Zwanzigster Auftritt
Lisette. Der Reisende. Christoph.
Lisette. O mein Herr, was stiften Sie bei uns für Unruhe! Was hat Ihnen denn unser Vogt getan? Sie haben den Herrn ganz rasend auf ihn gemacht. Man redt von Bärten, von Dosen, von Plündern; der Vogt weint und flucht, daß er unschuldig wäre, daß Sie die Unwahrheit redten. Der Herr ist nicht zu besänftigen, und jetzt hat er sogar nach dem Schulzen und den Gerichten geschickt, ihn schließen zu lassen. Was soll denn das alles heißen?
Christoph. Oh! das ist alles noch nichts, hör Sie nur, hör Sie, was er jetzt gar mit mir vorhat—
Der Reisende. Ja freilich, meine liebe Lisette, ich habe mich übereilt. Der Vogt ist unschuldig. Nur mein gottloser Bedienter hat mich in diese Verdrüßlichkeiten gestürzt. Er ist's, der mir meine Dose entwandt hat, derenwegen ich den Vogt im Verdacht hatte; und der Bart kann allerdings ein Kinderspiel gewesen sein, wie er sagte. Ich geh, ich will ihm Genugtuung geben, ich will meinen Irrtum gestehn, ich will ihm, was er nur verlangen kann—
Christoph. Nein, nein, bleiben Sie! Sie müssen mir erst Genugtuung geben. Zum Henker, so rede Sie doch, Lisette, und sage Sie, wie die Sache ist. Ich wollte, daß Sie mit Ihrer Dose am Galgen wäre! Soll ich mich deswegen zum Diebe machen lassen? Hat Sie mir sie nicht geschenkt?
Lisette. Ja freilich! und sie soll Ihm auch geschenkt bleiben.
Der Reisende. So ist es doch wahr? Die Dose gehört aber mir.
Lisette. Ihnen? das habe ich nicht gewußt.
Der Reisende. Und also hat sie wohl Lisette gefunden? und meineUnachtsamkeit ist an allen den Verwirrungen schuld? (Zu Christophen.)Ich habe Euch auch zuviel getan! Verzeiht mir! Ich muß mich schämen,daß ich mich so übereilen können.
Lisette (beiseite). Der Geier! nun werde ich bald klug. Oh! er wird sich nicht übereilt haben.
Der Reisende. Kommt, wir wollen—
Einundzwanzigster Auftritt
Der Baron. Der Reisende. Lisette. Christoph.
Der Baron (kömmt hastig herzu). Den Augenblick, Lisette, stelle demHerrn seine Dose wieder zu! Es ist alles offenbar; er hat allesgestanden. Und du hast dich nicht geschämt, von so einem MenschenGeschenke anzunehmen? Nun? wo ist die Dose?
Der Reisende. Es ist also doch wahr?—
Lisette. Der Herr hat sie lange wieder. Ich habe geglaubt, von wemSie Dienste annehmen können, von dem könne ich auch Geschenke annehmen.Ich habe ihn sowenig gekannt, wie Sie.
Christoph. Also ist mein Geschenk zum Teufel? Wie gewonnen, so zerronnen!
Der Baron. Wie aber soll ich, teuerster Freund, mich gegen Sie erkenntlich erzeigen? Sie reißen mich zum zweitenmal aus einer gleich großen Gefahr. Ich bin Ihnen mein Leben schuldig. Nimmermehr würde ich, ohne Sie, mein so nahes Unglück entdeckt haben. Der Schulze, ein Mann, den ich für den ehrlichsten auf allen meinen Gütern hielt, ist sein gottloser Gehilfe gewesen. Bedenken Sie also, ob ich jemals dies hätte vermuten können! Wären Sie heute von mir gereiset—
Der Reisende. Es ist wahr—so wäre die Hilfe, die ich Ihnen gestern zu erweisen glaubte, sehr unvollkommen geblieben. Ich schätze mich also höchst glücklich, daß mich der Himmel zu dieser unvermuteten Entdeckung ausersehen hat; und ich freue mich jetzt so sehr, als ich vorher, aus Furcht zu irren, zitterte.
Der Baron. Ich bewundre Ihre Menschenliebe, wie Ihre Großmut. O möchte es wahr sein, was mir Lisette berichtet hat!
Zweiundzwanzigster Auftritt
Das Fräulein und die Vorigen.
Lisette. Nun, warum sollte es nicht wahr sein?
Der Baron. Komm, meine Tochter, komm! Verbinde deine Bitte mit der meinigen: ersuche meinen Erretter, deine Hand, und mit deiner Hand mein Vermögen anzunehmen. Was kann ihm meine Dankbarkeit Kostbarers schenken, als dich, die ich ebensosehr liebe, als ihn? Wundern Sie sich nur nicht, wie ich Ihnen so einen Antrag tun könne. Ihr Bedienter hat uns entdeckt, wer Sie sind. Gönnen Sie mir das unschätzbare Vergnügen, erkenntlich zu sein! Mein Vermögen ist meinem Stande, und dieser dem Ihrigen gleich. Hier sind Sie vor Ihren Feinden sicher und kommen unter Freunde, die Sie anbeten werden. Allein Sie werden niedergeschlagen? Was soll ich denken?
Das Fräulein. Sind Sie etwa meinetwegen in Sorgen? Ich versichereSie, ich werde dem Papa mit Vergnügen gehorchen.
Der Reisende. Ihre Großmut setzt mich in Erstaunen. Aus der Größe der Vergeltung, die Sie mir anbieten, erkenne ich erst, wie klein meine Wohltat ist. Allein, was soll ich Ihnen antworten? Mein Bedienter hat die Unwahrheit gered't, und ich—
Der Baron. Wollte der Himmel, daß Sie das nicht einmal wären, wofür er Sie ausgibt! Wollte der Himmel, Ihr Stand wäre geringer, als der meinige! So würde doch meine Vergeltung etwas kostbarer, und Sie würden vielleicht weniger ungeneigt sein, meine Bitte stattfinden zu lassen.
Der Reisende (beiseite). Warum entdecke ich mich auch nicht?—Mein Herr, Ihre Edelmütigkeit durchdringet meine ganze Seele. Allein schreiben Sie es dem Schicksale, nicht mir zu, daß Ihr Anerbieten vergebens ist. Ich bin—Der Baron. Vielleicht schon verheiratet?
Der Reisende. Nein—
Der Baron. Nun? was?
Der Reisende. Ich bin ein Jude.
Der Baron. Ein Jude? grausamer Zufall!
Christoph. Ein Jude?
Lisette. Ein Jude?
Das Fräulein. Ei, was tut das?
Lisette. St! Fräulein, st! ich will es Ihnen hernach sagen, was das tut.
Der Baron. So gibt es denn Fälle, wo uns der Himmel selbst verhindert, dankbar zu sein?
Der Reisende. Sie sind es überflüssig dadurch, daß Sie es sein wollen.
Der Baron. So will ich wenigstens soviel tun, als mir das Schicksal zu tun erlaubt. Nehmen Sie mein ganzes Vermögen. Ich will lieber arm und dankbar, als reich und undankbar sein.
Der Reisende. Auch dieses Anerbieten ist bei mir umsonst, da mir der Gott meiner Väter mehr gegeben hat, als ich brauche. Zu aller Vergeltung bitte ich nichts, als daß Sie künftig von meinem Volke etwas gelinder und weniger allgemein urteilen. Ich habe mich nicht vor Ihnen verborgen, weil ich mich meiner Religion schäme. Nein! Ich sahe aber, daß Sie Neigung zu mir, und Abneigung gegen meine Nation hatten. Und die Freundschaft eines Menschen, er sei wer er wolle, ist mir allezeit unschätzbar gewesen.
Der Baron. Ich schäme mich meines Verfahrens.
Christoph. Nun komm ich erst von meinem Erstaunen wieder zu mir selber. Was? Sie sind ein Jude, und haben das Herz gehabt, einen ehrlichen Christen in Ihre Dienste zu nehmen? Sie hätten mir dienen sollen. So wär' es nach der Bibel recht gewesen. Potz Stern! Sie haben in mir die ganze Christenheit beleidigt—Drum habe ich nicht gewußt, warum der Herr, auf der Reise, kein Schweinfleisch essen wollte, und sonst hundert Alfanzereien machte.—Glauben Sie nur nicht, daß ich Sie länger begleiten werde! Verklagen will ich Sie noch dazu.
Der Reisende. Ich kann es Euch nicht zumuten, daß Ihr besser, als der andre christliche Pöbel, denken sollt. Ich will Euch nicht zu Gemüte führen, aus was für erbärmlichen Umständen ich Euch in Hamburg riß. Ich will Euch auch nicht zwingen, länger bei mir zu bleiben. Doch weil ich mit Euren Diensten so ziemlich zufrieden bin, und ich Euch vorhin außerdem in einem ungegründeten Verdachte hatte, so behaltet zur Vergeltung, was diesen Verdacht verursachte. (Gibt ihm die Dose.) Euren Lohn könnt Ihr auch haben. Sodann geht, wohin Ihr wollt!
Christoph. Nein, der Henker! es gibt doch wohl auch Juden, die keineJuden sind. Sie sind ein braver Mann. Topp, ich bleibe bei Ihnen!Ein Christ hätte mir einen Fuß in die Rippen gegeben, und keine Dose!
Der Baron. Alles was ich von Ihnen sehe, entzückt mich. Kommen Sie, wir wollen Anstalt machen, daß die Schuldigen in sichere Verwahrung gebracht werden. O wie achtungswürdig wären die Juden, wenn sie alle Ihnen glichen!
Der Reisende. Und wie liebenswürdig die Christen, wenn sie alle Ihre Eigenschaften besäßen! (Der Baron, das Fräulein und der Reisende gehen ab.)
Letzter Auftritt
Lisette. Christoph.
Lisette. Also, mein Freund, hat Er mich vorhin belogen?
Christoph. Ja, und das aus zweierlei Ursachen. Erstlich, weil ich die Wahrheit nicht wußte; und anderns, weil man für eine Dose, die man wiedergeben muß, nicht viel Wahrheit sagen kann.
Lisette. Und wann's dazu kömmt, ist Er wohl gar auch ein Jude, so sehr Er sich verstellt?
Christoph. Das ist zu neugierig für eine Jungfer gefragt! Komm Sie nur!
(Er nimmt sie untern Arm, und sie gehen ab.)
Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Die Juden, von Gotthold EphraimLessing.