LIII.Lips Tullians letzte Schicksale.

LIII.Lips Tullians letzte Schicksale.

Ich kann nicht rückwärts; vorwärts ist die Schuld,Ist das Verbrechen, vorwärts ist die Schande: —Doch kann ich nicht zurück. Mich jagt das Schicksal,Mein Stern ging unter, der mich aufrecht hielt,Und tückisch stürzt die Nacht mich in den Abgrund,Und meine grade Straße führt zur Hölle!Th. Körner.

Ich kann nicht rückwärts; vorwärts ist die Schuld,Ist das Verbrechen, vorwärts ist die Schande: —Doch kann ich nicht zurück. Mich jagt das Schicksal,Mein Stern ging unter, der mich aufrecht hielt,Und tückisch stürzt die Nacht mich in den Abgrund,Und meine grade Straße führt zur Hölle!Th. Körner.

Ich kann nicht rückwärts; vorwärts ist die Schuld,Ist das Verbrechen, vorwärts ist die Schande: —Doch kann ich nicht zurück. Mich jagt das Schicksal,Mein Stern ging unter, der mich aufrecht hielt,Und tückisch stürzt die Nacht mich in den Abgrund,Und meine grade Straße führt zur Hölle!

Ich kann nicht rückwärts; vorwärts ist die Schuld,

Ist das Verbrechen, vorwärts ist die Schande: —

Doch kann ich nicht zurück. Mich jagt das Schicksal,

Mein Stern ging unter, der mich aufrecht hielt,

Und tückisch stürzt die Nacht mich in den Abgrund,

Und meine grade Straße führt zur Hölle!

Th. Körner.

Th. Körner.

Durch Josephinens Gold wieder mit stattlichem Anzuge und den Mitteln versehen, eine schnelle Reise im bequemen Wagen machen zu können, hatte Philipp an ihrer Seite Baiern erreicht.

Fest entschlossen, dem gefahrvollen Räuberhandwerke zu entsagen und in sicherer Einsamkeit nur der häuslichen Ruhe und seiner Josephine, die er immer mehr und wieder mit aller Kraft der frühern Leidenschaft liebte, zu leben, machte er ihr den Vorschlag, im Baierischen ein kleines, freundlich und angenehm gelegenes Grundstück zu kaufen,und dort dem Feldbaue sich zu widmen. Dies geschah so.

Hier lebte nun Josephine im süßesten Glücke, ohne zu ahnen, in ihrem geliebten Philipp einen Räuber und Mörder, in ihm den furchtbaren Lips Tullian zu umfassen. Schon in jener Gebirgsschlucht, wo er, von Josephinen aus dem Kerker befreit, an ihrer Seite die erste Freistätte gefunden hatte, begann er seine Erzählung von seinen seit ihrer Trennung erlebten Schicksalen. Diese Erzählung war das feinste Gewebe der schlauesten Erdichtungen, die rührendste Darstellung von Leiden und Kämpfen, aus welchen er immer als Tugendheld mit Strahlen der Glorie hervorging. Im Laufe der Reise gab er seine Erzählung nur stückweise, um sich nicht im Feuer längerer Mittheilung zu verwirren, um immer neue Mährchen zu ersinnen, und sie mit dem Kleide der höchsten Wahrscheinlichkeit zu umhüllen.

Es hatte Josephine beinahe zwei Jahre im wonnevollsten Genusse der Gegenwart gelebt, als Philipp, der bei seinem Leben im Gebirge, wo alles Jäger ist, auch ein Waidmann geworden, auf einige Tage sich vom Hause entfernte, um bei einem Förster einige Treib-Jagden mitzumachen.

Es befremdete ihn sehr, bei seiner Rückkunftnicht außerhalb des Hauses von Josephinen empfangen zu werden, wie sonst jedesmal geschah. Seine Befremdung ward zum höchsten Erstaunen, als ihm auf der Hausflur die Magd den Schlüssel zu den obern Wohnzimmern überreichte, mit der Nachricht: die Frau sei vorgestern Abends, nachdem sie lange mit einem fremden Manne gesprochen und ihr, ohne sonst etwas zu sagen, diesen Schlüssel übergeben habe, mit einem Bündel unter dem Arme von Hause fortgegangen und noch nicht heimgekehrt.

Philipp stürmte ins Zimmer; er fand alles unverrückt, vermißte kein Kleid seiner Frau, wohl aber den besten Theil ihrer Wäsche. Jetzt erblickte er auf dem Schreibtische einen versiegelten Brief. Mir Hast erbrach er ihn, und las:

„Kaum vermag meine zitternde Hand, Dir in diesen Zeilen zu sagen, daß ich ganz eingeweihet bin in die furchtbarsten Geheimnisse Deines schauderhaften Lebens. Wir beide können nicht mehr auf einem und demselben Lebenspfade wandeln. Den größten Theil des baaren Geldes habe ich dem Manne gegeben, der durch seine grauenvolle Erzählung den Frieden, das Glück meines Lebens auf immer vernichtete, auf daß er die gräßlichen Geheimnisse tief bewahre und Deine Freiheit und Dein Leben nicht gefährde. Ich gehe dahin, wo nur dietiefste Stille, die friedlichste Einsamkeit mir winken, und dort werde ich mit glühender Andacht für Deine Seele beten.Josephine.“

„Kaum vermag meine zitternde Hand, Dir in diesen Zeilen zu sagen, daß ich ganz eingeweihet bin in die furchtbarsten Geheimnisse Deines schauderhaften Lebens. Wir beide können nicht mehr auf einem und demselben Lebenspfade wandeln. Den größten Theil des baaren Geldes habe ich dem Manne gegeben, der durch seine grauenvolle Erzählung den Frieden, das Glück meines Lebens auf immer vernichtete, auf daß er die gräßlichen Geheimnisse tief bewahre und Deine Freiheit und Dein Leben nicht gefährde. Ich gehe dahin, wo nur dietiefste Stille, die friedlichste Einsamkeit mir winken, und dort werde ich mit glühender Andacht für Deine Seele beten.

Josephine.“

Der erste Gedanke, den Philipp nach entwichener Erstarrung wieder zu fassen vermochte, war nicht eine Erinnerung an Josephinen, eine Sehnsucht nach ihr, ein heißer Schmerz über ihre Entfernung; es war der Gedanke, den Verräther aufzusuchen, um die heiße Flamme der Rachsucht in seinem Blute zu kühlen. Er stürzte eine Flasche Wein aus, warf die Doppelbüchse über und eilte aus dem Hause, nachdem er sich bei der Magd in Ausforschung über Aussehen und Kleidung des fremden Mannes erschöpft hatte.

Nach den sorgfältigsten und mühsamsten Aufsuchungen fand er am Abende des dritten Tages, nicht fern von einer abgelegenen Waldschenke, einen Kerl im Gebüsche schlafen, in dem er den rechten Mann zu finden hoffte. Sanft wendete er den Schlafenden nach der Seite, und erkannte auf den ersten Blick in ihm den böhmischen Wenzel, seinen Bekannten von Schlesien her, der nur fast durch ein Wunder damals in Trebnitz dem schon für ihn gezücktem Henkerschwerte entgangen und später in Sachsen einer von Lips Tullians listigsten und hartherzigsten Raub- und Mordgesellen gewesen war. Daß dieser bei Josephinen an ihm zum Verräther gewordensei, daran hing Philipp mit festem Glauben, der zur Ueberzeugung ward, da Aussehen und Kleidung ganz mit der Angabe der Magd übereinstimmten, ohne Wenzel zu fragen, wie er in diese Gegend, wie er zu Josephinen gekommen sei, und warum er ihn verrathen habe, dazu gab ihm seine wild brennende Sucht nach Rache nicht Besonnenheit und nicht Geduld. Mit einem schnellen Blicke umherspähend, ob Niemand in der Nähe sei, stieß er dem Schlafenden sein Messer ins Herz.[39]Mit dem Lachen gräßlich befriedigter Rache eilte der Mörder von der Leiche hinweg.

Schon nach einigen Tagen hatte Philipp sein Grundstück verkauft, den Erlös in Geld umgesetzt, und mit Postpferden eilte er Sachsen zu, fest entschlossen, das Raub- und Mord-Handwerk noch gräßlicher zu treiben, als er es getrieben hatte.

An der Gränze verließ er die Postchaise, um zu Fuße desto leichter umherstreifen und die abgelegenen Diebeherbergen besuchen, auch in Wirts- und Köhlerhütten nach frühern Kameraden umherspähen zu können.

L. Oeser in Neusalza.Ein neuer Mord.❏GRÖSSERES BILD

L. Oeser in Neusalza.Ein neuer Mord.

❏GRÖSSERES BILD

Als Jäger gekleidet, mit Doppelbüchse, Waidtasche und Hirschfänger ausgerüstet, ging er nach der Stadt Freiberg. Am Thore wurde er von dem Examinator angehalten und nach seinem Passe befragt. Philipp äußerte in stolzen, trotzigen Worten seinen Unwillen, daß man ihn hier anhalte und nach seinem Passe befrage, ungeachtet er fast in jeder Woche zweimal mit Wildpret in die Stadt komme, wo ihn fast jedermann als den Förster des nahe wohnenden Herrn von Hartenstein kenne. Er ging fort, ohne die Gegenrede des Examinators abzuwarten, der aber, mit dieser Erklärung nichtzufrieden, ihm nacheilte und mit Arretirung drohte. Philipp ließ sich in seinem Gange nicht aufhalten, sprang von der Straße hinweg in ein Haus, und suchte durch eine Hinterthüre zu entfliehen. Der Examinator war ihm auf der Ferse. Das Haus hatte keine Hinterthüre, der Hofraum lief in einen finstern Winkel aus. Dort warf Philipp den Examinator zu Boden, und stieß ihm den Hirschfänger in den Leib.[40]

Lips Tullian in Freiberg.❏GRÖSSERES BILD

Lips Tullian in Freiberg.

❏GRÖSSERES BILD

Aus dem Fenster des Erdgeschosses hatte ein Weber die Mordthat gesehen. Er und seine Gesellen, mit Aexten, Hämmern und Gabeln schnell bewaffnet, eilten an die Hausthüre, um dem Mörder den Ausgang zu verwehren. Man schrie um Hülfe, nach der Wache. Schnell hatte sich eine Volksmenge gesammelt. Mit dem bluttriefenden Hirschfänger, mit gespannter Doppelbüchse stürzte Philipp hervor, fest entschlossen, Freiheit und Leben mit Blutströmen zu erkaufen, oder nur über Leichen hinweg ins Gefängniß geschleppt zu werden.

Beinahe blutlos und sehr kurz war der Kampf; ein gigantischer Schmiedegeselle, aus dem Hinterhause hervorstürzend, umfaßte Philipp von rückwärts mit einer Kraft, die jede Bewegung, jede verzweiflungsvolle Anstrengung des Wüthenden hemmte. Im Augenblicke war er entwaffnet und gebunden.

„Freibergs armselige Spießbürger haben Lips Tullian überwältigt!“ — brüllte er mit des ohnmächtigen Grimmes wildester Heftigkeit. Denn er hatte früher oft geäußert: „Freibergs Spießbürger sollen mich lebendig nicht gefangen kriegen!“ In sprachloser Ueberraschung, mit scheuen Blicken bebte das Volk bei diesem Namen vor dem gefesseltenTiger zurück. Keiner der Vielen hatte den Muth, dem Gefürchteten sich zu nähern. Jetzt stürzte die Wache herbei, den Gefangenen nach dem Stockhause abzuführen, und der Kolben unsanfte Berührungen machten den zögernden Gang des sich Sträubenden zum immer raschern Doppelschritte.

Es war am 14. November 1711, als Lips Tullian auf einem Wagen geschlossen, von einem Husaren-Commando umgeben, auf dem Festungsbaue zu Dresden ankam, und in dem Gefängnisse, die Mohrenkammer genannt, mit Fuß- und Handketten, mit Hals- und Leibring angeschmiedet wurde.

Im Laufe eines Jahres hatte er fünfmal die Tortur erduldet, ohne irgend ein Verbrechen bekannt zu haben. Als er eines Tages in das Verhörzimmer geführt wurde, starrte er auf der Schwelle mit heftigem Erschrecken zurück.

„Haben sich die Gräber aufgethan und ihre Beute ausgeworfen?“ stöhnte er mit bleichen Lippen, und streckte die zitternden Arme gerade aus, gleichsam von sich abwehrend die grauenvollen Gestalten, aus deren todtbleichen Gesichtern ihm gräßliche Erinnerungen wie quälende Gespenster entgegentraten. Sarberg, Eckold, Lehmann, Schöneck, Schickel und Hentzschel hatte er in jenem wilden Kampfe mit der rebellischen Bande leblos an seiner Seite niederstürzen gesehen, und jetzt standen sie ihm gegenüber, jetzt riefen sie ihm Gruß und Namen entgegen.

Es währte lange, bis er sich wieder gesammelt, bis er sich überzeugt hatte, daß sich das Reich der Todten geöffnet habe, daß es Lebende seien, deren Nähe ihn wie Leichengeruch anwidere. Aber als der Richter ihm nun sagte, eben diese Männer haben reuemüthig gestanden, was sie und Lips Tullian, ihr Hauptmann, gethan; als er hörte, daßseine vertrautesten Freunde zu seinen Anklägern, zu seinen Verderbern geworden seien, da durchbohrte er die Verräther mit tödtenden Blicken, da schüttelte er grimmig seine Ketten.

„Ich will bekennen, was ich gethan, aber diese Schurken sollen nicht die Früchte ihres Verrathes, ihrer Heuchelei, ihrer erbärmlichen Schwäche genießen. Und wenn das Erbarmen des Fürsten auch schon eine Gnadenschranke von Erz um ihr Leben gezogen hat, so reißen meine Geständnisse diese Schranke nieder, und jauchzend schleppe ich diese Räuber und Mörder auf das Blutgerüst!“ — So brüllte Philipp dem Richter zu, und mit des Hohnes und der Verachtung eisiger Kälte blickte er auf die todtbleichen Gestalten hin. —

Tullians Geständnisse begannen. Zwei Tage und eine Nacht, nur von Zeit zu Zeit durch eine Ruhestunde unterbrochen, dauerte das erste Verhör.

Ueber Tullian, über Sarberg, Eckold, Schöneck, Schickel, Lehmann und Hentzschel sprach im Monat Oktober 1714 der Schöppenstuhl zu Leipzig die Strafe mit dem Rade vom Leben zum Tode aus, die in der Folge von dem Landesfürsten gemildert wurde.

Lips Tullian und die mit ihm Verurtheilten wurden am 8. März 1715 auf dem großen steinernen Gerichte bei Alt-Dresden enthauptet und ihre Körper auf das Rad geflochten.

[39]Siehe dieAbbildung.[40]Hierzu dieAbbildungim 12. Hefte.

[39]Siehe dieAbbildung.

[39]Siehe dieAbbildung.

[40]Hierzu dieAbbildungim 12. Hefte.

[40]Hierzu dieAbbildungim 12. Hefte.


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