Erscheinungen der Kontinentaltafeln.

Fig. 6.Schnitt durch Südamerika und AfrikaSchnitt im größten Kreise durch Südamerika und Afrika in getreuen Größenverhältnissen.

Fig. 6.

Schnitt im größten Kreise durch Südamerika und Afrika in getreuen Größenverhältnissen.

Von Interesse sind ferner die Schmelztemperaturen. Die zusammengesetzten Silikatgesteine haben, wie die Versuche vonDoelterundDayzeigen, keinen scharfen Schmelzpunkt, sondern nur ein mitunter sehr großes Schmelzintervall; man kann sagen, daß Diabas bei 1100°, die Vesuvlaven bei etwa 1400 bis 1500° schmelzen. Diese Zahlen gelten allerdings für Atmosphärendruck, so daß man für 100 km Tiefe wohl einige 100° zu addieren hat[46]. Auf der anderen Seite geben die heute tiefsten Bohrlöcher Czuchow II und Paruschowitz V in Oberschlesien für die obersten 2 km der Erdrinde eine Temperaturzunahme von 3,1° pro 100 m Tiefe[47]. Diese Messungen sind allerdings in Sedimenten ausgeführt, die wohl geringere Wärmeleitfähigkeit besitzen, was zur Folge haben muß, daß sich die Isothermen in ihnen zusammendrängen. Im Urgestein des Gotthard-, Mönch- und Simplontunnels ergab sich nur2,2, 2,2 und 2,4° pro 100 m. Da hier wieder wegen der konvexen Bergform ein abnorm schwaches Gefälle angenommen werden darf, so wird man 2,5° pro 100 m als einen guten Durchschnittswert für die Kontinentalschollen betrachten. Bei linearer Extrapolation kämen wir hiermit für 100 km Tiefe bereits auf 2500°, also weit über den Schmelzpunkt der Gesteine. Indessen wird die zentrale Temperatur der Erde heute im Gegensatz zu früheren zügellos hohen Schätzungen meist nur zu etwa 3000 bis 5000° angenommen, so daß wir anzunehmen hätten, daß das Temperaturgefälle mit zunehmender Tiefe schnell abnimmt. Dann erhalten wir für 100 km Tiefe etwa Werte zwischen 1000 und 2000°, so daß die Annahme, am Unterrand der Kontinentalschollen sei etwa der Schmelzpunkt erreicht, nicht unwahrscheinlich wird. Im Einzelfall freilich werden große Abweichungen davon möglich sein. Insbesondere wird die Schmelzisotherme mitunter weit in die Kontinentalscholle hinaufwandern können. Die „Granitaufschmelzungen“, deren Deutung durch die Beobachtungen vonCloosin Südafrika von den bisherigen Zweifeln befreit ist, zeigen ja, daß diese Isothermenfläche sogar bis zur Erdoberfläche heraufwandern kann. Gewisse Anzeichen dafür, daß geschmolzene sialische Massen von der Unterseite der Kontinentalscholle bei deren Verschiebung zurückbleiben und zum Vorschein kommen, oder, wie unter einem Gebirge, sich seitlich ausbreiten können, haben wir bereits im vorigen Kapitel besprochen.

Wichtig ist, daß nachDoelter[48]der Schmelzpunkt der sialischen Gesteine allgemein um etwa 200 bis 300° höher liegt als der der simischen, so daß bei gleicher Temperatur magmatisches Sima und festes Sial nebeneinander bestehen können.

Endlich müssen wir, um die großen, später zu erörternden Deformationen der Erdrinde zu verstehen, uns noch Rechenschaft geben von dem Starrheitsgrade der Erde oder, vom umgekehrten Standpunkt betrachtet, von der Zähigkeit dieser zähen Flüssigkeit. Aus dem Starrbleiben gegenüber den schnellen Erdbebenwellen und dem Fließen gegenüber der bei der Rotation auftretenden Zentrifugalkraft läßt sich die Zähigkeit der Erde höchstens in gewisse Grenzen einschließen. Die Mondflut im festen Erdkörper aber, welcher der Erdkörper nur zum Teil nachgibt, ermöglichte esLord Kelvin,v. Rebeur-Paschwitz,HeckerundSchweydar, durch Messung dieses Teiles eine quantitative Bestimmung der Zähigkeit des Erdkörpers durchzuführen. Es ergab sich, daß die Erde im Durchschnitt aller Schichten die Zähigkeit von Stahl besitzt. Zu demselben Ergebnis gelangte man auch noch auf einem anderen Wege, nämlich aus der Diskussion der Polschwankungen. Diese zerfallen in zwei übereinanderliegende Perioden, nämlich eine„erzwungene“ Schwingung von Jahresperiode, welche nachSpitalerundSchweydarauf die jährliche Verlagerung der Luftmassen und die damit verbundene geringe Veränderung der Trägheitsachse der Erde zurückzuführen ist, und als Haupterscheinung eine „freie“ Schwingung von 14 Monaten, welche einem Kreisen des Rotationspoles um den Trägheitspol entspricht. NachEulerstheoretischer Berechnung unter Annahme einer vollkommen starren Erde sollte die Periode dieser Schwingung nur 10 Monate betragen.Newcombvermutete, daß sie durch die Plastizität der Erde verlängert sei, die eine teilweise Neuanpassung der Ellipsoidform der Erde an die jeweilige neue Rotationsrichtung gestattet, undHoughundSchweydarberechneten hieraus, daß sich die Erde dann wie Stahl verhalten müsse. Letzterer machte auch einen Versuch, die Schichtung im Erdkörper zu berücksichtigen, und fand für den vonWiechertaus Erdbebenbeobachtungen wahrscheinlich gemachten Eisenkern das Dreifache, für den 1500 km dicken Silikatmantel ein Achtel der Zähigkeit des Stahles[49].

Nun müssen wir indessen ein naheliegendes Mißverständnis beseitigen. Für unsere gewöhnlichen Begriffe ist Stahl durchaus ein „starrer Körper“. Wir wissen aber, daß er schon bei solchen Drucken, die wir technisch herstellen können, seine Starrheit verliert und plastisch wird. Wir können nicht eine beliebig hohe Säule aus Stahl errichten, sondern wir kommen an eine Grenze, bei welcher der Fuß dieser Säule anfängt zu „fließen“. Denken wir uns einen ganzen Kontinentalrand aus Stahl, so würde sein oberer Teil zwar starr bleiben, die tieferen Schichten würden aber unter dem Druck der darüber liegenden Massen plastisch werden und seitlich herausquellen. Für die großen Dimensionen des Erdkörpers ist also Stahl kein fester Körper mehr, sondern ein zähflüssiger. Und der Silikatmantel der Erde besitzt, wie erwähnt, nur ein Achtel der Zähigkeit des Stahles.

Die Eigenschaften zähflüssiger Körper sind deswegen paradox, weil es bei ihnen viel mehr auf die Zeitdauer, als auf die Größe der deformierenden Kräfte ankommt. Deshalb fangen solche Körper, wenn man ihnen nur Zeit läßt, unter dem Einfluß der Schwere an zu fließen, auch wenn sie sich gegen Schlag und Stoß wie ein absolut fester Körper verhalten. Ein Stück Kork läßt sich mit Gewalt nicht durch eine Schicht Pech hindurchtreiben, aber wenn man ihm Zeit läßt, genügt sein geringer Auftrieb, um vom Boden eines Gefäßes langsam durch das Pech hindurch aufzusteigen. Einen noch besseren Vergleich bietetSiegellack bei Zimmertemperatur. Wirft man eine Stange Siegellack auf den Boden, so zerspringt sie in scharfkantige Stücke. Läßt man sie aber, an zwei Punkten unterstützt, in der Schwebe liegen, so kann man schon nach wenigen Wochen ein Durchhängen bemerken, und nach einigen Monaten hängen die nicht unterstützten Teile fast vertikal herab. Aus den Mondgezeiten im festen Erdkörper berechneteSchweydar, daß die Zähigkeit des Simas noch etwa 10000mal so groß ist wie die des Siegellacks. Was also beim Siegellack ein Monat, ist beim Sima nahezu ein Jahrtausend. Ein anderes, für die Bewegungen der Erdrinde besonders lehrreiches Beispiel für Zähflüssigkeit bildet das Gletschereis. Auch hier erscheint das Fließen auf den ersten Blick paradox, so daß man besondere Ursachen, wie z. B. Regelation (Wiedergefrieren) dafür annehmen zu müssen glaubte, bis durch Beobachtung der gleichfalls fließenden polaren Gletscher mit ihren tiefen Innentemperaturen in jüngster Zeit eine richtigere Auffassung von der Zähflüssigkeit dieser Gebilde gewonnen worden ist.

Wir müssen nicht nur dem Sima, sondern auch dem Sial einen erheblichen Grad solcher Zähflüssigkeit zuschreiben, denn wir erkennen bei richtiger Deutung des Kartenbildes auch bei den Kontinentalschollen große Deformationen, die nicht immer in Faltungen ihr Äquivalent besitzen und also auf einem Fließen beruhen müssen. Da aber die Kontinentalschollen bis zu einem erheblichen Grade ihre Individualität trotz aller Deformationen im Laufe der Erdgeschichte bewahrt und sich nicht etwa wie eine flüssige Schicht wieder über die Simaoberfläche ausgebreitet haben, so ist doch ein deutlicher Unterschied in bezug auf den Flüssigkeitsgrad des Sials und des Simas festzustellen. Auch bei noch so langen Zeiten bedarf es anscheinend eines gewissen Schwellenwertes der verschiebenden Kräfte, um ein Fließen zu erzeugen, und dieser Schwellenwert scheint beim Sial wesentlich höher zu sein als beim Sima, so daß letzteres bereits unter dem Einfluß der Schwere fließt, während für ersteres doch größere Kräfte erforderlich scheinen.

Eine Wirkung der Zähigkeit des Simas ist das schon besprochene Nachhinken der isostatischen Ausgleichsbewegungen. Noch viele tausend Jahre nach Abschmelzen der Eisbedeckung steigt der herabgedrückte Krustenteil empor. Es ist nicht ohne Interesse, daß der früher für Skandinavien erwähnte Wert von 1 m in 100 Jahren — gleichförmigen Verlauf vorausgesetzt — zu der Annahme führt, daß die Gesamterhebung um 250 m etwa 25000 Jahre gebraucht hat. Da der wirkliche Verlauf aber wohl nicht gleichförmig ist, sondern sich asymptotisch dem Stillstande nähert, ist diese Zahl jedenfalls noch erheblich zu verkleinern. Wir kommen damit auf eine Zeitdauer, die zu unseren Vorstellungen vom Alter der letzten Eiszeit sehr gut paßt.

Fig. 7.KontinentalschollenKarte der Kontinentalschollen in Merkatorprojektion.

Fig. 7.

Karte der Kontinentalschollen in Merkatorprojektion.

Da unsere ganzen Betrachtungen sich nicht auf die Form der heutigen Küstenlinien, sondern auf die der Kontinentaltafeln einschließlich der Schelfe bezieht, so ist es notwendig, sich von dem gewohnten Bilde der Erdkarte etwas frei zu machen und eine gewisse Vertrautheit mit der Form der vollständigen Kontinentaltafeln zu gewinnen. Es sei deshalb inFig. 7eine Erdkarte der Kontinentalblöcke gegeben. In der Regel gibt die 200 m-Tiefenlinie am besten den Rand dieser Tafelnwieder, doch erreichen einige Teile, die noch sicher zu den Kontinentaltafeln gehören, auch 500 m Tiefe. Die größten Abweichungen von den Küstenlinien treten auf in der Umgebung der britischen Inseln, auf der Neufundland-Bank, im Nördlichen Eismeer, wo Spitzbergen, Franz Josef-Land und neusibirische Inseln mit Eurasien verbunden erscheinen, in der Umgebung der Falklandsinseln, die auf dem südamerikanischen Schelf liegen, bei den Sunda-Inseln, die einen großen, mit Asien zusammenhängenden Lappen bilden, und zwischen Australien und Neuguinea, die als eine einzige große Tafel erscheinen. Auch die nordamerikanische Scholle hängt durch den Schelf der Beringstraße unmittelbar mit der asiatischen zusammen.

Es ist von Wichtigkeit, den Prozeß der Gebirgsfaltung etwas näher ins Auge zu fassen. Er ist es ja, welcher den Zusammenschub der Lithosphäre zu immer größerer Dicke vorzugsweise bewirkt und damit die Kontinente aus dem Meere auftauchen läßt. Auch Tafelländer lassen ja die Faltung des Urgesteins meist noch deutlich erkennen, durch welche sie dem Urmeere entstiegen sind. Erst nachträglich sind diese anfangs als echte Kettengebirge entstandenen Faltungen durch Verwitterung oder Abrasion wieder eingeebnet worden, so daß man bisweilen aus dem Grade dieser Einebnung bereits einen rohen Schluß auf das Alter der Faltung ziehen kann. Deshalb ist es wichtig, ein möglichst klares Bild von dem Faltungsvorgang zu gewinnen.

James Hallwurde zuerst auf die unbestreitbare Tatsache aufmerksam, daß die Mächtigkeit der Sedimente gerade in Faltengebirgen viel größer ist als in den benachbarten ungefalteten Gebieten. Da es sich meist um kilometermächtige Schichten handelt, die gleichwohl alle in flacher See abgelagert sind, deuteteHalldie Erscheinung ganz richtig in der schon oben besprochenen Weise, daß am Orte des Gebirges anfangs eine Mulde (Geosynklinale) bestanden habe, deren Aufschüttung mit Sediment durch ein isostatisches Sinken der Scholle fast kompensiert wurde. Man kam so zu dem Gesetz: Kettengebirge entstehen aus Schelfen[50]. Daß gerade die Schelfe hier bevorzugt werden, kann verschiedene Gründe haben.Readewies darauf hin, daß durch die kilometerdicken Ablagerungen das Urgestein in das Gebiet der höheren Temperatur hinabgedrängt und hierdurch plastischer gemacht würde, so daß beim Zusammenschub diese Stelle zuerst nachgeben muß. Vielleicht darf man auch annehmen, daß solche Geosynklinalen von Anfangan durch eine besonders hohe Lage der Isotherme der Schmelztemperatur ausgezeichnet waren, und daß deswegen ein Sinken der Scholle bei Sedimentauflagerung besonders leicht eintreten konnte, weil bei Schollenverdickung die geschmolzenen Massen an der Unterseite der Lithosphäre leichter seitwärts ausweichen konnten. Auch dadurch würde eine Bevorzugung dieser Stellen bei Faltung erklärbar. Außerdem muß aber beachtet werden, daß die Schollendicke aus isostatischen Gründen bei Schelfen viel geringer sein muß, als bei den höheren Teilen der Kontinentalschollen, wodurch die Schelfe als Zonen geringsten Widerstandes an sich schon für die Faltung prädestiniert erscheinen.

Fig. 8.ZusammenschubZusammenschub unter Wahrung der Isostasie.

Fig. 8.

Zusammenschub unter Wahrung der Isostasie.

Die Faltung selbst geschieht, wie schon früher ausgesprochen, unter Wahrung der Isostasie. Die Rinde schwimmt ja auf der Barysphäre, und daher muß auch bei der entstehenden Verdickung das Verhältnis von oberhalb und unterhalb des barysphärischen Niveaus das gleiche bleiben wie vorher (Fig. 8). Nach oben gestaut werden also nur alle diejenigen Schichten, die schon vorher oberhalb des Tiefseebodens lagen, und diese betragen nur etwa 5 Proz. der ganzen Scholle, während 95 Proz. eingetaucht sind. Was wir also in den Gebirgen sehen, ist nur ein sehr kleiner Teil dieses Zusammenschubes, der weitaus größte Teil sinkt bei der Auffaltung nach unten. Da z. B. ein Schelf von 70 km Schollendicke nur um etwa 3½km aus der Barysphäre herausragt, so wird, wenn er mit einer Sedimentschicht von der letzteren Dicke bedeckt ist, die nach oben gerichtete Faltung zunächst nur aus Sediment bestehen, während das darunter liegende Urgestein sich nach unten faltet, bis die Abtragung dies Verhältnis ändert. Die Schraubungen (Torossen) des Meereises im Polarmeer bilden eine Erscheinung, welche der Gebirgsfaltung ganz analog ist, ja geradezu als eine Kopie im kleinen gelten kann. Auch hier sind es schwimmende Schollen, bei denen der Hauptzusammenschub nach unten gerichtet ist, während der nach oben gerichtete Schraubwall nur den kleineren Teil darstellt. Auch die tektonischen Beben treten dabei im kleinen auf. Nur in bezug auf die Zähigkeit des Simas versagt der Vergleich; denn die Eisscholle findet natürlich im Wasser nicht genügend Stirnwiderstand, um einen Schraubwall an der freien Vorderkante zu bilden.

Mit der nach unten gerichteten Verdickung der Scholle wird nun meist noch eine weitere Veränderung vor sich gehen. Wenn, wie früherwahrscheinlich gemacht wurde, am Unterrand der ungefalteten Scholle etwa der Schmelzpunkt der Silikate erreicht ist, so werden die tiefer hinabrückenden Massen geschmolzen werden und sich an der Grenze zwischen der festen Scholle und dem darunter liegenden flüssigen, aber schweren Sima ausbreiten. Besitzt die Scholle keine fortschreitende Bewegung über das Sima, so wird diese Ausbreitung nur die Wirkung haben, daß das Gebirge selbst weniger hoch wird und statt dessen auch die benachbarten Teile der Scholle gehoben werden. Wenn aber, was in der Regel der Fall sein wird, eine solche fortschreitende Bewegung besteht, so müssen offenbar die geschmolzenen Massen einseitig sich ausbreiten, da sie ebenso wie das flüssige Sima zurückbleiben. In diesem Fall entsteht eine unsymmetrische Höhenverteilung, indem sich die Hebung nur auf die Rückseite des Gebirges (im Sinne der Bewegungsrichtung der Scholle) beschränkt, vor dem Gebirge dagegen eher eine Senkung (Vortiefe) auftritt. So dürfen wir z. B. bei den Alpen wie auch beim Himalaja annehmen, daß die tief hinabgesenkten und geschmolzenen Schollenteile einseitig nach Norden ausgewichen sind und hier zur Hebung des deutschen Mittelgebirges bzw. von Tibet beigetragen haben. Dementsprechend zeigen auch die Schweremessungen in den Alpen, daß das größte „Massendefizit“ nicht unter der Mittellinie, sondern erheblich weiter nördlich unter dem Gebirge liegt.

Wenn keine derartige Schmelzung an der Unterseite der Schollenverdickung einträte, so könnte man aus der mittleren Höhe des Gebirges und seiner Breite die Größe des Zusammenschubes berechnen. Nimmt man z. B. an, daß das Gebirgsland vor dem Zusammenschub einen Schelf bildete, dessen Oberfläche 200 m unter dem Meere lag (und daß die spezifischen Gewichte des Sials und des Simas 2,8 und 2,9 sind), so folgt für eine mittlere Seehöhe des Gebirges von 2000 (4000) m eine Verkürzung auf 0,6 (0,4) der ursprünglichen Breite. Aus der mittleren Seehöhe der Alpen würde man hiernach für dies Gebirge einen Zusammenschub berechnen, wie er zwar den älteren Anschauungen entsprach, aber mit dem heute erkannten Deckfaltenbau unvereinbar ist. Auch für den Himalaja erhält man durch diese Rechnung im günstigsten Falle nur einen Zusammenschub Lemuriens um 1500 km, was als viel zu klein erscheint. Hierin zeigt sich deutlich der Einfluß der Abschmelzung von unten. Daß diese Vorstellung aber überhaupt unabweisbar ist, zeigt eine Reihe anderer Erscheinungen, welche sich, wie schon erwähnt, wohl nur so erklären lassen, daß die geschmolzenen Sialmassen von der Unterseite einer Kontinentalscholle bei deren Verschiebung auch an ihrem Rande auftauchen können und so unmittelbar in Erscheinung treten (Island, das Dreieck im Winkel zwischen Abessinien und der Somali-Halbinsel, die Abrolhos-Bank, die Seychellen-Bank).

Eine besondere Erwähnung verdient die Staffelung der Gebirgsfalten. Die einzelnen Faltenzüge liegen meist nicht genau hintereinander, sondern gestaffelt, so daß, wenn man ein solches Gebirge weithin verfolgt, immer neue, anfangs noch zurückliegende Ketten an seinen Vorderrand treten, wo sie erlöschen und den nächst hinteren Platz machen. Sind die Faltenzüge gut getrennt, so läßt sich die Staffelung schon auf der topographischen Karte erkennen, wie z. B. zwischen Hindukusch und Baikalsee oder am Nordende der australischen Kordilleren. Sind die Falten eng zusammengeschoben, so ist die Staffelung entsprechend schwerer zu erkennen. Ein einfacher Versuch zeigt, unter welchen Bedingungen die Staffelung zustande kommt. Legen wir beide Hände auf ein ausgebreitetes Tischtuch und nähern sie einander in gerader Richtung, so entsteht meist zwischen ihnen nur eine einzige riesige (Deck-) Falte. Dies entspricht der Faltung ohne Staffelung, wie bei den Alpen. Versuchen wir aber, die beiden Hände aneinander vorbeizuschieben, so entsteht ein hübsches System kleiner, paralleler und namentlich gestaffelter Falten, welches der Staffelfaltung z. B. der Dinarischen Alpen entspricht. Man sieht nun leicht, wie die verschiedenen Arten der Faltung miteinander zusammenhängen: drängen die Schollen gerade gegeneinander an, so entstehen große Deckfalten, wollen sie halbwegs aneinander vorbei, so entstehen kleinere Staffelfalten. Die Fältelung wird immer enger, je mehr die Schollen einander aus dem Wege gehen; schließlich hört die Faltung ganz auf, und es entsteht nur noch eine horizontale Verwerfung (Blattverschiebung). Es ist hiernach klar, daß Staffelfalten besonders auch für das seitliche Ende großer Gebirge charakteristisch sein müssen. Bei den weiter unten zu besprechenden ostasiatischen Girlanden, welche abgelöste Randketten darstellen, ist diese Staffelung besonders deutlich sichtbar gemacht.

Ebenso wie die Faltung der Gebirge vollzieht sich auch ihre sofort einsetzende Abtragung unter Wahrung der Isostasie. In dem Maße, wie der höchste, mittelste Teil des Gebirges durch die Abtragung der Sedimente entlastet wird, steigt die Scholle hier wiederum isostatisch empor, so daß schließlich nach völliger Entfernung des Sediments ein Urgebirge von fast gleicher Höhe emporgewachsen ist. Dabei ist es wichtig, daß sich Sediment und Urgestein bei der Faltung etwas verschieden verhalten: Sediment splittert mehr und fällt daher dem rinnenden Wasser viel schneller anheim, als das darunter liegende Urgestein, welches bei Faltungen mehr fließt[51]. Daher läßt die Abtragungsehr nach, sobald die Sedimentdecke des Gebirges beseitigt ist. Der Himalaja mit seinen mächtigen Sedimentaufstauungen befindet sich noch im ersten Teile dieser Entwickelung. Die Abtragung ist hier eine gewaltige. Die Gletscher sind unter enormen Schuttmengen begraben. Bei den Alpen ist nur noch im Norden und Süden die Sedimentzone erhalten, in der Zentralkette ist das Sediment beseitigt und das Urgestein emporgestiegen; die Abtragung ist hier viel geringer geworden. Die Schönheit unserer Alpengletscher beruht zum großen Teil auf ihrer Moränenarmut. Und beim norwegischen Gebirge, das viel älter ist, ist die Sedimenthaube bereits ganz beseitigt, und die heutige Abtragung sehr gering.

Durch diese Betrachtungen wird offenbar allen denjenigen Theorien, welche gerade die „Erhebung“ der Gebirge erklären wollen, der Boden entzogen. Denn sobald man überhaupt besondere Kräfte für diese Erhebung annimmt, setzt man fest, daß sie sich entgegen der Isostasie vollzieht, was für größere Gebirge zweifellos nicht der Fall ist.

Von der Natur der Faltungskräfte entwirft die Verschiebungstheorie ein ganz neues Bild. Von einem Gewölbedruck im Sinne der Schrumpfungshypothese ist ja keine Rede mehr, die lithosphärische Haut, die längst nicht mehr die ganze Erde umspannt, schwimmt frei auf einer zähflüssigen Unterlage. Die Kräfte, welche die Gebirge falten, müssen jetzt dieselben sein, welche auch die Horizontalverschiebungen der Kontinente bewirken. Dabei haben wir die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Einmal könnte eine ungleiche Verteilung dieser Kräfte selbst bewirken, daß die verschiedenen Teile der Lithosphäre sich verschieden schnell bewegen und also falten müssen. Andererseits kann aber auch bei gleichmäßiger Verteilung der Verschiebungskräfte ein solcher Unterschied in der Bewegung und damit eine Faltung dadurch erzeugt werden, daß die verschiedenen Teile der Lithosphäre bei ihrer Bewegung ungleiche Widerstände erfahren. Gerade diese letztereErklärung erscheint von besonderer Bedeutung, denn wie die Karte zeigt, treten Faltungen mit Vorliebe am Vorderrande triftender Schollen auf, wo also zu dem überall gleichen Widerstand durch die Reibung an der Unterseite der Scholle noch ihr Stirnwiderstand hinzukommt, der nicht unbeträchtlich sein wird, weil es hier gerade die oberen, ausgekühlten und daher weniger plastischen Simaschichten zu verdrängen gilt. Das riesige Andengebirge z. B. ist — wenngleich auch ihm bereits ältere Faltungen zugrunde liegen — wesentlich tertiären Ursprungs, also gleichaltrig mit der Verschiebung der amerikanischen Schollen nach Westen. Der Schluß eines ursächlichen Zusammenhanges ist hier wohl kaum abzuweisen. Vielleicht noch klarer tritt dieselbe Erscheinung bei der Scholle Australien—Neuguinea auf: Das hohe jugendliche Gebirge auf Neuguinea liegt auf der jetzigen, die älteren Faltungen Neuseelands und Ostaustraliens auf der früheren Vorderseite der triftenden Scholle.

Auch in den Fällen, wo die Faltung an der einen Stelle durch ein Aufreißen der Lithosphäre an anderer Stelle kompensiert erscheint, ist diese Erklärung durch ungleichen Widerstand bei gleichmäßigen Verschiebungskräften anwendbar, wenn man nur die nicht unwahrscheinliche Annahme macht, daß auch die Reibung von unten an der zähflüssigen Simaunterlage örtlich verschieden ist. Insbesondere müßte dies also auch für das erste Aufreißen der Lithosphäre bei Gelegenheit der ersten Zusammenschübe der Fall gewesen sein.

Das letzte große Faltungssystem, das tertiäre, zeigt eine merkwürdige Anordnung, nämlich eine große, dem damaligen Äquator ungefähr entsprechende Faltenzone, dem der Himalaja und die Alpen angehören, und dazu noch die große meridionale Faltenzone der Anden. Die erstere entspricht einem allseitigen Hinstreben der Kontinente zum Äquator, wie sie auch durch die europäischen Breitenbestimmungen bestätigt wird. Über diese Erscheinung einer „Polflucht“ der Kontinente, die eine Hauptursache der Kontinentalverschiebungen zu sein scheint, wird in dem Kapitel über die Ursachen derselben näheres mitgeteilt werden. Es sei nur erwähnt, daßKreichgauerdiesen äquatorialen Faltungsring auch für die früheren geologischen Zeiten nachweisen zu können glaubt, namentlich für die karbonischen Faltungen, welche in einem dem damaligen Äquator entsprechenden Gürtel die Kohlenlager von Asien, Europa und Nordamerika enthalten. Das meridionale Andensystem aber läßt sich in Verbindung bringen mit der gleichfalls vorwiegend meridionalen Richtung der Spaltungen, hier insbesondere der atlantischen Spalte, die aber in der Richtung des Rheingrabens und namentlich des ostafrikanischen Spaltensystems, von dem im folgenden noch weiter die Rede sein wird, eine Parallele hat. Auch in dieser Hinsicht wird auf das Kapitel über die Ursachen der Verschiebungen verwiesen.

Fig. 9.Ostafrikanische GräbenDie ostafrikanischen Gräben, nachSupan∴gepunktet:Gräben,■schwarz:mit Wasser bedeckte Grabenteile.

Fig. 9.

Die ostafrikanischen Gräben, nachSupan∴gepunktet:Gräben,■schwarz:mit Wasser bedeckte Grabenteile.

Dagegen müssen wir den Vorgang der Spaltungen schon hier etwas näher ins Auge fassen. Das schönste Beispiel solcher Spaltungen bilden die ostafrikanischen Gräben. Sie gehören einem großen Bruchsystem an, welches sich nach Norden noch durch das Rote Meer, den Golf von Akaba und das Jordantal bis an den Rand der taurischen Faltungen verfolgen läßt (Fig. 9). Nach neueren Untersuchungen setzen sich diese Brüche auch nach Süden noch bis zum Kaplande fort, doch sind sie am schönsten in Deutsch-Ostafrika ausgebildet[52]. Wir lassen hier eine kurze Beschreibung im engen Anschluß anNeumayr-Uhligfolgen[53].

Von der Sambesimündung aus zieht sich ein solcher 50 bis 80 km breiter Graben nach Norden, den Shirefluß und Njassasee enthaltend, um dann nach Nordwesten zu drehen und sich zu verlieren. Dafür beginnt dicht neben ihm und parallel zu ihm der Graben des Tanganikasees, von dessen Großartigkeit der Umstand zeugt, daß die Tiefe des Sees 1700 bis 2700 m, die Höhe des mauerförmigen Steilabfalles aber 2000 bis 2400 m, ja selbst 3000 m beträgt. In seiner nördlichen Fortsetzung enthält dieser Graben den Russisifluß, den Albert-Edward- und den Albertsee. „Die Ränder der Senkung erscheinen aufgewulstet, wie wenn hier das Bersten der Erde mit einer gewissen Aufwärtsbewegung der plötzlich freigewordenen Bruchränder verbunden gewesen wäre. Mit dieser eigentümlichen wulstigen Formung der Plateauränder hängt es wohl auch zusammen, daß unmittelbar östlich vom Abfall des Tanganika die Nilquellen entspringen,während sich der See selbst zum Kongo entleert.“ Ein dritter markanter Graben beginnt östlich des Viktoriasees, enthält weiter nördlich den Rudolfsee und biegt bei Abessinien nach Nordosten ab, wo er sich einerseits in das Rote Meer und andererseits in den Golf von Aden fortsetzt. Im Küstengebiet und im Innern von Deutsch-Ostafrika nehmen diese Brüche meist die Form von Bruchstufen an, deren Ostseite abgesunken ist[54].

Von besonderem Interesse ist das inFig. 9ebenso wie die Grabensohle punktiert gezeichnete große Dreieck im Winkel zwischen Abessinien und der Somalihalbinsel (zwischen Ankober, Berbera und Massaua), welches von vielen für eine riesige Verbreiterung des Spaltenbodens gehalten wird. Das ganze Land besteht, wie früher erwähnt, aus jungen vulkanischen Laven. Es wurde schon gesagt, daß es vermutlich geschmolzene Sialmassen von der Unterseite des abessinischen Gebirges sind, die hier in der Spalte aufgestiegen sind, und die oberste schon erstarrt angetroffene Simadecke als Haube bis über das Meeresniveau emporgetragen haben. Schon die Betrachtung der Parallelität der Küsten nötigt wohl zu dieser Auffassung als nachträgliche Störung.

Die Entstehung dieser in Ostafrika selbst maschenförmig angeordneten Brüche ist in geologisch junge Zeiten zu setzen. An mehreren Stellen durchschneiden sie junge basaltische Laven, einmal auch pliozäne Süßwasserbildungen. Jedenfalls können sie also nicht vor Schluß der Tertiärzeit entstanden sein. Andererseits scheinen sie zur Diluvialzeit schon vorhanden gewesen zu sein, wie man aus den Strandterrassen als Marken höheren Wasserstandes bei den abflußlosen, auf der Grabensohle liegenden Seen geschlossen hat. Beim Tanganikasee deutet auch seine offenbar früher marine, dann aber dem Süßwasser angepaßte sogenannte Reliktenfauna auf längeren Bestand. Die häufigen Erdbeben und der starke Vulkanismus der Bruchzone deuten aber wohl darauf hin, daß der Trennungsprozeß jedenfalls auch heute noch im Gange ist.

Fig. 10.SpaltungSpaltung (schematisch).

Fig. 10.

Spaltung (schematisch).

Für die mechanische Deutung solcher Grabenbrüche ergibt sich nur insofern etwas Neues, als diese die Vorstufe einer völligen Trennung der beiden Schollenteile darstellen, wobei es sich um rezente, noch nicht beendete Abspaltungen oder auch um frühere Versuche einer solchen handeln kann, die infolge Erlahmens der Zugkräfte wieder zur Ruhe gekommen sind. Eine vollständige Trennung würde sich nach unseren Vorstellungen etwa in der inFig. 10schematisch dargestellten Weise vollziehen. Zunächst wird nur in den oberen, spröderen Schichten ein klaffender Riß entstehen, während die unteren plastischen sich ziehen. Da vertikale Steilwände von der hier in Betracht kommendenHöhe viel zu große Anforderungen an die Druckfestigkeit der Gesteine stellen würden, so bilden sich gleichzeitig mit der Spalte oder auch an Stelle von ihr schräge Rutschflächen aus, längs welchen die Randpartien der beiden Schollenteile unter zahlreichen lokalen Erdbeben in demselben Tempo in die Spalte absinken, wie diese sich öffnet, so daß immer nur ein Grabenbruch mäßiger Tiefe in Erscheinung tritt, dessen Boden aus verworfenen Schollen derselben Gesteinsserien besteht, die auch seitwärts des Grabens auf der Höhe anstehen. In diesem Stadium ist der Grabenbruch noch nicht isostatisch kompensiert, wie es denn auch nachE. Kohlschütter[55]bei einem großen Teil der jungen ostafrikanischen Gräben der Fall ist. Es ist ja ein unkompensiertes Massendefizit vorhanden; daher wird eine entsprechende Schwerestörung beobachtet, und außerdem steigen beide Spaltenränder zum isostatischen Ausgleich empor, so daß der Eindruck entsteht, als gehe der Graben gerade in der Längsrichtung durch eine Aufwölbung hindurch. Schwarzwald und Vogesen beiderseits des oberrheinischen Grabenbruches sind die besten Beispiele für diesen Randwulst. Reißt endlich die Spalte ganz durch die Scholle hindurch, so steigt das Sima in ihr empor, so daß das bisherige Massendefizit ersetzt wird und der Graben sich nunmehr als Ganzes isostatisch kompensiert erweist. Den Boden des Grabens bedecken auch hier an den meisten Stellen vollständig die Bruchstücke der Spaltenränder, doch kommt natürlich bei weiterer Öffnung der Augenblick, wo auch die freie Simaoberfläche zutage tritt. Bei dem großen Graben des Roten Meeres, der nachTriulziundHeckerbereits isostatisch kompensiert ist, dürfte die Entwickelung so weit fortgeschritten sein, daß an den tieferen Stellen bereits das Sima unbedeckt ist. Bei der weiteren Trennung der Schollen bleiben die vom Rande abgebrochenen Teile als Inseln zurück. Zu beachten ist dabei, daß diese Brocken, auch wenn sie mit ihren höchsten Teilen das Kontinentalniveau erreichen oder überschreiten, durchaus nicht dieselbe Mächtigkeitzu haben brauchen, wie die Kontinentalschollen. Sie brauchen statt dessen nur in dem eintauchenden Teil wesentlich breiter zu sein als in dem emporragenden. Es braucht eben auch hier nur die Bedingung erfüllt zu sein, daß das Verhältnis der Massen oberhalb und unterhalb des barysphärischen Niveaus das gleiche ist wie bei den großen Kontinentaltafeln. — Alle diese Vorstellungen über die Natur der Grabenbrüche stehen nicht im Widerspruche mit den landläufigen, sondern ergänzen diese nur.

Fig. 11.EinbruchGrößerer Einbruch durch Dehnung der Unterlage (schematisch).

Fig. 11.

Größerer Einbruch durch Dehnung der Unterlage (schematisch).

Ebenso wie sich eine einzelne Spalte mitunter in ein ausgedehntes, maschiges Netz kleinerer Spalten auflösen kann (das System der ostafrikanischen Gräben, welches im Roten Meere in eine einzige Spalte übergeht, bildet ein Beispiel dafür), so kann sich auch statt eines einzelnen Grabenbruches der Niederbruch eines ausgedehnteren Gebietes vollziehen. Das Ägäische Meer ist das beste Beispiel dafür. Hier ist ein größeres Gebiet in jüngster geologischer Zeit in einzelne Schollen zerbrochen, die zu ungleicher Tiefe abgesunken sind. Wir müssen annehmen, daß die tieferen Schichten der Lithosphäre sich gezogen haben, so daß die Verwerfungsspalten sich nach unten allmählich verlieren. Der Betrag der Dehnung kann in unserer schematischenFig. 11an den schrägen Verwerfungsflächen, soweit sie frei sind, abgemessen werden. In ähnlicher Weise ist offenbar noch an vielen anderen Stellen eine Landverbindung versunken, z. B. auch in der Bass-Straße zwischen Tasmanien und Australien. Man sieht aber leicht, daß das Maß dieses Absinkens seine Grenze hat, und daß eine völlige Zerreißung und Trennung der beiden Schollen eintreten muß, lange bevor die absinkenden Stücke das barysphärische Niveau erreichen. Unmittelbar vor dem Abreißen Neufundlands von Irland fand nach unseren Vorstellungen der Einbruch des Kanals, der Nordsee und der anderen heute in Schelfgebiete verwandelten früheren Landgebiete um England statt. Aber es wurden doch nur flache Schelfe, dann trat eine völlige Trennung der Schollen ein.

Fig. 12.SchwerestörungSchwerestörung an einem Kontinentalrand, nachHelmert.

Fig. 12.

Schwerestörung an einem Kontinentalrand, nachHelmert.

WieSchiötzzuerst aus den Schweremessungen der im Polarmeere über dem Schelfrande treibenden „Fram“ erkannte undHelmert[56]später ausführlich ableitete, zeigen die Pendelbeobachtungen am Rande der Kontinentalschollen eine charakteristische Schwerestörung, welche inFig. 12nach Helmert wiedergegeben ist. Nähert man sich vom Lande der Küste, so wächst die Schwere bis zu einem Maximum an der Küste selbst, um dann schnell zu sinken und an der Stelle, unter welcher der Boden der Tiefsee beginnt, ein Minimum zu erreichen, worauf sich dann in größerem Küstenabstande wieder der normale Wert einstellt. Das Zustandekommen dieser Schwerestörung kann man sich etwa folgendermaßen vorstellen. Der Beobachter auf dem Lande, der im Inlande normale Schwere gehabt hat, erreicht an der Küste ein Maximum, weil er sich dem schräg unter ihm liegenden schweren Sima des Tiefseebodens nähert. Dieser Überschuß an Schwere sollte zwar dadurch wett gemacht werden, daß die obersten 4 km durch das leichte Seewasser ersetzt sind. Aber diese Schichten liegen neben, nicht mehr unter dem Beobachter und bewirken also, statt die Schwere wieder auf ihren Normalwert herabzudrücken, eine Lotabweichung im Sinne einer Anziehung des Lotes durch die Kontinentaltafel. Dem Beobachter auf See, der sich der Küste nähert, geht es umgekehrt: Das Pendel reagiert auf die Massenverringerung unter ihm, und die Massenvermehrung neben ihm kann nicht die Größe, sondern nur die Richtung der Schwerkraftbeeinflussen, so daß ein Minimum der Schwere entsteht. Daß überhaupt eine Schwerestörung eintreten muß, folgt schon aus der Überlegung, daß eine vertikale Grenzfläche zwischen leichtem und schwerem Material, wie sie hier vorhanden ist, nicht einer isostatischen Massenlagerung entspricht, sondern lediglich durch die Molekularkräfte der Kontinentalscholle erhalten bleiben kann.

Man kann diese Verhältnisse auch noch auf eine andere Weise betrachten, welche geeignet ist, ihre Wirkungen unmittelbar zu erläutern. In einer Kontinentalscholle muß der Druck offenbar nach einem anderen Gesetz mit der Tiefe zunehmen als im ozeanischen Gebiete. Vergleichen wir die Drucke in gleichen Höhen, so finden wir, daß im Kontinentalblock überall — mit Ausnahme seiner Oberfläche und seiner Unterfläche — der Druck höher ist als im ozeanischen Gebiete. Legen wir die Zahlenverhältnisse vonFig. 5(S. 23) zugrunde, so erhalten wir für diesen Drucküberschuß in der Kontinentaltafel die Werte:

Bei100 mHöheDrucküberschuß0Atm.„0 m„„28„„4700mTiefe„860„„100000m„„0„

Bei100 mHöheDrucküberschuß0Atm.„0 m„„28„„4700mTiefe„860„„100000m„„0„

Fig. 13.DruckkräfteWirkung der Druckkräfte am Kontinentalrand(schematisch).

Fig. 13.

Wirkung der Druckkräfte am Kontinentalrand(schematisch).

Der Drucküberschuß wächst also im obersten Teile sehr rasch, weil dort Gestein gegen Luft steht, im nächsten Abschnitt nur etwa zwei Drittel so rasch weiter, da hier bereits Wasser im ozeanischen Gebiete vorhanden ist. In der Tiefe des Tiefseebodens wird das Maximum des Drucküberschusses erreicht. In noch größerer Tiefe wird dieser wieder kleiner, da jetzt das schwerere Sima im ozeanischen Gebiete liegt und hier eine schnellere Druckzunahme bewirkt. Und am Unterrande der Kontinentalscholle müssen die Drucke natürlich ausgeglichen sein. Diese Druckunterschiede verursachen am vertikalen Kontinentalrande ein Spannungsfeld, welches bestrebt ist, das Material der Kontinentaltafeln in die ozeanischen Räume hinauszupressen, und zwar am meisten in der Schicht des Tiefseebodens[57]. Wäre das Sial leichtflüssig, so würde es sich in dieser Schicht ausbreiten. Das ist nun nicht der Fall. Aber es ist doch plastisch genug, um diesen erheblichen Druckkräften merklich nachzugeben. Das zeigt sich klar in den stufenförmigen Brüchen, welche den Kontinentalrand in der Regel begleiten (Fig. 13).

Dies seitliche Vorquellen der tieferen plastischen Schichten ist auch der Grund dafür, daß die Ränder zerspaltener und weit getrennter Schollen, wie Südamerika und Afrika, in ihrer Küstenlinie die Parallelität besser bewahrt haben als in der Grenzlinie zwischen Kontinentalabfall und Tiefseeboden.

Es ist nicht undenkbar, daß der Vulkanismus aus dem Grunde so häufig an den Küsten auftritt, weil durch das geschilderte Spannungsfeld die Simaeinschlüsse der Lithosphäre — als welche wirStübelsperiphere Herde bezeichnen können — zur Auspressung gelangen können. Ganz besonders sind diese Bedingungen natürlich bei ozeanischen Inseln zur Stelle, welche ringförmig von einem solchen Spannungsfelde umgeben sind[58]. Solche Inseln müßten außerdem in dem Maße, wie ihre untergetauchten Massen sich seitlich ausbreiten, nach und nach an Höhe verlieren, so daß sich das Sinken der Korallenatolle auch auf diese Weise erklären ließe.

Fig. 14.Girlanden, Nordost-AsienGirlanden von Nordost-Asien.(Tiefenlinien 200 u. 2000 m; Tiefseerinnen punktiert.)

Fig. 14.

Girlanden von Nordost-Asien.(Tiefenlinien 200 u. 2000 m; Tiefseerinnen punktiert.)

Die interessanteste Erscheinung des Kontinentalrandes bilden aber die Inselgirlanden, die namentlich an der ostasiatischen Küste ausgebildet sind (Fig. 14). Auf der Grundlage der altenVorstellungen hatRichthofenfür sie eine Erklärung gegeben[59], die wohl bisher das größte Ansehen genießt, wenn auch schon verschiedentlich Widerspruch dagegen erhoben worden ist.Richthofendenkt sie sich entstanden durch einen vom Pazifik kommenden Zug in der Erdrinde. Zusammen mit einer breiten Zone des benachbarten Festlandes, die auch durch bogenförmigen Verlauf der Küste und der Erhebungen ausgezeichnet ist, sollten die Inselbögen ein großes Bruchsystem bilden. Das Gebiet zwischen Inselkette und Festlandsküste sei die erste „Landstaffel“, welche infolge einer Kippbewegung im Westen unter den Meeresspiegel getaucht sei, während der Ostrand als Inselgirlande herausrage. Auf dem Festlande glaubteRichthofennoch zwei weitere derartige Landstaffeln zu sehen, deren Senkung jedoch geringer war. Die regelmäßige Bogenform dieser Brüche bildete zwar eine Schwierigkeit, doch glaubte man diesen Einwand mit dem Hinweise auf bogenförmige Sprünge im Asphalt und anderen Stoffen entkräften zu können. Es muß hervorgehoben werden, daß diese Theorie ein großes historisches Verdienst besitzt, nämlich insofern, als die Einführung von Zugkräften einen Bruch mit dem Dogma vom Gewölbedruck darstellte, und durch ihre Autorität die Zurückführung sonstiger Randbrüche der Kontinente auf Zugkräfte ermöglichte.

Indessen stehen dieserRichthofenschen Erklärung der ostasiatischen Inselgirlanden schwerwiegende Einwände entgegen. Beim Asphalt und anderen Beispielen dürften strukturelle Vorbedingungen nötig sein, um die Bogenform der Risse zu erzeugen. Wo solche fehlen, sehen wir in der Natur durch Zug meist nur geradlinige Risse entstehen, von den geplatzten Ölfarben alter Gemälde und den Trocknungsrissen in Lehm bis zu den Grabenbrüchen der Erdrinde und den Mondrillen. Die oben eingehend besprochenen Gräben Ostafrikas zeigen uns, wie solche durch Zug entstandenen Spalten der Lithosphäre aussehen. WieHornbetont hat[60], zeigt Ostasien auch tektonisch gar nicht die Merkmale von Brüchen, sondern von einem Zusammenschub senkrecht zur Küste. Schon aus der topographischen Karte erkennt man, daß wir nicht ein durch Brüche zerstückeltes Tafelland wie Ostafrika vor uns haben, sondern daß die Inselreihen ebenso wie das kontinentale Küstenland aus Faltengebirgen aufgebaut sind, die zur Küste parallel verlaufen. Namentlich spricht aber die Tiefenkarte, so unvollkommen sie infolge mangelnder Lotungen auch heute noch ist, dafür, daßRichthofensErklärung einer Abänderung bedarf. Denn sie zeigt, daß zwischenGirlande und Festlandsrand die Erdoberfläche sich nicht allmählich senkt, sondern ein Tiefseebecken eingeschaltet ist, welches bereits dicht innerhalb der Girlande große Tiefen erreicht. Nach unseren Vorstellungen von der barysphärischen Natur der Tiefseeböden liegt hier zwischen Girlande und dem Festlande das Sima fensterartig zutage. Die Inselgirlanden stellen also abgelöste oder in Ablösung begriffene Randketten der Kontinentalscholle dar.

Um zu einer genaueren Auffassung dieses Ablösungsvorganges zu gelangen, müssen wir die in den Girlanden auftretenden Gesetzmäßigkeiten etwas schärfer ins Auge fassen. Sehr auffällig ist ihr übereinstimmender geologischer Bau. Die konkave Seite der Girlande trägt stets eine Reihe von Vulkanen, offenbar eine Folge des bei ihrer Biegung hier entstehenden Druckes, der die Simaeinschlüsse herauspreßt. Die konvexe Seite dagegen trägt tertiäre Sedimente, während diese am entsprechenden Festlandsufer meist fehlen. Dies deutet an, daß die Ablösung erst in jüngster geologischer Zeit vor sich gegangen ist, und daß die Girlande zur Zeit der Ablagerung dieser Sedimente noch den Rand des Festlandes bildete. Diese tertiären Sedimente zeigen überall starke Lagerungsstörungen, eine Folge des bei der Biegung hier auftretenden Zuges, der zur Zerklüftung und zu vertikalen Verwerfungen führt. Daß dieser Außenrand der Girlande trotz der mit der Dehnung sonst überall verbundenen Senkung gehoben erscheint, deutet eine Kippbewegung der Girlande an, die man sich dadurch verursacht denken kann, daß sie gemäß der allgemeinen Westwanderung der Kontinentalscholle an ihren Endpunkten mitgeschleppt, in der Tiefe aber durch das Sima zurückgehalten wird. Mit demselben Vorgang scheint auch die meist ihren Außenrand begleitende Tiefseerinne zusammenzuhängen. Es ist sehr auffällig, daß sich diese Rinne niemals auf der frisch entblößten Simafläche zwischen Kontinent und Girlande, sondern stets nur an deren Außenrande, also an der Grenze des alten Tiefseebodens bildet. Sie erscheint hier als eine Spalte, deren eine Seite von dem stark ausgekühlten und bis in große Tiefen bereits erstarrten alten Tiefseeboden und deren andere Seite von dem lithosphärischen Material der Girlande gebildet wird. Gerade in Verbindung mit der genannten Kippbewegung der Girlande wäre die Bildung einer solchen Randspalte zwischen Sial und Sima sehr verständlich. Das frisch entblößte Sima am Kontinentalrand ist dagegen zu flüssig, um eine Spalte bilden zu können. Natürlich bedarf aber diese Vorstellung von der Natur der Tiefseerinnen noch der Kontrolle, namentlich durch Schweremessungen. Wir werden später auch Fälle kennen lernen, wo noch andere Ursachen für die Entstehung einzelner solcher Rinnen anzunehmen sind.

Es bestehen aber noch andere Gesetzmäßigkeiten bei den ostasiatischen Girlanden. Zunächst ist die bauchige Küstenlinie desKontinents, dem sie vorgelagert sind, zu nennen. Namentlich, wenn wir außer der Küstenlinie selber auch die 200 m-Tiefenlinie inFig. 14betrachten, so zeigt sich, daß der Kontinentalrand stets das Spiegelbild einer S-Form aufweist, während die davor liegende Girlande einen einfachen konvexen Bogen bildet. Diese Verhältnisse sind schematisch inFig. 15 Bdargestellt. Die Erscheinung ist bei allen drei inFig. 14enthaltenen Girlanden in gleicher Weise ausgebildet und trifft z. B. auch beim ostaustralischen Kontinentalrand und seiner einstigen, durch den Südost-Ausläufer Neuguineas und Neuseeland gebildeten Girlande zu. Diese bauchigen Küstenlinien kennzeichnen einen Zusammenschub parallel zur Küste und also auch zur Streichrichtung der Küstengebirge. Sie sind als horizontale Großfalten zu betrachten. Es handelt sich hierbei um eine Teilerscheinung in dem gewaltigen Zusammenschub, den das ganze östliche Asien in der Richtung Nordost-Südwest erfahren hat. Macht man den Versuch, diese Schlangenlinie der ostasiatischen Festlandsküste zu glätten, so wächst die Entfernung zwischen Hinterindien und der Beringstraße, die jetzt 9100 km beträgt, auf 11100 km.


Back to IndexNext