Lucy mußte etwas ahnen; sie stand auf. Beim Anblick meines alten Oheims ging sie ihm entgegen; dann dachte sie an sich selbst und konnte ihre Bewegung nichtverbergen. Mein Oheim, heiter wie immer und seiner alten, höflichen Sitte getreu, erfaßte die Hand der jungen Dame, neigte sich und brachte dieselbe an die Lippen. Erlauben Sie, schöne Dame, sprach er, daß ich Ihnen den Besuch erwidern darf, womit Sie mich vor fünf Jahren beehrten, als Sie den Taugenichts da mir zurückbrachten... Ich weiß, fuhr er fort, als er Lucy's Thränen rinnen sah, ich weiß, Sie sind betrübt... jener edle Greis war Ihr Vater! ich weiß auch, daß dieser Herr Ihr Gemahl ist... und würdig ist, es zu sein, da Er ihn für Sie erwählt hat.
Der Herr ergriff in diesem Augenblicke die Hand meines Oheims und lud ihn ein, sich auf einen Stuhl zu setzen, den er selber herangerückt hatte, während ich in gespanntester Aufmerksamkeit auf diese Scene hinschauete.
Verzeihen Sie meine Bewegung, sagte jetzt Lucy... als ich Sie zu Lausanne sah, Sie und meinen Vater, beide beinahe in gleichem Alter, in einem Zimmer bei einander, beide für das Glück zweier Personen so nothwendig... damals empfand ich Ahnungen, welche Ihre Gegenwart mir in diesem Augenblicke allzulebendig zurückruft... Ich danke Gott dafür, daß er Sie erhalten hat. Wenn mir nicht der Zufall Herrn Julius in den Weg führte, so war meine Absicht, Genf nicht zu verlassen, ohne Erkundigungen über Sie einzuziehen... Aber es freut mich ungemein dem Anscheine nach Sie so wohlauf zu sehen, und ich empfinde eben so viel Dankals Verlegenheit darüber, daß Sie sich so hoch heraufbemüheten, mir dieses Vergnügen zu bereiten.
Beste Dame, versetzte mein Oheim, Sie sind ein liebenswürdiges Wesen! und es ist eine Lust, Sie anzuhören... Zu Lausanne stieg er auch hoch, Ihr Vater... und er wurde dafür nicht mit einem solchen Empfange gelohnt, wie man ihn nicht ohne Ihre Stimme, ohne Ihr Wesen, ohne Ihr Herz gewähren kann.... Theuerste Dame, seien Sie glücklich... Bald, ja bald steige ich noch höher!... wenn mein armer Julius dort nichts dagegen hat.
Ach, nimmermehr, bester Oheim, rief ich aus und war tief ergriffen von der eben so traurigen, als schlagenden Aehnlichkeit, welche meine gegenwärtige Lage mit derjenigen hatte, worin sich damals Lucy befand. Und in den Mienen der jungen Dame las ich, daß ihr Gedanke in diesem Augenblicke mit dem meinigen zusammentraf.
Doch, ich will Sie nicht stören, bemerkte mein Oheim nach einigen Wechselworten. Sie besehen die Versuche meines armen Julius... ich will Sie allein lassen... Ich bitte Sie, sagen Sie dem Herrn, daß ich heute bedauere, nicht lieber Englisch zu verstehen als Hebräisch, da würde ich das Vergnügen haben, ihn unterhalten zu können.
Dann faßte er die Hand Lucy's und sprach: Leben Sie wohl, mein Kind... seien Sie glücklich... Es ist ein Recht, das dem Greise zusteht, daß er eine so junge Dame mit seinen Segenswünschen begleite...Also thue ich... Leben Sie wohl, werthester Herr, Sie sind mit einander verbunden, ich werde Sie auch in meiner Erinnerung nicht von einander scheiden. Nach diesen Worten verbeugte sich mein Oheim Tom abermals, küßte Lucy's Hand und zog sich zurück. Wir begleiteten ihn alle drei, sämmtlich von dem lebhaften Gefühle der Ehrfurcht und Zuneigung erfüllt, welches in Verbindung mit einem schwermüthigen Gedanken das liebenswürdige Greisenalter einflößt.
Als mein Oheim sich entfernt hatte, setzten wir uns. Lucy sprach von ihm, sie wollte in seinen Zügen Aehnlichkeit mit ihrem Vater finden, besonders in dieser heitern Freudigkeit, in dieser so wahren Höflichkeit unter etwas alten oder vertraulichen Formen. Und oft nach diesen Bemerkungen hielt sie inne, als würde sie von dem Gedanken an den Verlust, den eine nahe Zukunft mir drohete, trübe gestimmt. Hierauf ging sie zu einem andern Gegenstande über: Herr Julius, sagte sie und eine leichte Röthe überflog dabei ihre Wangen, wir haben das Ihnen bekannte Portrait meines Vaters mitgebracht, unser Wunsch wäre, zwei Kopien davon zu besitzen. Ich hoffe, Sie werden mir die Gefälligkeit erweisen, diese Arbeit über sich zu nehmen. Ihr Talent ist uns Bürge, daß Sie unseren Erwartungen entsprechen werden, wenn schon das Andenken, welches Sie meinem vielgeliebten Vater bewahrt haben, ein Grund ist, der mich weit mehr bestimmt.
Man denke sich meine Freude; ich mußte dieselbe zurückhalten; allein Lucy und ihr Gemahl konnten durch meine Verwirrung und Verlegenheit hindurch die ganze Lebhaftigkeit derselben ermessen. Dieselbe wurde durch die Zuversicht, welche ich hegte, daß eine solche Arbeit meine Kräfte nicht überstieg, noch vermehrt. Denselben Tag noch holte ich das Portrait ab und ging an's Werk, ich sah mich diesmal ganz entschieden in die Bahn der schönen Künste hineingeworfen.
Unter andern Umständen hätte dies Portrait mir einige Traurigkeit einflößen können, denn es lenkte meine Einbildung lebhaft auf die Vergangenheit zurück, wo ich jene beiden Wesen, die einander so theuer waren und die jetzt der Tod schied, im vollen Leben erblickte; die Jungfrau, geschmückt mit dem lachenden Glanze der Pracht und Jugend, welche ihre Thränen noch nicht getrübt hatten, und Lucy jetzt in Trauer und Klagegewänder gehüllt... Allein ich war zu sehr von der Freude und Dankbarkeit erfüllt, als daß der Eindruck dieses Gegensatzes in mir hätte vorherrschend bleiben können.
Welch' herrliche Beschäftigung! Mein Stift hatte dies theure Gesicht nachzuzeichnen, er hatte die Umrisse ihrer Gestalt, die weiche Anmuth ihrer Haltung wiederzugeben; oft blieb ich bezaubert vor meinem Modell stehen und war für einige Augenblicke zu aufgeregt, um fortarbeiten zu können.
Ein vortreffliches Weib! sagte mein Oheim, als er diese großen Ereignisse von mir erfuhr; ich bedaure, nicht lieber Englisch statt Hebräisch zu verstehen,... nun bist Du recht zufrieden, mein armer Julius!... nun sei es. Aber daß die Arbeit Dir Ehre mache! setzte er hinzu, daß man die Gesetze des Lichts und Schattens beobachtet sehe, und die beiden Perspectiven, sowol die Linear- als Luftperspective... und dann, das Kunstgefühl...und... Vortreffliche Frau! In Wahrheit eben so liebenswürdig als schön!...
Die Kalesche Lucy's hatte während ihres letzten Besuchs auf der Seite des Hauses gehalten, die dem Hospital gegenüberliegt, während die Wagen, welche die Modelle zu meinem Kunstgenossen brachten, stets an der Kirchenseite angehalten hatten.
Dieser Umstand erregte die Aufmerksamkeit der Miethsleute. Als diese endlich nach tausenderlei Muthmaßungen, in denen sie am allerwenigsten auf mich gerathen hatten, bemerkten, daß die Kalesche mit den Wappenschildernmeinetwegen da anhielt, stieg der Ruf meines Ruhmes, eines funkelnagelneuen und deshalb um so glänzenderen Ruhmes von Stock zu Stock, und der alte Schulmeister that sich etwas darauf zu gute, daß er in Bezug auf seine Vorhersagungen sprach:
– Non ego perfidumDixi sacramentum.
– Non ego perfidumDixi sacramentum.
– Non ego perfidumDixi sacramentum.
– Non ego perfidum
Dixi sacramentum.
Was für eine schlechte Redensart führst Du da? unterbrach ihn seine Frau.
– Odi profanum vulgusEt arceo.
– Odi profanum vulgusEt arceo.
– Odi profanum vulgusEt arceo.
– Odi profanum vulgus
Et arceo.
Acht auf Deine Töpfe!
Ich dächte, daß funfzig Jahre Schulmeisterei Dir diese verwünschte Sucht lateinischer Floskeln, die Dich unerträglich machen, verleidet hätten. Kannst Du diese Dummheiten nicht sein lassen und wie alle Welt Französisch sprechen?
Du weichst sehr von Horaz ab, meine Liebe, denn der sagt:
Nocturna versate manu, versate diurna;
Nocturna versate manu, versate diurna;
Nocturna versate manu, versate diurna;
Nocturna versate manu, versate diurna;
und wenn ich Dich Nachts damit verschone, kannst Du mich wol Tags über anhören.
Horaz und alle diese Leute sind große Dummköpfe, wenn sie Dir so etwas eingebildet haben. Nachts schnarchst Du, daß ich nicht schlafen kann, und am Tage machst Du mich taub mit Deinem Kauderwelsch.
Du schimpfst da auf Schönheiten, die Du nicht verstehst. Nimm doch Vernunft an, liebe Frau; wenn ich Deine Gerichte esse und sie gut finde, kannst Du doch auch meine Verse loben und ihren Duft empfinden...
Vellem in amicitia sic erraremus.
Vellem in amicitia sic erraremus.
Vellem in amicitia sic erraremus.
Vellem in amicitia sic erraremus.
Meine Gerichte sind gut, aber Dein Gebräu abscheulich!
– Melius nil caelibe vita!
– Melius nil caelibe vita!
– Melius nil caelibe vita!
– Melius nil caelibe vita!
Und ich bleibe dabei, was ich von dem jungen Manne sagte:
– Non ego perfidumDixi sacramentum.
– Non ego perfidumDixi sacramentum.
– Non ego perfidumDixi sacramentum.
– Non ego perfidum
Dixi sacramentum.
Andrerseits hatte der Baßspieler und seine ganze Sippschaft (ich habe schon anderswo einmal bemerklich gemacht, daß Studenten ihr Leben am Fenster verbringen) nicht ermangelt, die glänzende Kalesche zu bemerken. Wenigstens funfzehn Köpfe zeigten sich auf einmal an den Fenstern, die auf die Straße gingen, sahen neugierig die Diener herabspringen, den Schlag öffnen und die junge Dame, auf den Arm ihres Gemahls gestützt, in die Hausflur treten. Sogleich begannen die Muthmaßungen: Zu wem geht sie?... – Wär's vielleicht, dachte der Musiker, ein Dilettant, den die Vorsehung... und alle Köpfe hatten sich an die Fenster, Dachluken und Gucklöcher begeben, welche auf den Hof gingen...
Lucy stieg die Treppe hinauf, Lucy durchschritt den letzten Stock; sicher geht die schöne Dame zu dem jungen Maler!! und mein Ruhm stieg bis zu den Sternen.
Nur der Feldmesser und seine Familie hatten für diese großen Ereignisse keine Acht. Der Herr vom Hause befand sich auf den Feldern und maß seine Winkel, die Mutter befaßte sich mit den Haushaltssorgen, während die älteste Tochter, seitwärts von mir in dem Zimmer, an denBlättern ihres Vaters arbeitete. Inmitten ihres thätigen, bedrängten Lebens gab es wenig Zeit auf die Angelegenheiten der Straße zu passen oder auf den Verkehr der Nachbarn.
Indessen schritt meine Arbeit vorwärts. Mit der Morgendämmerung stand ich auf und stieg in meine Werkstatt, um daselbst mit Eifer bis zur Tagesneige zu arbeiten. Diesen anhaltenden Beschäftigungen verdanke ich's, daß ich auch in etwas die Bekanntschaft des Feldmessers machte. Auch er verließ mit der Morgenröthe nebst seiner Tochter seine Wohnung; wir stiegen zusammen die Treppe hinauf, und während er in sein Arbeitszimmer trat, um dem jungen Mädchen Arbeiten für den Tag anzuweisen, ging ich meinerseits in meine Werkstatt, um mich einzurichten. Die Nachbarschaft und diese Gleichförmigkeit der Gewohnheiten brachten uns allmälig etwas näher, so daß, trotz des Werthes, den der Mann auf die Benutzung seiner Zeit legte, es bereits dahin gekommen war, daß er eine oder zwei Minuten zum Plaudern auf der Thürschwelle verwendete, wenn der Gegenstand, den wir beim Hinaufsteigen besprochen hatten, durchaus noch ein Paar kurze Worte mehr heischte. Während wir hinaufstiegen, ging seine Tochter, mit dem Schlüssel des Arbeitszimmers in der Hand, vor uns her. Sie war von anziehendem Wuchs und einem mehr edeln als hübschen Gesichte. Immer in bloßem Kopfe undäußerst einfach angezogen, waren ihre schönen an der Stirne anliegenden Haare bei ihrer Jugend und Frische ihr schönster Schmuck.
Der Einfluß einer strengen Erziehung gibt sich bei denen, welche so glücklich waren, eine solche zu genießen, in jedem Alter kund. Obgleich unterwürfig und schüchtern, trug das junge Mädchen doch auf ihrer Stirn den Ausdruck jenes etwas rauhen Stolzes, welcher sich weit kräftiger in dem Gesichte ihres Vaters aussprach. Unbekannt mit den Sitten der Welt, hatte sie ihre eigenen, edeln, zurückhaltenden, so, daß sie, einfach, wie ihr Stand, durchaus nicht den gemeinen, gewöhnlichen Ausdruck zeigte.
Aber es war doch eine höchst eigenthümliche und anziehende Sache, dieses junge Mädchen in dem Alter derLust so fleißig zu sehen, ohne Rast und fast ohne Erholung sich Arbeiten widmend, die gewöhnlich ihrem Geschlechte fremd sind, und so jung wie sie war, gemeinschaftlich mit dem Vater für den Unterhalt der Familie sorgend.
Ich verfehlte nicht, mich Morgens regelmäßig einzustellen, damit ich nicht nöthig hätte, allein in meine Werkstatt steigen zu müssen. Nur geschah es einige Mal, daß der Feldmesser Tags zuvor die Arbeit angewiesen hatte und Henriette allein hinaufstieg. Das waren unglückliche Tage für mich; denn ich fürchtete, daß ich ihr dieselbe Verlegenheit bereiten möchte, die ich selber bereits empfand, und ich wußte nichts Besseres zu thun, als meinen Schritt zu beflügeln, wenn ich mich vor ihr befand, oder langsamer zu gehen, wenn ich sie vor mir hinaufsteigen hörte.
Saß ich einmal in meiner Werkstatt, so gewährte mir die Anwesenheit meiner unsichtbaren Genossin einen seltsamen Reiz. Ich fand eine angenehme Zerstreuung in dem geringsten Geräusche, das mir ihren Schritt, ihr Verhalten oder ihre verschiedenen Bewegungen vergegenwärtigte. Und wenn dann die Mittagsstunde sie hinabrief, so empfand ich eine Einsamkeit und Langeweile, so daß ich mich nach und nach daran gewöhnte, mich zu derselben Stunde, wie sie, zu entfernen.
Inmitten meiner neuen Zerstreuungen fiel mir oft ein Umstand ein. Die ersten Tage vor meinem regelmäßigenMorgeneintreffen hatte sie zuweilen während der langen Arbeitsstunden ein Liedlein gesungen, dann aber hatte der Gesang plötzlich aufgehört, und just eben, als ich begann, demselben mit größerm Vergnügen zu lauschen. War es Zufall? Geschah es meinetwegen? War ich ihr schon genugsam aufgefallen, daß sie sich diesen Zwang anlegte? Bedeutete dieses Schweigen, daß sie sich mit mir beschäftigte, wie ich mich mit ihr?
Das waren hundert Fragen und eine Menge anderer dazu, die mir unendlich viel zu denken und sinnen gaben. Nach Vollendung meiner Kopien unternahm ich nichts mehr; meine Leinwand blieb leer, meine Pinsel lagen zerstreut umher. Nichts hatte Reiz für mich, neben dem Gefühle, welches meine Tage erfüllte.
Und es waren nicht mehr wie sonst Träumereien, deren Leere und Hohlheit ich mir selbst gestand. Dieses Mal vielmehr kam der Gedanke an Heirath von vorn herein in meinen Sinn, und als er einmal da war, wollte er nicht wieder fort.
Glückliches Alter, in dem ich mich damals noch befand! letzte schöne Tage, die bald das Alter der Erfahrung und Reife abschließen soll! Ehe ich noch ein Wort mit dem Mädchen gesprochen hatte, nahm ich mir vor, sie zu heirathen. Bevor ich noch über diesen beschwerlichen Stand einmal nachgedacht, den die Dichter uns als das Grab der Liebe malen und die Moralisten als ein heiliges aber fesselschweres Joch, steuerte ich darauf los wie zu einem Gestade voll Blumen und Duft. Bevor ich mich darum kümmerte, wie oder wovon ein Haus besteht, oder eine Familie aufblüht, beschäftigte ich mich bereits und vorzugsweise, gewisse Anordnungen herauszuklügeln, deren leichte Möglichkeit meinen Wünschen allen Reiz naher Wirklichkeit verlieh.
In der That, mein ganzes Streben ging darauf hin, eine Thür in die Breterwand zu brechen; dann wurde Henriettens Dachstübchen unsere Hochzeitskammer, das meinige unser Arbeitszimmer, wo, sie an ihren Schreibereien, ich an meiner Leinwand, uns die Tage in Frieden, Glück und Liebe gesponnen, dahinflossen.
Eines Morgens dachte ich, in mein Fenster gelehnt, an dergleichen Dinge und schaute gewohnheitsmäßig dem alten Schulmeister zu, welcher die Tulpen seines Gärtleins begoß; da erschien auf einmal Henriette an ihrem Fenster.
Sie suchte mich nicht, wie ich an der lebhaften Röthe, die plötzlich ihre Wangen färbte, erkennen konnte. Indeß, um nicht merken zu lassen, daß meine Anwesenheit einen größern Eindruck auf sie mache, als ihr Stolz zu gestehen erlaubte, so konnte sie nicht sogleich wieder zurückgehen. Sie blieb also; nur um ihre Verlegenheit zu verbergen, blickte sie auf die entgegengesetzte Seite nach den Wolken in der Luft.
Die Gelegenheit war vortrefflich, um endlich mit derjenigen, die ich zu meiner Frau machen wollte, ein Gespräch anzuknüpfen. Ich raffte also meine Kräfte zusammen, um meine lebhafte Unruhe zu überwinden.
Diese Tulpen... sagte ich zum Schulmeister...
Kaum hatte ich die beiden Worte ausgesprochen, da zog Henriette ihren Kopf zurück, ehe noch der Schulmeister den seinigen emporgehoben hatte, und mit der Unterredung blieb es dabei.
Ah! ah! Sie schauen mir zu? sagte der Schulmeister; Schalk! Ich ahne, was Sie denken:
Das Bauen geht noch an, doch in dem Alter pflanzen!
Das Bauen geht noch an, doch in dem Alter pflanzen!
Das Bauen geht noch an, doch in dem Alter pflanzen!
Das Bauen geht noch an, doch in dem Alter pflanzen!
Erstlich, junger Herr, sind dies Tulpen:
Ei, wehrt dem Weisen nichtDaß er für Andrer Freude sich bemüht!
Ei, wehrt dem Weisen nichtDaß er für Andrer Freude sich bemüht!
Ei, wehrt dem Weisen nichtDaß er für Andrer Freude sich bemüht!
Ei, wehrt dem Weisen nicht
Daß er für Andrer Freude sich bemüht!
Sehen Sie, diese gesprenkelte, die in Holland zwanzig Dukaten werth wäre, habe ich meiner Gemahlin bestimmt:
Purpureos spargam flores....
Purpureos spargam flores....
Purpureos spargam flores....
Purpureos spargam flores....
Der Schulmeister citirte noch, als ich verwirrt und ärgerlich bereits mein Fenster wieder geschlossen hatte.
Der schlechte Erfolg dieses Versuchs benahm mir die Lust, ihn zu erneuern, so daß ich während mehrer Wochen mich begnügte, bescheidentlich die vorerwähnten Gewohnheiten weiter zu verfolgen.
Henriette bekam zuweilen einen Besuch. Wenn die Sorgen der Haushaltung der Mutter einige Augenblicke erlaubten, so kam sie herauf, um neben ihr zu arbeiten. Sogleich näherte ich mich der Zwischenwand und hielt meinen Athem an, um ihre Worte besser zu vernehmen.
Dein Vater, sprach die Mutter, wird gegen sechs Uhr zurück sein; ich habe Deine Brüder bereits angekleidet, damit wir zusammen ausgehen können.
Ihr werdet wol ohne mich gehen müssen, Mutter, denn ich sehe nicht ab, wie diese Arbeit morgen fertigsein soll, wenn ich nicht dabei bleibe. Donnerstag, weißt Du, ist der Hauszins fällig.
Du bist der Familie höchst unentbehrlich, mein liebes Kind, ich freue mich, daß Deine Brüder Dir werden Beistand leisten können.
Ich freue mich des Vaters willen darüber.
Dein Vater ist, gottlob, stark und noch jung; ich fürchte für ihn nichts als Krankheit und Alter... Da könntest Du uns wol fehlen, Henriette.
Ich bin auch stark und hoffe am Leben zu bleiben.
Ich hoffe das auch, liebes Kind; allein Du kommst in die Jahre, wo Du Dich verheirathen könntest.
Meine Mutter, ich bleibe bei Euch; lieber will ich in dieser Bedrängniß, die wir zusammen theilen, bleiben, als sie gegen eine andre, in der ich Euch entfremdet wäre, vertauschen.
Also einen reichen Mann begehrst Du, Henriette?
Nein, meine Mutter; denn ich wäre ihm nicht gleich. Aber ich will Euch nicht meine Arbeit entziehen, um sie einem Herrn zuzubringen, dem ich sie nicht schuldig bin.
Du hast Recht, Henriette, keinen Reichthum zu begehren, allein bedenke, mein Kind, daß Deine Mutter sich in ihrer Bedrängniß recht glücklich fühlt und daß all ihr Glück ihr von ihrem Herrn und ihren Kindern herkommt. Eine noch größere Armuth, aber mit einem achtbaren Manne, ist besser, als Mädchen bleiben, Henriette. Das Unglück kommt vom Laster und nicht von der Armuth.
Meine Mutter, es gibt wenig Männer, wie mein Vater.
Das hieß sich mir bedeutend nähern, ohne im geringsten Arg von mir zu haben; das Gefühl, welches mir dieses tugendsame, stolze Mädchen einflößte, war der Art, daß ich einen sehr bittern Verdruß darüber empfand. Uebrigens war die Unterhaltung durchaus nicht nach meinem Sinne. Henriettens Worte verkündeten zwar ein wirklich freies Herz, aber auch ein starkes, das über sich selbst verfügte, und wenn es auch geschaffen war, sich ohne Wiederkehr zu geben, doch nicht jene zarten, leicht entzündbaren Seiten darbot, durch welche allein ein junger Mann meiner Art den Zugang zu finden sich schmeichelt. Das Einzige, was meine Hoffnungen ermuthigte, waren die Worte der Mutter. Die gute Frau schien mir, indem sie die Achtbarkeit der Armuth pries, wahrhaft göttlich und ganz zu meinen Gunsten zu reden. Denn ich war ehrenhaft, aber vor allen Dingen war ich arm.
Unglücklicherweise hing Henriette nicht von ihrer Mutter allein ab. Es war ein auffallender, jedoch natürlicher Zug, daß jener Charakter des Stolzes und der Unabhängigkeit, welcher bei den Mitgliedern dieser Familie so sichtbarlich hervorsprang, sich bei jeglichem mit einer gänzlichen Unterwürfigkeit unter den Willen des Familienhaupts, der die Seele Aller bildete, vereinigte. DerFeldmesser, ein fester, strenger, arbeitsamer Mann, übte, wenn er auch in seinem Wesen nicht sehr gesprächig und in seinen Formen nicht übermäßig höflich war, auf alle die Seinigen die mächtige, einflußreiche Gewalt des guten Beispiels, der Aufopferung, untadelhaften Wandels. Seine Frau liebte ihn bis zur Verehrung, und seit ein selbständigeres Urtheil Henrietten gestattete, ihren Vater mit andern Männern zu vergleichen, gewöhnte sie sich, ihn höher als die Mehrzahl derselben in ihrer Achtung zu stellen; so, daß ihre mehr tiefe als zärtliche, mehr ehrerbietige als mittheilende kindliche Liebe dem Urheber ihrer Tage einen unbedingten Gehorsam zollte. Weder ihr Herz noch ihre Person konnten einem Andern angehören, als dem der Vater, der in ihren Augen so würdig war, ihre Wahl zu leiten, den Vorrang ertheilte.
Ich habe seitdem Gelegenheit gehabt wahrzunehmen, und zwar oft mit jenem Gefühle der Bewunderung, welches die Augen mit heißen Thränen füllt, wie anziehend und ehrwürdig diese bescheidene Familie, wie wahrhaft groß dieser geringe Mann war. Allein damals erschienen mir diese Strenge, diese Unterwürfigkeit, diese Tugendhaftigkeit als eben soviel Hindernisse meiner Wünsche. Was kümmerte es mich denn auch, daß die Frauen unterwürfig waren, da ich meinerseits nicht wußte, wie ihrem Herrn und Meister zu nahen? Was lag mir daran, daß der Feldmesser streng, entschieden, arbeitsam war, wenn diese Eigenschaften, die er zweifelsohne in seinem Schwiegersohne wiederfinden wollte, just mir gebrachen? Zwarkonnte er dafür die guten Eigenschaften, welche ich zum Ersatz für die seinigen bieten konnte, mir zu gute rechnen; allein ich hegte wenig Hoffnung, in diesem Punkte viel Glück zu erfahren. In der That, die rauhe Unzugänglichkeit des Mannes, sein stolzes, empfindliches Auge, seine abgemessene Rede und der Einfluß seines Charakters verursachten mir, ihm gegenüber, eine Linkheit, welche alle meine Lichtseiten in den Schatten stellte.
Also stand alles mir entgegen, und wie das zu gehen pflegt, jedes Hinderniß machte meine Wünsche nur glühender; jemehr ich daran dachte, wie schwer, ja unmöglich es sei, Henriettens Hand zu erlangen, destomehr vereinigte sich all' mein Begehren in einen sehnlichen, in einen einzigen Wunsch, den, diese Hand zu erlangen.
Dies verleitete mich nun zu einem ritterlichen, aber verzweifelten Beginnen; nämlich: den ersten Schritt mit Gewalt zu thun, indem ich meiner Zukünftigen das leidenschaftliche Geständniß meiner Gefühle machte. Es handelte sich in der That auch nur darum, eine günstige Gelegenheit zu erspähen. Ich erspähete also, und so lange und so vortrefflich, daß eine Gelegenheit um die andere mir entschlüpfte, ohne daß ich zu einer Erklärung gelangte.
Es war Anfangs des Morgens. Wir stiegen zuweilen allein hinauf, und ich war mit Henrietten schonzu dem Grade der Vertraulichkeit gekommen, daß ich nach dem Gruße mich an sie wendete, um nach ihrem Vater zu fragen und meine Ansicht über das langweilige Regenwetter oder die schönen Tage auszusprechen. Zehnmal wenigstens ermunterte mich meine Kühnheit, weiter zu gehen und ein entscheidendes, zärtliches Geständniß auszusprechen; doch stieg mir in dem entscheidenden Augenblicke das Blut in die Wangen, die Verwirrung raubte mir die Sprache und ich verschob es auf einen Augenblick, wo ich ohne Erröthen und ohne Verwirrung sein würde. Während ich so auf den günstigen Augenblick wartete, mischte sich der Feldmesser unmerklich wieder in's Spiel, und Henriette stieg nicht wieder allein zum Dachstübchen hinauf.
Aber die Liebe ist so erfinderisch! Zur Stunde des Mittagessens ging und kam Henriette, ohne begleitet zu sein; ich richtete mich also ein, daß ich mit ihr zusammenging. Das Ding gelang vortrefflich. Mir fehlte nichts mehr, als mich zu erklären, da verlegte die Familie auf einmal plötzlich ihre Essenszeit und ich mußte Mittags wie Abends allein die Treppen auf und ab wandeln.
Nun blieb noch ein letztes Mittel, allerdings sehr gewagt, aber unfehlbar. Dies war nämlich, unter irgend einem Vorwande mich zu Henriette zu begeben und daselbst meinen Gefühlen freie Sprache zu verleihen. Gar manches Mal machte ich mich auf den Weg, allein jedes Mal blieb mir nichts übrig, als wieder umzukehren, denndie Mutter Henriettens fing nach und nach an, ihr bei der Arbeit Gesellschaft zu leisten.
Ich verdanke es den Lehren des Herrn Ratin und seinen zuchtreichen Reden, daß ich während des ganzen Verlaufs einer Jugend, worin ich kaum etwas anderes that als lieben, niemals an eine Frau das mindeste zärtliche Wort richtete. Diese dumme Schüchternheit ist ein Gut, dessen Werth ich gegenwärtig erkenne. Sie ist's, die dem Jüngling jene angeborene Verschämtheit, welche, einmal verloren, nicht wiederkehrt, erhält und ihn dieselbe bis in die Ehe hinein behaupten läßt; sie bewahrt sein Herz jung und rein; sein Herz füllt sich mit tausend regen, zärtlichen Gefühlen, deren Trieb er unterdrückt, doch nur, um den reinsten und reichsten Zoll derjenigen darzubringen, welche die Gefährtin seines Lebens sein wird.
Allein damals dachte ich anders. Ich war unwillig über mich selber und überlegte, wie oft bereits diese unheilbare Schüchternheit meine Zunge gebannt hatte, wo alles mich zum Sprechen einlud, und ich begann bereits zu glauben, daß ich vermöge dieses angeborenen linkischen und blöden Wesens ewig Junggeselle bleiben müßte, blos weil ich meine Gefühle nicht auszusprechen vermochte. Glücklicherweise kam der Zufall mir zu Hilfe.
Als ich so eines Morgens meinen entmuthigendenGedanken nachhing, klopfte es an meine Thür. Ich eilte zu öffnen: es war Lucy. Der Besuch dieser Dame erfüllte mich mit heitrer Stimmung, denn ich wußte im Voraus, wie schmeichelnd verbindlich ihre Rede war, und bildete mir fest ein, daß jenseit der Scheidewand Henriette kein Wort verlor.
Lucy kehrte von einem Ausfluge in die Schweiz zurück und kam, um nach ihren Kopien zu fragen. Sie war allein, ich zeigte ihr dieselben; sie war so freundlich,davon entzückt, bezaubert zu scheinen und mich mit Lobeserhebungen über meine Talente zu überschütten. Auch war ich außer mir vor Freude, als sie auf einmal abbrach und mich fragte: Sie waren gestern nicht zu Hause?
Hatten Sie sich bemüht, bis zu meinem Zimmer zu steigen, gnädige Frau? Gerade gestern Morgen ließ mich mein Oheim zu einem Spaziergange mit ihm abrufen.
Dies sagte mir eben eine junge Person, die in dem Zimmer nebenan arbeitet und bei der ich mich einige Augenblicke erholte. Können Sie mir nicht sagen, wie sie heißt?
Bei dieser Frage erröthete ich bis über die Stirne. Lucy bemerkte es und verbesserte sich nicht ohne einige Verlegenheit: Ich habe Ihnen da eine dumme Frage gethan, die etwas zudringlich sein kann, entschuldigen Sie, Herr Julius... Mein einziger Beweggrund war das Verlangen, den Namen des jungen Mädchens zu wissen, deren Miene, Haltung und Benehmen meine Theilnahme erweckt haben.
Sie heißt Henriette... versetzte ich, noch in größter Verwirrung. Es ist dies ein Name, den ich nicht ohne Bewegung ausspreche, obgleich ich mir ihn unaufhörlich wiederhole... Aufgemuntert durch die Miene, womit Lucy mich anhörte, vorzüglich aber aufgemuntert von dem Gedanken, das große Wort meines Geständnisses zu fördern, vielleicht sogar zu Stande bringen, fuhr ichfort: Da ich gewagt habe, soviel zu sagen, glaube ich noch mehr sagen zu müssen... Dies junge Mädchen, alle Tage sehe ich sie, ich arbeite neben ihr, ich liebe sie!... und Ihre Frage hat mich so bestürzt, als hätten Sie ein Geheimniß überrascht, welches bisher in der Tiefe meines Herzens verborgen war!... Nun wissen Sie genug, um meine Empfindungen zu begreifen und die Wünsche, welche sie in mir erwecken, wenn ich mich überreden könnte, daß sie günstig aufgenommen würden...
In diesem Augenblicke wurden wir unterbrochen; es war der Gemahl Lucy's. Wir kamen wieder auf die Kopien zu sprechen; bald darauf verließen sie mich.
Nach diesen Vorgängen fühlte ich das Bedürfniß, allein zu sein. Freudestrahlend, entzückt, erleichtert, bewunderte ich, was ich zu sagen gewagt hatte, und so vortrefflich, so zur rechten Zeit. Und wie leicht es ist, dachte ich.
Und was mich am meisten entzückte, war, daß Henriette, der es doch jeden Augenblick freistand, ihren Unwillen dadurch kund zu geben, daß sie sich entfernte, das Dachstübchen erst nach der Ankunft von Lucy's Gemahl verlassen hatte.
Auf diesen Umstand bauete ich eine Welt von Seligkeit. Henriette hatte meine Erklärung angehört, alsogut aufgenommen; sie hatte dieselbe gern gehört, weil ihr Herz mir gehörte. Kurz, da sie um ein Uhr nicht, wie gewöhnlich, wieder heraufkam, so überredete ich mich alsbald, daß sie als gehorsame, zärtliche Tochter meine Wünsche ihrer Familie vorgetragen habe und diese sich jetzt darüber berathe.
Ich empfand daher die süßesten Qualen der Erwartung, bis ich gegen drei Uhr nach Mittag jemand die Treppe heraufkommen hörte. Die Person ging festen Schritts auf meine Thür zu und öffnete ohne Umstände. Es war... es war... der Feldmesser!
Mein Gesicht mußte sich wol nicht im gehörigen Zustande der Ruhe befinden, denn der Feldmesser sprach barsch: Mein Besuch macht Sie erbleichen, und doch hätten Sie sich desselben wol versehen können.
In der That, mein Herr, stotterte ich, ich schmeichelte mir...
Fassen Sie sich, setzen wir uns.
Wir setzten uns. Ich pflege in allen Dingen geradeaus zu gehen, hub der Feldmesser an; deshalb sehen Sie mich hier. Er warf einen von Stolz funkelnden Blick auf mich: seit längerer Zeit, mein Herr, misfällt mir IhrBenehmen. Ich glaubte genugsam dagegen vorgebeugt zu haben... aber heute Morgen haben Sie im Beisein einer dritten Person meine Tochter compromittirt!... Was soll dies Benehmen bedeuten?
Werthester Herr, stammelte ich zur Antwort, Sie mögen meine Unerfahrenheit schelten, aber verdächtigen Sie meine Absichten nicht...
Ehrliche Absichten gehen offen zu Werk. Aber Ihre Handlungsweise ist zweideutig, zumal schon Ihre Lage, wenigstens so weit ich sie kenne, mich keineswegs über Ihr Benehmen beruhigen kann...
Sie beleidigen mich, Herr! unterbrach ich ihn, mit lebhafter Geberde auffahrend.
Das ist möglich, versetzte der Feldmesser mit einer Ruhe, die mich fürchten machte; ich bin aber auch bereit, Ihnen Genugthuung zu geben. Mag sein, daß ich Sie zu streng beurtheile. Mag sein, daß Sie bei Ihrem schüchternen, unerfahrnen, linkischen Wesen fest und ehrenhaft in Ihren Absichten sind. Es liegt an Ihnen, mir den Beweis zu geben, daß Ihre auf jeden Fall unschicklichen Aeußerungen wenigstens ehrlich sind. Sie sollten wissen, wohin sie führen können, nothwendig führen müssen, wenn sie nicht jeder Rechtfertigung entbehren sollen!... Zeigen Sie mir also, daß Sie wirklich im Stande sind, sich zu vermählen, so will ich Ihren Absichten augenblicklich Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Was verdienen Sie, jahrein, jahraus gerechnet?
Diese entsetzliche Frage, welche ich bereits eine Weile über meinem Haupte schweben sah, brach mit Blitzesgewalt auf mich herein; ich verdiente noch nichts, ich besaß keinen Heller im Vermögen, aber daran zu denken, hatte ich vergessen. Wenn Henriette mich liebte, wenn Henriette mit mir vereint war, was bedurfte es da weiter?... Eine Thür durch den Verschlag brechen, so war alles abgethan. Aber so rechnete der Feldmesser nicht.
Ich verdiene, versetzte ich todtenbleich, mein Herr, ich verdiene... allerdings weniger, als ich ohne Zweifel in der Folge verdienen werde;... aber ich habe einen Stand...
Er unterbrach mich: drum eben, weil Sie einen Stand haben, und weil dieser Stand Maler ist, stelle ich meine Frage. Es wird Ihnen das Sprichwort nicht unbekannt sein. Ihr Stand bringt zuweilen Ruhm ein, aber nicht immer Brod. Meine Tochter hat nichts. Was haben Sie? Oder besser, um auf meine Frage zurückzukommen: wie viel verdienen Sie durchschnittlich im Jahr?
Ich verdiene...
Es gab kein anderes Mittel, ich mußte lügen oder die Frage nicht verstehen... da klopfte es an meine Thüre.
Wer liebt eine plötzliche Umwandlung? Aristoteles rühmt die Knotenschürzung und ihre plötzliche Lösung; es lebe Aristoteles! Was in der Welt ist nicht eine gute, glückliche Lösung werth! Lucy, mein guter Engel, meine Vorsehung!!
Ich hatte geöffnet. Ein Livreebedienter trat ein und trug zwei große Beutel Geld. In meinem Entzücken ließ ich ihn gewähren. Er legte dieselben auf den Tisch und öffnete den einen, Haufen blanker Thaler fielen daraus hervor und er stapelte sie auf, damit ich sie nachsehen konnte. Dann reichte er mir ein Papier dar: hier ist die Rechnung: Funfzehnhundert Francs für die beiden Kopien. Milady hat mir aufgetragen, sie sammt dem Originale mitzubringen, wenn Sie erlauben.
Nun war alle Verlegenheit weg! Es ist gut, versetzte ich. Ich will Ihnen die Kopien geben. Hiernach wendete ich mich wieder zu dem Feldmesser, der sich erhoben und seinen Hut bereits genommen hatte: wie ich die Ehre Ihnen zu sagen hatte, ich verdiene durchschnittlich...
Er unterbrach mich: Sie haben Ihre Geschäfte, ich die meinigen. Der Mann hier wartet. Auf ein ander Mal. Und er verließ mich in dem Augenblicke, da ich voll Zuversicht mit aller Beredtsamkeit eines feurigen Liebhabers sprechen wollte, den der Himmel selbst begünstigt und beisteht... Zum Henker die Feldmesser! rief ich, als er gegangen war.
Um mich zu beruhigen, heftete ich meine Blicke auf die Thaler. Es war selbst bei meiner Verstimmung ein behaglicher Anblick. Die Stapel erhoben sich in geschlossenenReihen und ich entdeckte eine wunderbare Schönheit in dieser Bauart. Noch niemals hatte mein Auge so große Schätze beisammen gesehen, und als ich an Lucy dachte, von der mir alles dies Gute kam, konnte ich nicht umhin zu wiederholen: edle Lucy, mein guter Engel! In Ermangelung eines Geldschranks verbarg ich bis dahin, daß sich ein Plätzchen zum Anlegen meines Reichthums gefunden hätte, die ganze Summe in den Ofen und verließ mein Zimmer, um allein, in freier Natur die Freude zu genießen, welche nach Augenblicken so großer Beängstigung in mein Herz gekommen war. Uebrigens waren meine Angelegenheiten seit dem Morgen tüchtig vorgeschritten, und ich fühlte das Bedürfniß, sobald als möglich hinlängliche Ruhe zu gewinnen, um über die Schritte nachzudenken, welche mir zu thun übrig blieben.
Das Erste war, meinem Oheim, welcher noch von nichts wußte, alles zu offenbaren. Daß ich ihm bisher meine Pläne verborgen hielt, daran war die feste Ueberzeugung schuld, daß er sich von keinem andern Gedanken leiten lassen würde, als dem, mich glücklich zu machen, und daß er meine Verheirathung durch neue Opfer von seiner Seite erleichtern würde. Gerade diese Gewißheit, in Verbindung mit meiner Kenntniß seiner beschränkten Mittel und mancher Aufopferungen, die er sich in jüngster Zeit meiner kleinen Künstlerausstattung wegen auferlegt hatte, machte es mir zur heiligen Pflicht, seinen allzubereitwilligen Edelmuth nicht ferner auf die Probe zu stellen. Alle diese Gedanken aber verscheuchte der Reichthum,den ich der Freigebigkeit Lucy's verdankte, so daß ich ihn nur noch von dem Vorgefallenen zu unterrichten und ihn zu bitten hatte, er möge seiner Güte die Krone aufsetzen und nächsten Tags hingehen und um Henriettens Hand für seinen Neffen anhalten. Es unterlag keinem Zweifel, daß, wenn er mir diese Gunst erzeigte, die Würde seines Alters, das Gewicht seiner Zustimmung und die einnehmende Herzlichkeit seines Wesens den Erfolg eines Schrittes sicherten, von dem die Ruhe meines Lebens abhing. Ich beschloß noch denselben Abend mit ihm zu reden.
Spät kam ich wieder, und es war zur Stunde des Nachtessens: Zu Tisch! zu Tisch, lieber Oheim!... ich bringe wichtige Neuigkeiten!
Ich weiß, ich weiß, mein Kind. Die Alte unterrichtete mich von allem... Es ist von Thalern die Rede... ein großer Sack... der Pactolus hat sich ganz und gar über meinen armen Julius ausgeströmt...
Der Pactolus in leibhaftiger Person, lieber Oheim. Er ist in meinem Ofen eingesperrt... doch setzen wir uns zuvörderst zu Tisch, denn ich habe noch ganz andere Dinge mitzutheilen!
Ich bemerkte, daß mein Oheim, statt die letzten Worte heiter aufzufassen und, wie es seine Gewohnheit war an meiner Freude Theil zu nehmen, sich mit nachdenklicher Miene, wie wenn ihm etwas im Kopfe herumginge,dem Tische näherte und einen Blick seitwärts auf die Alte warf, deren Anwesenheit ihm sichtbarlich unbequem war, ohne daß er es über sich gewinnen konnte, sie fortzuschicken. Ich gab Margarethen ein Zeichen und sie zog sich zurück.
Als wir an unserm gewohnten Platze saßen, hub mein Oheim an: Ich habe Dir auch etwas mitzutheilen. Und er hustete, wie es ihm wol geschah, wenn er sich sehr anstrengte, um einen peinlichen Vorwurf auszusprechen.
Du weißt... Er hielt inne und hub anders an: diese gute Dame ist wirklich großmüthig, edel in ihrem Verfahren!... Es ist eine Ehre, die Gunst einer Person von so würdigem Herzen zu genießen... eine Ehre, mein Kind, die verdient sein will... Du bistnun auf einmal auf dem besten Wege... Nun aber Ordnung, gute Aufführung, Arbeit, und alles geht gut.... Aber, fuhr er mit festerm Tone fort, ehrenhaft für und für!... Schaden wollen, nimmerdar! Hüte Dich, ein junges Mädchen ist etwas Heiliges!... nur für den Bösewicht nicht.
Ich verstehe Sie nicht, bester Oheim! rief ich in großer Aufregung aus.
Das junge Mädchen... da oben...
Und was ist's mit der?...
Du liebst sie?...
Aus Herzensgrund!
Das ist's eben, Julius, das taugt nicht!
Diese Worte sprach mein Oheim mit feierlichem Ernste; ich fühlte mich – ich muß es gestehen – versucht zu lachen, denn ich nahm an, daß seine Bekümmerniß um meine Ehrenhaftigkeit von irgend einem Dienstbotengeklatsche herrührte, welches die Alte ihm vertrauen zu müssen geglaubt hatte. Dieses Mal, entgegnete ich, weiß ich wirklich nicht, was Sie meinen. Das junge Mädchen – ich liebe sie wirklich, und ich wollte Sie bitten, morgen zu den Eltern derselben zu gehen, um im Namen Ihres Neffen um ihre Hand anzuhalten. Wo ist da etwas Böses, liebster Oheim?
Du!... rief mein Oheim erstaunt; wie sagtest Du? Du willst Dich verheirathen?... Und bist Schulddaran, sagte er in heftiger Bewegung aufstehend, daß ich ihrem Vater gerade das Gegentheil versichert habe!...
O weh! rief ich aus. Wie unglückselig! Bester Oheim, was haben Sie gemacht!
Aber, ich that... was die Rechtlichkeit verlangte... Höre... so höre doch. Eben, vor einer Stunde, kommt dieser Teufelskerl auf einmal zu mir gerannt, sagt, Du machtest seiner Tochter den Hof... sagt, Du habest seine Tochter compromittirt... fragt, was seine Tochter thun solle und ob Du an Ehe dächtest?... Da hab' ich ihm versetzt, im Gegentheil, Du habest Dir selber gelobt...
Ich bin verloren! unterbrach ich ihn und überließ mich allen Ausbrüchen der Verzweiflung.
Kaum hatte mein Oheim Tom vernommen, daß meine Absichten lauter und meine Ehre unangetastet war, da unterdrückte das heftige Bedauern, wider seinenWillen meine Hoffnungen gefährdet zu haben, bei ihm fast jenes kluge Bedenken, welches den Greisen eigen ist, und er dachte augenblicklich weit mehr daran, wie er meinen Kummer schnell abhelfen solle, als die Rathsamkeit oder Rücksichten der Heirath zu erwägen, von der ich ihm eben zum ersten Male gesprochen hatte.
Indeß ich mich trostlos meinem Schmerze überließ, ging er im Zimmer auf und ab und sprach vor sich hin: Ja, ja!... was ist da zu machen... Lieber Himmel! wenn ich das hätte ahnen können... dergleichen Schwüre... man macht sie in Deinem Alter... das mag hingehen... Man besinnt sich anders, auch gut... der Fehler steckt darin, daß man in meinem Alter alle solche Verwicklungen vergessen hat... Dann trat er näher an mich heran: Muth gefaßt! mein armer Julius!... Muth gefaßt!... Ich gehe morgen... ich erkläre alles, ich thue ihnen zu wissen...
Morgen! sagte ich erschrocken. Heute Abend!... Abend noch, lieber Oheim! in diesem Augenblicke! Sie finden sie Alle beisammen. Morgens da geht er aus.
Aber... meine Güte! diesen Abend... Und dann ist das junge Mädchen dabei!
Was thut das! sie lassen sie hinausgehen, wenn es nothwendig ist. Diesen Abend, ich beschwöre Sie, bester Oheim!
Nun! so sei es drum! ich gehe heute Abend!... Freilich schon zehn Uhr. Rufe die Alte, daß ich mich ein wenig ankleide.