Zehntes Kapitel.Die Schulmeister.

»Bester Herr Pastor.«

»Ich nehme ja nur den möglichen – für jetzterdachtenFall, guter Kleinholz – was Ihnen Alles, sage ich abginge an Ihrem jetzt schon nichts weniger als brillanten Gehalt – Sie würden vielleicht nicht einmal im Stande sein zulebenund glauben Sie, daß Sie einem besseren Loos entgegengingen, wenn Sie von den Bauern allein abhängig in Ihrer Besoldung wären?«

»Sehn Sie, meine Freunde, jede Sache hat, wie ich Ihnen das auch eigentlich gar nicht mehr zu sagen brauche, ihre zwei Seiten – eine gute und eine böse – und es ist nicht allein nothwendig, nein es ist auch unsere Pflicht, die Schattenseiten dessen, was einst einen so wichtigen Theil unseres Lebens ausmachen soll, zu beleuchten, um sie entweder vorher kennen zu lernen oder – wenn wir sie für gar zu schwierig halten, zu vermeiden.«

»Damit habe ich Ihnen Beiden übrigens keineswegs alle die Unannehmlichkeiten aufgezählt, die eine Trennung der Schule und Kirche für den Lehrer haben müßte; nein, das lag auch gar nicht in meiner Absicht, denn Sie können sich wohl denken, daß es mir, des Nutzenswegen, den es mir bringt, ziemlich gleichgültig sein kann, ob ich Schulvorstand bin oder nicht; es ist das ein Amt, was mirvielZeit raubt und gar Nichts einbringt, aber, da wir doch einmal gerade daraufkamen, hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen wenigstens meine Ansichten darüber mitzutheilen – überlegen Sie sich die Sache nur selbst und prüfen Sie – Ihr gesunder Geist wird Sie dann schon das richtigewählenlassen.«

»Doch, was eigentlich die Hauptsache dessen war, worüber ich mit Ihnen zu sprechen wünschte, – Sie haben wohl heute hier in Horneck eine Art Conferenz der benachbarten Lehrer?«

»Allerdings«, sagte Hennig, »ich glaube sogar, daß sie schon größtentheils eingetroffen sein müssen, wenn sie nach dem Mittagsgottesdienst von zu Hause weggegangen sind.«

»Horneck liegt so von all den umliegenden Dörfern in der Mitte« entschuldigte Kleinholz die Versammlung.

»Ei ja wohl, ich finde das ganz natürlich« fiel rasch und beistimmend der Pastor ihm in's Wort, »es ist mir aber lieb, daß es sich so getroffen hat, und ich vorher noch im Stande war, Ihnen etwas mitzutheilen, was jedenfalls von Interesse für Sie und Ihre Freunde seinwird. Es ist nämlich keinem Zweifel mehr unterworfen, denn meine Berichte aus der Residenz sind ziemlich zuverlässig, daß die Minister einer Trennung der Kirche von der Schule vollkommen entgegen sind, wenigstens werden sie nie die Zustimmung der ersten Kammer dazu bekommen, wir Geistlichen selbst sehen aber ein, daß eine Reform in den jetzigen Verhältnissen, wenn auch nicht gerade unumgänglich nöthig, doch jedenfalls nicht ganz unzweckmäßig wäre, wir finden es sogar billig, daß den Schullehrern auch das Recht zustehn müßte, ihre Schulen selbst und durch aus ihrer eigenen Mitte gewählte und sachverständige Männer revidiren zu lassen.«

Der Diaconus wandte sich erstaunt nach dem Pastor um, und auch Hennig horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit einem Zugeständniß, das er nie erwartet hatte von des Geistlichen eigenen Lippen zu hören.

»Um also Allem und Jedem zu genügen, was nur vernünftigen Menschen, die nicht gerade das Unmögliche, und mit dem Kopf absolut gegen die Wand rennen wollen, auch vernünftiger Weise verlangen können, geht mein Plan dahin, daß künftig der Schulvorstand ausfünfMitgliedern oder Theilhabern bestehe, von denendrei, also die MajoritätSchullehrer–zweiaber, und zwar die Minderheit,Geistlichesein müssen, wobei zugleich sonst jeder dazu gewählt werden kann, der den Betheiligten, also dem Schullehrerstande überhaupt, am meisten zusagt. Ist das geschehen, so denk' ich können Sie versichert sein, daß keine Klagen weiter über Uebergriffe der Pastoren vorfallen können, die Majorität des Schulvorstandes, also die Lehrer hätten sich das nur sonst selbst zuzuschreiben. Dieß ist also ein Gegenstand, der Ihre größte Aufmerksamkeit verdient, und es wäre mir sogar lieb, mein guter Herr Hennig, wenn Sie es heute Nachmittag in Ihrer Versammlung zur Sprache bringen wollten. Mit einigen meiner Amtsbrüder hab' ich darüber schon verkehrt, werde auch ebenfalls der nächstens zusammentretenden Geistlichkeit den Vorschlag machen, und bin ihrer Einwilligung ziemlich gewiß. Es wäre vielleicht auch nicht unpassend, wenn wir Alle zusammen, Lehrer und Geistliche eine gemeinschaftliche Bittschrift hierüber an ein hohes Ministerium aufsetzten und übergäben, damit dieses sich von der wahren Stimmung im Lande überzeugen und danach handeln und wirken könnte. Ich glaube bestimmt, daß Ihre Collegen ein solches Entgegenkommen von unserer Seite freudig begrüßen werden, und wie segensreich das dann auf die uns anvertraute Jugendzurückwirken muß, wenn wir, die wir für die Bildung des Geistes und der Seele vereinigt dastehen, auch vereinigt und freundschaftlich handeln, brauche ich Ihnen doch wahrlich nicht erst weiter auseinanderzusetzen.«

»Jetzt also, mein lieber Kleinholz, will ich Sie Beide Ihren Freunden nicht länger entziehen; morgen vielleicht, oder wenn Sie die Sache näher besprochen und überlegt haben, reden wir weiter darüber!«

Die beiden Schullehrer erhoben sich bei diesen Worten von ihren Sitzen, empfahlen sich dem Pastor, der ihnen freundlich und mit einigen gütigen Abschiedsworten die Hände drückte, und verließen das Zimmer. Der Diaconus wollte sie begleiten; diesen aber hielt der Pastor noch zurück und Hennig und Kleinholz schritten allein und schweigend, Jeder mit seinen Gedanken über das eben Gehörte beschäftigt, in die Schulwohnung langsam hinüber.

Zu Hause fanden die beiden Männer schon die Botschaft ihrer Collegen, die voraus in die Schenke gegangen waren, und sie bitten ließen, so bald als möglich nachzukommen. Der Pastor hatte sie gar so lange aufgehalten, und ungesäumt folgten sie dem Rufe; Papa Kleinholz, dem übrigens seines Hülfslehrers Keckheit beim Herrn Pastor fast den Athem versetzt hatte, benutzte den kurzen Weg von der Schule in die Schenke hinunter, um ihn darüber zur Rede zu stellen, und zu bitten, doch nur um des Himmels Willen zu bedenken, in welche Verlegenheiten er sich dadurch bringen, und was für Folgen so etwas für ihn und seine künftige Laufbahn haben könne.

Hennig antwortete all' diesen Vorstellungen aber nur höchst einsylbig, oft zerstreut; des Pastors Worte hatten einen wilden Sturm feindlicher Gefühle in seinerBrust erweckt, und Pflicht und Liebe schlugen in dem armen Herzen ihre erste, aber deshalb gewiß nicht minder heftige Schlacht. Schweigend schritt er an seines Vorgesetzten Seite dem verabredeten Berathungsplatze zu und unschlüssig kämpfte er mit sich, was er in dieser Sachlage thun, wie er handeln und auftreten solle.

In der Schenke zu Horneck hatten sich indessen zahlreiche Gäste eingefunden; der Wirth verstand selber die kunstgerechte Bereitung der edlen Gerste und braute ein ganz vorzügliches Bier, und der Horneck'sche Kartoffelkuchen war weit und breit berühmt; kein Wunder denn, daß das warme Frühlingswetter, das dem Mai selbst an Milde und Lieblichkeit nichts nachgab, eine Menge Hungriger und Durstiger herbeigezogen hatte, die nun im Garten oder in dem neuen, Veranda ähnlichen Ausbau des Hauses saßen, und den einzelnen Melodien des »Orchesters« lauschten.

Kleinholz und Hennig hielten sich jedoch nicht zwischen den Gästen auf, nur herüber und hinüber grüßten sie, wo sie vielleicht einen alten Bekannten sitzen sahen, drängten sich durch die zahlreich in der Hausflur und dem Billardzimmer nach dem Garten vielfach hin und her Wandernden, und stiegen zu einem kleinen stillenHinterstübchen hinauf, das ihrer Conferenz von dem Wirthe eingeräumt worden.

Hier von dem Lärm und der Musik unten nicht gestört, da seine Fenster nicht nach dem Garten, sondern nach dem Dorfe aussahen, saßen um einen langen, in die Mitte gerückten Tisch die Schullehrer der benachbarten Ortschaften, und waren, allem Anschein nach, schon recht tief und eifrig in die Debatte hinein gerathen. Bei der Neuankommenden Eintritt wurde diese nun allerdings auf kurze Zeit unterbrochen, doch nur so lange, als es bedurfte, eine Bank, da es heute bei dem Andrange von Gästen an Stühlen fehlte, zum Tisch zu rücken, auf der dann Kleinholz und Hennig zusammen Platz nahmen.

Bis das Mädchen wiederkam, welches den Schullehrern bei ihrer Ankunft ein Glas Bier oder ein Schnäpschen besorgt hatte, schoben ihnen die Nachbarn ihre eigenen Gläser näher, und der Präsident, ein alter würdiger Schullehrer von Kosholz, der die Verhandlungen leitete, wiederholte nochmals mit kurzen Worten den schon besprochenen Gegenstand der Debatte – die Trennung der Schule von der Kirche,fürdie sich zwei,gegendie sich aber schon vier Stimmen erhoben hatten. Er setzte auseinander, wie nöthig es sei, daß sie sich über diesen Gegenstand, der in gar kurzer Zeit alle ihreEnergie in Anspruch nehmen müsse, vorher klar und bewußt würden, daß jeder selber darüber ein Urtheil bekäme und nicht blos, entweder von seinen Vorgesetzten auf der einen, oder auch von leichtsinnigen, neuerungssüchtigen Menschen, die nur immer Freude am Niederreißen und nimmer am Aufbau fänden, auf der anderen Seite getäuscht und irre geleitet würden.

»Meine lieben Amtsbrüder,« nahm da Vater Kleinholz, von seinem Sitze aufstehend, mit zitternder Stimme das Wort, »ich bin kein Redner, und das, was ich auf den Herzen habe, kann ich nur mit kurzen und nicht zierlich gestellten Worten herausbringen, aber es kommt auch dafür geradevomHerzen, und ich möchte es Ihnen ebenfalls an die Herzen legen. Ich bingegeneine Trennung der Schule von der Kirche, und zwar aus recht vielen und wichtigen Gründen. Wir kommen Beide eben, Herr Hennig und ich, vom Herrn Pastor Scheidler, der mir stets, mitsehrwenigen Ausnahmen, ein freundlicher Vorgesetzter gewesen ist, und ich glaube, wir können uns mit dem, was er, als Geistlicher, uns selber vorschlägt, recht gut begnügen. Ich bin gegen eine Trennung der Kirche und Schule, weil es mir in der Seele weh thun würde, wenn wir mit dem Religionsunterricht auch das süße Einverständniß verlören, waswir jetzt, durch diesen, über den Geist der Kinder gewinnen; ich bin aber auch gegen die Trennung, weil sie für uns unmöglich ist, weil der Schulmeister ohne die verschiedenen Einnahmen, die ihm sein Kirchner-, Glöckner- und Cantordienst abwirft, möglicher Weise gar nicht mehr existiren könnte. Ich habe jetzt mit meiner Familie etwa 100 Thaler jährlich, und der Herr weiß es, oft genug esse ich in Sorgen mein Brod, und grüble und grüble, wie ich es nur anzufangen habe, einfach auszukommen. – Das Jahr ist lang – die Kinder wollen dasganzeJahr essen und gekleidet sein, und 100 Thaler sind eine entsetzlich kleine Summe für eine so gewaltig lange Zeit. Wären wir im Stande, uns ohne jene außer der Schule liegende Einnahme zu behelfen? –nein, das wären wir nicht, wir gingen der Noth und dem fürchterlichsten Elend entgegen, und wollen wir also den Nutzen nicht aufgeben, den wir durch jene Arbeiten genießen, so dürfen wir uns auch der Mühe und den Unbequemlichkeiten nicht entziehen, die daraus hervorgehen. Meine Stimme ist deshalbgegeneine Trennung, und ich hoffe, auch Ihr lieben Freunde werdet zuletzt einsehen, daß sie uns und der Schule nur zum Nachtheil gereichen, keineswegs aber eine gehoffte Besserung herbeiführen würde.«

Vater Kleinholz setzte sich wieder nieder, und von mehreren Seiten standen die Redner auf, die alle, wie der vorhergehende Sprecher, gegen eine Trennung waren, Viele beriefen sich dabei auf ihre eigenen Geistlichen, die mit ihnen ausführlich über die Sache gesprochen, Alle aber waren darin einig, daß das Aufgeben des Religionsunterrichtes ein Verlust für den Lehrer sein würde, den gar kein errungener Vortheil wieder aufwiegen oder ausgleichen könne.

»Mitbrüder und liebe Genossen,« sagte da endlich Hennig, der bis jetzt noch kein Wort in die Debatte gesprochen und manchmal fast augenscheinlich mit sich gekämpft hatte, jetzt aber plötzlich zu einem festen bestimmten Entschluß gekommen zu sein schien. »Ich bin zwar noch jung, viel jünger, als Manche hier, die in ihrem Ehrenamte ergrauten, aber desto weniger bin ich auch vielleicht mit den alten Gewohnheiten verwachsen, die es nachher so viel Mühe kostet, wieder abzuschütteln. Ich fühle eben so gut, wie Sie, daß wir dem Religionsunterrichte der Kinder nicht entsagen dürfen, der Lehrer würde durch den Verlust dieses Zweiges zu einer bloßen künstlichen Maschine, die den Kindern nur das Ein mal Eins und das Geheimniß der Buchstabenstellung einbläut. Herr Pastor Scheidler hat uns Beiden zwar heuteNachmittag gesagt, daß wir ihn wirklich einbüßen müßten, wenn wir uns von der Kirche losrissen, aber es ist das doch auch nur die Meinung eines einzelnen Mannes, noch dazu eines bei der Sache interessirten, die wahrlich nicht maßgebend für uns sein darf.«

»Aber bester Herr Hennig,« sagte Kleinholz erschreckt.

»Er mag es,« fuhr Hennig fort, ohne die Unterbrechung zu beachten, »vielleicht recht gut mit uns Schullehrern meinen, ich will das gar nicht bezweifeln und – wäre der letzte der ihn kränken möchte, aber ich glaube, er sieht die Sache mit zu schwarzen Farben, und ich will Euch deshalbmeineAnsicht darüber mittheilen. Wer hat uns denn schon eigentlich verbürgt, daß wir, bei einer Trennung der Schule von der Kirche, auch nothwendiger Weise den Religionsunterricht verlierenmüßten? Wer hat uns das bis jetzt gesagt, als nur allein die Geistlichen selber, und sind wir denn so gewiß, daß das nicht hier und da, und im Anfang vielleicht, auch größtentheils deshalb mit geschehen ist, um uns in unserem Streben irre zu machen, oder davon abzubringen? Der Religionsunterricht ist eben einUnterrichtund gehört zur Schule und so wenig wie er in den Schulen der großen Städte fehlt, die gleichfalls schon der keineswegs für den Lehrer ehrenvollen Beaufsichtigung derGeistlichen entzogen sind, eben so wenig wird er in den Landschulen fehlen dürfen und wirklich fehlen. Selbst hier liegt übrigens ein Ausweg für uns ganz klar und leicht zu Tage; wir wollen uns ja gar nicht losreißen von der Kirche und dieser feindlich gegenüberstehen, im Gegentheil; das Wirken der Schule und Kirche ist ein so gleiches – oder sollte doch wenigstens ein so gleiches sein – daß ein förmliches Losreißen keinem zum Vortheil, Beiden aber vielleicht zum großen Nachtheil werden könnte; stehen Kirche und Schule aber neben einander, und glaubt der Staat, daß es nothwendig für die religiöse Erziehung der Kinder sei, den Pastor, wie bisher, Theil am Religionsunterrichte nehmen zu lassen, ei dann schadet das auch nichts, und gewährt uns höchstens eine wenn auch kleine Erleichterung unserer schweren Pflichten; an uns ist es nachher noch immer, den Stundenplan zu machen, in unsere Hand gegeben auch außer den vom Prediger ertheilten Lectionen durch moralische Belehrung den vollen Einfluß auf das kindliche Herz zu behalten, dessen wir uns bis jetzt erfreut haben. Ich meinestheils würde darin sogar einen neu errungenen Vortheil sehen, wenn wir der wirklichen Dogmen enthoben würden, und es dem Pastor überlassen könnten, diese zu lehren und – zu vertreten. – Der Lehrermag dann sehen, ob er im Stande ist, auch ohne die Bibel den Glauben an Gott in des Kindes Brust zu festigen und die herrliche Natur wird ihm das Buch sein, in dem er auf jedem Blatt, wohin er sich auch wendet, die heiligste Bestätigung seiner Lehre findet. Laßt es denn einen Wetteifer werden, lieben Brüder, in einem ehrenvollen und selbst für die Kinder segensreichen Kampfe, in dem Ihr noch dazu so unendlich im Vortheil seid, denn der Geistliche wird, wie bisher, die jungen Gemüther in scheuer Ehrfurcht vor dem kaum geahnten Thron einesallmächtigenGottes stehen lassen, während Ihr Euere Schutzbefohlenen mit lächelndem Angesicht in die unmittelbare Nähe desAlliebendenführt.«

»Aber selbst das ist noch keine nöthige Folge einer Trennung der Schule von der Kirche, denn war der Schullehrer bis jetzt noch befähigt genug, den Religionsunterricht zu ertheilen, so sehe ich nicht ein, weshalb das später nicht eben so gut der Fall sein soll. DieAufsicht, die der Pastor darüber gehalten, fiele allerdings weg, aber es müßte uns erst bewiesen werden, daß die nöthig gewesen ist, und daß sie auch wirklich der Erziehung der Kinder genützt, nichtgeschadethabe.«

»Was nun die Kirchner- und Glöcknerdienste betrifft,so ist der Gehalt, den wir für diese, wie das Orgelspielen bekommen, allerdings beträchtlich genug, um ihren Verlust Leuten fühlbar zu machen, die nicht einen Thaler von ihrem Gehalte einbüßen dürfen, wenn sie nicht Mangel und Noth leiden sollen. Aber auch das, glaube ich, beruht nur auf einer thörichten Angst von unserer Seite, der wir uns um Gotteswillen nicht weiter hingeben dürfen. Es wird Niemanden von uns einfallen, seinehrenvollesCantoramt, das Spielen der Orgel, aufgeben zu wollen, denn dort ist der Schullehrer schon deshalb auf seinem Platze, weil es in die Ausübung des von ihm gelehrten Gesangunterrichts fällt, und er die Kinder auf der Orgel unter seiner unmittelbaren Leitung behält. Die Gemeinde hat aber auch in ihrem Bezirke keinen andern, der es versteht, und einen besondern Organisten zu halten, kann ihr schon der zu hohen Kosten wegen, welche die gänzliche Unterhaltung eines solchen Mannes mit sich bringen müßte, gar nicht einfallen. Der andere Dienst aber, der Glöckner- und Küsterdienst,mußwegfallen, denn er gerade ist es, der das Amt des Schullehrers bis jetztentwürdigtund diesen zum directen Diener des Pastors gemacht hat.«

»Hier in den alten General-Artikeln, von denen es eine Schmach und Schande ist, daß sie, die 1580 entworfenwurden, 1848 fast noch ohne Veränderung in Geltung sind, heißt es ausdrücklich:

»»Auch ein jeder Pfarrer, in deme seinem Glöckner zu befehlen und zu gebieten hat – er ihm auch hierinnen billigen Gehorsam zu leisten schuldig und nicht widerstreben soll.««

»Ferner sollen sie nach Vorschrift eben dieser General-Artikel tit. XXXVIII:

»»Auf die Pfarrer in allen Kirchenämtern bei den Predigten, Taufen, Sakramentreichen und Besuchung der Kranken warten, und deswegen ohne ihr Wissen und Willen nicht ausreisen, damit sie ihrer gewiß sind.««

»Den besten Aufschluß über das Verhältniß der Schullehrer zu den Pastoren giebt aber unstreitig M. Gottlieb Schlegel's ›Der Chursächsische legale Schulmann‹, der mit klaren dürren Worten als Anleitung für die Schullehrer, wie sie sich zu ihren Vorgesetzten zu verhalten haben, besonders die vorgenannten Stellen citirt und daraus den, leider Gottes auch von unseren Gemeinden, und was noch schlimmer ist, von uns selbst angenommenen Schluß zieht:

»»Hieraus ersieht man, in welches Verhältniß die Landesgesetze den Schulmeister oder Küster gegen seinen Pfarrer gesetzt haben. Er ist derDienerdes Pfarrers und hat ihn nicht blos als seinen Vorgesetzten, sondern auch als seinenHerrnanzusehn. Diese Gesetze sind keineswegs antiquiret, wenngleich ein vernünftiger Pfarrer seine Superiorität dem ihm untergebenen Schulmeister nicht, wie in vorigen Zeiten, auf eine demüthigendeWeise wird empfinden lassen. Es sollen aber, heißt es in dem nur angeführten 37. General-Artikel: Auch die Pfarrer ihre Glöckner, ferner nicht, denn soviel ihr Kirchendienst belangt, mit Botenlaufen oder anderen, zu ihrem Nutzen dringen oder beschweren, sondern sie ihren befohlenen Dienst jederzeit unveränderlich abwarten lassen.««

»»Aus diesem Verhältnisse, in welchem der Schulmeister gegen seinen Pfarrer steht, folget nun, daß er den Erinnerungen desselben, und was ihm dieser im Kirchendienst befiehlt, gehorsamlich nachkommen, die Lieder, die in der Kirche gesungen werden sollen, nicht etwa durch einen Schulknaben, sondern in eigener Person abholen; nicht eher, als er sich bei dem Pfarrer gemeldet, einlauten; ihn bei Amtsverrichtungen begleiten, und wenn dergleichen bei den eingepfarrten Dörfern vorfallen, den Priesterrock tragen[2], in Abwesenheit des Pfarrers den Gottesdienst und was demselben anhängig nach der ihm gegebenen Vorschrift besorgen; die eingegangenen Missiven abschreiben; dieselben, insofern solche nicht durch eigene Boten besorgt werden,weiter befördern; die Collectengelder, wenn es nicht nach der Gewohnheit des Orts die Kirchväter thun, wie auch die Berichte des Pfarrers in Kirchen- und Schulsachen dem Superintenden einhändigen; daß er sich aber auch äußerlich gegen seinen Pfarrer ehrerbietig beweisen, in dessen Gegenwart nicht den Hut aufbehalten, nicht Taback rauchen soll,denn welcher Herr würde seinem Diener so etwas verstatten? So darf er auch ohne Vorwissen des Pfarrers nicht verreisen und über Nacht aus dem Hause bleiben. Da pflegen es nun manche blos zu melden, daß sie da oder dorthin verreisen würden, wenn etwa der Herr Pfarrer etwas zu bestellen hätte. Das ist aber nicht genug, sondern sie müssen ihn um Erlaubniß bitten, und zugleich anzeigen, was sie in ihrer Statt wegen der Schule und des Kirchendienstes für Vorsehung getroffen haben u. s. w. u. s. w.««

»Ich habe Ihnen den langen und gewiß schon bekannten Satz noch einmal vorgelesen, lieben Freunde, um Sie erneut darauf aufmerksam zu machen, wie gerade die Glöckner- und Küsterdienste es sind, die den Schullehrer zum eigentlichen Diener des Pastors machen, und den Schullehrerstand überhauptentehren. Meiner Ansicht nach muß es daher eine unserer Hauptsorgen sein, von diesen befreit zu werden, und nicht darf uns dabei die Furcht zurückschrecken, daß deshalb eine Verringerung unserer Einnahme stattfinden würde. Das kann, darf und wird nicht geschehn und die Ursachen dazu liegen klar genug auf der Hand.«

»Nimmt das deutsche Parlament, welches jetzt in Frankfurtvereinigt ist, die Sache auf, oder wird die Ordnung dieser Angelegenheit selbst den einzelnen Regierungen überwiesen, so werden diese, wenn wir Alle wie ein Mann zusammenstehn, der Schule ihre Recht wiederfahren lassenmüssen, und sie von den Fesseln befreien, die sie jetzt drücken und entehren. Dann aber, und bei einer ganz neuen Reorganisation, muß auch der Lehrer so hingestellt werden, daß er mit seinen Einnahmen nicht mehr fast ausschließlich auf ungewisse Einnahmen und Deputate hingewiesen ist, und selbst von diesen nicht genug hat, sein Leben auf anständige Art zu fristen. Wie kann er dem Unterricht seiner ihm anvertrauten Kinder mit freiem fröhlichen Herzen sein ganze Zeit und Aufmerksamkeit widmen, wenn es Nahrungssorgen sind, die ihn quälen, und ihn sich abhärmen lassen, wie es um ihn und die Seinen morgen und übermorgen stehen werde? Das alte fabrikmäßige ›Stunde geben‹ könnte allerdings dabei fortbestehen, aber was würde die Folge sein? Die Kinder würden fort erzogen werden, wie sie bis jetzt erzogen sind und in Druck und Knechtheit aufwachsen, die Freiheiten, die ihre Väter für sie errungen haben, würden sie nicht begreifen, nicht zu würdigen verstehen, der günstige Zeitpunkt aber für die Möglichkeit einer solchen Reorganisation wäre verflossen,und statt des Segens künftiger Geschlechter, den wirjetztverdienen, wenn wir uns um die Bildung des gemeinen Mannes, des Bauern, des arbeitenden Theiles der deutschen Nation bemühen, erndeten wir ihrenFluch, mit dem sie, lassen wir Alles ungenutzt vorübergehn, unserer Lethargie, unsere Theilnahmlosigkeit, unsere unverzeihliche Verblendung, ja Feigheit verdammen müßten.«

»Doch, ich habe Ihre Aufmerksamkeit wohl schon zu lange in Anspruch genommen, und will jetzt nur noch kurz einen vermittelnden Vorschlag erwähnen, den uns Herr Pastor Scheidler heut Nachmittag gemacht. Er lautet dahin, daß er die Ansprüche anerkennt, welche die Lehrer haben, sich aus ihrer eigenen Mitte ihre Vorgesetzten zu wählen, weil er es aber für gut hält auch den geistlichen Stand dabei vertreten zu sehn, und um besonders ein zu schroffes Entgegenstehn beider, der Schule gegen die Kirche zu vermeiden, will er der nächstens zusammentretenden Geistlichkeit den Vorschlag machen, freiwillig von ihren bisher genossenen Vorrechten zu abstrahiren, und die hohe Staatsregierung, dann aber mit den Lehrern, vereint, zu bitten, eine Schulcommission von fünf Personen durch die Schullehrer selbst wählen zu lassen, von denen die Majorität, also drei,Schullehrer, die andern zwei aberGeistlichesein sollten.So sehr, wie ich aufrichtig gestehen will, mich dieser Vorschlag im Anfang durch seine anscheinende Gerechtigkeit bestochen, so muß ich mich meines Theils für jetztdagegenerklären, und bitte die Versammlung, ihre Meinung darüber auszusprechen.«

Es entstand jetzt eine lebhafte Debatte über das eben Gehörte, das zu viel Wahrheit enthielt, um es ganz ableugnen zu können, aber auch zugleich der bis dahin so fest und gewaltig eingewurzelten Ehrfurcht gegen ihre hohen Vorgesetzten so schnurstracks entgegenlief, um nicht viel mehr Widerstand als Vertheidiger zu finden. Nur der letzte Vorschlag wurde fast allgemein freudig begrüßt und besonders äußerten die älteren Lehrer: es sei das ein neuer Beweis von des Herrn Pastors Scheidler Humanität, der ihm nur zur Ehre gereichen, und von ihnen mit verbindlichen und dankbaren Herzen aufgenommen werden müsse. Eine Trennung der Kirche von der Schule sei überhaupt etwas unnatürliches – es wäre als ob man das Kind von der Mutter reißen wollte und könne keine segensreichen Folgen haben. Allerdings gestanden die Männer die schweren bösen Uebelstände ein, die von dem Küster- und Glöcknerdienst herkämen, gestanden ein, daß ihnen das dienstliche Verhältniß, in dem sie zu ihren verschiedenen Pastoren stünden,oft, o wie oft, drückend geworden, und mancher Mißbrauch auch, von Seiten der Geistlichkeit, vorgefallen wäre, aber durfte man fürchten, daß dieß auch ferner geschehe; hatten nicht die Zeitereignisse einen ganz gewaltigen Wechsel in den beiderseitigen Stellungen hervorgebracht? Zeigten sich die Pastoren jetzt nicht viel freundlicher und herablassender als je, und war es nicht auch Schuldigkeit der Lehrer, die Hand zu ergreifen, die ihnen in Freundschaft und Einigung entgegengestreckt wurde. Ja lag es nicht im eigenen Vortheil des Lehrers das Verhältniß zwischen Pastor, Lehrer und Gemeinde, wie es bisher bestanden, auch fortbestehen zu lassen? – War es nicht der Pastor, der so oft, und besonders wenn er »mit dem Schullehrer auf gutem Fuße stand« vor ihn gebrachte Klagen der Eltern mit wenigen Worten beseitigte, die, wenn sie hätten sollen jedesmal an die Schulinspektion gehn, gerade ihrer Unbedeutenheit wegen so fatal und unangenehm gewesen wären? Ueberhaupt, was half ihnen eine Besserung ihres Zustandes, wenn sie nachher mit denen in Unfrieden leben sollten, auf die sie bis jetzt angewiesen gewesen, und konnte das nachher überhaupt eine Besserung genannt werden? Nein – dankbar wollten sie nehmen was man ihnen böte, sich des Gegebenen dann freuen, und mit frischenKräften an ihr großes schönes Werk gehn, die Kinder heranzuziehen zu guten Menschen und treuen Unterthanen.

Es lag etwas Rührendes in dieser Resignation der armen bedrückten Klasse – in der scheuen Ehrfurcht mit der sie von ihren Geistlichen sprachen, die ihnen nur in den wenigsten Fällen mehr als eben Vorgesetzte gewesen. Selbst Hennig, obgleich im Ganzen mit seinen Amtsbrüdern nicht ganz einverstanden, fühlte sich davon ergriffen, und es entstand eine ziemlich lange Pause, in der sich Jeder zu scheuen schien, das Wort zu nehmen.

Ein bleicher hagerer Mann mit eingefallenen Wangen und hohl liegenden aber feurigen Augen, dabei mit edlen lebendigen Zügen, kühn gewölbter Stirn und freier Haltung, hatte bis jetzt an der entferntesten Ecke des Tisches schweigend gesessen und den einzelnen Ansichten gelauscht. Oft schien es auch als ob er, nur in seine eigene Gedanken vertieft, dem Lauf der Debatte gar keine Aufmerksamkeit weiter schenke, der rasche forschende Blick aber, der gleich darauf wieder, bei irgend einer, noch nicht geäußerten Idee aus seinen düsteren Augen blitzte, mußte jede solche Vermuthung bald verbannen und ein genauerer Beobachter hätte sogar das rasche Athmen der Brust, die wechselnde Farbe seinersonst eigentlich fahlen Züge und die Unruhe, die in seinem ganzen Wesen lag, bemerken können. Es war der Lehrer Kraft aus Bachstetten.

»Mitbrüder« sagte er endlich mit leiser, doch leicht verständlicher, klangvoller Stimme – »Ihr seidgegeneine Trennung der Schule von der Kirche, weil Ihr es für das Wohl der Schule besser haltet. Ihr seidfürden, vom Pastor Scheidler vorgeschlagenen Schulvorstand, weil Ihr meint, die Geistlichkeit meine es ehrlich mit Euch und wolle wirklich den Fortschritt. Mitbrüder, ich bin ein alter Schulmeister, neun und zwanzig Jahre esse ich das sauere Brod eines Dorflehrers – neun und zwanzig Jahre bin ich der Diener manches bald guten bald schlechten Geistlichen gewesen und neun und zwanzig Jahre hindurch habe ich es erprobt und als eine traurige Wahrheit befunden, daß der Geistlichestetsmein Vorgesetzter,nieaber mir das gewesen ist, was uns Verstand und Ueberlegung sagen muß, daß er doch eigentlich sein sollte – der rathende Freund des Lehrers. Er mag noch so gütig gegen den Schulmeister sein, stets wird er es ihn doch merken lassen, daß er ihm sub-, nicht coordinirt ist und dieses Uebergewicht, das er dadurch erhält, ist es gerade, was ich für das Gedeihen der Schule so verderblich halte.«

»Das Kind soll vor seinem Lehrer Respekt haben, das kann aber nicht der Fall sein, wenn es nicht ebenfalls sieht wiederMann, den es selber achten soll, auch von anderen Menschen, besonders vonseinenEltern und Nachbarn geachtet wird. Geschieht das aber? – Ich sage nein – nein und tausendmal nein. Es geschiehtnichtund wäre es auch nur vor allen Dingen des leidigen todten Mammons wegen. Der Schullehrer bekommt 120 bis 200 Thlr. – Sie Alle wissen wie selten mehr; beim Pastor gehört eine Stelle von achthundert Thalern keineswegs zu den bedeutendsten und schon das hebt ihn in den Augen des Bauern, der gewohnt ist, den Werth des Menschen nach Pferden und Schaafen oder Ackern Land zu schätzen, um gerade so viel, als seine Einnahme die des Schullehrers übersteigt. Das hat aber auch Einfluß auf seine ganze Rede und Ausdrucksweise, denn es fehlt ihm das feine Gefühl selber zu bestimmen, wo in einem Wort oder Blick etwas kränkendes für den fein fühlenden Mann liegen könnte. Schon die gewöhnliche Anrede giebt den Beweis: ›Schullehrer‹ heißt's – ›wie geht's Euch‹ – der Pastor wird stets mit einem ehrerbietigenHerrangesprochen. Kommen die Kinder zu Hause und klagen, daß ihnen der Lehrer Unrecht gethan, so droht Vater oder Mutter mit dem Pastor,und nicht selten geschieht es, daß dieser sogar dem schuldigen Theile noch Recht, dem armen schutzlosen Schulmeister gegenüber, giebt. Ich will nur ein Beispiel hier erzählen, und ganzeBändeließen sich mit ähnlichen ausfüllen.«

»Vor ungefähr zwölf Jahren war der jetzige Seminar-Direktor Gehler Pastor in T– und ein Freund von mir wurde Knabenlehrer und Cantor daselbst. In der Zeit gab es in T– eine wahre Brut von Jungen und es war wirklich nöthig, Strenge zu üben, um nur das eingerissene Uebel erst einmal zu dämmen, und bessere Sitte einzuführen. Dem Lehrer blieb denn auch einst, nach der beispiellosesten Geduld kein anderes Mittel, einen der schlimmsten Buben zurraisonzu bringen, als körperliche Züchtigung, und er mag ihm die wohl auch freigebig genug zugemessen haben. Das geschah Früh. Nachmittags wird er zum Herrn Pfarrer gerufen und findet dort Niemand Anderes als eben den gestraften Buben und seine Mutter. Der Pfarrer hält nun, in Gegenwart dieser Beiden ein Verhör und tadelt den Schulmeister, daß er den Knaben geschlagen habe. Dieser will sich vertheidigen, der Herr Pfarrer hört aber nicht darauf, sondern holt einen Apfel, giebt diesen mit Liebkosungen dem Knaben,und bittet ihn, es nichtübel zu nehmen– ja der Lehrer mußte sogar noch, wollte er seine Stelle nicht verlieren, versprechen nicht wieder zu prügeln. Und das ist der nämliche Mann, der vor einigen Tagen bei einer Versammlung von Geistlichen auftrat und zu behaupten wagte, die Lehrer seien noch gar nicht reif zur Emancipation.«

»Wie muß dadurch bei den Schulkindern die Achtung vor dem Lehrer sinken und ist es zu verwundern, daß dieser zuletzt selber mismuthig und verdrossen wird, und anfängt zu verzweifeln, das schöne Ziel, nach dem er im ersten Jugendfeuer und Eifer strebte, je zu erreichen?«

»Auch das trägt nicht dazu bei, den Schullehrer in der Achtung der Kinder zu erhöhen, wenn der Pastor manchmal so recht unverhofft in die Schulstube hineintritt, um, wie die Bauern sagen, den Lehrer einmal auf einem faulen Pferde zu erwischen. Ja, nicht selten kommt es sogar vor, daß er draußen erst eine Zeitlang vor der Thüre horcht, vielleicht in der besten Meinung den Lehrer durch sein Erscheinen nicht außer Fassung zu bringen – denn es giebt noch Thoren genug unter uns, die ihn wirklich fürchten – vielleicht auch in schlechtester Meinung irgend einen Haken an dem ihm Untergebenenzu finden, an dem er sein Müthchen einmal kühlen, seine Autorität beweisen könne.«

»Doch das nicht allein, die ganze Stellung, die der Pfarrer hier dem Schulmeister gegenüber einnimmt, muß dazu dienen, diesen in den Augen der Gemeinde herabzuwürdigen, oder doch ihm den Lohn zu schmälern, den er auch manchmal wieder in seinem Amte finden könnte – wenn der Pfarrer nicht wäre.«

›[3]Man bringt das Kind, den rohen Sohn der Natur, zur Schule; acht volle Jahre hat der Lehrer an ihm sein mühevolles Tagewerk zu treiben; er kann oft kaum sprechen und die einfachsten Begriffe sind ihm fremd.Der Pfarrer nimmt ihn auf. Das Kind macht mehr oder mindere Fortschritte.Der Pfarrer beurtheilt dieselben, und versetzt es nach den Prüfungen, zu Ostern oder Michaelis. Es hat die Klasse durchlaufen:Der Pfarrer versetzt es in eine höhere. Zöge es weg von seinem bisherigen Schulorte, – so schreibt der Lehrer allerdings das Zeugnis, allein es mangelt noch an Legalität:Der Pfarrer unterzeichnet es. Das Kind versäumt die Schule, der Lehrer schreibt die Versäumnißtabelle,der Pfarrer aber unterzeichnet sie. Ostern und Michael nahen heran, und mit ihnen die Prüfungen:Der Pfarrer schreibt die Ordnung der Gegenstände vor. Die Prüfung fällt nun so oder so aus –der Pfarrer lobt oder tadelt, oft nach den momentanen Produktionen; oft das Kind, das der schlechteste Schüler im ganzen Halbjahr war, mit Lob überschüttend, oft den besten fleißigsten Schüler durch herben Tadel zurückschreckend. Der Schulmann ist in seinem Amt –Der Pfarrer inspicirt alle vierzehn Tage– der alte Polizeistaat, der in jedem Menschen einen treulosen erblickt, zeigt sich hier in seiner vollsten Glorie. Der Lehrer will ein neues Schulbuch einführen, er hat's geprüft, es ist ihm von Anderen empfohlen worden.Der Pfarrer muß seine Genehmigung dazu geben, mag er auch noch so wenig davon verstehen. Das Kind verläßt endlich die Schule. Acht Jahre sauren Schweißes hat es dem Lehrer gekostet:Der Pfarrer entläßt es, nachdem der Lehrer noch vorher das Wort väterlichen Ernstes an dasselbe gerichtet. Glücklich der Lehrer, dem man es zugesteht, daß nicht der letzte Confirmanden-Unterricht, sondernseintreuer Fleiß es wesentlich gefördert haben. Gab es ein Schulfest im Lauf des Jahres:DerPfarrer hatte es zu genehmigen, denn ohne ihn vermag der Lehrer nichts.‹

»›Die Lehrer haben Nichts zu ordnen, zu verfügen, zu bestimmen, sie haben immer ihre Stellung im Auge zu behalten!‹ sagte einst ein Ephorus zum Director eines bedeutenden Lehrervereins und es ist bis jetzt leider Gottes nur zu wahr gewesen. Auch die schmählichen geheimen Inspections- und Revisionsberichte, Schulprotocolle und geheimen Conduitenlisten, die der Pfarrer an das Consistorium einsendet, ohne daß dem Lehrer das Recht zugestanden wird, zu erfahren wasgegenihn gemeldet worden, damit er sich vertheidigen oder rechtfertigen könne, sind einFluchunseres jetzigen Zustandes und müssen uns vor allen Dingen die Augen öffnen, wie der Schulmeister zum Pfarrer eigentlich steht, und was wir von einem Vorschlag wie Herr Pastor Scheidler ihn unserem alten Freunde Kleinholz und Hennig gemacht hat, zu erwarten haben. Auch ich bin, wie Herr Hennig,gegenden Vorschlag – die alte Ehrfurcht steckt noch zu viel im Schulmeisterrocke – er sieht in dem Pastor noch immer wirklich etwas Besseres, als er selbst ist, und so rasch ist das auch nicht heraus zu treiben. Bekämen wir also jetzt wirklich eine solche fünfköpfige Schulinspection von drei Schullehrern und zwei Pastoren, wobeisicherlich und mit Recht die ältesten Schullehrer zu solchem Ehrenamt gewählt würden, so wäre es doch sonderbar, wenn unter den dreien sich nichtEinerfände, der von den beiden Pastoren zu ihren Beschlüssen gewonnen werden könnte, und die Majorität wäre dann, aber mit noch weit böseren Folgen als bisher, auf jener Seite, denn bis jetzt duldeten wir nur, weil wir unterdrückt waren und nicht anders konnten; dann würden wir aber gar keinRechtmehr haben uns zu beklagen, denn es wäre unsere freie Wahl gewesen, und ausgelacht würden wir noch über unsere Thorheit.«

»Was dann noch den einen, vorher erwähnten Punkt betrifft, daß der Pastor, wie das Verhältniß jetzt ist, oft vermittelnd zwischen den Eltern der Kinder und dem Schullehrer auftritt, so gebe ich zu, daß dadurch manche Streitigkeiten und für den Lehrer sonst vielleicht unangenehme Folgen gehoben und beseitigt werden. Was aber, lieben Freunde, ist denn die eigentliche Ursache eben dieses erwähnten Uebelstandes? – wahrlich nichts anderes, als auch gerade die gedrückte, untergeordnete Stellung, in welcher der Lehrer in seinem Dienstverhältniß zum Pastor unmittelbar der Gemeinde gegenüber steht. Es würde keinem der Bauern einfallen, wegen wahren Erbärmlichkeiten manchmal ihren Pastor zu verklagen, aber denSchulmeister – ei sapperment, dem soll's der Pastor einmal sagen, daß er gewagt hat zu thun, als ob er der Herr in der Schule wäre. Was ist auch hiervon die Folge? – Die Kinder behalten – wenn sie den wirklich je gehabt, keinen Respect vor dem Schulmeister – ›er darf uns nichts thun, sonst sagt's mein Vater dem Pastor – und da kriegt er's.‹ Das wird der Trotzspruch der Knaben und demüthigend allein ist das schon für den armen, überall zurückgesetzten Lehrer, daß er durch ein solches Verklagen auch von der Gemeinde den Grundsatz ausgeführt sieht – der Schulmeister ist der Untergebene des Geistlichen. Glaubt deshalb nicht, Freunde, daß dadurch in Zukunft ein Zankapfel in den Kreis Eures stillen Wirkens geschleudert würde, wenn der Pastor den Streit nicht mehr mit wenigen Worten schlichten kann, sondern ihn an die Schulinspection verweist – das sind blinde Gespenster die Ihr dort seht, – steht der Schullehrer mit dem Pastor auf gleicher Stufe, d. h. genießt er erst einmal die Achtung, die er verdient, dann wird es auch den Eltern gar nicht mehr einfallen ihn für ein so unmündiges Subject zu halten, als das bis jetzt geschehen, und es wird – eine Lebensfrage für die Selbstständigkeit des Lehrers – auch nicht mehr, wie das bisher bei solchen Gelegenheiten der Fall war, in der Handdes Pastors und von seinen Launen abhängig liegen, den Lehrer durch ein Wort, ja durch einen Blick der Verachtung oder Geringschätzung bei den klagenden Eltern zu verdächtigen. – Der Geistliche wird die Klagenden nicht mehr an die Schulinspection weisen können, weil es eben keine Klagenden mehr geben wird, ausgenommen es wäre wirklich etwas Ernstes vorgefallen, und der Lehrer hätte sich einen Fehler zu Schulden kommen lassen – und dann ist die Schulinspection auch gerade der Gerichtshof, wo die Klage angebracht werdenmuß, und wohin sie gehört.«

»Also stehet fest zusammen, lieben Mitbrüder, und beweist einmal durch festes, vereintes Auftreten, daß Ihr auch wirklich verdienet frei zu sein. Die alten Vorrechte werden jetzt überall den bis dahin bevorzugten Ständen genommen, laßt nicht die schlimmsten von allen, die der Geistlichkeit, nach ihrem Willen den strebenden Geist der Völker zu unterdrücken, auf Euch allein und geduldig lasten, und bedenket, daß Ihr nicht nur für Euch, daß Ihr fürDeutschlandarbeitet, für Deutschland und seine heranwachsenden Generationen.«

Der Lehrer setzte sich nieder, aber fünfe, sechse traten nach einander gegen ihn auf. Keiner widerlegte das, was er gegen die Geistlichkeit gesagt – Alle stimmtenihm darin bei, daß das Uebelstände seien, denen abgeholfen werdenmüßte, denen aber auch abgeholfen würde, sobald nur einmal die neue Schulinspection, wie sie der Herr Pastor Scheidler vorgeschlagen, in Wirksamkeit träte; für jetzt aber, meinten sie, sei es zu gewagt, »feindlich gegen die Kirche aufzutreten, wo sie noch unter der Botmäßigkeit derselben ständen –« Pflichten zu verweigern, die sie bis jetzt geleistet, und für die sie Zahlung bekommen hätten, ohne auch gewillt oder in den Verhältnissen zu sein, die mit ihnen genossene Nutznießung mit ihnen aufzugeben. Nein, man vereinigte sich dagegen zu einem Gesuche an die hohe freisinnige Regierung, die Mißbräuche der vor Jahrhunderten gegebenen Gesetze abzuschaffen, man erbitte eine baldige, durchgreifende Reform des Volksschulgesetzes, man beantrage, daß dem Lehrer eine, seinem Stande und seiner Bildung würdigere, mehr coordinirte als subordinirte Stellung angewiesen werde, und sei dann überzeugt, daß die bis jetzt so gehässigen Fatalitäten zwischen Geistlichen und Lehrern von selber wegfallen würden – so lautete das Resultat.

Hennig trat noch einmal mit Kraft für seine Meinung auf, doch vergebens, er wurde überstimmt, und sogar eine Adresse an die übrigen Lehrer des Reichs beschlossen,um diese davon abzuhalten, daß sie einer Trennung der Schule von der Kirche das Wort redeten, dagegen aber aufzufordern, in der nächst zu haltenden großen Lehrerversammlung kampf- und schlagfertig zu erscheinen, und ihre Ueberzeugung dort zu verfechten.

Da stand Kraft auf, griff nach seinem Hut und sagte, während er hinter seinen Stuhl trat:

»Lieben Mitbrüder, Ihr habt Euch entschieden, und ich sehe die Folgen, die dieser Euer Entschluß haben wird. Nicht, daß Ihr die Trennung der Schule von der Kirche werdet aufzuhalten vermögen, nein, dieMehrzahlder Lehrer hat hoffentlich Energie genug, jetzt, wo ihr die Waffe der freien Rede in die Hand gegeben ist, sie auch zu gebrauchen und ihre Rechte damit zu erkämpfen; aber wehe thut es mir, den Geist erkannt zu haben, der in dieser Gegend noch die Herzen der Lehrer beherrscht, ja, bange Zweifel fangen schon an, in mir aufzusteigen, ob selbst die Emancipation im Stande sein wird, den Geist des Selbstgefühls zu erwecken, daß er ein Joch abschüttele, nicht etwa nur weil es ihn drücke oder beschwere, nein, sondern weil es überhaupt ein Joch ist, und ein Joch, das noch dazu anfängt, ihn zuschänden, weil er es freiwillig tragen will. Daß die Pastoren, noch ehe sie dazu gezwungen werden, schonein selbst so precäres Zugeständniß machen, und uns das Recht zugestehen, unsere Schulinspectoren wenigstens zum Theil aus unserer Mitte zu wählen, das hätte Euch die Augen öffnen können, wie sie das Geringe geben, weil sie damit einem größerenMußvorzubeugen gedenken. Blinde kurzsichtige Menschen die es sind, daß sie meinen, der einmal entfesselte Geist ließe sich sobald wieder in die alten Banden der Knechtschaft hineinpressen.«

»Lebt wohl, lieben Freunde – berathet Eure Adresse und sendet sie in alle Welt, gebraucht auch, als zu Eurer Conferenz gehörig, meinen Namen, verlangt aber nicht, daß ich selber unterschreiben soll, was mir das Herz in der Brust wenden würde. Ich will nach Bachstetten zurück, und vielleicht kommt die Zeit, wo ich im Stande bin, für Euer, für unser Wohl zu wirken!«

Er verließ das Zimmer, und nur Hennig folgte ihm von all' den Uebrigen.

Kraft und Hennig stiegen die Stufen der Treppe hinunter, und befanden sich gleich darauf im wirren Getreibe des Schenklebens, das sie in lauten fröhlichen Massen umtobte.

Sie blieben einen Augenblick neben der Gartenthüre stehen und überschauten die Menge, die hier, der wunderherrlichen Frühlingsluft froh, theils um einzelne Tische saß, theils langsam in den Gängen auf- und niederschlenderte, oder auch kurze Zeit nach dem kleinen Orchester hinüber horchte, das Märsche, Walzer, Rutscher und Galopps spielte, und aus den gewöhnlichen Dorfmusikanten bestand, die auch Abends beim Tanz den lustigen Reigen aufgeigten.

Nur manchmal schien sich die Aufmerksamkeit dem Orchester ganz und fast ungetheilt zuzuwenden, und das war stets, wenn ein einzelner Mann, unser alter Bekannter,mit seiner Tochter auf die Bank trat und auf seiner Violine, nicht Marsch oder Tanz, aber doch so eigenthümliche Weisen und mit für Horneck so unerhörter Geschicklichkeit spielte, daß den Bauern, nach ihrer eigenen Bestätigung, »Maul und Nase« aufstand, und sie manchmal nicht wußten, ob er an der linken Hand fünf oder zehn Finger hätte.

Kraft und Hennig waren aber noch viel zu sehr mit der eben verlassenen Conferenz beschäftigt, um das rege Leben um sich her viel zu beachten; sie schritten dicht an Haus und hinter den Hecken hin, die hier einen schmalen Raum des Gartens von den übrigen offenen Theilen abschied, um in's Freie hinaus den Weg zu gewinnen, an der engen Gartenpforte aber, die hier nach dem Felde hinauslief, fanden sie ein solch' wirres Menschengedränge, daß sie, um dem zu entgehen, wieder rechts einbogen, und endlich gerade unter der Stange anhielten, die hier zum Sternschießen errichtet war, und neben der ein paar noch unbesetzte Bänke standen.

»Mir thut es in der Seele weh,« brach Kraft endlich das Schweigen, »daß gerade hier von Horneck aus ein Schritt geschehen soll, über den die Feinde des freien Lehrerstandes triumphiren werden. ›Seht Ihr,‹ höre ich sie schon rufen, ›sie selber wollen es nicht – sie selbersehen ein, daß durch ein Losreißen von der Kirche die Schule selbst gefährdet sei – sie selber fühlen, daß sie der Aufgabe nicht gewachsen sind‹.«

»Und wo bedürften sie einen besseren Beweis für ihre hochmüthige Behauptung – »die Lehrer seien noch nicht reif zur Emancipation«,« seufzte Hennig – »diese Adresse wird ihnen eine furchtbare Waffe gegen uns in die Hand geben.«

»Das wolle Gott nicht,« rief Kraft – »das wird aber auch nicht geschehn – ja wenn wir hier nur etwas für uns selbst, für die materielle Verbesserung des Schullehrerstandes erringen wollten, wenn hier nicht das Interesse des ganzen Deutschlands mit in's Spiel käme, dann Freund, dann möchten Sie Recht haben, die Uneinigkeit würde dann unser Verderben sein, so aber ist die Sache gewaltiger, als Sie uns Allen jetzt hier vorkommt, und bricht sich endlich schon von selber Bahn. Die Adresse dauert mich auch deshalb nur der Leute wegen, die sie unterzeichnet, nicht um der guten Sache selbst willen, denn um die stände es schlimm, vermöchte eine kleine Conferenz unbedeutender Schulmeisterlein an ihrer Basis zu rütteln, ihre Grundpfeiler zu untergraben.«

»Aber es ist eine Schaufel voll Erde unter dem Fundamenteweggenommen,« seufzte Hennig, »wieder und wieder und immer wieder eine, und wer weiß, ob der Bau nicht dennoch endlich schmetternd nachstürzt.«

»Ich glaube nicht,« sagte Kraft, und starrte die gefalteten Hände fest zwischen seine zusammengedrückten Knie gepreßt, gerade vor sich nieder – »ich glaube nicht, denn nach dem, was ich bis jetzt von der ganzen Erregung Deutschlands in den Zeitungen gelesen habe, müßte ich mich sehr irren, wenn nicht gerade die Schule zuletzt das sein wird, wonach sich die liberale Partei gezwungen sieht zu greifen, um ihre Hoffnungen zu realisiren; und daß so etwas dann nicht unter den jetzt zwischen Schule und Kirche bestehenden Verhältnissen geschehenkann, versteht sich, möcht' ich sagen, von selbst.«

»Ich begreife nicht recht, wie Sie das meinen,« sagte Hennig.

»Sehen Sie, lieber Freund,« sagte der alte Schulmeister, leiser noch fast als vorher und in der früheren Stellung verharrend, fort, »ich habe nicht viel mehr in den Funfzigen zu suchen, und Manches in der Welt gesehn und erlebt – denn ich war die neun und zwanzig Jahre keineswegs in einem Striche fort Schulmeister, und meine Lebensbeschreibung gäbe gewiß gar interessantenStoff zu einem recht starken dickbändigen Romane, wenn – ich als Schullehrer nur damit herausrücken dürfte – doch das ist Nebensache,wieich meine Erfahrungen gesammelt – es ist das einzige, was ich auf dieser Welt sammeln konnte, die aber sagen mir dafür auch Manches, was andere Leute erst durch bittere Enttäuschung zu lernen haben und – sie lügen selten. Doch zur Sache. Ich war vor drei Tagen in der Residenz und durch frühere Schulkameraden sah ich mich plötzlich in das ganze tolle Gewirr der jetzigen politischen Bewegung hinein versetzt – hörte ihre für Freiheit und Einheit schwärmenden Reden, sah den Jubel, der die jungen Herzen in aller Wonne frisch erkeimender Hoffnungen erfüllte, und kann wohl gestehen, daß ich alter Kerl im ersten Augenblick selbst mit hineingerissen wurde in den wirbelnden Rausch der jungen Ideen und Pläne. Der Sieg, den das Volk auf den Barrikaden Berlins gegen die bis dahin für unbesiegbar gehaltenen Bayonette erkämpft hatte, riß noch kaltblütigere Leute, als ich sonst gewöhnlich bin, in seinem Taumel mit fort; ich fühlte aber endlich wieder Grund, stemmte die Strömung, sah, wohin dies urplötzliche und tolle Durchbrechen aller Banden und Dämme führen müsse und werde – und watete langsam wieder an's stille Ufer zurück, von da aus den Verlaufder Sache besser und unparteiischer betrachten zu können.«

»Republik!ging der Ruf durch die Versammlungen;das Volk ist reif und hat seine Ketten zerbrochen–fort mit der Tyrannei; die Volkssouverainetät allein ist die Macht, die wir anerkennen– einstimmig wurden alle Beschlüsse angenommen, denn wer sich als Einzelner der Masse entgegen gestellt hätte, wäre, wenn er recht gut weg kam, einfach hinausgeworfen – selbst beim Abstimmen wurden die, die sich durch Handaufheben vielleicht als eine sehr geringe Majorität herausstellten, ausgelacht und verhöhnt – das war ein Vorspiel zur Volkssouverainetät. Wenn übrigens die Massen noch keinen parlamentarischen Takt besitzen, so läßt sich das gewiß mit der Neuheit ihrer jetzigen Verhältnisse entschuldigen – was thut es, wenn sie beim Abstimmen manchmal beide Hände in die Höhe heben, in gemäßigteren Vereinen die Galerien füllen und die Redner der Gegenparthei nicht zu Worte kommen lassen, etc., das muß sich erst abschleifen, und eben so, wie unsere junge Preßfreiheit manchmal ausarten und hinten ausschlagen wird, wie ein tolles lebensfrohes Fohlen, so wächst sie doch mit der Zeit zu einem edlen Renner heran, der zwar seinenReiter, den Geist, in Sturmesflug über die weite Flur dem schönen Ziele entgegenträgt, aber eben keine Seiten- und Bockssprünge mehr macht.«

»Nur die Volkssouverainetät, lieber Hennig, die, die kann ich noch nicht anerkennen – das Volkhatseine Ketten gebrochen, ja, wie der entfesselte Leu steht es ingrimmig brüllend da und weist seinen früheren Kerkermeistern die fürchterlichen Fänge, und wäre er jetzt in einer Wildniß, so möchte er in Gottesnamen mit der neugewonnenen Kraft toll und rücksichtslos in die Welt hineinstürmen, das Echo mit dem Laut seiner gewaltigen Stimme erwecken und die gigantischen Stämme erzittern machen, wenn er sich in übermüthiger ausgelassener Lust dagegen wirft, um die eisernen Pranken in das zähe Holz zu schlagen. So aber befinden wir uns gegenwärtig mit eben diesem Leuen mitten in einer civilisirten Stadt, und so lange er eben nur noch ruhig dasteht und seinen Feind anstarrt, mag das gehen, beim ersten Seitensprung aber wird er in irgend einen Porcellan- oder Spiegelladen hineinfahren, eine Menge Leute, ohne sich selber zu nützen, zum Tode erschrecken, kaum glaublichen Schaden anrichten, das Oberste zu Unterst kehren, endlich selbst die um ihre Sicherheit besorgt machen und gegen sich aufbringen, welche sich erst über die Freiheit desschönen stolzen Thieres gefreut haben, und sich doch noch zuletzt in irgend einer Sackgasse oder engen Bahn des ihmfremdenTerrains, auf's Neue umstellt, gefangen und – Gott wolle verhüten, daß ich Wahrheit rede – gar besser bewacht finden als früher.«

»Aber die Fürsten,« warf Hennig ein, »werden sich jetzt doch, nach dem Siege in Berlin, gezwungen sehen, überall nachzugeben – was können die kleineren machen, da die Freiheit in den größeren gesiegt hat?«

»Ich bin kein Politiker, lieber Hennig«, erwiederte ihm Kraft, »ich kann auch nicht sagen und vorher bestimmen, welchen Einfluß diese gewaltigen Ereignisse auf das übrige Deutschland haben werden, mir nur ist es so ängstlich zu Sinn, daß ich selbst keine Rettung in dem geängstigten Erfolge finden kann. Sehen Sie sich unsere Bauern hier in Horneck, in Buchstetten, in der ganzen Umgegend an, gehen Sie Dorf für Dorf, Flecken für Flecken durch, und sagen Sie mir dann, wie viele Leute Sie gefunden haben, die im Stande wären, auch nur zu begreifen, was für Freiheiten in ihre Hände gelegt wurden. Es thut mir leid, daß ich's sagen muß, aber unser Bauer, wie erjetztist, paßt nur für das Joch, in dem bis dahin sein Nacken steckte – er ist von Herzen gutmüthig, aber dabei störrisch und hartköpfig,mißtrauisch bis zum äußersten Grad – kriechend höflich gegen die, in deren Händen die Gewalt liegt, übermüthig bis zum Ekel gegen die Untergebenen und rücksichtslos unverschämt, wo er sich im Rechte glaubt oder weiß. Der Tagelöhner dagegen, der Knecht und Häusler ist von Jugend auf in einem Zustande heraufgewachsen, der ihn nur nothdürftig an seinekörperlicheBildung, an seine geistige fast gar nicht denken ließ. Das Bischen Schreiben und Lesen, was dem Jungen bis ins zwölfte, dreizehnte Jahr eingeprägt wurde, hat der Flegel, wenn er sechszehn alt ist, fast schon wieder vergessen, und wahrlich, es ist ihm auch nicht zu verdenken, wenn man sieht, wie er von Morgens früh bis spät in die Nacht das ganze Jahr hindurch arbeiten und schaffen muß, um nur das Bischen Leben elend genug zu fristen. Abends ist aber der Körper so ermüdet und angegriffen, daß von Lesen, Schreiben oder Denken gar keine Rede mehr sein kann. Ist es da also möglich, hier bei den erwachsenen jungen Burschen und alten Leuten noch einmal mit Schulunterricht, und schlimmer als Schulunterricht mit der Belehrung dessen anzufangen, was sie eigentlich sein sollten, um dem Zwecke freier Männer zu genügen? – Nein,dieZeit ist versäumt, denn was wir denKindernnicht lehrendurften, das können wir jetzt den Alten auch nicht mehr indie Schädel zwingen. Ja früher, da wäre der Augenblick gewesen, uns aber waren die Hände gebunden, das Beispiel hatten wir alle Tage vor Augen – wir sahen, wie die Schwalbe ihren Jungen das Fliegen und ihre Kräfte zu prüfen lehrte,unsaber, den denkenden mit Vernunft und Seele begabten Menschen war das, wenn auch nichtvom, dochdurchdas hohe Consistorium untersagt – den Fluch dieser Verdummung erndten wir jetzt, und mit bitterer Erfahrung würden wir es bezahlen müssen, wären wir thöricht genug zu glauben, ein Volk könne aus solcher Knechtschaft, wie wir sie eben abgeschüttelt, gleich miteinemkühnen Sprung zu der herrlichsten aber gerade durch ihre Einfachheit auch schwierigsten Regierung, derSelbstregierunggelangen. Unsere Tagelöhner und Häusler, unsere Knechte und Bauern sind eben Menschen, die noch kein eigenes Urtheil haben und sich deshalb so lange von anderen Menschen werden leiten und bei der Nase herumführen lassen, bis die heranwachsende Generation einmal mit frischen lebendigen Geisteskräften und klarem Bewußtsein ersteht,dasaber ist jetztunsereAufgabe, eben die heranwachsende Generation und mit ihr das ganze künftige, und Gott wolle es fügen,einigeDeutschland, ist inunsereHände gegeben, daß wir den Saamen in das fruchtbare Erdreichstreuen und in unseren eigenen Kindern die fröhliche herrliche Erndte aufkeimen und reifen sehen.«

Der Mann hatte sich bei den letzten Worten hoch aufgerichtet und sein über Hennig hinschweifender Blick hing wie begeistert an den blaßrothen Abendwolken, die von der untergehenden Sonne mit zartem Rosenhauch übergossen, wie sehnsüchtig und liebend ihr nachzustreben schienen in das Gluthenmeer ihres leuchtenden Grabes.

»Hallo Schulmeester un keen Ende,« lachte da plötzlich eine derbe aber gutmüthige Stimme, und Meinhardt, ein Bauer aus Horneck, derselbe, der am Sonnabend Nachmittag Klage beim Pastor gegen den alten Lehrer geführt, trat aus einer der nächsten Gruppen auf die beiden Männer zu – »hul mich diasar und jäner, wu mer hiar hintrett, trett mer uff'n Schulmeester, 's kriwwelt und wimmelt urdentlich von em. Aber lieb is mer'sch, daß ich Uech finge, Herr Hennig, Ihr kennt mer en großen Gefallen duhn.«

»Wäre der Herr Pastor das nicht vielleicht eher im Stande?« frug Hennig, der den Auftritt vom vorigen Morgen noch zu frisch im Gedächtniß hatte, nicht ohne Bitterkeit.

»Ach papperlapapp!« brummte der Bauer und kratzte sich unter der Mütze den dicken Schädel, »der Pastorsieht ooch durch en Brät – wenn en Loch drinne is – aber – Ihr hatt recht – ich han's gestern dumm angefangt, aber main verwetterter Junge hatte de Schuld – Jimine, wie han ich en ooch gekeilt – na, der lügt mer nich mehr de Hucke vull – doch – was ich nuch sagen wolle, Schulmeester – mein Junge war en Strick geweest – der Alte hatte'n gar nich so gehaun, Müllers Gottlieb warsch gewäsen, bei dem meine Krete dreuge Aeppel gemaust hatte – nu, Recht iss'n geschähn – ich wülle, se hatten em de Hingerpastete so waich gekluppt wie en Bingel Flachs – un nu han ich dem Schulmeester Unrecht gethan, un ich han em en ganzen Kurb vull Wirschte un Speck un Eier nuff geschickt – un den Jungen ooch; an den soll er sich nu noch en ganz besonderes Plaisir machen, un wenn er en halwes Dutzend Schtecken uff'm verschlaiht, ich han nischt derwidder.«

»Aber was kann ich dabei thun?« sagte Hennig kopfschüttelnd, denn mit innerem Weh durchzuckte ihn der Gedanke, wie Unrecht nun dem armen alten Lehrer gestern in Gegenwart dieses Mannes, in Gegenwart seines eigenen Schülers, und wie sich nun herausstellte, so ganz grundlos und unschuldig geschehen sei – »gekränkt habt Ihr den alten Mann durch Worte und That– glaubt Ihrdasjetzt wieder durch Geschenke ungeschehen machen zu können?«

»Ne –« sagte der Bauer und kratzte sich immer bedenklicher den blonden struppigen Kopf – »ne, un desserwägen sullt Ihr mer en Bischen mit uf's Rad steigen, daß mer nich umkippen. – Ihr hatt's Maulwerk uff der richt'gen Ställe, un da megt ich uech bitten, den Schulmeester en Bischen ummen Bart rim zu gehn, bis er widder gut is – den Jungen sill er prügeln bis er blau un schwarz sicht, un wenn sich meine Ole das Maul noch e Mol värbrennt, dann kreiht se eens druff – nich wahr Schulmeester, Ihr sidd so gut?«

»Ich will mein Möglichstes thun, ihn davon zu überzeugen, daß es Euch von Herzen leid thut, ihn so ungerechter Weise beschuldigt zu haben –«

»Rächt so, Schulmeester!« rief der Bauer – »Ihr sidd en ganzer Kerl, un Eier Schade sills ooch nich sin – verstanden? Aberscht Herr Je – was kläwet Jär denn hiar in dar Ecke? – Das Mächen fengt grade widder an zu singen – Dunnerwetter! die singt schiane, da is unsen Vursänger, unsen Karl Gottlob saine Stimme Haberstroh dagegen – kommt Schulmeester – weeß Heppchen, 's geht grade los – ich will nur oben 'rim gähn, un mei Bier runger holen.«

Und damit schüttelte der Bauer dem jungen Lehrer noch einmal herzlich die Hand, nickte dem anderen vertraulich zu, und drängte sich rasch durch die Menge nach der Stelle hin, wo des alten Musikanten Tochter eben ein kleines, wehmüthig klingendes Lied, aber mit so süßer, schmelzender und glockenreiner Stimme sang, daß die beiden Freunde selbst ihre Unterhaltung darüber vergaßen und erstaunt den wunderlieblichen Tönen lauschten.

Das Mädchen war zwar noch in dasselbe ärmliche Gewand gekleidet, wie wir sie im zweiten Kapitel mit ihrem Vater gefunden, aber sie ging jetzt im bloßen Kopf, das dunkle volle Haar glatt auf der weißen Stirn gescheitelt, und den Shawl fest und dicht um ihre Schultern gezogen, daß er den oberen, zerrissenen Theil ihres Gewandes vollkommen verhüllte, und schlank und zart stand so die edle Gestalt des armen Kindes an den einen Pfeiler des niederen Orchesterdaches gelehnt, und schaute, als sie das kleine Lied beendet, still und schweigend vor sich nieder.

»Das sin immer so kurze Dinger,« sagte da ein reicher Bauer aus Horneck, der dicht daneben an seinem Tische saß, und mit tiefem Athemzug den schäumenden Bierkrug eben von den Lippen genommen hatte – »wenn meräben glaubt es sille recht ordentlich lus gähn, dann is es g'rade widder aus – weeß de Jungfer nischt langes?«

»Ja – en langes Lied, mit recht viele Värsche« – fielen hier noch ein paar andere junge Bauerburschen ein – »daß mer ooch de Melodie behalten kann – un nich so traurig.«

»Sing doch einmal die ›Fahrt in's Heu‹, Marie,« stieß sie der Vater an – »das hören sie gerne.«

Marie schüttelte leise mit dem Kopfe –

»Nu? – wolln mer noch en Bischen?« frug der Bauer.

»Die Ballade, Vater!« flüsterte die Tochter – während dieser die auf das Knie gestellte Geige stimmte. –

»Ach, das langweilige Ding,« brummte der Alte, Marie trat aber einen Schritt von ihm zurück, hüllte sich fester in ihr Tuch, und schien entschlossen zu sein; das Publicum wurde dabei ungeduldig und Meier, der wohl einsah, daß er sich fügen mußte, nahm die Violine in die Höh', und stimmte nach kurzem Vorspiel eines jener reizenden schottischen Volkslieder an, die erst nur einzeln zu uns herüber geklungen sind und das Herz mit so süßer, schmerzlicher Wehmuth erfüllen. Die Tochter lauschte den Tönen erst mehrere Secunden lang und ihre Hand folgte fast unwillkührlich dem Tact des Liedes,bis sie endlich am Schlusse des Vorspiels mit anfangs leiser, dann aber immer bewegterer und schwellenderer Stimme einfiel:


Back to IndexNext