XI

XI

Es hatte über Nacht gefroren. Dünne Zweige starrten in den Himmel, dazwischen schimmerte Sonnenschein wie goldener Staub.

In diesem harten Licht vor den Fenstern eine Masse von kleinen Beinen, blauen Röckchen und roten Backen und ein fröhlicher Lärm, der von der Erde kurz zurückhallte. Die Schule war aus, und die kleine Gesellschaft quirlte vor der Tür, balgte sich, schrie und trottete schließlich in Gruppen gemächlich nach Hause.

Der Lehrer saß drinnen am Fenster und sah ihnen nach. Aber nur eine kurze Weile. Dann ging er an den Schreibtisch und legte ein Blatt Papier vor sich hin. Er wollte dichten. Das tat er in letzter Zeit öfter. Heute während der Geographiestunde war ihm ein Gedanke gekommen, so etwas von ›weitem Erdenrund‹ und ›wird mein Herz nun ganz gesund‹. Das wollte er aufschreiben. Er stützte den Kopf in die Hand und sann. So schnell ging die Sache doch nicht. Um zunächst einmal anzufangen, schrieb er mit der schwungvollen Schrift, deren er sich nur als Autor bediente, »An Marianne«. Das sah gut aus. Nun weiter! In der ersten Strophe mußte von dem unbefriedigten Suchen nach Glück gesprochen werden, »habe nun ach, Philosophie, Juristerei und Medizin« fiel ihm ein. Etwas Faustisches natürlich! Aber wie? Er schaute suchend in die Luft und wartete darauf, daß ihm ein Gedanke kommen würde.

Statt dessen aber klopfte es, und ehe Lukas Allm Zeit gefunden hatte, »Herein« zu rufen, öffnete sich die Tür und Agnes Elisabeth trat ins Zimmer.

»Guten Morgen, Herr Allm!«

Der Lehrer sprang auf.

Sie blieb vor ihm stehen.

»Ich möchte mit Ihnen sprechen!«

Lukas Allm machte eine ungeschickte Handbewegung und wies auf einen Stuhl.

»Wollen Sie, bitte ...«

Sie beachtete es nicht, sondern fragte knapp:

»Was haben Sie mit meiner Schwester?«

Natürlich war ihr Ton feindselig.

Lukas wurde rot; am Kinn fing es an und ging plötzlich bis zur Stirn hinauf.

»Ja, ja ...« stotterte er verlegen. »Ich habe sie lieb! Ich liebe sie,« verbesserte er sich.

»Und trotzdem treffen Sie sich heimlich mit ihr und bringen sie ins Gerede!?«

Daran hatte Lukas noch nie gedacht.

»Ach,« murmelte er bestürzt. »Ich ... Sehen Sie, wie es so kam ...«

Er war immer nur kommandiert worden und hatte gehorcht.

»Wir trafen uns zufällig ...« Er starrte auf den Bogen, der auf dem Tische lag. Plötzlich fiel ihm ein, daß er verlobt war und etwas unternehmen müsse. »Was soll ich denn tun?« fragte er hilflos.

Agnes Elisabeth lächelte ein wenig. Der Mann tat ihr leid.

»WennSiedas nicht wissen, dann ...«

»Wir haben uns ja verlobt,« raffte er sich zusammen.

»So?! Und Sie wollen sich heiraten?« fragte sie einfach und naiv.

Das erdrückte ihn nun wieder. So für sich hatte er ja an nichts anderes gedacht als an die feierliche Trauung und die warme Fröhlichkeit eines jungen Hausstandes. Aber die Wirklichkeit beginnen, das war doch etwas anderes. Er versuchte in den Gedanken hineinzugehen.

»Sie werden den Vormund aufsuchen, Herrn Wilhelm Craner, und werden ihn um die Hand meiner Schwester bitten!«

»Ja!« machte er bedrückt.

»Wenn Sie zurückkommen, dürfen Sie uns besuchen, um mir mitzuteilen, was Herr Craner Ihnen gesagt hat.«

Lukas Allm schwirrte es vor den Augen.

»Glauben Sie, daß er ... Ich weiß nicht, wie ich ihm das sagen soll! Ich bin, glaube ich, manchmal etwas verlegen ...«

Agnes Elisabeth wurde ungeduldig.

»Sie können auch schreiben! Aber Sie dürfen meine Schwester nicht eher wiedersehen, als bis der Vormund darüber entschieden hat. Hier ist seine Adresse.«

Sie legte einen Zettel auf den Tisch.

Lukas Allm schob den Kopf vor. »Ich danke Ihnen!« Und dann sah er zu Boden. »Nicht wahr, Sie denken nicht schlecht von mir? Ich ... Ich bin ja so ...«

Agnes Elisabeth schüttelte ruhig den Kopf; dann wandte sie sich um.

»Adieu, Herr Allm!« Die Tür schlug zu.

Der Lehrer blieb noch eine Weile stehen, dann setzte er sich an den Tisch. »An Marianne« stand da noch auf dem Papier. Er malte den Schnörkel nach. Dann plötzlich schrieb er darunter, jetzt aber mit kalligraphischer Diplomschrift: »Hochgeehrter Herr Craner!«

Aber weiter kam er vorläufig nicht; die Feder blickte hilflos auf das Papier, gerade als ob Lukas Allm vor Herrn Craner stünde.


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