VII

VII

Der folgende Tag war ein Sonntag, und Natalia verließ spät ihr Lager. Tags zuvor war sie bis zum Abend sehr schweigsam gewesen, hatte sich insgeheim ihrer Tränen geschämt und schlecht geruht. Halb angekleidet vor dem kleinen Klavier sitzend, hatte sie, um Mlle. Boncourt nicht zu wecken, kaum hörbare Akkorde gegriffen, oder war, die Stirn an die kalten Tasten gedrückt, lange regungslos sitzengeblieben. Sie hatte fortwährend, nicht sowohl an Rudin selbst, als vielmehr an dieses oder jenes seiner Worte gedacht und sich gänzlich ihren Eindrücken hingegeben.

Von Zeit zu Zeit tauchte Wolinzow in ihrer Erinnerung auf. Sie wußte, daß er sie liebe, doch sie verwarf den Gedanken an ihn sogleich wieder … Sie empfand eine eigentümliche Aufregung. Als der Morgen gekommen war, kleidete sie sich rasch an, ging hinunter, und nachdem sie ihrer Mutter einen guten Tag gewünscht hatte, benutzte sie einen günstigen Augenblick, um sich allein in den Garten zu begeben. Es war ein heißer, heller, sonniger Tag, wenn auch von Zeit zu Zeit von kurzem Regen unterbrochen. Niedrige wollige Wolkenknäuel zogen ruhig am reinen Himmel, ohne die Sonne zu verdecken, dahinund sandten den Feldern in Zwischenräumen heftige und plötzliche Regengüsse. Große, glänzende Tropfen fielen gleich Brillanten mit abgerissenem, trocknem Geräusch; die Sonnenstrahlen spielten mitten durch den Regen; das Gras, noch vor kurzem vom Winde bewegt, rührte sich nicht: es sog gierig die Feuchtigkeit auf; das benetzte Laub zitterte an den Bäumen; die Vögel hatten ihren Gesang nicht unterbrochen und es war eine Lust, dem munteren Gezwitscher derselben beim kühlen Rauschen und Murmeln des vorüberziehenden Regens zu lauschen. Kleine Staubwirbel zogen wie Rauch auf der Landstraße dahin, die von den heftig aufschlagenden Regentropfen wie gefleckt erschienen. Doch da ist das Wölkchen vorüber, ein leichter Wind hat sich erhoben, in Smaragden und Gold spielt das Gras … Blatt hat sich an Blatt gelegt, wie angeklebt, und lichter ist es in dem Laube geworden … Starker Duft steigt überall empor …

Der Himmel hatte sich fast ganz aufgeklärt, als Natalia sich in den Garten begab. Frische und Stille umfingen sie, jene sanfte und beglückende Stille, welche im menschlichen Herzen sehnsuchtsvolles Mitgefühl und unbestimmtes, heimliches Verlangen hervorruft …

Natalia wandelte den Teich entlang, in der langen Allee von Silberpappeln, als plötzlich vor ihr, wie aus dem Boden emporgeschossen, Rudin erschien.

Sie wurde verwirrt. Er blickte ihr ins Gesicht.

»Sie sind allein?« fragte er.

»Ja, ich bin allein,« antwortete Natalia, »ich habe übrigens nur für eine Minute das Freie gesucht … Ich muß sogleich zurück.«

»Ich werde Sie begleiten.«

Und er ging an ihrer Seite hin.

»Sie scheinen betrübt?« sagte er nach kurzem Schweigen.

»Ich? … Und eben wollte ich Ihnen dieselbe Frage vorlegen! Sie sind, wie mir deucht, nicht aufgelegt.«

»Vielleicht … ich bin es zuweilen. Mir kann man das leichter verzeihen als Ihnen.«

»Weshalb das? Glauben Sie etwa, ich hätte keine Ursache, betrübt zu sein?«

»In Ihren Jahren muß man das Leben genießen.«

Einige Schritte ging Natalia schweigend weiter.

»Dmitri Nikolaitsch!« begann sie.

»Was wünschen Sie?«

»Erinnern Sie sich … des Gleichnisses, das Sie gestern gebrauchten … es war … von der Eiche.«

»Gewiß! Ich erinnere mich. Aber warum diese Frage?«

Natalia warf verstohlen einen Blick auf Rudin.

»Warum … was wollten Sie mit dem Gleichnisse sagen?«

Rudin senkte den Kopf und ließ den Blick in die Weite schweifen.

»Natalia Alexejewna!« fing er mit dem ihm eigenen, zurückhaltenden und bedeutungsvollen Ausdruck an, der seine Zuhörer stets glauben machte, er äußere kaum den zehnten Teil von dem, was ihm die Brust schwellte. »Natalia Alexejewna! Sie haben bemerken müssen, daß ich von meiner Vergangenheit wenig rede. Es gibt darin gewisse Saiten, die ich gar nicht berühre. Mein Herz … wer braucht überhaupt zu wissen, was in demselben vorgegangen ist? Solche Dinge zu offenbaren, habe ich stets für einen Frevel gehalten. Ihnen gegenüber jedoch bin ich aufrichtig: Sie erwecken mein Zutraun … Ich darf Ihnen kein Geheimnis daraus machen, daß auch ich geliebt und gelitten habe, wie alle … Wann und wie? davon lohnt sich’s nicht zu sprechen; genug, mein Herz hat der Freuden und Leiden viel erfahren …«

Rudin hielt einen Augenblick inne.

»Das, was ich Ihnen gestern sagte,« fuhr er fort, »ließ sich in gewisser Hinsicht auf mich anwenden, auf meine jetzige Lage. Doch wahrlich, es lohnt nicht, davon zu reden. Diese Seite des Lebens ist für mich bereits dahin. Mir bleibt jetzt nur, mich auf staubiger und heißer Landstraße in elendem Wagen von Station zu Station fortrütteln zu lassen … Wann ich mein Ziel erreichen – ob ich es überhaupt erreichen werde – dasweiß Gott … Lassen Sie uns lieber von Ihnen sprechen.«

»Wäre es möglich, Dmitri Nikolaitsch,« unterbrach ihn Natalia, »Sie erwarten nichts mehr vom Leben?«

»O nein! Ich erwarte vieles; doch nicht für mich … Der Tätigkeit, der Freude am Handeln werde ich niemals entsagen; ich habe aber dem Genusse entsagt. Mein Hoffen, mein Träumen und mein persönliches Glück haben nichts miteinander gemein. Die Liebe (bei diesem Worte zuckte er die Achseln) … die Liebe: – ist nicht für mich; ich bin … ihrer nicht wert; ein Weib, welches liebt, hat das Recht des Anspruchs auf den ganzen Mann, ganz aber kann ich mich nicht hingeben. Und dann – Gefallen ist das Ziel und das Recht der Jugend: ich bin zu alt dazu. Wie sollte ich noch fremde Köpfe verdrehen? Gott helfe mir, den meinen auf den Schultern zu behalten!«

»Ich verstehe,« äußerte Natalia, »wer einem hohen Ziele entgegenstrebt, darf nicht mehr an sich denken; warum aber wäre das Weib nicht imstande, einen solchen Menschen zu würdigen? Mich dünkt im Gegenteil, es würde sich eher von einem Egoisten abwenden … Alle jungen Leute, jene Jünglinge, wie Sie sagen, sind insgesamt – Egoisten, nur mit sich selbst beschäftigt, selbst wenn sie lieben. Glauben Sie mir, das Weib ist nicht bloß imstande, Aufopferung zu begreifen,sie versteht es auch, sich selbst zum Opfer zu bringen.«

Natalias Wangen hatten sich leicht gerötet und ihre Augen glänzten. Vor ihrer Bekanntschaft mit Rudin würde man nie aus ihrem Munde eine so lange und feurige Rede vernommen haben.

»Sie haben schon mehrmals meine Meinung von dem Berufe der Frauen gehört,« erwiderte Rudin mit herablassendem Lächeln, »Sie wissen, daß, meiner Ansicht nach, Johanna d’Arc allein Frankreich retten konnte … doch, nicht davon ist die Rede. Ich wollte von Ihnen sprechen. Sie stehen an der Schwelle des Lebens … Von Ihrer Zukunft zu sprechen, macht Vergnügen und ist nicht ohne Nutzen … Hören Sie mich: Sie wissen, ich bin Ihr Freund; ich nehme teil an Ihnen, wie etwa an einer Verwandten … darum, hoffe ich, werden Sie meine Frage nicht unbescheiden finden: sagen Sie mir, ist Ihr Herz bis jetzt ganz ruhig gewesen?«

Natalia wurde feuerrot und antwortete nichts. Rudin blieb stehen und sie tat dasselbe.

»Sind Sie mir böse?« fragte er.

»Nein,« sagte sie, »ich hatte aber durchaus nicht erwartet …«

»Übrigens«, fuhr er fort, »brauchen Sie mir nicht zu antworten. Ihr Geheimnis ist mir bekannt.«

Fast erschrocken blickte Natalia ihn an.

»Ja … ja; ich weiß, wer Ihnen gefällt. Undich muß Ihnen sagen – eine bessere Wahl konnten Sie nicht treffen. Er ist ein vortrefflicher Mensch; er wird Sie zu schätzen verstehen; das Leben hat ihn noch nicht abgenutzt – seine Seele ist einfach und klar … er wird Sie glücklich machen.«

»Von wem sprechen Sie, Dmitri Nikolajewitsch?«

»Sie sollten nicht verstehen, von wem ich spreche? Natürlich von Wolinzow. Wie? Sollte ich mich geirrt haben?«

Natalia wandte sich etwas von Rudin ab. Sie war ganz außer Fassung.

»Liebt er Sie denn nicht? Gehen Sie doch! Er hat nur Augen für Sie und folgt jeder Ihrer Bewegungen; läßt sich denn überhaupt die Liebe verheimlichen? Und sind Sie ihm denn nicht selbst gut? Soviel ich bemerken konnte, gefällt er auch Ihrer Mama … Ihre Wahl …«

»Dmitri Nikolaitsch!« unterbrach ihn Natalia, in ihrer Verwirrung die Hand nach einem nahestehenden Strauche ausstreckend, »wirklich, es ist mir peinlich, über diesen Gegenstand zu sprechen; ich versichere Ihnen aber, Sie irren sich.«

»Ich mich irren?« wiederholte Rudin. »Ich glaube es nicht … Ich habe zwar erst vor kurzem Ihre Bekanntschaft gemacht; kenne Sie aber bereits gut. Was bedeutet denn die Veränderung, die ich an Ihnen wahrnehme, deutlich wahrnehme! Sind Sie denn jetzt dieselbe, wie ich Sievor sechs Wochen gefunden habe? Nein, Natalia Alexejewna, Ihr Herz ist nicht ruhig.«

»Kann sein,« erwiderte kaum hörbar Natalia, »Sie sind aber dennoch im Irrtum.«

»Inwiefern?« fragte Rudin.

»Lassen Sie mich, fragen Sie mich nicht!« sagte Natalia und eilte raschen Schrittes dem Hause zu.

Ihr selbst wurde Angst vor dem, was so plötzlich in ihr vorgegangen war.

Rudin eilte ihr nach und hielt sie auf.

»Natalia Alexejewna!« redete er sie an, »diese Unterredung darf kein solches Ende nehmen: sie ist auch für mich gar zu wichtig … Wie soll ich Sie verstehen?«

»Lassen Sie mich!« wiederholte Natalia.

»Natalia Alexejewna, um Gottes willen!«

Auf Rudins Gesicht war Unruhe zu lesen. Er war bleich geworden.

»Sie verstehen alles, müssen auch mich verstehen!« sagte Natalia, riß ihre Hand aus der seinigen und entfernte sich, ohne sich umzusehen.

»Nur ein Wort!« rief ihr Rudin nach.

Sie blieb stehen, ohne sich jedoch umzudrehen.

»Sie fragten mich, was ich mit dem gestrigen Gleichnisse hätte sagen wollen. So hören Sie es, ich will Sie nicht hintergehen. Ich sprach von mir, von meiner Vergangenheit – und von Ihnen.«

»Wie? Von mir?«

»Ja, von Ihnen; ich wiederhole es, ich willSie nicht hintergehen … Jetzt wissen Sie, von welchem Gefühle, von welchem neuen Gefühle ich in jenem Augenblick sprach … Vor dem heutigen Tage würde ich es nicht gewagt haben …«

Natalia bedeckte rasch das Gesicht mit den Händen und lief dem Hause zu.

Sie war dermaßen durch den unerwarteten Ausgang ihres Gesprächs mit Rudin erschüttert, daß sie Wolinzow, an dem sie vorbeigelaufen war, nicht einmal bemerkt hatte. Er stand unbeweglich, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt. Eine Viertelstunde vorher war er zu Darja Michailowna gekommen, hatte dieselbe im Gastzimmer getroffen, ihr ein paar Worte gesagt und sich unbemerkt entfernt, in der Absicht, Natalia aufzusuchen. Geleitet von dem, den Verliebten eigentümlichen Instinkt, war er geradeswegs in den Garten gegangen und auf Rudin und Natalia in dem Augenblicke gestoßen, als sie ihre Hand der seinigen entriß. Wolinzow war es dunkel vor den Augen geworden. Nachdem er Natalia mit den Blicken gefolgt war, verließ er den Baum und tat ein paar Schritte, ohne selbst zu wissen, wohin und warum.

Rudin bemerkte ihn im Vorbeigehen. Beide blickten einander in die Augen, tauschten einen Gruß und trennten sich schweigend.

Damit ist es nicht abgemacht, dachten beide.

Wolinzow entfernte sich an das äußerste Ende des Gartens. Ein bitterpeinliches Gefühl hatte sich seiner bemächtigt; auf dem Herzen lag esihm wie Blei und das Blut in ihm wallte von Zeit zu Zeit schwer und heftig auf. Es fielen wieder Tropfen. Rudin war auf sein Zimmer zurückgekehrt. Auch er war nicht ruhig: im Wirbel drehten sich die Gedanken in seinem Kopfe. Wer sollte durch die unerwartete, vertrauensvolle Hingabe einer jungen, reinen Seele nicht verwirrt werden!

Bei der Mittagstafel wollte kein Gespräch in Gang kommen. Natalia war sehr bleich, hielt sich kaum auf ihrem Stuhle und hob die Augen nicht auf. Wolinzow saß, wie er gewohnt war, an ihrer Seite, und zwang sich von Zeit zu Zeit, das Wort an sie zu richten. Es traf sich, daß Pigassow an diesem Tage bei Darja Michailowna speiste. Er war der Gesprächigste von allen bei Tische. Unter anderen suchte er zu beweisen, daß man die Menschen, wie Hunde, in zwei Klassen, in kurz- und langohrige, einteilen könne. »Die Menschen«, sagte er, »haben kurze Ohren, entweder von Geburt an oder durch eigene Schuld. In beiden Fällen sind sie zu beklagen, denn nichts gelingt ihnen – es fehlt ihnen das Selbstvertrauen. Der Langohrige dagegen ist ein Glückskind. Er mag schlechter und schwächer als der Kurzohrige sein, er besitzt aber Selbstvertrauen; er spitzt die Ohren – und alles bewundert ihn.«

»Ich«, setzte er mit einem Seufzer hinzu, »gehöre zur Klasse der Kurzohrigen, und, was dabeidas Schlimmste ist, ich habe mir die Ohren selbst gestutzt.«

»Damit wollen Sie sagen,« warf nachlässig Rudin ein, »was übrigens bereits lange vor Ihnen La Rochefoucauld gesagt hat: ›Vertraue dir selbst und andere werden dir vertrauen.‹ Wozu aber da die Ohrengeschichte!«

»So lassen Sie doch jeden,« bemerkte Wolinzow bitter und mit funkelndem Blick, »lassen Sie jeden sich ausdrücken, wie es ihm gefällt. Man redet von Despotismus … Nach meiner Meinung gibt’s keinen ärgeren Despotismus als den der sogenannten klugen Geister. Fort mit ihnen!«

Alle waren über diesen Ausfall Wolinzows in Staunen geraten und verstummt. Rudin warf einen Blick auf ihn, konnte aber den seinigen nicht ertragen und wandte sich ab, lächelte verlegen und sagte nichts.

Oho! Auch du hast kurze Ohren! dachte Pigassow bei sich; Natalia bebte vor Angst. Darja Michailowna maß Wolinzow mit einem langen, erstaunten Blick und nahm endlich das Wort; sie begann von einem ungewöhnlichen Hunde zu erzählen, der ihrem Freunde, dem Minister N. N., gehörte …

Wolinzow entfernte sich bald nach Tische. Beim Abschiednehmen von Natalia hielt er nicht mehr an sich und sagte zu ihr:

»Warum sind Sie so verstört, als wären Sie sich einer Schuld bewußt? Sie können sich – vor niemandem – einer Schuld bewußt sein! …«

Natalia hatte nichts verstanden und folgte ihm bloß mit den Augen. Vor dem Tee trat Rudin zu ihr, und über den Tisch gebeugt, als überfliege er die Zeitungen, flüsterte er ihr zu:

»Es ist wie ein Traum, nicht wahr? Ich muß Sie durchaus allein sprechen … wäre es auch nur auf einen Augenblick.« Und zu Mlle. Boncourt gewendet, sagte er: »Hier ist das Feuilleton, welches Sie suchten,« dann neigte er sich wieder zu Natalia und setzte leise hinzu: »Suchen Sie gegen zehn Uhr sich in der Fliederlaube neben der Terrasse einzufinden, ich werde Sie erwarten …«

Der Held dieses Abends blieb Pigassow. Rudin hatte ihm den Kampfplatz überlassen. Er machte Darja Michailowna viel lachen; zuerst erzählte er von einem seiner Nachbarn, der dreißig Jahre unter dem Pantoffel seiner Ehehälfte gestanden und sich bis zu dem Grade Weibergewohnheiten angeeignet hatte, daß er einst, im Beisein Pigassows, beim Überschreiten einer kleinen Pfütze, die Schöße seines Gehrocks aufnahm, wie Frauen es mit ihren Röcken zu tun pflegen. Dann kam er auf einen anderen Gutsbesitzer, der anfangs Freimaurer, dann Melancholiker gewesen war und endlich Bankier zu werden gewünscht hatte.

»Wie haben Sie es denn angefangen, Freimaurer zu werden, Philipp Stepanitsch?« hatte ihn Pigassow gefragt.

»Nichts leichter als das,« habe er geantwortet,»ich ließ mir den Nagel des kleinen Fingers wachsen.« Über nichts jedoch lachte Darja Michailowna mehr, als wenn Pigassow anfing, sich über die Liebe auszulassen und zu beteuern, auch nach ihm sei geseufzt worden, und eine feurige Ausländerin habe ihn sogar »ihr appetitliches Afrikänchen« genannt. Darja Michailowna lachte, doch war es die Wahrheit, was Pigassow erzählte: er hatte in der Tat ein Recht, mit seinen Siegen zu prahlen. Er behauptete, nichts wäre leichter, als jedes beliebige Frauenzimmer verliebt zu machen: man dürfe ihr bloß zehn Tage nacheinander wiederholen, sie habe das Paradies auf den Lippen, Seligkeit in den Augen und die übrigen Weiber seien bloß Lappen im Vergleich zu ihr; und am elften Tage werde sie selbst sagen, sie habe das Paradies auf den Lippen, Seligkeit in den Augen und wird sich in Sie verlieben. In der Welt kommt alles vor. Wer weiß, vielleicht hatte Pigassow recht.

Um halb neun Uhr war Rudin bereits in der Laube. Am fernen, erbleichenden Horizonte tauchten eben die ersten Sternchen auf; im Westen war der Himmel noch gerötet – auch war auf dieser Seite der Horizont heller und reiner; der Halbmond schimmerte wie Gold durch das dunkle Geflecht der Trauerbirke. Die übrigen Bäume standen entweder vereinzelt mit durchscheinenden Laubkronen gleich finsteren, tausendäugigen Riesen da oder verschwammen in dichte, düstere Massen. Kein Blatt regte sich; die äußerstenZweige der Flieder- und Akazienbäume strecken ihre Spitzen in die warme Luft hinaus, als lauschten sie auf etwas. Das nahe Haus hüllte sich in Dunkel; wie rötlich gefärbte Streifen hoben sich an demselben die erhellten, länglichen Fenster ab. Die Nacht war milde und still; doch schien es, als ob ein zurückgehaltener, leidenschaftlicher Seufzer geheimnisvoll in dieser Stille verhallte.

Rudin stand, die Arme über die Brust gekreuzt und horchte mit äußerster Spannung. Sein Herz klopfte heftig und unwillkürlich hielt er den Atem an. Endlich glaubte er leichte, hastige Schritte zu vernehmen und Natalia trat in die Laube.

Rudin stürzte ihr entgegen und ergriff ihre Hände. Sie waren kalt wie Eis.

»Natalia Alexejewna!« redete er sie mit bebender Stimme an, »ich wollte Sie sehen … ich konnte den morgenden Tag nicht erwarten. Ich muß Ihnen sagen, was ich vor dem heutigen Morgen selbst noch nicht geahnt hatte, mir noch nicht bewußt war: ich liebe Sie.«

Natalias Hände zuckten schwach in den seinigen.

»Ich liebe Sie,« wiederholte er, »und daß ich so lange mich täuschen, so lange nicht ahnen konnte, daß ich Sie liebe … Und Sie, Natalia Alexejewna … antworten Sie mir – und Sie?«

Natalia konnte kaum atmen.

»Sie sehn, ich bin hergekommen,« brachte sie endlich hervor.

»Oh! sagen Sie, lieben Sie mich?«

»Ich glaube … ja …« sagte sie leise.

Rudin drückte ihr noch heftiger die Hände und wollte sie an sich ziehen …

Natalia blickte sich rasch um.

»Lassen Sie mich – es wird mir bange –, mir deucht, es belauscht uns jemand … Um Gottes willen, seien Sie vorsichtig. Wolinzow ahnt etwas.«

»Mag er! Sie haben gesehen, ich habe ihm heute nicht einmal geantwortet … Ach, Natalia Alexejewna, wie bin ich glücklich! Jetzt soll uns nichts mehr trennen!«

Natalia blickte ihm in die Augen.

»Lassen Sie mich,« flüsterte sie, »es ist Zeit, daß ich zurückkehre.«

»Einen Augenblick,« bat Rudin.

»Nein, lassen Sie, lassen Sie mich …«

»Sie scheinen Furcht vor mir zu haben?«

»Nein; ich habe keine Zeit mehr …«

»So wiederholen Sie denn, wenigstens noch einmal …«

»Sie sagen, Sie sind glücklich?« fragte Natalia.

»Ich? Es gibt keinen glücklicheren Menschen als mich auf der Welt! Zweifeln Sie etwa?«

Natalia erhob den Kopf. Wie schön war ihr bleiches, edles, junges, aufgeregtes Gesicht – indem geheimnisvollen Dunkel der Laube, beim schwachen Lichte des nächtlichen Himmels.

»So wissen Sie denn,« sagte sie, »ich bin die Ihre.«

»O Gott!« rief Rudin aus.

Natalia aber machte sich los und ging fort. Rudin blieb einige Zeit stehen, und verließ dann langsam die Laube. Der Mond erleuchtete hell sein Gesicht; ein Lächeln schwebte auf seinen Lippen.

»Ich bin glücklich,« sagte er halblaut. »Ja, ich bin glücklich,« wiederholte er, als suchte er sich selbst dazu zu überreden.

Er warf sich in die Brust, strich sein Lockenhaar zurecht und vertiefte sich in den Garten, lustig die Arme schwenkend.

Unterdessen aber wurden in der Fliederlaube die Zweige behutsam voneinandergebogen und es zeigte sich Pandalewski. Vorsichtig blickte er sich um, schüttelte den Kopf, preßte die Lippen zusammen, sagte mit bezeichnendem Tone: »So stehen die Sachen! Davon muß man Darja Michailowna in Kenntnis setzen,« und verschwand.


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