Armin Arm, wie immer, waren Irid und ich durch die weiße Nacht nach Hause gegangen.
Zum ersten Male seit ich bei ihr lebte, begann das Gefühl jener Inferiorität, das bisher wie eine Mauer zwischen meiner und ihrer Seele gestanden hatte, zu weichen.
Die Gedanken des Alten hatten mir einen Teil meines Selbstgefühls wiedergegeben. Es stieg in mir auf, daß ich die psychische Überlegenheit Irids, die sie ja nur der Erbschaft ihrer langen Ahnenreihe verdankte, zu hoch eingeschätzt habe, und ich ward mir wieder eines bewußt, das mich früher nie verlassen hatte: meiner Mannheit.
Irids Gedanken schienen einen ähnlichen Pfad zu wandeln. Mir war, als schritte nicht mehr die Herrin neben mir, die meinen Arm nur als Stütze brauchte und mich als ungefährliches Spielzeug, vielmehr hing ein junges Weib schwer an mir: Sie ließ sich führen statt mich zu leiten.
Als wir in unserm Hause anlangten, fanden wir die Halle noch warm. Ich warf einige Scheite in die verglimmende Glut, und Irid blies sie an. Es war keine Verabredung, daß wir, unserer Gewohnheit entgegen, nach der Rückkehr vom Hause des Vaters noch nicht unsere Schlafzimmer aufsuchten.
Wir entledigten uns unserer Oberkleider und setzten uns nebeneinander nieder.
Meine tastende Hand fühlte, wie das Herz des Mädchens laut schlug. Meine Finger umspannten die tief atmende junge Brust und mein Mund suchte den ihren.
Zum ersten Male wich sie mir aus, nahm meine Hände in die ihren und sagte: „Höre, Markus!“
Sie nannte selten meinen Namen, dessen Aussprache ihr fremd war. Ich aber hörte kein Wort lieber von ihr.
Und nun begann sie zu sprechen. Lebhafter, wortreicher als sonst floß ihre Sprache, und der Ton klang anders denn bisher.
Anders auch war ihre Haltung. Es deuchte mich, als sähe sie zu mir empor, und in ihrenWorten war Respekt, ja etwas wie eine ferne Furcht.
Sie begann von der Zeit zu erzählen, da ich noch nicht bei ihr gewesen war.
Sie sei von Männern viel besucht worden. Da ihr ja nichts verborgen blieb, so habe sie auch gewußt, daß alle diese Männer sie begehrten.
Oft habe sie eine heiße Lust gehabt, dem Begehren, zumal des einen, nachzugeben. Es sei ihr unendlich schwer geworden zu widerstehen. Und doch habe sie die Kraft aufgebracht, ihrem Vorsatze, sich erst mit dem Manne zu vereinigen, der der Vater ihres einzigen Kindes werden solle, treu zu bleiben.
Es hatte ihr aber keiner genügen können.
Alle seien sie weise, ruhig, schweigsam, von letzter Selbstzucht gewesen, gleich jeglichen Menschen ihrer Welt und gleich ihr selbst. Sie wußte, sie hätte mit jedem von ihnen einen schönen, harmonischen und ruhigen Menschen gezeugt.
Ein starkes inneres Gefühl, wohl atavistischer Herkunft, jedoch drängte sie zu anderem.Das Bewußtsein von der alternden Menschheit war in ihr, und ein heftiges Sehnen nach Jugend stieg in ihr auf.
Sie konnte sich keine Rechenschaft darüber abgeben, welch’ einer Jugend dies Sehnen galt, denn die Männer, die schweigend um sie warben, waren jung, stark und schön, aber im Gefühl war es vorhanden, und so schritt sie ihre Pfade mit sehnenden Sinnen und suchte den Mann der Jugend, dem allein sie ihre reiche Liebe schenken wollte.
Im vergangenen Frühsommer, nach der Schlaflosigkeit erotisch-heißer Stunden, war sie in der schwindenden Nacht hinuntergeschritten zum See. Dort hatte sie sich niedergesetzt, und ihr Blick war zu den Sternen hinaufgegangen und fand in jener Spirale feinen Nebels die andere Welt.
In der heißen Phantasie der glühenden, liebesehnenden Erregung sah sie dort einen andern Planeten mit Männern von ungebändigt junger Kraft, Männern von Blut und Feuer, laut, lärmend, fordernd, gebietend, Männern, die statt schweigenden Mitfühlensdie Geißel schwangen über dem sich widersetzenden Weibe.
Eine erotische Ekstase sei über sie gekommen. Sie habe einen bestimmten Mann gesehen, nackt, barbarisch, sie begehrend. Alle ihre Kraft, all ihr Denken und Wollen und all ihr sinnliches Fühlen habe sich in wonnevoller Konzentration auf ihn gerichtet.
In diesem paroxystischen Zustande habe sie lange Zeit verharrt. Er habe auch angehalten, als das Licht der Sterne verlosch; und wie sie fühlte, daß die Sonne sich erhob hinter ihr, habe sie gewußt, daß jetzt der Mann kommen müsse.
Mit ausgebreiteten Armen, einer Trunkenen gleich, sei sie dem See zugeschritten, und als der Mann dem Wasser entstieg, nackt, wie ihre innere Glut ihn gesehen hatte, wäre die Kraft in ihr zusammengebrochen, und fassungslos, zum ersten Male in ihrem Leben, sei sie in die Knie gesunken.
Nie bisher hatte sie über den Tag meiner Ankunft gesprochen. Stets war sie abgebogen, wenn etwa einmal die Rede daraufkommen wollte in unsern knappen Gesprächen. Jetzt flossen ihre Worte mir zu, gleich einem lange eingedämmten Strome.
Sie habe mich geliebt, schon ehe sie mich sah. Ihr Wunsch, ihr eigener Wille hätte mich ihr zugetragen. Ihre erotische Kraft habe mich geboren. Ich sei ihr Geschöpf. Aber gerade dieses Bewußtsein wieder habe sich wie ein kalter Ring um ihre Leidenschaft gelegt.
Dann, als sie sah, daß mir alle die selbstverständlichen Eigenschaften mangelten, die in ihren Augen den Menschen vom höheren Tiere schieden, als sie sah, daß ich schwatzhaft war und spielerisch gleich den Kindern, eitel und ohne Selbstzucht gleich den Tieren, daß ich Torheiten sprach und töricht handelte, ohne es zu bemerken, daß sie die stärksten Gedanken haben konnte vor mir, ohne daß ich eine Spur davon empfand, vor allem aber als sie sah, wie ich wie ein Haustier um sie war, abhängig von ihren Gedanken und ohne Freiheit vor ihr und vor mir selbst, als sie alles dieses sah und fühlte, sei der Zweifel in ihraufgestiegen an mir, an der köstlichen Vision jenes Morgens und an ihr selbst.
Wohl glaube sie mich zu lieben. Wohl zögen sie ihre Sinne zu mir – nie habe sie mir das verborgen – aber nicht vermöchte sie es sich mit mir zu vereinigen.
Erschöpft und mit Tränen in den Augen erhob sie sich, wehrte meinen Worten und wehrte mir, ihr zu folgen.
Ich aber wußte, daß sie noch in dieser Stunde mein sein würde.