Es war sie!
»Erzählen Sie uns etwas, Pjotr Iwanowitsch!« sagten die jungen Mädchen.
Der Oberst drehte seinen ergrauten Schnurrbart, räusperte sich und begann:
»Es war im Jahre 1843, als unser Regiment bei Czenstochowa lag. Ich muß Ihnen sagen, meine Damen, der Winter war in jenem Jahre so streng, daß kein Tag verging, wo sich die Wachtposten nicht die Nasen abfroren oder der Sturm die Straßen nicht mit Schnee verschüttete. Der Frost hatte Ende Oktober eingesetzt und hielt bis zum April an. Damals, müssen Sie wissen, war ich nicht der alte verrauchte Pfeifenkopf wie jetzt, sondern ein junger Bursche wie Blut und Milch, mit einem Worte, ein schöner Mann. Ich zierte mich wie ein Pfau, gab das Geld mit beiden Händen aus und drehte meinen Schnurrbart wie kein anderer Fähnrich auf der Welt. Ich brauchte oft nur mit einem Auge zu blinzeln, mit der Spore zu klirren und einmal den Schnurrbart zu streichen, damit die stolzeste Schöne sich sofort in ein sanftes Lamm verwandle. Ich war scharf auf die Weiber, wie eine Spinne auf die Fliegen, und wenn ich jetzt Ihnen, meine Damen, alle die Polinnen und Jüdinnen aufzählen wollte, die mir seinerzeit an den Hals flogen, so würden, ich versichere Sie, alle Zahlen der Mathematik nicht reichen … Fügen Sie dem noch hinzu, daß ich Regimentsadjutant war, vorzüglich die Mazurka tanzte und mit einer allerliebsten Frau verheiratet war, Gott hab sie selig. Was ich für ein Taugenichts und ausgelassener Kerl war, – davon können Sie sich keinen Begriff machen! Wenn im Landkreise irgendeine tolle Liebesgeschichte passierte, wenn jemand einem Juden die Schläfenlocken ausriß oder einem polnischen Edelmann in die Fresse haute, so wußten alle sofort, daß Leutnant Wywertow es angestellt hatte.
»Als Regimentsadjutant mußte ich mich viel im ganzen Landkreise herumtreiben. Bald kaufte ich Hafer oder Heu ein, bald verkaufte ich den Juden und Gutsbesitzern unsere ausgemusterten Pferde, meistens aber fuhr ich, meine Damen, eine Dienstreise vortäuschend, zu einem Stelldichein mit irgendeinem polnischen Edelfräulein oder zu einem reichen Gutsbesitzer, bei dem man Karten spielte … In der Nacht vor Weihnachten fuhr ich einmal, ich erinnere mich, als wäre es eben gewesen, aus Czenstochowa ins Dorf Schewelki, wohin man mich in einer dienstlichen Angelegenheit geschickt hatte … Der Frost war so grimmig, daß sogar die Pferde husteten und ich und mein Fuhrmann in einer halben Stunde zu zwei Eiszapfen geworden waren … Mit dem Frost konnte man sich noch befreunden, aber denken Sie sich nur, auf dem halben Wege erhebt sich plötzlich ein Schneesturm. Der Schnee wirbelte und kreiste wie der Teufel vor der Ostermesse, der Wind heulte, als hätte man ihm seine Frau genommen, die Straße war verschwunden … In kaum zehn Minuten waren wir alle – ich, der Fuhrmann und die Pferde – über und über mit Schnee bedeckt.
›Euer Wohlgeboren, wir haben den Weg verloren!‹ sagte der Fuhrmann.
›Hol dich der Teufel! Wie hast du aufgepaßt, du Tölpel? Nun, fahre jetzt geradeaus, vielleicht stoßen wir auf eine Menschenwohnung!‹
»Wir fuhren und fuhren, immer im Kreise herum, und so gegen Mitternacht stießen unsere Pferde an das Tor eines Gutshofes, der, ich erinnere mich noch, einem Grafen Bojadlowski, einem reichen Polen gehörte. Die Polen und die Juden sind für mich dasselbe wie Meerrettich nach dem Essen, aber ich muß die Wahrheit sagen: die polnischen Edelleute sind gastfreundlich, und es gibt keine heißeren Weiber als junge Polinnen …
»Man ließ uns ein … Der Graf Bojadlowski lebte damals in Paris, und uns empfing sein Verwalter, der Pole Kasimir Chapzinski. Ich erinnere mich, es war keine Stunde vergangen, als ich schon in der Wohnung des Verwalters saß, seiner Frau den Hof machte, trank und Karten spielte. Als ich fünf Dukaten gewonnen und genug getrunken hatte, bat ich um ein Nachtlager. Da es im Verwalterflügel keinen Platz gab, wies man mir ein Zimmer im gräflichen Herrenhause an.
›Fürchten Sie Gespenster?‹ fragte mich der Verwalter, mich in ein kleines Zimmer geleitend, das neben einem riesengroßen Saal voller Kälte und Finsternis lag.
›Gibt es denn hier Gespenster?‹ fragte ich, während ein dumpfes Echo meine Worte und Schritte wiederholte.
›Ich weiß es nicht,‹ antwortete der Pole lachend, ›aber mir scheint, daß es ein für Gespenster und unsaubere Geister außerordentlich geeigneter Ort ist.‹
»Ich hatte ordentlich getrunken und war besoffen wie vierzigtausend Schuster, aber diese Worte machten mich, offen gestanden, erschauern. Hol mich der Teufel, lieber sind mir hundert Tscherkessen als ein einziges Gespenst! Es war aber nichts zu machen, ich zog mich aus und legte mich hin … Meine Kerze erleuchtete die Wände mit schwachem Lichte, an den Wänden hingen aber, stellen Sie es sich nur vor, Ahnenbilder, eines schrecklicher als das andere, altertümliche Waffen, Jagdhörner und ähnliche phantastische Dinge … Es herrschte eine Grabesstille, nur im Nebensaale piepsten die Mäuse und knisterten die trockenen Möbel. Draußen war aber die Hölle los … Der Wind sang jemand die Totenmesse, die Bäume bogen sich heulend und weinend; irgendein Teufelsding, wahrscheinlich ein Laden, quietschte jämmerlich und klopfte gegen den Fensterrahmen. Denken Sie sich hinzu, daß mir der Kopf schwindelte und sich zugleich mit meinem Kopf die ganze Welt drehte … Wenn ich die Augen schloß, war es mir, als flöge mein Bett durch das ganze leere Haus und tanze mit den Gespenstern einen Reigen. Um meine Angst zu vermindern, blies ich vor allen Dingen die Kerze aus, da die leeren Zimmer bei Licht viel schrecklicher erscheinen als im Finsteren …«
Die drei jungen Mädchen, die dem Oberst zuhörten, rückten zu ihm näher heran und bohrten in ihn ihre unbeweglichen Blicke.
»Nun«, fuhr der Oberst fort, »wie sehr ich mich auch bemühte, einzuschlafen, der Schlaf floh meine Lider. Bald schien es mir, daß Diebe durchs Fenster eindringen, bald hörte ich ein Flüstern, bald berührte jemand meine Schulter, – kurz, mir schwebte der ganze Teufelsspuk vor, den jedermann kennt, der einmal nervös erregt war. Nun stellen Sie sich vor, daß ich plötzlich mitten in diesem Teufelsspuk und Chaos von Tönen deutlich ein Geräusch erkenne, das wie Schlürfen vonPantoffeln klingt. Ich spitze die Ohren und, – was glauben Sie wohl? – ich höre, wie jemand vor meine Türe tritt, hustet, die Türe aufmacht …
›Wer ist da?‹ frage ich, mich aufrichtend.
›Ich bin es … fürchte dich nicht!‹ antwortet eine weibliche Stimme.
»Ich ging zur Tür … Es vergingen einige Sekunden, und plötzlich fühlte ich, wie sich mir zwei Frauenarme, so weich wie Eiderdaunen, auf die Schultern legten.
›Ich liebe dich … Du bist mir teurer als das Leben,‹ sagte eine melodische Frauenstimme.
»Heißer Atem berührte meine Wange … Ich vergaß den Schneesturm, die Gespenster und alles in der Welt und umschlang mit meiner Hand eine Taille … was für eine Taille! Eine solche Taille kann die Natur nur auf besondere Bestellung, einmal in zehn Jahren anfertigen … Schlank, wie gedrechselt, heiß und leicht wie der Atem eines Säuglings! Ich konnte mich nicht beherrschen und drückte sie fest in meinen Armen zusammen … Unsere Lippen vereinigten sich in einem festen, langen Kusse, und … ich schwöre Ihnen bei allen Frauen der Welt, ich werde jenen Kuß bis an mein Ende nicht vergessen.«
Der Oberst verstummte, trank ein halbes Glas Wasser aus und fuhr mit gedämpfter Stimme fort:
»Als ich am nächsten Morgen zum Fenster hinausblickte, sah ich, daß der Schneesturm noch stärker geworden war … Weiterfahren war ganz unmöglich. So mußte ich den ganzen Tag beim Verwalter sitzen, Karten spielen und trinken. Abends war ich wieder im leeren Hause und umschlang Schlag Mitternacht wieder die mir bekannte Taille … Ja, meine Damen, wenn nicht die Liebe, so wäre ich wohl vor Langeweile verreckt. Oder hätte mich zu Tode gesoffen.«
Der Oberst seufzte, stand auf und ging schweigend durchs Zimmer.
»Nun … und weiter?« fragte eines der jungen Mädchen, ganz atemlos vor Erwartung.
»Gar nichts. Am anderen Tage war ich schon unterwegs.«
»Aber … wer war denn die Dame?« fragten die jungen Mädchen zögernd.
»Es versteht sich doch von selbst, wer es war!«
»Nein, nichts versteht sich von selbst!«
»Es war meine Frau!«
Alle drei junge Mädchen sprangen wie von einer Schlange gebissen auf.
»Das heißt … wieso denn?« fragten sie.
»Ach, mein Gott, was ist denn daran so unverständlich?« fragte der Oberst ärgerlich und zuckte die Achseln. »Ich glaube, ich habe mich klar genug ausgedrückt! Ich war doch mit meiner Frau nach Schewelki gefahren … Sie übernachtete im leeren Hause im Nebenzimmer … Es ist doch vollkommen klar!«
»Hm …« versetzten die jungen Mädchen und ließen enttäuscht die Arme sinken.
»Die Geschichte hat so schön angefangen, aber das Ende ist Gott weiß wie … Ihre Frau … Entschuldigen Sie, es istso garnicht interessant und … auch gar nicht geistreich.«
»Sonderbar! Sie wollen also, daß es nicht meine rechtmäßige Frau gewesen sei, sondern irgendeine Fremde! Ach, meine Damen! Wenn Sie jetzt so urteilen, was werden Sie erst sagen, wenn Sie einmal verheiratet sind?«
Die jungen Mädchen wurden verlegen und verstummten. Sie machten unzufriedene Mienen, zogen die Stirnen kraus und fingen an, gänzlich enttäuscht, laut zu gähnen … Beim Abendbrot aßen sie nichts, kneteten Kügelchen aus Brot und schwiegen.
»Nein, es ist sogar … gewissenslos!« platzte eine von ihnen heraus. »Was brauchten Sie es uns erzählen, wenn die Geschichte ein solches Ende hat? Es ist gar nicht schön … Es ist sogar unerhört!«
»Sie haben so vielversprechend angefangen und plötzlich abgebrochen …« fügte eine andere hinzu. »Es ist einfach Hohn und sonst nichts.«
»Na, na, na … ich habe nur gescherzt …« versetzte der Oberst. »Seien Sie nicht böse, meine Damen, ich habe nur Spaß gemacht. Es war nicht meine Frau, sondern die des Verwalters …«
»Ja?!«
Die jungen Mädchen wurden plötzlich lustig, ihre Augen fingen zu leuchten an … Sie rückten zum Obersten heran, schenkten ihm immer neuen Wein ein und überschütteten ihn mit Fragen. Die Langweile war verschwunden, auch das Abendbrot war bald verschwunden, denn die jungen Mädchen aßen plötzlich mit großem Appetit.