, Wut und Rachedurst von der anderen machten das Maß der Niederlage voll. Ströme Blutes vermischten sich mit dem Regen; den Lipkern war, als stürze der Himmel über sie ein, als tue sich die Erde zu ihren Füßen auf. Das Krachen der Donner, das Leuchten der Blitze, das Rauschen des Regens, die Finsternis, das Entsetzen des Sturmes begleiteten das furchtbare Echo der Metzelei. Die Pferde der Dragoner, gleichfalls von Schrecken erfaßt, stürzten sich wie wahnsinnig in das Menschengewühl und mähten die Feinde nieder. Endlich begannen kleinere Haufen zu entweichen, aber sie hatten in so hohem Grade die Kenntnis des Ortes verloren, daß sie im Kreise auf das Schlachtfeld wieder zurückritten, anstatt geradeaus zu fliehen, — sie prallten oft aufeinander, wie zwei entgegengesetzte Wogen, rieben sich gegenseitig auf und kamen unter das eigene Schwert. Endlich hatte man die Reste völlig zerstreut, nach allen Seiten gejagt, auf der Flucht während der Verfolgung ohne Gnade niedergemacht, und auch nicht einen lebendig eingefangen, bis endlich die Trompeten im Lager die Verfolger zurückriefen.

Nie war ein Überfall unerwarteter, nie eine Niederlage furchtbarer. Dreihundert Mann hatten nahezu zweitausend trefflicher Krieger der Reiterei, die unendlich die gewöhnlichen Tatarenscharen an Gewandtheit übertrafen, in alle vier Winde zerstreut. Der größere Teil lag hingestreckt inmittender roten Pfützen, die der Regen, vermischt mit dem Blute, bildete; der Rest hatte zerstreut Schutz gefunden, dank der Dunkelheit, und war zu Fuß geflohen, blindlings, ohne zu wissen, ob er nicht wieder dem feindlichen Schwerte begegne. Den Siegern hatte der Sturm und der Nebel geholfen, als ob der Zorn Gottes auf ihrer Seite gekämpft hätte gegen den Verräter.

Schon war die Nacht hereingebrochen, als Nowowiejski an der Spitze der Dragoner zu den Grenzen der Republik zurückritt. Zwischen dem jungen Hauptmann und dem Wachtmeister Luschnia ging ein Tatarenpferd, auf dessen Rücken, mit Stricken gebunden, bewußtlos und mit gebrochenen Rippen, aber lebendig, der Führer aller Lipker, Asya, Tuhaj-Beys Sohn, lag.

Sie blickten unverwandt nach ihm, als ob sie einen Schatz mit sich führten, den sie zu verlieren fürchteten.

Der Sturm ging allmählich vorüber, am Himmel eilten in schnellem Zuge noch die Wolken dahin, aber zwischen ihnen begannen die Sterne zu schimmern, und sie spiegelten sich in den Teichen, die der Wolkenbruch in den Steppen gebildet hatte.

In der Ferne, dort, wo die Grenzen der Republik waren, grollte noch von Zeit zu Zeit der Donner.

Die Lipkischen Flüchtlinge brachten die Kunde von der Niederlage zur Horde von Bialogrod, und hier vermittelten Boten sie nach Orduihamajun, an das kaiserliche Lager, wo sie einen außerordentlichen Eindruck machte.

Nowowiejski hätte eigentlich nicht gar so schnell mit seiner Beute nach der Republik zu eilen brauchen, denn nicht nur im ersten Augenblick, sondern auch die folgenden Tage setzte ihm niemand nach. Der Sultan war so bestürzt, daßer nicht wußte, was er beginnen sollte; er schickte zunächst Scharen von der Bialogroder und Dobrudscha-Horde aus, um festzustellen, welche Heere in der Umgegend seien. Sie gingen ungern, denn sie waren um die eigene Haut besorgt. Diejenigen der Bewohner des inneren Asiens oder Afrikas, die nie einen Feldzug gegen Lechistan mitgemacht hatten, und die aus Erzählungen von der furchtbaren Reiterei der Ungläubigen gehört hatten, erfaßte ein Schrecken bei dem Gedanken, daß sie sich schon angesichts dieses Feindes befänden, der nicht im eigenen Lande auf sie wartete, sondern sie sogar im Reiche des Padischahs aufsuchte. Der Großvezier selbst und die »zukünftige Sonne des Krieges«, der Kaimakam Kara-Mustapha, wußten auch nicht, was sie von dem Überfall denken sollten. Wie konnte diese Republik, von deren Ohnmacht sie so genaue und zuverlässige Mitteilungen hatten, als Angreiferin auftreten? Das konnte kein türkischer Kopf erraten; kurz, der Anmarsch schien ihnen von jetzt ab schon weniger sicher, schon weniger einem leichten Triumphzug ähnlich. Der Sultan empfing im Kriegsrat den Vezier und den Kaimakam mit drohendem Antlitz.

»Ihr habt mich getäuscht,« sagte er, »die Lechen können nicht so schwach sein, wenn sie uns hier in unserem eigenen Lande aufsuchen. Ihr waret der Meinung, daß Sobieski Kamieniez nicht verteidigen werde, und nun steht er uns wohl gar mit einem ganzen Heere gegenüber ...«

Der Vezier und der Kaimakam bemühten sich, dem Herrn zu erklären, daß es irgend eine lose Räuberbande gewesen sein könne; aber angesichts der vorgefundenen Musketen und Gerätschaften, unter welchen sich auch Dragonerkoller befanden, glaubten sie selbst nicht daran. Der über alle Maßen kühne und siegreiche Zug, den Sobieski jüngst in der Ukraine unternommen hatte, ließ vermuten, daß der drohendeFeldherr auch jetzt darauf ausging, den Feind zu überraschen.

»Er hat kein Heer,« sagte nach Beendigung des Kriegsrats der Großvezier zu dem Kaimakam, »aber es wohnt ein Löwe in ihm, der keine Furcht kennt. Wenn er nur einige Zehntausend bei sich hat und zur Stelle ist, so werden wir nur im Blute watend nach Chozim vordringen.«

»Ich würde mich gern mit ihm messen,« sagte der junge Kara-Mustapha.

»Daß Gott dann das Unheil von dir wende!« gab der Großvezier zurück.

Bald aber hatten sich die Scharen von Bialogrod und der Dobrudscha überzeugt, daß nicht nur keine größeren Trupps in der Nähe waren, sondern daß überhaupt kein Heer hier lag. Man hatte aber die Spuren einer Abteilung entdeckt, die ungefähr dreihundert Pferde zählen mochte, und die eilig nach dem Dniestr geritten war. Die Tataren, welchen das Schicksal der Lipker in der Erinnerung stand, folgten ihnen nicht, aus Furcht vor einem Hinterhalt; der Überfall der Lipker blieb etwas Erstaunliches und Unerklärliches, aber allmählich war die Ruhe in Orduihamajun wieder eingekehrt — und die Heerscharen des Padischahs begannen wieder ihren Vormarsch wie eine große Flut.

Inzwischen war Nowowiejski glücklich mit seiner lebendigen Beute nach Raschkow zurückgekehrt. Er war erst schnell geritten, aber die erfahrenen Streifzügler erkannten schon am zweiten Tage, daß sie nicht verfolgt wurden, und ritten also trotz der Eile so, daß sie ihre Pferde nicht allzusehr ermüdeten. Asya ritt stets zwischen Nowowiejski und Luschnia, mit Stricken an den Rücken des Pferdes festgebunden. Da ihm zwei Rippen gebrochen und seine Kräfte sehr geschwächt waren, da ferner die Wunde, die ihm Bärbchen im Gesichtbeigebracht, sich während des Ringens mit Nowowiejski und infolge des Rittes mit herabhängendem Kopfe wieder geöffnet und verschlimmert hatte, bemühte sich der furchtbare Wachtmeister um ihn, damit er vor der Ankunft in Raschkow nicht sterbe und die Rache vereitle. Der junge Tatar wollte aber sterben, denn er wußte, was seiner harrte. Endlich beschloß er, sich durch Hunger den Tod zu geben, und wollte keinerlei Nahrung zu sich nehmen; Luschnia aber riß ihm die zusammengebissenen Zähne mit dem Dolch auseinander und flößte ihm mit Gewalt Branntwein und moldauischen Wein ein, in den er geriebenen Zwieback aufgelöst hatte. An den Raststellen übergoß er ihm das Gesicht mit Wasser, damit die Wunden in Aug' und Nase, in die sich während des Rittes Fliegen und Bremsen festsetzten, nicht in Eiterung übergingen und dem unglücklichen Kriegsmann zu früh den Tod gäben. Nowowiejski sprach auf dem Wege kein Wort zu ihm. Einmal nur, gleich bei Beginn des Rückzuges, als Asya um den Preis seiner Freiheit und seines Lebens versprach, Sophie und Evchen zurückzugeben, rief ihm der Hauptmann zu: »Du lügst, Hund! Du hast beide nach Stambul verkauft an einen Händler, der sie im Bazar losschlagen will.«

Man stellte Asya Eliasewitsch gegenüber, der in aller Gegenwart wiederholte:

»So ist's, Effendi, du hast sie verkauft; du weißt selbst nicht an wen, und Adurowitsch hat die Schwester des Herrn verkauft, obwohl sie schon schwanger von ihm war.«

Bei diesen Worten schien es Asya einen Augenblick, als werde Nowowiejski ihn auf der Stelle mit seinen entsetzlichen Händen in Stücke reißen; darum beschloß er später, als er schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, den jungen Riesen dahin zu bringen, daß er ihn im Zorn töte, um den ihm bevorstehenden Qualen zu entgehen. Da Nowowiejski aber beständigneben ihm ritt, um ihn nicht einen Moment aus den Augen zu verlieren, begann er sich zu brüsten und schamlos zu prahlen mit dem, was er vollbracht. Er erzählte, wie er den alten Nowowiejski abgeschlachtet, wie er Sophie Boska bei sich im Zelte gehabt, wie er sich an ihrer Unschuld satt genossen, wie er endlich ihren Leib mit dem Ziemer geschlagen, und wie er sie mit Füßen gestoßen habe. Nowowiejski floß der Schweiß in großen Tropfen über das blasse Antlitz; er hörte zu und hatte nicht die Kraft, nicht den Willen, sich zu entfernen; er hörte gierig zu, seine Hände bebten, seinen Körper ergriff ein krampfhaftes Schütteln — aber er beherrschte sich und schlug ihn nicht tot.

Übrigens peinigte Asya, indem er den Feind peinigte, auch sich selbst, denn seine Erzählungen ließen ihm den Jammer der Gegenwart doppelt qualvoll erscheinen. Vor kurzem war er noch der Befehlende, lebte er in Wollust, war er Mirza, der Liebling des jungen Kaimakam — und nun ritt er, an den Rücken des Pferdes gefesselt, und bei lebendigem Leibe von den Fliegen zerfressen, einem entsetzlichen Tode entgegen. Am wohlsten war ihm jetzt, wenn er von dem Schmerz, den ihm die Wunden verursachten, und durch die Ermüdung das Bewußtsein verlor; und das geschah immer häufiger, so daß Luschnia zu fürchten anfing, er werde ihn nicht lebendig heimbringen. Aber sie ritten Tag und Nacht und ließen die Pferde nur so lange ruhen, als durchaus nötig war, und so kam Raschkow immer näher. Die zähe Tatarenseele wollte den zerstörten Körper nicht verlassen. Indessen fieberte Asya in den letzten Tagen beständig; von Zeit zu Zeit verfiel er in tiefen Schlaf. Bisweilen träumte ihm in diesem Fieber oder im Schlaf, er sei noch in Chreptiow, er solle mit Wolodyjowski gemeinsam in den großen Krieg ziehen; dann wieder, daß er Bärbchen nach Raschkow geleite, daß er sie entführtund in seinem Zelte habe. Oft durchlebte er in seinen Fieberträumen Schlachten und Metzeleien, bei welchen er als Hetman der polnischen Tataren unter dem Roßschweif Befehle erteilte. Aber bald kam das Erwachen, und mit ihm das Bewußtsein; dann öffnete er die Augen und sah in das Gesicht Nowowiejskis und Luschnias, sah die Helme der Dragoner, die nunmehr die Widdermützen der Pferdehirten weggeworfen hatten — und diese ganze Wirklichkeit, die so entsetzlich war, daß sie ihm wie ein Gespenst erschien. Bei jeder Bewegung des Pferdes durchzuckte ihn ein Schmerz; seine Wunden brannten immer heftiger, und wieder verlor er das Bewußtsein. Dann brachten sie ihn zu sich, aber er verfiel bald wieder in Fieber, vom Fieber in schweren Schlaf — um dann wieder zu erwachen.

Es gab Augenblicke, in welchen er nicht glauben mochte, daß er dieser unselige Asya sein solle, der Sohn Tuhaj-Beys, und daß sein Leben, so reich an unerhörten Ereignissen, die ihm eine große Bestimmung zu verheißen schienen, so schnell, so elendiglich enden sollte. Oft wieder ging es ihm durch den Kopf, daß er gleich nach Qual und Tod ins Paradies kommen werde; da er aber einst den Glauben Christi bekannt und lange unter Christen gelebt hatte, erfaßte ihn ein Schrecken bei dem Gedanken an Christus. Er dachte, daß er kein Erbarmen mit ihm haben werde; wäre aber der Prophet stärker als Christus, so würde er ihn nicht in Nowowiejskis Hände geliefert haben. Doch könnte der Prophet sich noch seiner erbarmen und die Seele zu sich nehmen, ehe sie ihn zu Tode peinigten.

Inzwischen waren sie ganz in die Nähe von Raschkow gekommen; sie betraten das felsige Land, das die Nähe des Dniestr ankündigte. Asya war gegen Abend in einen fiebernden Zustand bei halbem Bewußtsein verfallen, in dem sichPhantasie und Wirklichkeit vermischten. Es war ihm, als seien sie am Ziel, als machten sie Halt, als hörte er, wie sie zu einander sagten: »Raschkow, Raschkow!« Dann wieder hörte er dumpf den Widerhall von Äxten, die Bäume fällten.

Plötzlich fühlte er, daß man ihm den Kopf mit kaltem Wasser spüle, dann goß man ihm lange, sehr lange, Branntwein in den Mund. Er kam zu vollem Bewußtsein. Über ihm breitete sich die sternenhelle Nacht aus, um ihn schimmerten zahlreiche Fackeln. An sein Ohr schlugen die Worte:

»Bei Bewußtsein?«

»Bei Bewußtsein; er sieht klar ...«

In diesem Augenblick bemerkte er über sich Luschnias Gesicht.

»Nun, Brüderchen,« sagte der Wachtmeister mit ruhiger Stimme, »deine Zeit ist gekommen.«

Asya lag auf dem Rücken und atmete regelmäßig, denn seine Arme waren zu beiden Seiten des Kopfes ausgestreckt, so daß seine mächtige Brust freieren Spielraum hatte, als da er auf den Rücken des Pferdes gebunden war. Die Hände konnte er nicht bewegen, sie waren hinter seinem Haupte an einen mit beteertem Stroh umwundenen Baumstamm gebunden, auf dem er selbst ausgestreckt lag. Asya begriff sofort, weshalb dies geschehen war, und bemerkte zugleich noch andere Vorbereitungen, die ihm verkündeten, daß seine Qualen lang und furchtbar sein würden. Von der Mitte seines Körpers bis zu den Füßen war er entkleidet, und da er ein wenig seinen Kopf aufrichtete, nahm er zwischen seinen Knieen eine frisch bearbeitete Pfahlspitze wahr; das stärkere Ende dieses Pfahles war gegen den Baumstamm gestützt. An jeden seiner Füße war ein Strick mit einem Wagholz befestigt, und vor jedes Wagholz war ein Pferd gespannt. Asya sahbeim Scheine der Fackeln nur den Hinterteil der Pferde und die beiden Männer an ihrer Seite, die sie offenbar am Halfter hielten. Der unglückselige Recke erfaßte mit einem Blick all' die Vorbereitungen, dann schaute er, Gott weiß warum, gen Himmel und erblickte über sich die Sterne und die glänzende Sichel des Mondes.

— Sie werden mich pfählen — dachte er.

Er biß die Zähne so kräftig zusammen, daß ein Krampf seine Kinnladen erfaßte. Schweiß trat auf seine Stirn, und zugleich fühlte er eine eisige Kälte im Kopf, denn alles Blut war daraus gewichen. Dann war es ihm, als entzöge sich ihm der Halt unter dem Rücken, als sinke sein Körper endlos in eine unergründliche Tiefe. Einen Augenblick verließ ihn das Bewußtsein von Zeit und Raum und allem, was um ihn her vorging; der Wachtmeister sperrte wieder seine Zähne mit dem Dolch auseinander und goß ihm Branntwein in den Schlund.

Asya hustete und spie die brennende Flüssigkeit aus; aber zum Teil mußte er sie verschlucken. Da verfiel er in einen seltsamen Zustand: er war nicht betrunken, im Gegenteil, nie war sein Unterscheidungsvermögen klarer, sein Denken geschärfter; er sah, was um ihn her vorging, er begriff alles, und es erfaßte ihn eine unwiderstehliche Erregung, eine qualvolle Ungeduld, daß dies alles so lange währe und nicht in Tätigkeit treten wolle.

Da wurden schwere Schritte vernehmbar, und Nowowiejski stand neben ihm. Bei diesem Anblick pochten dem Tataren alle Adern. Luschnia fürchtete er nicht, er verachtete ihn zu sehr; aber Nowowiejski konnte er nicht verachten, vielmehr erfüllte jeder Blick in sein Gesicht Asyas Seele mit abergläubischer Angst, mit Widerwillen und Entsetzen. Der Gedanke: »Ich bin in seiner Gewalt«, bemächtigtesich seiner ganz, er fürchtete ihn, und das war ein so schreckliches Gefühl, daß Asyas Haare sich sträubten.

Nowowiejski sagte: »Für das, was du getan hast, sollst du in Qualen enden.«

Der Lipker antwortete nichts, er keuchte nur laut.

Nowowiejski trat zurück, es wurde still rings umher, nur Luschnia brach das Schweigen.

»Gegen die Herrin hast du deine Hand erhoben,« sagte er mit ruhiger Stimme, »aber die Herrin ist jetzt schon bei dem Herrn in der Kammer; du aber bist in unserer Hand, deine Zeit ist gekommen.«

Bei diesen Worten begann für Asya die Pein. Dieser entsetzliche Mensch erfuhr in der Stunde des Todes, daß sein Verrat und alle seine Verbrechen fruchtlos gewesen waren; wenn wenigstens Bärbchen auf dem Wege gestorben wäre, so hätte er den Trost gehabt, daß sie, wenn nicht sein, so doch keines anderen war. Nein, auch diesen Trost hatte man ihm jetzt genommen, da der Pfahl eine Elle von ihm entfernt war; alles war vergeblich gewesen, soviel Blutvergießen, Rachehoffnungen — um nichts, um gar nichts ... Hätte Luschnia geahnt, um wieviel schwerer diese Worte den Tod für Asya machten, er hätte sie während des ganzen Weges wiederholt. Aber jetzt war keine Zeit mehr zu Seelenqualen, denn alles mußte weichen angesichts der Exekution. Luschnia neigte sich herab, erfaßte mit beiden Händen Asyas Hüften und rief den Leuten zu, welche die Pferde hielten:

»Vorwärts, langsam, beide zugleich!«

Die Pferde zogen an; die gespannten Stricke zerrten an Asyas Füßen, sein Körper ward einen Augenblick gehoben und traf auf den spitzigen Holzpfahl; die Spitze drang in den Leib, und nun geschah etwas Entsetzliches, der Natur und allen menschlichen Empfindungen Zuwiderlaufendes.Die Knochen des Unglückseligen dehnten sich auseinander, sein Körper wurde nach zwei Seiten gezerrt, und ein unsäglicher Schmerz, so entsetzlich, daß er an ungeheuerliche Wollust grenzte, durchschauerte seinen Körper. Der Pfahl drang tiefer und tiefer. Asya biß die Kinnbacken zusammen, aber endlich verließ ihn seine Kraft; die Zähne traten hervor, und röchelnd schrie er »Ah ... ah ... ah!« dem Krächzen eines Raben ähnlich.

»Langsam!« kommandierte der Wachtmeister.

Asya wiederholte seinen entsetzlichen Schrei immer schneller.

»Krächzest du?« fragte der Wachtmeister, dann rief er den Leuten zu:

»Halt! — da hast du's,« fügte er, zu Asya gewandt, hinzu; aber dieser war plötzlich verstummt, und atmete nur noch röchelnd.

Schnell spannte man die Pferde aus; dann richtete man den Pfahl auf, ließ sein dickes Ende in eine Grube hinab und begann sie mit Erde zu füllen. Asya sah von der Höhe herab dieser Tätigkeit zu, er war bei Bewußtsein. Diese entsetzliche Art der Strafe war um so grauenhafter, weil die Opfer, die auf dem Pfahle steckten, bisweilen noch drei Tage hindurch lebten. Asyas Kopf hing auf die Brust herab, seine Kiefer bewegten sich lallend, als kaue er etwas. Er fühlte eine namenlose Schwäche, und sah einen endlosen, weißlichen Nebel vor sich, der ihm entsetzlich schien, ohne daß ihm klar war weshalb. Aber durch den Nebel unterschied er die Gesichter des Wachtmeisters und der Dragoner, wußte er, daß er auf dem Pfahle stecke, fühlte er, wie er durch die Last des Körpers immer tiefer in den Pfahl sank. Endlich begannen seine Füße zu erstarren, und er wurde wieder unempfindlich gegen den Schmerz.

Auf Augenblicke hüllte Dunkelheit den entsetzlichen weißen Nebel ein; dann blinzelte Asya mit seinem einen Auge, um alles zu beobachten und zu sehen bis zum Moment des Todes. Sein Blick schweifte mit sonderbarer Hartnäckigkeit von Fackel zu Fackel, es war ihm, als bilde sich um diese Flammen ein siebenfarbiger Lichtkreis.

Aber noch waren die Qualen für ihn nicht erschöpft. Bald trat der Wachtmeister an den Pfahl heran mit einem Bohrer in der Hand und rief den Umstehenden zu:

»Hebt mich in die Höhe!«

Zwei stämmige Burschen hoben ihn auf; Asya sah ihn ganz nahe, blinzelte beständig mit dem Auge, als wollte er erkennen, wer der Mensch sei, der zu seiner Höhe hinaufklettere. Der Wachtmeister aber sagte:

»Unsere Herrin hat dir ein Auge ausgeschlagen, ich habe gelobt, dir das andere auszubohren.«

Bei diesen Worten senkte er die Spitze des Bohrers in den Augapfel, drehte ihn ein und das andere Mal, und als das Lid und die zarte Bindehaut sich um die Windungen des Bohrers legten, riß er ihn zurück.

Da drangen aus beiden Augenhöhlen Asyas zwei Quellen Blutes hervor und flossen über seine Wangen herab.

Sein Gesicht wurde bleich und immer bleicher. Die Dragoner löschten schweigend die Fackeln, als erfasse sie Scham, daß das Licht so entsetzliche Taten beleuchte, und nur von der Mondsichel fielen silberne, nicht allzu helle Strahlen auf Asyas Leib. Sein Kopf war ganz über die Brust herabgesunken; nur die Hände, die an das Holz gebunden und mit beteertem Stroh umwunden waren, starrten in die Höhe, als rufe dieser Sohn des Ostens die Rache des türkischen Halbmondes auf seine Häscher herab.

»Aufs Pferd!« ertönte Nowowiejskis Stimme.

In dem Augenblick, da sie aufsaßen, zündete der Wachtmeister als letzte Fackel die erhobenen Hände des Tataren an; dann ritt die Abteilung auf Jampol zu, und mitten unter den Schutthaufen Raschkows, in Nacht und Wüste, blieb allein auf hohem Pfahle Asya, der Sohn des Tuhaj-Bey, — und leuchtete, leuchtete.....

Dekoration, Ende Kap. 20

Titeldekoration, Kap. 21

Drei Wochen später, um die Mittagsstunde, hatte Nowowiejski Chreptiow erreicht. Der Weg von Raschkow hatte darum so lange gedauert, weil er noch häufig auf die andere Seite des Dniestr hinübersetzte, um die Tataren und Perkulaben, die den Fluß entlang in den verschiedenen Grenzwarten standen, zu überraschen. Diese erzählten dann den heranrückenden Heeren des Sultans, daß sie überall polnische Trupps gesehen, und daß sie von großen Heeren gehört, die sicherlich, ohne den Anmarsch der Türken gegen Kamieniez abzuwarten, ihnen in den Weg treten und sich in einer Hauptschlacht mit ihnen messen würden. Der Sultan, dem man immer wieder die Ohnmacht der Republik geschildert hatte, war sehr erstaunt und rückte, die Lipker, die Walachen und die Donauhorden vor sich hersendend, langsam vorwärts, denn trotz seiner ungeheuren Macht scheute er doch eine Schlacht mit den regulären Heeren der Republik sehr.

In Chreptiow traf Nowowiejski Herrn Wolodyjowski nicht an, denn der kleine Ritter war Motowidlo gefolgt und mit dem Heere von Podlachien gegen die krimschen Horden und gegen Doroschenko ausgezogen. Dort fügte er immer neuen Ruhm zu dem alten und vollbrachte große Taten. Den grausamen Korpan demütigte er und ließ seinen Leichnam dem wilden Getier zum Fraße auf dem Felde, ebenso dendrohenden Drost, den tapferen Malyschka, die beiden Brüder Siny, berühmte kosakische Streifzügler, und viele kleinere Banden und Scharen.

Frau Wolodyjowska machte sich gerade in dem Augenblicke, als Nowowiejski eintraf, mit dem Rest der Leute und der Wagenburg auf den Weg nach Kamieniez, denn Chreptiow mußte aufgegeben werden. Nur ungern verließ sie das Blockhaus, in dem sie zwar manches Schwere durchgemacht, in dem sie aber auch die glücklichsten Tage ihres Lebens verbracht hatte, — an der Seite ihres Mannes mitten unter berühmten Kriegern, die ihr herzlich ergeben waren. Nun sollte sie auf ihre eigene Bitte nach Kamieniez reisen, einem unbekannten Schicksal und Gefahren entgegen, wie sie die Belagerung mit sich brachte. Ihr mutiges Herz ergab sich der Wehmut nicht; sie wachte über allen Vorbereitungen, über den Soldaten und dem Gesinde. Sagloba, der in jeder Fährlichkeit alle anderen an Verstand übertraf, war ihr bei alledem behilflich, auch Muschalski, der unvergleichliche Bogenschütze, der tapfere und erfahrene Krieger.

Sie alle waren hocherfreut über Nowowiejskis Ankunft, obwohl sie gleich aus dem Gesichte lasen, daß er weder Evchen noch die anmutige Sophie aus der Gefangenschaft befreit habe. Bärbchen vergoß bittere Tränen über das Schicksal der beiden Mädchen, denn nun mußte sie diese schon für verloren halten; verkauft an einen Unbekannten, mochten sie schon vom Markte in Stambul nach Kleinasien fortgeschleppt sein, nach den Inseln, die unter türkischer Herrschaft standen, oder nach Ägypten, und dort im verschlossenen Harem leben. In diesem Falle aber konnte man sie nicht auslösen, ja, es war unmöglich, überhaupt etwas über sie zu erfahren, und Bärbchen weinte, es weinte der besonnene Sagloba, es weinte Muschalski, der unvergleichliche Schütze, — nur Nowowiejskihatte trockene Augen, denn er hatte keine Tränen mehr.

Als er zu erzählen begann, wie er hinausgezogen sei, zur Donau hin bis nach Tykitsch, wie er dort die Lipker in unmittelbarer Nähe der Horde und des Sultans auseinandergesprengt, wie er den furchtbaren Asya gefangen, da schlugen die alten Ritter an die Säbel und riefen:

»Bring' ihn her, hier in Chreptiow soll er sein Ende finden!«

Nowowiejski erwiderte: »Nicht in Chreptiow, in Raschkow hat er den Tod gefunden, denn dort kam es ihm zu; und Qualen hat ihm der Wachtmeister ersonnen, die wahrlich nicht leicht waren.«

Nun erzählte er, welchen Todes Asya, Tuhaj-Beys Sohn, gestorben war, und sie hörten voll Entsetzen, aber ohne Mitleid zu.

»Daß Gott die Verbrechen verfolgt, weiß jeder,« sagte Sagloba, »aber wunderbar ist es, daß der Teufel seine Diener so schlecht behütet.«

Bärbchen seufzte fromm auf, hob die Augen gen Himmel und sagte nach kurzer Überlegung:

»Weil ihm die Macht fehlt, der Kraft Gottes standzuhalten.«

»O, Ihr habt das Richtige getroffen, Herrin!« rief Muschalski, »denn wenn der Teufel, was Gott verhüte, stärker wäre als der liebe Herrgott, so würde alle Justiz, und mit ihr die Republik, in ein Nichts versinken.«

»Darum fürchte ich auch die Türken nicht; erstens sind sie Teufelskinder, und zweitens Kinder Belials,« versetzte Sagloba.

Alle schwiegen. Nowowiejski saß auf einer Bank mitgefalteten Händen und sah gläsernen Auges auf den Boden. Da wandte sich Muschalski zu ihm:

»Es hat doch wohl Erleichterung gebracht,« sagte er, »denn es gewährt unendlichen Trost, eine derartige Rache zu vollführen.«

»Sagt, hat es Euch wirklich Trost gebracht, ist Euch jetzt besser?« fragte Bärbchen in mitleidigem Tone.

Der Riese schwieg noch eine Weile, als ränge er mit seinen eigenen Gedanken; endlich sagte er, gleichsam mit großer Verwunderung und so leise, daß man ihn kaum hörte:

»Denkt Euch, bei Gott, ich habe selbst geglaubt, es werde mir besser sein, wenn ich ihn erst vernichtet habe, und ich habe ihn selbst am Pfahl stecken sehen, ich habe es mit angesehen, wie ihm das Auge ausgebohrt wurde, ich habe mir selbst eingeredet, daß mir besser sei, — aber es ist nicht wahr, es ist nicht wahr ...«

Hier faßte Nowowiejski seinen Kopf mit beiden Händen und sprach durch die zusammengebissenen Zähne:

»Leichter war ihm auf dem Pfahle, leichter mit dem Bohrer im Auge, leichter mit dem Feuer an den Händen, als mir mit dem, was in mir ist, was in mir sinnt und grübelt. Nur der Tod bringt mir Trost, nur der Tod, der Tod!«

Als Bärbchen das hörte, erhob sie sich plötzlich, legte dem Unglückseligen ihre Hand aufs Haupt und sagte:

»O, gäbe Gott dir doch den Tod — bei Kamieniez, denn du hast recht, er ist der einzige Trost.«

Und er schloß die Augen und sagte: »So ist's. Gott vergelt's Euch!«

Noch am selben Abend rückten sie alle nach Kamieniez aus.

Bärbchen sah lange, nachdem sie über die Wassermühlehinausgelangt waren, nach dem Blockhaus zurück, das im Lichte des Abendrots strahlte, und sagte endlich, indem sie ein Kreuz über der Brust schlug: »O, kehrten wir noch einmal mit Michael zu dir zurück, liebes Chreptiow! Gebe Gott, daß unser nichts Schlimmeres harre!«

Und zwei Tränen fielen über ihre rosigen Wangen. Eine seltsame Betrübnis bedrückte aller Herzen — und sie ritten schweigend weiter. Inzwischen war es dunkel geworden.

Langsam rückten sie vorwärts, denn die Wagenburg bewegte sich schwerfällig; die Wagen, die Herden der Pferde, Rinder, Büffel, Kamele und das Gesinde, das die Herden bewachte, folgten nach. Viele aus dem Gesinde und von den Soldaten hatten sich in Chreptiow beweibt, und so fehlte es auch an Frauen nicht in der Wagenburg. Die Zahl der Soldaten war so groß wie die Nowowiejskis, außer zweihundert ungarischen Fußsoldaten, die Abteilung, die der kleine Ritter auf eigene Kosten ausgerüstet und kriegstüchtig gemacht hatte. Ihre Protektorin war Bärbchen, ihr Führer ein tüchtiger Offizier, Kaluschewski. Echte Ungarn waren in dieser Abteilung gar nicht; sie hieß nur deshalb die ungarische, weil sie magyarische Uniform führte. Unteroffiziere waren »gediente« Dragoner; die Gemeinen rekrutierten sich aus den früheren »Räubern« und Fahrenden, die von den beutemachenden Banden eingefangen und zum Strange verurteilt waren. Man hatte ihnen das Leben geschenkt unter der Bedingung, daß sie zu Fuß dienten und durch Treue und Tapferkeit ihre alten Verbrechen vergessen machten. Auch an Freiwilligen fehlte es unter ihnen nicht, die die Schluchten und Felsen und ähnliche Räuberunterschlupfe aufgegeben hatten und vorzogen, in den Dienst des »kleinen Falken von Chreptiow« zu treten, statt sein Schwert über ihrem Haupte zu wissen. Es war ein Völkchen mit geringer Zucht undgeringer Kriegstüchtigkeit, aber tapfer, an Mühsale, Gefahren und Blutvergießen gewöhnt. Bärbchen liebte diese Abteilung sehr, weil sie ein Werk Michaels war, und in den wilden Herzen dieser Männer war schnell die Anhänglichkeit an die wunderschöne, gute »Herrin« erwachsen. Jetzt gingen sie rings um ihren Wagen, die Gewehre auf der Schulter, die Säbel an der Seite, stolz darauf, die Herrin zu bewachen, bereit, sie wütend zu verteidigen, wenn eine Tatarenschar ihnen den Weg verlegen sollte.

Aber der Weg war noch frei, denn Wolodyjowski war vorsichtiger als alle anderen, und er liebte überdies seine Frau zu sehr, als daß er sie durch Verzögerung unnütz einer Gefahr hätte aussetzen sollen. Die Reise ging also ruhig von statten. Sie waren um Mittag aus Chreptiow abgereist, waren bis zum Abend unterwegs, dann die ganze Nacht, und am Nachmittag des folgenden Tages erblickten sie schon die ragenden Felsen von Kamieniez.

Bei ihrem Anblick und angesichts der Bollwerke und Türme der Festung, welche die Spitzen der Felsen krönten, erfüllte Mut die Herzen; es schien unmöglich, daß eine andere Hand als die Gottes diesen Adlerhorst zerstören könne, der hier auf der Felsspitze, rings umgeben von den Abhängen des Flusses, eingenistet war. Es war ein wunderbarer Sommertag; die Spitzen der Kirchen leuchteten wie Riesenlichter, Friede, Ruhe und Heiterkeit lagerte über den hellen Fluren.

»Bärbchen,« sagte Sagloba, »schon oft haben die Horden sich an diesen Mauern die Schädel eingerannt, — ha, wieviel Male habe ich selbst gesehen, wie sie sich davonmachten und sich die Köpfe hielten, weil sie ihnen weh taten; gäbe Gott, daß auch diesmal also geschehe!«

»Ja gewiß!« antwortete Bärbchen strahlend.

»Ist doch schon einer von ihren Sultanen hier gewesen:Osman. Ich erinnere mich, als ob es heute wäre. Es war im Jahre 1621, da kommt er, der Bube, von Chozim her, jenseits Smotrytsch; er sperrt die Glotzaugen auf, reißt das Maul auf und glotzt, und glotzt. Endlich sagt er: »Wer hat die Festung so aufgebaut?« — »Gott!« antwortet ihm der Vezier. — »So mag sie Gott erobern, ich bin kein Narr,« sprach's und wandte sein Pferd.«

»Ja, sie hatten's sogar eilig, ihre Pferde umzudrehen,« warf Muschalski ein.

»Weil wir sie mit unseren Lanzen in den Weichen kitzelten,« fügte Sagloba hinzu, »und mich trug die Ritterschaft damals auf ihren Händen zu Lubomirski.«

»So, wart Ihr bei Chozim?« fragte der unvergleichliche Bogenschütze; »man sollte gar nicht glauben, wo Ihr überall dabei gewesen seid, und was Ihr nicht alles getan habt!«

Sagloba war ein wenig gekränkt und antwortete:

»Nicht bloß dort gewesen bin ich, ich habe auch eine Wunde empfangen, die ich Euchad oculosvorführen kann, wenn Ihr neugierig seid, aber ein wenig abseits, denn in Gegenwart der Frau Hauptmann ziemt es mir nicht, mich damit hervorzutun.«

Der berühmte Bogenschütze sah bald ein, daß er gefoppt wurde. Da er sich aber nicht kräftig genug fühlte, mit Saglobas Witz zu wetteifern, hörte er auf zu fragen und wandte das Gespräch anderen Dingen zu.

»Es ist wahr, was Ihr sagt. Wenn man so in der Ferne hört, wie die Leute schwatzen, Kamieniez sei nicht gerüstet, Kamieniez müsse fallen, so erfaßt einen ein Schrecken. Wenn man aber Kamieniez sieht, so ist man gleich mit Mut erfüllt.«

»Und wenn erst Michael in Kamieniez sein wird!« rief Bärbchen.

»Herr Sobieski muß Hilfe schicken.«

»Gott sei Dank, es steht nicht so schlimm! Ja, es stand schon schlimmer, und wir gaben nicht nach.«

»Und wäre es noch so schlimm, die Hauptsache ist, nicht den Mut verlieren! Sie haben uns nicht gefressen und werden uns nicht fressen, solange der Geist der Tapferkeit in uns ist,« schloß Sagloba.

Unter dem Eindruck dieser ermutigenden Gedanken verstummten sie. Aber das Schweigen wurde auf schmerzliche Weise unterbrochen. Plötzlich war Nowowiejski mit seinem Pferde dicht an Bärbchens Wagen herangekommen; sein Gesicht, das sonst furchtbar und düster war, lächelte und blickte heiter. Er richtete die Augen unverwandt auf das im Sonnenglanz gebadete Kamieniez und lachte unaufhörlich. Die beiden Ritter und Bärbchen sahen ihn erstaunt an, denn sie konnten nicht begreifen, wie der Anblick der Festung so plötzlich alle Last von seiner Seele genommen habe; er aber sagte:

»Gelobt sei der Herr! Groß war das Leid, aber auch die Freude ist uns bereitet.« Hier wandte er sich zu Bärbchen: »Sie sind beide bei dem polnischen Dorfschulzen Tomaschewitsch; es ist gut, daß sie sich dorthin geflüchtet haben, denn in einer solchen Festung wird ihnen der Mörder nichts tun können.«

»Von wem sprecht Ihr?« fragte Bärbchen beklommen.

»Von Sophie und Evchen.«

»Gott steh' dir bei!« rief Sagloba, »laß dich nicht vom Bösen umgarnen!«

Nowowiejski aber sprach weiter: »Was sie von meinem Vater sagen, daß ihn Asya abgeschlachtet, ist auch nicht wahr.«

»Er hat den Verstand verloren,« flüsterte Muschalski.

»Gestattet Ihr mir, Herrin,« sagte Nowowiejski, »vorauszureiten? Ich habe sie so lange nicht gesehen, und mirist so bange. O, man sehnt sich, wenn man liebt!« Er nickte mit seinem riesigen Kopfe nach beiden Seiten, gab dem Pferde die Sporen und sprengte voraus.

Muschalski winkte einigen Dragonern und folgte ihm, um den Wahnsinnigen im Auge zu behalten. Bärbchen aber verbarg ihr rosiges Gesicht in den Händen, und heiße Tränen flossen durch ihre Finger. Da sagte Sagloba:

»Ein Bursch', so lauter wie Gold! Aber dies Unglück geht über menschliche Kraft ... und die Rache wird sein Herz nicht zur Ruhe bringen ...«

In Kamieniez rüstete man sich eifrig zur Verteidigung. An den Mauern des alten Schlosses und an den Toren, besonders am reußischen, arbeiteten die »Nationen«, welche die Stadt bewohnten, unter ihren Schulzen; unter diesen nahm der polnische Schulze Tomaschewitsch den ersten Platz ein, wegen seines unerschütterlichen Mutes und seiner Tüchtigkeit im Kanonenschießen. Man arbeitete mit Schaufel und Karre; Lechen, Reußen, Armenier, Juden und Zigeuner wetteiferten miteinander. Die Offiziere der verschiedenen Regimenter hatten die Aufsicht über die Arbeiten; die Wachtmeister und die Soldaten halfen den Einwohnern, selbst der Adel arbeitete mit und vergaß, daß Gott seine Hände nur für das Schwert geschaffen und jegliche andere Arbeit den Leuten »gemeinen« Standes überlassen habe. Herr Laurentius Humiezki, der Fahnenträger von Podolien, gab selbst das Beispiel und entlockte so den anderen Tränen, wenn er mit eigenen Händen den Karren mit Steinen schob. In der Stadt und im Schloß wogten die Arbeitenden. Zwischen den Gruppen gingen Dominikaner, Jesuiten, Franziskaner und Karmeliter umher und segneten das menschliche Bemühen. Frauen trugen den Arbeitern Speise und Trank zu, die schönen Armenierinnen, die Frauen und Töchter der reichenKaufleute, und die noch schöneren Jüdinnen aus Karwasseri, Swanek, Sinkowiez und Dünaburg zogen die Augen der Soldaten auf sich.

Am lebhaftesten aber wandte sich die Aufmerksamkeit der Menge dem Einzuge Bärbchens zu. Es gab gewiß viele höher gestellte Frauen in Kamieniez, aber es gab keine, deren Gatten ein größerer Kriegsruhm umstrahlte. Man hatte in Kamieniez von der Gattin Wolodyjowskis als von einer tapferen Frau gehört, die sich nicht gescheut hatte, in der Würstenwarte inmitten einer verwilderten Bevölkerung zu wohnen, die mit ihrem Gatten Kriegszüge unternahm, die von dem Tataren entführt, ihn zu Boden geschlagen und heil aus seinen räuberischen Händen entkommen war. Auch ihr Ruhm war groß; aber diejenigen, die sie bisher nicht gekannt und gesehen hatten, stellten sich vor, sie müsse eine Riesin sein, die Hufe zerbrechen und Panzer zerreißen könne. Wie groß war daher ihr Erstaunen, als sie ihr vorgeneigtes, zierliches, halb kindliches Gesichtchen erblickten. »Ist das die Frau Oberst selber oder nur ihre Tochter?« ging es von Mund zu Mund fragend durch die Menge. »Sie ist es selbst!« antworteten diejenigen, die sie kannten, und verwundert blickten die Bürger, die Frauen, die Geistlichen, die Soldaten. Mit nicht geringerer Verwunderung betrachtete man das unüberwindliche Kommando von Chreptiow, die Dragoner, an deren Spitze ruhig lächelnd, mit abwesendem Blick, Nowowiejski ritt, und die furchtbaren Gesichter der Banditen, die in die ungarische Infanterie umgewandelt waren. Es geleiteten Bärbchen aber auch etliche hundert vortreffliche Krieger von Beruf, so daß bei ihrem Anblick der Mut wuchs. »Das ist eine ungewöhnliche Macht, die können den Türken dreist in die Augen sehen!« rief man in der Menge. Einige von den Bürgern, ja auch von den Soldaten, besonders vom Regimentdes Bischofs Trebizki, das soeben nach Kamieniez gekommen war, dachten, Herr Michael selbst befinde sich im Zuge, und sogleich erhoben sich Rufe:

»Es lebe Herr Michael Wolodyjowski!« »Es lebe unser Verteidiger, der Ruhm der Ritterschaft!« »Vivat Wolodyjowski, vivat!«

Bärbchen hörte es, und ihr Herz schwoll, denn nichts schmeichelt einer Frau mehr, als der Ruhm ihres Mannes, besonders wenn der Mund des Volkes in einer großen Stadt von ihm widerklingt. »So viele Ritter sind hier, — dachte Bärbchen — und keinem gelten die Rufe als meinem Michael!« Am liebsten hätte sie selbst mit im Chor geschrieen: Vivat Michael Wolodyjowski! — aber Sagloba hielt sie zurück; sie müsse sich würdevoll benehmen, wie es einer Person ihrer Bedeutung zieme, und nach beiden Seiten grüßen, wie die Königinnen tun, wenn sie in die Residenz einziehen. Er selbst grüßte auch, bald mit der Mütze, bald mit der Hand, und wenn die guten Bekannten auch in einen Vivatruf zu seiner Ehre ausbrachen, wandte er sich sprechend zur Menge.

»Meine Herren, wer Sbarasch überstanden hat, wird auch Kamieniez überstehen!«

Nach Herrn Michaels Instruktion hielt der Zug vor dem neuerbauten Kloster der Dominikanerinnen. Der kleine Ritter hatte ein eigenes Häuschen in Kamieniez; weil aber das Kloster an einem steilen Orte lag, wo die Kanonenkugeln nicht leicht hinschlagen konnten, zog er es vor, hier sein liebes Bärbchen unterzubringen, um so mehr, als er, ein Wohltäter des Klosters, gute Aufnahme erwarten durfte. Die Oberin, Mutter Viktoria, die Tochter Stephan Potozkis, des Wojewoden von Brazlaw, empfing denn auch Bärbchen mit offenen Armen; ebenso Tantchen Makowiezka, die sie schon seit vielen Jahren nicht gesehen hatte. Beide weinten,auch der Truchseß von Latytschow, dessen Liebling Bärbchen immer gewesen war, weinte. Kaum hatten sie die Tränen der Rührung getrocknet, da eilte Christine Ketling herbei, und es begannen neue Begrüßungen; dann umringten Bärbchen die Schwestern und die Adelsfräuleins, Bekannte wie Unbekannte. Die einen, wie Frau Bogusch, fragten nach den Männern, andere, was Bärbchen von dem türkischen Riesenheer denke, und ob Kamieniez nach ihrer Meinung sich werde halten können. Bärbchen nahm mit großer Freude wahr, daß man sie für eine Art Autorität in Kriegssachen hielt und aus ihrem Munde Trost erwarte. Darum war sie auch nicht karg damit: »Es ist gar nicht daran zu denken,« sagte sie — »daß wir den Türken nicht standhalten sollten; Michael kommt ja her, heute, morgen, spätestens in einigen Tagen; wenn er die Verteidigung übernimmt, dann könnt ihr ruhig schlafen, denn auch die Festung ist tüchtig, ich versteh' mich darauf, Gott sei Dank.«

Bärbchens Zuversicht erfüllte die Herzen der Frauen mit Trost, besonders beruhigte sie die Zusage von Michaels Ankunft. Sein Name war so hochgeehrt, daß sogleich, obwohl es Abend war, die Offiziere des Ortes mit dem üblichen Ehrengruß zu Bärbchen kamen; und alle fragten gleich nach der ersten Begrüßung, wann der kleine Ritter zurückkehre, und ob er sich wirklich in Kamieniez einzuschließen denke. Bärbchen empfing nur den Major Kwasibrozki, der das Fußvolk des Bischofs von Krakau führte, den Herrn Schreiber Rschewuski, der jetzt an Stelle des Herrn Lontschynski an der Spitze des Regiments stand, und Ketling. Vor den anderen öffnete sich an diesem Tage die Tür nicht mehr, denn die Herrin war müde vom Wege und mußte sich überdies Herrn Nowowiejski widmen. Dieser unglückselige Jüngling war unmittelbar vor dem Kloster vom Pferde gestürztund bewußtlos in eine Zelle gebracht worden. Man holte sofort den Medikus herbei, denselben, der Bärbchen in Chreptiow behandelt hatte; er sagte eine schwere Krankheit des Gehirns voraus und gab wenig Hoffnung auf Leben. Bis zum späten Abend sprachen Bärbchen, Muschalski und Sagloba über dieses Ereignis und erwogen das Schicksal des unglücklichen Ritters.

»Der Medikus hat mir gesagt,« sprach Sagloba, »wenn er es überlebt, so werde nach wirksamen Aderlässen sein Verstand klar sein, und er werde dann mit leichterem Herzen das Unglück tragen.«

»Für ihn gibt es keinen Trost mehr,« antwortete Bärbchen.

»Oft würde es für den Menschen besser sein, er besäße kein Bewußtsein,« bemerkte Muschalski, »aber die Tiere sind auch davon nicht frei.«

Der Alte aber schalt den berühmten Bogenschützen ob dieser Bemerkung:

»Wenn Ihr kein Bewußtsein hättet, dann könntet Ihr nicht zur Beichte gehen, dann wäret Ihr den Lutherischen gleich und des höllischen Feuers wert. Euch hat auch schon Priester Kaminski ob Eurer Lästerung gerügt, — aber lehr' den Wolf daspater, er will doch lieber diemater, besonders wenn es eine Ziegenmutter ist.«

»Ich — ein Wolf?« entgegnete der treffliche Bogenschütze, »Asya, das war der Wolf.«

»Habe ich das nicht gleich gesagt?« fragte Sagloba. »Wer hat zuerst gesagt, er ist ein Wolf? Nowowiejski hat mir erzählt,« sagte Bärbchen, »er höre Tag und Nacht, wie Evchen und Sophie ihm zurufen: »Rettung!« Ja, wo gibt es hier Rettung! Es hat so enden müssen, denn solchenSchmerz hätte niemand ertragen. Ihren Tod hätte er überlebt, ihre Schmach wird er nicht überleben.«

»Nun liegt er da, wie ein Stück Holz, und weiß von Gottes Welt nichts,« sagte Muschalski, »und das ist schade, denn er ist ein so vortrefflicher Krieger.«

Das Gespräch wurde durch einen Burschen unterbrochen, der mit der Nachricht kam, daß in der Stadt ein ungeheurer Lärm herrsche; die Menschen laufen zusammen, um den General von Podolien zu sehen, der soeben mit einem bedeutenden Gefolge und mit dem Fußvolk eingezogen ist.

»Das Kommando ist sein,« sagte Sagloba. »Es ist recht von Herrn Nikolaus Potozki, daß er es vorzieht, hier zu sein, als wo anders, aber ich sähe lieber, er wäre nicht hier. Ha, er war ein Gegner des Hetmans und glaubte nicht an den Krieg, und nun, weiß Gott, ob es ihm nicht den Kopf kosten wird.«

»Vielleicht kommen auch die anderen Herren Potozki ihm nach,« sagte Muschalski.

»Dann sind auch die Türken nicht mehr weit,« antwortete Sagloba, — »im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes! O, wäre der General ein zweiter Jeremias, und Kamieniez ein zweites Sbarasch!«

»So muß es sein, sonst sterben wir,« sagte eine Stimme an der Schwelle.

Bärbchen sprang bei dem Klang dieser Stimme auf, rief: »Michael!« und stürzte dem kleinen Ritter in die Arme.

Michael brachte viele wichtige Nachrichten mit, die er erst, ehe er sie im Kriegsrat kundgab, seiner Gattin in der stillen Zelle mitteilte. Er selbst hatte einige kleinere Tatarenscharen bis auf den letzten Mann aufgerieben und war mit großem Ruhm bis ganz in die Nähe des Krimschen und Doroschenkos Lager herangeschlichen. Er hatte auch eine AnzahlGefangener mitgebracht, von welchen man Nachricht über die Streitkräfte des Khans und Doroschs erlangen konnte.

Die anderen Streifzügler hatten weniger Glück gehabt; der Herr von Podlachien, der an der Spitze bedeutender Streitkräfte stand, war in einer mörderischen Schlacht aufgerieben worden; Herrn Motowidlo, der die Walachische Heerstraße gezogen war, hatte Krytschynski mit Hilfe der Horde von Bialogrod und des Restes der Lipker, die sich nach der Niederlage bei Tykitsch geflüchtet hatten, geschlagen. Michael hatte, ehe er nach Kamieniez gekommen war, einen Umweg über Chreptiow gemacht; noch einmal wollte er, wie er sagte, diesen Ort seiner Glückseligkeit schauen.

»Ich war dort,« sagte er, »unmittelbar nach Eurer Abreise. Noch war Euer Platz warm, und ich hätte Euch leicht erreichen können, aber ich setzte in Uschyz ans Moldauische Ufer hinüber, um dort in der Steppe Kundschaft einzuziehen. Einige Scharen waren bereits vorüber, und sie fürchteten bei Pokuta auf »Unerwartete« zu stoßen; andere gehen in der Vorhut des türkischen Heeres und werden bald hier sein. Es wird eine Belagerung geben, mein süßes Täubchen, da hilft nichts, aber wir werden standhalten, denn hier verteidigt man nicht nur sein Vaterland, sondern auch sein eigenes Gut.« Dabei schloß er sein Weib in die Arme und küßte sie auf die Wangen.

An diesem Tage sprachen sie nicht mehr. Am anderen Morgen wiederholte Michael seine Neuigkeiten bei dem Bischof von Landskron vor dem Kriegsrat, zu welchem außer dem Bischof noch der General von Podolien, der Kämmerer von Podolien, der podolische Schreiber Rschewuski, der Fahnenträger Humiezki, Ketling, Makowiezki, der Major Kwasibrozki und einige Militärs gehörten. Zunächst mißfiel Herrn Michael, daß der General von Podolien erklärte, er wolledas Kommando nicht übernehmen, sondern vertraue es dem Rate an. »In unvorhergesehenen Fällen muß ein Kopf und ein Wille sein,« hielt ihm der kleine Ritter entgegen; »bei Sbarasch waren drei Regimentarier, welchen von Amts wegen die Macht zustand; und doch legten sie dieselbe in die Hände des Fürsten Jeremias, weil sie mit Recht sagten, in der Gefahr sei es besser, einem zu gehorchen.«

Aber diese Worte fruchteten nichts. Vergeblich wies der gelehrte Ketling auf die Römer als Muster hin, die als die größten Krieger der Welt die Diktatur ersonnen haben, — der Bischof von Landskron, der Ketling nicht sonderlich leiden mochte, weil er sich, Gott weiß warum, einbildete, er müsse als Schotte im Grunde seiner Seele ein Ketzer sein, erwiderte: »Die Polen brauchen nicht von Fremden Geschichte zu lernen; sie brauchen aber auch nicht, da sie ihren eigenen Verstand haben, den Römern nachzuahmen, denen sie übrigens an Mut und Beredsamkeit in nichts oder doch nur wenig nachstehen.« »Wie ein ganzes Bündel Holz,« sagte er, »eine größere Flamme gibt, als ein Scheit, so sind auch viele Köpfe klüger als einer«, und er lobte die »Bescheidenheit« des Generals von Podolien — zwar meinten andere, es sei dies nur Scheu vor der Verantwortung — und riet seinerseits zu Verhandlungen. Als dies Wort gefallen war, sprangen die Soldaten, wie von der Tarantel gestochen, von ihren Sitzen auf; Wolodyjowski, Ketling, Makowiezki, Kwasibrozki, Humiezki, Rschewuski begannen mit den Zähnen zu knirschen und mit den Schwertern zu rasseln. »Meiner Treu!« ließen sich Stimmen vernehmen, »nicht zum Verhandeln sind wir hergekommen!« — »Den Vermittler schützt sein geistliches Gewand.« Kwasibrozki schrie sogar: »In die Kirche, nicht in den Rat!« und ein ungeheurer Lärm entstand. Da erhob sich der Bischof und sagte mit mächtiger Stimme: »Ich wäreder erste, der bereit ist, sein Leben hinzugeben für die Kirche und für meine Herde, und wenn ich von Verhandlungen spreche und Verzögerung wünsche, so geschieht es, Gott ist mein Zeuge, nicht, um die Festung zu übergeben, sondern um dem Hetman Zeit zur Heranziehung von Hilfstruppen zu gewähren. Sobieskis Name ist den Heiden ein Schrecken, und wenn er auch die nötigen Streitkräfte nicht hätte, wenn nur das Gerücht umläuft, daß er kommt, so werden die Türken Kamieniez meiden.« Als er dies mit mächtiger Stimme gesagt hatte, schwiegen alle, manche freuten sich sogar, da sie hörten, daß der Bischof an Übergabe nicht gedacht hatte.

Da sprach Michael: »Ehe der Feind Kamieniez belagert, muß er erst Swaniez niederwerfen oder in Trümmer legen, denn unmöglich kann er das befestigte Schloß im Rücken liegen lassen. Nun denn, mit Erlaubnis des Herrn Kämmerers von Podolien erkläre ich mich bereit, mich in Swaniez einzuschließen und mich genau so lange Zeit dort zu halten, als der Herr Bischof mit Hilfe von Verhandlungen zu gewinnen denkt. Ich nehme sichere Leute mit, und, solange ich am Leben bin, so lange wird auch Swaniez stehen.«

Da riefen alle: »Das darf nicht sein, du bist hier nötig. Ohne dich läßt der Bürger den Mut sinken, ohne dich werden die Soldaten nicht mit gleicher Lust kämpfen, das darf keineswegs geschehen. Wer hat hier die größte Kriegserfahrung, wer hat Sbarasch mitgemacht? Wer soll die Führerschaft haben, wenn es zu einem Ausfall kommt? Du wirst für Swaniez untergehen, und wir werden ohne dich hier untergehen.«

»Das Kommando hat mir zu gebieten,« antwortete Michael.

»Nach Swaniez könnte man irgend einen jungen, keckenRitter schicken, der mir zur Seite stände,« versetzte der Kämmerer von Podolien.

»So mag Nowowiejski hingehen,« riefen einige Stimmen.

»Nowowiejski kann nicht fort, sein Kopf brennt,« erwiderte Herr Michael; »er liegt zu Bett und weiß von Gott und der Welt nichts.«

»Indessen laßt uns beraten, an welchen Platz ein jeder stehe, und welches Tor er verteidigen soll,« sagte der Bischof.

Aller Augen wandten sich auf den General von Podolien; der aber sprach: »Ehe ich Befehle erteile, höre ich gern die Ansichten erfahrener Krieger, und da Herr Michael Wolodyjowski an Kriegserfahrung allen hier voransteht, so rufe ich ihn zuerst zum Worte auf.«

Wolodyjowski riet zunächst, die Schlösser, die vor der Stadt lagen, zu besetzen, weil er glaubte, daß gerade gegen diese Schlösser sich der Hauptangriff der Feinde richten werde. Auch andere traten seiner Meinung bei; man verfügte über zehntausend Mann Fußvolk, die man so verteilte, daß Myslischewski die rechte Seite des Schlosses, Humiezki, berühmt durch seine Taten bei Chozim, die linke Seite besetzte; in der Richtung auf Chozim, am gefährlichsten Punkte, sollte Wolodyjowski selbst Stellung nehmen, weiter unten wurde die Abteilung der Serdjuken aufgestellt, die Sinkowiezer Seite schützte Major Kwasibrozki, den Süden Herr Wonsowitsch und die Schloßseite Kapitän Bukar mit den Leuten des Herrn Krasinski. Es waren dies alles nicht etwa Freiwillige, sondern Soldaten von Beruf, treffliche, ausdauernde Krieger, die das Kanonenfeuer leichter ertrugen, als mancher andere den Brand der Sonnenstrahlen. Sie hatten überdies im Dienste der Republik, deren Heere immer gering an Zahl waren, von Jugend auf gelernt, zehnfach überlegenen Feinden Widerstand zu leisten, und hielten dies für etwas Selbstverständliches.Die Oberaufsicht über die Artillerie des Schlosses hatte der schöne Ketling, der in der Kunst, die Kanonen zu richten, alle anderen übertraf. Das Oberkommando im Schlosse sollte in den Händen des kleinen Ritters liegen, dem der General von Podolien sogleich volle Freiheit gab, Ausfälle zu unternehmen, so oft die Notwendigkeit oder Gelegenheit sich darbieten würde. Die anderen freuten sich, da sie erfuhren, wie einem jeden sein Platz angewiesen war; sie erhoben ein lautes Geschrei, schlugen mit Getöse an die Rapiere, um so ihre Zustimmung und Kampfeslust zu bezeigen. Als der General von Podolien das hörte, sagte er zu sich selber:

— Ich habe nicht geglaubt, daß wir imstande sein werden, uns zu verteidigen; ohne Hoffnung kam ich hierher, nur meinem Gewissen folgend, — und doch, wer weiß, ob es uns mit solchen Kriegern nicht gelingen wird, den Feind zurückzuschlagen. Großer Ruhm wird mir werden; als einen zweiten Jeremias wird man mich begrüßen; wer weiß, ob mich nicht ein glücklicher Stern hierher geführt hat. — Und wie er bisher an der Verteidigung gezweifelt, so begann er nun an der Einnahme von Kamieniez zu zweifeln; sein Mut wuchs, und er begann schon eifriger über die Besetzung der Stadt Rat zu pflegen.

Es wurde also beschlossen, daß in der Stadt selbst, am reußischen Tore, Makowiezki stehen sollte, mit einem Häuflein adliger polnischer Bürger, die in der Schlacht standhafter waren als andere, ferner mit einer Anzahl Armenier und Juden. Das Tor von Luzk wurde Herrn Grodezki überwiesen, den Befehl über die Kanonen übernahmen Schuk und Matschynski. Die Platzwache vor dem Rathaus bekam Lukas Dsiewanowski, und Chozimirski übernahm jenseits des reußischen Tores die Führerschaft über das lärmende Volk derZigeuner. Von der Brücke bis zum Schlosse des Herrn Sinizki führte die Wache Herr Kasimir Humiezki, der Bruder des tapferen Laurentius; weiter hinauf sollten Stanischewski am lechischen Tore, Martin Bogusch an der Bastei von Spisch, Georg Skarschynski und Jazkowski unmittelbar am Bialoblodsker Loch ihre Quartiere einnehmen. Dubrowski und Pietraschewski erhielten die Bastei von Rscheschnik, die große Stadtschanze ward Tomaschewitsch, dem Schulzen polnischer Gerichtsbarkeit, übertragen, die kleinere Jazkowski. Es erging noch der Befehl, eine dritte aufzuschütten, von der aus später ein Jude, ein geübter Bogenschütze, den Türken viel zu schaffen machte.

Nachdem dies festgestellt war, kamen alle freudig zur Abendmahlzeit bei dem Herrn Hetman von Podolien zusammen. Dieser ehrte besonders während der Festlichkeit Herrn Michael sowohl durch den Platz, den er ihm anwies, als durch Wein, Gerichte und durch eine Rede, in der er voraussagte, daß die Nachwelt dem Beinamen des kleinen Ritters nach der Belagerung den Titel eines Hektors von Kamieniez hinzufügen werde. Herr Michael aber erklärte, er hoffe, ehrlichen Ritterdienst zu leisten, und wolle sich zu diesem Zwecke mit einem bestimmten Gelübde im Dome binden; darum bat er den Bischof, es möge ihm gestattet sein, dies morgen zu tun. Der Bischof, welcher einsah, daß dieses Gelübde dem Gemeinwohl Nutzen bringen werde, sagte gern zu.

Am anderen Tage war großer Gottesdienst im Dome. Mit Andacht und Begeisterung lauschten die Ritter, der Adel, die Soldaten und das Volk. Michael und Ketling lagen knieend vor dem Altar, Christine und Bärbchen knieten am Gitter und weinten, denn sie wußten, daß dieses Gelübde das Leben ihres Gatten in Gefahr bringen mußte. NachBeendigung der Messe wandte sich der Bischof mit der Monstranz zum Volke. Da erhob sich der kleine Ritter, kniete auf den Stufen des Altars nieder und sagte mit gerührter, wenn auch ruhiger Stimme:

»Für die besondere Güte und die ungewöhnliche Huld, die ich von Gott dem Herrn und seinem eingeborenen Sohne empfangen habe, fühle ich mich zu besonderer Dankbarkeit verpflichtet und gelobe und schwöre, daß, wie er und sein Sohn mir beigestanden, auch ich bis zum letzten Atemzuge das heilige Kreuz verteidigen werde und, da mir das Kommando des alten Schlosses übertragen ist, daß ich, solange ich lebe und Hände und Füße rühren kann, keinen heidnischen Feind in das Schloß einlassen werde, daß ich von den Mauern nicht weichen, daß ich die weiße Fahne nicht aufstecken werde, und sollte ich unter den Trümmern des Schlosses begraben werden. So helfe mir Gott und das heilige Kreuz — Amen!«

Eine feierliche Stille herrschte in der Kirche; dann ertönte Ketlings Stimme:

»Für die besondere Güte,« sagte er, »die ich in diesem Vaterland erfahren habe, gelobe ich, bis zum letzten Blutstropfen das Schloß zu verteidigen und mich unter seinen Trümmern begraben zu lassen, ehe der Feind den Fuß über seine Schwelle setzt. Und so wahr, wie ich aus reinem Herzen und aus reiner Dankbarkeit diesen Eid schwöre, so wahr helfe mir Gott und das heilige Kreuz — Amen!«

Hier neigte der Priester die Monstranz und reichte sie erst Michael, dann Ketling zum Kusse dar. Bei diesem Anblick erhoben die anwesenden Ritter Lärm in der Kirche, es ertönten die Rufe: »Wir schwören alle!«, »Wir sterben einer nach dem anderen!«, »Die Feste wird nicht fallen!«, »Wir schwören — wir schwören!« »...Amen, amen, amen!«Die Säbel und Rapiere flogen mit Geklirr aus den Scheiden, und die Kirche erglänzte vom Widerschein der gezückten Schwerter. Der Schimmer fiel auf die drohenden Gesichter, auf die glühenden Augen, und ein gewaltiger, unbeschreiblicher Feuereifer erfaßte den Adel, die Krieger, das Volk. Alle Glocken läuteten, die Töne der Orgel schwollen mächtig, und der Geistliche intonierte: »Sub tuum praesidium.« Hundert Stimmen fielen machtvoll ein, und so betete man für die Feste, welche die Schutzwarte der Christenheit, der Schlüssel der Republik war.

Nach Beendigung des Gebets gingen Ketling und Michael Arm in Arm aus der Kirche. Man sandte ihnen Segenswünsche nach, denn niemand zweifelte daran, daß sie eher sterben als das Schloß ausliefern würden. Und doch, nicht der Tod schien über ihnen zu schweben, sondern Sieg und Ruhm, und unter der ganzen großen Menge wußten wohl nur sie allein, mit welchem furchtbaren Eidschwur sie sich gebunden. Vielleicht ahnten auch zwei liebende Herzen die große Gefahr, die über ihren Häuptern schwebte, denn weder Bärbchen noch Christine konnten sich beruhigen, und als Michael sich endlich im Kloster bei seiner Frau einfand, flüchtete sie schluchzend und weinend wie ein kleines Kind an seinen Busen und sagte in abgerissenen Worten:

»Michael ... Michael! ... wenn ... Gott behüte! ... ein Unglück dich trifft ... so ... so ... weiß ich nicht ... was ... mit mir ... geschieht!«

Ihr ganzer Körper schüttelte sich vor Schluchzen. Auch der kleine Ritter war tief bewegt; endlich sagte er:

»Bärbchen, ... es mußte sein.«

»Ich möchte lieber sterben,« sagte Bärbchen.

»Still, Bärbchen, still!« wiederholte der kleine Ritterimmer wieder, um sein über alles geliebtes Weib zu beruhigen.

»Denkst du noch, als dich mir der liebe Gott zurückgegeben hatte, was ich da dachte? Ich sagte: »Was du, Herrgott, auch von mir forderst, ich will es geben. Nach dem Kriege, wenn ich ihn überlebe, will ich eine Kapelle erbauen, aber während des Krieges muß ich etwas Großes tun, um dir nicht mit Undank zu lohnen.« Was bedeutet das Schloß! Wenig genug für so große Wohltaten. Nun ist die Zeit gekommen; ziemt es sich, daß der Erlöser sage: »Versprochen und nicht gehalten?« Eher mögen mich die Mauern des Schlosses begraben, ehe ich das Ehrenwort, das ich Gott gegeben, breche. Es muß sein, Bärbchen; und damit genug. Vertrauen wir auf Gott!«

Noch an demselben Tage machte sich Herr Wolodyjowski mit der Fahne auf, um Herrn Wasilkowski zu Hilfe zu eilen, der gen Hryntschuk geeilt war, weil, einer Nachricht zufolge, die Tataren dort plötzlich hereingebrochen waren, die Einwohner in Fesseln gelegt, das Vieh fortgetrieben und die Dörfer in Brand gesteckt hatten, um alle Spuren ihrer Anwesenheit zu tilgen. Der Herr von Wasilkowski hatte sie sogleich geschlagen, ihnen Beute und Gefangene abgenommen. Letztere brachte Michael nach Swaniez und trug Herrn Makowiezki auf, sie auf die Folter zu spannen und ihre Aussagen sorgfältig niederzuschreiben, damit diese dem Hetman und dem König übersandt werden könnten. Die Tataren sagten aus, daß sie auf Perkulabischen Befehl die Grenzen überschritten und Hilfskräfte unter der Führung des walachischen Hauptmanns Stingan gehabt hätten. Sie vermochten aber trotz aller Qualen nichts darüber auszusagen, in welcher Entfernung sich gegenwärtig der Sultan mit seiner ganzen Macht befinde, da sie, in losen Abteilungen marschierend, keine Verbindungmit dem Hauptlager unterhalten hatten. Alle aber sagten übereinstimmend aus, daß der Sultan mit Macht gegen die Republik heranziehe, und wahrscheinlich in kürzester Zeit bei Chozim Halt machen werde. Es lag in diesen Aussagen nichts Neues für die zukünftigen Verteidiger von Kamieniez; da man aber in Warschau am Hofe des Königs an den Krieg nicht glaubte, beschloß der Kämmerer von Podolien, die Gefangenen samt ihren Neuigkeiten nach Warschau zu senden.

Die vorausgeschickten Streifzügler kehrten befriedigt von ihrer ersten Unternehmung zurück. Inzwischen war am Abend der Sekretär seines Bruderschafters Habareskul, des ältesten Perkulaben von Chozim, zu Herrn Michael gekommen; er brachte keinen Brief, denn der Perkulab fürchtete, etwas Schriftliches von sich zu geben; er hatte aber aufgetragen, seinem Bruderschafter Michael, seinem Augapfel und Herzensbruder, mündlich zu sagen, er möge sich wohl in acht nehmen, und, wenn Kamieniez nicht genügend Soldaten zur Verteidigung habe, unter irgend einem Vorwand die Stadt verlassen, denn der Kaiser werde schon am folgenden Tage in Chozim mit der ganzen Kriegsmacht erwartet.

Herr Michael ließ Perkulab Dank sagen, belohnte den Sekretär und schickte ihn zurück. Er selbst aber setzte sogleich den Kommandanten von der herannahenden Gefahr in Kenntnis.


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