Vierzehntes Kapitel.Robinsons Abreise von seiner Insel.

Vierzehntes Kapitel.Robinsons Abreise von seiner Insel.

Robinson als Gouverneur und Richter. – Abschied von der Insel und deren Bevölkerung. – Ankunft in England. – Alles fremd in der Heimat. – Reise nach Lissabon. – Stand der brasilischen Besitzungen. – Der brave Portugiese. – Günstige Vermögenslage. – Landreise durch Spanien und Frankreich. – Wölfe in den Pyrenäen. – Freitag und der Bär. – Stillleben in London.

Robinson als Gouverneur und Richter. – Abschied von der Insel und deren Bevölkerung. – Ankunft in England. – Alles fremd in der Heimat. – Reise nach Lissabon. – Stand der brasilischen Besitzungen. – Der brave Portugiese. – Günstige Vermögenslage. – Landreise durch Spanien und Frankreich. – Wölfe in den Pyrenäen. – Freitag und der Bär. – Stillleben in London.

Während des Frühstücks beratschlagten wir darüber, was mit den Gefangenen vorzunehmen wäre. Atkins und seine zwei Spießgesellen waren unverbesserliche Bösewichte, vor denen man auf der Hut sein mußte. Hätte man sie mitnehmen wollen, so durfte es nur in Fesseln geschehen, um sie auf der ersten englischen Koloniedem Arme der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern. Der menschenfreundliche Kapitän wollte indes Milde üben, womit auch ich mich einverstanden erklärte; wir kamen deshalb überein, die drei Personen auf der Insel zurückzulassen. Aber sie sollten selbst diese Maßregel als eine Gnade ansehen und darum bitten.

Nachdem ich mich angekleidet hatte, erteilte ich Freitag den Befehl, die Gefangenen von der Grotte nach dem Burgwäldchen zu bringen; ich selbst begab mich nach einiger Zeit dahin, ließ die Kerle, gefesselt wie sie waren, mir vorführen und hielt nun folgende kurze Ansprache:

»Die ganze Nichtswürdigkeit eures Gebarens ist mir durchaus bekannt. Ihr habt euch gegen euren braven Kapitän empört, um euren schändlichen Lüsten nach Seeräuberei zu frönen. Aber es ist gekommen, wie es kommen mußte; wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein. Das Schiff ist nach meinen Anordnungen seinem rechtmäßigen Befehlshaber wieder übergeben worden, und ich habe Befehl erteilt, daß euer Rebellenkapitän an die große Raa aufgeknüpft wird. Könnt ihr übrigen etwas zu eurer Entschuldigung oder Rechtfertigung vorbringen, so thut es beizeiten, sonst lasse ich euch samt und sonders neben Atkins aufhängen!«

Einer von ihnen antwortete im Namen der übrigen, sie hätten nichts weiter zu sagen, als daß der Kapitän ihnen, als sie gefangen genommen worden wären, versprochen hätte, sie beim Leben zu lassen, und sie bäten daher Se. Exzellenz den Gouverneur demütig um Gnade.

»Da ich«, entgegnete ich hierauf, »die Erlaubnis habe, mit dem ersten Schiffe nach England zurückzufahren und meine Abreise eben bevorsteht, so wüßte ich keine andre Gnade walten zu lassen als die, euch hier auf dieser Insel zurückzulassen; denn führet ihr mit uns nach England, so erwartete euch dort von Rechts wegen der Strang.«

Die Leute willigten dankbar ein, und um sie bis zu meiner Abreise immer in Furcht zu erhalten, ließ ich den erschossenen Meutererkapitän an der großen Raa aufknüpfen. Der eigentliche Kapitän jedoch, der inzwischen zu uns getreten war und die Verkündigung meines gnädigen Entscheids vernommen hatte, that, als ob er in diese milden Maßregeln durchaus nicht einwilligen könne, worauf ich, mich scheinbar in meiner Gouverneurswürde gekränkt fühlend, ihn mit den Worten zurückwies: »Herr Kapitän, Sie wissen recht wohl, daß die Gefangenen nicht dieIhrigen, sondern diemeinigensind.«

Nachdem alle noch einmal mich ihrer Dankbarkeit versichert hatten, unterrichtete ich sie von allen Dingen, deren Kenntnis ihnen jetzt von Nutzen sein konnte: von Säen, Pflanzen und Ernten, von der Beschaffenheit des Bodens, von der Töpfer- und Korbflechterarbeit, vom Brotbacken, von meinem Lusthause, von der Grotte, von meinen Ziegenparks und von meiner Milch- und Käsewirtschaft. Auch durfte ich nicht unerwähnt lassen, daß 17 Spanier und Portugiesen in den nächsten Tagen landen würden, für welche ich einen Brief in Bereitschaft halten wolle, der dem Don Caballos zu übergeben sei. Endlich überließ ich ihnen noch Gewehre, Pulver und Schrot sowie die meisten Vorräte, so daß sie gegen jeden Mangel hinreichend geschützt waren. Nachdem ich sie in solcher Weise genügend ausgerüstet hatte, ließ ich die Gefangenen wieder abtreten.

Nun hielt ich mit dem Kapitän über die naheAbreiseRat, obschon es mir in den letzten Stunden doch recht schwer aufs Herz fiel, meine Insel zu verlassen, an die sich so manche Erinnerungen des Schmerzes und der Freude knüpften. Noch einmal gedachte ich lebhaft der vergangenen Zeiten und derjenigen Ereignisse, die meinen Sinn geläutert und mich zu einem gottesfürchtigen, tüchtigen Menschen umgewandelt hatten!

Es war nach dem Schiffskalender am 19.Dezember1686, als ich des Abends gegen 8 Uhr an Bord stieg, nachdem ich 27 Jahre, 2 Monate und 19 Tage auf der Insel verlebt hatte; an demselben Jahrestage war ich mit Xury aus Saleh der Gefangenschaft der Mauren entflohen.

Gegen Morgen, etwa um 5 Uhr, ereignete sich noch ein eigentümlicher Vorfall. Zwei der Verbannten kamen an das Schiff geschwommen und baten, sie an Bord aufzunehmen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie in England auf der Stelle gehangen werdensollten. Als man sie fragte, was sie bewogen habe, die Insel zu verlassen, gaben sie zur Antwort: sie könnten nicht mit jenen Bösewichten zusammenleben, ohne in beständiger Furcht zu sein, von ihnen aufs grausamste mißhandelt oder gar getötet zu werden. Der Kapitän bedeutete sie, daß er ohne meine Einwilligung nichts versprechen könne; aber auf ihre wiederholte Beteuerung, redliche und brave Menschen werden zu wollen, nahm ich sie wieder auf, konnte ihnen indes eine tüchtige Tracht Prügel nicht ersparen, weil sie in eigenmächtiger Weise gehandelt hatten.

Diese Vorfälle sowie die Absendung einer Schaluppe, welche allerhand Kisten und Koffer für die Gefangenen enthielt, hatten unsre Abfahrt so weit verzögert, daß die Sonne bereits hoch über dem Horizont stand, als wir die Anker lichteten. Beim Scheiden von meiner Insel hatte ich zum Andenken meine große Mütze von Ziegenfell, meinen Sonnenschirm, meinen Lieblingspapagei sowie meinen Hund mit mir genommen; aber auch das Geld, welches ich auf unserm und dem spanischen Schiffe gefunden, nicht vergessen. Es war, da es lange Jahre unberührt in einem Winkel des Kellers gelegen hatte, so schwarz und unkenntlich geworden, daß es erst wieder blank gerieben werden mußte, um als gangbare Münze in Umlauf gesetzt zu werden. Freitag, der seinen Vater nicht wiedergesehen hatte, schaute unverwandt vom Verdeck aus nach der Insel zurück, und Thränen standen in seinen Augen. Auch ich wurde von tiefer Wehmut ergriffen, als die letzten Bergesgipfel in die blauen Wogen der See hinabtauchten.

Unsre Reise ging so schnell und glücklich von statten, daß wir am 11. Juni 1687 an Englands Küste landeten. Nicht durch Worte lassen sich die Gefühle schildern, mit denen ich nach 35jähriger Abwesenheit zum erstenmal wieder die heimatlichen Fluren begrüßte. Wie fremd kam ich mir in dieser Welt, unter diesen Menschen vor; war es mir doch, als hätte ich niemals dieses Inselland gekannt! Noch seltsamer und staunenswerter aber fand Freitag die Wunder meiner Heimat: in den Häfen den mastenreichen Wald der Schiffe, die langen Straßen mit den hohen steinernen Häusern, das unübersehbare Gewühl und das geschäftige Treiben der Bewohner.

Ohne Verzug eilten wir der Weltstadt London zu. Dort erkundigte ich mich zuerst nach der Witwe, der ich mein kleines Vermögen anvertraut hatte. Sie war noch am Leben, aber zum zweitenmal Witwe geworden, hatte manches Ungemach erlebt und befand sich in den drückendsten Vermögensumständen. Das Geständnis, die anvertraute Summe mir nicht zurückerstatten zu können, war für sie so niederschlagend, daß mich die arme brave Frau in tiefster Seele dauerte. Ich suchte sie über diesen Punkt zu beruhigen und sagte ihr, daß wir quitt seien, da ich ihr die einst bewiesene Güte bis jetzt nicht habe vergelten können.

Ein paar Tage darauf begab ich mich nach York. Mein Vater und meine Mutter waren längst gestorben, und von meiner ganzen Familie fand ich niemand mehr am Leben, als zwei Schwestern und zwei erwachsene Söhne meines zweiten Bruders, der erst vor wenig Jahren heimgegangen war und einiges Vermögen hinterlassen hatte. Da man natürlich annahm, ich sei längst gestorben, so war ich von dem Erbteil ausgeschlossen worden, und meine Geschwister befanden sich nicht in der Lage, den auf mich entfallenden Anteil mir auszuzahlen. So mußte ich mich denn lediglich auf das beschränken, was ich von meiner Insel mitgebracht hatte. In York war nun nichts weiter für mich zu finden: ich kehrte deshalb nach London zurück, wo ich mit dem Kapitän zusammentraf. Der brave Mann hatte seinen Reedern einen so vorteilhaften Bericht über mich und meine Mitwirkung für die Wiedereroberung seines Schiffes erstattet, daß sie nicht nur ihren lebhaftesten Dank gegen mich aussprachen, sondern mich auch baten, ein Geschenk von 200 Pfd. Sterling anzunehmen. Diese Summe setzte mich in den Stand, selbst nachLissabonabzureisen, um dort Erkundigungen über meine Pflanzung und meinen Geschäftsgenossen in Brasilien einzuziehen, der mich ohne Zweifel schon seit drei Jahrzehnten für tot halten mußte.

In dieser Absicht schiffte ich mich nach Lissabon ein, woselbst ich in Begleitung meines unzertrennlichen Gefährten Freitag gegen Ende des September ankam. Zuerst fragte ich nach dem portugiesischen Kapitän, der mich so liebevoll aufgenommen und mirmit seinem wohlmeinenden Rate so treu zur Seite gestanden hatte. Er war jetzt hochbetagt und ging nicht mehr zur See; er hatte an seinen Sohn die Führung des Schiffes sowie seiner Handelsgeschäfte nach Brasilien abgetreten. Wir erkannten einander kaum wieder, aber schon nach einer kurzen Auseinandersetzung begrüßten wir uns herzlich als alte Freunde. Ich mußte ihm meine wunderbaren Schicksale erzählen, und als ich damit zu Ende war, erkundigte ich mich nach dem Stande meiner brasilischen Pflanzung und nach meinem Mitpflanzer. Der Greis berichtete mir, er habe seit neun Jahren Brasilien nicht besucht; damals sei mein Handelsgesellschafter noch am Leben gewesen, die beiden von mir ernannten Faktoren wären aber gestorben. Indessen glaubte er, daß man über das Gedeihen meiner Pflanzung günstige Berichte erhalten werde, denn nach der allgemeinen Annahme, daß ich in einem Schiffbruche untergegangen sei, hätten meine beiden Faktoren meine Rechte auf die Pflanzung dem Staatsprokurator übergeben; es sei bestimmt worden, daß, im Fall ich nicht wiederkehre, um mein Eigentum in Anspruch zu nehmen, ein Drittel dem königlichen Schatze und zwei Drittel dem Kloster des heiligen Augustin zufallen sollten, um zur Unterstützung der Armen und zur Bekehrung der Indianer zur katholischen Religion verwendet zu werden. Käme ich aber selbst oder ein von mir Bevollmächtigter, um die Rückgabe meines Vermögens zu verlangen, so würde es mir nicht vorenthalten werden, mit Ausnahme dessen, was zu mildthätigen Zwecken verwendet worden wäre.

Weiterhin wurde mir versichert, daß der Intendant der königlichen Einkünfte und der Schatzmeister des Klosters jährlich eine Rechnung von dem Ertrage empfangen und davon die mir rechtlich zukommende Hälfte regelmäßig bezogen hätten.

Als ich den Greis fragte, ob mir die Geltendmachung meiner Ansprüche auf die Pflanzung etwas nützen würde, erwiderte er:

»Ja, sicherlich wird es sich der Mühe lohnen. Ihr Gesellschafter ist ein reicher Mann geworden, und wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, so beläuft sich das auf den König gefallene Drittel jährlich über 200 Moedore (= 4800 Mark). Auch wirdes keine Schwierigkeiten verursachen, den Besitz Ihrer Pflanzung wieder anzutreten, da Ihr Gesellschafter noch am Leben, also Zeuge Ihres Eigentumsrechtes ist, und Ihr Name überdies noch immer in den Verzeichnissen der Pflanzer eingetragen steht. Auch die Erben Ihrer Faktoren sind brave und redliche Leute, und ich zweifle nicht, daß sie Ihnen bei Ihrem Vorhaben förderlich zur Seite stehen werden. Außerdem aber müssen sie, wenn ich nicht ganz irre, auch eine bedeutende Geldsumme für Sie in Händen haben, die aus den Einkünften der Pflanzung herrührt, welche ihre Eltern zu jener Zeit bezogen, ehe sie vor ungefähr zwölf Jahren dem König und dem Kloster dieselben überlassen mußten.«

Ich vermochte nicht, meinen Unwillen darüber zu unterdrücken, daß meine Faktoren so eigenmächtig über mein Vermögen verfügt hatten, da ihnen doch wohl bewußt war, daß ichihn– den Kapitän – zum Universalerben in meinem Testament eingesetzt hatte.

Der alte Mann erwiderte, daß er meinen letzten Willen nicht habe vollziehen können, weil er keine Beweise für meinen Tod oder eine ewige Verschollenheit gehabt hätte. »Aber«, fügte er hinzu, »ich habe Ihnen noch etwas zu sagen, was Ihnen vielleicht minder unangenehm sein wird. Auf die allgemein geglaubte Nachricht von Ihrem Tode erboten sich Ihr Gesellschafter und Ihre Faktoren, mich durch die Einkünfte der ersten sechs Jahre abzufinden, worauf ich auch eingegangen bin. Dieselben waren aber nicht bedeutend, weil damals auf die Pflanzung selbst noch große Summen verwendet wurden. Indessen werde ich Ihnen hierüber noch genaue Rechnung vorlegen.«

Nach einigen Tagen empfing ich von dem alten Kapitän wirklich die Rechnung, und es stellte sich heraus, daß er mir 470 Moedore schuldete, die er in Tabak, Zucker, Rum und andern Produkten empfangen hatte, außer 15 Doppelrollen Tabak und 60 Kisten Zucker, die in einem Schiffbruch verloren gegangen waren. Hierauf holte er eine lederne Börse, nahm daraus 160 Moedore und händigte mir dieselben mit der Bemerkung ein, daß ihn viele Unglücksfälle betroffen hätten, wodurch er sich jetzt außer stande sähe, mir die ganze Rechnung auszuzahlen. Für den Rest bot er mireinen Vertrag an wegen der Hälfte des Anteils, den er und sein Sohn an der Fracht eines Schiffes hätten, welches von diesem geführt und in kurzem ankommen würde.

Die Rechtschaffenheit des braven Greises rührte mich bis zu Thränen, besonders als ich an die vielen Wohlthaten dachte, die er mir einst erwiesen hatte. »Jetzt aber, teurer Kapitän«, drang ich in ihn, »sagen Sie mir unumwunden, ob Sie die Entbehrung dieser Summe irgendwie in Verlegenheit setzt?«

»Ich leugne nicht, mein lieber Freund«, entgegnete der Greis, »daß es mir einigermaßen unbequem fällt, aber es istIhrGeld, und Sie bedürfen desselben vielleicht noch nötiger als ich.«

Der Mann flößte mir immer mehr Achtung und Teilnahme ein. Ich nahm 100 Moedore und stellte ihm darüber eine Quittung aus, dann gab ich ihm 60 Moedore und seine Papiere mit der Bemerkung zurück, daß ich von einem solchen Ehrenmanne, wie er sei, keine weitere Sicherheit nötig hätte. Der alte Kapitän freute sich über meine Erkenntlichkeit und gab mir dann in betreff meiner brasilischen Reise manche beherzigenswerte Winke, die meiner allezeit raschen Wanderlust Zügel und Zaum anlegten.

In nächster Zeit gingen zwei Schiffe nach Brasilien ab, und mit diesen wurden meine beglaubigten Papiere und Dokumente an den Ort ihrer Bestimmung befördert. Noch waren nicht sieben ganze Monate verflossen, als von den Erben meiner Faktoren ein Päckchen einlief mit den folgenden Papieren:

Was der Prior für mildthätige Zwecke verausgabt hatte, konnte ich nicht zurückverlangen, und über das Drittel, welches der Prokurator für des Königs Säckel bezogen hatte, erhielt ich weder Rechnung noch Geld.

In jenem Päckchen lagen außerdem noch Briefe von meinem ehemaligen Gesellschafter und seiner Familie, welche sämtlich die aufrichtigsten Glückwünsche enthielten, ferner ein umständlicher Bericht über den gegenwärtigen blühenden Zustand der Plantage und eine Einladung, selbst den Besitz meiner Ländereien anzutreten. Außerdem war dem Briefe noch beigefügt ein Geschenk von sechs Kistchen eingemachter Früchte, von 100 Stückchen ungemünzten Goldes, etwas kleiner als die Moedore, und sechs prächtigen Leopardenfellen, die mich auf den Schluß brachten, daß meine Nachfolger Schiffe nach Afrika ausgerüstet hatten und mehr vom Schicksale begünstigt waren als ich bei meiner Fahrt nach Guinea.

Aber das war noch nicht alles, denn fast gleichzeitig erhielt ich von den Erben meiner Faktoren eine zweite Sendung, die mir als Zahlung der schuldigen 4415 Moedore, 1200 Zuckerkisten, 800 Tabaksrollen und den Rest in Gold zuführte.

Das war zu viel auf einmal! Fast erlag ich dem Drucke, welchen das Übermaß der Freude auf mich kurz vorher noch so armseligen Sterblichen ausübte. Jetzt war ich mit einem Schlage ein reicher Mann, der über Besitzungen in zwei Weltteilen zu verfügen hatte. Da durfte ich denn meinen alten wackeren Kapitän nicht vergessen. Sofort zahlte ich ihm seine 100 Moedore zurück, quittierte über den Empfang der noch rückständigen 370 und setzte ihm eine jährliche Rente von 100 und nach seinem Ableben seinem Sohne eine solche von 50 Moedoren aus. Außerdem betraute ich ihn mit der Vollmacht, meine Einkünfte in Brasilien zu beziehen und mir zu übermitteln.

Mit dem nächsten nach Brasilien gehenden Schiffe sandte ich ein Antwortschreiben zurück, in welchem ich meinen Dank aussprach für die wohlgemeinten Glückwünsche und zugleich die Absicht mitteilte, bald nach Brasilien überzusiedeln und dort vielleicht meine Tage in Ruhe zu beschließen. Als Gegengeschenk fügte ich feineenglische Tücher, seidene Stoffe aus Italien, Spitzen aus Brabant und andres dergleichen bei. Dem Prior aber gab ich meine Entschließung kund, 500 Moedore seinem Kloster und die übrigen 372 den Armen zu vermachen.

So waren meine südamerikanischen Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Wenn ich dasselbe nur auch schon von den europäischen hätte sagen können; denn hier stieß ich auf gar mannigfache Verlegenheiten. Zuvörderst mußte ich darauf bedacht sein, meine Kapitalien sicheren Händen zu übergeben, und es blieb mir nichts andres übrig, als selbst nach England zurückzukehren.

Mein alter Freund, der Seemann, riet mir, über Madrid und Paris nach Calais zu reisen und von da nach Dover überzusetzen. Damit ich aber auch Reisegesellschaft hätte, so machte er mich mit dem Sohne eines englischen, in Lissabon ansässigen Kaufmanns bekannt, der mich zu begleiten wünschte. Außerdem schlossen sich noch zwei andre Kaufleute aus England sowie zwei Portugiesen an, so daß wir im ganzen sechs Herren nebst fünf Dienern waren, aber wohlberitten und bewaffnet. Meine Reisegefährten beliebten, mir den Titel »Kapitän« zu geben, einmal, weil ich der Älteste von ihnen war, dann auch, weil ichzweiDiener hatte.

Wir verweilten einige Zeit inMadrid, um den Hof und die übrigen Merkwürdigkeiten der spanischen Residenz zu besehen, und gegen Mitte Oktober rückten wir weiter, um bei der schon vorgeschrittenen Jahreszeit die Pyrenäen möglichst bald im Rücken zu haben. In Pamplona berichteten uns die Leute, daß auf dem Nordabhange des Gebirges bereits Massen von Schnee lägen, die ein Durchkommen schlechterdings unmöglich machten. Die Kälte war in der That empfindlich, zumal wenn man, wie ich, viele Jahre lang unter der tropischen Sonne gelebt und erst seit zehn Tagen den blauen Himmel des heißen Kastilien verlassen hatte. Dem armen Freitag spielte die Kälte noch weit mehr mit – der Sohn Amerikas sah hier zum erstenmal die Natur in ihrem rauhen Winterkleide!

Ich machte meinen Reisegefährten den Vorschlag, nach Fuentarabia aufzubrechen, uns daselbst einzuschiffen und nach Bordeauxzu fahren. Während wir uns noch darüber berieten, trafen vier Franzosen in unserm Gasthof ein, deren Reise sowohl auf französischer wie auf spanischer Seite Aufschub erfahren und welche die Reise über das Gebirge unter Leitung eines kundigen Führers gemacht hatten. Wir ließen den Mann auf der Stelle holen, und er versprach, uns auf den nämlichen Wegen nach Frankreich hinüber zu geleiten. Vom Schnee sei nichts zu befürchten, sagte er, aber vor den Wölfen, die wegen der großen Kälte zu ganzen Trupps ausgehungert umherschwärmten, könne man nicht genug auf der Hut sein. Wir entgegneten ihm, daß wir hinlänglich mit Waffen versehen seien, um solch einen Trupp nach Gebühr zu empfangen. Wegen des Führergeldes wurden wir mit dem Manne schnell handelseinig, und so brachen wir, nachdem sich uns noch zwölf Reisende mit ihrer Bedienung angeschlossen, am 15. November 1687 von Pamplona auf.

Wir waren nicht wenig verwundert, als uns der Führer wohl an zehn Stunden weit auf der Straße nach Madrid rückwärts führte, wo wir uns in einem angenehm warmen Klima und in schöner, schneeloser Landschaft befanden. Dann aber wandte er sich links gegen den Gebirgszug und führte uns, an tausend schauerlich gähnenden Abgründen vorbei, bis auf die Höhe des Gebirges, von wo uns die grünen, lachenden Gefilde von Languedoc und der Gascogne entgegenblinkten. Bis dorthin war freilich noch mehr alseinmühevoller Schritt zu machen, wenngleich man das Schlimmste überstanden zu haben glaubte.

Eines Nachmittags wurde aber der Führer, als er uns vorausritt, von zwei Wölfen und einem Bären angegriffen. Der bestürzte Mann verlor so sehr alle Besinnung, daß er, statt sein Pistol abzufeuern, nur aus Leibeskräften schrie. Schnell gebot ich Freitag, hinzureiten, und er zerschmetterte durch einen sicheren Pistolenschuß den Kopf des einen Wolfes. Der andre, welcher sich heißhungrig auf das Pferd gestürzt hatte, entfloh, von dem Knalle erschreckt, ins Gehölz; Freund Petz aber ließ sich dadurch nicht irre machen, sondern blieb ruhig stehen. Der arme Führer hatte zwei empfindliche Wunden, eine in den rechten Arm, dieandre in den Schenkel erhalten; aber das Pferd war unverletzt geblieben, da die Zähne des Wolfes nur die Riemen des Zaums gepackt hatten.

Man kann sich wohl denken, daß wir auf den Knall der Pistole, der wie dumpf grollender Donner sich durch die Gebirgsthäler fortpflanzte, unsern Pferden die Sporen in die Weichen drückten, um mit möglichster Schnelligkeit auf den Platz des Abenteuers zu gelangen. Während wir den Führer durch einen Schluck Branntwein zu stärken suchten und an seine Wunden Verbände anlegten, gewahrten einige zu ihrem nicht geringen Entsetzen, wie der Bär, ein Bursche von respektabler Größe, Miene machte, sich zu nähern, statt sich zu entfernen.

Schon wollten etliche Herren auf ihn anlegen, da bat mich Freitag:

»O Herr, erlaube mir, daß ich dem Tiere die Hand reiche, es wird euch allen viel zu lachen geben!«

»Sei kein Thor, Freitag«, sagte ich zu ihm; »der Bursche dort läßt nicht mit sich spaßen. Er wird dich mit Haut und Haar verschlingen.«

»Was? Er mich essen?« triumphierte Freitag. »Dafür werde ich mich sehr bedanken – ich werdeihnessen; gebt acht, es wird viel Spaß absetzen.«

Die Reisegesellschaft gab seiner Laune nach und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Freitag zog im Nu seine Stiefel und Strümpfe aus, zog statt deren ein Paar Schuhe an, übergab sein Pferd einem Bedienten, nahm ein Gewehr und eilte gerade auf den Bären los.

»Höre, höre, guter Freund«, wandte sich Freitag an Meister Petz, »ich möchte mit dir ein bißchen plaudern.« Aber der Bär schien keine besondere Neigung zu haben, sich in ein Gespräch einzulassen. Da die freundliche Ansprache unerwidert blieb, versuchte Freitag auf andre Art, dem Vierbeinigen Aufmerksamkeit einzuflößen. Er hob einen großen Stein auf und warf ihn dem Tiere an den Kopf. Doch ob er den Bären oder eine alte Mauer getroffen hätte, war ganz gleich: sein Gegenüber verharrte in bewundernswürdigem Gleichmut. Dieser kecke Übermut Freitags machte einige der Reisenden besorgt, und schon schickten sie sich an, auf das Fell des Bären eine nachdrückliche Ladung zu geben. Aber Freitag, der die Eigenart des Tieres studiert zu haben schien, winkte abwehrend gegen die Schußfertigen. Dann wandte er sich seitwärts und schwang sich auf den Stamm einer Eiche, an deren Fuße er sein Gewehr anlehnte. Der Bär, immer wütender geworden, folgte knurrend hinterdrein.

Ich konnte bis jetzt in der ganzen Posse noch nichts »zum Lachen« finden, im Gegenteil, mir war ganz unheimlich zu Mute, als ich meinen Getreuen sich bis an das äußerste Ende des Astes zurückziehen und den Bären ihm auf dem Fuße folgen sah.

»Jetzt, meine Herren«, rief Freitag in heiterer Stimmung, »jetzt werden Sie sehen: der Tanz beginnt!«

Bei diesen Worten sprang er und schüttelte den Ast so kräftig, daß diese schaukelnde Bewegung dem Bären unbehaglich wurde und er sich bedachtsam zurückzog. Freitag aber ließ ihn nicht so leichten Kaufes frei, sondern rief ihm zu: »Was kommst du nicht näher, Freund? Immer komm her!« Und wirklich that das Tier einige Schritte vorwärts. Jetzt neues kräftiges Schütteln und Schaukeln – neuer Rückzug; kurz, das Spiel dauerte eine Zeitlang in dieser Weise fort, und wir mußten über die drolligen Gebärden des Bären herzlich lachen.

Doch Abend und Dunkelheit brachen herein, und ich rief Freitag zu, dem Possenspiel ein Ende zu machen; denn wir alle wußten nicht, wie der Scherz ausgehen würde.

Freitag zog sich sogleich an das äußerste Ende des Astes zurück, hielt sich mit größter Geschicklichkeit mit beiden Händen daran fest und sprang dann leichten Fußes auf den Boden.

Hierauf ergriff er sein Gewehr und blieb bewegungslos stehen. Als der Bär seinen Feind unten sah, ward es ihm auf dem Baume zu einsam, und er wollte gleichfalls herabsteigen. Doch that er es mit einer merkwürdigen Vorsicht, sah sich bei jedem Schritte um und kletterte endlich langsam und bedächtig am Stamme herunter. Kaum aber berührte er mit seinen Tatzen den Boden, so legte ihmFreitag seine Flinte ans Ohr und streckte ihn tot nieder. Dann drehte sich der Schelm lachend uns zu, um in unsern Mienen den wohlverdienten Beifall zu lesen, und sagte nicht ohne einen Zug selbstgefälligen Stolzes:

»So töten wir daheim, in Amerika, die Bären!«

»Aber wie ist denn das möglich, Freitag«, warf ich ihm ein, »ihr habt ja keine Flinten?«

»Nein, meine Brüder haben keine Flinten, aber ihre langen Pfeile treffen ebenso sicher.«

Gern hätte Freitag dem erlegten Gegner das Fell abgezogen, aber wir durften uns bei der zunehmenden Dunkelheit nicht unnützerweise länger verweilen, zumal in unsre Ohren ein entsetzliches Geheul der herumlungernden Wölfe drang. Schon im ersten Gehölze lief etwa ein halbes Dutzend dieser Tiere über den Weg, welche aber gar keine Notiz von uns zu nehmen schienen. Als wir gegen die Ebene zuschritten, erblickten wir ein ganzes Rudel, welche an den Knochen eines Pferdes nagten; bald schon vernahmen wir aus dem nahen Gehölze fürchterliches Geheul und sahen gleich darauf eine große Schar einem seines Reiters ledig gewordenen Pferde nachrennen.

Dies erforderte rasches Handeln. Wir trennten uns in zwei geschlossene Trupps und feuerten abwechselnd; gleich bei den ersten Schüssen stürzten vier der Bestien, mehrere andre wurden verwundet und röteten den Boden mit ihrem Blute. Wir selbst stimmten nun ein ohrenzerreißendes Geheul an, und zwar so wirkungsvoll, daß es sogar den Wölfen zu arg wurde und diese sich zurückzogen. Mittlerweile luden wir rasch unsre Gewehre und setzten unsern Weg weiter fort.

Robinson von Wölfen überfallen.

Robinson von Wölfen überfallen.

Robinson von Wölfen überfallen.

Unser Führer befand sich am folgenden Morgen so schwach, daß er uns nicht weiter begleiten konnte; wir bezahlten ihn anständig, mieteten einen Ersatzmann und zogen nachToulouse, wo wir weder Schnee noch Wölfe, sondern eine liebliche warme Sonne und fruchtbare blühende Gefilde trafen. Als die Leute dort unser bestandenes Reiseabenteuer vernahmen, fanden sie es unbegreiflich, wie unser Führer so kühn sein konnte, uns in dieser Jahreszeitüber das Gebirge zu führen, noch dazu mit so vielen Pferden, welche die Gier der Wölfe aufs höchste stacheln. Alle stimmten darin überein, daß wir nur wie durch ein Wunder dem Tode entgangen seien. Denn bereits sei ein Reisender vor uns den Heißhungrigen zum Opfer gefallen – wohl der Besitzer jenes leeren, von den Wölfen verfolgten Pferdes.

Von Toulouse ging die Reise ohne Aufschub weiter nachParis, von da nachCalais, wo wir nachDoverübersetzten. Nach kurzer Rast ließ ich mich noch an demselben Tage mit Freitag für den Postwagen einschreiben und langte den Tag darauf in London an.

Mein erster Besuch galt der guten alten Witwe, welche die Erzählung von dem glücklichen Wechsel meines Schicksals unter Freudenthränen anhörte. Ich setzte ihr eine lebenslängliche Rente von jährlich 100 Pfund Sterling aus und quittierte über die Summe, die sie mir noch schuldete. Dann bat ich sie, meinem Hauswesen vorzustehen, worein sie gern willigte, und nach wenigen Tagen bezogen wir eine geräumige, behagliche Wohnung. Mein Vermögen war bar in meinen Händen, denn die Wechsel, die ich mitbrachte, wurden ohne Schwierigkeit eingelöst. Auch meine Schwestern vergaß ich nicht: ich sandte einer jeden 100 Pfund Sterling und fügte das Versprechen hinzu, ihnen diese Summe lebenslänglich als eine jährliche Pension zu sichern. Meine beiden Neffen nahm ich zu mir, und da der älteste etwas eignes Vermögen besaß, so erzog ich ihn wie einen Mann von Stande und sorgte, daß er diesen Rang behaupten konnte. Der zweite hatte Neigung zur Seefahrt; ich billigte natürlich diese Neigung und übergab ihn deshalb der Obhut eines angesehenen, tüchtigen Schiffskapitäns, der ihn auf weiten Reisen, besonders nach Westindien, zu einem wohlunterrichteten, taktfesten Seemann ausbildete.

Während der ersten Zeit meines Aufenthalts in London dachte ich oft an meine brasilische Pflanzung und an das Versprechen, dieselbe zu besuchen. Allein die Gesellschaft, die ich dort vorgefunden haben würde, und die ganze Lebensart überhaupt behagten mir so wenig mehr, daß ich mich lieber entschloß, die Pflanzung zu verkaufen. Ich schrieb deshalb an meinen alten Freund in Lissabonund bat ihn um seinen Beistand in dieser Angelegenheit. Seine Antwort lautete dahin, er halte es für das vorteilhafteste, den Erben meiner ehemaligen Faktoren den Kaufantrag zu machen. Die Unterhandlungen folgten rasch, und nach dreiviertel Jahren gingen in Lissabon die Anweisungen auf 33000 Moedore (825000 Mark) ein. Dem Kapitän gab ich den Auftrag, das Kapital der ihm zugesicherten Rente für sich selber zu behalten und mir den Rest des Geldes zu übersenden, was auch in sehr kurzer Zeit in guten Wechseln geschah. Nachdem ich auch diese beträchtliche Summe sicher angelegt hatte, konnte ich sorgenfrei in London leben. Um nicht allein in der Welt dazustehen, verheiratete ich mich mit einer Dame, deren Liebenswürdigkeit und wirtschaftlicher Sinn mir das häusliche Leben so angenehm machten, daß ich mich in meinen vier Pfählen recht behaglich fühlte.

Im Hafen einer sicheren und Ruhe verheißenden Existenz war ich nun nach mancherlei Stürmen mit dem 56. Jahre meines Lebens eingelaufen. Es schließt hiermit der erste Hauptabschnitt einer abenteuerlichen Laufbahn, welche die gütige Vorsehung mit einer seltenen Mannigfaltigkeit menschlicher Schicksale ausgestattet hatte, eine Laufbahn, die zwar thöricht begonnen, doch bei weitem befriedigender verlaufen sollte, als ich irgend hoffen durfte. Daß ich nach einigen Jahren nochmals aus der gewonnenen Ruhe und aus dem friedlichen Behagen heraustreten und einen weiteren Teil der Welt durchwandern sollte, hätte ich damals selbst nicht geglaubt.


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