Chapter 12

DieGeneralkommissionwurde als ständige Einrichtung beibehalten, deren Thätigkeit aber insofern eingeschränkt, als sie sich künftig mit derUnterstützung von Ausständennicht mehr zu befassen haben soll, diese vielmehr zu einer Angelegenheit der einzelnen Zentralorganisationen erklärt ist, wobei lediglich eine gegenseitige Unterstützung auf Grund der Kartellverträge stattfinden soll. Der Grund für diese Aenderung bestand in der Befürchtung, daß die einzelnen Gewerkschaften in ungleicher Weise unterstützt werden möchten, je nachdem in der Generalkommission die Interessen derselben vertreten wären.

Um die letztere möglichst unabhängig zu stellen, wurde auch der von den Metallarbeitern gemachte Vorschlag, an ihre Stelle einen aus je einem Vertreter jeder Gewerkschaft bestehenden Gewerkschaftsrat mit einem von diesem zu bildenden Exekutivausschusse von 5 Mitgliedern zu setzen, abgelehnt und vielmehr beschlossen, daß die Generalkommission aus 7 Mitgliedern nebst 3 Ersatzmännern bestehen und auf dem jedesmaligen Gewerkschaftskongreß gewählt werden soll. Als Sitz wurde Hamburg beibehalten.

Die Aufgaben der Generalkommission bestehen

Jede zentralisierte Gewerkschaft hat für jedes Mitglied vierteljährlich 5 Pf. an die Generalkommission abzuführen; der von der letzteren vorgeschlagene Satz von 10 Pf. wurde auf die Hälfte herabgesetzt, nachdem man die Streikunterstützung gestrichen hatte. Gewerkschaften, welche ihre Beiträge nicht zahlen, verlieren Sitz und Stimme auf dem Gewerkschaftskongreß. Dieser ist von der Generalkommission unter Zustimmung der Mehrheit der Zentralvorstände einzuberufen. Den einzelnen Verbänden ist die Erhöhung der Mitgliederbeiträge zur Ansammlung ausreichender Fonds zur Pflicht gemacht.

Als Gegenstände derKartellverträgesind empfohlen:

Von den übrigen Beschlüssen des Kongresses ist noch folgendes hervorzuheben:

Die der bisherigen Generalkommission gemachten Vorwürfe richteten sich vorzugsweise gegen die Aufnahme des Darlehns von 106950 Mk. und die Verwendung der Mai-Sammlungen zu dessen Deckung, gegen die Begünstigung der Hamburger Gewerkschaften, insbesondere die zu weit gehende Unterstützung des dortigen Tabakarbeiterausstandes, gegen die Herausgabe des „Korrespondenzblattes“ und die unzureichende Pflege der internationalen Beziehungen. Es gelang jedoch den Mitgliedern, diese Vorwürfe, die vorzugsweise von der grundsätzlichen Opposition, nämlich den Vertretern der Lokalorganisationen, ausgingen, im wesentlichen zu widerlegen und einem Tadelsvotum zu entgehen.

Hinsichtlich derweiblichen Arbeiter, von denen eine Vertreterin in die Generalkommission aufgenommen wurde, beschloß man, den bestehenden Organisationen zu empfehlen, auch Frauen als gleichberechtigte Mitglieder aufzunehmen und von der Bildung besonderer Gewerkschaften für Arbeiterinnen abzusehen.

Die bisher schon übliche Einrichtung derKontrollmarken, d. h. eines an den Fabrikaten angebrachten Zeichens dafür, daß der Fabrikant in seinem Geschäfte die von den Gewerkschaften geforderten Arbeitsbedingungen eingeführt habe, ohne welches die Arbeiter die Ware nicht kaufen dürfen, wurde ohne Debatte zur allgemeinen Nachahmung empfohlen.

Ebenso fand einstimmige Annahme eine Resolution, welche die Forderung möglichsterBeseitigung der Akkordarbeitmit der Begründung erhebt, daß dadurch die Erreichung eines Maximalarbeitstages und eines für alle Arbeiter gleichen oder wenigstens eines Minimallohnes vorbereitet werde.

Die große Streitfrage, ob die bei Gelegenheit derMaifeieraufkommenden Gelder der politischen oder der gewerkschaftlichen Bewegung zufließen sollten, wurde dahin erledigt, daß von einer allgemeinen Maisammlung für gewerkschaftliche Zwecke Abstand genommen, den einzelnen Orten und Gewerben aber überlassen wurde, in ihren Kreisen Sammlungen zu veranstalten.

Um dasDefizit der Generalkommission, das insbesondere durch Unterstützung des Buchdruckerausstandes herbeigeführt war, zu decken, wurde eine freiwillige Sammlung durch Ausgabe von 10-Pf.-Marken beschlossen.

Von derAmerican Federation of Laborwar an den Kongreß der Vorschlag gerichtet, den bei Gelegenheit der Weltausstellung in Chicago zu veranstaltenden internationalen Kongreß durch Delegierte zu beschicken. Man beschloßjedoch mit Rücksicht auf die damit verbundenen erheblichen Kosten hiervon abzusehen.

DasErgebnisdieses ersten Deutschen Gewerkschaftskongresses können wir kurz dahin zusammenfassen, daß dieOrganisationsfragezu einem vorläufigen Abschlusse gelangt ist, und zwar im Sinne derZentralisation. Allerdings giebt es auch künftig noch lokale Vereinigungen, aber dieselben werden seitens des Gewerkschaftsverbandes nur dann anerkannt, wenn für sie ein Zentralverband nicht besteht. Diese Zentralverbände, welche nach Gewerben (Berufen, Branchen) abgegrenzt sind, bilden die Einheit und die Grundform der Organisation, aber dieselben gliedern sich einerseits nach unten zu örtlichen Zweigvereinen und suchen andererseits untereinander einen weiteren Zusammenschluß anzubahnen.

Der Kongreß hat, wie mitgeteilt, den Industrieverband in erster Linie empfohlen, und demgemäß sind seitdem außer dem Metallarbeiterverbande, der bereits bestand, noch ferner der „Verband der Deutschen Holzarbeiter“ auf dem ersten Holzarbeiterkongresse, der vom 4. bis 7. April 1893 in Kassel tagte, und der „Verband der Lederarbeiter Deutschlands“ ins Leben getreten, indem die am 2./3. April 1893 in Altona abgehaltene Generalversammlung des Zentralvereins Deutscher Gerber und Lederzurichter dem von dem Deutschen Weißgerberverbande in seiner Generalversammlung vom 8. August 1892 in Altenburg gefaßten Beschlusse beitrat.

Während es sich bei diesen Formen um Verbindungen der Zentralorganisationen handelt, hat man dem Zwecke der gegenseitigen Annäherung und Unterstützung außerdem, entsprechend dem Kongreßbeschlusse, durchKartelleunter den lokalen Vereinen Rechnung getragen, indem die am Orte vertretenen Gruppen der einzelnen Berufe je nach ihrer Stärke Delegierte wählen, welche zusammen dasKartellbilden, das seinerseits einen Vorstand unter dem Namen einer „Kartellkommission“ wählt. Hierbei hatte man aber sich mit der Vereinsgesetzgebung auseinander zu setzen, welche einerseits für politische Vereine die gegenseitige Verbindung verbietet und andererseits für alle Vereine, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen, die Einreichung der Statuten und der Mitgliederliste sowie aller Veränderungen derselben vorschreibt. Zur Umgehung dieser Schwierigkeit benutzt man zwei Wege. Dereineist der, daß man die Delegierten von den einzelnen Vereinen in der Weise wählen läßt, daß sie lediglich als Vertreter dieser Vereine auftreten, nicht aber selbst einen Verein bilden; aber dann ist die Einrichtung eine Verbindung der Vereine untereinander, und es muß dann die Politik ausgeschlossen werden. DerandereWeg besteht darin, daß man die Delegierten nicht von den Vereinen, sondern in öffentlichen Versammlungen der betreffenden Berufsgenossen wählenläßt, dann ist von einer Verbindung von Vereinen nicht die Rede, das Kartell darf sich mit Politik beschäftigen, ist aber nun seinerseits ein Verein, der Statut und Mitgliederliste einreichen muß. Die Generalkommission hat für beide Formen Musterstatute ausgearbeitet und bekannt gemacht, ja denselben noch eine dritte Form hinzugefügt, nach welcher die in öffentlichen Versammlungen gewählten Delegierten sich gar nicht als Verein organisieren, sondern wenn sie beraten wollen, hierfür eine öffentliche Versammlung einberufen; in diesem Falle besteht dann auch keine Kartellkommission, sondern es wird lediglich ein Vertrauensmann mit weitgehenden Befugnissen gewählt. Es muß dahingestellt bleiben, ob diese dritte Form wirklich den beabsichtigten Zweck erreicht, jedenfalls wird sie als ganz lose Verbindung der Berufsgenossen ihrer Hauptaufgabe nur in unvollkommener Weise gerecht.

Die Thätigkeit derKartelleist in dem Kongreßbeschlusse im allgemeinen bezeichnet. Der Schwerpunkt liegt in der Regelung derStreiks. Diese werden von dem Kartell nur dann unterstützt, wenn sie von dem Zentralverbande des betreffenden Berufes oder in dessen Ermangelung von der Kartellkommission gebilligt sind.Boykottskönnen nur von dem Kartell mit zwei Drittel Mehrheit beschlossen werden. Regelmäßig soll die Kartellkommission vorher eine gütliche Verständigung mit den Arbeitgebern versuchen. Zur Deckung der Ausgaben sind für jedes Mitglied vierteljährlich 5 Pf. in die Kartellkasse einzuzahlen. Aus derselben werden die Kosten der Agitation, des Herbergswesens, des Arbeitsnachweises, der Statistik u. s. w., nicht aber diejenigen der Streiks bestritten, hierfür sind vielmehr freiwillige Sammlungen zu veranstalten; mit drei Viertel Mehrheit darf das Kartell auch die Aufnahme von Darlehen beschließen.

In neuerer Zeit ist den Gewerkschaften durch eine Aenderung der Rechtsprechung in Preußen eine erhebliche Schwierigkeit erwachsen. Bisher hatte man, um der polizeilichen Aufsicht zu entgehen, von der Bildung eigentlicher Zweigvereine abgesehen, alle Mitglieder gehören unmittelbar dem Zentralverbande an, und an den einzelnen Orten bestehen lediglich „Zahlstellen“ zur Einsammlung der Beiträge, Annahme von Mitgliederanmeldungen und Verteilung der Fachzeitschrift. Der Gedankenaustausch wird in öffentlichen, nicht auf die Mitglieder beschränkten Versammlungen vorgenommen. Nun hat jedoch das Kammergericht durch Entscheidung vom 3. Oktober 1892 ausgesprochen, daß diese Zahlstellen als Vereine anzusehen seien. Dadurch ist, solange die Politik fern gehalten wird, eine Schwierigkeit für die Verbindung mit der Zentralleitung einstweilen noch nicht geschaffen, wohl aber ist die polizeiliche Anmeldung der Mitglieder erforderlich.

Eine Wiederholung des in Halberstadt abgehaltenen Gewerkschaftskongresses in Zwischenräumen von etwa 3 Jahren lag wohl von Anfang an in der Absicht der Generalkommission, ging doch deren Ziel zweifellos auf einen selbstständigen organischen Ausbau des Gewerkschaftsverbandes neben dem Verbande der politischen Partei. Aber hatte die letztere schon den Halberstädter Kongreß mit offen kundgegebenem Mißtrauen empfangen, so trat diese Abneigung noch entschiedener hervor, als es sich darum handelte, durch eine Wiederholung den Weg der Erhebung der Kongresse zu einer ständigen Einrichtung zu betreten. Man benutzte deshalb Andeutungen über gewisse „dunkele Pläne“, die angeblich von der Generalkommission verfolgt würden und auf die unten zurückzukommen sein wird, um die Gewerkschaften gegen ihre Leitung aufzuhetzen, indem der „Vorwärts“ einen Artikel des „Handschuhmacher“, der von Plänen sprach, die geheim gehalten werden müßten, aber geeignet wären, eine Zersplitterung in der Arbeiterbewegung herbeizuführen, abdruckte und die Frage stellte: „Was geht vor?“ Der Zweck wurde auch insofern erreicht, als die Generalkommission nach einer Umfrage bei den Zentralvorständen ihren Plan für das Jahr 1895 fallen ließ. Die Folge dieser Aufhetzung war dann ferner, daß sowohl die Hutmacher als auch die Tabakarbeiter beschlossen, ihre Beitragsleistung an die Generalkommission einzustellen. Von den Tabakarbeitern war dies um so rücksichtsloser, als gerade das zu ihrer Unterstützung von der Generalkommission aufgenommene Darlehen von 106950 Mk. den Hauptgrund der gegen diese erhobenen Vorwürfe bildete.

Für das Jahr 1896 dagegen wurde die Absicht, einen Kongreß in Berlin und zwar am 4. Mai abzuhalten, von der Generalkommission bereits am 25. November 1895 bekannt gegeben. Dabei wurde der Vorschlag gemacht, auch die Delegierten derjenigen Zentralverbände, die keine Beiträge an die Generalkommission gezahlt hätten, sowie die Handelsangestellten, Handelshülfsarbeiter und Gastwirtsgehülfen und endlich Lokalorganisationen derjenigen Berufe zuzulassen, für welche Zentralverbände nicht bestehen. Diese Vorschläge wurden angenommen. Die Generalkommission hatte sich an das Gewerkschaftskartell in Berlin mit dem Antrage gewandt, die Vorbereitung für den Kongreß zu übernehmen, doch war dies, wie zu erwarten, abgelehnt, da in Berlin die Lokalorganisationen überwiegen. So mußte von den Berliner Zentralorganisationen ein besonderes Lokalkomitee gebildet werden, um die Vorarbeiten zu erledigen.

Vom 4. bis 8. Mai 1896 hat nun der „zweite Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands“ in Berlin stattgefunden. Auf demselben waren 48 Zentralorganisationen durch 129 Abgeordnete, 6 lokal organisierte Verbände durch 8 Abgeordnete und 11 Zweigvereine der Tabakarbeiter durch 2 Abgeordnete, insgesamt 271141 Mitglieder durch 139 Abgeordnete vertreten. DieHutmacher und Tabakarbeiter fehlten, letztere mit Ausnahme der 11 Zweigvereine.

Aus dem vom VorsitzendenLegienerstatteten Berichte ist folgendes hervorzuheben.

Seit dem Halberstädter Kongresse sind eine Anzahl Organisationen gebildet, die sich später wieder aufgelöst haben, nämlich die Fabrikarbeiterinnen, die Näherinnen, die Porzellan- und Glasmaler und die Posamentiere. Der Zentralverein der Frauen und Mädchen wird nach Aenderung seiner Statuten nicht mehr als Gewerkschaft betrachtet. Dagegen ist der 1891 aus dem Hirsch-Duncker'schen Verbande ausgeschiedene Gewerkverein der Porzellanarbeiter, dessen Mitgliederzahl sich seitdem von 4000 auf 7300 gehoben hat, dem Verbande der Gewerkschaften am 1. Januar 1893 beigetreten. Die Weißgerber und die Lohgerber haben sich Anfang 1893 zu einem Verbande der Lederarbeiter vereinigt. Am 1. April 1894 haben die Maler ihren Anschluß an die Generalkommission erklärt. Die Agitation ist hauptsächlich auf die östlichen Provinzen Preußens gerichtet, wo Organisationen mit insgesamt 2168 Mitgliedern gegründet sind. Dagegen ist die Agitation unter den Lippe'schen Zieglern erfolglos geblieben; ein ins Leben gerufener Verband hat sich wieder aufgelöst.

Ueber die zur Kenntnis der Generalkommission gelangten Streiks giebt der Bericht folgende Tabelle.

Der Bericht schätzt, daß zu diesen Zahlen noch etwa 6000 Streikende und 900000 Mk. Ausgabe hinzukommen, sodaß in den 5 Jahren 64000 Personen mit einer Gesamtausgabe von 3600000 Mk. an Streiks beteiligt waren.

Das Korrespondenzblatt erscheint in einer Auflage von 5300. Außerdem sind verschiedene Agitationsschriften vertrieben.

Der Bericht erwähnt, daß ein Vertreter der Generalkommission an dem vom Freien deutschen Hochstift einberufenen am 8. Oktober 1893 in Frankfurt a. M. abgehaltenen Sozialen Kongreß zur Beratung der Frage der Arbeitslosigkeit und Arbeitsvermittelung teilgenommen, daß man es aber abgelehnt habe, sich bei der Einladung zu einer Konferenz der bei der Arbeitsvermittelung praktisch thätigen Personen im März 1894 beteiligen.

Auch die internationalen Beziehungen sind gepflegt. Mit der Gewerkschaftskommission in Oesterreich, dem Schweizerischen Gewerkschaftsbunde, derFédération nationale des Bourses du travailin Paris und denSyndicats et groupes corporatifs de Francein Troyes, mit demBoard of Tradeund demTrades Union Congress Parliamentary Committeein England, derAmerican Federation of Laborsind Nachrichten ausgetauscht, zu den Kongressen der österreichischen Gewerkschaften und des schweizerischen Gewerkschaftsbundes wurden Vertreter geschickt.

Der in dem Berichte vorherrschende Grundzug einer gewissen Resignation tritt besonders hervor in den Schlußworten: „Arbeitsfreudigkeit und thätiges Eingreifen in alle die Gewerkschaften berührenden Angelegenheiten wird nicht erzeugt, wenn zu befürchten steht, daß diese oder jene Unternehmung auf Widerstand stoßen und neue Angriffe hervorrufen wird. Nur durch einmütiges Zusammenwirken aller denselben Ziele Zustrebenden kann Großes erreicht werden.“

Der Schwerpunkt der Verhandlungen lag in den gegen die Generalkommission und ihre bisherige Wirksamkeit gerichteten und auf ihre Beseitigung abzielenden Angriffen, in denen sich teils allgemeine Oppositionslust und Partikularismus, teils die Anschauung geltend macht, daß die Generalkommission auf eine gegnerische Stellung der Gewerkschaften zu der politischen Partei hin arbeite. Träger der Opposition waren insbesondere die Metallarbeiter, die einfach die Aufhebung der Generalkommission beantragten. Andere Anträge bezweckten, sie durch einen bloßen Generalsekretär oder einen aus den Vorsitzenden der einzelnen Gewerkschaften bestehenden Verein (Gewerkschaftsbund) zu ersetzen, oder nur die Beiträge zu ermäßigen. Umgekehrt wurde auch die Wiederausdehnung der Thätigkeit der Generalkommission auf das ihr in Halberstadt entzogene Gebiet der Streikunterstützung und eine Erhöhung der Beiträge beantragt.

Die Angriffe richteten sich in erster Linie gegen die bereits erwähnten „dunklen Pläne“. Der Hauptwortführer der Opposition,Schlicke-Stuttgart, äußerte: „Ich kann die Entrüstung der einzelnen Gewerkschaften sehr wohl begreifen. In der Generalkommission glaubt man jetzt das Gegengewicht gegen den Parteivorstand zu besitzen, dem die Gewerkschaftsbewegung ein Dorn im Auge sein soll.“ Daneben wurde geltend gemacht, die Kommission habe nichts geleistet; die Statistik sei bei dem gegenwärtigen Stande der Bewegung nur von zweifelhaftem Werte; die Kosten des Korrespondenzblattes von jährlich 14000 M. seien überflüssig; nötig sei vor allem eine Verschmelzung der kleineren Organisationen mit größeren, während gerade die Generalkommission den „Kastendünkel“ Vorschub geleistet habe.

Der VorsitzendeLegienerklärte, die viel besprochenen „dunklen Pläne“ seien lediglich dahin gegangen, neben dem Kongresse der Gewerkschaften einensolchen von dem Lokalkomitee des Kongreßortes einberufen zu lassen, zu dem die Vertreter in öffentlichen Versammlungen gewählt würden. Dieser Kongreß habe sich mit den Fragen der Vereinsgesetzgebung, den Arbeiterschutzgesetzen, der Fabrikinspektion u. s. w. beschäftigen sollen. Dieser Plan sei den 300 Vorstandsmitgliedern der Gewerkschaften bekannt gewesen, also durchaus nicht geheim gehalten, auch der „Vorwärts“ habe nicht, um ihn zu erfahren, eine öffentliche Anfrage nötig gehabt, sondern, da ebensowohl seine Redakteure wie 2 Mitglieder der Generalkommission im Reichstage säßen, sich nur bei diesen zu erkundigen brauchen. Wenn man übrigens der Kommission die Mittel beschneide und sie so wenig unterstütze, so sei es unberechtigt, sich gleichzeitig über ihre zu geringe Wirksamkeit zu beklagen.

Auch von anderen Seiten wurden die Angriffe scharf abgewiesen und die Kommission energisch verteidigt.Faber(Goldarbeiter) erklärte, ein Gegensatz zwischen Partei und Gewerkschaftsbewegung bestehe nicht, der Streit zwischenAuerundLegiengehe nur diese beiden persönlich an.Fricke(Maler) meinte,LegienhätteAuerganz anders abführen sollen für seine Liebenswürdigkeiten.Lehrich(Maler) will für die Gewerkschaften eine Spitze haben, die es verhindert, daß die Gewerkschaften zum politischen Hausknecht degradiert werden; wenn beschlossen werden sollte, daß der politische Weg eingeschlagen werde, so seien sowohl die Generalkommission als die Zentralverbände überflüssig. Besonders die Buchdrucker stellten sich auf diese Seite. Ihre Redner,MassiniundDöblin, erklärten: „Wir Gewerkschaften dürfen keineswegs unter die Botmäßigkeit der Partei kommen; wir sind ein souveränes Volk und brauchen keinen Rat und keine Bevormundung von anderer Seite.“ „Von der politischen Partei dürfen wir uns nicht abhängig machen, und es wäre schon ein Erfolg, wenn man im politischen Lager die Berechtigung der Gewerkschaftsbewegung voll anerkennen würde.“Massiniäußerte auch: „Ich habe nicht viel im Sinn mit der Internationalität; deshalb lege ich auch keinen so großen Wert auf die Anknüpfung internationaler Beziehungen.“

Der Erfolg der zweitägigen zum Teil recht erregten Verhandlungen war, daß auch die Gegner der Kommission, nachdem sie ihrem Aerger Luft gemacht hatten, friedlicher wurden und selbst die Notwendigkeit einer Zusammenfassung betonten. Es war logisch berechtigt und taktisch geschickt, daß man zunächst über die Grundfrage abstimmte, ob man überhaupt prinzipiell eine zusammenschließende Vertretung sämtlicher Gewerkschaften wolle. Nachdem diese Frage durch 133 Vertreter von 262926[79]Mitgliedern gegen 5 Vertreter von 8215 Mitgliedern bejaht war, handelte es sich ferner um die weitere Ausgestaltung, insbesondere dieBefugnisse des Zentralorganes. Der Antrag der Generalkommission auf Errichtung einesgemeinsamen Streikfondswurde mit 104 gegen 18 Stimmen abgelehnt, darauf aber der Antrag, die zu bildende Zusammenfassung „Gewerkschaftsausschuß“ zu nennen, mit Stimmengleichheit abgelehnt und die Bezeichnung „Generalkommission“ beibehalten.

Die Organisation und Aufgabe derselben ergiebt sich aus folgender vom Kongresse angenommene Resolution:

„Der Gewerkschaftskongreß wählt eine aus 5 Mitgliedern bestehende Generalkommission. Zur Unterstützung derselben werden von den Zentralvorständen der Gewerkschaften, die am Sitze der Kommission eine Verwaltungsstelle haben und regelmäßige Beiträge an den Ausschuß zahlen, je ein Vertreter ernannt. Die Zuziehung dieser Vertreter zu den Versammlungen der Kommission hat nach Bedarf mindestens aber allvierteljährlich einmal zu erfolgen. Am Anfang einer Geschäftsperiode der Generalkommission sind in einer gemeinsamen Sitzung eine Geschäftsordnung für die Generalkommission, die Verteilung der Aemter und eventuelle Besoldungen und Remunerationen festzusetzen. Auch die berechtigten Lokalorganisationen haben Stimme in der obenbezeichneten Vertretung.

Die Aufgaben der Generalkommission sind:

1. Die gewerkschaftliche Agitation namentlich in denjenigen Gegenden, Industrien und Berufen, deren Arbeiter nicht oder nicht genügend organisiert sind, zu fördern und den Zusammenschluß der kleinen Verbände und Lokalorganisationen zu Industrieverbänden anzustreben.

2. Die von den Gewerkschaften aufgenommenen Statistiken, soweit sie allgemeines Interesse haben, zusammenzustellen und solche über Stärke, Leistungen und Entwickelung der Gewerkschaften, sowie solche über sämtliche Streiks selbstständig aufzunehmen.

3. Das „Korrespondenzblatt“ erscheint in der bisherigen Weise weiter. Es soll den Vorständen der Gewerkschaften, den Vorsitzenden der Gewerkschaftskartelle, den Vorsitzenden der Agitationskomitees und der Parteipresse unentgeltlich übersandt werden. Kurze, wichtige Publikationen sollen allen Gewerkschaftsblättern zum Abdruck zugehen.

(Anträge auf Vergrößerung des „Korrespondenzblatt“ wurden abgelehnt. Ebenso fiel der Antrag der Kommission, welcher den Buchdrucker-„Korrespondent“ als Publikationsorgan vorschlug.)

4. Die Generalkommission hat internationale Beziehungen zu den Gewerkschaften anderer Länder zu pflegen.

5. Die Generalkommission hat die allgemeinen deutschen Gewerkschaftskongresse einzuberufen und die hierzu nötigen Vorarbeiten zu erledigen.

Diese Kongresse sind nach Bedürfnis, mindestens jedoch alle drei Jahre einzuberufen.

Zur Teilnahme an diesen Kongressen sind sämtliche Zentralorganisationen und Lokalorganisationen berechtigt, die verhindert sind, sich zentral zu organisieren. In Zweifelsfällen entscheidet die Gesamtkommission. Ausgeschlossen von der Teilnahme an den Kongressen sind alle Gewerkschaften, welche ohne genügende Entschuldigung mit drei Quartalsbeiträgen im Rückstande sind.

Auf Antrag der Hälfte der bei der Generalkommission beteiligten Gewerkschaften ist die Generalkommission verpflichtet, einen Kongreß einzuberufen.

Die Kommission kann zu denjenigen Berufskongressen, wo es nötig erscheint, einen Vertreter entsenden.

Die Gewerkschaften sind berechtigt, für je 3000 Mitglieder einen Delegierten zu wählen. Die Zahl der Delegierten einer Gewerkschaft darf 6 nicht überschreiten. Kleinere Gewerkschaften wählen einen Delegierten. Wichtige Anträge entscheidet die Zahl der durch die Delegierten vertretenen Mitglieder.“

Die Annahme dieser Anträge erfolgte mit 86 gegen 43 Stimmen (152763 gegen 99738 Mitglieder). Darauf drohte jedoch ein großer Streit, indem die beiden großen Verbände der Holzarbeiter und Metallarbeiter erklärten, wegen der durch Beschränkung der Vertreterzahl auf sechs ihnen zugefügten Benachteiligung auf die Vertretung in der Kommission ganz zu verzichten; derselbe wurde dadurch beigelegt, daß man diese Bestimmung mit 79 gegen 29 Stimmen wieder beseitigte. Das Verhältnis bei der nunmehr vorgenommenen neuen Abstimmung war, daß die Resolution von 113 Vertretern von 214502 Mitgliedern gegen 16 Vertreter von 37999 Mitgliedern angenommen wurde.

Auch Hamburg wurde gegen mehrfachen Widerspruch wieder als Sitz der Kommission bestimmt undLegienals Vorsitzender wiedergewählt. Dagegen wurde der Beitrag, den die Gewerkschaften vierteljährlich für jedes Mitglied zu zahlen haben, von 5 Pf. auf 3 Pf. herabgesetzt, indem 65 Vertreter von 113548 Mitgliedern für 5 Pf., aber 58 Vertreter von 131373 Mitgliedern für 3 Pf. stimmten.

Ein Beratungsgegenstand, bei dem es sich gleichfalls um eine Verschiedenheit des grundsätzlichen Standpunktes handelte, war die Frage derArbeitslosenunterstützung. Der ReferentEichler(Buchdrucker) begründet diese Einrichtung, die bei den Buchdruckern und bei den englischen Gewerkschaften schon lange besteht, mit dem Hinweise darauf, daß sie geeignet sei, die Mitglieder, die erfahrungsgemäß nach ihrem Beitritte bald wieder der Organisation den Rücken kehrten, bei derselben zu erhalten. Die Buchdrucker hätten es gerade dieser Einrichtung zu danken, daß nach dem verlorenen großen Streik ihr Mitgliederstand nicht herabgegangen sei, sondern sich sogar gehoben habe.Außerdem sei es auch für die Lohnfrage von höchster Wichtigkeit, zu hindern, daß nicht die Arbeitslosen den Lohn drückten.

Der KorreferentFricke(Maler) bekämpft die Arbeitslosenunterstützung als eine kapitalistische Einrichtung, die dem Klassenkarakter der modernen Arbeiterbewegung zuwiderlaufe, indem sie den Arbeitern ein Interesse am modernen Kapitalismus einflöße, und daß keine Veranlassung vorliege, dem Staate seine Pflichten für das Volk abzunehmen, derselbe vielmehr zu zwingen sei, die erforderliche Fürsorge seinerseits zu übernehmen. Es sei auf die freien Hülfskassen zu verweisen, an denen man sehe, wohin das Unterstützungssystem führe; mit ganz wenigen Ausnahmen seien diejenigen, die in den Krankenkassen Verwaltungsämter inne hätten, nicht mehr zu bewegen, sich praktisch an der Verwirklichung dessen, was die moderne Arbeiterbewegung erstrebe, zu beteiligen. Man müsse prinzipiell die Arbeitslosenunterstützung ablehnen, weil man damit die Arbeiter nur von dem Ziele der endgültigen Befreiung der Arbeiterklasse ablenke.

Trotz dieser Einwendungen wurde mit großer Mehrheit folgende Resolution angenommen:

„In der Erwägung, daß die Arbeitslosenunterstützung — abgesehen von deren humanitärem Karakter — die Stabilität des Mitgliederstandes in den einzelnen Organisationen in hohem Maße garantiert und in der weiteren Erwägung, daß durch diese Unterstützung auf die Lohn- und Arbeitsverhältnisse verbessernd eingewirkt werden kann, indem das Angebot der arbeitslosen Hände unter den jeweilig geltenden Lohn- und Arbeitsbedingungen wenn auch nicht vollständig beseitigt, so doch ganz bedeutend vermindert wird, erkennt der zweite deutsche Gewerkschaftskongreß in diesem Unterstützungszweige einen bedeutenden, ja notwendigen Förderer der gewerkschaftlichen Organisationen, der keineswegs geeignet ist, den Klassen- und Kampfeskarakter der Organisationen zu verwischen.

Der Kongreß empfiehlt deshalb den deutschen Gewerkschaften überall da, wo sich der Einführung der Arbeitslosenunterstützung keine Schwierigkeiten bieten, eine solche einzuführen.“

Im Zusammenhange hiermit stand das fernere Thema derArbeitsvermittelung. Gegen einzelne Stimmen, welche sich zu Gunsten kommunaler Arbeitsnachweise aussprachen, wurde eine Resolution angenommen, welche nicht allein jede Arbeitsvermittlung durch gemeinsame Thätigkeit der Arbeiter und Arbeitgeber, als dem unausgleichbaren Gegensatze zwischen Kapital und Arbeit zuwiderlaufend, verwirft, sondern auch wegen des Uebergewichts der kapitalistischen Interessen in der Gemeindeverwaltung deren Eingreifen ablehnt, den Arbeitsnachweis ausschließlich den Gewerkschaften vorbehält, wobei der Staat oder die Gemeinde die pekuniären Mittel wie bei den Handelsbörsen zu gewährenhabe und deshalb „die Arbeiter aller Orte vor jeglichem Experimente auf einer anderen Grundlage als der alleinigen Leitung von Arbeitsnachweisen durch die Organisationen der Arbeiter warnt“. Die Arbeitsvermittelung gegen Entgelt soll gesetzlich als Wucher behandelt und verboten werden.

Nachdem endlich noch Resolutionen gegen dasSchwitzsystemzu Gunsten der Konfektionsarbeiter und der Einführung vonBetriebswerkstätten, gegen die Ausführungsvorschriften zur Ausführung des Arbeiterschutzgesetzes imMüllergewerbe, sowie zur Bekämpfung von Mißständen imBaugewerbeund wegen der Agitation unter den Arbeiterinnen angenommen waren, wurde der Kongreß von dem Vorsitzenden geschlossen mit dem Ausdrucke der Hoffnung, daß nach den jetzigen Beschlüssen der Bestand der Generalkommission gesichert sei und die späteren Kongresse sich eingehender mit anderen gewerkschaftlichen Fragen beschäftigen könnten, sowie mit dem Hinweise darauf, daß die politische Freiheit ohne die wirtschaftliche Gleichstellung leerer Schall sei und mit einem Hoch auf die Gewerkschaftsbewegung, die Befreiung der Arbeit und auf eine schönere Zukunft.

Die Bedeutung dieses zweiten Kongresses liegt hauptsächlich in der Auseinandersetzung der Anhänger einer kräftigenzentralisiertenGewerkschaftsbewegung mit denföderalistischenElementen[80]. Im ganzen waren die letzteren zugleich Vertreter der radikaleren Richtung, die das Heil der Zukunft wesentlich nur von der Erringung derpolitischenMacht erhofft und deshalb diegewerkschaftlichedurchaus in engem Anschlusse an die politische Bewegung zu halten sucht, während ihre Gegner, obgleich sie aus taktischen Gründen Vorsicht üben müssen, sich doch thatsächlich immer mehr zu dem entwickeln, was man als „Nur-Gewerkschaftler“ oder „Nichts-als-Gewerkschaftler“ bezeichnet. In Berlin erfolgte nicht wie in Halberstadt durch den Ausschluß der Lokalorganisierten eine Spaltung, sondern im ganzen siegte die konservativere Richtung, denn wenn auch die Entziehung der Streikunterstützung und die Ermäßigung des Beitrages von 5 auf 3 Pf. eine Schwächung der Generalkommission bedeutet, auch in der Herabsetzung der Mitgliederzahl von 7 auf 5 und in der Beifügung der Vorsitzenden der Zentralverbände als außerordentlicher Mitglieder eine Maßregel gegen allzugroße Selbständigkeitsgelüste zu sehen ist, so sind doch nicht allein die gegen die Existenz der Kommission gerichteten Angriffe abgeschlagen, sondern es ist doch auch im wesentlichen beim alten geblieben, ja in der Annahme des Grundsatzes der Arbeitslosenunterstützung liegt ein prinzipiell sehr wichtiger Schritt zur Annäherung an den englischen Trade-Unionismus der älteren Richtung und ein Bekenntnis zur praktischen Arbeit aufdem Boden der bestehenden Verhältnisse im Gegensatze zu fruchtlosen doktrinären Phrasen. Eine wertvolle Unterstützung hat hierbei zweifellos die gemäßigte Richtung durch den Beitritt der Buchdrucker erhalten, und unter diesem Gesichtspunkte gewinnen die im folgenden Abschnitte darzustellenden Verhältnisse der letzteren in ihrer jüngsten Entwickelung ein doppeltes Interesse.

Seit dem Schlusse des Kongresses hat sich übrigens in der Haltung des, wie bemerkt, aus dem Verbande ausgeschiedenen Unterstützungsvereins deutscher Tabakarbeiter insofern ein Umschwung vollzogen, als derselbe auf seiner am 12. bis 17. Juli 1896 in Stuttgart abgehaltenen Generalversammlung beschlossen hat, zwar die bisherige Haltung seines Vorstandes zu billigen, aber von jetzt ab sich der Generalkommission wieder anzuschließen.

Der dritte Gewerkschaftskongreßist vom 8.–13. Mai 1899 in Frankfurt a. M. unter Beteiligung von 130 Abgeordneten als Vertretern von 495138 Mitgliedern abgehalten. Auch die dänischen und österreichischen Gewerkschaften sowie das Schweizerische Arbeitersekretariat waren vertreten.

Aus dem Geschäftsberichte der Generalkommission ist zu erwähnen, daß dieselbe eine Erhebung über die Lage der graphischen Arbeiterinnen durchgeführt, dagegen den ihr erteilten Auftrag wegen einer solchen bezüglich der Hausindustrie und des Schwitzsystems noch nicht erledigt hat. Noch der aufgenommenen Streikstatistik kommen auf 1000 organisierte Arbeiter nur 3,3 Bestrafte. Die Höhe der monatlichen Beiträge beläuft sich auf 2913 Mk. Die Generalkommission hat zum Zweck der Agitation in Triest und Trient italienische Sekretäre eingesetzt, auch ein besonderes Blatt „L'Operaio Italiano“ ins Leben gerufen, welches seit dem 18. Juni 1898 erscheint. Im übrigen ist die Agitation wirksam insbesondere in Ost- und Westpreußen, Posen und Oberschlesien unter den Landarbeitern betrieben, außerdem unter den Seeleuten, unter denen man einen Seemannsverband errichtet hat, dagegen ist sie unter den Zieglern „ohne nennenswerten Erfolg geblieben“.

Der karakteristische Moment des Kongresses das am deutlichsten die ihn beherrschende Grundauffassung erkennen läßt, trat am schärfsten hervor bei der Stellungnahme gegenüber den unter den Buchdruckern ausgebrochenen Streitigkeiten. Wie an anderer Stelle[81]eingehender zu erwähnen ist, hat die im Jahre 1896 wieder begründete Tarifgemeinschaft mit den Prinzipalen zu den erbittertsten Kämpfen im Lager der Gehülfen geführt, Kämpfe, die sich freilich formell um die Einzelheiten des getroffenen Abkommens, insbesondere dessen fünfjährige Dauer drehten, in Wahrheit aber die Stellung zu der Sozialdemokratiezur Unterlage hatten.Gasch, der Führer der Opposition, der aus dem Buchdruckerverbande ausgeschlossen war und eine „Gewerkschaft der Buchdrucker“ begründet hatte, machte dem ersteren vor allem den Vorwurf, daß er nicht „auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung stehe“.

Der Streitpunkt wurde gleich bei der Prüfung der Mandate berührt, indem es sich darum handelte, ob der Vertreter der Buchdruckergewerkschaft,Pollender, zu den Verhandlungen des Kongresses zuzulassen sei. Die Vertreter des Verbandes bekämpften diese Forderung auf das entschiedenste und brachten mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck, daß der Verband von der zu betreffenden Entscheidung seine fernere Teilnahme abhängig mache. Die nach erregten Verhandlungen eingesetzte Kommission beschloß mit vier gegen drei Stimmen, den Verband als die einzige rechtmäßige Organisation der Buchdrucker anzuerkennen und nur deren Vertreter zum Kongresse zuzulassen, dagegen das Mandat vonPollenderals ungültig zurückzuweisen. Dieser Antrag wurde schließlich mit großer Mehrheit angenommen, indem 96 Abgeordnete, die 347034 Mitglieder vertraten, dafür und nur 26, die 116323 Mitglieder vertraten, dagegen stimmten.

Hatte bei dieser Frage der Kongreß eine inhaltliche Stellungnahme zu der unter den Buchdruckern hervorgetretenen Meinungsverschiedenheit insofern noch nicht nötig gehabt und sogar ausdrücklich vermieden, als er seine Entscheidung lediglich auf den Gesichtspunkt stützte, daß jede Organisation nach eigenem Ermessen über ihre Angelegenheit zu bestimmen und die Minderheit sich der Mehrheit zu fügen habe, so war dies dagegen bei dem ferneren Punkte der Tagesordnung: „Tarife und Tarifgemeinschaften“ nicht möglich, vielmehr mußte die grundsätzliche Haltung gegenüber dem Unternehmertume zur Entscheidung gebracht werden. Aber hier ergab sich die bedeutungsvolle Thatsache, daß die Tarifgemeinschaft als solche, die doch dem Grundsatze von der unversöhnlichen Gegensätzlichkeit der Interessen zwischen Arbeitern und Unternehmern offen ins Gesicht schlägt, Gegner auf dem Kongresse so gut wie gar nicht hatte, denn selbstPollender, den man freilich als Korreferent abgelehnt, aber als Redner zum Worte gelassen hatte, bekämpfte nur die Bedingungen, die von dem Buchdruckerverbande den Prinzipalen zugestanden waren. Schließlich wurde mit allen gegen 4 Stimmen folgender Beschluß angenommen.

„Tarifliche Vereinbarungen, welche die Lohn- und Arbeitsbedingungen für eine bestimmte Zeit regeln, sind als Beweis der Gleichberechtigung der Arbeiter seitens der Unternehmer bei Festsetzung der Arbeitsbedingungen zu erachten und in den Berufen erstrebenswert, in welchen sowohl eine starke Organisation der Unternehmer, wie auch der Arbeiter vorhanden ist, welche eine Gewähr für Aufrechterhaltung und Durchführung des Vereinbarten bieten. Dauer undUmfang der jeweiligen Vereinbarungen lassen sich nicht schematisieren, sondern hängen von den Eigenarten des betreffenden Berufes ab.“

Auch die übrigen Gegenstände der Verhandlungen hatten fast ausnahmslos die Bedeutung grundsätzlicher Entscheidungen für die Auffassung der gewerkschaftlichen Aufgabe und insbesondere die Stellung zu der Politik und der sozialdemokratischen Partei. Dies gilt in erster Linie für den Antrag wegen Errichtung einerZentralstelle für Arbeiterversicherung und Arbeiterschutz. Wie früher erwähnt, war der Vorschlag, das Interesse der Arbeiter an den Gewerkschaften dadurch zu heben, daß diese sich mit Arbeiterschutzfragen beschäftigen sollten, zuerst vonQuarckgemacht, hatte aber einen großen Entrüstungssturm hervorgerufen. Trotzdem hatte eine von den Redakteuren der Gewerkschaftspresse am 17. August 1898 in Gotha abgehaltene Konferenz den Beschluß gefaßt, dem Kongresse etwas ganz Aehnliches zu empfehlen, nämlich zu beantragen, daß in Verbindung mit der Generalkommission eine Zentralstelle errichtet werde, welche die Arbeiterversicherungs- und Arbeiterschutzgesetze in gemeinverständlicher Weise für die Gewerkschaftspresse bearbeiten und dadurch eine nutzbringende Beeinflussung der Ausgestaltung und Handhabung herbeiführen, sowie endlich die Wahlen der Arbeitervertreter zu den Versicherungskörperschaften organisieren sollte. Wie begreiflich stieß dieser von dem bestellten ReferentenBringmannbefürwortete Antrag auf den entschiedensten Widerspruch derjenigen Richtung, welche ängstlich darüber wachen zu müssen glaubt, daß die Gewerkschaften sich nicht etwa zu Konkurrenten der sozialdemokratischen Partei entwickeln und ihrer Oberleitung entziehen könnten. Der Hauptwortführer dieser Anschauung, der Redakteur des „Vorwärts“,Pötzschsah in dem Antrage ein Mißtrauen gegenüber der Reichstagsfraktion, und obgleich insbesondere von den Buchdruckern betont wurde, daß die Gewerkschaften „nicht ein Anhängsel irgend einer politischen Partei, sondern vollkommen „selbstständige Institutionen“ seien, welche die Verpflichtung hätten, je nach ihrer Stärke und ihrem Einfluße auf dem Wirtschaftsgebiete die höchsten Probleme wirtschaftlicher und sozialer Fragen praktisch in Angriff zu nehmen und zu beeinflussen“, so gelang es doch nicht, diesen Standpunkt zur völligen Anerkennung zu bringen, vielmehr beschränkte man sich schließlich darauf, unter die später zu erwähnenden Aufgaben der Generalkommission auch die Aufklärung der Arbeiter über die Bedeutung der Arbeiterversicherung und eine Einflußnahme auf die betreffenden Wahlen aufzunehmen.

Von nicht geringerer prinzipieller Bedeutung waren die Verhandlungen über die Frage derArbeitsvermittlung. Es kann nicht wohl zweifelhaft sein und ist auch eigentlich niemals bestritten, daß diese, rein technisch betrachtet, d. h. lediglich mit Rücksicht auf ihren Zweck eines Ausgleiches zwischenAngebot und Nachfrage, am besten wirken wird, wenn die beiden beteiligten wirtschaftlichen Gruppen, Unternehmer und Arbeiter, an ihr gleichmäßig beteiligt sind und jede Nebenabsicht, insbesondere die Verwendung im einseitigen Interesse einer von beiden Parteien fern gehalten wird. Aber bisher haben beide Teile sich noch nicht entschließen können, die Arbeitsvermittlung auf ihre angegebene natürliche Aufgabe zu beschränken und auf ihre Verwendung als wirtschaftlichen Kampfmittels zu verzichten.

Anfangs hatten in erster Linie die Arbeiter und insbesondere die Gewerkschaften sich auf diesen Standpunkt gestellt und z. B. auf dem von dem Freien deutschen Hochstift berufenen, am 8. Oktober 1893 in Frankfurt a. M. abgehaltenen Kongresse zur Verhandlung über Arbeitslosigkeit und Arbeitsvermittlung die von neutraler Seite gemachten Vorschläge der Uebertragung dieser Aufgabe auf staatliche und gemeindliche Organe entschieden bekämpft. Auch der Berliner Gewerkschaftskongreß hatte die gleiche Stellung eingenommen und beschlossen, daß „jede Erwägung der Möglichkeit einer gemeinsam geführten Arbeitsvermittlung zwischen Arbeitern und Arbeitgebern grundsätzlich abzulehnen“ sei. Inzwischen hatten auch die meisten Unternehmerorganisationen diese Auffassung sich zu eigen gemacht und auf der am 5. September 1898 in Leipzig abgehaltenen, von dem Arbeitgeberbunde Hamburg-Altona einberufenen Arbeitsnachweiskonferenz im Gegensatz zu der von dem Verbande der deutschen Arbeitsnachweise veranstalteten gleichartigen Versammlung in München vom 27. bis 28. September 1898 beschlossen, den Arbeitsnachweis ausschließlich für die Unternehmer in Anspruch zu nehmen. Auf dem Gewerkschaftskongresse waren die Ansichten geteilt. Von dem ReferentenLeipart(Holzarbeiter) wurde der in Berlin gefaßte Beschluß als ein „übertriebener Radikalismus“ bezeichnet, „der unserer Gewerkschaftsbewegung ganz und gar nicht ansteht“ und an der Hand umfaßenden Materials bewiesen, daß nicht allein schon viele Gewerkschaften gemeinsam mit den Unternehmern Arbeitsnachweise eingerichtet, sondern daß sogar die sozialdemokratische Fraktion durch ihre Anträge auf Schaffung von Arbeitskammern und Arbeitsämtern diese Forderung aufgenommen habe; deshalb seien in erster Linie kommunale Anstalten zu empfehlen. Von der Gegenseite, insbesondere vonPötzschwurde nicht allein dieser letztere Vorschlag unter Hinweis darauf bekämpft, daß nach der bestehenden Gesetzgebung in den Gemeindeverwaltungen der überwiegende Einfluß in den Händen der Unternehmer liege, sondern überhaupt daran festgehalten, daß grundsätzlich die Arbeitsvermittlung in die Hände der Arbeiter gehöre.

Das Ergebnis der ausgedehnten Verhandlungen war ein Beschluß, der freilich prinzipiell den radikalen Standpunkt billigt, aber doch sowohl paritätische wie kommunale Arbeitsnachweise zuläßt. Der Wortlaut ist folgender:

„Die gewerkschaftliche Arbeitsvermittlung ist ein wertvolles Mittel zu Hebung der Lage der Arbeiter und zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz. Der Kongreß hält deshalb nach wie vor an dem grundsätzlichen Standpunkt fest, daß der Arbeitsnachweis den Arbeiterorganisationen gebührt.

Die Mitwirkung von Staat und Gemeinde bei der Arbeitsvermittlung kann deshalb nur darauf beschränkt sein, die Mittel für die dazu notwendigen Einrichtungen und deren Erhaltung zur Verfügung zu stellen.

Der Kongreß erkennt dagegen an, daß es unter den gegenwärtig bestehenden Verhältnissen an manchen Orten für eine Reihe von Berufen von Vorteil sein kann, sich an kommunalen Arbeitsnachweisen zu beteiligen. Dieselben sind jedoch nach folgenden Grundsätzen auszugestalten:

a) Verwaltung durch eine von in gleicher Zahl von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern je in freier Wohl gewählten direkten Vertretern, zusammengesetzte Kommission, unter Leitung eines unparteiischen Vorsitzenden;

b) Führung der Geschäfte durch aus den Reihen der Arbeiter hervorgegangene Beamte; Wahl derselben durch die Verwaltungskommission;

c) Ablehnung der Vermittlung von Arbeitskräften an solche Arbeitgeber und Dienstherren, welche notorisch ihre Pflichten als Arbeitgeber nicht erfüllen, sowie an solche Arbeitgeber, welche bei ausbrechenden Differenzen mit ihren Arbeitern in keine Verhandlungen zur Beilegung derselben mit der zuständigen Arbeiterorganisation eintreten wollen;

d) genaue Feststellungen über die Lohnbedingungen und Veröffentlichung derselben mit den übrigen Ergebnissen der Arbeitsnachweisstatistik;

e) vertragsmäßige Verpflichtung der Arbeitgeber, die vor dem Arbeitsamt angegebenen Arbeits- und Lohnbedingungen noch erfolgter Anstellung auch zu erfüllen, um den Arbeiter oder Dienstboten vor Täuschung oder Benachteiligung zu schützen;

f) vollständige Gebührenfreiheit und Uebernahme der gesamten Kosten auf die Gemeinde- oder Staatskasse.

Wo kommunale Arbeitsämter errichtet werden, hat die organisierte Arbeiterschaft ihren berechtigten Einfluß geltend zu machen und für die Durchführung vorstehender Forderungen einzutreten, ohne daß die einzelne Gewerkschaft verpflichtet werden kann, den etwa bestehenden, gut funktionierenden Facharbeitsnachweis ohne besonderen Grund aufzuheben. Derartige Facharbeitsnachweise sind jedoch möglichst mit dem städtischen Arbeitsamt in Verbindung zu bringen, um eine vollständige Arbeitsnachweisstatistik zu ermöglichen.

Paritätische Arbeitsnachweise sind nicht zu verwerfen, wenn es dadurch den Arbeitern gelingt, zugleich ihre Lohn- und Arbeitsverhältnisse günstiger und stabiler zu gestalten.

In den Arbeitsnachweisen der Innungen fällt den gewerkschaftlich organisierten Arbeiten ebenfalls die Aufgabe zu, diese, wenn sie einmal geschaffen, nach Möglichkeit im Interesse der Arbeiter auszugestalten.“

Auch bei dem ferneren Beratungsgegenstande, der Stellung derGewerkschaftskartelle, handelte es sich um den Gegensatz zwischen der radikalen und der gemäßigten Richtung. Die Kartelle, d. h. die örtlichen Vereinigungen aller dort vertretenen Gewerkschaften bilden offenbar einen Ansatz zu der Verschmelzung der Arbeiter zu einer umfassenden Organisation ohne Unterschied des Berufes, wie sie in England R.Owenin seinerConsolidated trades union[82]angestrebt hatte, wie sie den „Internationalen Gewerksgenossenschaften“[83]zu Grunde lag, wie man sie in Amerika in derNational labour union[84]versucht hatte und wie sie auch auf dem Halberstädter Gewerkschaftskongresse als Ideal empfohlen war, das man unter Ueberwindung des „Berufsdünkels und Kastengeistes“ erreichen müsse[85]. Aber ferner ist es eine längst beobachtete Thatsache der praktischen Erfahrung, daß bei Streitigkeiten zwischen Unternehmern und Arbeitern ein Ausgleich leichter möglich ist, solange der Streik auf die unmittelbar Beteiligten beschränkt bleibt, als wenn Berufsfremde sich einmischen[86]. So hatten auch die Gewerkschaftskartelle schon wiederholt die Fortsetzung von Streiks durchgesetzt, die von den Nächstbeteiligten längst als aussichtslos erkannt waren. War schon aus diesem Grunde die gemäßigte Richtung ihnen nicht günstig gesinnt, so hatten sie sich eine weitere Gegnerschaft dadurch geschaffen, daß sie in einer Art Rivalitätsstellung gegen die Vorstände der Zentralorganisationen getreten waren. Am schärfsten zugespitzt hatte sich dieser Gegensatz in der seitens der Kartelle erhobenen Forderung, auf dem Kongresse eine besondere Vertretung zu erhalten, die sie, nachdem die Generalkommission dies verweigert hatte, durch die Drohung durchzusetzen suchten, einen eigenen Sonderkongreß zu berufen. Auf dem Kongresse bezeichnete die insbesondere durch den ReferentenPäplow(Maurer) vertretene gemäßigte Richtung die Kartelle geradezu als ein „notwendiges Uebel“ und betonte, daß es zwecklos, ja schädlich sei, innerlich bereits verlorene Streiks noch künstlich halten zu wollen, daß überhaupt ein Streik nur dann berechtigt sei, wenn die Organisation die erforderlichen Mittel besitze, um ihn aus eigener Kraft durchzuführen, und daß nichtstets der Klingelbeutel umhergehen dürfe, daß aber die jetzigen Zustände gerade durch die mit dem Eingreifen der Kartelle verbundene Regellosigkeit der Streikunterstützung herbeigeführt seien. Demgemäß forderte man vor Allem, daß den Kartellen jeder Einfluß auf die Streiks entzogen werde, was insofern mit einer gewissen Schwierigkeit verknüpft war, als jene sich wesentlich um die Beschaffung der Streikgelder bemüht hatten und es deshalb der Billigkeit zu entsprechen schien, ihnen auch einen Einfluß auf den Verlauf der Streiks einzuräumen. Trotzdem stellte sich schließlich der Kongreß im wesentlichen auf diesen Standpunkt, indem er folgenden Beschluß einstimmig annahm:

„Die Gewerkschaftskartelle haben die gemeinsamen gewerkschaftlichen Interessen ihres Ortes zu vertreten, wie Regelung des Arbeitsnachweises und des Herbergswesens, der Statistik, Bibliotheken, Errichtung von Arbeitersekretariaten &c. Sie haben die Arbeiterinteressen gegenüber den Behörden: Gewerbeinspektion, Gemeindeverwaltung &c. und bei Wahlen zu Gewerbegerichten und Versicherungsanstalten zu wahren. Sie haben weiter im Einverständniß mit den betr. Organisationsleitungen die Agitation unter den Berufen, deren Organisation aus eigener Kraft dazu nicht im Stande sind, zu unterstützen.

Die Beschlußfassung über Streiks ist ausschließlich Aufgabe der Vorstände der Zentralverbände.

Die Kartelle sind verpflichtet, dem Zentralvorstand der Organisation, die am Orte in einen Streik eintreten will oder sich im Streik befindet, auf Erfordern einen Situationsbericht zu geben. Materielle Unterstützung für Streiks wird seitens des Kartells nur dann gewährt, wenn der Zentralvorstand, der im Streik befindlichen Organisation dies beantragt oder seine Zustimmung erteilt hat. Ueber die Taktik bei Lohnbewegungen und bei auftauchenden Fragen innerhalb ihres Gewerbes entscheidet die betreffende Gewerkschaft selbstständig.“

Von je her hat dasKassenweseneinen Prüfstein dafür geboten, ob Arbeiterorganisationen sich auf den gemäßigten, rein gewerkschaftlichen oder auf den politisch-revolutionären Standpunkt stellen. Sind auch in der deutschen Gewerkschaftsbewegung die Angriffe auf „Kassensimpelei“ allmählich fast verstummt, indem man den Wert der Kassen für einen festen und gleichmäßigen Mitgliederbestand zu schätzen gelernt hat, so hat doch noch bis in die neueste Zeit der Radikalismus an einem Punkte den Kampf fortgesetzt, nämlich hinsichtlich derArbeitslosenunterstützung. Hier glaubte man geltend machen zu können, daß es Pflicht des Staates sei, für die Arbeitslosen zu sorgen, und daß die Arbeiterklasse gar keine Veranlassung habe, dem Staate diese Last abzunehmen. Aber obgleich auch bürgerliche Sozialreformer[87]aus diesem Grunde die staatlicheArbeitslosenversicherung gefordert haben, so hat doch in gewerkschaftlichen Kreisen immer mehr die Ansicht die Oberhand gewonnen, daß gerade die Arbeitslosenunterstützung ein unentbehrliches Mittel sei, um die Organisationen stark und leistungsfähig zu machen; und nachdem schließlich auch die Metallarbeiter auf ihrem 1898 in Braunschweig abgehaltenen Kongresse ihren früheren abweichenden Standpunkt aufgegeben hatten, konnte man von einer Streitfrage kaum mehr sprechen. Immerhin ist es von Interesse, daß der Gewerkschaftskongreß die Generalkommission beauftragte, bei den einzelnen gewerkschaftlichen Organisationen auf die Durchführung der Arbeitslosenunterstützung hinzuwirken.

Nach einem Referate vonLegienüber dasKoalitionsrechtbeschloß der Kongreß einstimmig, gegen jede Beeinträchtigung desselben zu protestieren, wobei darauf hingewiesen wurde, daß den heutigen Verhältnissen nicht mehr der individuelle, sondern nur noch der kollektive Abschluß des Arbeitsvertrages durch die beiderseitigen Organisationen entspreche, daß auch die organisierten Arbeiter stets eine friedliche Vereinbarung gesucht hätten, bevor sie zum Streik griffen, daß aber, von einigen Ausnahmen abgesehen, die Unternehmer es rücksichtslos zurückgewiesen hätten, die Organisation der Arbeiter als berechtigten Faktor bei der Festsetzung der Arbeitsbedingungen anzuerkennen, dadurch aber jede friedliche Verständigung abgelehnt und die Arbeiter zum Streik gezwungen hätten.

Hinsichtlich derGewerbeinspektionwurde beschlossen, den Arbeitern die Bildung von Beschwerdekommissionen in Anschluß an die Gewerkschaftskartelle zu empfehlen, um durch diese mit den Aufsichtsbeamten mündlich in Beziehung zu treten, „wobei die mancherlei Eigentümlichkeiten jener Beamten in Kauf zu nehmen sind“. Sehr gerühmt wurde dabei die in Württemberg bestehende Einrichtung, daß jährlich ein Mal eine Konferenz zwischen sämtlichen Gewerbeaufsichtsbeamten und den Vertretern der Arbeiterorganisationen stattfindet. Man forderte übrigens die Ausdehnung der Gewerbeinspektion auf Handwerk, Klein- und Hausindustrie, Handel, Transport und Verkehr, Vermehrung der Beamten unter Zuziehung von Gehülfen und Gehülfinnen aus Arbeiterkreisen, Ausstattung der Beamten mit eigenem Vollzugsrecht und voller Unabhängigkeit sowie Zentralisierung in einer Reichsinspektion.

DieArbeitersekretariatewurden als ein bedeutsamer Fortschritt der Arbeiterorganisation anerkannt, gleichwohl aber von Ueberhastung bei deren Gründung gewarnt, so lange nicht die erforderlichen erheblichen Geldmittel sichergestellt seien.

Die Lage derGewerkschaftsbeamten, zu denen vor allem auch die Redakteure der Fachblätter gehören, war bisher eine sehr unbefriedigende gewesen, indem nicht allein ihre Gehälter sehr gering bemessen, sondern insbesondereein Recht auf Pension nicht anerkannt war. Von dem ReferentenRexhäuser(Buchdrucker) wurde unter Berufung auf die Ausführung von S. u. B.Webb[88]darauf hingewiesen, daß die englischen Gewerkvereine nicht eher zu durchgreifender Bedeutung gelangt seien, als bis sie durch Anstellung ständiger und gut bezahlter Beamten sich Personen von einer höheren Bildung geschaffen hätten, als sie ein gewöhnlicher Arbeiter besitzen könne. Es sei nicht mehr angängig, gemaßregelte Arbeiter ohne Rücksicht auf ihre Fähigkeiten durch solche Stellungen zu versorgen, und wenn von gegnerischer Seite der Einwand erhoben sei, daß Beamten dieser Art „das proletarische Gefühl verloren gehe,“ so sei dies nicht als maßgebend anzusehen. In der That fand auf dem Kongresse der Standpunkt des Referenten keinen Widerspruch, vielmehr wurde mit allen gegen vier Stimmen beschlossen, den Gewerkschaften die Befolgung dieser Grundsätze, insbesondere die bessere Bezahlung und demnächstige Pensionierung ihrer Beamten zur Pflicht zu machen.

Den letzten Gegenstand der Tagesordnung bildeten die Aufgaben derGeneralkommission. Während 1876 in Berlin die Existenzberechtigung einer solchen Zentralinstanz stark in Frage gestellt und schließlich nur mit einer geringen Mehrheit anerkannt wurde, war jetzt von einem solchen Zweifel keine Rede mehr, vielmehr wurde deren Wirkungskreis nicht unerheblich erweitert, indem man ihr die Aufgabe zuwies, in dem zu vergrößernden „Correspondenzblatte“ ein Zentralorgan für die ganze Organisationsbewegung zu schaffen, insbesondere nicht nur alles auf die deutschen Gewerkschaften bezügliche Material zu sammeln, sondern ebenso die Unternehmerorganisationen und die ausländische Entwickelung, sowie endlich die internationalen Beziehungen zu verfolgen[89]. Zu diesem Zwecke wurde beschlossen, außer den bisherigen beiden besoldeten Beamten der Generalkommission noch einen dritten fest anzustellen. Die Zahl der Mitglieder wurde von fünf auf sieben erhöht. Der Gewerkschaftsausschuß wurde beibehalten, ebenso der Beitrag von 3 Pf. Ueber einen Antrag der Hamburger Buchbinder auf Gründung eines Gewerkschaftsbundes- und einer Streik-Reservekasse, wurde zur Tagesordnung übergegangen. Der ablehnende Standpunkt gegenüber den Lokalorganisationen wurde von neuem festgelegt durch den Beschluß, dieselben nur insoweit zu den Gewerkschaftskongressen zuzulassen, wie sie verhindert sind, sich zentral zu organisieren.

Der Wortlaut des gefaßten Beschlusses ist folgender:

„Der Gewerkschaftskongreß wählt die aus sieben Mitgliedern bestehende„Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands.“ Zur Unterstützung derselben wird von den Zentralvorständen der Gewerkschaften, die regelmäßig Beiträge an die Generalkommission zahlen, und den dazu berechtigten Lokalorganisationen je ein Vertreter ernannt. Diese Vertretung führt den Namen „Gewerkschaftsausschuß.“ Der Zusammentritt dieses Ausschusses hat nach Bedarf, mindestens aber vierteljährlich einmal, zu erfolgen.

Jede Gewerkschaft hat vierteljährlich an die Generalkommission einen Beitrag von 3 Pf. pro Kopf ihrer Mitglieder zu zahlen.

Am Anfang einer Geschäftsperiode der Generalkommission sind in einer gemeinsamen Sitzung mit dem Gewerkschaftsausschuß eine Geschäftsordnung für den Ausschuß, die Verteilung der Aemter der Generalkommission und eventuelle Besoldungen und Remunerationen festzusetzen.

Die Aufgaben der Generalkommission sind:

1. Die gewerkschaftliche Agitation namentlich in denjenigen Gegenden, Industrien und Berufen, deren Arbeiter nicht oder nicht genügend organisiert sind, zu fördern und den Zusammenschluß kleiner, existenzunfähiger Verbände und Lokalorganisationen zu leistungsfähigen Zentralverbänden anzustreben.

2. Die von den Gewerkschaften aufgenommenen Statistiken, soweit sie allgemeines Interesse haben, zusammenzustellen und solche über Stärke, Leistungen und Entwickelung der Gewerkschaften, sowie solche über sämtliche Streiks selbstständig aufzunehmen.

3. Ein Blatt herauszugeben und den Vorständen der Zentralvereine in genügender Zahl zur Versendung an deren Zahlstellen, sowie den Gewerkschaftskartellen und Agitationskomissionen zuzusenden, welches die Verbindung sämtlicher Gewerkschaften mit ihr zu unterhalten, die nötigen Bekanntmachungen zu veröffentlichen und, soweit geboten, deren rechtzeitige Bekanntmachung in der Tagespresse herbeizuführen hat. Kurze Publikationen sind der Arbeiterpresse zur Veröffentlichung direkt zuzusenden.

4. Pflege der internationalen Beziehungen zu den Gewerkschaften anderer Länder, sowie Sammlungen und Nutzbarmachung des über Entstehung und Entwickelung dieser Beziehungen in den einzelnen Gewerkschaften vorhandenen Materials.

5. Soweit die der Generalkommission zur Verfügung stehenden Mittel hierzu ausreichen und die Gewinnung geeigneter Personen hierfür möglich:

a) Sammlung und Nutzbarmachung des in den amtlichen Publikationen des Reiches, der Einzelstaaten und Gemeinden (als Statistik des Deutschen Reiches, Jahresberichte der Fabrikinspektoren, der statistischen Landes- und städtischen Aemter &c.), ferner in den Berichten der Handels- und Gewerbekammern, der Versicherungsbehörden, Krankenkassen &c., sowie in Zeitschriftenund sonstigen Druckwerken sich immer mehr anhäufenden Agitationsmaterials speziell für die Gewerkschaftsbewegung.

b) Erweiterung des „Correspondenzblattes,“ so daß dasselbe eine regelmäßige Uebersicht über alle Vorgänge in den deutschen wie auch ausländischen Gewerkschaften, über die Streikbewegung, über die innere Einrichtung und Verwaltung der verschiedenen Organisationen, über wichtigere Diskussionen in den Fachblättern, besondere Eigentümlichkeiten einzelner Berufe und deren Einwirkung auf die Organisation, Auszüge aus den regelmäßigen Abrechnungen der einzelnen Verbände, Berichte über die Geschäftslage, über die Unternehmerorganisationen, über wichtige Prozesse etc., sowie auch das nach der Aufgabe unter a) bearbeitete Material enthält.

c) Herausgabe eines Jahresberichtes der Generalkommission, welcher als Handbuch für alle wichtigeren Vorkommnisse im Geschäftsleben von den Gewerkschaftsbeamten, Redakteuren, Rednern, wie von allen Mitgliedern und sonstigen Interessenten benutzt werden kann. In dem Jahresberichte sind die jährlichen statistischen Ausweise über die Zahl und Stärke der deutschen Gewerkschaften und deren Einnahmen und Ausgaben nebst der Streikstatistik zu veröffentlichen.

d) Die Aufklärung der Arbeiter durch geeignete Publikationen über die Bedeutung der staatlichen Arbeiterversicherung und die Wahl der Arbeitervertreter zu den hier in Betracht kommenden Körperschaften; ferner: Leitung aller diesbezüglichen Wahlen, welche die Einwirkung von einer Zentralstelle aus erfordern.

6. Die allgemeinen deutschen Gewerkschaftskongresse einzuberufen und die hierzu nötigen Vorarbeiten zu erledigen.

Diese Kongresse sind nach Bedürfnis, mindestens jedoch alle drei Jahre, einzuberufen. Auf Antrag der Hälfte der bei der Generalkommission angeschlossenen Gewerkschaften ist die Generalkommission verpflichtet, einen Kongreß einzuberufen.

Zur Teilnahme an diesen Kongressen sind sämtliche Zentralorganisationen und solche Lokalorganisationen berechtigt, welche verhindert sind, sich zentral zu organisieren. Ausgeschlossen von der Teilnahme an den Kongressen sind alle Gewerkschaften, welche ohne genügende Entschuldigung mit drei Quartalsbeiträgen im Rückstande sind.

Die Gewerkschaften sind berechtigt, für je 3000 Mitglieder einen Delegierten zu wählen. Kleinere Gewerkschaften wählen einen Delegierten. Wichtige Anträge entscheidet die Zahl der durch die Delegierten vertretenen Mitglieder. Die Generalkommission kann zu denjenigen Berufskongressen, wo es nötig erscheint, einen Vertreter entsenden.“

Für die prinzipielle Bedeutung des Kongresses ist von großem Interesse das Schlußwort des VorsitzendenBömelburg. Er betonte den ungemeinen Fortschritt, den die Gewerkschaftsbewegung seit den früheren beiden Kongressen gemacht habe; die damals erörterten Streitfragen hätten längst aufgehört, solche zu sein, insbesondere werde die Notwendigkeit, die Macht der deutschen Gewerkschaftsbewegung in einer einheitlichen Spitze zum Ausdruck zu bringen, von keiner Seite mehr beanstandet, ja die „dunkeln Pläne“ der Generalkommission, die damals so heftige Angriffe erfahren hätten[90], seien auf diesem Kongresse verwirklicht. Die Gegner der Arbeiterbewegung suchten zwischen der gewerkschaftlichen und der politischen einen Gegensatz zu konstruieren. Das Verhältnis beider sei so zu bezeichnen, daß die Gewerkschaften keinerlei Zwang hinsichtlich der politischen und religiösen Ueberzeugung auszuüben versuchten, daß sie konservative freisinnige, ultramontane, protestantische, katholische und atheistische Mitglieder willkommen hießen, daß aber bisher in der deutschen gewerkschaftlichen Bewegung die Sozialdemokratie als die beste Vertreterin der arbeitenden Bevölkerung betrachtet sei und dies auch für die Folgezeit wohl so bleiben werde. Deshalb seien auch die Mitglieder der Gewerkschaften zum größten Teile Sozialdemokraten und erhofften die Herbeiführung einer durchgreifenden Verbesserung der Lage des arbeitenden Volkes von der Ersetzung der bisherigen kapitalistischen durch die kollektivistische Wirtschaftsordnung.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Frankfurter Kongreß einen großen äußeren und inneren Fortschritt der deutschen Gewerkschaftsbewegung bedeutet. Man hat sich von vielen Vorurteilen der früheren Zeit losgesagt und mit der Macht der Phrase, insbesondere der revolutionären Phrase endgültig gebrochen, indem man sich klar und offen auf den allein möglichen Boden aller gewerkschaftlichen Thätigkeit stellte, nämlich im Rahmen der bestehenden Verhältnisse und ohne Rücksicht auf deren Berechtigung oder Nichtberechtigung durch Zusammenfassung der Kräfte eine möglichst weitgehende Besserung in der wirtschaftlichen Lage der Arbeiterklasse herbeizuführen. Man ist sich dabei des naturgemäßen Gegensatzes gegen das Unternehmertum voll bewußt geblieben, hat aber ebensowenig verkannt, daß gemeinsame Interessen bestehen, zu deren Förderung ein Zusammenwirken mit den Arbeitgebern das innerlich berechtigte Mittel ist. Man hat endlich auch offen zum Ausdrucke gebracht, daß die aufstrebende Arbeiterschaft in denjenigen bürgerlichen Elementen, die dies als naturnotwendig und vollberechtigt anerkennen und ihrerseits zu fördern versuchen, einen wertvollen Bundesgenossen besitzt, dessen Hülfe man nicht in rauhbeinigem Selbstgefühl abweisen soll. Kurz der 3. Gewerkschaftskongreß bedeutet eine erhebliche und hoch erfreuliche Annäherung an das gewerkschaftlicheIdeal, und es ist zu hoffen, daß durch ihn die Richtung auf dieses hin endgültig und dauernd festgelegt ist. —

DieStatistik der Gewerkschaftenist, wie oben mitgeteilt, Aufgabe der Generalkommission. Diese hat sich denn auch seit ihrem Bestehen die Sammlung möglichst genauer Ziffern angelegen sein lassen, allein erst für das Jahr 1892 ist es ihr gelungen, die erforderte Auskunft von den einzelnen Verbänden bis auf einige Ausnahmen zu erhalten. Aus den früheren Jahren sind meist nur dürftige Anhaltspunkte vorhanden, mit einziger Ausnahme der bereits oben (S.209) erwähnten Privatarbeit des Hamburger Buchhändlers A.Geibaus dem Jahre 1877, die in Nr. 4 des „Pionier“ am 26. Januar 1878 veröffentlicht ist und auf gute Quellen gegründet zu sein scheint.

Nach dieser Zusammenstellung gab es 1877 30 Organisationen, darunter 25 Zentralverbände mit 1266 Zweigvereinen und 5 Lokalvereinen. Die Mitgliederzahl betrug 49055, die durchschnittliche Monatseinnahme 33551 Mk. Von dem monatlichen Ueberschusse zu rund 8000 Mk. entfielen allein 3538 Mk. auf die Buchdrucker. Es erschienen 15 Gewerkschaftsblätter mit 37025 Abonnenten. Die damalige Anzahl der in den betreffenden Berufen vorhandenen Arbeiter wird auf 2000000 angegeben, so daß etwa 2½% organisiert waren. Nur die Buchdrucker und die Schiffszimmerer erreichten eine Beteiligung von etwa der Hälfte aller Beschäftigten. Die absolut stärkste Vereinigung war die der Tabakarbeiter mit 8100 Mitgliedern in 170 Orten.

NachZachersoll die Anzahl der unter sozialdemokratischem Einflusse organisierten Arbeiter im Jahre 1886: 81200, im Jahre 1888: 89700 und im Jahre 1889: 121647 betragen haben.

Oldenberghat in seinem Artikel „Gewerkvereine“ im Ergänzungsbande des Handw. d. St.-W. S. 384 ff. aus den an den Minister erstatteten Berichten der Polizeibehörden geschöpft, die zum Teil von den Angaben der Generalkommission abweichen und zwar meist höher sind, da sie auch die lokalorganisierten Arbeiter umfassen.Oldenbergberechnet nach diesen beiden Quellen folgende Durchschnittszahlen:


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