Amnächsten Morgen schaute Irid in meine Tür und winkte mir, der ich vom Geräusche ihres Erscheinens erwachte, fröhlich Guten Morgen zu. Sie kam in weitem weißem Mantel aus dem Bade, und ihr weiches, lichtes Haar bedeckte sie bis zu den Hüften.
Das Frühstück war im Gärtchen vor dem Hause angerichtet. Im nahen Walde sangen und zwitscherten die Vögel. Ich konnte mich nicht besinnen, je einen Tag köstlicher und friedlicher begonnen zu haben.
Nach dem Frühstücke nötigte mich Irid in die Halle, wies mir einen Stuhl im Hintergrunde an und legte, mich bedeutungsvoll ansehend, den Finger auf den Mund.
Aus dem Walde begannen jetzt Kinderstimmen laut zu werden, und bald stürmten drei kleine pausbäckige Buben von sieben oder acht Jahren in die Halle und hingen sich mit Hallo und Freudengebrüll an die Kleiderder lachenden Irid, die sich der aggressiven Bürschchen kaum erwehren konnte.
Binnen kurzem sprang noch ein Pärchen herein, Junge und Mädel, und einige Minuten danach noch zwei kleine Mädchen. Alle Kinder waren etwa im gleichen Alter, sehr leicht, einfach und reinlich gekleidet und von prachtvoller Gesundheit. Mit dieser kleinen Schar kam Leben in die bisher stumme Welt.
Wenn auch die kleinen Geister nicht so viel plapperten, wie Kinder meiner Erde, und überdies Irid noch recht oft den Zeigefinger auf die Lippen legte, um das Mäulchenkonzert noch weiter abzudämpfen, so taten mir die jungen, menschlichen Stimmen nach all dem Schweigen doch wohl. Auch Irids schönes, volles Organ bekam ich nun öfter zu hören.
Die Kinder lagerten sich auf den Ruhebetten an den Wänden, Irid setzte sich auf einen Stuhl in der Mitte der kleinen Halle, und ich stellte fest, daß ein regelrechter Schulunterricht begann.
Auf mich achtete, nachdem jedes der Kindermich durch eine kleine Verbeugung begrüßt hatte, niemand mehr. Es war für die Kinder, als ob ich nicht mehr da sei.
Ich muß gestehen, daß dieser Schulunterricht, von dem ich nicht das leiseste Wort verstand, mich erheblich mehr ermüdete als offenbar die Kinder, die oft mit Lachen und Fröhlichkeit den Ernst der Stunde unterbrachen.
Vorausberichtend will ich schon jetzt sagen, daß Irid Lehrerin von Beruf war. Sie unterrichtete die kleinen Abcschützen, die aber nicht vor vollendetem siebenten Jahre zur Schule geschickt werden. Der Unterricht findet für diese Kleinen in Gruppen von nicht mehr als acht Kindern, und ausschließlich in den Häusern der Lehrer statt. Diese Häuser sind, überall verteilt, an besonders schönen Punkten gelegen und werden, neben einer reichen Bezahlung, den Lehrern und Lehrerinnen von der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt.
Bei der dünngesäten Bevölkerung des Planeten und der weitläufigen Wohnweise seinerBewohner ist es möglich, die Kinder in nur so geringer Zahl zu verteilen.
Der Lehrberuf, zumal der für die Kinder bis zu 16 Jahren, ist der angesehenste auf dem Planeten. Kinderlehrer zu sein gilt für die höchste Auszeichnung.
Die Ernennung seitens der Gemeinschaft der einzelnen Wohnkreise erfolgt schon seit undenklichen Zeiten nur nach eingehender Prüfung vor allem der menschlichen und seelischen Qualitäten des sich Bewerbenden, der sich die geforderte umfassende wissenschaftliche Vorbildung ganz nach eigener Neigung selber beschaffen muß.
Wer nicht über eine heitere, geduldige Sinnesart und über einen gesunden Humor verfügt, hat von vornherein keinerlei Aussichten. Ebenso wird nicht zugelassen, wer zur Pedanterie, zum leichten Verärgertsein, zu besonderer Ordnungsliebe neigt, oder wer die schlechte Angewohnheit, alle Dinge von der praktischen Seite anzufassen, nicht loswerden kann. Gesundheit, körperliche Frische und Gewandtheit, Lebenssicherheit und eine vollkommeneBeherrschung aller Formen sind Voraussetzung. Alles dieses wird bei der Auswahl der sich Bewerbenden erheblich mehr beachtet als die wissenschaftliche Befähigung.
Da aller Unterricht, auch der höchsten Art, kostenlos erteilt wird, so steht es jedem frei, sich auf den vielgesuchten Lehrerberuf vorzubereiten. Wenige jedoch nur erreichen das Ziel. Den anderen ist das vielseitige Studium für ihre Geistesbildung nicht verloren.
Eine solche Lehrerin nun war Irid, und zwar stellte ich später mit Genugtuung fest, daß ihr Ruf weit über den ihres eigenen Wohnkreises hinausging. Zahlreiche andere Wohnkreise schon hatten sich um sie beworben. Sie aber zog es vor, in dem ihrer Geburt zu bleiben und sich mit dem vergleichsweise anspruchslosen Hause zu begnügen, das ihr hier zur Verfügung stand.
Ihre Jugend – sie war erst 23 Jahre alt – wäre nach unsern Begriffen ihrem Ruhm ein Hindernis gewesen. Dort aber bedeutet Jugend, wenn sie mit Tüchtigkeit verbunden ist, ein besonderes Guthaben in derallgemeinen Einschätzung. Jungen Leuten wird in allen Berufen, mit Ausnahme des der Totengräber, der Vorzug gegeben.
In den nächsten Tagen begann ich von Irids Unterricht wohl einiges zu begreifen, aber dies genügte mir, die gesamte gedankliche Grundlage der Bildung jenes Planeten als von der des unserigen grundverschieden zu erkennen, dergestalt, daß ich nur mit der größten Mühe überhaupt folgen konnte, und mich, der ich auf Erden geglaubt hatte, ein über den Durchschnitt hinausgehendes Maß von Intelligenz zu besitzen, schämte, hier hinter den Kindern zurückzustehen.
Ich sprach, um mich und Irid nicht bloßzustellen, im Unterricht kein Wort. Des Nachmittags aber, wenn ich mit dem Mädchen allein war, lehrte sie mich so gut es ging ihre Sprache verstehen.
Den tieferen Grund meiner für diese Welt geringen Begriffsgabe erfuhr ich erst später, erst nach meiner Bekanntschaft mit Irids Vater, von der ich bald berichten werde. –
Bis zum Beginn dieser Bekanntschaft zogendie Tage in gleichmäßiger Einförmigkeit hin. Ich sah außer Irid, der Dienerin, die Okk hieß, den Kindern und dem Hunde Turu niemanden, wohnte des Vormittags dem Schulunterrichte bei, erhielt des Nachmittags in wunderschönen Stunden Sprachunterricht, und verbrachte stumme, fragende und nicht immer glückliche Abende mit dem schönen Mädchen, zu dem mich ein immer stärker aufkommendes Liebesgefühl mit Leidenschaft hinzog.
Irids seelische Kraft und Sicherheit aber setzte eine unübersteigbare Mauer zwischen mich und ihre letzte Gunst.
Das Mädchen war von starken Sinnen. Ich fühlte das mit Bestimmtheit. Und daß sie mich gern habe, daß ich ihr vielleicht mehr als sympathisch sei, mußte ich allein aus der Tatsache meiner Aufnahme in ihrem Hause entnehmen. Auch ließ sie sich von mir kleine Liebkosungen gern gefallen, pflegte Hand in Hand mit mir zu gehen, legte ihren Arm um meine Schulter, bot mir oft Wange und Scheitel zum Kusse, zeigte sich ohneScheu, aber auch ohne jede Spur von Koketterie, oftmals in der allerknappsten Kleidung vor mir, pflegte des Morgens, um mich zu wecken, mein Zimmer zu betreten, und liebte es überhaupt, sich mit mir auf einen derartig innigen Verkehrsfuß zu stellen, daß ich daraus das Allerglücklichste hätte für mich entnehmen können, wenn mich das Bewußtsein ihrer absoluten geistigen und seelischen Superiorität auch nur einen Augenblick hätte verlassen können. Dann ihren Widerstand zu brechen, dachte ich mir leicht.
So aber blieb ich der Hörige und Abhängige, und begann mich immer mehr, trotz aller hingebenden Güte und Freundschaft des Mädchens, als eine Art Genossen ihres Hundes Turu zu fühlen, in welchem Vergleiche ich überdies noch den kürzeren zog, da Turu vor mir voraus hatte, von der Sprache unserer gemeinsamen Herrin erheblich mehr zu verstehen, als ich.