Chapter 17

Me pinguem et nitidum bene curata cute vises,Cum videre volesEpicuri de grege porcum.

Me pinguem et nitidum bene curata cute vises,Cum videre volesEpicuri de grege porcum.

»Wenn du fettglänzend mich mit wohlgepflegetem BäuchleinSehen wirst, willst du beschaun ein Schwein Epicurischer Herde.«

»Wenn du fettglänzend mich mit wohlgepflegetem BäuchleinSehen wirst, willst du beschaun ein Schwein Epicurischer Herde.«

Stoiker.

Die Stoiker knüpfen in ihrer Physik ganz direkt anHeraklitund sein Urfeuer an; die neuere Stoa, deren HauptvertreterEpiktet,Senecaund der treffliche Kaiser Marc Aurel waren, knüpften auch in ihrer Ethik anHeraklitund seine Lehre von der Vergänglichkeit der Dinge und an seinen Pantheismus an, für die praktische Moral und die Weisheitslehre im engeren Sinne gehen sie auf Chrysipp zurück und verwerfen den Eklekticismus des Panaitios und Poseidónios, welche die Lehren der Stoa stark mit platonisch-aristotelischen Gedanken durchsetzt hatten. Poseidónios muss übrigens dem stoischen Ideal des Weisen, der vermöge der Hegemonie der Vernunft alles weiss, fast vollständig entsprochen haben, er wusste so ziemlich alles, was seinerzeit zu wissen war. Dass er nicht nur als Philosoph der Mathematik bedeutend war, sondern auch als Astronom wissen wir aus Ptolemaios, der durch seinen Einfluss beim geozentrischen System stehen blieb, er berechnete die Entfernung der Erde von der Sonne richtiger alsNewton. Dass er auch als Meteorologe bedeutend war, wissen wir durch eine Anzahl bei späteren Schriftstellern mitgeteilter Fragmente. Da ich für Poseidónios nicht über Studien der Originale verfüge, so verweise ich aufW. Chapelle, die »Schrift von der Welt« περι κοσμου, Neue Jahrb. für das klass. Altertum etc. B. XV, 1905 p. 529 ff. und zitiere daraus:

Poseidonios.

»Von der umfassenden Schriftstellerei des Poseidonios ist uns kein Werk erhalten. Aber seine Nachwirkung in der griechischen und römischen, auch der altchristlichen Literatur ist einzig in ihrer Art, seine überragende Bedeutung in ihrem Einfluss auf die Folgezeit nur der des Aristoteles vergleichbar.«

Jüngere Stoa, Marc Aurel.

Wie die Stoiker an Heraklit und sein Feuer für ihre Physik, oder wie es Aristoteles richtiger nennt, für ihre Physiologie anknüpfen, so tun sie das auch in ihrer Metaphysik. DerLogosdes Heraklit ist die Weltvernunft, das dem Feuer als Träger des Geschehens, der Veränderung, gegenüberstehende gemeinsame ewigeGesetz, das besonders auf ethischem Gebiet das Werden bestimmt, und eben dieselbe Rolle hat der Logos bei den Stoikern. Ist Heraklit kurz, aphoristisch dunkel, so verweilendie Stoiker sehr ausführlich bei dem Logosbegriff, der dann später, wenn auch stark modifiziert, eine so grosse Rolle beiPhilon(s. u.), den Neuplatonikern und den christlichen Gnostikern spielt. Freilich wird, gemäss eines stark materialistischen Zuges der Stoa, auch der Logos materialisiert, verkörperlicht, und die weltgestaltende Kraft wird zum Logos spermatikos, zum Weltsamen, aus dem das Welt-Lebewesen (Zoon) hervorwächst. Ganz anGiordano Brunoerinnert die Stelle bei Marc Aurel, dem philosophischen Kaiser: Der Kosmos ist vorzustellen, wieeinLebewesen, das im ununterbrochenen Zusammenhangein SeinundeineSeele hat. —

Um auf Geminos zurückzukommen, so ist von ihm noch ein astronomisches Lehrbuch εισαγωγή εις τα φαινόμενα erhalten, ich werte es höher wie Cantor, schon deswegen, weil darin eine sehr klare Schilderung des Sonnensystems desHipparcherhalten ist.

Menelaos.Ptolemaios.

In die Zeit des Trajan, also vielleicht noch vor Geminos, fälltMenelaos, Mathematiker und Astronom; auch er, wie Heron, aus Alexandria, aber durch Ptolemaios steht fest, dass er auch in Rom im Jahre 98 observiert hat. Denn Ptolemaios hat zwei seiner Fixsternbeobachtungen aufgenommen, während es sehr wahrscheinlich ist, dass er sehr viele und gewissenhafte Beobachtungen von Fixsternen ausgeführt hat, welche Ptolemaios für seinen Katalog zurechtgemacht hat, vgl. A. A. Björnbo, Eneström 1901, S. 196. Proklos teilt uns S. 345 den einfachen Beweis des Satzes mit: der grösseren Seite liegt der grössere Winkel gegenüber, s.Heron, welchen: Μενελαος ὁ Αλεξανδρευς ανευρεν και παρεδωκεν. Menelaos muss also auch über die Stoicheia der Geometrie geschrieben haben. Wenn αβγ und δεζ die Dreiecke sind und αβ = δε, αγ = δζ und βγ > εζ, so trage man εζ auf βγ auf bis η und Winkel δεζ an βη und mache βθ gleich δε, so ist (nach bc, α) βθη ≅ δεζ, undθη gleich δζ gleich αγ, somit im Dreieck θακ Seite θκ > ακ also θακ > αθκ, somit da αβθ gleichschenklig ∢ βαγ > als ∢ βθη also auch als εδζ.

Das Werk des Menelaos über die Geraden im Kreise, d. h. über Sehnenberechnung oder doppelte Sinustafeln, in 6 Büchern, ist als selbständiges Werk verloren gegangen, weil es vermutlich Aufnahme in die Tafel desPtolemaiosgefunden hat. Dagegen sind seine 3 BücherSphärikin arabischer und hebräischer Übersetzung erhalten, sie stellen die älteste uns erhaltene sphärische Trigonometrie dar. Die Sphärik enthielt die meisten elementaren Sätze über das sphärische Dreieck, und darunter auch den noch heute nach Menelaos genannten Satz über die Transversale im planen und sphärischen Dreieck, wonach die Produkte der Wechselabschnitte bezw. deren Sinus einander gleich sind. Chasles hat es als wahrscheinlich hingestellt, dass der Satz (für das plane Dreieck) schon in den Porismaten des Euklid gestanden habe. Ptolemaios hat aus diesem Satz die sphärische Trigonometrie mühelos abgeleitet.

Almagest.

Der Zeit nach müssten wir an Menelaos den Arithmetiker Nikomachos anschliessen, aber sachlich fügt sich an ihn der weitaus bekannteste und lange Zeit für den bedeutendsten gehaltene AstronomKlaudios Ptolemaiosan. Nach einer aus Arabischer Quelle stammenden Nachricht des zuverlässigen Gherard von Cremona stammt auch er aus Alexandrien. Sein Hauptwerk ist die μεγαλη συνταξις, die grosse Zusammenstellung, die Kodifikation der antiken Astronomie, inkl. der Babylonischen, das wie heute etwa die Theoria motus von Gauss das wesentliche Rüstzeug des Astronomen bildete, von den Arabern schon unter Harun al Raschid und dann gut unter Al-Mamûn von Haggag (siehe Euklid) übersetzt, und gewöhnlich mit latinisierter arabischer Bezeichnung Almagest genannt. Mehr und mehr wird es klar, dass das Werk, so bedeutsam es für die Kulturgeschichte ist, doch im grossen und ganzen tatsächlich nur eine grosse Zusammenstellung gewesen ist. Das PtolemäischeWeltsystem hat sich eigentlich bis Kepler gehalten. DennKopernikussah sich noch wegen der Annahme der Kreisbahnen gezwungen vielfach auf Ptolemaios zurückzugreifen. Freilich ist das was Ptolemaios selbst ersonnen hat, gewiss nicht sehr viel gewesen.Die Exzentrische Sonnenbahnrührt vonHipparch, derEpizykelvon Apollonios her, der damit Stillstand und Rückläufigkeit der Planeten (s. o.) befriedigend erklärte. Ptolemaios kombinierte zur Planetenbewegungstheorie die Epizykel des Apollonios mit dem Exzenter des Hipparch und liess die Planeten sich gleichförmig bewegen auf einem Kreise, der in einem Deferenzkreise rollte, dessen Zentrum sich in einem zur Erde exzentrischen Kreise bewegte. Der Almagest ist im höchsten Grade wertvoll, einerseits durch die systematische Durchführung der mathematischen Theorie für die Himmelsbewegungen, andrerseits durch die Nachrichten über die Arbeiten des Hipparch, durch die vollständige ebene Trigonometrie und die fast vollständige Sphärische Trigonometrie des rechtwinkligen Dreiecks, — es fehlt nur die Formel des Djabir (Geber) 11. Jahrh.: cos α = cos a sin γ und cot α cot γ = cos b. Die Ableitung des Additionstheorems für den (doppelten) Sinus, das Verhältnis der Sehne zum Radius, gründete er auf den nach ihm benannten Satz vom Kreisviereck für den Spezialfall, dass die eine Seite der Durchmesser ist. Von meinem subjektiven Standpunkt aus genügt mir schon die Tatsache, dass der Satz (Halma 113) nach Ptolemaios heisst, um dessen Autorschaft zu verwerfen. Er wird vermutlich in des Hipparchs Geraden im Kreise gestanden haben. Auch als Beobachter ist die Wertung des Ptolemaios in jüngster Zeit stark herabgegangen, vgl. den zit. Aufsatz vonBjörnboüber die fehlerhafte Beobachtung der Präzession und die tadelnswerte Korrektion der älteren Beobachtungen. Doch ist seine Entdeckung der Präzession des Mondes, der Evektion, nicht bestritten. Für sein Geographisches Werk war er jedenfalls auch dem Poseidonios verschuldet, dagegen ist seineKatoptrikdas bedeutendste was das Altertum auf diesem Gebiet aufzuweisen hat.

Parallelentheorie.

Durch Proklos p. 191 wissen wir, dass Ptolemaios ein Werk über Parallelentheorie geschrieben hat, es ist, wenn nicht das erste, so doch eins der ersten aus der Bibliothek, welche die 5. Forderung ins Leben gerufen hat. Der Beweis des Parallelenaxioms, den Proklos Friedl. S. 365–66 gibt, ist von Proklos fehlerhaft kritisiert. Er ist nur in der Form mangelhaft, man muss bedenken, dass Ptolemaios wie Poseidónios die Parallelen als Abstandslinien auffasst, womit der zweite Kongruenzsatz (a, b, c) die Gleichheit des Wechselwinkel ohne weiteres gibt. Sein Beweis S. 362 des vom Parallelenaxiom unabhängigen Satzes: »wenn ein Paar innerer Winkel zwei Rechte beträgt, so sind die Linien parallel« ist leider noch immer in den deutschen Lehrbüchern üblich, während von Euklid I, 27 so schlagend einfach mit I, 16 bewiesen wird.

Nikomachos von Gerasa.

Wir kehren jetzt zur Zeit des Menelaos zurück und wenden uns zuNikomachos von Gerasa, vermutlich nahe bei der im alten Testament erwähnten Stadt Bozra. Wir sehen hier recht deutlich, wie genau die Entwicklung der Mathematik mit den allgemeinen die Zeit beherrschenden Geistesströmungen zusammenhängt.

Um die Zeit des Beginns der christlichen Ära waren die tiefer angelegten Naturen der Nüchternheit der Stoischen und Epikureischen Lehren satt, die sich im Skeptizismus bis zum unvernünftigen Extrem überschlagen hatten. SchonAristoteleshat verglichen mit Platon, den ich meiner Auffassung des Grenzbegriffs gemäss, als die Vollendung des Pythagoreismus definieren könnte, einen rationalistischen Einschlag, auf den sich die Entwicklung der Naturwissenschaften und der angewandten Mathematik aufbaute, und in den genannten Philosophischen Schulen trat das ideale Element im Geistesleben der Menschheit immer mehr in den Hintergrund, bis es von den Skeptikern geradezu geleugnet wurde. Gegen diese Verflachung des Seelenlebens erhub sich nun in mächtiger Reaktion der neubelebte Idealismus. Während die trostlosen realen, die wirtschaftlichen und sozialenZustände — man denke nur an den zum Ding im römischen Recht gewordenen Sklaven — die grossen Massen des römischen, von Prätoren und Prätorianern ausgesogenen Weltreichs für die Essäischen Lehren empfänglich machte und sich das Juden-Christentum infolge seines Sozialismus rapide unter ihnen verbreitete, suchten die Gebildeten in der Rückkehr zum Idealismus der alten Schulen, der Pythagoräer und des Platons, die Befriedigung, welche sie im wirklichen Leben und in der Philosophie, die sich den faktischen Zuständen angepasst hatte, nicht fanden.

Mit dem Pythagoreismus lebt zugleich das Interesse für Zahlentheorie, für Arithmetik und für Zahlenmystik, Zahlentheologie — Θεολογουμενα της αριθμητικης. — genannt, wieder auf, und findet inNikomachosseinen wichtigsten Vertreter.

Nikomachos, Introductio.

Die Theologoumenen sind in dem fälschlich Nikomachos zugeschriebenen Sammelwerke nur fragmentarisch erhalten, das 1543 in Paris gedruckt ist. Weil das Werk von äusserster Seltenheit, ich glaube nur in einem Exemplar vorhanden, und doch von höchster Bedeutung für den Pythagoreismus und die Philosophie oder richtiger Theologie der Neupythagoräer ist, hat Fr.Ast, der verdienstliche Platoforscher, es 1817 zugleich mit dem Hauptwerk des Nikomachos, der Einführung in die Arithmetik, εισαγωγη αριθμητικη. 1817 herausgegeben, die 1538 in Paris vom selben Verlag ediert war und ebenfalls sehr selten geworden. Gestützt auf einen neuen Codex aus Zeitz hat dann 1866R. Hochedie Eisagoge ediert, höchst bedauerlicher- und schwer begreiflicherweise ohne deutsche oder lateinische Übersetzung.

Das Verdienst, die jetzigen Mathematiker auf Nikomachos hingewiesen zu haben, hat sichG. F. H. Nesselmannin seiner trefflichen »Algebra der Griechen« Berl. 1842 erworben, der ihm 34 Seiten des knapp gehaltenen Buches widmete. Er hat mit Recht hervorgehoben, dass die »Einführung in die Arithmetik« eine neue Epoche der Mathematik bezeichnet, es ist eine wirkliche»Arithmetisierung der griechischen Mathematik« welche nach Nesselmann vom 2. Jahrh. n. Chr. bis zum 14. [Maximus Planudes] gedauert hat. Wie bedeutend das Werk des Nikomachos den Zeitgenossen erschien, erhellt daraus, dass es schon im 2. Jahrh. ins Lateinische vonApulejusaus Madaura übersetzt ist, eine Schrift die fast spurlos verloren gegangen ist, vermutlich weil sie durch die Bearbeitung des Boëtius aus dem 6. Jahrh. verdrängt ist. Apulejus ist für uns insofern von Wert, als er uns die reizende Erzählung von Amor und Psyche, ein Märchen auf orientalisch-mythologischer Grundlage erhalten hat. Ob Boëtius wirklich nach dem Original oder nach der Bearbeitung des Apulejus gearbeitet, scheint mir trotz der an den Patrizier Symmachos, seinen Erzieher, gerichteten Einleitung zweifelhaft. Boëtius hat auch die Musikalische Theorie der Pythagoräer ebenfalls nachNikomachosder die Tonleiter bis zur zweiten Oktave ausgedehnt hatte, gegeben; vergl.G. FriedleinsAusgabe der Arithmetik, der »Institutio musica« nebst der sogen. Geometrie des Boëtius, dessen Abacus (Rechentisch) mit den »Apices«, den »Staubziffern« der Westaraber so viel Staub aufgewirbelt hat.

Die vom Mathematischen Standpunkt aus minderwertige Arbeit des Boëtius ist schulgeschichtlich von höchster Bedeutung, denn sie ist es gewesen, welche dem arithmetischen Unterricht der Klosterschulen zugrunde lag.

SchonM. Cantorhat sich der Ansicht des Isidorus von Sevilla, der 600 Bischof von Hispalis war und 636 gestorben ist, angeschlossen, dass wir in der Isagoge im wesentlichen das Wissen der Pythagoräer und zwar der Alt- und Neupythagoräer kodifiziert und systematisiert vor uns haben, und in diesem Sinne wirdNikomachosrichtig als derEuklidderArithmetikgekennzeichnet. Der Vergleich mit Philolaos und dem oben zit. Werk des Theon von Smyrna zeigt, dass es der Gedankenkreis der Pythagoräer ist, der uns hier übermittelt wird, wenn auch das Material durch einen an Archimedes und den anderen Grossen gebildeten Mathematiker vermehrt ist.

Nikomachos, Einleitung der Introductio.

Die Einleitung ist sowohl vonNesselmann, als vonCantorundLoriaübergangen und doch ist sie vielleicht das interessanteste. Ich werde sie an anderer Stelle ganz geben, hier hebe ich aus ihr hervor: Cap. IV, Hoche p. 9; die Arithmetik, ist dies [die Mutter der anderen Wissenschaften] nicht allein, weil wir sagten, dass sie in dem Intellekt des göttlichen Künstlers den übrigen vorangegangen sei, wie ein die Welt ordnender und vorbildlicher Plan, auf den gestützt der Werkmeister das Ganze etwa wie auf eine Vorlage und ein erstgeprägtes Vorbild das aus Materie Geschaffene in schöne Ordnung brachte und bewirkte, dass es den richtigen Zweck erreichte, sondern auch weil sie von Natur den anderen vorangeht, insofern sie die andern aufhebt, aber nicht von ihnen aufgehoben wird. (Archytas.)

Also eine in Zahlen gegebenePraestabilierte Harmonie. — Ferner: Nikomachos unterscheidet Grössen und Mengen, Cap. II. Grössen sind in einer Vorstellung zusammengefasst (ἡνωμένα) undkontinuierlich(αλληλουχουμενα ein Synonym für συνεχη), Mengen sinddiskret(διηρημενα) und in Nebeneinanderstellung (παραθεσει.) wie ein Haufen. Dann fährt er fort: da die Menge, (Anzahl) und die Grösse ihrer Natur nach notwendigerweise unendlich ist, (die Menge von einer bestimmten Wurzel [der Eins] ausgehend, lässt sich ins Unendliche fortsetzen, die Grösse von einer bestimmten Ganzheit aus geteilt, hat keinen letzten Teil und erstreckt sich dadurch ins Unendliche) die Wissenschaften aber durchaus Wissen vom Endlichen und niemals vom Unendlichen sind, so ist wohl klar, dass es von der Grösse und der Menge schlechthin keine Wissenschaft geben würde (denn unbestimmt sind beide, die Menge in bezug auf Vermehrung, die Grösse in bezug auf Verminderung) sondern nur in bezug auf etwas von beiden Abgegrenztes, und zwar von der Menge als begrenzter Vielheit und von der Grösse als begrenzter Grösse.

Hier sieht man, wie klar das Kontinuitätsproblem erfasst ist.

Noch bemerke ich, dass der so berühmte Ausdruck: Quadrivium,für die 4 Wissenschaften Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie (σφαιρικη ist nicht, wie Nesselmann sagt, Trigonometrie, sondern Astronomie), der von Boëtius aus das Ideal höherer Bildung bezeichnete, eine wörtliche Übersetzung von Kap. IV, Hoche 9 των τεσσαρων μεθοδων ist. [Archytas, Harmonik.]

Es schliesst sich an die Einleitung die Definition der Zahl an, welche wiederum zeigt, dass die Dreiteilung des Zahlbegriffs alt pythagoreisch (platonisch) ist. Die Zahl ist entweder Anzahl (Kardinalzahl, πληθος ὡρισμενον) oder Ordnungszahl (μοναδων συστημα) oder Masszahl (relative Zahl, ποσοτητος χυμα εκ μοναδων συγκειμενον der aus Einheiten zusammengesetzte Strom der Wievielheit).

Nikomachos, Introd. Buch 1.

Das 1. Buch wiederholt nur von Philolaos, Euklid und Eratosthenes gegebenes, Kap. XIII wird das Sieb des Eratosthenes beschrieben. Das Diagramm im Codex von Zeitz ist nicht nur eine Primzahlen- sondern zugleich eine Faktorentabelle, Kap. XIX, Hoche p. 51, findet sich dann das erste Diagramm des kleinen Einmaleins in der uns geläufigen Form:

βάθοςμήκοςαβγδεϛζηθιβδϛηιιβιδιϛιηκγϛθιβιειηκακδκζλδηιβιϛκκδκηλβλϛμειιεκκελλεμμενϛιβιηκδλλϛμβμηνδξζιδκακηλεμβμθνϛξγοηιϛκδλβμμηνϛξδοβπθιηκζλϛμενδξγοβπαϟικλμνξοπϟρ

Nikomachos, Introd. Buch 2.

Weit bedeutender ist das zweite Buch, es enthält eine ganz achtbare Zahlentheorie auf altpythagoreischer Grundlage, wie sichNikomachos, man vgl.A. BoeckhsPhilolaos, durchaus auch in seiner Philosophie ganz eng an Philolaos anschliesst. Zunächst kommen Betrachtungen über gewisse, schon den Altpythagoräern geläufige Beziehungen zwischen Ketten von geometrischen Reihen desselben Exponenten, die im Kap. 4 aber nichts Geringeres enthalten als denBinomischen Satz, und zwar im Grunde nach demselben Bildungsgesetz, welches im sog. Pascalschen Dreieck angewandt wird.

Es folgt dann die Lehre von den figurierten Zahlen, von denen die Dreieckszahlen (n2) und die Viereckszahlen, die Quadrate, sowie die Tetraederzahlen (n3) und Würfelzahlen, Kuben, jedenfalls allbekannt waren. Aber die Lehre von den figurierten Zahlen (σχηματιζοντες) ist bei Nikomachos, der anHypsikleseinen Vorgänger hatte, sehr ausführlich behandelt, und sie spielte, man sehe das so wichtige WerkR. Baltzers, Elem. d. Math., von da ab bisin die Mitte des 19. Jahrh. eine grosse Rolle auch im Elementarunterricht. Die p-te Polygonalzahl ist von der Form n + (p - 2)(n2) und der Gnomon im Heronschen Sinne der von n auf (n + 1) überführt ist 1 + (p - 2)n; die Figur zeigt die 5-Ecke der Seiten 1, 2, 3, 4, 5.

Die n-te (p + 1)-Eckzahl ist gleich der n-ten p-Eckzahl vermehrt um die (n - 1)te Dreieckszahl. Es handelt sich, wieman sieht, um Summation arithmetischer Reihen erster Ordnung. Interessant ist der Satz Kap. 20: n3= Σn(n - 1) + 2k - 1 wo k von 1 bis n geht. Nicht minder interessant ist Kap. 7, wo die Definitionen desPlatonundAristotelesüber Punkt, Linie, Fläche, zwar vereinigt werden, aber die Platonische benutzt wird, um aus demUrsprungder vorhergehenden die folgenden Zahlen zu definieren; die Flächenzahl ist Summe der (vorhergehenden) Linienzahlen, bezw. Reihe von ihnen, die Körperzahl wiederum von Flächenzahlen.

Proportionenlehre.

Mit Kapitel 21 beginnt dann die ganz ausführliche Lehre von den Proportionen, neu ist vielleicht die Lehre von der vollkommensten, der musikalischen a :a + b2=2aba + b: b z. B.6/9=8/12welche Pythagoras, wieJamblichossagt, ausBabylonnach Griechenland gebracht hat. Mit Unrecht tadelt Nesselmann die Definition des Verhältnis bei Nikomachos; sie heisst: Verhältnis (λογος, ratio) ist das gegenseitige Enthaltensein zweier bestimmter Grössen, denn σχεσις ist bei Nikomachos und allgemein der technische Ausdruck für die σχεσις κατα πηκλικοτητα für die Messung der einen durch die andere.

Aus dem Résumé Nesselmanns hebe ich No. 1 hervor: »Bei Nikomachos erscheint die Arithmetik zum ersten Mal frei von den Fesseln geometrischer Vorstellungen, mit denen sie bei Euklides noch behaftet ist.« (Aber kaum mehr beiHeron.)

Theon.

Auch Nikomachos teilt die altpythagoräische Ansicht, dass die unzerlegbare Eins keine Zahl sei. Diese Ansicht hat sich von Boëtius bis in die Rechenbücher des 18. Jahrh. gehalten, wenn Nikomachos sie auch nicht so klar ausgesprochen hat, wie der vielleicht etwas ältere AstronomTheonvon Smyrna in seinem schon mehrfach erwähnten Werk »των κατα το μαθηματικον χρησιμων εις την του Πλατωνος αναγνωσιν; was man an Mathematischem wissen muss, um Platon zu verstehen. Erhalten sind grosse Fragmente der Arithmetik, der Musik, d. h. der theoretischen Lehre von den Intervallen und dem Kontrapunkt, sowieder Astronomie, 1892 vonJ. DupuisGriechisch undFranzösischediert. In der Astronomie hängt er von dem Peripatetiker Adrastos ab, der u. a. einen Kommentar zum Timaios verfasst hat. Erwähnung verdient Theon nur, weil sich bei ihm dieKettenbruchentwicklungder √2findet, die sich auch mit einer Nikomachischen Formel berührt, die selbst wieder seltsam an f(x + 2dx) = f(x) + 2f′(x)dx + f″(x)dx2erinnert, die ihrerseits wieder den Keim zu einer elementaren, wenn auch nicht strengen Ableitung der Taylorschen Reihe birgt. Einen Weg der weder für Theon noch einen andern Pythagoräer gangbar war, der aber geistvoll ist, hat der NorwegerT. Bergh, Schlöm-Cantor 31, S. 135 angegeben. Geht man von einem gleichschenklig rechtwinkligen Dreieck aus, dessen Katheten αn-1und δn-1sind und verlängert beide Katheten um δn-1und verbindet die freien Endpunkte, so ist αn= αn-1+ δn-1und dn= 2αn-1+ δn-1und dies sind die Präkursionsformeln für die Näherungswerte des Kettenbruchs √2= (1|2), wenn man α1= δ1= 1 setzen könnte wie Theon tut. Viel wahrscheinlicher ist es, dass wir es hier mit altem Gut der Pythagoräer zu tun haben, bezw. der Platoniker und dass sie nach Auflösung der Diophantischen Gleichung x2+ y2= z2sich an die Gleichung x2- 2y2= ±1 gemacht haben.

Jamblichos, Thymaridas.

Ich schliesse hier gleichJamblichosgeboren etwa 330 in Chalkis in Coelesyrien an, der als Philosoph der Stifter der sogen. Syrischen Abart des Neupythagoreismus oder Neuplatonismus ist, und der ein grosses Werk in 10 Büchern συναγωγή των πυθαγορείων δογμάτων, Sammlung der Pythagoräischen Lehren, geschrieben, deren erstes Buch der Roman: das Leben des Pythagoras, ist und deren 4. Buch die Erläuterungen zu Nikomachos Arithmetik wichtig ist, erstens für das Verständnis des Nikomachos und zweitens weil darin beiläufig das »Epanthema« d. h. Blüte desThymaridasüberliefert wird, möglicherweise eines Altpythagoräers, obwohl der Name »Blüte«indischeReminiscenzen weckt, wo poetische und phantastische Bezeichnungengang und gäbe waren, und ferner das gänzliche Fehlen jeder geometrischen Einkleidung auf eine erheblich d. h. mindestens 3 bis 4 Jahrhunderte spätere Zeit weisen. Die Regel selbst ist vonNesselmann, trotz des schlechten Textes und der schlechten Übersetzung des Tenulius der 1668 den Kommentar ediert hat, völlig richtig gestellt »Sind x yIyIIyIIIyIVetc. eine Anzahlunbestimmter(Grössen), αοριστων und ist x + Σ yk= a d. h. bestimmt (ωρισμενος), und x + yk= bk, so ist x =Σ bk- akn - 1. Das von mir mehrfach als Gesetz für Datierungen angeführte Prinzip auf den ganzen gedanklichen Zusammenhang zu sehen, bestimmt mich auch den Thymaridas in die Zeit der Arithmetisierung der Mathematik zu setzen. Von eigener Mathematik des Jamblichos wären etwa die Sätze n2= n + 2(1 + 2 + ... n - 1) zu erwähnen. Eine moderne, philologische Ausgabe des Kommentars ist 1894 vonI. Pistelligemacht worden, den als arithmetisches Werk Nesselmann sehr ausführlich S. 236–242 behandelt hat.

Plotin.

Auch die Philosophie des Jamblichos, obwohl ihn Proklos im Kommentar zum Timaios den Göttlichen nennt und obwohl der Kaiser Julianus Apostata für ihn schwärmte, ist nur eine phantastische und vielleicht absichtlich unklar gehaltene Ausführung der Lehren des Porphyrios oder vielmehr des Plotin, interessant wäre es allerdings, den babylonischen und besonders denindischenEinflüssen bei Jamblichos nachzugehen, z. B. für die Rolle, welche Opfer und Gebet in seiner Lehre spielen.Plotinden man vielleicht statt Neuplatoniker den neuen Platon nennen könnte, ist das geistige Haupt der Schule und durch seinen Einfluss aufAugustinus, den grossen kirchlichen Neuplatoniker, den Plotins Lehre vom Sünder zum Heiligen wandelte, kulturgeschichtlich von grösster Bedeutung, und ich bedaure aufrichtig m. H., dass ich für Plotin zur Zeit nicht über Quellenstudien verfüge. Plotin war aber auch mathematisch gebildet und gab in Rom mathematischen Unterricht, und Augustins ungeheurem Einflussauf die Abendländische Kirche wenigstens von 400–1200 danken wir die Berücksichtigung der Arithmetik als Wissenschaft in den Kathedralschulen.

Plotinist 202 oder 205 in Lykopolis in Ägypten (Siwet = Assiut) geboren, seine philosophische Bildung hat er in Alexandrien erhalten, dem Brennpunkt des wissenschaftlichen Lebens in der Schlussperiode der antiken Welt. Dort weilte er vom 18. bis 28. Lebensjahre als Schüler des Neuplatonikers Ammonios, Saccas, d. h. der Lastträger genannt. Dieser hat wie es scheint nichts geschrieben, aber wie bedeutend er war, zeigen seine Schüler, Longin, Origenes und Plotin, der von allen anderen Lehrern unbefriedigt, zehn Jahre in seiner Schule blieb.

Philon von Alexandria.

Mehr noch als dem Ammonios verdankte Plotin den SchriftenPhilons. Philon, etwa von 28 v. Chr. bis 50 n. Chr. war zwar äusserlich strenger Israelit, aber er hatte in die heiligen Schriften des Judentums eine Symbolik hineininterpretiert, welche seiner eigenen Philosophie oder richtiger Religion entsprach. Unter dem Einfluss stoischer (Heraklitischer) essäischer und christlicher Lehren, kann man die seine als eine Lehre von der Zweieinigkeit Gottes und des Logos, der zugleich Heiliger Geist und Gottes Sohn, bezeichnen. Die Symbolische Deutung der heiligen Schriften, welche sich im gewissen Sinne schon bei Platon und Aristoteles und ihren Schülern findet, die den Konflikt mit der Volksreligion vermeiden wollten, hat sich von Philon ab bis heute in der Theologie erhalten. VonPhilonhatPlotindie Askese und die Ekstase, d. i. die Vereinigung mit Gott oder Erfassung (αφή) Gottes. Dieses Gottwerden der Menschen durch Kasteiung, Gebet und Busse, weist wiederum nach Indien, wo solche gottgewordene Menschen noch heute verehrt werden. Und auch in der Allgemeinheit und damit Leerheit des eigentlichen Gottesbegriffs wurzelt Plotin in Philon.

Plotin.

Um 243 nahmPlotinan dem Feldzug Gordian III. gegen die Parther teil, wozu ihn das Interesse an der persischen Religion, an dem was Zarathustra sprach, antrieb. In der Askese undEkstase und auch in dem Dualismus zwischen Ormuz und Ahriman fanden sich enge Beziehungen zu seinen eigenen Gedanken. Nach dem unglücklichen Ausgang des Feldzugs ging er nach Rom, und er muss schon damals berühmt gewesen sein, da er in der Weltstadt zahlreichen Zulauf fand und den Kaiser Galienus selbst zu seinen Schülern zählte. In Rom lehrte er von 244–268, dann zog er sich schwer leidend auf ein Landgut bei Minturnae in Campanien zurück, wo sich seine Seele aus ihrem Körper befreite. Die Vorlesungsnotizen, welche Plotin etwa mit 60 Jahren niedergeschrieben, wurden in seinem Auftrag von seinem LieblingsschülerPorphyriosredigiert und in 6 Enneaden d. h. in 6 Büchern zu 9 Abschnitten herausgegeben.

Der wesentliche Unterschied zwischen Plotin und Platon liegt in der Ideenlehre. Die Ideen, die bei Platon aus der Erfahrung der Einzelnen abstrahierte grundlegende Konzeptionen der gesamten Vernunft der Menschheit sind, welche als solche ewige Dauer und regulative Kraft besitzen, werden zu Ideen oder Gedanken a priori der von der Gottheit ausstrahlenden Vernunft, des Logos bei Philo, des Noūs (νοῦς) bei Plotin. Die Emanation stellt sich Plotin etwa vor, wie wir die Radiumemanationen.

Die Gottheit selbst bleibt unbewegt und ohne Teilnahme, an dem was sie ausstrahlt, sie ist das Eine schlechtweg, dasτο ενder Pythagoräer und steht so hoch über uns, dass wir eigentlich gar nichts von ihr aussagen können als jene Ausstrahlung. Bei den späteren Neuplatonikern, insbesondere bei Proklos ist der Begriff der Gottheit so leer geworden, dass er besser als mit der Eins mit der Null verglichen werden könnte. Der Noūs selbst aber zeigt schon eine Entzweiung, eine Trennung in Denkkraft und Gedanken. Abbild und Erzeugung des Noūs, der von Gott emanierenden Weltvernunft, ist die Psyche und sie, die Seele, erzeugt, mittelst des Substrats der Materie, der Hyle, die sie durchdringt wie etwa das Licht ein Medium, die Körperwelt, an deren Leiden oder richtiger Reizungen die wahrnehmende Empfindung eigentlich keinen Anteilhat. Da die Psyche Funktion der Vernunft und diese wieder Funktion Gottes ist, so ist es dem Menschen gegeben nach Ähnlichkeit mit Gott zu streben und darin liegt dieTugend. Ja durch Abtöten des Sinnlichen und völliges Versenken in die religiöse Betrachtung des Einen kann es gelingen zur Ekstase, d. h. zur Vereinigung mit Gott zu kommen und in diesem Zustand warPlotinnach Angabe des Porphyrios viermal. Die späteren Neuplatoniker, wie Apollonios von Thyana und Jamblichos, knüpften an diesen Zustand, der etwa dem entspricht, was die heutigen Mystiker »Trans« nennen an, um die Möglichkeit des Prophezeiens und der Wundertaten zu begründen.

Ich möchte noch hervorheben, dass die Quelle derSchopenhauerschenÄsthetik eigentlich beiPlotinliegt. Nach jenem liegt das Wesen der Kunst in der intuitiven Erfassung der im Objekt zur Erscheinung kommenden Idee, d. h. der bestimmten Abstufung des Willens an sich, losgelöst von jeder Beziehung auf das individuelle erkennende Subjekt, und der Wert der künstlerischen Betrachtung darin, dass »das Ixionsrad« des eigenen Wollens stille steht und wir vor dem Schönen und durch das Schöne zumreinenwillenlosen Subjekte der Erkenntnis werden.Plotinsagt, Enneade V, 81: Nicht in der blossen Symmetrie, sondern in der Herrschaft des Hohen über das Niedere, derIdeenüber den Stoff, der Seele über den Leib, der Vernunft und des Guten über die Seele, liegt das Wesen der Schönheit.

Porphyrios.

Porphyrioshat bei Plotin auch Mathematik gelernt, er wird von Proklos des öfteren erwähnt, ich führe S. 311 den Beweis von I 18 an: Der grösseren Seite liegt der grössere Winkel gegenüber, den ich unsern Schulen wieder gewinnen möchte: Wenn αβγ das Dreieck und αβ < αγ, so mache man αβ mit βε gleich βγ, dann ist αεγ gleichschenklig und Winkel ε = εγβ + γ und ε noch kleiner als β nach I, 16, dem Satz vom Aussenwinkel.

Diophant.

Den Schluss und zugleich den Gipfel der HellenistischenArithmetisierung der Mathematik bildetDiophantosvon Alexandrien.

Seine αριθμητικά bedeuten den durch eine weite Kluft von allem anderen getrennten Höhepunkt dessen, was die Griechen auf arithmetischem Gebiet geleistet haben. Sein Werk ist so einzigartig, dass es keineswegs ausgeschlossen ist, dass Indische und Babylonische Einflüsse wirksam gewesen sind. Seine Lebenszeit ist wahrscheinlich das Ende des 4. Jahrhunderts nach Christi, wieNesselmannl. c. festgestellt hat. Dass Pappos ihn nicht erwähnt, kann ich mir nur dadurch erklären, dass er nach Pappos geschrieben. Alles was wir von ihm wissen, steht im Epigramm 19 der vonMaximus Planudes, einem byzantinischen Mönch, aus älteren Exzerpten gesammelten Anthologie:

Hier das Grabmal deckt Diophant, ein Wunder zu schauen,Durch arithmetische Kunst lehrt sein Alter der Stein.Knabe zu sein gewährte ein Gott ihm ein Sechstel des Lebens;Noch ein Zwölftel dazu, spross auf der Wange der Bart.Und ein Siebentel mehr, sieh Hymens Fackel entbrannte,Fünf der Jahre darnach, teilt er ein Söhnlein ihm zu.Ach unglückliches Kind! Halb hatte das Alter des VatersEs erreicht, da nahm's Hades der Schaurige auf.Noch vier Jahre ertrug er den Schmerz, der Wissenschaft lebend,Und nun künde das Ziel, welches er selber erreicht.

Hier das Grabmal deckt Diophant, ein Wunder zu schauen,Durch arithmetische Kunst lehrt sein Alter der Stein.Knabe zu sein gewährte ein Gott ihm ein Sechstel des Lebens;Noch ein Zwölftel dazu, spross auf der Wange der Bart.Und ein Siebentel mehr, sieh Hymens Fackel entbrannte,Fünf der Jahre darnach, teilt er ein Söhnlein ihm zu.Ach unglückliches Kind! Halb hatte das Alter des VatersEs erreicht, da nahm's Hades der Schaurige auf.Noch vier Jahre ertrug er den Schmerz, der Wissenschaft lebend,Und nun künde das Ziel, welches er selber erreicht.

Also mit 33 Jahren verheiratet und mit 84 gestorben.

Fermatsche Satz.

So berühmt Diophant als Arithmetiker heute ist, so wenig wurde sein Werk von den Griechen der folgenden Zeit verstanden, nur ganz wenige und verstümmelte Handschriften seines Werkes sind erhalten, alle, auch die jüngst gefundenen vom selben Archetyp stammend. Ein einziger Grieche, der schon genannteMaximus Planudes, der in der ersten Hälfte des XIV. Jahrh. lebte, hat Scholien zu den beiden ersten Büchern geschrieben. Dagegen haben sich die Araber verhältnismässig früh des Diophant bemächtigt und kein geringerer alsAbul Wafa, der die Mondvariation festgestellt hat, übersetzte die Schrift gegen Ende des 10. Jahrh. Das bisher noch nicht aufgefundeneWerk findet sich vielleicht auch noch in Leyden. In Europa hat zuerstRegiomontan, decus Germaniae, wie ihn Petrus Ramus nennt, 1464 zu Venedig einen Diophant-Codex gesehen. Die erste zwar mangelhafte, aber vollständige Übersetzung ins Lateinische veröffentlichte 1575Wilhelm Xylanderoder Holzmann zu Augsburg, sie ist eine bibliographische Rarität. Die erste Textausgabe mit lateinischer Version und vielen Zusätzen und Erläuterungen rührt vonGaspard Bachet, sieur deMéziriacher, — Paris 1622, der durch seine »Problèmes plaisants et délectables« (1612) so bekannt ist. Eine zweite Ausgabe von Bachets Arbeit veranstaltete S. Fermat; die Ausgabe ist an sich sehr mangelhaft, aber sie enthält die berühmten Randbemerkungen seines VatersPierre Fermat, Frankreichs grössten Mathematikers, darunter den berühmtenFermatschen Satz: Die Gleichung xn+ yn= znist wenn n > 2 nicht in ganzen (rationalen) Zahlen lösbar. Diese Anmerkungen haben die moderne Zahlentheorie, die Arithmetica sublimior wieGausssie nannte, geschaffen. Eine neue sehr sorgfältig redigierte Ausgabe ist vonP. Tannery1893 geschaffen.G. Wertheimhat 1890 eine tadellose deutsche Übersetzung der Arithmetik und der Schrift über Polygonalzahlen des Diophant und der Anmerkungen Fermats gegeben.

Von den 13 Büchern, welche Diophant selbst in dem Einleitungsschreiben an einen gewissen Dionysios erwähnt, sind uns in den Handschriften nur 6 erhalten, aber die allgemeine Ansicht geht dahin, dass das Verlorene sich im wesentlichen nur auf die Behandlung der gemischt quadratischen Gleichungen bezogen habe und wissenschaftlich der Verlust zu verschmerzen. Dagegen scheint der Verlust eines andern Werkes der »Porismata« (vergl. Euklid) schwerer zu wiegen, wenigstens nach dem Satz zu urteilen, den Diophant selbst zitiert: die Differenz zweier (rat.) Kubikzahlen (a und b) ist stets die Summe zweier (rat.) Kubikzahlen. VonVietagelöst: x =a(a3- 2b3)a3+ b3; y =b(2a3- b3)a3+ b3.

Das erste was wir aus den Arithmetica hervorheben, ist dass bis auf eine einzige vermutlich eingeschobene Aufgabe V, 13, Wertheim S. 209 niemals die Zahlen seiner Aufgaben durch Linien oder sonst geometrisch versinnlicht sind. Er spricht zwar oft von rechtwinkligen Dreiecken, aber er meint stets drei Zahlen a, b, c, welche der Gleichung a2+ b2= c2genügen. Zweitens gehen aufDiophantdie nach ihm genannten Aufgaben der unbestimmten Analytik zurück, obwohl eine diophantische Gleichung in unserem Sinne bei ihm nicht vorkommt. ErstBachethat die Gleichung ax + by = c allgemein in ganzen Zahlen aufgelöst. Diophant begnügt sich mit rationalen Zahlen und was die Hauptsache, er gibt immer nur eine Lösung. Das was speziell an indischen Einfluss denken lässt, liegt erstens in der Systemlosigkeit und zweitens darin, dass eigentlich, wenn man vom ersten Buch absieht, der Lehre von den gewöhnlichen Gleichungen ersten Grades, nirgends allgemeine Methoden vorkommen, sondern jede Aufgabe durch eigene oft sehr merkwürdige Kunstgriffe gelöst wird. Oft ist die Aufgabe allgemein gefasst und wird durch willkürliche Annahmen eingeschränkt.

Ganz eigenartig ist auch die Bezeichnung bei Diophant; vergl.Nesselmannl. c. Kap. 7. Für die Unbekannte die bei ihm αριθμός »die Zahl« heisst, hat er ein Zeichen ϛ oder auch ϛο, das man früher für das Schlusssigma hielt.T. L. Heath, Diophantos of Alex. Cambr. 1885 hat mit guten Gründen behauptet, dass es die Abbreviatur von αριθμός ist. Das Quadrat der Unbekannten, unser x2heisst wie gewöhnlich δύναμις, Zeichen δῡ; x3desgleichen κύβος, Zeichen κῡ, x4bei ihm wie durch die Metrika nachgewiesen beiHeron: δυναμοδύναμιν [Biquadrat] δδῡδ, x5δυναμοκυβος δκῡ, x6κυβοκυβος, κκῡ. Bestimmte Zahlen (ὡριζομενοι) heissen μοναδες, Zeichen μο, zum Unterschiede von den αοριστοι den zunächst unbestimmten, also wie bei Jamblichos,1/xheisst αριθμοστον;1/x2δυναμοστον u. s. f.

Kein Zeichen bedeutet dieAddition, welche damals also noch als die Hauptoperation galt, sie heisst ὑπαρξις; dieSubtraktion heisst λειψις, Zeichen ein umgekehrtes ψ alsoSymboloder ⬆. Bei (x - a)(x - b) findet sich die Regel: Minus × Minus ist plus (λ.λ ist ὑπαρξις), doch schliesst Diophant negative Zahlen wie auch irrationale Zahlen prinzipiell aus. Cantor sagt mit Recht, dass sich bei Diophant schon eine hoch entwickelte Buchstabenrechnung findet. Immerhin ist ihr dieVieta'schesehr überlegen.

Ich gebe nach Cantor die Gleichung 10x + 30 = 11x + 15.

ςςοιαρα ῑ μολ ἱσοι εισιν ςςοιςῑᾱ μονασι ῑε (Unbekannte nun zehn und Einheiten 30 sind gleich Unbekannten 11 und Einheiten 15.) M. H. Cantor hat wiederum recht, wenn er sagt dies ist eine Stenographie aber noch keine Symbolik.

Die Gleichheit wird übrigens oft nur durch ἱ ausgedrückt.


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