Chapter 2

O wie gerne lern ich Milde

O wie gerne lern ich Milde,liebes Herz, von deinem Munde,folge dir in stillem Bundein geläuterte Gefilde!

Und wir schaun zurück zusammenauf die Welt, samt ihrem Schelten,und anstatt sie zu verdammen,lassen wir sie gehn und gelten.

Sieh nicht

I

Sieh nicht, was andre tun,der andern sind so viel,du kommst nur in ein Spiel,das nimmermehr wird ruhn.

Geh einfach Gottes Pfad,laß nichts sonst Führer sein,so gehst du recht und grad,und gingst du ganz allein.

II

Verlange nichts von irgendwem,laß jedermann sein Wesen,du bist von irgendwelcher Fehmzum Richter nicht erlesen.

Tu still dein Werk und gib der Weltallein von deinem Frieden,und hab dein Sach auf nichts gestelltund niemanden hienieden.

Stör' nicht den Schlaf der liebsten Frau

Stör' nicht den Schlaf der liebsten Frau, mein Licht!Stör' ihren zarten, zarten Schlummer nicht.

Wie ist sie ferne jetzt. Und doch so nah.Ein Flüstern—und sie wäre wieder da.

Sei still, mein Herz, sei stiller noch, mein Mund,mit Engeln redet wohl ihr Geist zur Stund.

Von zwei Rosen ...

Von zwei Rosenduftet eineanders, als dieandre Rose.

Von zwei Engelnmag so eineranders, als derandre schön sein.

So in unzähl-baren zartenAndersheitenmag der Himmel,

mag des VatersGöttersöhne-reich seraphischabgestuft sein ...

Was klagst du an

Was klagst du andie böse Weltum das und dies?bist du ein Mann,der niemals Speltins Feuer blies?

Hat Haß und Harmund Wahn und Suchtdich nie verführt,daß blind dein Armder Flammen Fluchtnoch mehr geschürt?

Was dünkst du dichdes unteilhaft,was Weltbrand nährt!Zuerst zerbrichdie Leidenschaft,die dich noch schwärt.

In dich hineinnimm allen Zwist,der Welt sorg nit;je wie du reinvon Schlacke bist,wird sie es mit.

Wasserfall bei Nacht

I

Ruhe, Ruhe, tiefe Ruhe.Lautlos schlummern Menschen, Tiere.Nur des Gipfels Gletschertruheschüttet talwärts ihreWasser.

Geisterstille, Geisterfülle,öffnet Eure Himmelsschranke!Bleibe schlafend, liebe Hülle,schwebt, Empfindung und Gedanke,aufwärts!

Aufwärts in die Geisterhallentaste dich, mein höher Wesen!Laß des Lebens Schleier fallen,Koste, seingenesen,Freiheit!

II

Unablässig Sinkenweißer Wogenwucht,laß mich, deine Bucht,dein Geheimnis trinken.

Engel wölken leiseaus der Wasser Schoß,lösen groß sich losnach Dämonenweise.

Strahlen bis zum bleichenMond der Häupter Firn ...Und auf Schläfer-Stirnmalen sie das Zeichen ...

Taufen gern Erhörtenmit der Weisheit Tau.Und von ferner Schaudämmert dem Enttörten.

Wer vom Ziel nicht weiß

Wer vom Ziel nicht weiß,kann den Weg nicht haben,wird im selben Kreisall sein Leben traben;kommt am Ende hin,wo er hergerückt,hat der Menge Sinnnur noch mehr zerstückt.

Wer vom Ziel nichts kennt,kann's doch heut erfahren;wenn es ihn nur brenntnach dem Göttlich-Wahren;wenn in Eitelkeiter nicht ganz versunkenund vom Wein der Zeitnicht bis oben trunken.

Denn zu fragen istnach den stillen Dingen,und zu wagen ist,will man Licht erringen:wer nicht suchen kann,wie nur je ein Freier,bleibt im Trugesbannsiebenfacher Schleier.

Wie macht' ich mich von DEINEM Zauber los

Wie macht' ich mich von DEINEM Zauber losund tauchte wieder nieder in die Tiefeund stiege wieder in des Dunkels Schoß,wenn nicht auch dort DEIN selbes Wesen riefe,an dessen Geisterlicht ich hier mein Sein,als wie der Schmetterling am Licht, erlabe,doch ohne daß mir die vollkommne Gabezum Untergang wird und zur Todespein.

Wie könnte ich von solcher Stätte scheiden,wo jeder letzte Glückestraum erfüllt,verharrte nicht ein ungeheures Leiden,sogar von diesem Himmel nur—verhüllt.Und da mir dessen Stachel ist geblieben,wie könnt' ich nun, als brennend von DIR gehn,um DICH in jener Welt noch mehr zu lieben,in der sie DICH, als Sonne, noch nicht sehn.

Von Liebe so von DIR hinabgezwungenvom Himmel auf die Erde, weiß ich doch:nur immer wieder von DIR selbst durchdrungen,ertrag' ich freudig solcher Sendung Joch.DU mußtest DICH als Quell mir offenbaren,der unaufhörlich rnir Erneuung bringt.Nun kann ich auch gleich DIR zur Hölle fahren,da mich DEIN Himmel ewiglich verjüngt.

Wir fanden einen Pfad

So wie ein Mensch, am trüben Tag, der Sonne vergisst,—sie aber strahlt und leuchtet unaufhörlich,—so mag man Dein an trübem Tag vergessen,um wiederum und immer wiederumerschüttert, ja geblendet zu empfinden,wie unerschöpflich fort und fort und fortDein Sonnengeist uns dunklen Wandrern strahlt.

Ãœberwinde!

Überwinde! Jede Stunde,die du siegreich überwindest,sei getrost, daß du im Pfundedeines neuen Lebens findest.

Jede Schmach und jede Schande,jeder Schmerz und jedes Leidenwird bei richtigem Verstandedeinen Aufstieg mehr entscheiden.

Ohne Erbschuld wirst du funkeln,abermals vor Enkeln rege,ungezähltem Volk im Dunkelnweist ein Sieger Sonnenwege.

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Wir fanden einen Pfad, von Christian Morgenstern.


Back to IndexNext