Wilhelm versprach es auch.
Präsident. So will ich dich in eine Schule bringen, wo du erzogen und unterrichtet wirst; dann laß ich dir ein Handwerk lernen, welches dich ernähren kann, und du kannst dir eins wählen.
Wilhelm. Ich möchte gern Bäcker oder Conditor werden.
Präsident. Haha! wohl wegen der guten Kuchen.
Wilhelm. Ich meine, es muß eine Freude sein, das bereiten zu können, was so vielen Leuten gut schmeckt.
Präsident. Brav, mein Junge; es ist recht, wenn man nicht blos an sich selbst, sondern auch an Andere denkt. Bist du mir noch böse, daß ich dir den Arm in meiner Tasche zerbrach.Ich kann in meiner eignen Tasche doch machen, was ich will, und was sich unberufen hinein verirrt, muß sich alles gefallen lassen.
Wilhelm. Ich bin jetzt recht froh, daß Sie mir den Arm zerbrachen und ich will Ihnen immer recht dankbar dafür sein, wenn Sie mir etwas Tüchtiges lernen lassen.
Als der Präsident eines Tages der kleinen Prinzessin begegnete, fragte diese:
„Was macht der kleine böse Junge?“
„Er ist kein böser Junge mehr,“ antwortete der Präsident, „und es würde gar keine bösen Jungen in der Welt geben, wenn die Eltern nicht böse wären.“ Er erzählte hierauf, wie Wilhelm erzogen worden und daß er nochandere Geschwister habe. Die Prinzessin frug nun, ob diese auch so böse wären? Man ließ sich nach ihnen erkundigen und hörte bald nur Gutes von Dorothea; die Prinzessin ließ sie kleiden und in eine Strick- und Nähschule schicken. Die kleine Hanne wurde aber in einer Klein-Kinderbewahrschule untergebracht, wo sie beten, singen, stricken und hübsche Verschen lernte; man hielt sie auch dazu an, sich die Nase zu putzen und die Hände zu waschen, was sie zu Hause nicht nöthig hatte; auch mußte sie hübsch sittsam sein. Der Präsident sagte: auf solche Weise rette man die Kinder von dem Verderben, und führe ihre Seelen dem Himmel zu.
Verliere den Muth nicht in Gefahr,Gott wacht und schützt dich immerdar.
Verliere den Muth nicht in Gefahr,
Gott wacht und schützt dich immerdar.
Täglich besuchte die Prinzessin den Löwen und brachte eine Stunde in der Menagerie zu. Sie war dem Thier sehr dankbar, daß er ihr Kätzchen nicht gefressen hatte, und wollte ihm ihre Erkenntlichkeit beweisen, indem sie ihm alle Tage einige Pfund Fleisch brachte. Dieses Fleisch war hübsch in Stücken geschnitten und auf Papier in einem zierlichen Körbchen geborgen, welches der Bediente ihr nachtrug. Die Fleischstücken reichte sie selbst dem Löwen durch das Gitter und sie machte es dabei nicht wie derMenageriebesitzer bei der Fütterung, welcher ihm das Fleisch, nachdem er es gereicht hatte, mit dem eisernen Haken so oft wieder entzog, um ihn recht böse zu machen und den Zuschauern ein Beispiel seiner bestialischen Wuth zu geben. Nein, sie reichte es dem Löwen recht schnell und ohne sich zu fürchten. Der Löwe kannte auch bald seine kleine Wohlthäterin, besonders wenn sie Rosaurus mitbrachte, der ihr gewöhnlich auf der Schulter saß. Wenn sie mit ihrem Gefolge eintrat, legte er sich ganz sanftmüthig vor das Gitter nieder und empfing dankbar sein Geschenk; dabei pflegte er mit Rosaurus um die Wette zu schnurren.
Im Sommer bewohnte die Prinzessin ein Lustschlößchen in einer kleinen Entfernung von der Stadt; dort durfte sie recht lustig herumspringen und recht wenig Stunden haben. Damit sie ihre Gespielinnen nicht entbehre, wurde Lisi mitgenommen. Joly und Rosaurus durften natürlich nicht fehlen. Das Schlößchen war von einem hübschen Garten umgeben und an den Garten stieß ein kleiner Wald. Die Kinder durften sich darin nach Belieben ergehen und erfreueten sich des Landlebens, indem sie Blumen suchten, Kränze banden oder Seifenblasen machten. Letztere unterhielten besonders Rosaurus recht gut, welcher immer danach haschte und sehr verwundert war, wenn sie unter seinen Sammetpfötchen zerplatzten. Joly war ebenfalls sehr verlegen, wenn die Kinder ihm ihre Seifenblasen auf die Nase zerplatzen ließen; er bellte dieselben oft an, zog dasSchwänzchen ein und riß vor ihnen aus. Uebrigens vertrug er sich viel besser als im Anfang mit Rosaurus. Obgleich sich wohl dann und wann bei Freßgelegenheiten ein Streit zwischen Beiden erhob wegen des Mein und Dein, so konnten sie doch recht oft niedlich zusammenspielen. — Rosaurus mochte wohl einsehen, daß Joly im Vergleich mit dem Pudel Kartusch ein sehr wohl erzogener und höflicher Hund sei.
Eines Tages saß die Prinzessin mit Lisi und Mlle. Gogo am Rand des Wäldchens auf weichem Rasen und flochten Kränze; Joly und Rosaurus spielten neben ihnen und sie sprachen, wie das häufig geschah, vom großen Löwen, den sie erst gestern besucht hatten. Die Prinzessin lobte ihn abermals, daß er dem Rosaurus nichts zu Leid gethan, worauf Lisi sagte:
„Ich habe neulich gelesen, daß der Löwe, obgleich er eigentlich die Einsamkeit liebt, sich doch leicht an andere Thiere gewöhnen und mit ihnen freundlich verkehren kann. Noch vor nicht all zu langer Zeit gab es in Paris im Jardin des plantes eine Löwin, Namens Constantine, welche während mehrerer Jahre mit einem kleinen Spitz sehr glücklich lebte. Man hatte letzteren, welcher weiß und schwarz war, in ihren Käfig geworfen, und er hatte sich, an allen Gliedern zitternd, in einen Winkel verkrochen. Die Löwin erhob sich langsam, brüllte mit dumpfer Stimme und näherte sich dem armen kleinen Thier, welches ein klägliches Geschreiausstieß und eine flehende Stellung anzunehmen schien. Sein verzweiflungsvoller Blick schien die Löwin zu rühren; denn sie legte sich ruhig nieder, ohne ihm wehe zu thun. Als man bei der Fütterung Constantine ihre Nahrung gab, ließ sie etwas für den Spitz übrig; er aber wagte nicht irgend etwas davon zu berühren; ja der größte Hunger würde ihn nicht vermocht haben, seinen dunkeln Winkel zu verlassen. Am nächsten Tage fürchtete er sich weniger und entschloß sich, das zu verzehren, was die Löwin für ihn übrig gelassen hatte. Am zweiten Tag wagte er es, aus dem Winkel hervorzukriechen und gleich nach der Löwin zu speisen. Nach acht Tagen erlaubte er der Löwin nicht eher zu fressen, als bis er selbst sich gesättigt hatte, und wenn sie es wagte, sich früher dem Fleisch zu nähern, so sprang der Spitz ihr wüthend in’s Gesicht und biß sie mit allen Kräften.
Im Herbst, als es kalt und feucht wurde, brachte der Spitz die Nächte zwischen den Beinen der Löwin zu, um warm zu liegen, was sie ebenfalls willig geschehen ließ. Zum Dank dafür biß er sie eines Tages in einem Anfall von Wuth dermaßen in den Schwanz, daß das Blut strömte und sie zeitlebens eine Narbe behielt. — Nach einigen Jahren starb der Spitz an Altersschwäche und Constantine schien untröstlich über diesen Verlust. Man gab ihr verschiedene andere Hunde, die sie alle erwürgte; endlich ließ sie den einen am Leben, aber sie zeigte demselben nur diegrößte Gleichgiltigkeit und erwies ihm nie eine Gefälligkeit. Sie starb auch bald darauf, wie man meinte, aus Sehnsucht nach ihrem bösen Spitz.“
Als Lisi kaum diese Geschichte vollendet hatte, begann Joly zu bellen, und es erschienen drei wunderliche Wesen, welche unter dem Gestrüpp hervorgekrochen kamen; es waren drei Affen. Die Affenmutter trug ihr Kleines, welches krank zu sein schien; die Thiere nahten sich zutraulich und fletschten die Zähne, und hielten die Hände flehend den Kindern hin, die sie vielleicht erkannten, weil sie sie öfters gesehen hatten, denn diese Affen gehörten zu der Menagerie; gewiß waren sie entsprungen. — Die Prinzessin ließ sogleich Milch und Semmel für sie bringen und mit Aepfeln und Nüssen sie in ein Zimmer locken, wo sie eingesperrt wurden.
Nach diesem Ereigniß, welches die Kinder sehr beschäftigte, da sie sich gar nicht denken konnten, wie die Affen hatten entspringen können, wandelten sie zusammen in den Wald. Mlle. Gogo begleitete sie aus der Ferne, Joly und Rosaurus waren ihnen zur Seite. Letzterer schien ganz besonders gern in dem Wald zu sein und die Prinzessin befürchtete, das Blut, welches er in des Löwen Käfig geleckt hatte und sein Antheil an des Löwen Mahlzeit möge in ihm böse Gelüste entwickelt haben. Jedes Mal, wenn er einen Vogel sah, wurde er stutzig und er vermochte kaum seinen grausamen Appetit unter einer gleißnerischen Freundlichkeit zu verbergen. Die Prinzessin pflegte ihn deshalban einem rosarothen Atlasband zu befestigen und so an ihrer Seite zu halten, in der Hoffnung, ihn von seinen sündhaften Begierden zu heilen und ihm gute Gewohnheiten zu geben.
Marie, Lisi und Rosaurus treffen den Löwe im Wald
Das große Abenteuer.
Als die Kinder nun eine ziemliche Strecke in dem Walde zurückgelegt hatten und Lisi meinte, sie müßten zurückkehren, indem sie Mlle. Gogo ganz aus dem Gesicht verloren habe, da vernahmen sie ein ungewohntes Knistern im Dickicht; die Zweige bogen sich und knickten; Rosaurus spitzte die Ohren und Joly zog den Schwanz ein und floh eilend dem Schloß zu. Den Kindern fing es an ganz unheimlich zu werden, sie wußten nicht warum, und doch blieben sie stehen und blickten regungslos nach der Stelle, woher das Geräusch kam.
Aber welch ein Schreck durchrieselte ihre Glieder, als das Gebüsch sich theilte und niemand anders als der Löwe hervortrat; sehr feierlich und behutsam blickte er um sich her und schritt mit wahrhaft majestätischem Anstand auf die Kinder zu. Beiden schlug das Herz heftig und Lisi war so erschrocken, daß sie in Ohnmacht fiel. Die kleine Prinzessin verlor aber nicht die Gegenwart ihres Geistes, und im Vertrauen auf ihre alte Bekanntschaft nahm sie Rosaurus auf die Schulter und blieb vor der ohnmächtigen Lisi stehen. Der Löwe kam näher; er sah gar nicht grimmig aus, sondern wedelte freundlich mit dem Riesenschweif und legte sich dann vor der Prinzessin nieder. Diese nahmihren ganzen Muth zusammen, schaute dem Thier in die Augen und sprach einige freundliche Worte zu ihm, wie sie es gethan, wenn sie ihm Fleisch in den Käfig brachte.
Plötzlich aber vernahm man im Gebüsch Hundegebell und menschliche Tritte. Der Löwe horchte, sprang erschrocken auf und stürzte der andern Seite des Waldes zu; da fand er aber Hindernisse. Dichtes Gebüsch hemmte seine Flucht. Jäger kamen herbei und nahten auf Schußweite; vier Schüsse krachten auf ein Mal und wohlgetroffen, mit furchtbarem kläglichen Gebrüll fiel das edle Thier nieder und wälzte sich in seinem Blute. Niemand wagte es, sich dem König der Thiere während seines Todeskampfes zu nähern. — Die Prinzessin aber wandte sich der ohnmächtigen Freundin zu, welche mit Hilfe der herbeigeeilten Mlle. Gogo auch bald wieder zu sich kam.
Wie aber hatte der große Löwe den Käfig durchbrechen und in den Wald gelangen können?
In der vorhergehenden Nacht waren durch die Kohlen eines Bratwurstfeuers unter andern Buden auch die Menagerie in Brand gerathen. Das trockene Holz des Gerüstes hatte rasch die Flammen verbreitet, welche allen Löschungsversuchen des Menageriebesitzers trotzten. Die Thiere stießen die schrecklichsten Töne aus; sie liefen angsterfüllt in ihren Käfigen umher; die Papageien schlugen mit den Flügeln, die Affen sprangen herum und schrieen wie die kleinen Kinder; aber die Raubthiere waren fürchterlich.Der Tiger fletschte die Zähne, indem er sich in den Hintergrund des Käfigs zurückzog, er schien das feindliche Element auffressen zu wollen; — trostlos sprang der Eisbär in seinem Gefängniß hin und her; die Hitze erschien ihm unerträglich, und als sein schöner weißer Pelz Feuer fing, da meinte man, die ganze Welt müsse untergehen, so tief und trostlos war sein Brummen. Der Panther und der Luchs versuchten an den eisernen Stäben empor zu klettern, sie klammerten sich fest daran, bis dieselben glühend wurden; heulend ließen sie dann los von ihrem Halten und fielen auf den Boden des Käfigs herab, wo sie in gewaltigem Todeszucken im Rauch erstickten und dann verbrannten.
Als der Menageriebesitzer sah, daß er das Feuer nicht mehr löschen konnte, war er darauf bedacht, wenigstens einige seiner Prachtstücken zu retten, und er versuchte den Wagen, worauf der Käfig des Löwen stand, aus der Wagenreihe herauszuziehen; dabei fiel derselbe aber um, die Thür sprang durch die Erschütterung auf und der vom Feuer und Todesangst wilde Löwe kam heraus. Das Thier war keineswegs wüthend, als es seine Freiheit erlangte, im Gegentheil war es schüchtern und furchtsam und es wäre dem Menageriebesitzer ein Leichtes gewesen, es wieder einzuschließen, wenn er nicht selbst unter dem umgestürzten Wagen gelegen hätte. Ehe er sich unter demselben hervorhelfen konnte, war der Löwe langsamen Schrittes durchdie schreiende und fliehende Menschenmenge, die das Feuer herbeigelockt hatte, dem Walde zugeschritten. Er hatte sich sogar einige Mal sehr würdevoll umgeschaut und als er die Feuerflamme sich noch ein Mal betrachtet hatte, war er zögernd in das Dickicht verschwunden.
Nachdem der Menageriebesitzer noch einige andere Thiere in Sicherheit gebracht hatte, war er seinem Löwen in den Wald gefolgt in der Hoffnung, ihn zurückzulocken; derselbe hatte aber seitdem die Bekanntschaft einer Schafheerde gemacht und einen Hammel verspeist. Dadurch war ihm der Sinn für die Freiheit aufgegangen; sein Instinkt war erwacht und er gehorchte nicht mehr der bekannten Stimme, sondern entfernte sich von dem rufenden Herrn in würdevollem Schritt.
Man erzählte nun, der Löwe habe auch ein Kind erwürgt und die Polizei hielt es demnach für ihre Pflicht, sich in die Sache zu mischen. Trotz den dringenden Bitten des Menageriebesitzers, der so gern seinen Löwen erhalten wollte, wurden Jäger ausgeschickt, um den gefährlichen Gast der Wälder und Felder zu erlegen, damit derselbe kein weiteres Unheil anrichten könne.
Und herein mit bedächtigem SchrittEin Löwe tritt.Er sieht sich stummRingsumMit langem Gähnen.Er schüttelt die Mähnen.Und legt sich nieder.
Und herein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt.
Er sieht sich stumm
Ringsum
Mit langem Gähnen.
Er schüttelt die Mähnen.
Und legt sich nieder.
Als der letzte Lebensfunke des Löwen verlöscht war, kam der Menageriebesitzer herbei; er warf sich über die Leiche seines Prachtstückes und weinte laut. Mit seinen Thieren hatte der arme Mann sein Vermögen verloren. Die kleine Prinzessin erbot sich, ihm die Haut des Löwen abzukaufen, sie wollte dieselbe ausstopfen lassen und imLustschlößchen aufstellen, da ein in dessen Umgegend erschossener Löwe gewiß zu den Seltenheiten gehöre; dann lud sie den betrübten Mann ein, seine Affen in Empfang zu nehmen, deren Erscheinen man sich jetzt erklären konnte. Jetzt bemerkte man auch, daß das kleine Aeffchen an Brandwunden leide und man verband es mit kühlender Salbe, wobei es ganz still hielt.
Sodann lud man den Menageriebesitzer ein, den Thee mit der Prinzessin zu trinken; die Kinder gedachten an ihn viele Fragen über seine Thiere zu thun und sich zu erkundigen, wie er sie erhalten habe.
„Den Löwen,“ erzählte er, „habe ich, als er noch ganz klein war, einem Araber abgekauft. Der Araber hatte nämlich ausfindig gemacht, daß ein Löwenpaar in einer Höhle seine Jungen groß ziehe. Die Löwen pflegen nun niemals ihre Jungen allein zu lassen und wachen deshalb abwechselnd bei ihnen. Wenn die Löwin die Wache hat, ist sie stets mit ihren Kleinen beschäftigt; der Löwe aber, welcher meist müde von der Jagd nach Hause kommt, benutzt die Zeit der Beaufsichtigung, um zu schlafen, und da schläft er oft sehr fest mit den Kleinen um die Wette. Diesen Augenblick hatte der Araber nun von einem nahen Baume erlauert; als die Löwin einige Minuten fort war, kletterte er herab, kroch in die Höhle und nahm zwei kleine Löwen, die er in seinen Busen barg; sie winselten etwas und der Vater knurrte im Schlafe so stark, daß der Araber schonmeinte, er sei verloren; er eilte so schnell als möglich fort nach einer Stelle auf einem Hügel, wo ein Pferd seiner wartete; er hatte solches indeß noch nicht erreicht, als er die Löwin hinter sich her kommen sah mit dem Ausdruck und dem Gebrüll der höchsten Wuth. In großen Sätzen durchras’te sie das Thal und der Araber wäre verloren gewesen, wenn er nicht die Gegenwart des Geistes gehabt hätte, eines der kleinen Löwen niederzulegen, so daß die Mutter es finden mußte. Dann bestieg er das Pferd und jagte davon. Als er mir den jungen Löwen brachte, hatte derselbe ihn mit scharfen Krallen die Brust zerkratzt, so daß das Blut in Strömen herabrieselte. Ich mußte dem Araber viel Geld für den jungen Löwen zahlen und hatte dann noch große Mühe, ehe ich ihn groß brachte; da können Sie es sich wohl denken, wie sehr es mich betrübt, das schöne Thier nun verloren zu haben.“ Thränen strömten seinen Wangen herab; dann erzählte er weiter:
„Es ist schon so viel von den Gewohnheiten des Löwen erzählt worden und dennoch giebt es noch manchen wenig bekannten Zug in seiner Lebensweise. Wenn der Löwe in Gesellschaft jagt, so wird der älteste immer zuerst das Wild anfallen. Ist er so glücklich, dasselbe zu erlegen, so streckt er sich während einer Viertelstunde an dessen Seite nieder, um wieder zu Odem zu kommen, und seine Gefährten lagern sich um ihn her. Hat er sich genugsam ausgeruht, so erhebt er sich und verzehrt den Bauch und die Brust desgetödteten Thieres; das sind die Lieblingsbissen des Löwen. Sodann legt er sich abermals nieder, ohne daß seine Gefährten oder seine Jungen sich die geringste Bewegung erlauben. Erst wenn sein Hunger vollständig befriedigt ist, fallen sie über das getödtete Thier her und zerfleischen es. So auch wenn ein junger Löwe auf der Jagd glücklich war, und ein alter ihm naht, wird er sich stets zurückziehen und warten bis der alte seine Mahlzeit vollendet hat.“
„Ich beobachtete einst einen großen Löwen, welcher im Gebüsch lag, und verschiedene Mal seinen ungeheuren Satz nach einem alten Baumstamm richtete, gleichsam um Kräfte und Blick zu üben.“
„Ich kannte in Bethanien einen Mann, welcher auf einer Fußreise nach einer Quelle einlenkte, wo er eine Gazelle zu erlegen hoffte. Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als er diese Quelle erreichte; da er kein Wild bemerkte, legte er die Flinte auf einen, von wildem Dorngebüsch beschatteten Felsen, erfrischte sich mit einem kühlen Trunk an der Quelle und streckte sich dann auf dem Felsen nieder, wo er, nachdem er seine Pfeife geraucht hatte, einschlief. Bald darauf erweckte ihn indeß die Hitze der Sonne, welche die Felsenwände zurückstrahlte, und als er die Augen aufschlug, erblickte er zu seinen Füßen einen großen Löwen, welcher in liegender Stellung seine glühenden Augen auf ihn gerichtet hatte. Er blieb einige Augenblicke regungslos, bis er seine Geistesgegenwart wieder erhielt; verstohlenblickte er nach seiner Flinte und machte eine Bewegung dieselbe zu ergreifen. Dem Löwen entging solches indeß nicht, er richtete das Haupt empor und erhob ein furchtbares Gebrüll. Zu verschiedenen Malen erneuerte der arme Mann den Versuch seine Waffen zu fassen und jedes Mal drohte ihm der wüthende Löwe von Neuem mit seinem Gebrüll. Die Lage des Hottentotten wurde immer peinlicher; der Felsen, worauf er lag, ward so heiß, daß er kaum seine nackten Füße darauf konnte ruhen lassen. Tag und Nacht verstrichen, ohne daß der Löwe seine Lage gewechselt hätte. Abermal ging die Sonne empor und die Gluth ihrer Strahlen ward bald so heftig, daß die schmerzhaften Füße ganz gefühllos wurden. Gegen Mitte des Tages erhob sich der Löwe und begab sich an die Quelle, indem er bei jedem Schritt den Kopf umdrehte, um seinen Gefangenen zu bewachen; und so bald als dieser nur die kleinste Bewegung mit der Hand machte, drohte das Thier über ihn herzustürzen; als es getrunken hatte, legte es sich wieder an seinen Platz und es verstrich eine zweite Nacht, ohne daß sich das Auge des Königs der Wälder von dem armen Hottentotten abwandte.“
„Am nächsten Morgen erhob sich der Löwe abermals, um seinen Durst zu löschen, als ein fernes Geräusch sein Ohr erreichte; er horchte auf und verschwand im Gebüsch.“
„Der Hottentotte nahm alle seine Kräfte zusammen, um seine Flinte zu ergreifen, und wollte sich, nachdem diesesihm gelungen, aufrichten, fiel aber wieder nieder, da seine Füße ihn nicht tragen konnten. Mit der Flinte kroch er an die Quelle und trank in langen Zügen; dann erst betrachtete er seine Füße und entdeckte, daß seine Zehen ganz verbrannt waren. Er setzte sich nieder, um die Rückkehr des Löwen zu erwarten, entschlossen, sein Gewehr in dessen Hirn zu entladen, da er ihn aber nicht zurückkehren sah, begann er auf allen Vieren den Weg nach seiner Wohnung einzuschlagen, in der Hoffnung einem Reisenden zu begegnen, der ihm weiter helfe, was auch geschah; man brachte ihn an einen sichern Ort, wo er gepflegt werden konnte. Er verlor indeß die Zehen und konnte niemals wieder sich des vollständigen Gebrauchs seiner Füße erfreuen.“
„Der Löwe ist beim Fressen, wenn er Hunger hat, sehr grimmig, gesättigt ist er aber ganz mild. Bei der Jagd ergreift er nie offenbar die Flucht oder zeigt Furcht. Sucht er auch wegen der Menge der Jäger sich zu entfernen, so weicht er doch nur langsam und Schritt vor Schritt und wendet sich von Zeit zu Zeit um. Erreicht er einen Wald, so flieht er schnell, bis er wieder ins Freie kommt; dann geht er wieder schrittweis, oder wird er zu sehr gedrängt auch laufend, aber nie springend. Er läuft wie ein Hund, gerade und vorgestreckt fort; will er aber selbst angreifen, so springt er auf den Raub, sobald er ihm nahe ist. Auch ist es wahr, daß er das Feuer fürchtet.Er hat keine besondere Vorliebe für Menschenfleisch, und zieht jedes andere demselben vor. Nur wenn er zu alt ist, um Jagd auf die Thiere zu machen, nähert er sich gern den Städten und fängt Kinder zu seiner Nahrung. Er giebt den Hottentotten immer den Vorzug vor den weißen Menschen, vielleicht weil sie unbekleidet sind; er durchbricht oft die Reihen der Jäger, um sich das erwählte Opfer heraus zu suchen. — Wenn der Löwe alt wird, verliert er die Zähne; dann hat er wenig Muth und man sah einen Löwen, der vor einem Schweine floh, welches sich wehrte und die Borsten gegen ihn sträubte. Er kann übrigens viele Pfeilschüsse aushalten, nur nicht in den Weichen. Am Kopf ist er am festesten. In Lybien glaubt man, er verstehe das Flehen der Frauen. Eine Gefangene, welche mit ihrem Kind am Wege stand, sah plötzlich einen Löwen vor sich liegen; da warf sie sich im Schrecken vor ihm nieder und bat ihn jammernd, sie und ihr Kind zu verschonen, da soll er aufgestanden und fortgegangen sein. Die Absicht des Löwen verräth der Schwanz; wenn sich derselbe nicht bewegt, so ist das Thier guter Laune. Ist es das nicht, so schlägt er mit dem Schweif auf die Erde, und bei wachsender Wuth sich selbst auf den Rücken, gleichsam als wollte er seinen Zorn dadurch noch mehr reizen. Kämpft die Löwin für ihre Jungen, so heftet sie die Augen auf den Boden, um nicht vor den Waffen zu erschrecken. Wenn man indeß dem Löwen eine Decke über Kopf und Augenwirft, da ist seine Kraft gebrochen und man kann ihn sogar binden, so furchtsam ist er.“
„Zwei Jäger stießen plötzlich auf einen Löwen, welcher im Gras lag und mit dem Schweif schlug; Beide sehen ein, daß es um sie geschehen sei; als der Löwe nun auf den Einen zusprang, wich derselbe schnell aus, packte das Thier an der Mähne und klammerte sich fest an ihn. Der Löwe schüttelte und wälzte sich mit dem Unglücklichen, welcher endlich von seinem Halten loslassen mußte. Schon sah er den Rachen über sich geöffnet, als er mit beiden Händen hineinfuhr und des Löwen Zunge packte. Während dem zielte der andere Jäger nach dem Thier und traf es tödtlich.“
„Sobald ein Pferd einen Löwen riecht, achtet es nicht mehr auf Zaum und Gebiß, sondern reißt mit dem Reiter aus oder wirft ihn ab. Der Löwe verfolgt indeß das Pferd und läßt den Reiter liegen.“
„Als ich,“ erzählte der Menageriebesitzer, „weiter in der Nähe des kleinen Sonntagflusses reiste, hörte ich zum ersten Mal die Löwen die ganze Nacht hindurch brüllen. Das Brüllen besteht aus einem groben unartikulirten Laute, der etwas Hohles hat, wie der Schall eines Sprachrohrs. Es ist ein Mittelding zwischen U und O und scheint aus der Erde zu kommen, so daß man die Richtung nicht errathen kann. Daher wissen die erschreckten Thiere auch nicht, wohin sie fliehen sollen, sondern laufen im Dunkelnhin und her und fallen dem Feind in den Rachen. Während des Brüllens hält nämlich der Löwe das Maul gegen die Erde. An unserm Vieh konnten wir es jedes Mal erkennen, wenn sich Löwen näherten, selbst wenn sie nicht brüllten. Die Hunde wagten nicht einen Laut von sich zu geben, die Ochsen und Pferde holten tief Athem und zogen langsam an den Riemen, womit sie an die Wagen gebunden waren, legten sich auf die Erde und standen wieder auf, als wenn sie in Todesangst wären. Die uns begleitenden Hottentotten machten sodann Feuer, legten ihre Wurfspieße neben sich und die Europäer luden die Flinten mit Kugeln. Obschon die Löwen das Feuer fürchten, so wußten die Hottentotten doch Beispiele, daß sie Menschen davon weggeholt und ganz in der Nähe aufgefressen hatten. Sie verboten, zur Unzeit zu schießen, damit im Finstern nicht ein Mensch getroffen werde und beschlossen, das Thier mit ihren Spießen anzugreifen, während andere sich ihm an die Füße hängen sollten. Sie behaupteten, daß der Löwe den Menschen, den er überwältigt und unter sich liegen hat, nicht sogleich tödte, wofern derselbe ruhig bleibt, sondern ihm erst später unter fürchterlichem Gebrüll einen Schlag auf die Brust gebe. Die Hottentotten waren indeß sehr muthig und bezeigten keine Furcht. Einer der Ochsen zeigte sich ganz besonders ängstlich, so daß es ihm sogar vor Schreck im Leibe rumpelte; eben so benahm sich auch ein Hengst und beide Thiere hatten noch nie einenLöwen gesehen. Dagegen scheinen die gemsenartigen Thiere ihn nicht zu wittern, da sie an seinem Versteck oft so sorglos vorübergehen, wenn sie an’s Wasser wollen, um ihren Durst zu löschen und dann auch meist seine Beute werden. Will man durch Flüsse setzen, so pflegt man mit der großen Ochsenpeitsche so laut als möglich zu klatschen, um auf diese Weise die lauernden Löwen aus ihrem Hinterhalte zu vertreiben. Das Klatschen der Peitsche tönt weiter als ein Flintenschuß.“
„Ein Hottentotte bemerkte eines Tages am obern Sonntagsfluß, daß ihm ein Löwe zwei Stunden lang nachschlich und schloß daraus, daß derselbe nur die Nacht abwarte, um über ihn herzufallen. Da er nichts als einen Stock bei sich hatte, versteckte er sich beim Einbruch der Nacht in eine Kluft an einem Abgrund, steckte Hut und Wamms auf den Stock, den er aus der Kluft herausragen ließ, indem er ihn von Zeit zu Zeit bewegte. Der Löwe schlich ganz leise wie eine Katze herbei, dann sprang er auf den Hut zu und stürzte die Felsen hinab.“
„Es ist merkwürdig, daß der Löwe den Menschen gewöhnlich nur verwundet oder eine Weile wartet, bis er ihm den tödtlichen Streich giebt, während er die Thiere augenblicklich tödtet. So hatte einer zwei Ochsen, als sie kaum vom Wagen ausgespannt waren, auf der Stelle den Rücken entzwei geschlagen. Ein Mann hatte es mit seinen zwei Söhnen gewagt, Jagd auf einen Löwen zu machen. Siewaren zu Fuß, und als der Löwe hervorstürzte, hatte er schnell Einen ergriffen und ihn unter sich geworfen und dennoch hatten die beiden Andern Zeit, den Löwen zu erschießen und den Unglücklichen zu retten. Ich habe selbst einen am Backen scheußlich verwundeten Hottentotten gesehen, dem auf einer Jagd ein Löwe bloß diesen Biß beigebracht hatte, ohne ihm weiter etwas zu thun. Ein anderer hatte einen Mann bloß in den Arm gebissen. Da er in der Regel keinen Widerstand begegnet, so scheint er den Muth leicht zu verlieren, wenn man ihm dergleichen entgegensetzt. In der Berberei, wo er die Uebermacht des Menschen mehr kennen gelernt hat, soll er sich sogar mit Stockschlägen von Weibern und Kindern vertreiben lassen.“
„Die Stärke des Löwen ist außerordentlich. Er schleppt ein Rind im Rachen fort, wie die Katze eine Maus und springt damit sogar über Gräben. Ein Büffel ist ihm jedoch zu schwer. Am Buschmannsfluß sahen zwei Bauern einmal einen Löwen, welcher einen Büffel fortschleppte; sie vertrieben aber den Löwen, weil sie selbst Lust nach dessen Beute hatten. Er hatte dem Büffel das Gedärm aus dem Leibe gerissen, um ihn leichter fortschaffen zu können. Als sie das Fleisch auf den Wagen luden und fortfuhren, sah er sich recht oft aus dem nahen Wald nach ihnen um, ohne Zweifel nicht ohne großen Verdruß. Wenn er den Sieg über den Büffel davon trägt, so geschieht das bloß durch Ueberfall aus einem Hinterhalte, nicht durch freien Kampfauf dem Felde. Er springt auf ihn los, setzt ihm die Klauen an den Hals, schlägt ihn mit der Tatze in’s Gesicht, schlingt sich um den Kopf, zieht ihn bei den Hörnern zu Boden und sucht ihm Maul und Nase zuzudrücken, bis er erstickt oder an seinen Wunden verblutet.“
„Uebrigens wehren sich die Büffel, besonders wenn sie Kälber haben, und ein Löwe soll von einer Heerde Kühe, welche er bei hellem Tage angriff, todt gestoßen worden sein.“
„Ein Dutzend gewöhnlicher Hofhunde werden übrigens bei Tag auch Meister des Löwen. Sein Stolz hält ihn nämlich ab, vor ihnen zu fliehen und er setzt sich blos hin, um sie mit den Tatzen abzuwehren, womit er freilich 2-3 todt schlägt, aber von den andern zerrissen wird.“
„Der Löwe ist viel leichter zu tödten als andere Thiere; Büffel und große Gemsen laufen mit einem Schuß durch Bauch und Gedärme davon, der Löwe aber bekommt gleich Erbrechen und wird unvermögend zu laufen. Der Löwe ist übrigens eines der trägsten Raubthiere und giebt sich nicht gern die Mühe, etwas aufzusuchen, so lange er nicht vom Hunger gedrängt ist.“
„Am Kohmiesberge, im Lande der Nomaden, wollte ein Hottentotte eine Heerde Vieh in’s Wasser treiben, als er einen Löwen entdeckte. Er floh mitten durch die Heerde in der Hoffnung, daß der Löwe eher ein Stück Vieh ergreifen würde, als ihm zu folgen. Keineswegs. Der Löwebrach durch die Heerde und folgte dem Hottentotten, der jedoch noch so glücklich war, auf einen Aloebaum zu klettern und sich hinter einen Haufen Nester des grauen Webervogels zu verstecken. Der Löwe that einen Sprung hinauf, verfehlte aber seinen Zweck und fiel auf den Boden. In mürrischem Schweigen ging er um den Baum, warf dann und wann einen schrecklichen Blick hinauf, legte sich endlich nieder und ging 24 Stunden nicht von der Stelle. Endlich begab er sich nach der Quelle, um seinen Durst zu löschen; der Hottentotte stieg herunter und lief nach Haus, welches nur eine halbe Stunde entfernt war. Der Löwe folgte ihm und kehrte erst 300 Schritt vom Hause um.“
„Der Löwe greift, nach Aussage der Jäger, kein Thier und keinen Menschen an, wenn sie nicht fliehen, ohne vorher in einer Entfernung von zehn Schritt sich niedergelegt und seinen Sprung abgemessen zu haben. Daher schießen die Jäger ihn nicht eher, als bis er sich gelegt hat, weil sie dann richtig vor den Kopf treffen. — Begegnet man unbewaffnet einem Löwen, so sind Muth und Geistesgegenwart das einzige Rettungsmittel. Wer entflieht, ist unfehlbar verloren, wer ruhig stehen bleibt, den greift der Löwe nicht an. Die erhabene Gestalt des Menschen flößt ihm, vorausgesetzt, daß er den leichten Kampf mit den Menschen noch nicht versucht hat, eher Furcht und Mißtrauen in seine eigene Kraft ein und eine ruhige Haltung verstärkt diesen Eindruck mit jedem Augenblick. Wenn ersich auch zum Sprung niederlegt, so wird er denselben doch nicht wagen, wenn man ihn unbeweglich wie eine Bildsäule in’s Auge schaut. Man muß sich hüten, durch eine unbedachtsame Bewegung Furcht zu verrathen. Der Ausgang beweist, daß er selbst sich nicht minder gefürchtet hat als der Mensch; denn nach einiger Zeit erhebt er sich langsam, geht unter beständigem Umsehen einige Schritte zurück, legt sich wieder, entfernt sich abermals in immer größeren Zwischenräumen und nimmt endlich, wenn er ganz außer dem Wirkungskreis des Menschen gekommen zu sein glaubt, in vollem Laufe die Flucht. Der Löwe wägt die Gefahr ab, der Panther aber stürzt sich blindlings auf den Feind, unbekümmert, ob er siegen oder unterliegen werde.“
So erzählte der Menageriebesitzer lange den Kindern und von Zeit zu Zeit brachen immer wieder seine Thränen aus. „O,“ sagte er betrübt, „wo werde ich wieder einen Löwen bekommen, der so klug ist wie der meinige und so schön Komödie spielen kann?“
„Wie, Komödie?“ riefen die Kinder einstimmig.
„Ja, auf einem großen Theater in Paris.“
„Man erzählt nämlich eine Geschichte von einer englischen Dame, welche nach einem andern Welttheil reisen wollte, um ihren Mann zu besuchen. Das Schiff legte an der Küste von Afrika an, um Wasser einzunehmen und die Frau stieg mit ihrem Kind an’s Land. Sie setzte letzteres unter einen Baum, um einen Trunk zu holen, undals sie wieder zurückkehren wollte, erblickte sie mit Schrecken einen Löwen, welcher um das Kind herumging, es beschnupperte und leckte. Als das kleine Wesen über die unsanfte Berührung seiner rauhen Zunge zu schreien begann, stutzte der Löwe und entfernte sich in ruhigem Schritt. Die Mutter eilte nun herbei; sie hatte schon gemeint, ihren Liebling todt oder verstümmelt zu finden, aber siehe da, er war unversehrt, und sie sank nieder auf das Knie neben dem Kinde und dankte Gott, daß er das Herz des Raubthiers gerührt hatte.“
„Diese Geschichte wird nun als Singspiel in Paris aufgeführt und mein Löwe spielte mit. Ich hatte ihn seit seiner frühesten Kindheit darauf abgerichtet.“
Prinzeß. Aber, wenn er nun wild wird?
Lisi. Fürchtet sich denn das Publikum nicht?
„Das Publikum weiß wohl,“ versetzte der Menageriebesitzer, „daß mein Löwe von vier dicken Seilen gebunden ist, die man aber nicht sieht.“
Prinzeß. Das Kind ist wohl durch eine Puppe vorgestellt?
Menageriebesitzer. Nein, es ist ein lebendiges Kind.
Prinzeß. Aber welche Mutter wird ihr Kind zu so etwas hergeben?
Menageriebesitzer. Das Kind läuft keine Gefahr, denn es liegt unter einem Gitter von starkem Draht; diesesschützt vor des Löwen Zahn und Zunge, während es für das Publikum unsichtbar ist.
Als der Menageriebesitzer seine Erzählung beendet hatte, begab er sich auf den Heimweg. Die Kinder aber plauderten noch lange über das Löwenabenteuer, über den Löwen und dessen Naturgeschichte.
HochmuthThut selten gut.
Hochmuth
Thut selten gut.
Das Kind, welches der Löwe gefressen hatte, war niemand anders als die kleine Hanne. — Dorte hatte sie wie gewöhnlich sorgsam angekleidet, gewaschen und gekämmt, um sie in die Klein-Kinderbewahrschule zu bringen. Sie hatte ihr auch ein Taschentuch mitgegeben, was sie wohl konnte, da Wilhelm deren so viel gestohlen hatte. Hanne aber wollte nicht in die Bewahrschule gehen, sondern lieber auf der Straße spielen; sie war noch immer ein ungehorsamesKind, und als die Schwester mit ihr auf dem Wege war, riß sie sich los von deren Halten und lief weg. Sie hatte sich im nahen Gebüsch verstecken wollen, bis Dorte selbst in die Schule gehen mußte; dann wäre sie während mehrer Stunden ganz ohne Aufsicht gewesen. Hannchen wußte nicht, daß man nicht davon laufen müsse vor dem Löwen, und als sie das große Thier erblickte, war sie trotz ihrem Schrecken auf nichts als auf ihre Flucht bedacht. Sie riß aus, so schnell die vor Angst zitternden Füße sie tragen konnten, — aber der Löwe hatte sie mit zwei Sprüngen erreicht; er mußte noch hungrig sein trotz des erlegten Schafs, bei dessen Verzehren seine Verfolger ihn gestört hatten. Mit seiner großen Tatze schlug er das Kind zu Boden und bald war sie mit Haut und Haaren verspeist.
Der Ungehorsam wird immer bestraft, auch wenn keine Löwen frei im Walde herum laufen! —
Der große Löwe wurde nun ausgestopft und im Lustschloß der Prinzessin aufgestellt. Er stand im Hausplatz, und wer zur Hausthür hereintrat, bewunderte das schöne Thier. Rosaurus erfreute sich ganz besonders an demselben; er kletterte an dem Schwanz hinauf, setzte sich auf des Löwen Kopf, zaußte in dessen Mähnen herum und ergötzte durch seine wunderlichen Sprünge und Geberden die Prinzessin und deren Freundinnen.
Wenn Rosaurus auf des Löwen Haupte saß, so kamen ihm oft wunderliche Gedanken; es war, als ob der Muthdes großen Todten ihm durch die Glieder ströme, er bekam Lust, auch ein König der Wälder zu werden. „Ich verbringe“, sagte Rosaurus zu sich selbst, „hier meine Tage in Müßiggang; wenn ich durch meine Sprünge eine lachlustige Jugend unterhalte, so habe ich meinen Beruf erfüllt. Ich führe eigentlich ein wahres Schlaraffenleben; mir fliegen, so zu sagen, die gebratenen Tauben in den Mund, während die Natur mir List und Geschicklichkeit verliehen hat, sie lebendig zu fangen. Ich hänge ab von den Launen einer kleinen Prinzessin, ich bin gebannt auf die weichen Teppiche der fürstlichen Zimmer, während die ganze große Welt mir offen steht und Millionen von Mäusen herumlaufen, die eigentlich nur für mich geschaffen sind. Ich bin ein Sklave und könnte so gut frei sein. Im Wald, wo alle Thiere froh und vergnügt herumklettern, muß ich allein Fesseln tragen und werde an einem rosa Atlasband gehalten. Nein! das geht nicht länger so. Ich bin zwar noch nicht ein ganz großer ausgewachsener Kater, aber ich fühle doch schon Kraft und Muth genug, um meine goldenen Fesseln zu brechen und mich selbst zu ernähren; ich will ein freier Kater sein!“
Nach diesen Betrachtungen erwartete Rosaurus nur die Gelegenheit, aus dem Lustschloß zu entkommen, die sich auch leicht fand, da das erste offene Fenster im Parterre ihm zu seiner Flucht behülflich war; er bewerkstelligte dieselbe am frühen Morgen, und eilte sogleich, aus Furcht, daß manihn bald einfangen würde, in den tiefsten Wald. Er hatte noch kein Frühstück genossen und freute sich, dasselbe zum ersten Mal in seinem Leben sich selbst zu erwerben. — In den Gipfeln der Bäume erblickte er Nester; das Wasser lief ihm in dem Mund zusammen beim Gedanken an die zarten Vögelchen, die er knacken wollte; aber ach! als er die Bäume erklettert hatte, fand er die Nester leer, es war die Brutzeit vorüber. Nachdem er zu verschiedenen Malen auf ähnliche Weise getäuscht worden, nahm er sich vor, lieber den Mäusen nachzugehen. Er wußte sehr wenig Bescheid im Wald, kannte also nicht die mäusereichen Distrikte und hielt es für das Beste, sich auf die Lauer zu legen. Es war ein starker Thau gefallen und Rosaurus hatte ganz nasse Füße bekommen; er suchte also ein trockenes Plätzchen unter einem großen Baum, wo mehrere Mäuselöcher ihm einige Hoffnung auf Erfüllung seiner Wünsche eröffneten; dort leckte er seine Pfötchen, putzte sich das Kinn, und machte eine sehr sorgfältige Toilette, denn er meinte, ein freier Kater müsse auch auf eine anständige Weise einhergehen.
Während dieser Beschäftigung hörte er etwas neben sich rascheln — „eine Maus“, dachte er — aber nein, es war ein anderes niedliches Thier. — Gelb der Rücken und weiß die Brust, zierlich der Bau. Es war ein Wiesel. Beide Thiere freuten sich, Bekanntschaft mit einander zu machen; sie schlossen Freundschaft. — „Lieber Freund“, sagte das Wiesel,„wenn du mich lieb hast, so entferne dich von hier;wir befinden uns aufmeinemMäuserevier; ich habe noch nicht gefrühstückt und wenn mein Wild dich so schön schnurren hört, da bleibt es in den Höhlen — vergieb — mit Freunden macht man nicht Umstände.“
Rosaurus hatte gemeint, alle Mäuse wären nur für ihn geschaffen und siehe, da war ein Nebenbuhler; schnell eilte er nach einem andern Platz; die Sonne hatte den Thau getrocknet und er schlich im zarten Grase so leise und weich einher, wie auf dem fürstlichen Teppich. „Hier ist mir gewiß das Glück hold“, dachte er. Da bemerkte er plötzlich ein wunderliches Geschöpf; es war ein rundes, ganz mit Stacheln bedecktes Thier, welches einen sehr kleinen Kopf und sehr kurze Füße hatte; es war ein Igel. „Was willst du?“ frug derselbe mit sanfter Stimme; „du weißt wohl nicht, daß du hier auf meinem Mäuserevier bist; habe die Güte, dich zu entfernen, denn mich hungert’s. Ich laure schon den ganzen Morgen vergebens auf ein Frühstück.“
Rosaurus eilte weiter; er war sehr hungrig; an einem Bergabhang hoffte er Schutz vor den heißen Strahlen der Sonne und eine Maus zu finden. Kaum dort angelangt aber vernahm er eine tiefe grobe Stimme, welche aus einer Höhle hervortönte, und die mit scharfen Zähnen versehene Schnauze eines Fuchses ließ sich sehen. — „Mach, daß du fort kommst, du mauselustiges Thier; das Mäusenest in der Nähe habe ich nicht etwa so lange für dich aufgespart;wenn ich kein besseres Mahl erwischen kann, so sollen dessen Bewohner mir gar nicht übel schmecken. Der Hunger ist der beste Koch!“
Rosaurus schlich betrübt weiter; er, der gemeint hatte, die Mäuse wären nur für die Katzen geschaffen, er fand nun, daß noch so viele andere Thiere auf diese Speise angewiesen waren. — Sein Muth sank immer mehr; als er müde sich auf einen Baumstummel setzte, vernahm er ein klägliches Schreien — ein Sperber hatte eine Maus gefangen und verzehrte dieselbe auf einem benachbarten Zweig.
Der Abend brach ein und Rosaurus war noch nüchtern. Es war dunkle Nacht und dichte Wolken hatten sich über dem Himmel gelagert und verhüllten Mond und Sterne; ein fernes Donnern ließ sich vernehmen und Rosaurus suchte Obdach hinter der verfallenen Mauer eines alten Thurmes. „Vielleicht läuft mir ein Mäuschen in den Weg, welches Schutz sucht, wie ich.“ — So dachte Rosaurus und sollte abermals getäuscht werden. Eine große Eule hatte dort ihr Nest aufgeschlagen und Rosaurus fühlte plötzlich den krummen Schnabel auf seinem Rücken. Die Eulen hassen die Katzen von Natur, weil sie von Mäusen leben, wie sie selbst; diese hier hatte noch obendrein Junge, denen Rosaurus gefährlich werden konnte.
Erschrocken eilte der arme Kater von dannen; die Eule hatte ihm eine tiefe Wunde auf dem rechten Schenkel beigebracht und diese schmerzte. Der Regen strömte herab undRosaurus befand sich auf freiem Feld; — er fühlte sich sehr unglücklich. Was war aus seinen Träumen von Freiheit geworden? er, welcher ein König der Thiere hatte werden wollen, was war er jetzt? Ein gedemüthigtes nasses Kätzchen, ohne Obdach, ohne Speise, das sich nicht mehr nach Hause finden konnte. Ach, er mochte wohl sehr weit von Hause entfernt sein; wie war er müde! Er streckte sich ins nasse Gras und sein klägliches Miau mußte alle Mäuse verscheuchen, wenn der Regen das nicht schon gethan hätte. — Zuletzt verstummte auch dieses Miau; Rosaurus lag erstarrt und ohnmächtig und alles Bewußtsein war von ihm geschwunden. Armer Rosaurus! das war ein schreckliches Ende seines ehrgeizigen Strebens.
Die Nacht war vorbei, der Regen hatte aufgehört, die Sonne ging auf, die Vögel zwitscherten, die Regenwürmer krochen hervor; die Feldmäuschen streckten ihr spitzig Näschen aus den Löchern, aber Rosaurus merkte nichts davon. Da kam ein kleines Mädchen daher, es war Dortchen, welche Etwas nach dem fürstlichen Lustschloß zu tragen hatte; sie sah Rosaurus am Wege liegen und erkannte ihn an dem abgebissenen Schwänzchen; denn an etwas Anderem hätte sie ihn nicht erkennen können, so häßlich, schmutzig und zerzaußt sah er aus. Sie nahm das erstarrte Thier in ihren Mantel und wärmte es; dann trug sie es zur kleinen Prinzessin. Rosaurus schlug die Augen auf, ihm war es, als habe er einen schweren Traum gehabt, nur dergroße Hunger, den er fühlte, sagte ihm, daß es kein Traum gewesen sei. Aber da stand auch schon die warme Milch mit Bisquit; während er fraß, wurde die Wunde ausgewaschen und mit kaltem Rahm benetzt; dann trug man Rosaurus in sein weiches Bettchen und deckte ihn mit warmen Tüchern zu. — Er schlief ein. —
Als er erwachte, fühlte er sich neu gestärkt, alle Sehnsucht nach der Freiheit war geschwunden, er spürte nichts mehr von Gelüsten — ein König der Wälder zu sein und empfand mit großem Behagen die Annehmlichkeit seiner Hofexistenz. Er nahm sich vor, dieselbe nicht mehr freiwillig aufzugeben, und die unsichere Mäusejagd nicht mehr höher zu stellen als die Süßigkeiten, welche der Prinzessin weiße Hand ihm stündlich reichte.