Erstes Kapitel.Die italienische Renaissance.

Erstes Kapitel.Die italienische Renaissance.

In keiner anderen Äußerung des menschlichen Geistes heben sich die Hauptrichtungslinien so eindeutig klar heraus, wie in der Kunstgeschichte, unterjochen so tyrannisch feindliche Strömungen oder lassen sie in provinziellem Dunkel. Der Grund dafür könnte sein, daß das Kunstwerk, als anschauliches Resultat eines sehr verwickelten seelischen Vorganges, doch fixierter ist als die Gedankengänge beispielsweise der Literatur oder die Tonfolgen der Musik, die sozusagen durch ganze Abfolgen von Stunden laufen, während das Kunstwerk als Objekt in jedem Augenblick dasselbe bleibt. Kein Land zeigt jene Einzigkeit des kunstgeschichtlichen Stilvorganges deutlicher als Italien, das im Mittelalter neben den Ländern des Nordens nur vegetiert, um seit dem 15. Jahrhundert ihre maßgebende Führerin zu werden. Obgleich das italienische Mittelalter eines der am wenigsten erforschten Gebiete der Kunstgeschichte ist, weil der glänzende Mantel der Renaissance es allzulange dem Auge entzog, ist es doch fraglos, daß, während sich nördlich der Alpen die wichtigsten Stilbewegungen vollziehen, Italien zwar eine Fülle interessanter Stilerscheinungen, aber keinen einheitlichen Stil geschaffen hat. Seine Lage im Schnittpunkte der großen mittelalterlichen Kunstkreise mit Frankreich, Deutschland, dem maurischen Spanien und dem Byzantinischen Reich als Zentren, dazu die fortwährenden Kämpfe auf seinem Boden, die allen diesen Ländern für längere oder kürzere Zeit Anteil am Lande selbst gaben und ihnen so den direktesten Einfluß sicherten, all das brachte es mit sich, daß in Italien fast alles Autochthone mit fremden Anregungen verschmilzt und eine Fülle der verschiedenartigsten Erscheinungen ausbildet. Während im Norden die romanische und gotische Kathedrale sich entwickeln, behält die kirchliche Architektur Italiens den altchristlichen Basilikatypus mit dem Eingange an der Schmalseite und dem freistehenden Campanile bis in den Beginn der Renaissance hinein bei; die eigengeschaffenen romanischen und die übernommenen gotischen Formen werden nicht Stilglieder, sondern nur Schmuck.

Man kann sagen, daß die Gotik auch in Italien alle anderen Formen verdrängt, aber wesentlich als Stil des Wimpergs und der Fiale angewandt wird. Während man ihre Gewölbekonstruktion und ihre Dekoration verwertet, scheut man doch jede konsequente Durchführung der Vertikalen. Vollends dekorativ gestaltet das Land dort, wo es mit orientalischen Stilelementen in Berührung kommt, wie in romanischer Zeit in Süditalien, in gotischer in Venedig. Hier verwandeln sich die gotischen Formen in eine elegante Steindekoration von der feinen Arbeit durchbrochener Spitzen. Man arbeitet, um die Zartheit des Eindrucks zu steigern, selbst mit Kontrastwirkungen, setzt auf zarte Arkaden ein derbes mauerfestes Obergeschoß, wie beim Dogenpalast, während man doch das Verhältnis umgekehrt erwartet, oder neben sie als Gegensatz das geschlossene Mauerwerk, wie an Ca d’oro. Nur daß in romanischer Zeit Oberitalien, allerdings wiederum mit Ausnahme Venedigs, in engem Zusammenhang mit Deutschland stehend, an dessen Formenergie Anteil nimmt.

Mit dieser Art, den Charakter der Bauten durch ihre Dekoration bestimmen zu lassen, stimmt es überein, daß Plastik und Malerei als Werte im Gesamtbild die Architektur überwiegen, im Gegensatz zum Norden, und die große Zahl überlieferter Künstlernamen beweist, daß sie ihren Wert kennen. Dabei ist es natürlich kein Zufall, daß auch hier die Bewegung gleichzeitig mit der Loslösung der Plastik von der Baukunst einsetzt, d. h. mit dem Ende der romanischen Periode, daß also auch hierin Italien an den nordischen Bewegungen teilnimmt. Aber das geschieht ganz unwillkürlich, genau so selbstverständlich, wie die Glieder in den Blutumlauf des Herzens miteinbezogen sind. Als Formvorbilder dienen nicht die französischen Schöpfungen, sondern die antiken Überreste im Lande, und man hat geradezu von einer Proto-Renaissance (Ur-Renaissance) gesprochen, zumal diese Zeit die Vorbilder willenloser, weniger umformend übernimmt, als später die Renaissance. Die Frucht ist in Mittelitalien die antikisierende Umgestaltung des Architektur-Ornaments und die Kunst des ersten Meisters aus dem Kreis der Pisani, des Niccolo, tätig zwischen 1260–1280, dessen malerisch hohe Kanzelreliefs ohne das Vorbild der römischen Sarkophage schlechterdings nicht denkbar sind. Noch intensiver ist diese Bewegung in Süditalien, wo die geniale Persönlichkeit des Hohenstaufen Friedrich II. für die Kunst dieselbe Rolle spielt, wie Karl der Große für die karolingische Renaissance. Er errichtet Triumphbögen mit Skulpturen,in deren Überresten antiker Geist seltsam lebendig ist. Er schreibt ein Buch über die Falkenjagd, und die Illustrationen dazu geben die Tierformen mit der subtilen Genauigkeit eines zoologischen Werkes. Man muß freilich feststellen, daß der Einfluß der hohen maurischen Kultur gerade hier den Boden sehr geebnet hatte.

In der gotischen Generation, repräsentiert durch den Sohn des Niccolo, Giovanni (um 1250–1328), wirkt das jetzt voll entfaltete Frankreich stärker ein. Doch wird der Stil niemals weich, und in der Malerei vollends wird die ganz byzantinisierende romanische Generation durch den Gotiker Giotto (1266 bis nach 1317) abgelöst, der als Übergang zur Renaissance anzusehen ist. Wenn auch die religiöse Inbrunst in seinen Darstellungen aus dem Leben des heiligen Franziskus ganz gotisch im Gefühl, die Gebundenheit seiner Formen noch mittelalterlich ist, so ist doch die Bestimmtheit des Gefühlsausdruckes bei ihm die Ankündigung des neuen Zeitalters.

Für uns Heutige hat das WortRenaissancenicht mehr den Sinn, den es einst hatte: Wiedergeburt der Antike. Wir, die wir einen Stil nicht mehr äußerlich nach den Detailformen analysieren, sondern nach dem Sinn, den sie im Stilbild haben — wir sehen, daß die Renaissance die antiken Formen nur in den Dienst ihrer ganz selbständig gerichteten Absichten stellt. Für uns bedeutet sie eine Wiedergeburt der starken Persönlichkeit, der schaffenden Kraft des Menschen, welche die Formen der antiken Kunst, die sie vor Augen hatte, als Hilfsmittel für das eigene Wollen mit eigenem Ausdruck übernahm. Von hier aus beantwortet sich auch die Frage, warum man gerade an die römische Antike anknüpfte und nicht an die hellenische, deren Werke doch in Unteritalien noch vor aller Augen standen. Die Begründung, man hätte die römische Kunst gewählt, weil die italienischen Städte stolz waren, ihren Ursprung von Rom abzuleiten, scheint uns zu äußerlich für Erscheinungen, die so gesetzmäßig verlaufen. Vielmehr scheint dafür entscheidend gewesen zu sein, daß die Freude dieser enthusiastischen Zeit am Reichtum und am Prunk, die in ihren Festen und Bauten so hohen Ausdruck findet, in den reichbewegten Formen der römischen Bauornamentik sich eher befriedigen mußte, als in den schlichten, griechischen Architekturen, dann, daß die Renaissancebauten Mauerbauten waren, bei denen vor allem Wände dekoriert werden sollten, so daß sie in den reich dekorierten Mauern römischer Bauten ihr gegebenes Vorbild hatten: der strenge griechische Säulenbau mit seinen frei tragendenStützen konnte für diese Aufgaben keine Lösungen bieten. Dafür, daß die Antike für die Renaissance im Grunde keine Triebkraft, sondern nur ein Hilfsmittel war, ist beweisend, daß sie sich nicht im päpstlichen Rom entwickelte, wo die meisten und reichsten Römerbauten damals noch standen, sondern in Florenz, das fast ohne antike Überreste war, wo aber ein freies und starkes Bürgertum sich entwickelte in einem Kampf, der halb kaufmännische Konkurrenz, halb Ringen um die Macht war.

Diese Entwicklung der Persönlichkeit ist das wichtigste Ergebnis der vorhergehenden Jahrhunderte und die Schöpferin der Renaissance, die man meist um 1420 beginnen läßt. An Stelle der christlichen Demut tritt der bürgerliche Stolz, an Stelle der Aufgabe der Persönlichkeit ihre Pflege, an Stelle des Feudalismus die städtische Freiheit. Durch ihren Handel erstarkt, erobern sich die Städte mit geworbenen Söldnern oder Bürgerheeren einen Platz in der Reihe der Fürsten. Waren sie bisher um ihres Reichtums willen Objekt des Streites zwischen diesen, so erwerben sie jetzt mit diesem Reichtum das Recht ihrer Freiheit. Diese neue Macht hat in Italien vielleicht früher ihre Erfolge errungen, als nördlich der Alpen. Es genügt an die Schlacht von Legnano zu erinnern, wo der langobardische Städtebund Friedrich Barbarossa schlug. Es war der Stolz des Bürgers, Glied einer freien Stadt zu sein, die er mitregierte, und so entstanden alle jene kleinen, aber mächtigen Stadtrepubliken. Aber es war derselbe Bürgerstolz, der den einzelnen antrieb, in diesem Staat unter den Mitbürgern sichtbar zu sein, hervorzuragen durch Macht und Wissen, und so erscheinen jetzt alle jene Mäzene, alle jene geschmackvollen Dilettanten, erwacht jenes große bewegte Leben der Epoche, das uns Heutigen noch in seiner leuchtenden, blühenden Triebkraft wie das Ziel einer Sehnsucht vor Augen steht. In keiner Zeit war der Ehrgeiz so allgemeine Triebfeder für den Feldherrn wie für den Staatsmann, den Gelehrten wie den Künstler, in keiner Zeit aber wurde auch der Tüchtige so geschätzt. Es ist bezeichnend für die Differenz zweier Weltanschauungen, wenn Dürer aus Venedig schreibt: „Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer.“ Der Künstler des Mittelalters war fast stets anonym gewesen. Je mehr man sich der Renaissance nähert, auf desto mehr Künstlernamen trifft man. Während noch die Meister der Frührenaissance selten ihre Bilder signieren, und nur die allgemeine Wertschätzung das Ziel ihres Ehrgeizes ist, während Botticelli Truhenbretter bemalt, und Verocchio Turnierfahnen, also das Gefühleines Unterschiedes zwischen Kunst und Handwerk noch völlig fehlt, setzt man später auf jedes lächerlich geringfügige Bildchen seinen Namen und arbeitet ebenso für seinen Ruhm wie für das Werk, bis schließlich die Arroganz eines Barockmeisters wie des Cellini unerträglich wird. Das geht so weit, daß man schon in der frühen Renaissance von dem kaum verlassenen Stil mit allertiefster Verachtung spricht, so daß damals das Wort „Gotik“ geprägt wird im Sinne einer barbarischen Kunst, über die man sich hoch erhaben fühlte.

Allein dieser Gegensatz war nicht so einschneidend, wie die Epoche glaubte. Das neue Kunstwollen ist zwar von vornherein sehr stark, die Problemstellung sehr neu, aber die Lösungen entwickeln sich auf der Basis der gotischen. Der erste Florentiner Renaissance-Architekt, Brunelleschi (1377–1446), stellt die Tendenzen des neuen Stiles fast dogmatisch fest, und doch hat seine Kuppel des Florentiner Domes noch viel gotische Streckung, und seine Capella Pazzi noch die Dreiteilung mittelalterlicher Kirchen in Vorhalle, Hauptraum und Altarnische, ohne daß die Kuppel über dem Mittelraum für mehr als nur für diesen ein Sammelbecken wäre. Erst die Hochrenaissance bringt in Bramantes Tempietto die absolute Vereinheitlichung des Raumes unter einer Kuppel. Wichtiger ist in diesem unkirchlichen Zeitalter der Profanbau, für den ebenfalls die Gotik den Typus, zugleich mit der bürgerlichen Gesinnung überhaupt, schon vorgebildet hat (Abb. 1). Die Rathäuser der Städte mußten in jenen Zeiten der Kämpfe von Stadt gegen Stadt, von Partei gegen Partei feste Gebäude, Kastelle im kleinen sein, Bauten, deren starke Mauern nur von kleinen Fenstern durchbrochen werden durften, während im Hofraum freiere Dekoration sich entfalten konnte. Das ist die gegebene Form der Feste, wie schon die deutschen Burgen der romanischen Zeit sie haben, und wie sie selbst dem Heidelberger Schloß noch zugrunde liegt. Diese kleinen Städte Italiens aber geben vielleicht ihre reinste Form, weil dort die kirchlichen Einbauten fehlen, die in Deutschland üblich sind, und nicht die Plattform einer Bergkuppe ihren Grundriß bedingt. Er ist so knapp wie denkbar, rein quadratisch, die Mauern sind nur in ganz kleinen Fenstern und knappen Türen nach außen geöffnet, der kraftvoll horizontale Abschluß des Daches ist mit wehrhaften Zinnen gekrönt; aber die kleinen Simse, die sich unter den Fenstern um das Gebäude herumziehen, zeigen doch, daß man sich der gedrungenen Kraft dieser Horizontalen bewußt ist und ihr durch die Parallele Nachdruck geben will. Nur der Turm durchbricht, senkrecht emporsteigend,die Richtung dieser ruhenden Linien, ein ungesucht starker Akzent in diesem Bau, der als Ganzes die Energie eines neuen bürgerstarken Zweckgefühls in Formen von selbstbewußter Klarheit ausspricht. Nach dem Hof zu aber öffnen sich schon jetzt im Erdgeschoß säulengetragene Arkaden, umgürten weitgeöffnete Fensterreihen die oberen Stockwerke.

Abb. 1. Florenz. Palazzo Vecchio.

Abb. 1. Florenz. Palazzo Vecchio.

Abb. 2. Florenz. Palazzo Strozzi.

Abb. 2. Florenz. Palazzo Strozzi.

Abb. 3. Rom. Fenster der Cancelleria.

Abb. 3. Rom. Fenster der Cancelleria.

Und nun ist das Verhältnis dieser gotischen Form zum Palazzo der Frührenaissance dasselbe, wie das der frühchristlichen zur romanischen Basilika. Was vorher dumpf war, wird jetzt klar funktionell ausgedrückt, wobei allerdings wichtig ist, daß dieses Zeitalter an und für sich bewußter schafft als das Mittelalter. Der Palazzo Strozzi (Abb. 2) drückt die Bauwerte viel redender aus, als St. Michael in Hildesheim, und bei ihm und seinen Stilverwandten ist die Wagerechte nicht allein Zweck- sondern schon Ausdrucksform. Ein weit ausladendes Kranzgesims ist an die Stelle des Zinnenkranzes gesetzt worden, mit der ästhetischen Funktion, das Haus in stark betonter Horizontallinie abzuschließen. Am Fuß des Gebäudes wirken die starken wagerecht fortlaufenden Ruhebänke ebenso als Sockel, und zwischen diesen Hauptlinien wiederholt sich die Wagerechte zweimal in den Simsen, die unter den Fensterreihen hinlaufen und hier nicht mehr, wie beim gotischen Palazzo, schmale Linien, sondern regelrechte Simse von äußerst kräftiger Profilierung sind. Hier eine Parallele zur Energie der Wagerechten im romanischen Stil zu sehen, ist ganz logisch. Aber sie ist hier mehr, als nur der Steinschichtung abgewonnene Begrenzungslinie, wie auch die Wand mehr Absichten hat, als nur Raumabschluß oder Dachstütze zu sein. Indem die Renaissance die Mächtigkeit der einzelnen Quader innerhalb des Gefüges dadurch ausdrückt, daß sie die Fugen tief als beschattete Linien einschneidet (sog. Rustika), erzielt sie mehr den Eindruck von Körper als von Fläche, von Mauer als von Wand. Fenster und Türen sind nicht mehr bloße Öffnungen in der Mauer, wie noch im Palazzo Vecchio. Symmetrisch angeordnet, bestimmen sie die Gliederung der Wand, und es ist ausdrucksvoll, wie die Rustika, daß man den Bogen, der sie oben abschließt, in seiner Technik, dem Keilschnitt, angibt. Nun sieht man, wie fest die Steine ineinander verkeilt sind, und weiß, wie sicher der Bogen die darüber lastende Mauermasse trägt. Später wird sogar der mittelste Keilstein, wie der Schlußstein im gotischen Gewölbe, durch seinen Schmuck noch besonders hervorgehoben (Abb. 4), weil er dem Bogen den sicheren Zusammenhalt gibt. Ebenso schließt sich der Hof mit offenen Bogengängen im Erdgeschoß an denursprünglichen Plan der Gotik an; aber alle gotisch eckig profilierten Formen sind auf einfachere Querschnitte unter Zugrundelegung antiker Formen zurückgeführt — aus Pfeilern, die Spitzbögen trugen, sind korinthisierende Säulen mit Rundbögen geworden, besonders aber bevorzugt man den Pilaster als Rahmenform für Fenster und Türen, als Stützform bei Grabmälern oder als Wanddekoration. Aber all diese Formen werden viel schlanker, dünner und graziler; ja man kann sagen, daß in der Betonung der kantigen Randlinien beim Pilasterschaft ein Rest gotischen Gefühles liegt und ebenso in der knolligen Behandlung der Akanthusblätter, die, in springbrunnhaft aufsteigender Anordnung auf der eingesenkten Mitte des Pilasters angebracht, dessen Bewegung mit ihrem Aufsteigen begleiten. Erst allmählich mit dem wachsenden Vollklang des Stiles werden diese Formen breiter, üppiger und gesammelter. Zugleich wird die Palastfassade auf größere Wirkungen gestimmt. Allein auch zum 16. Jahrhundert, der Hochrenaissance,vollzieht sich der Übergang ganz allmählich. Ein Palast, wie die um 1500 von Bramante gebaute Cancelleria (Abb. 3), geht noch auf einen Typus der Frührenaissance zurück, in dem indessen Keime für Zukünftiges lagen. Fest im Umriß und in der Begrenzung, sind auch bei der Cancelleria die Horizontallinien der unter den Fenstern durchgeführten Simse noch die wichtigsten Gliederungen, scheint die Wand um die kleinen Fenster von ungebrochener Festigkeit. Aber in der Gliederung der Mauerflächen machen sich dennoch neue Tendenzen fühlbar, wenn auch nur in den beiden oberen Geschossen, während das untere der starke Träger bleibt. Man muß eine ruhige Wandfläche, wie die des Palazzo Strozzi, damals beinahe schon als kühl, als unbelebt empfunden haben. Wie die Stärke der Zeit im Widerspiel der strebenden Kräfte sich äußert, so gestaltet man die Mauer ausdrucksvoller, indem man außer der wichtigen Horizontale, die die Hauptlinie bleibt, die Vertikale als Wandgliederung anwendet, zwar nur schüchtern als antikisierender Pilaster zwischen die horizontalen Simse gestellt und wenig aus der Wand hervorspringend, aber um so wirksamer, als sie zugleich den Fenstern, die sie aus der Wand herauslöst, ihren besonderen Wert innerhalb der Fläche gibt. Das Fenster ist jetzt nicht mehr ein Loch in der Mauer, sondern selbständiger Bauteil. Es wird durch einen Rahmen gegen die Mauerflächeabgegrenzt, außerordentlich energisch dadurch, daß dieser nur innen den Konturen des Fensters folgt, außen aber rechteckig ist, wie die Wandglieder. Allein obgleich diese Zusammenfassung sehr geistvoll ist, wird man gerade hier einen Zwiespalt fühlen, der für die neue Absicht charakteristisch ist. Keine Frage: gegenüber der strengen Folgerichtigkeit der Wand beim Palazzo Strozzi stellt sich nun als Gliederung eine Dekoration ein, die ihren eigenen Ausdruck hat und die Struktivität der Mauer vernichtet. Es ist kein Zufall, daß das Kranzgesims hier weit weniger vorragt, an den äußersten Ecken Pilaster die scharfen Kanten der zusammenstoßenden Wände abschwächen, die horizontalen Simse verdoppelt werden, und dadurch den Hauptlinien viel von ihrer Kraft genommen wird, sie gewissermaßen zerfließen. Unzweifelhaft bedeutet auch hier der neue Reichtum des Ausdrucks eine Schwächung der Gesetzmäßigkeit. Und nun kann man stufenweise die konsequente Weiterentwicklung dieser Prinzipien verfolgen, wie Fenster und Pilaster allmählich immer kräftiger, die Wände immer schwächer werden, bis schließlich die Bauten des Palladio (1508–1580) in Vicenza oder des Jacopo Sansovino die letzte Stilstufe bezeichnen, auf der eine einheitliche Wirkung, allerdings bereits von ganz malerischer Art, noch möglich ist. Die Wand des Untergeschosses von Sansovinos Markusbibliothek in Venedig (Abb. 4) öffnet sich in weiten Bögen, die durch dekorierende Säulen voneinander getrennt sind. Noch ziehen über ihnen die Simse und Friese in horizontalen Reihen, aber die beherrschende Kraft ihrer Linien zersetzt sich. Ein dorischer Fries mit Tropfenregula, von deren vermittelndem Sinne schon die Rede gewesen ist, führt vom Untergeschoß aufwärts, und ebenso allmählich oberhalb des trennenden Simses die Balustergalerie. Es kommt dazu, daß nicht nur die oberen Säulen mit den unteren korrespondieren, sondern daß die oberen Säulen innerhalb der Balustergalerie auf isolierten Sockeln stehen und so die Linien der unteren für das Auge geradezu fortsetzen. Wie die Fenster dieses Stockwerks eleganter, zierlicher sind als die Bögen des Untergeschosses, auf denen es lastet, so ist auch die abschließende Horizontale noch weicher behandelt als das trennende Sims zwischen beiden. Sie ist geradezu aufgelöst, nach unten in ein breites Friesband von kränzetragenden Putten, durchbrochen von kleinen Fenstern, nach oben in eine freistehende Balustergalerie (Attika), die den ganzen Bau weich in die Luft sich lösen läßt. Allein auch diese Auflösung wird von den vertikalen Linien unterstützt. Die Putten im Fries nehmen die Linien der Säulen auf und führen sie in eine Basis hinauf,auf der jedesmal eine Statue steht, von allegorischer Bedeutung, was nebensächlich ist, aber mit der Funktion, auch die letzte Horizontallinie, die obere Begrenzung der Attika, zu zerstören und den Abschluß noch weicher zu gestalten. Es beginnt also die Auflösung der Wagerechten zugleich mit der Auflösung der Wand weiter vorzuschreiten und zu ihrer tatsächlichen Zerstörung durch die Durchbrechung gesellt sich ihre optische durch das starke Wechselspiel von Licht und Schatten in der reichen Dekoration. Während die frühe Renaissance ganz flache Formen isoliert benutzt (Abb. 3), häuft die Hochrenaissance weit ausspringende Glieder. Es ist von derselben Art, wenn sie in der Flächenfüllung an Stelle der einfachen, dünnen, aber klargeführten Ranken der frühen Zeit das volle, quellende Ornament bringt, die breithängenden Kränze und schweren Füllungen (Abb. 4). Der Ausdruck bleibt also groß, wird nicht etwa spielerisch. Aber immerhin tritt das Pathos an die Stelle der Sachlichkeit. Ein Bau wie etwa der bereits dem Barock zugerechnete Palast Pesaro in Venedig führt alle diese Absichten zur letzten Konsequenz. Hier ist die Wand völlig verschwunden. Selbst der Rest, der in der Bibliothek Sansovinos an den Seiten der Säulen steht, hat einer Säule Platz gemacht. Ebenso ist neben die Horizontallinie nun völlig gleichberechtigt die Vertikale getreten. Die Gesimse verkröpfen sich oberhalb der Säulen und das Auge wird ohne Hindernis vom Erdboden bishinauf ans Dach geführt. Dieser Widerstreit zwischen den Richtungslinien wird noch ausdrucksvoller durch das starke Vor- und Zurückspringen der Gliederungen, das im malerischen Wechsel von Licht und Schatten die Fläche vollends ausschaltet. Kurzum, die Absicht ist möglichster Reichtum auf Kosten des tektonischen Ausdrucks, von dem nun auch nicht mehr das geringste Element äußerlich sichtbar in die Erscheinung tritt. Wand und Dach sind durch die Dekoration vollkommen verdrängt, und über die Fassade hin gleitet von oben nach unten, von Seite zu Seite im regelmäßigen Wechsel des Vordrängens und Zurücktretens das Licht, so daß eine vollkommene Wellenbewegung entsteht. Auf diesen Tendenzen baut sich dann der Barockstil auf.

Abb. 4. Venedig. Markusbibliothek.

Abb. 4. Venedig. Markusbibliothek.

Die Einheit des Gesamtkunstwerkes, die diese Zeit bewußter fordert, als jede voraufgegangene, hält die Ausstattung des Hauses und dieses selbst in jedem Augenblick in derselben Stilphase. Das Zeitalter ist nicht reich an Möbelformen; die wichtigste, die Truhe, ist in der bürgerlichen Gotik des Palazzo Vecchio ein schlichter Kasten, mit stilisierter Bemalung von Wappen oder Ornamenten. Die Hochrenaissance, die für ihre Prunksäle auch monumentalere Möbelformen, wie den Thron, ausbildet, betont den Formgehalt der Truhe, stellt sie auf eine schwer profilierte Basis, rahmt die reich bemalte oder mit Stuckornamenten gezierte Wand durch Pilaster oder Wappenhalter und macht den oberen Abschluß ebenso ausdrucksvoll (Abb. 5). In der Spätrenaissance überwuchert hier wie am Palast der Schmuck. Man stellt das Gerät auf katzenartig vorschnellende Löwenklauen, die einerseits die Truhe vom Boden anheben, ihr jede Schwere des Stehens nehmen, andererseits den Körper des Möbels in weichen Linien in den Boden führen. Das Gerät nimmt diese Linien auf. Der Leib der Truhe biegt sich nach der Mitte zu aus, um nach dem Deckel zu wieder schmäler zu werden und so die bewegte Form des Gerätes als weiche Kurve endigen zu lassen. Ist schon durch so starke Bewegung dem Gerät das Kastenartige genommen, so tritt die überaus lebhafte Dekoration des Körpers mit reichem figürlichen und ornamentalen Schnitzwerk dazu, um vollends jede Fläche zu zerstören. Die Keramik beginnt, von maurischen Erzeugnissen angeregt, mit übersichtlich geformten Kannen und Schüsseln, deren Ton durch durchsichtige Glasur mitwirkend sichtbar ist und deren Wandungen einfaches, aber sehr großzügiges Ornament unterstützt. In der Hochrenaissance will auch der Töpfer prunken. Die großen Manufakturen, wie Faenza (von dem die Technik den Namen Fayenceerhält) und Urbino fertigen Majoliken von großen bauchigen Formen, bei denen nur die undurchsichtige Glasur, die Haut also, statt des Kernes, sichtbar und also wirksam ist und figürliche Malereien trägt, die über jede Gefäßteilung, selbst über Rand und Boden der Schüssel gleichmäßig hinweggehen. Das Gerät ist nur noch Malgrund, kein zweckgeschaffenes Gebilde.

Abb. 5. Florentiner Truhe. Berlin.

Abb. 5. Florentiner Truhe. Berlin.

Dieses Übergewicht der freien Kunst, das schon von der Gotik übernommen wird, läßt die Einheit im Zweck, die alle Künste im dorischen Tempel oder in der romanischen Kirche organisch verband, hier nicht zu. Daß die langen Freskenreihen des Gozzoli und Ghirlandajo Wandschmuck sind, setzt der Plastik ihres Ausdrucks keine Grenzen und schreibt ihrem Stil keine Gesetze vor. Vielmehr trifft die beginnende Renaissance Plastik und Malerei bereits als selbständige Künste von großer Freiheit des Ausdrucks an und mit der Tendenz, jede Ausdrucksform durch eine noch freiere abzulösen. In derselben Weise etwa, wie die archaische griechische Kunst aus dem Steinblock und den späten Formen griechisch-mykenischer Kunst allmählich den menschlichen Körper entwickelt, seine Glieder immer stärker zu beherrschen lernt, entwickelt die Renaissance unter den Gewandmassen, mit denen die Gotik die Gestalten verbirgt, die menschliche Form zu immer größerer Freiheit, zu immer sichererem Verständnis. Die disziplinierte Kraft, die im Rahmen des Gesamtkönnens das Höchsteleistet, fehlt diesem erregten Zeitalter des Individualismus, das die Fülle erzeugt. Der Weg, den Hellas in fast drei Jahrhunderten zurückgelegt hat, wird in kaum drei Generationen durchmessen.

Mißt man ihn an der Plastik, die die Aufgabe am engsten, auf eine oder wenige umgrenzte Gestalten konzentriert und so die schöpferische Bildnerin des Körpers wird, so sind Ghiberti (1378–1455) Donatello (1386–1466) und Verocchio (1435–1488) die Marksteine. Ghiberti ist in der kurvigen Bildung seiner Gestalten, unter deren weichgleitenden Gewändern der Körper noch nicht gefühlt ist, fast noch Gotiker. Die beiden anderen, von der Tradition sich befreiend, sind schöpferische Menschen der Renaissance, Donatello ein Ekstatiker, tiefster seelischer Erschütterungen voll, seine Puttenreigen wirbelnde Tänze, seine Antoniuslegenden erregte Dramen, seine Propheten und Täufer tief innerlich durchflammte Visionäre, bei denen der Ausdruck im gepreßten Munde, in gekrampften Händen und tief durchfurchten Gewändern verhalten aber glühend wirksam ist. Er stellt das plastische Problem nicht nur als Form-, sondern als Inhaltsproblem, läßt seinen Gestalten die Anlehnung an architektonische Hintergründe, die Entwicklung der Bewegungen für eine Ansicht und entblößt vom Körper nur, was der innere Ausdruck fordert. Mit dem Problem der körperlichen Klarheit stellt Verocchio der nächsten Generation die Aufgabe, ja, man kann sagen, daß die nach Erkennen strebende Renaissance erst mit ihm ihr erstes Wort spricht. Es ist frappant, hier, wie im klassischen Altertum, die wissenschaftliche und gestaltende Analysis nebeneinander hergehen zu sehen; wie Polyklet sucht auch Verocchio das Wesen der Schönheit in der menschlichen Proportion, erforscht die Perspektive und treibt mathematische Studien. Ebenso aber studiert er Bewegung und Zusammensetzung des Menschen- und Pferdekörpers, differenziert die Muskeln und Gelenke in seinen Skulpturen, so daß man selbst unter dem Panzer des jugendlichen David noch jede Muskel, jede Hautfalte spürt. Kraft dieser Kenntnis werden die Drehungen seiner Gestalten ausdrucksfreier als bei Donatello, bis zu Werken, die ohne Hintergrund, frei inmitten eines Hofes stehend von allen Seiten reizvolle Ansichten gewähren. Wenn Donatellos Gattamelata der klug überblickende Heerführer war, auf seinem Pferde sitzend, wie auf einem Thron, so ist Verocchios Colleoni, in Bewegung und Gegenbewegung von gespanntester Führerenergie. Diese klare Formulierung der neuen Probleme und die Vielseitigkeit des Mannes, der zugleich auch Maler und Goldschmied war,machen ihn wie die ihm verwandten Brüder Pollajuolo zu Lehrmeistern der ganzen zweiten Generation, auch ihrer Maler.

Abb. 6. Ghirlandajo. Abendmahl. Florenz.

Abb. 6. Ghirlandajo. Abendmahl. Florenz.

Abb. 7. Lionardo da Vinci. Das Abendmahl. Mailand.⇒GRÖSSERES BILD

Abb. 7. Lionardo da Vinci. Das Abendmahl. Mailand.

⇒GRÖSSERES BILD

Denn die Entwicklungslinie der Malerei ist im ganzen die gleiche. Von den Zeitgenossen Ghibertis war Fra Angelico noch Gotiker gleich ihm, während Masaccio, der erste, der seinen Menschen standfeste Realität und ein Größenverhältnis zu den Häusern und Dingen in der Landschaft gibt, zugleich noch aus der gotischen Verallgemeinerung der Form ihre Größe gewinnt. Mit ihm hört das mittelalterliche Gedränge auf, und die Dinge werden plastisch. Nun setzt die schöpferische Kraft des Zeitalters mit all ihrer Fülle ein. Padua, wo Mantegna in harter Zeichnung sich um Menschencharaktere und Perspektive müht, Venedig, wo die Farbe herrscht, Umbrien, das weiche, idealistische Gestalten sucht, und am vielseitigsten Florenz, wo neben Gegenwartsmalern wie Ghirlandajo, Theoretikern, wie eben Verocchio, tiefe Empfinder schaffen, wie Fra Filippo Lippi und sein Schüler, der Mystiker Botticelli (1444 bis 1510), diese beiden letzten die deutlichsten Repräsentanten der zwei Frührenaissance-Generationen in der Malerei. Allein die Entwicklung kommt hier nirgends vom Tektonischen her. Das Wandgemälde sucht durchaus die Tiefe, den Raum. Lionardo da Vinci (1452–1519), der die Hochrenaissance einleitet, ist durchaus nur Fortbilder dieses Suchens, wenn er den Gestalten dadurch die Freiheit im Raum gibt, daß er ihren Umrissen die Härte nimmt und sie so schwebend unsicher machte, wie man sie sieht. Auch Ghirlandajos Abendmahl (Abb. 6) war räumlich gemeint. Was Lionardo (Abb. 7) vor ihm voraus hat, ist die größere Intensität der Gesten, die jedem Ausdruck die Bestimmtheit gibt, die bedeutendere Komposition, die das Nebeneinander der Apostel zu großen Hauptgruppen sammelt. Es ist dieselbe Entwicklung, die von den gleichmäßigen Wänden der Frührenaissance-Paläste zu den sammelnden Achsen des Sansovino (Abb. 4) führt. Wohl gibt es einmal in einem tektonischen Stil eine gleichartige Komposition: der Giebel von Ägina (Bd. 1, Abb. 12) faßt seine vier Einzelgruppen so durch die Säulen zusammen, wie Lionardo durch die Tischböcke und läßt ihre Bewegung ebenso an der göttlichen Mittelfigur abprallen. Aber der entscheidende Unterschied ist, daß die Wand hinter dem Renaissance-Werk verschwindet, während die antike Komposition nur in und mit der Architektur Bedeutung hat. Gewisse Gleichartigkeiten in der Entwicklung sind jedoch auch hier nicht zu verkennen. So entstehen auch hier aus der strengen, dabei zaghaften Auffassung des Frührenaissancemeisters Können und Pathos,aus dem unsicheren Vielerlei die Einheit der großen Bewegung, und es darf uns nicht wundernehmen, hier die Antithese von Skopas und Praxiteles wiederzufinden, die Steigerung des Ausdrucks zu gleicher Zeit nach den beiden scheinbar entgegengesetzten Richtungen zartester Lieblichkeit und kräftigsten Bewegungsausdruckes. Zog sich dieser Gegensatz schon durch die ganze Frührenaissance, in der der umbrische Kreis ausnützte, was Florenz sich erarbeitet hatte, wie Athen einst das Körperstudium der Dorer, so gewinnt er jetzt in Raffael und Michelangelo seinen stärksten Ausdruck. Raffael (1483–1520) fängt noch ganz altertümlich an; seine Vermählung Mariä ist keineswegs als räumlicher Organismus verstanden, der Vorgang im Vordergrund ist ohne Beziehung zum Raum, in dem hier und da einzelne Gestalten ohne Zusammenhang mit der Handlung verteilt sind. In seinen reifen Werken aber, etwa von 1506 ab, schmiegt sich die Handlung vollkommen mit dem Raum zusammen. Die Komposition wird räumlich gegliedert, während andererseits die Verteilung der Gestalten den Raum in allen seinen Teilen belebt und zugleich die Entfernungen bestimmt. Ebenso wie Raffael gelernt hat, den Menschen in seinen Bewegungen zu verstehen und zu formen, hat er aus dem Bild einen bewegten Organismus geschaffen, in dem alles Flächenhafte sich gelöst hat. Allein er bleibt dabei immer ruhig und zart bis zur Weichheit. Er zeichnet gelassen stehende, ruhig schreitende und lagernde Gestalten und seine Komposition beruht nicht auf der Wirkung von Kontrasten, sondern auf der weichen Führung der Bildlinien, auf feinster Abstufung im Nebeneinander der Gestalten. Ganz anders Michelangelo. Er empfindet nicht nur Schönheit, sondern seelische Erschütterungen. Seine Menschen sind in scharfen Richtungskontrasten bewegt, so daß ihr Ausdruck sich bis aufs äußerste steigert, und die Komposition seiner Werke beruht nicht auf feinfühliger Abstufung, sondern auf der Dramatik des Gegensätzlichen. Man nehme seine Erschaffung Adams aus den Fresken an der Decke der Sixtinischen Kapelle (Abb. 8). Zwei Massen begegnen einander. Gottvater durch die machtvollen Linien des Mantels mit den Engeln zusammengeballt, und Adam, dessen stark differenzierte Bewegung durch die Linien des Hügels hinter ihm zusammengenommen ist. So treffen sich die Hände, von deren Berührung die bewegende Kraft in den Körper strömt, im leeren Raum, und der Kontrast verbindet sich zur Einheit. Zu diesem räumlichen Gegensatz tritt der Gegensatz der Gestalten. Gottvater und sein Gefolge erscheinen als eine ungeheure Masse. Man solltemeinen, gegenüber dem machtvoll thronenden Gott der frühen Renaissance müsse dieser heranfliegende würdelos erscheinen. Allein daran ist nicht zu denken. Gott und die ganze Masse von Engeln um ihn sind durch gewaltige horizontale Linien zusammengeschlossen, und er überspannt mit der Wucht seines Körpers ihre ganze Schar. Der Akt Adams ist dagegen aufs feinste gegliedert. Mit beabsichtigter Gegensätzlichkeit sind der rechte Arm und das linke Bein gebeugt, liegen das rechte Bein und der linke Arm wagerecht. So bekommt der Körper Schwere und ist doch alle seine Bewegung durch diese Wendungen und die Drehungen in Hüfte und Hals Gottvater zugewandt. Die Differenzierung der Gelenke geht bis in die Finger, von denen nicht ein Glied ohne Beugung, ohne Bewegung ist. Dieses Verständnis des menschlichen Körpers in seinem dreidimensionalen Wert, vor dem auf unserem Bilde alles Landschaftliche zurückstehen muß, ist die neue Erkenntnis Michelangelos, auch wenn sie ihm selbst nur Ausdrucksmittel ist. Der letzte Gedanke an die Fläche des Gemäldes ist verschwunden; die Gestalten bewegen sich vollkommen im Raum. Man wird von hier aus verstehen, warum Michelangelo, der von der Plastik herkommt, seine stärksten Gedanken über die Bewegung des Aktes im Gemälde niedergelegt hat, wo die räumlichen Entwicklungen reicher ausgesprochen, mehrere Gestalten zueinander in Gruppenbeziehung gesetzt werden konnten. Die Bildfläche ist völlig zerstört; die Decke hat ihren Sinn als Raumabschluß völlig verloren. Die Fresken der Frührenaissance waren wenigstens noch annähernd durch die Wand gebunden. Michelangelos flächensprengende Fresken an der Decke der Sixtinischen Kapelle aber, zu denen auch die Erschaffung Adams gehört, bedeuten den vollkommenen Verlust des tektonischen Zweckgefühls.

Abb. 8. Michelangelo. Erschaffung Adams. (Rom, Sixtinische Kapelle.)

Abb. 8. Michelangelo. Erschaffung Adams. (Rom, Sixtinische Kapelle.)

So ist die Stilentwicklung der Renaissance festgelegt: Architektur und Kunstgewerbe beginnen noch sachlich; dann nimmt die Dekoration überhand, und der Schmuck vernichtet die Form. Plastik und Malerei gehen parallel. Sie beginnen mit flächenmäßig entwickelten Gestalten, um dann mit gestärktem Körper- und Raumbewußtsein die Grenzen zu sprengen. Auch hier ist, wie in der Antike, die Lockerung in der Haltung des Menschen die Folge; eine Gestalt wie der Adam des Michelangelo ist ohne Beispiel. So wird es als Parallelbewegung verständlich, daß in der Frührenaissance die gerade, fast steife Haltung, in der Hochrenaissance die gelöste, ungezwungene gesellschaftlich als vornehm gilt. Es ist dieselbe Differenz wie zwischen dem Apollo von Tenea und der Art der Praxitelischen Zeit, und auch hier führt sie zu immer stärkerer Vernichtung des Tektonischen im Gefüge des Kunstwerks, zum Barock.


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