IVYussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad

IVYussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad

Als Ibrahim Khan, selbständiger Maharadscha des Staates Nasirabad, in der nordwestlichsten Ecke Indiens, im Jahre 1885 am Khawakpasse vom damaligen Obersten der angloindischen Armee, Sir George Merriman, besiegt wurde, war es nicht ein Fürst, oder ein Volk, das fiel; es war ein System. Ibrahim Khan hatte sich während einer vierzigjährigen Regierung als der erbittertste Gegner bekannt gemacht, den das englische Regime seit Tippo Sahib gehabt hatte; nur die Kleinheit und Entlegenheit seines Staates hatte seine Feindschaft verhindert, ebenso furchtbar zu werden als sie erbittert war. Als die Nachricht vom Ausgang der Schlacht am Khawakpasse in Nasirabad eintraf, und es klar wurde, daß die Tage von Ibrahim Khans Selbständigkeit gezählt waren, beschloß er, wenigstens selbst über die Anzahl dieser Tage zu bestimmen. Gleich einem berühmten König des alten Testamentes stürzte sich Ibrahim Khan auf sein Schwert, und die Gesänge, die Sir George bei seinem Einzug in Nasirabad begrüßten, waren keineswegs Lobeshymnen.

Es ist jedoch wohlbekannt (wir verweisen auf Alexander Carsons vortreffliche Lebensbeschreibung Sir Georges, Heinemann & Co., London 1908), wie gutIbrahim Khans Besieger die Kunst beherrschte, die Hannibal nie erlernen konnte, den Sieg auszunützen. Zum Administrator des Reiches ernannt, das er der Königin erworben, verwaltete er es mit einer Pflichttreue und einem Eifer, der sogar in Indien wenig Gegenstücke gehabt haben dürfte. Nicht genug damit: er sah sich durch einen Erfolg belohnt, der wohl noch seltener erreicht worden sein dürfte. Als er im Jahre 1905, am Jahrestage der Schlacht am Khawakpasse, die Bergtäler Nasirabads verließ, war es als Vater des Landes, nicht als sein Besieger; aufrichtige Tränen der Bevölkerung aus allen Landesteilen folgten ihm; und diese Tränen verdoppelten sich, als die Nachricht von seinem drei Monate später erfolgten Tode das schlichte Gebirgsvolk erreichte. „Er schlug uns, und er wurde unser Vater; als er seinem Herzen unsere Herzen nicht mehr entgegenschlagen fühlte, hörte es selbst auf zu schlagen,“ sang der alte Hofdichter Abdul Mahbub.

Der Schmerz über Sir Georges Hingang wurde einigermaßen dadurch gemildert, daß ein Sohn des alten Fürstenhauses gleichzeitig (unter Oberaufsicht des neuen Residenten, Sir Herbert Layson) die Regierung übernahm. Es war Yussuf Khan, Ibrahim Khans ältester lebender Sohn — selbst eines der Produkte und vielleicht nicht das glücklichste, von Sir George Merrimans Reformen. Bei Sir Georges Einzug in Nasirabad erst vier Jahre alt, wurde der junge Prinz sofort unter die Leitung eines englischen Hofmeisters gestellt; es war Sir Georges Ueberzeugung, daß die Reformen sowie die Kultur von oben nach unten gehenmüssen. Zum Hofmeister des jungen Prinzen Yussuf Khan wählte er einen alten Oxforder Freund namens Bowles. Vermutlich sah Sir George diesen mehr durch die Brillen der Freundschaft, als der Pädagogik; es ist auch möglich, daß er zu sehr von den übrigen Einwohnern Nasirabads und ihren bunten Angelegenheiten in Anspruch genommen war, um viel Zeit für die zahlreichen Angehörigen des fürstlichen Hauses übrig zu haben. Und jedenfalls trug der Nimbus, der den Eroberer Nasirabads umgab, dazu bei, alle Exzesse des jungen Thronfolgers zu verhindern, solange Sir George selbst die Leitung des Reiches inne hatte. Uebrigens war Dr. Bowles dem Prinzen ein so guter Lehrer, daß er die Sprache seines Vaterlandes fast ganz über der der Eroberer vergaß. Sogar mit seinem eingeborenen Lehrer, dem alten Dichter Ali, sprach er meistens englisch. Aber das Jahr 1906 — Yussuf Khans fünfundzwanzigstes Jahr — war kaum angebrochen, als er auch schon Sir Herbert Layson verschiedentliche Nüsse aufzuknacken gab.

Zu dieser Zeit war sein alter Erzieher Bowles schon aus dem Spiele, mit einer schönen Pension und sämtlichen Orden des Staates Nasirabads an seiner Brust nach England heimbefördert; es war also Sir Herbert selbst, der dem Anprall des ersten Sturmlaufes des jungen Regenten gegen das neue Regime standhalten mußte. Er tat es in seiner eigenen Weise, und vielleicht wäre das, was nun geschah, nie eingetroffen, wenn ein Mann von anderem Charakter Sir Herberts Platz bekleidet hätte, in welchem Falle auch dieses Buch nie das Licht der Welt erblickt hätte.Habent suafata libelli, sagt mit Recht der römische Dichter. Nun war Sir Herbert Layson gerade ein Jünger dieses römischen Dichters sowie seines großen Namensvetters Herbert Spencer; er war ein stiller, ironischer, arbeitsamer, verschlossener Mann, der seine Tagesarbeit verrichtete und es liebte, auf das Leben von einer ebenso kühlen und klaren Höhe herabzublicken, wie er von seinem Palast in Nasirabad auf die Bergtäler unter der Hauptstadt herniedersah. Yussuf Khans jugendliche Heißblütigkeiten fing er wie Wurfgeschosse mit dem Schild seiner Ironie auf; es muß zugegeben werden, daß dieser Schild auf harte Proben gestellt wurde. Es begann mit Regierungsfragen, in denen der junge Regent seinen Willen durchsetzen wollte; die Angriffe auf diesem Gebiet waren von kurzer Dauer. Sir Herbert ließ den jungen Mann bei einer oder zwei passenden Gelegenheiten seinen Willen durchsetzen; das war genug. Die Unruhe und Erregung der Bevölkerung, die sich schon an die maßvollen Verordnungen und Auflagen des englischen Residenten gewöhnt hatte, überzeugte sogar Yussuf Khan sehr bald, daß seine Anlagen nach anderen Richtungen wiesen. Recht bald hatte er auch herausgefunden, welche diese Richtungen waren: Pferdesport und militärische Uebungen. Der Anfall dauerte gut zwei Jahre, von 1907 bis Ende 1909. Daraus folgte eine kurze Periode der Mattigkeit beim Patienten, bis die neue Phase der Krankheit auftrat. Und als dies geschah, wurde Sir Herbert zum ersten Male unruhig. Denn nun hatte das Weib seinen Einzug in Yussuf Khans Leben gehalten, und was schlimmer war, das geträumte,nur mit den Augen des Ideals gesehene Weib. Sir Herbert hatte Grund zur Unruhe.

Bei diesem Punkt fragt sich der flüchtige Leser erstaunt: Was weiter? Hat man nicht von diesen indischen Fürsten und ihren Harems gelesen, wo die schönsten, üppigsten Frauen der Welt ausschließlich für ihre Rechnung verwahrt werden, wie eine Bibliothek von Luxusausgaben? Sind nicht ihre mandelförmigen Augen schwärzer und sanfter als die der Gazelle, ihre Glieder geschmeidiger als Schlingpflanzen, ihre Zärtlichkeit berauschender als Haschisch! Gibt es nicht eine schwedische Zenanamission für diese Unglücklichen? Oder war Yussuf Khan schlechter daran als seine Kollegen? — Dem Leser, der diese elegant formulierten Fragen stellt, können wir nur antworten: Möge er sich selbst in Yussuf Khans Lage versetzen, als souveräner Gatte von einhundertfünfzig schönen Asiatinnen aller Völkerschaften! Was nützt ein Harem und seine arabeskengeschmückten Mauern gegen das Ideal? Das Ideal findet immer eine Ritze in den Arabesken, durch die es sich eindrängt; es ahmt die Stimme der Nachtigallen nach, um von Frauen zu singen, tausendmal verführerischer als die Haremskönigin, es flüstert im Palmenrauschen; sein Sirenengesang klingt aus dem Rieseln der Springbrunnen. Oder, um so prosaisch zu sprechen wie Seine allerchristlichste Majestät Franz I. von Frankreich, auch er Herr eines (höchst christlichen) Harems — „toujours perdrix“! Immer Rebhühner! — Leben Sie einmal einen Monat von Rebhühnern und Bordeaux, und Sie sehnen sich nach Käse und Brot und einem Schluck Wasser. Leben Sie ein paar Jahrevon Rebhühnern, und Sie werden Vegetarianer. Yussuf Khan, Maharadscha von Nasirabad war schon um die Mitte des Jahres 1909 definitiv zum Vegetarismus übergegangen, und zu Ende dieses Jahres war seine idealistische Krankheit in ein bösartiges, akutes Stadium getreten.

Er wollte eine europäische Prinzessin heiraten!

Hatte Sir Herbert Layson Grund, unruhig zu sein oder nicht?

Was die Sache noch verschlimmerte, war der Charakter des trefflichen Sir Herbert. Sein Schädel entbehrte gänzlich jener idealistischen Knollen, die ein Phrenologe an dem Yussuf Khans gefunden hätte; als Yussuf Khan seine Gesellschaft aufsuchte und ihn zögernd in die stumme Qual seines Geistes einzuweihen begann, begegnete ihm Sir Herbert mit einem trockenen Lächeln und mit Reflexionen über die europäischen Frauen, die Yussuf Khan vor Empörung aufflammen ließen, wie einen neuen Bayard. Erst als es zu spät war, erkannte Sir Herbert, wie die Dinge standen, und änderte seine Taktik; aber seine Versuche, den jungen Regenten für Polo- oder für Regierungsfragen zu interessieren, hatten keinerlei Erfolg mehr. Seine einzige Hoffnung war, daß der Frühling, der die Liebe im Menschen wieder entzündet, auch seine Wirkung auf Yussuf Khan nicht verfehlen würde. Der Frühling kam; doch anstatt bei Yussuf Khan die Liebe zu den hundertfünfzig Frauen wieder zu entflammen, ließ er seinen Idealismus auflodern wie die Scheiterhaufen an den Landstraßen oben im Gebirge. Und was mehr war: der Frühling brachte ihm einen Plan. Daes unwahrscheinlich war, daß die europäischen Prinzessinnen ihn in Nasirabad aufsuchen würden, blieb offenbar nichts anderes übrig, als daß er sie in Europa aufsuchte.

Nun begann Sir Herberts wirkliches Inferno. Endlose Ermahnungen und ironische Ausfälle erwiesen sich als gleich fruchtlos. Den ganzen Sommer streifte Yussuf Khan wie ein unversöhnter Schatten um seinen Palast herum, einen einzigen Wunsch auf den Lippen. Der Sommer Nasirabads, sonst kühl und angenehm gegen den Sommer im übrigen Indien, wurde für Sir Herbert so allmählich heißer als der Bikanirs. Die Quellen seiner Ironie vertrockneten vor Yussuf Khans asiatisch glühender Halsstarrigkeit. Er wurde nervös und reizbar, er verlor seine kühle Erhabenheit gegenüber den Phänomenen des Lebens und seine Arbeitsfreude. Endlich faßte er Ende Juli seinen Entschluß und schrieb an den Vizekönig in Simla: Konnte man es riskieren, einen vom Gifte des Idealismus fieberkranken Himalaya-Löwen auf Europa loszulassen? Waren die heiratsfähigen europäischen Prinzessinnen unfallversichert? Hatte nicht Pasteur irgendeine Behandlungsmethode für diese neue Form der Rabies?

Die Antwort des Vizekönigs, die mit bis dahin unbekannter Spannung in Nasirabad erwartet wurde, lautete kurz und bündig:Lassen Sie den jungen Idioten reisen, aber sorgen Sie für Bewachung.

Sir Herbert stieß einen Seufzer unsäglicher Erleichterung aus. In einer Woche waren die Arbeiten an Yussuf Khans Ausrüstung in vollem Gange — dieserZeitraum war nötig, um die Begriffe des jungen Regenten über die Pracht, die bei der Werbung um eine weiße Prinzessin entfaltet werden sollte, ein wenig zu modifizieren. Nachdem Elefanten, goldschabrackengeschmückte Stuten und eine Eskorte von zweihundert stummen Sklaven aus dem Programm gestrichen waren, blieb noch ein Punkt; in dem er sich unerschütterlich zeigte: Die Kronjuwelen Nasirabads vom ersten bis zum letzten mußten mitgenommen werden. Selbst mit dieser Pracht wußte er nur zu gut, wie unendlich gering seine Aussichten waren, die geträumte stolze Prinzessin zu erringen: ohne die Juwelen waren diese Aussichten winziger als die Eier der weißen Ameise. Sir Herbert zuckte die Achseln; tatsächlich konnte er in diesem Punkte nichts machen, denn die Juwelen waren Yussuf Khans Privateigentum. Er begnügte sich damit, sich die Juwelen zeigen zu lassen; es war ein sehenswerter Anblick. Er wußte vom Hörensagen, welche Schätze der alte Ibrahim Khan in seiner Juwelenkammer aufgestapelt hatte, aber bisher waren sie ebenso sorgsam vor seinen Augen verborgen gewesen, wie die hundertfünfzig Damen in Yussuf Khans Harem. Es war eine Pyramide von Diamanten, Perlen, Topasen, Smaragden, Rubinen und Gold, ein lichtsprühender Wasserfall von Farben. Halb geblendet von dem, was er gesehen, beeilte er sich, für eine möglichst solide Verpackung der Schätze Sorge zu tragen.

Wir werden Gelegenheit finden, später von ihnen zu sprechen.

Am 15. August ums Morgengrauen verließ Yussuf Khans Freierzug Nasirabad. Die Sonne ging eben hinter den Kämmen des Himalaya auf, und das Schloß Nasirabad mit seinen schlanken Türmen war wie in ein Netz von weißem Licht verstrickt. Die Kanonen der Bastion verkündeten dröhnend die Botschaft von der Abfahrt des Regenten, und das Volk wimmelte in den Straßen, um Yussuf Khan auf seinem Schimmel zum Stadttor hinausreiten zu sehen, durch das Sir George Merriman vor fünfundzwanzig Jahren eingezogen war. Sir Herbert gab dem Maharadscha bis zum ersten Pferdewechsel des Abends das Geleite. Dann kehrte er zu seinem Tagewerk zurück, froh in dem Bewußtsein, daß die Aufsicht über diesen beschwerlichen Schützling seinem alten barschen Freunde, Oberst Morrel, anvertraut war, seit zehn Jahren Militärkommandant von Nasirabad. Außer diesem befand sich keine andere Persönlichkeit von Rang im Gefolge als Yussuf Khans alter eingeborener Lehrer, der sechzigjährige Hofdichter Ali.

Der Abendhimmel zwischen den Talwänden, durch die Yussuf Khan mit seinem Gefolge verschwand, war ein feuerlilienflammender Gürtel über einer Region von blendendem Pfingstlilienweiß — gleichsam ein himmlischer Versuch zu einer Heraldik für seine Rechnung, als er nun seine Freierfahrt in das Land der weißen Prinzessinnen antrat. Mit einem Lächeln über die Aussichten von Yussuf Khans Werbeplänen wandte Sir Herbert seinen Traber wieder Nasirabad zu, froh, in Ruhe seine Arbeit wieder aufnehmen zu können, undseine ironische Betrachtung der Phänomene des Lebens aus den Fenstern der Residenz, die auf die Felsentäler Nasirabads blickten.


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