Chapter 19

1.Friedrich I, who died in 1713.2.Den Toten, i.e.den alten (Schriftstellern)3.Lüsterndem, ‘wanton,’ ‘lubricious.’4.Pickelscherz (Pickelhäringscherz), ‘clownish jokes.’5.The Italian poet Marino, known for his sensuality and affectation, was in high favor with the later Silesians.6.Brief, in allusion to the sensualHeldenbriefeof Hofmannswaldau.7.Philomuschen, ‘poetaster’ (lover of the Muses).8.Weisianer, partisans of the dull and trivial schoolmaster-poet, Christian Weise.9.Hübneristen, mechanical rimesters; Hübner was the author of a dictionary of rimes.10.Odermusen; ‘muses of the Oder’ and ‘tongues of the Sudeti’ are both names for the later Silesian poets.11.Kunst der Pleisse, Leipzig’s art.12.Wenn es brennte=wenn es drauf ankäme.13.Dedekindens; C. C. Dedekind was a facile but vacuous rimester.LXI. JOHANN CHRISTIAN GÜNTHERA gifted lyric poet whose life was short and full of trouble (1695-1723). In an age of poetic artificiality and pretense his verse is generally simple, sincere, and passionate. His work is mainly a record of suffering, the note of joy being relatively infrequent. He is a forerunner of those modern poets of whom one may say with Goethe’s Tasso:Mir gab ein Gott zu sagen, wie ich leide.The text follows Fulda’s edition in Kürschner’sNationalliteratur, Vol. 38.1Studentenlied.Brüder, lasst uns lustig sein,Weil der Frühling währetUnd der Jugend SonnenscheinUnser Laub verkläret;5Grab und Bahre warten nicht;Wer die Rosen jetzo bricht,Dem ist der Kranz bescheret.Unsers Lebens schnelle FluchtLeidet keinen Zügel,10Und des Schicksals EifersuchtMacht ihr stetig Flügel;Zeit und Jahre fliehn davon,Und vielleichte schnitzt man schonAn unsers Grabes Riegel.15Wo sind diese, sagt es mir,Die vor wenig JahrenEben also, gleich wie wir,Jung und fröhlich waren?Ihre Leiber deckt der Sand,20Sie sind in ein ander LandAus dieser Welt gefahren.Wer nach unsern Vätern forscht,Mag den Kirchhof fragen;Ihr Gebein, so längst vermorscht,25Wird ihm Antwort sagen.Kann uns doch der Himmel bald,Eh die Morgenglocke schallt,In unsre Gräber tragen.Unterdessen seid vergnügt,30Lasst den Himmel walten,Trinkt, bis euch das Bier besiegt,Nach Manier der Alten.Fort! Mir wässert schon das Maul,Und, ihr andern, seid nicht faul,35Die Mode zu erhalten.Dieses Gläschen bring’ ich dir,Dass die Liebste lebeUnd der Nachwelt bald von dirEinen Abriss gebe!40Setzt ihr andern gleichfalls an,Und wenn dieses ist gethan,So lebt der edle Rebe.2An Leonoren.Als er sich mit ihr wieder zu versöhnen suchte.Kluge Schönheit, nimm die BusseEines armen Sünders an,Welcher dir mit einem KusseGestern Abends weh gethan,5Und auf deinen RosenwangenEinen schönen Raub begangen.Ich gesteh’ es, mein VerbrechenIst der schärfsten Strafe wert,Und du magst ein Urteil sprechen,10Wie dein Wille nur begehrt;Dennoch würd’ ich zu den FüssenDeiner Gnade danken müssen.Aber weil ihr HimmelskinderEurem Vater ähnlich seid,15Welcher auch die gröbsten SünderSeines Eifers oft befreit,Ach, so werden meine ZährenDeinen Zorn in Liebe kehren.Gönne mir nur dieses Glücke,20Bald mit dir versöhnt zu sein,Bis nach manchem kalten BlickeDeiner Augen SonnenscheinMir und meiner Hoffnung lacheUnd mich endlich kühner mache.3Die verworfene Liebe.Ich habe genug!Lust, Flammen und KüsseSind giftig und süsseUnd machen nicht klug;5Komm, selige Freiheit, und dämpfe den Brand,Der meinem Gemüte die Weisheit entwandt.Was hab’ ich gethan!Jetzt seh’ ich die TriebeDer thörichten Liebe10Vernünftiger an;Ich breche die Fessel, ich löse mein HerzUnd hasse mit Vorsatz den zärtlichen Schmerz.Was quält mich vor Reu’?Was stört mir vor Kummer15Den nächtlichen Schlummer?Die Zeit ist vorbei.O köstliches Kleinod, o teurer Verlust!O hätt’ ich die Falschheit nur eher gewusst!Geh, Schönheit, und fleuch!20Die artigsten BlickeSind schmerzliche Stricke.Ich merke den Streich,Es lodern die Briefe, der Ring bricht entzweiUnd zeigt meiner Schönen: Nun leb’ ich recht frei.25Nun leb’ ich recht freiUnd schwöre von Herzen,Dass Küssen und ScherzenEin Narrenspiel sei;Denn wer sich verliebet, der ist wohl nicht klug;30Geh, falsche Sirene, ich habe genug!4An Leonoren.Als er sie einer beständigen Liebe versicherte.Treuer Sinn,Wirf den falschen Kummer hin.Lass den Zweifel der GedankenNicht mit meiner Liebe zanken,5Da ich längst dein Opfer bin.Glück und ZeitHasset die Beständigkeit;Doch das Feuer, so ich fühle,Hat die Ewigkeit zum Ziele10Und verblendet selbst den Neid.Meine GlutLeidet keinen Wankelmut;Eher soll die Sonn’ erfrieren,Als die Falschheit mich verführen,15Eher löscht mein eigen Blut.Grab und SteinAdeln selbst mein Redlichsein.Bricht mir gleich der Tod das Herze,So behält die Liebeskerze20In der Asche doch den Schein.5An Leonoren.Gedenk an mich und meine Liebe,Du mit Gewalt entrissnes Kind,Und glaube, dass die reinen TriebeDir jetzt und allzeit dienstbar sind,5Und dass ich ewig auf der ErdeSonst nichts als dich verehren werde.Gedenk an mich in allem LeidenUnd tröste dich mit meiner Treu!Die Luft mag jetzt empfindlich schneiden,10Die Wetter gehn doch all vorbei,Und nach dem ungeheuren KnallenWird auch ein fruchtbar Regen fallen.Gedenk an mich in deinem Glücke,Und wenn es dir nach Wunsche geht,15So setze nie den Freund zurücke,Der bloss um dich in Sorgen steht!Auch mir kann bei dem besten LebenNichts mehr als du Entzückung geben.Gedenk an mich in deinem Sterben;20Der Himmel halte dies noch auf;Doch sollen wir uns nicht erwerben,Und zürnt der Sterne böser Lauf,So soll mir auch das SterbekissenDie Hinfahrt durch dein Bild versüssen.25Gedenk an mich und meine Thränen,Die dir so oft das Herz gerührtUnd die dich durch mein kräftig SehnenZum ersten auf die Bahn geführt,Wo Kuss und Liebe treuer Herzen30Des Lebens Ungemach verschmerzen.Gedenk auch, endlich an die Stunde,Die mir das Herz vor Wehmut brach,Als ich, wie du, mit schwachem MundeDie letzten Abschiedsworte sprach;35Gedenk an mich und meine Plagen!Mehr will und kann ich jetzt nicht sagen.6An seine Leonore.Bist du denn noch Leonore,Der so manch verliebter Schwur(Sinne nach, bei welchem Thore!)Unter Kuss und Schmerz entfuhr,5Ach, so nimm die stummen LiederEben noch mit dieser Hand,Die mir ehmals Herz und GliederMit der stärksten Reizung band.Durch dein sehnliches Entbehren10Werd’ ich vor den Jahren grau,Und der Zufluss meiner ZährenMehrt schon lange Reif und Tau;Meine Schwachheit, mein VerbleichenUnd die Brust, so stündlich lechzt,15Wird des Kummers Siegeszeichen,Der aus unsrer Trennung wächst.Lust und Mut und Geist zum Dichten,Feuer, Jugend, Ruhm und FleissSuchen mit Gewalt zu flüchten20Und verlieren ihren Preis,Weil der Zunder deiner KüsseMeinen Trieb nicht mehr erwecktUnd die Führung harter SchlüsseEin betrübtes Ziel gesteckt.25Alle Bilder meiner SinnenSind mir Ekel und Verdruss,Da sie nichts als Gram gewinnen,Weil ich dich noch suchen muss.Nichts ergetzt mich mehr auf Erden30Als das Weinen in der Nacht,Wenn es unter viel BeschwerdenDein Gedächtnis munter macht.Jedes Blatt von deinen HändenIst ein Blatt voll Klag’ und Weh,35Und ich kann es niemals wenden,Dass kein Stich ans Herze geh’;Die Versichrung leerer ZeilenGiebt den Leibern wenig Kraft,Welche Luft und Ort zerteilen.40O bedrängte Leidenschaft!7Die seufzende Geduld.Morgen wird es besser werden,Also seufzt mein schwacher Geist,Den die Menge der BeschwerdenÜber allen Abgrund reisst.5Aber ach, wenn bricht der MorgenUnd das Licht der Hoffnung an,Da ich die so langen SorgenNach und nach vergessen kann?Sklaven auf den Ruderbänken10Wechseln doch mit Müh’ und Ruh’,Dies mein unaufhörlich KränkenLässt mir keinen Schlummer zu.Niemand klagt mein schweres Leiden,Dies vergrössert Last und Pein.15Himmel, lass mich doch verscheiden,Oder gieb mir Sonnenschein!Will ich mich doch gerne fassen,Wenn mich nur der Trost erquickt,Dass dein ewiges Verlassen20Mich nicht in die Grube schickt.LXII. BARTHOLD HEINRICH BROCKESA writer of rather mediocre gifts who is of some historical importance as the pioneer in a new poetry of nature (1680-1747). He was the first to blend reverent emotion with very minute observation and description. His thesis—as oft reiterated in his many-volumedEarthly Pleasure in God—is that weoughtto love nature because it is the wonderful and perfect work of an infinitely wise and good Creator. The selections follow Kürschner’sNationalliteratur, Vol. 39.1Anmutige Frühlingsvorwürfe.Ich höre die Vögel, ich sehe die Wälder,Ich fühle das Spielen der kühlenden Luft,Ich rieche der Blüte balsamischen Duft,Ich schmecke die Früchte. Die fruchtbaren Felder,5Die glänzenden Wiesen, das funkelnde NassDer tauichten Tropfen, das wallende GrasVoll lieblicher Blumen, das sanfte GezischeDer mancherlei lieblich beblätterten Büsche,Das murmelnde Rauschen der rieselnden Flut,10Der zitternde Schimmer der silbernen FlächeDurch grünende Felder sich schlängender Bäche,Der flammenden Sonne belebende Glut,Die alles verherrlichet, wärmet und schmücket,Dies alles ergetzet, erquicket, entzücket15Ein Auge, das Gott in Geschöpfen ersieht,Ein Ohr, das den Schöpfer verstehet und höret,Ein Herze, das Gott in den Wundern verehret,Kein viehisch, nur einzig ein menschlich Gemüt.2Die Nachtigall und derselben Wettstreit gegen einander.Im Frühling rührte mir das Innerste der SeelenDer Büsche Königin, die holde Nachtigall,Die aus so enger Brust und mit so kleiner KehlenDie grössten Wälder füllt durch ihren Wunderschall.5Derselben Fertigkeit, die Kunst, der Fleiss, die Stärke,Verändrung, Stimm’ und Ton sind lauter WunderwerkeDer wirkenden Natur, die solchen starken KlangIn ein paar Federchen, die kaum zu sehen, senketUnd einen das Gehör bezaubernden Gesang10In solche dünne Haut und zarten Schnabel schränket.Ihr Hälschen ist am Ton so unerschöpflich reich,Dass sie tief, hoch, gelind und stark auf einmal singet.Die kleine Gurgel lockt und zischt und pfeift zugleich,Dass sie wie Quellen rauscht, wie tausend Glocken klinget.15Sie zwitschert, stimmt und schlägt mit solcher Anmut an,Mit solchem nach der Kunst gekräuselten Geschwirre,Dass man darob erstaunt und nicht begreifen kann,Ob sie nicht seufzend lach’, ob sie nicht lachend girre.Ihr Stimmchen ziehet sich in einer hohlen Länge20Von unten in die Höh’, fällt, steigt aufs neu empor,Und schwebt nach Mass und Zeit; bald drängt sich eine MengeVerschiedner Tön’ aus ihr als wie ein Strom hervor.Sie dreht und dehnt den Ton, zerreisst und fügt ihn wieder,Singt sanft, singt ungestüm, bald klar, bald grob, bald hell.25Kein Pfeil verfliegt so rasch, kein Blitz verstreicht so schnell,Die Winde können nicht so streng im Stürmen wehen,Als ihre schmeichelnde verwunderliche LiederMit wirbelndem Geräusch sich ändern, sich verdrehen.Ein flötend Glucken quillt aus ihrer hohlen Brust,30Ein murmelnd Pfeifen labt der stillen Hörer Herzen;Doch dies verdoppelt noch und mehrt die frohe Lust,Wenn etwan ihrer zwo zugleich zusammen scherzen.Die singt, wenn jene ruft; wann diese lockt, singt jeneMit solch anmutigem bezaubernden Getöne,35Dass diese wiederum aus Missgunst, als ergrimmt,In einen andern Ton die schlanke Zunge stimmt.Die andre horcht indes und lauscht voll Unvergnügen,Ja fängt zu ihres Feinds und Gegensängers Hohn,Um durch noch künstlichern Gesang ihn zu besiegen,40Von neuem wieder an in solchem scharfen Ton,Mit solchem feurigen, empfindlich hellen Klang,Mit solch gewaltigem oft wiederholtem Schlagen,Dass so durchdringenden und heftigen GesangDas menschliche Gehör kaum mächtig zu ertragen.45Wer nun so süssen Ton im frohen Frühling hörtUnd nicht des Schöpfers Macht voll Brunst und Andacht ehrt,Der Luft Beschaffenheit, das Wunder unsrer OhrenBewundernd nicht bedenkt, ist nur umsonst geborenUnd folglich nicht der Luft, nicht seiner Ohren wert.3Frühlingsbetrachtungen.Mich erquicken,Mich entzückenIn der holden FrühlingszeitAlle Dinge, die ich sehe,5Da ja, wo ich geh’ und stehe,Alles voller Lieblichkeit.Durch der grünen Erde Pracht,Durch die Blumen, durch die BlüteWird durchs Auge mein Gemüte10Recht bezaubernd angelacht.Die gelinden lauen LüfteVoller balsamreicher DüfteTreibt des holden Zephyrs SpielZum Geruch und zum Gefühl.15Auf den glatten Wellen wallenWie auf glänzenden KrystallenIm beständig regen LichtTausend Strahlen, tausend Blitze,Und ergetzen das Gesicht,20Sonderlich wenn selbe zwischenNoch nicht dick bewachs’nen BüschenUnd durch junge Weiden glimmen.Kleine Lichter, welche schwimmenAuf dem Laub und auf der Flut25Bald in weiss-, bald blauer Glut,Treffen mit gefärbtem ScherzDurch die Augen unser Herz.Seht die leichten Vögel fliegen,Höret, wie sie sich vergnügen,30Seht, wie die beblümten HeckenIhr geflochtnes Nest verstecken!Schlüpfet dort nach seinem NesteEin verliebt und emsigs Paar,Hüfpet hier durch Laub und Äste35Eine bunt gefärbte Schar.Seht, wie sie die Köpfchen drehnUnd des Frühlings Pracht besehn,Hört, wie gurgeln sie so schön!Höret, wie sie musicieren!40Lass dich doch ihr Beispiel rühren,Liebster Mensch, lass dem zu Ehren,Der die Welt so schön geschmücktUnd durch sie dich fast entzückt,Auch ein frohes Danklied hören!LXIII. JOHANN CHRISTOPH GOTTSCHEDA Leipzig scholar (1700-1766) who, as professor in the university, author of text-books, editor of journals, and reformer of the local stage, won a great though transitory prestige. He was a stedfast champion of clarity, regularity, and good taste, laid great stress on probability and reasonableness, and held that a strict observance of the three unities was essential in tragedy. His advocacy of French forms and taste led to a sharp controversy with the Swiss school of Bodmer, who looked rather to English models. Gottsched’sCatomet with great success on the stage, but now seems cold and mechanical. His critical views can best be studied in theCritische Dichtkunst, from which a selection is given according to the second edition, of 1737.From the ‘Critical Poetics,’ Part II, Chapter 10.§ 11. Wie eine gute tragische Fabel gemacht werden müsse, das ist schon im vierten Hauptstücke des ersten Theils einiger maassen gewiesen worden. Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist: Und von diesen entlehnet er die Namen, für die Personen seiner Fabel, um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen, und das werden die Zwischenfabeln, oder Episodia genannt. Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ungefehr gleich gross sind, und ordnet sie so, dass natürlicher Weise das letztere aus dem vorhergehenden fliesset: Bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so und nicht anders geheissen haben. Zum Exempel kann die oberwähnte Tragödie des Sophokles, oder auch mein Cato dienen. Der Poet wollte dort zeigen, dass Gott auch die Laster, so unwissend begangen werden, nicht ungestraft lasse. Hierzu ersinnt er nun eine allgemeine Fabel, die etwa so lautet:§ 12. Es war einmal ein Prinz, wird es heissen, der sehr viel gute Eigenschaften an sich hatte, aber dabey verwegen, argwöhnisch und neugierig war. Dieser hatte einmal, vor dem Antritte seiner Regierung, auf freyem Felde einen Mord begangen; ohne zu wissen, dass er seinen eigenen Vater erschlagen hatte. Durch seinen Verstand bringeter sich in einem fremden Lande in solches Ansehen, dass er zum Könige gemacht wird, und die verwittibte Königinn heurathet, ohne zu wissen, dass selbige seine eigene Mutter ist. Aber dieses alles geht ihm nicht für genossen aus. Seine Laster kommen ans Licht, und es treffen ihn alle die Flüche, die er selbst auf den Mörder seines Vorfahren im Regimente ausgestossen hatte. Er wird des Reiches entzetzet, und ins Elend getrieben, nachdem er sich selbst aus Verzweifelung der Augen beraubet hatte. Zu dieser allgemeinen Fabel nun findet Sophokles in den alten thebanischen Geschichten den Oedipus geschickt. Er ist ein solcher Prinz, als die Fabel erfordert: Er hat unwissend einen Vatermord und eine Blutschande begangen. Er ist dadurch auf eine Zeitlang glücklich geworden: Allein die Strafe bleibt nicht aus; sondern er muss endlich alle die Wirkungen seiner unerhörten Laster empfinden.§ 13. Diese Fabel ist nun geschickt, Schrecken und Mitleiden zu erwecken, und also die Gemüthsbewegungen der Zuschauer auf eine der Tugend gemässe Weise zu erregen. Man sieht auch, dass der Chor in dieser Tragödie dadurch bewogen wird, recht erbauliche Betrachtungen, über die Unbeständigkeit des Glückes der Grossen dieser Welt, und über die Schandbarkeit seiner Laster anzustellen, und zuletzt in dem Beschlusse die Thebaner so anzureden: Ihr Einwohner von Theben, sehet hier den Oedipus, der durch seine Weisheit Räthsel erklären konnte, und an Tapferkeit alles übertraf; ja der seine Hohheit sonst keinem, als seinem Verstande und Heldenmuthe zu danken hatte: Seht, in was für schreckliche Trübsalen er gerathen ist; und wenn ihr dieses unselige Ende desselben erweget, so lernt doch niemanden für glücklich halten, bis ihr ihn seine letzte Stunde glücklich habt erreichen gesehen.§ 14. Eine solche Fabel nun zu erdichten, sie recht wahrscheinlich einzurichten, und wohl auszuführen, das ist das allerschwerste in einer Tragödie. Es hat viele Poeten gegeben, die in allem andern Zubehör des Trauerspiels, in den Charactern, in dem Ausdrucke, in den Affecten u.s.w. glücklich gewesen: Aber in der Fabel ist es sehr wenigen gelungen. Das macht, dass dieselbe eine dreyfache Einheit haben muss, wenn ich so reden darf: Die Einheit der Handlung, der Zeit, und des Ortes. Von allen dreyen müssen wir insonderheit handeln.§ 15. Die ganze Fabel hat nur eine Hauptabsicht, nemlich einen moralischen Satz: Also muss sie auch nur eine Haupthandlung haben, um derentwegen alles übrige vorgehet. Die Nebenhandlungen aber, die zur Ausführung der Haupthandlung gehören, können gar wohl andre moralische Wahrheiten in sich schliessen: Wie zum Exempel in Oedipus die Erfüllung der Orakel,daruberIocasta vorher gespottet hatte, die Lehre giebt: Dass die göttliche Allwissenheit nicht fehlen könne. Alle Stücke sind also tadelhaft und verwerflich, die aus zwoen Handlungen bestehen, davon keine die vornehmste ist. Ich habe dergleichen im Jahr 1717 am Reformationsfeste in einer Schulcomödie vorstellen gesehen, wo der Inhalt der Aeneis Virgilii, und die Reformation Lutheri zugleich vorgestellet wurde. In einem Auftritte war ein Trojaner, in dem andern der Ablasskrämer Tetzel zu sehen. Bald handelte Aeneas von der Stiftung des römischen Reichs, bald kam Lutherus und reinigte die Kirche. Bald war Dido, bald die babylonische Hure zu sehen u.s.w. Und diese beyde so verschiedene Handlungen hiengen nicht anders zusammen, als durch eine lustige Person, die zwischen solchen Vorstellungen auftrat, und z.E. den auf der See bestürmten Aeneas mit dem in Gefahr schwebenden Kirchenschifflein verglich. Das ist nun ein sehr handgreiflicher Fehler, wo zwey so verschiedene Dinge zugleich gespielet werden. Allein die andern, so etwas unmerklicher sind, verdienen deswegen keine Entschuldigung.§ 16. Die Einheit der Zeit ist das andre, so in der Tragödie unentbehrlich ist. Die Fabel eines Heldengedichtes kann viele Monate dauren, wie oben gewiesen worden; das macht, sie wird nur gelesen: Aber die Fabel eines Schauspieles, die mit lebendigen Personen in etlichen Stunden lebendig vorgestellet wird, kann nur einen Umlauf der Sonnen, wie Aristoteles spricht, das ist einen Tag, dauren. Denn was hat es für eine Wahrscheinlichkeit, wenn man in dem ersten Auftritte den Helden in der Wiege, weiter hin als einen Knaben, hernach als einen Jüngling, Mann, Greis, und zuletzt gar im Sarge vorstellen wollte: Wie Cervantes solche thörichte Schauspiele an seinen spanischen Poeten im Don Quixote ausgelachet hat. Oder wie ist es wahrscheinlich, dass man es auf der Schaubühne etlichemal Abend werden sieht, und doch selbst, ohne zu essen oder zu trinken, oder zu schlafen, immer auf einer Stelle sitzen bleibt? Die bestenFabeln sind also diejenigen, die nicht mehr Zeit nöthig gehabt hätten, wirklich zu geschehen, als sie zur Vorstellung brauchen; das ist etwa drey oder vier Stunden: Und so sind die Fabeln der meisten griechischen Tragödien beschaffen. Kömmt es hoch, so bedörfen sie sechs, acht, oder zum höchsten zehn Stunden zu ihrem ganzen Verlaufe: Und höher muss es ein Poet nicht treiben; wenn er nicht wieder die Wahrscheinlichkeit handeln will.§ 17. Es müssen aber diese Stunden bey Tage, und nicht bey Nacht seyn, weil diese zum Schlafen bestimmet ist: Es wäre denn dass die Handlung entweder in der Nacht vorgegangen wäre, oder erst nach Mittag anfienge, und sich bis in die späte Nacht verzöge; oder umgekehrt frühmorgens angienge, und bis zu Mittage daurete. Der berühmte Cid des Corneille läuft in diesem Stücke wieder die Regeln, denn er dauret eine ganze Nacht durch, nebst dem vorigen und folgenden Tage, and braucht wenigstens volle vier und zwanzig Stunden: Welches schon viel zu viel ist, und unerträglich seyn würde, wenn das Stück nicht sonst viel andre Schönheiten in sich hätte, die den Zuschauern fast nicht Zeit liessen, daran zu gedenken. Das ist nun eben die Kunst, die Fabel so ins kurze zu bringen, dass keine lange Zeit dazu gehöret; und eben deswegen sind auch bey uns Deutschen die Tragödien vom Wallenstein, von der Banise, ingleichen von der böhmischen Libussa ganz falsch und unrichtig: Weil sie zum Theil etliche Monate, zum Theil aber viele Jahre zu ihrer Dauer erfordern. Meine obrige Schultragödie hub sich von dem Urtheile des Paris über die drey Göttinnen an, und daurete bis auf des Aeneas Ankunft in Italien. Das war nun eine Zeit, davon die zwey Heldengedichte, Ilias und Aeneis, nicht den zwanzigsten Theil einnehmen, und ich zweifle, ob man die Ungereimtheit höher hätte treiben können.§ 18. Zum dritten gehört zur Tragödie die Einigkeit des Ortes. Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sitzen: Folglich müssen auch die spielenden Personen alle auf einem Platze bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern. So ist im Oedipus, z.E. der Schauplatz auf dem Vorhofe des königlichen thebanischen Schlosses, darinn Oedipus wohnt. Alles, was in der ganzen Tragödie vorgeht, das geschieht vor diesem Pallaste: Nichts was man wirklich sieht, trägt sich in den Zimmern zu, sondern draussen auf dem Schlossplatze, vorden Augen alles Volks. Heute zu Tage, da unsre Fürsten alles in ihren Zimmern verrichten, fällt es also schwerer, solche Fabeln wahrscheinlich zu machen. Daher nehmen denn die Poeten gemeiniglich alte Historien dazu, oder sie stellen uns auch einen grossen Audienzsaal vor, darinn vielerley Personen auftreten können. Ja sie helfen sich auch zuweilen mit dem Vorhange, den sie fallen lassen und aufziehen, wenn sie zwey Zimmer zu der Fabel nöthig haben. Man kann also leicht denken, wie ungereimt es ist, wenn, nach dem Berichte des Cervantes, die spanischen Trauerspiele den Helden in dem ersten Aufzuge in Europa, in dem andern in Africa, in dem dritten in Asien, und endlich gar in America vorstellen: Oder, wenn meine obgedachte Schulcomödie uns bald in Asien die Stadt Troja, bald die ungestüme See, darauf Aeneas schiffet, bald Carthago, bald Italien vorstellete, und uns also durch alle drey Theile der damals bekannten Welt, führete, ohne dass wir uns von der Stelle rühren dorften. Es ist also in einer regelmässigen Tragödie nicht erlaubt, den Schauplatz zu ändern. Wo man ist, da muss man bleiben; und daher auch nicht in dem ersten Aufzuge im Walde, in dem andern in der Stadt, in dem dritten im Kriege und in dem vierten in einem Garten, oder gar auf der See seyn; Das sind lauter Fehler wieder die Wahrscheinlichkeit: Eine Fabel aber, die nicht wahrscheinlich ist, taugt nichts, weil dieses ihre vornehmste Eigenschaft ist.LXIV. JOHANN JAKOB BODMERA Swiss scholar (1698-1783) who is important as the first notable champion of English literature, and also as the pioneer editor of medieval poetry. In 1721 he began, with a group of Zürich friends, the publication ofDiscourse der Mahlern, a literary magazine for which the EnglishSpectatorserved as a model. A defense of Milton, published in 1740, brought on the controversy with Gottsched. In the course of his long life Bodmer wrote vast quantities of didactic verse, also epics and tragedies, which are now forgotten, his theory of poetry having been better than his practice. His fragmentary and uncritical editions of Wolfram’sParzival, theNibelung Lay, and the Minnesingers (1753-59) are the earliest attempts to arouse interest in the forgotten poetry of the despised Middle Ages. The selection is from theDiscourse der Mahlern, following Bächtold and Vetter’s reprint inBibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, Zürich, 1887.Infinitive forms with attached “zu”—zuunterscheiden, zufixieren, zumachen, zuloben—are standard in this author.From ‘Discourses of the Painters,’ Part I, No. 19; Importance of the Imagination.Eine Imagination, die sich wol cultiviert hat, ist eines von den Haupt-Stücken, durch welche sich der gute Poet von dem gemeinen Sänger unterscheidet, massen die reiche und abändernde Dichtung, die ihr Leben und Wesen eintzig von der Imagination hat, die Poesie von der Prosa hauptsächlich unterscheidet. Dass Opitz den Rang vor Menantes1pretendieren kan, geben ihm das Recht diese schönen und abwechselnde Bildnissen, die er gemachet hat, und in welchen er die Natur mit denen Farben und in der Gestalt gemahlet hat, die ihr eigen sind. Ich bediene mich mit Fleisse dieser Metaphora, die ich von den Mahlern entlehne, denn die erste und eintzige Regel, welche ein jedweder Schreiber und Redner, es seye in gebundener oder ungebundener Rede, nachzufolgen hat, und welche ihm mit den Mahlern gemein ist, die ist diese, dass er das Natürliche nachspüre und copiere; alle diese andere Regeln, dass er anmuthig, delicat, hoch schreibe, sind in dieser eingeschlossen und fliessen daraus ab. Wenn er von einer jeden Sache dasjenige saget, was ein curieuser Sinn davon wahrnimmt, wenn er nichts davon verfliegen lässt, das sie dienet von andern Sachen zuunterscheiden, und wenn er mit solchen angemessenen Worten davon redet, welche mir eben dieselben Ideen davon erwecken, so sage ich dass er natürlich schreibe; wenn er denn von einer anmuthigen Sache natürlich schreibet, so kan ich sagen, dass sein Stylus anmuthig ist; schreibet er von einer Delicatesse natürlich, so wird der Stylus delicat, und er wird hoch, wenn er von einer Sache natürlich redet, welche die Menschen bewundern und gross nennen. Weil nun Opitz natürlicher, und welches nichts anders saget, annehmlicher, delicater und höcher ist, als Menantes, so heisst er mir auch ein besserer Poet als Menantes. Dass aber Opitz natürlicher dichtet als der andere, ist dieses die Ursache, weil er die Imagination mehr poliert und bereichert hat als dieser; Opitz hat, nemlich, nicht allein mehr Sachen durch die eigene Erfahrung und die Lesung in seine Imagination zusammengetragen, sondern er hat noch an denjenigen Sachen, die ihm aufgestossen, und die Hunolden vielleicht auch in die Sinnen gefallen, mehrere Seiten und Differenzien wahrgenommen, er hat sie von einer Situation angeschauet, von welcher sie ihm besserin die Imagination gefallen sind, und er hat sich länger darüber aufgehalten, indem er sie mit einer sorgfältigern Curiosität betrachtet und durchgesuchet hat. Also hat er erstlich eine nähere und vollkommnere Kenntniss der Objecten erworben, und hernach hat er eben darum auch gewissere und vollkommnere Beschreibungen machen können, in welchen die wahre Proportion und Eigenschafften der Sachen bemercket, und derselben Seiten ohne Ermangeln abgezehlet worden.Ihr erkennet aus diesem die Nothwendigkeit, und was es contribuiert natürlich schreiben zu lernen, dass ein Schüler der Natur sich wisse über den aufstossenden Objecten zufixieren, und sie in einer solchen Postur anzuschauen, in welcher ihm kein Theil und keine Seiten derselben kan verborgen bleiben; er muss so nahe zu derselben tretten, und die Augen so wol offen behalten, dass ihm weder die allzuweite Entfernung sie kleiner machet, noch die Nähe mit einem Nebel überziehet. Wenn ich jetz ferner untersuche, warum Opitz die Imagination freyer und ungebundener bewahret, und die Distractionen ausgewichen habe, welche Hunolden die Menge der Objecten und andere Umstände erwecket haben, so finde ich keine andere Ursache, als weil Opitz von diesen belebten Seelen gewesen, welche weit zärtlichern und hitzigern Affecten unterworffen sind, und viel geschwinder Feuer, oder dass ich ohne Metaphora rede, Liebe für ein Objectum fangen, als andere unachtsame und dumme Leute; denn es ist im übrigen gewiss, dass wir uns um eine Sache, für die wir passioniert sind, weit mehr interessieren, und weit mehr Curiositet und Fleiss haben, sie anzuschauen, folglich auch die Imagination damit mehr anfüllen, als wir bey einem Objecte thun, für das wir indifferent sind. Ein Amant wird von der Schönheit seiner Buhlschäfft eine ähnlichere und natürlichere Beschreibung machen, als ein jedweder andrer, dem sie nicht so starck an das Hertze gewachsen ist. Ihr werdet einen Affect allezeit natürlicher ausdrücken, den ihr in dem Hertzen fühlet, als den ihr nur simulieret. Die Leidenschafft wird euch im ersten Fall alle Figuren der Rhetoric auf die Zunge legen, ohne dass ihr sie studieret. Zertheilet und erleset die Harangue einer Frauen, die ihre Magd von Hertzen ausschiltet, ihr werdet es also finden. Wenn auf diese Weise die Imagination von der Passion begleitet wird, alsdann ist sie im Stande sich ohne Distraction überein Objecte aufzuhalten, und sich die Natur, Gestalt und Grösse desselben bekandt zumachen; und dieses ist die Manier, die sie brauchet, sich auszuschmücken und zu bereichern.Erst ein solcher Schreiber der, wie unser Opitz, die Imagination mit Bildern der Sachen bereichert und angefüllet hat, kan lebhaft und natürlich dichten. Er kan die Objecte, die er einmal gesehen hat, so offt er will, wieder aus der Imagination holen, sie wird ihn gleichsam auf die Stelle zurück führen, wo er dieselben antreffen kan. Er seye in sein Cabinet eingeschlossen, und werde von keinen andern Gegenständen umgeben, als von einem Hauffen Bücher, so wird sie ihm eine hitzige Schlacht, eine Belägerung, einen Sturm, einen Schiffbruch, etc. in derselben Ordnung wieder vormahlen, in welcher sie ihm vormahls vor dem Gesicht gestanden sind. Dieselbe wird alle die Affecte, die ihn schon besessen haben, in ihm wieder rege machen, und ihn davon erhitzen, nicht anderst als wenn er sie wirklich in der Brust fühlte. Es seye, dass er in dem Schatten einer ausgespannten Eiche sitzet, von allen Neigungen der Liebe, des Mitleidens, der Traurigkeit, des Zorns, frey und unbeweget, so bringet ihm doch die Stärke seiner Imagination alle die Ideen wieder zurück, die er gehabt hat, als er wircklich verliebt, mitleidend, betrübt, erzörnt gewesen, sie setzet ihn in einen eben so hitzigen Stande, als er damahlen gestanden ware, und ruffet ihm dieselbe Expressionen wieder zurück, welcher er sich zur selben Zeit bedienet. Will er eine Dame glauben machen, dass sie schön seye, und dass er sie liebe; will er einen Todten beweinen, der ihn vielleichte nichts angehet; will er einen erdichteten Zorn ausstossen, so weiss er die Stellungen und die Worte derer Leuten, die in der That mit diesen Passionen angefüllet sind, lebendig nachzumachen.Diese vornehme Poeten, die ich niemals müde werde zuloben, lassen das Hertze reden, man kan sagen, dass Amor ihnen ihre Verse in die Feder geflösset hat, wenn sie von der Liebe, und Mars wenn sie von dem Kriege singen. Sie zwingen uns die Affecte anzunehmen, welche sie wollen, wir lachen, wir werden stoltz, wir förchten uns, wir erschrecken, wir betrüben uns, wir weinen, wenn es ihnen gefällt; aber auch die traurigen Affecte, die sie in uns rege machen, werden von einem gewissen Ergetzen begleitet, das damit vermenget ist.Ich belache diese fantastische Schüler der Reim-Kunst, welche sich eine Chimerische Maitresse bey einem frostigen Hertzen, und einer noch kälteren Imagination machen, welche von Brand und Feuer mit den kältesten Expressionen reden, in der Metaphora sterben, sich hencken, sich zu tode stürtzen, derer passioniertste Complimente, die sie ihrer Liebsten machen, Spiele der Wörtern, und der truckenen Imagination sind, Phebus, Galimathias, etc.Es bleibet mir übrig, euch mit wenigen Worten zuerklären, was es eigentlich seye, das die Poeten figürlich ihren Enthusiasmum, ihre Inspiration, oder auch ihre Poetische Raserey nennen. Diese Worte bedeuten nichts anders, als die hefftige Passion, mit welcher ein Poet für die Materie seines Gedichtes eingenommen ist, oder die gute Imagination, durch welche er sich selbst ermuntern, und sich eine Sache wieder vorstellen, oder einen Affect annehmen kan, welchen er will. Wenn er also erhitzet ist, so wachsen ihm, so zusagen, die Worte auf der Zungen, er beschreibet nichts als was er siehet, er redet nichts als was er empfindet, er wird von der Passion fortgetrieben, nicht anderst als ein Rasender, der ausser sich selbst ist, und folgen muss, wohin ihn seine Raserey führet.1.Menantes, pseudonym of Christian Friedrich Hunold (1680-1721).LXV. ALBRECHT HALLERA Swiss writer (1708-1777) who in his youth won fame as a poet, afterwards much greater fame as a man of science. In 1732, after he had taken his degree in medicine at Leyden, and had visited England and France, he published a small collection of poems entitledVersuch Schweizerischer Gedichten. They are characterized by moral fervor, trenchant thought, and sententious pregnancy of expression—a new combination up to that time. Haller is at his best inThe Alps, which, notwithstanding its abundant description, is not so much a landscape poem as a philosophic eulogy of the simple life. The text below followsBibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, III. 20.From ‘The Alps’: Stanzas 1-14.Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser,Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab;Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewässer,Theilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab;5Umhängt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten,Speist Tunkins Nest1aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd,Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten,Räumt Klippen aus der Bahn, schliesst Länder ein zur Jagd;Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben10Ihr werdet arm im Glück, im Reichthum elend bleiben!Wann Gold und Ehre sich zu Clios Dienst verbinden,Keimt doch kein Funken Freud in dem verstörten Sinn.Der Dinge Werth ist das, was wir davon empfinden;Vor seiner theuren Last flieht er zum Tode hin.15Was hat ein Fürst bevor, das einem Schäfer fehlet?Der Zepter eckelt ihm, wie dem sein Hirten-Stab.Weh ihm, wann ihn der Geiz, wann ihn die Ehrsucht quälet,Die Schaar, die um ihn wacht, hält den Verdruss nicht ab.Wann aber seinen Sinn gesetzte Stille wieget,20Entschläft der minder sanft, der nicht auf Eidern lieget?Beglückte güldne Zeit, Geschenk der ersten Güte,O, dass der Himmel dich so zeitig weggerückt!Nicht, weil die junge Welt in stätem Frühling blühte,Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepflückt;25Nicht, weil freiwillig Korn die falben Felder deckteUnd Honig mit der Milch in dicken Strömen lief;Nicht, weil kein kühner Löw die schwachen Hürden schreckte,Und ein verirrtes Lamm bei Wolfen sicher schlief;Nein, weil der Mensch zum Glück den Überfluss nicht zählte,30Ihm Nothdurft Reichtum war und Gold zum Sorgen fehlte!Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten!Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht;Wer misst den äussern Glanz scheinbarer2Eitelkeiten,Wann Tugend Müh zur Lust und Armuth glücklich macht?35Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen,Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl;Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen,Und ein verewigt Eis umringt das kühle Thal;Doch eurer Sitten Werth hat alles das verbessert,40Der Elemente Neid hat euer Glück vergrössert.Wohl dir, vergnügtes Volk! o danke dem Geschicke,Das dir der Laster Quell, den Überfluss, versagt;Dem, den sein Stand vergnügt, dient Armuth selbst zum Glücke,Da Pracht und Üppigkeit der Länder Stütze nagt.45Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zählte,War Brei der Helden Speis und Holz der Götter Haus;Als aber ihm das Maass von seinem Reichthum fehlte,Trat bald der schwächste Feind den feigen Stolz in Graus.Du aber hüte dich, was grössers zu begehren;50So lang die Einfalt daurt, wird auch der Wohlstand währen.Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt3;Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zäunen,Weil sich die Menschen selbst die grössten Plagen sind.55Dein Trank ist reine Flut und Milch die reichsten Speisen,Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Würze zu;Der Berge tiefer Schacht giebt dir nur schwirrend4Eisen,Wie sehr wünscht Peru nicht, so arm zu sein als du.Dann, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder,60Die Felsen selbst beblümt und Boreas gelinder.Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern!Der Reichthum hat kein Gut, das eurer Armuth gleicht;Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemüthern,Weil kein beglänzter Wahn euch Zweitrachtsäpfel reicht;65Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht hasst;Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,Die, was ihr nöthig, sucht und mehrers hält für Last.Was Epictet gethan und Seneca geschrieben,70Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen lieben.Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,Der Tugend unterthan und Laster edel macht;Kein müssiger Verdruss verlängert hier die Stunden,Die Arbeit füllt den Tag und Ruh besetzt die Nacht;75Hier lässt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,Des morgens Sonne frisst des heutes Freude nie.Die Freiheit theilt dem Volk, aus milden Mutter-Händen,Mit immer gleichem Maass Vergnügen, Ruh und Müh;Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke,80Man isst, man schläft, man liebt und danket dem GeschickeZwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schätze,Man misst die Strassen nicht zu Rom und zu Athen,Man bindet die Vernunft an keine Schulgesetze,Und niemand lehrt die Sonn in ihren Kreisen gehn.85O Witz! des Weisen Tand, wann hast du ihn vergnüget?Er kennt den Bau der Welt und stirbt sich unbekannt;Die Wollust wird bei ihm vergällt und nicht besieget,Sein künstlicher Geschmack beeckelt seinen Stand;Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben,90Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben.Hier macht kein wechselnd Glück die Zeiten unterschieden,Die Thränen folgen nicht auf kurze Freudigkeit;Das Leben rinnt dahin, in ungestörtem Frieden,Heut ist wie gestern war und morgen wird wie heut.95Kein ungewohnter Fall bezeichnet hier die Tage,Kein Unstern malt sie schwarz, kein schwülstig Glücke roth.Der Jahre Lust und Müh ruhn stets auf gleicher Waage,Des Lebens Staffeln sind nichts als Geburt und Tod.Nur hat die Fröhlichkeit bisweilen wenig Stunden100Dem unverdrossnen Volk nicht ohne Müh entwunden.Wann durch die schwüle Luft gedämpfte Winde streichen,Und ein begeistert Blut in jungen Adern glüht,So sammlet sich ein Dorf im Schatten breiter Eichen,Wo Kunst und Anmuth sich um Lieb und Lob bemüht.105Hier ringt ein kühnes Paar, vermählt den Ernst dem SpieleUmwindet Leib um Leib und schlinget Huft um Huft.Dort fliegt ein schwerer Stein nach dem gesteckten Ziele,Von starker Hand beseelt, durch die zertrennte Luft.Den aber führt die Lust, was edlers zu beginnen,110Zu einer muntern Schaar von jungen Schäferinnen.Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weisse,Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen Jetzt durchbohrt;Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten GleisseNach dem erwählten Zweck mit langen Sätzen fort.115Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen HändenIn dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schallmei,Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Tacte wenden,So legt die Fröhlichkeit doch ihnen Flügel bei.Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,120Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.Denn hier, wo die Natur allein Gesetze giebet,Umschliesst kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.Was liebenswürdig ist, wird ohne Scheu geliebet,Verdienst macht alles werth und Liebe macht es gleich.125Die Anmuth wird hier auch in Armen schön gefunden,Man wiegt die Gunst hier nicht für schwere Kisten hin,Die Ehrsucht theilet nie, was Werth und Huld verbunden,Die Staatssucht macht sich nicht zur Unglücks-Kupplerin:Die Liebe brennt hier frei und scheut kein Donnerwetter,130Man liebet für sich selbst und nicht für seine Väter.So bald ein junger Hirt die sanfte Glut empfunden,Die leicht ein schmachtend Aug in muntern Geistern schürt,So wird des Schäfers Mund von keiner Furcht gebunden,Ein ungeheuchelt Wort bekennet, was ihn rührt;135Sie hört ihn und, verdient sein Brand ihr Herz zum Lohne,So sagt sie, was sie fühlt, und thut, wornach sie strebt;Dann zarte Regung dient den Schönen nicht zum Hohne,Die aus der Anmuth fliesst und durch die Tugend lebt.Verzüge falscher Zucht, der wahren Keuschheit Affen,140Der Hochmuth hat euch nur zu unsser Qual geschaffen!

1.Friedrich I, who died in 1713.2.Den Toten, i.e.den alten (Schriftstellern)3.Lüsterndem, ‘wanton,’ ‘lubricious.’4.Pickelscherz (Pickelhäringscherz), ‘clownish jokes.’5.The Italian poet Marino, known for his sensuality and affectation, was in high favor with the later Silesians.6.Brief, in allusion to the sensualHeldenbriefeof Hofmannswaldau.7.Philomuschen, ‘poetaster’ (lover of the Muses).8.Weisianer, partisans of the dull and trivial schoolmaster-poet, Christian Weise.9.Hübneristen, mechanical rimesters; Hübner was the author of a dictionary of rimes.10.Odermusen; ‘muses of the Oder’ and ‘tongues of the Sudeti’ are both names for the later Silesian poets.11.Kunst der Pleisse, Leipzig’s art.12.Wenn es brennte=wenn es drauf ankäme.13.Dedekindens; C. C. Dedekind was a facile but vacuous rimester.

1.Friedrich I, who died in 1713.

2.Den Toten, i.e.den alten (Schriftstellern)

3.Lüsterndem, ‘wanton,’ ‘lubricious.’

4.Pickelscherz (Pickelhäringscherz), ‘clownish jokes.’

5.The Italian poet Marino, known for his sensuality and affectation, was in high favor with the later Silesians.

6.Brief, in allusion to the sensualHeldenbriefeof Hofmannswaldau.

7.Philomuschen, ‘poetaster’ (lover of the Muses).

8.Weisianer, partisans of the dull and trivial schoolmaster-poet, Christian Weise.

9.Hübneristen, mechanical rimesters; Hübner was the author of a dictionary of rimes.

10.Odermusen; ‘muses of the Oder’ and ‘tongues of the Sudeti’ are both names for the later Silesian poets.

11.Kunst der Pleisse, Leipzig’s art.

12.Wenn es brennte=wenn es drauf ankäme.

13.Dedekindens; C. C. Dedekind was a facile but vacuous rimester.

A gifted lyric poet whose life was short and full of trouble (1695-1723). In an age of poetic artificiality and pretense his verse is generally simple, sincere, and passionate. His work is mainly a record of suffering, the note of joy being relatively infrequent. He is a forerunner of those modern poets of whom one may say with Goethe’s Tasso:Mir gab ein Gott zu sagen, wie ich leide.The text follows Fulda’s edition in Kürschner’sNationalliteratur, Vol. 38.

Brüder, lasst uns lustig sein,

Weil der Frühling währet

Und der Jugend Sonnenschein

Unser Laub verkläret;

Grab und Bahre warten nicht;

Wer die Rosen jetzo bricht,

Dem ist der Kranz bescheret.

Unsers Lebens schnelle Flucht

Leidet keinen Zügel,

Und des Schicksals Eifersucht

Macht ihr stetig Flügel;

Zeit und Jahre fliehn davon,

Und vielleichte schnitzt man schon

An unsers Grabes Riegel.

Wo sind diese, sagt es mir,

Die vor wenig Jahren

Eben also, gleich wie wir,

Jung und fröhlich waren?

Ihre Leiber deckt der Sand,

Sie sind in ein ander Land

Aus dieser Welt gefahren.

Wer nach unsern Vätern forscht,

Mag den Kirchhof fragen;

Ihr Gebein, so längst vermorscht,

Wird ihm Antwort sagen.

Kann uns doch der Himmel bald,

Eh die Morgenglocke schallt,

In unsre Gräber tragen.

Unterdessen seid vergnügt,

Lasst den Himmel walten,

Trinkt, bis euch das Bier besiegt,

Nach Manier der Alten.

Fort! Mir wässert schon das Maul,

Und, ihr andern, seid nicht faul,

Die Mode zu erhalten.

Dieses Gläschen bring’ ich dir,

Dass die Liebste lebe

Und der Nachwelt bald von dir

Einen Abriss gebe!

Setzt ihr andern gleichfalls an,

Und wenn dieses ist gethan,

So lebt der edle Rebe.

Kluge Schönheit, nimm die Busse

Eines armen Sünders an,

Welcher dir mit einem Kusse

Gestern Abends weh gethan,

Und auf deinen Rosenwangen

Einen schönen Raub begangen.

Ich gesteh’ es, mein Verbrechen

Ist der schärfsten Strafe wert,

Und du magst ein Urteil sprechen,

Wie dein Wille nur begehrt;

Dennoch würd’ ich zu den Füssen

Deiner Gnade danken müssen.

Aber weil ihr Himmelskinder

Eurem Vater ähnlich seid,

Welcher auch die gröbsten Sünder

Seines Eifers oft befreit,

Ach, so werden meine Zähren

Deinen Zorn in Liebe kehren.

Gönne mir nur dieses Glücke,

Bald mit dir versöhnt zu sein,

Bis nach manchem kalten Blicke

Deiner Augen Sonnenschein

Mir und meiner Hoffnung lache

Und mich endlich kühner mache.

Ich habe genug!

Lust, Flammen und Küsse

Sind giftig und süsse

Und machen nicht klug;

Komm, selige Freiheit, und dämpfe den Brand,

Der meinem Gemüte die Weisheit entwandt.

Was hab’ ich gethan!

Jetzt seh’ ich die Triebe

Der thörichten Liebe

Vernünftiger an;

Ich breche die Fessel, ich löse mein Herz

Und hasse mit Vorsatz den zärtlichen Schmerz.

Was quält mich vor Reu’?

Was stört mir vor Kummer

Den nächtlichen Schlummer?

Die Zeit ist vorbei.

O köstliches Kleinod, o teurer Verlust!

O hätt’ ich die Falschheit nur eher gewusst!

Geh, Schönheit, und fleuch!

Die artigsten Blicke

Sind schmerzliche Stricke.

Ich merke den Streich,

Es lodern die Briefe, der Ring bricht entzwei

Und zeigt meiner Schönen: Nun leb’ ich recht frei.

Nun leb’ ich recht frei

Und schwöre von Herzen,

Dass Küssen und Scherzen

Ein Narrenspiel sei;

Denn wer sich verliebet, der ist wohl nicht klug;

Geh, falsche Sirene, ich habe genug!

Treuer Sinn,

Wirf den falschen Kummer hin.

Lass den Zweifel der Gedanken

Nicht mit meiner Liebe zanken,

Da ich längst dein Opfer bin.

Glück und Zeit

Hasset die Beständigkeit;

Doch das Feuer, so ich fühle,

Hat die Ewigkeit zum Ziele

Und verblendet selbst den Neid.

Meine Glut

Leidet keinen Wankelmut;

Eher soll die Sonn’ erfrieren,

Als die Falschheit mich verführen,

Eher löscht mein eigen Blut.

Grab und Stein

Adeln selbst mein Redlichsein.

Bricht mir gleich der Tod das Herze,

So behält die Liebeskerze

In der Asche doch den Schein.

Gedenk an mich und meine Liebe,

Du mit Gewalt entrissnes Kind,

Und glaube, dass die reinen Triebe

Dir jetzt und allzeit dienstbar sind,

Und dass ich ewig auf der Erde

Sonst nichts als dich verehren werde.

Gedenk an mich in allem Leiden

Und tröste dich mit meiner Treu!

Die Luft mag jetzt empfindlich schneiden,

Die Wetter gehn doch all vorbei,

Und nach dem ungeheuren Knallen

Wird auch ein fruchtbar Regen fallen.

Gedenk an mich in deinem Glücke,

Und wenn es dir nach Wunsche geht,

So setze nie den Freund zurücke,

Der bloss um dich in Sorgen steht!

Auch mir kann bei dem besten Leben

Nichts mehr als du Entzückung geben.

Gedenk an mich in deinem Sterben;

Der Himmel halte dies noch auf;

Doch sollen wir uns nicht erwerben,

Und zürnt der Sterne böser Lauf,

So soll mir auch das Sterbekissen

Die Hinfahrt durch dein Bild versüssen.

Gedenk an mich und meine Thränen,

Die dir so oft das Herz gerührt

Und die dich durch mein kräftig Sehnen

Zum ersten auf die Bahn geführt,

Wo Kuss und Liebe treuer Herzen

Des Lebens Ungemach verschmerzen.

Gedenk auch, endlich an die Stunde,

Die mir das Herz vor Wehmut brach,

Als ich, wie du, mit schwachem Munde

Die letzten Abschiedsworte sprach;

Gedenk an mich und meine Plagen!

Mehr will und kann ich jetzt nicht sagen.

Bist du denn noch Leonore,

Der so manch verliebter Schwur

(Sinne nach, bei welchem Thore!)

Unter Kuss und Schmerz entfuhr,

Ach, so nimm die stummen Lieder

Eben noch mit dieser Hand,

Die mir ehmals Herz und Glieder

Mit der stärksten Reizung band.

Durch dein sehnliches Entbehren

Werd’ ich vor den Jahren grau,

Und der Zufluss meiner Zähren

Mehrt schon lange Reif und Tau;

Meine Schwachheit, mein Verbleichen

Und die Brust, so stündlich lechzt,

Wird des Kummers Siegeszeichen,

Der aus unsrer Trennung wächst.

Lust und Mut und Geist zum Dichten,

Feuer, Jugend, Ruhm und Fleiss

Suchen mit Gewalt zu flüchten

Und verlieren ihren Preis,

Weil der Zunder deiner Küsse

Meinen Trieb nicht mehr erweckt

Und die Führung harter Schlüsse

Ein betrübtes Ziel gesteckt.

Alle Bilder meiner Sinnen

Sind mir Ekel und Verdruss,

Da sie nichts als Gram gewinnen,

Weil ich dich noch suchen muss.

Nichts ergetzt mich mehr auf Erden

Als das Weinen in der Nacht,

Wenn es unter viel Beschwerden

Dein Gedächtnis munter macht.

Jedes Blatt von deinen Händen

Ist ein Blatt voll Klag’ und Weh,

Und ich kann es niemals wenden,

Dass kein Stich ans Herze geh’;

Die Versichrung leerer Zeilen

Giebt den Leibern wenig Kraft,

Welche Luft und Ort zerteilen.

O bedrängte Leidenschaft!

Morgen wird es besser werden,

Also seufzt mein schwacher Geist,

Den die Menge der Beschwerden

Über allen Abgrund reisst.

Aber ach, wenn bricht der Morgen

Und das Licht der Hoffnung an,

Da ich die so langen Sorgen

Nach und nach vergessen kann?

Sklaven auf den Ruderbänken

Wechseln doch mit Müh’ und Ruh’,

Dies mein unaufhörlich Kränken

Lässt mir keinen Schlummer zu.

Niemand klagt mein schweres Leiden,

Dies vergrössert Last und Pein.

Himmel, lass mich doch verscheiden,

Oder gieb mir Sonnenschein!

Will ich mich doch gerne fassen,

Wenn mich nur der Trost erquickt,

Dass dein ewiges Verlassen

Mich nicht in die Grube schickt.

A writer of rather mediocre gifts who is of some historical importance as the pioneer in a new poetry of nature (1680-1747). He was the first to blend reverent emotion with very minute observation and description. His thesis—as oft reiterated in his many-volumedEarthly Pleasure in God—is that weoughtto love nature because it is the wonderful and perfect work of an infinitely wise and good Creator. The selections follow Kürschner’sNationalliteratur, Vol. 39.

Ich höre die Vögel, ich sehe die Wälder,

Ich fühle das Spielen der kühlenden Luft,

Ich rieche der Blüte balsamischen Duft,

Ich schmecke die Früchte. Die fruchtbaren Felder,

Die glänzenden Wiesen, das funkelnde Nass

Der tauichten Tropfen, das wallende Gras

Voll lieblicher Blumen, das sanfte Gezische

Der mancherlei lieblich beblätterten Büsche,

Das murmelnde Rauschen der rieselnden Flut,

Der zitternde Schimmer der silbernen Fläche

Durch grünende Felder sich schlängender Bäche,

Der flammenden Sonne belebende Glut,

Die alles verherrlichet, wärmet und schmücket,

Dies alles ergetzet, erquicket, entzücket

Ein Auge, das Gott in Geschöpfen ersieht,

Ein Ohr, das den Schöpfer verstehet und höret,

Ein Herze, das Gott in den Wundern verehret,

Kein viehisch, nur einzig ein menschlich Gemüt.

Im Frühling rührte mir das Innerste der Seelen

Der Büsche Königin, die holde Nachtigall,

Die aus so enger Brust und mit so kleiner Kehlen

Die grössten Wälder füllt durch ihren Wunderschall.

Derselben Fertigkeit, die Kunst, der Fleiss, die Stärke,

Verändrung, Stimm’ und Ton sind lauter Wunderwerke

Der wirkenden Natur, die solchen starken Klang

In ein paar Federchen, die kaum zu sehen, senket

Und einen das Gehör bezaubernden Gesang

In solche dünne Haut und zarten Schnabel schränket.

Ihr Hälschen ist am Ton so unerschöpflich reich,

Dass sie tief, hoch, gelind und stark auf einmal singet.

Die kleine Gurgel lockt und zischt und pfeift zugleich,

Dass sie wie Quellen rauscht, wie tausend Glocken klinget.

Sie zwitschert, stimmt und schlägt mit solcher Anmut an,

Mit solchem nach der Kunst gekräuselten Geschwirre,

Dass man darob erstaunt und nicht begreifen kann,

Ob sie nicht seufzend lach’, ob sie nicht lachend girre.

Ihr Stimmchen ziehet sich in einer hohlen Länge

Von unten in die Höh’, fällt, steigt aufs neu empor,

Und schwebt nach Mass und Zeit; bald drängt sich eine Menge

Verschiedner Tön’ aus ihr als wie ein Strom hervor.

Sie dreht und dehnt den Ton, zerreisst und fügt ihn wieder,

Singt sanft, singt ungestüm, bald klar, bald grob, bald hell.

Kein Pfeil verfliegt so rasch, kein Blitz verstreicht so schnell,

Die Winde können nicht so streng im Stürmen wehen,

Als ihre schmeichelnde verwunderliche Lieder

Mit wirbelndem Geräusch sich ändern, sich verdrehen.

Ein flötend Glucken quillt aus ihrer hohlen Brust,

Ein murmelnd Pfeifen labt der stillen Hörer Herzen;

Doch dies verdoppelt noch und mehrt die frohe Lust,

Wenn etwan ihrer zwo zugleich zusammen scherzen.

Die singt, wenn jene ruft; wann diese lockt, singt jene

Mit solch anmutigem bezaubernden Getöne,

Dass diese wiederum aus Missgunst, als ergrimmt,

In einen andern Ton die schlanke Zunge stimmt.

Die andre horcht indes und lauscht voll Unvergnügen,

Ja fängt zu ihres Feinds und Gegensängers Hohn,

Um durch noch künstlichern Gesang ihn zu besiegen,

Von neuem wieder an in solchem scharfen Ton,

Mit solchem feurigen, empfindlich hellen Klang,

Mit solch gewaltigem oft wiederholtem Schlagen,

Dass so durchdringenden und heftigen Gesang

Das menschliche Gehör kaum mächtig zu ertragen.

Wer nun so süssen Ton im frohen Frühling hört

Und nicht des Schöpfers Macht voll Brunst und Andacht ehrt,

Der Luft Beschaffenheit, das Wunder unsrer Ohren

Bewundernd nicht bedenkt, ist nur umsonst geboren

Und folglich nicht der Luft, nicht seiner Ohren wert.

Mich erquicken,

Mich entzücken

In der holden Frühlingszeit

Alle Dinge, die ich sehe,

Da ja, wo ich geh’ und stehe,

Alles voller Lieblichkeit.

Durch der grünen Erde Pracht,

Durch die Blumen, durch die Blüte

Wird durchs Auge mein Gemüte

Recht bezaubernd angelacht.

Die gelinden lauen Lüfte

Voller balsamreicher Düfte

Treibt des holden Zephyrs Spiel

Zum Geruch und zum Gefühl.

Auf den glatten Wellen wallen

Wie auf glänzenden Krystallen

Im beständig regen Licht

Tausend Strahlen, tausend Blitze,

Und ergetzen das Gesicht,

Sonderlich wenn selbe zwischen

Noch nicht dick bewachs’nen Büschen

Und durch junge Weiden glimmen.

Kleine Lichter, welche schwimmen

Auf dem Laub und auf der Flut

Bald in weiss-, bald blauer Glut,

Treffen mit gefärbtem Scherz

Durch die Augen unser Herz.

Seht die leichten Vögel fliegen,

Höret, wie sie sich vergnügen,

Seht, wie die beblümten Hecken

Ihr geflochtnes Nest verstecken!

Schlüpfet dort nach seinem Neste

Ein verliebt und emsigs Paar,

Hüfpet hier durch Laub und Äste

Eine bunt gefärbte Schar.

Seht, wie sie die Köpfchen drehn

Und des Frühlings Pracht besehn,

Hört, wie gurgeln sie so schön!

Höret, wie sie musicieren!

Lass dich doch ihr Beispiel rühren,

Liebster Mensch, lass dem zu Ehren,

Der die Welt so schön geschmückt

Und durch sie dich fast entzückt,

Auch ein frohes Danklied hören!

A Leipzig scholar (1700-1766) who, as professor in the university, author of text-books, editor of journals, and reformer of the local stage, won a great though transitory prestige. He was a stedfast champion of clarity, regularity, and good taste, laid great stress on probability and reasonableness, and held that a strict observance of the three unities was essential in tragedy. His advocacy of French forms and taste led to a sharp controversy with the Swiss school of Bodmer, who looked rather to English models. Gottsched’sCatomet with great success on the stage, but now seems cold and mechanical. His critical views can best be studied in theCritische Dichtkunst, from which a selection is given according to the second edition, of 1737.

§ 11. Wie eine gute tragische Fabel gemacht werden müsse, das ist schon im vierten Hauptstücke des ersten Theils einiger maassen gewiesen worden. Der Poet wählet sich einen moralischen Lehrsatz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit eines Satzes erhellet. Hiernächst sucht er in der Historie solche berühmte Leute, denen etwas ähnliches begegnet ist: Und von diesen entlehnet er die Namen, für die Personen seiner Fabel, um derselben also ein Ansehen zu geben. Er erdenket sodann alle Umstände dazu, um die Hauptfabel recht wahrscheinlich zu machen, und das werden die Zwischenfabeln, oder Episodia genannt. Dieses theilt er dann in fünf Stücke ein, die ungefehr gleich gross sind, und ordnet sie so, dass natürlicher Weise das letztere aus dem vorhergehenden fliesset: Bekümmert sich aber weiter nicht, ob alles in der Historie so vorgegangen, oder ob alle Nebenpersonen wirklich so und nicht anders geheissen haben. Zum Exempel kann die oberwähnte Tragödie des Sophokles, oder auch mein Cato dienen. Der Poet wollte dort zeigen, dass Gott auch die Laster, so unwissend begangen werden, nicht ungestraft lasse. Hierzu ersinnt er nun eine allgemeine Fabel, die etwa so lautet:

§ 12. Es war einmal ein Prinz, wird es heissen, der sehr viel gute Eigenschaften an sich hatte, aber dabey verwegen, argwöhnisch und neugierig war. Dieser hatte einmal, vor dem Antritte seiner Regierung, auf freyem Felde einen Mord begangen; ohne zu wissen, dass er seinen eigenen Vater erschlagen hatte. Durch seinen Verstand bringeter sich in einem fremden Lande in solches Ansehen, dass er zum Könige gemacht wird, und die verwittibte Königinn heurathet, ohne zu wissen, dass selbige seine eigene Mutter ist. Aber dieses alles geht ihm nicht für genossen aus. Seine Laster kommen ans Licht, und es treffen ihn alle die Flüche, die er selbst auf den Mörder seines Vorfahren im Regimente ausgestossen hatte. Er wird des Reiches entzetzet, und ins Elend getrieben, nachdem er sich selbst aus Verzweifelung der Augen beraubet hatte. Zu dieser allgemeinen Fabel nun findet Sophokles in den alten thebanischen Geschichten den Oedipus geschickt. Er ist ein solcher Prinz, als die Fabel erfordert: Er hat unwissend einen Vatermord und eine Blutschande begangen. Er ist dadurch auf eine Zeitlang glücklich geworden: Allein die Strafe bleibt nicht aus; sondern er muss endlich alle die Wirkungen seiner unerhörten Laster empfinden.

§ 13. Diese Fabel ist nun geschickt, Schrecken und Mitleiden zu erwecken, und also die Gemüthsbewegungen der Zuschauer auf eine der Tugend gemässe Weise zu erregen. Man sieht auch, dass der Chor in dieser Tragödie dadurch bewogen wird, recht erbauliche Betrachtungen, über die Unbeständigkeit des Glückes der Grossen dieser Welt, und über die Schandbarkeit seiner Laster anzustellen, und zuletzt in dem Beschlusse die Thebaner so anzureden: Ihr Einwohner von Theben, sehet hier den Oedipus, der durch seine Weisheit Räthsel erklären konnte, und an Tapferkeit alles übertraf; ja der seine Hohheit sonst keinem, als seinem Verstande und Heldenmuthe zu danken hatte: Seht, in was für schreckliche Trübsalen er gerathen ist; und wenn ihr dieses unselige Ende desselben erweget, so lernt doch niemanden für glücklich halten, bis ihr ihn seine letzte Stunde glücklich habt erreichen gesehen.

§ 14. Eine solche Fabel nun zu erdichten, sie recht wahrscheinlich einzurichten, und wohl auszuführen, das ist das allerschwerste in einer Tragödie. Es hat viele Poeten gegeben, die in allem andern Zubehör des Trauerspiels, in den Charactern, in dem Ausdrucke, in den Affecten u.s.w. glücklich gewesen: Aber in der Fabel ist es sehr wenigen gelungen. Das macht, dass dieselbe eine dreyfache Einheit haben muss, wenn ich so reden darf: Die Einheit der Handlung, der Zeit, und des Ortes. Von allen dreyen müssen wir insonderheit handeln.

§ 15. Die ganze Fabel hat nur eine Hauptabsicht, nemlich einen moralischen Satz: Also muss sie auch nur eine Haupthandlung haben, um derentwegen alles übrige vorgehet. Die Nebenhandlungen aber, die zur Ausführung der Haupthandlung gehören, können gar wohl andre moralische Wahrheiten in sich schliessen: Wie zum Exempel in Oedipus die Erfüllung der Orakel,daruberIocasta vorher gespottet hatte, die Lehre giebt: Dass die göttliche Allwissenheit nicht fehlen könne. Alle Stücke sind also tadelhaft und verwerflich, die aus zwoen Handlungen bestehen, davon keine die vornehmste ist. Ich habe dergleichen im Jahr 1717 am Reformationsfeste in einer Schulcomödie vorstellen gesehen, wo der Inhalt der Aeneis Virgilii, und die Reformation Lutheri zugleich vorgestellet wurde. In einem Auftritte war ein Trojaner, in dem andern der Ablasskrämer Tetzel zu sehen. Bald handelte Aeneas von der Stiftung des römischen Reichs, bald kam Lutherus und reinigte die Kirche. Bald war Dido, bald die babylonische Hure zu sehen u.s.w. Und diese beyde so verschiedene Handlungen hiengen nicht anders zusammen, als durch eine lustige Person, die zwischen solchen Vorstellungen auftrat, und z.E. den auf der See bestürmten Aeneas mit dem in Gefahr schwebenden Kirchenschifflein verglich. Das ist nun ein sehr handgreiflicher Fehler, wo zwey so verschiedene Dinge zugleich gespielet werden. Allein die andern, so etwas unmerklicher sind, verdienen deswegen keine Entschuldigung.

§ 16. Die Einheit der Zeit ist das andre, so in der Tragödie unentbehrlich ist. Die Fabel eines Heldengedichtes kann viele Monate dauren, wie oben gewiesen worden; das macht, sie wird nur gelesen: Aber die Fabel eines Schauspieles, die mit lebendigen Personen in etlichen Stunden lebendig vorgestellet wird, kann nur einen Umlauf der Sonnen, wie Aristoteles spricht, das ist einen Tag, dauren. Denn was hat es für eine Wahrscheinlichkeit, wenn man in dem ersten Auftritte den Helden in der Wiege, weiter hin als einen Knaben, hernach als einen Jüngling, Mann, Greis, und zuletzt gar im Sarge vorstellen wollte: Wie Cervantes solche thörichte Schauspiele an seinen spanischen Poeten im Don Quixote ausgelachet hat. Oder wie ist es wahrscheinlich, dass man es auf der Schaubühne etlichemal Abend werden sieht, und doch selbst, ohne zu essen oder zu trinken, oder zu schlafen, immer auf einer Stelle sitzen bleibt? Die bestenFabeln sind also diejenigen, die nicht mehr Zeit nöthig gehabt hätten, wirklich zu geschehen, als sie zur Vorstellung brauchen; das ist etwa drey oder vier Stunden: Und so sind die Fabeln der meisten griechischen Tragödien beschaffen. Kömmt es hoch, so bedörfen sie sechs, acht, oder zum höchsten zehn Stunden zu ihrem ganzen Verlaufe: Und höher muss es ein Poet nicht treiben; wenn er nicht wieder die Wahrscheinlichkeit handeln will.

§ 17. Es müssen aber diese Stunden bey Tage, und nicht bey Nacht seyn, weil diese zum Schlafen bestimmet ist: Es wäre denn dass die Handlung entweder in der Nacht vorgegangen wäre, oder erst nach Mittag anfienge, und sich bis in die späte Nacht verzöge; oder umgekehrt frühmorgens angienge, und bis zu Mittage daurete. Der berühmte Cid des Corneille läuft in diesem Stücke wieder die Regeln, denn er dauret eine ganze Nacht durch, nebst dem vorigen und folgenden Tage, and braucht wenigstens volle vier und zwanzig Stunden: Welches schon viel zu viel ist, und unerträglich seyn würde, wenn das Stück nicht sonst viel andre Schönheiten in sich hätte, die den Zuschauern fast nicht Zeit liessen, daran zu gedenken. Das ist nun eben die Kunst, die Fabel so ins kurze zu bringen, dass keine lange Zeit dazu gehöret; und eben deswegen sind auch bey uns Deutschen die Tragödien vom Wallenstein, von der Banise, ingleichen von der böhmischen Libussa ganz falsch und unrichtig: Weil sie zum Theil etliche Monate, zum Theil aber viele Jahre zu ihrer Dauer erfordern. Meine obrige Schultragödie hub sich von dem Urtheile des Paris über die drey Göttinnen an, und daurete bis auf des Aeneas Ankunft in Italien. Das war nun eine Zeit, davon die zwey Heldengedichte, Ilias und Aeneis, nicht den zwanzigsten Theil einnehmen, und ich zweifle, ob man die Ungereimtheit höher hätte treiben können.

§ 18. Zum dritten gehört zur Tragödie die Einigkeit des Ortes. Die Zuschauer bleiben auf einer Stelle sitzen: Folglich müssen auch die spielenden Personen alle auf einem Platze bleiben, den jene übersehen können, ohne ihren Ort zu ändern. So ist im Oedipus, z.E. der Schauplatz auf dem Vorhofe des königlichen thebanischen Schlosses, darinn Oedipus wohnt. Alles, was in der ganzen Tragödie vorgeht, das geschieht vor diesem Pallaste: Nichts was man wirklich sieht, trägt sich in den Zimmern zu, sondern draussen auf dem Schlossplatze, vorden Augen alles Volks. Heute zu Tage, da unsre Fürsten alles in ihren Zimmern verrichten, fällt es also schwerer, solche Fabeln wahrscheinlich zu machen. Daher nehmen denn die Poeten gemeiniglich alte Historien dazu, oder sie stellen uns auch einen grossen Audienzsaal vor, darinn vielerley Personen auftreten können. Ja sie helfen sich auch zuweilen mit dem Vorhange, den sie fallen lassen und aufziehen, wenn sie zwey Zimmer zu der Fabel nöthig haben. Man kann also leicht denken, wie ungereimt es ist, wenn, nach dem Berichte des Cervantes, die spanischen Trauerspiele den Helden in dem ersten Aufzuge in Europa, in dem andern in Africa, in dem dritten in Asien, und endlich gar in America vorstellen: Oder, wenn meine obgedachte Schulcomödie uns bald in Asien die Stadt Troja, bald die ungestüme See, darauf Aeneas schiffet, bald Carthago, bald Italien vorstellete, und uns also durch alle drey Theile der damals bekannten Welt, führete, ohne dass wir uns von der Stelle rühren dorften. Es ist also in einer regelmässigen Tragödie nicht erlaubt, den Schauplatz zu ändern. Wo man ist, da muss man bleiben; und daher auch nicht in dem ersten Aufzuge im Walde, in dem andern in der Stadt, in dem dritten im Kriege und in dem vierten in einem Garten, oder gar auf der See seyn; Das sind lauter Fehler wieder die Wahrscheinlichkeit: Eine Fabel aber, die nicht wahrscheinlich ist, taugt nichts, weil dieses ihre vornehmste Eigenschaft ist.

A Swiss scholar (1698-1783) who is important as the first notable champion of English literature, and also as the pioneer editor of medieval poetry. In 1721 he began, with a group of Zürich friends, the publication ofDiscourse der Mahlern, a literary magazine for which the EnglishSpectatorserved as a model. A defense of Milton, published in 1740, brought on the controversy with Gottsched. In the course of his long life Bodmer wrote vast quantities of didactic verse, also epics and tragedies, which are now forgotten, his theory of poetry having been better than his practice. His fragmentary and uncritical editions of Wolfram’sParzival, theNibelung Lay, and the Minnesingers (1753-59) are the earliest attempts to arouse interest in the forgotten poetry of the despised Middle Ages. The selection is from theDiscourse der Mahlern, following Bächtold and Vetter’s reprint inBibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, Zürich, 1887.

Infinitive forms with attached “zu”—zuunterscheiden, zufixieren, zumachen, zuloben—are standard in this author.

Eine Imagination, die sich wol cultiviert hat, ist eines von den Haupt-Stücken, durch welche sich der gute Poet von dem gemeinen Sänger unterscheidet, massen die reiche und abändernde Dichtung, die ihr Leben und Wesen eintzig von der Imagination hat, die Poesie von der Prosa hauptsächlich unterscheidet. Dass Opitz den Rang vor Menantes1pretendieren kan, geben ihm das Recht diese schönen und abwechselnde Bildnissen, die er gemachet hat, und in welchen er die Natur mit denen Farben und in der Gestalt gemahlet hat, die ihr eigen sind. Ich bediene mich mit Fleisse dieser Metaphora, die ich von den Mahlern entlehne, denn die erste und eintzige Regel, welche ein jedweder Schreiber und Redner, es seye in gebundener oder ungebundener Rede, nachzufolgen hat, und welche ihm mit den Mahlern gemein ist, die ist diese, dass er das Natürliche nachspüre und copiere; alle diese andere Regeln, dass er anmuthig, delicat, hoch schreibe, sind in dieser eingeschlossen und fliessen daraus ab. Wenn er von einer jeden Sache dasjenige saget, was ein curieuser Sinn davon wahrnimmt, wenn er nichts davon verfliegen lässt, das sie dienet von andern Sachen zuunterscheiden, und wenn er mit solchen angemessenen Worten davon redet, welche mir eben dieselben Ideen davon erwecken, so sage ich dass er natürlich schreibe; wenn er denn von einer anmuthigen Sache natürlich schreibet, so kan ich sagen, dass sein Stylus anmuthig ist; schreibet er von einer Delicatesse natürlich, so wird der Stylus delicat, und er wird hoch, wenn er von einer Sache natürlich redet, welche die Menschen bewundern und gross nennen. Weil nun Opitz natürlicher, und welches nichts anders saget, annehmlicher, delicater und höcher ist, als Menantes, so heisst er mir auch ein besserer Poet als Menantes. Dass aber Opitz natürlicher dichtet als der andere, ist dieses die Ursache, weil er die Imagination mehr poliert und bereichert hat als dieser; Opitz hat, nemlich, nicht allein mehr Sachen durch die eigene Erfahrung und die Lesung in seine Imagination zusammengetragen, sondern er hat noch an denjenigen Sachen, die ihm aufgestossen, und die Hunolden vielleicht auch in die Sinnen gefallen, mehrere Seiten und Differenzien wahrgenommen, er hat sie von einer Situation angeschauet, von welcher sie ihm besserin die Imagination gefallen sind, und er hat sich länger darüber aufgehalten, indem er sie mit einer sorgfältigern Curiosität betrachtet und durchgesuchet hat. Also hat er erstlich eine nähere und vollkommnere Kenntniss der Objecten erworben, und hernach hat er eben darum auch gewissere und vollkommnere Beschreibungen machen können, in welchen die wahre Proportion und Eigenschafften der Sachen bemercket, und derselben Seiten ohne Ermangeln abgezehlet worden.

Ihr erkennet aus diesem die Nothwendigkeit, und was es contribuiert natürlich schreiben zu lernen, dass ein Schüler der Natur sich wisse über den aufstossenden Objecten zufixieren, und sie in einer solchen Postur anzuschauen, in welcher ihm kein Theil und keine Seiten derselben kan verborgen bleiben; er muss so nahe zu derselben tretten, und die Augen so wol offen behalten, dass ihm weder die allzuweite Entfernung sie kleiner machet, noch die Nähe mit einem Nebel überziehet. Wenn ich jetz ferner untersuche, warum Opitz die Imagination freyer und ungebundener bewahret, und die Distractionen ausgewichen habe, welche Hunolden die Menge der Objecten und andere Umstände erwecket haben, so finde ich keine andere Ursache, als weil Opitz von diesen belebten Seelen gewesen, welche weit zärtlichern und hitzigern Affecten unterworffen sind, und viel geschwinder Feuer, oder dass ich ohne Metaphora rede, Liebe für ein Objectum fangen, als andere unachtsame und dumme Leute; denn es ist im übrigen gewiss, dass wir uns um eine Sache, für die wir passioniert sind, weit mehr interessieren, und weit mehr Curiositet und Fleiss haben, sie anzuschauen, folglich auch die Imagination damit mehr anfüllen, als wir bey einem Objecte thun, für das wir indifferent sind. Ein Amant wird von der Schönheit seiner Buhlschäfft eine ähnlichere und natürlichere Beschreibung machen, als ein jedweder andrer, dem sie nicht so starck an das Hertze gewachsen ist. Ihr werdet einen Affect allezeit natürlicher ausdrücken, den ihr in dem Hertzen fühlet, als den ihr nur simulieret. Die Leidenschafft wird euch im ersten Fall alle Figuren der Rhetoric auf die Zunge legen, ohne dass ihr sie studieret. Zertheilet und erleset die Harangue einer Frauen, die ihre Magd von Hertzen ausschiltet, ihr werdet es also finden. Wenn auf diese Weise die Imagination von der Passion begleitet wird, alsdann ist sie im Stande sich ohne Distraction überein Objecte aufzuhalten, und sich die Natur, Gestalt und Grösse desselben bekandt zumachen; und dieses ist die Manier, die sie brauchet, sich auszuschmücken und zu bereichern.

Erst ein solcher Schreiber der, wie unser Opitz, die Imagination mit Bildern der Sachen bereichert und angefüllet hat, kan lebhaft und natürlich dichten. Er kan die Objecte, die er einmal gesehen hat, so offt er will, wieder aus der Imagination holen, sie wird ihn gleichsam auf die Stelle zurück führen, wo er dieselben antreffen kan. Er seye in sein Cabinet eingeschlossen, und werde von keinen andern Gegenständen umgeben, als von einem Hauffen Bücher, so wird sie ihm eine hitzige Schlacht, eine Belägerung, einen Sturm, einen Schiffbruch, etc. in derselben Ordnung wieder vormahlen, in welcher sie ihm vormahls vor dem Gesicht gestanden sind. Dieselbe wird alle die Affecte, die ihn schon besessen haben, in ihm wieder rege machen, und ihn davon erhitzen, nicht anderst als wenn er sie wirklich in der Brust fühlte. Es seye, dass er in dem Schatten einer ausgespannten Eiche sitzet, von allen Neigungen der Liebe, des Mitleidens, der Traurigkeit, des Zorns, frey und unbeweget, so bringet ihm doch die Stärke seiner Imagination alle die Ideen wieder zurück, die er gehabt hat, als er wircklich verliebt, mitleidend, betrübt, erzörnt gewesen, sie setzet ihn in einen eben so hitzigen Stande, als er damahlen gestanden ware, und ruffet ihm dieselbe Expressionen wieder zurück, welcher er sich zur selben Zeit bedienet. Will er eine Dame glauben machen, dass sie schön seye, und dass er sie liebe; will er einen Todten beweinen, der ihn vielleichte nichts angehet; will er einen erdichteten Zorn ausstossen, so weiss er die Stellungen und die Worte derer Leuten, die in der That mit diesen Passionen angefüllet sind, lebendig nachzumachen.

Diese vornehme Poeten, die ich niemals müde werde zuloben, lassen das Hertze reden, man kan sagen, dass Amor ihnen ihre Verse in die Feder geflösset hat, wenn sie von der Liebe, und Mars wenn sie von dem Kriege singen. Sie zwingen uns die Affecte anzunehmen, welche sie wollen, wir lachen, wir werden stoltz, wir förchten uns, wir erschrecken, wir betrüben uns, wir weinen, wenn es ihnen gefällt; aber auch die traurigen Affecte, die sie in uns rege machen, werden von einem gewissen Ergetzen begleitet, das damit vermenget ist.

Ich belache diese fantastische Schüler der Reim-Kunst, welche sich eine Chimerische Maitresse bey einem frostigen Hertzen, und einer noch kälteren Imagination machen, welche von Brand und Feuer mit den kältesten Expressionen reden, in der Metaphora sterben, sich hencken, sich zu tode stürtzen, derer passioniertste Complimente, die sie ihrer Liebsten machen, Spiele der Wörtern, und der truckenen Imagination sind, Phebus, Galimathias, etc.

Es bleibet mir übrig, euch mit wenigen Worten zuerklären, was es eigentlich seye, das die Poeten figürlich ihren Enthusiasmum, ihre Inspiration, oder auch ihre Poetische Raserey nennen. Diese Worte bedeuten nichts anders, als die hefftige Passion, mit welcher ein Poet für die Materie seines Gedichtes eingenommen ist, oder die gute Imagination, durch welche er sich selbst ermuntern, und sich eine Sache wieder vorstellen, oder einen Affect annehmen kan, welchen er will. Wenn er also erhitzet ist, so wachsen ihm, so zusagen, die Worte auf der Zungen, er beschreibet nichts als was er siehet, er redet nichts als was er empfindet, er wird von der Passion fortgetrieben, nicht anderst als ein Rasender, der ausser sich selbst ist, und folgen muss, wohin ihn seine Raserey führet.

1.Menantes, pseudonym of Christian Friedrich Hunold (1680-1721).

1.Menantes, pseudonym of Christian Friedrich Hunold (1680-1721).

A Swiss writer (1708-1777) who in his youth won fame as a poet, afterwards much greater fame as a man of science. In 1732, after he had taken his degree in medicine at Leyden, and had visited England and France, he published a small collection of poems entitledVersuch Schweizerischer Gedichten. They are characterized by moral fervor, trenchant thought, and sententious pregnancy of expression—a new combination up to that time. Haller is at his best inThe Alps, which, notwithstanding its abundant description, is not so much a landscape poem as a philosophic eulogy of the simple life. The text below followsBibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, III. 20.

Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser,Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab;Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewässer,Theilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab;5Umhängt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten,Speist Tunkins Nest1aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd,Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten,Räumt Klippen aus der Bahn, schliesst Länder ein zur Jagd;Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben10Ihr werdet arm im Glück, im Reichthum elend bleiben!Wann Gold und Ehre sich zu Clios Dienst verbinden,Keimt doch kein Funken Freud in dem verstörten Sinn.Der Dinge Werth ist das, was wir davon empfinden;Vor seiner theuren Last flieht er zum Tode hin.15Was hat ein Fürst bevor, das einem Schäfer fehlet?Der Zepter eckelt ihm, wie dem sein Hirten-Stab.Weh ihm, wann ihn der Geiz, wann ihn die Ehrsucht quälet,Die Schaar, die um ihn wacht, hält den Verdruss nicht ab.Wann aber seinen Sinn gesetzte Stille wieget,20Entschläft der minder sanft, der nicht auf Eidern lieget?Beglückte güldne Zeit, Geschenk der ersten Güte,O, dass der Himmel dich so zeitig weggerückt!Nicht, weil die junge Welt in stätem Frühling blühte,Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepflückt;25Nicht, weil freiwillig Korn die falben Felder deckteUnd Honig mit der Milch in dicken Strömen lief;Nicht, weil kein kühner Löw die schwachen Hürden schreckte,Und ein verirrtes Lamm bei Wolfen sicher schlief;Nein, weil der Mensch zum Glück den Überfluss nicht zählte,30Ihm Nothdurft Reichtum war und Gold zum Sorgen fehlte!Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten!Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht;Wer misst den äussern Glanz scheinbarer2Eitelkeiten,Wann Tugend Müh zur Lust und Armuth glücklich macht?35Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen,Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl;Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen,Und ein verewigt Eis umringt das kühle Thal;Doch eurer Sitten Werth hat alles das verbessert,40Der Elemente Neid hat euer Glück vergrössert.Wohl dir, vergnügtes Volk! o danke dem Geschicke,Das dir der Laster Quell, den Überfluss, versagt;Dem, den sein Stand vergnügt, dient Armuth selbst zum Glücke,Da Pracht und Üppigkeit der Länder Stütze nagt.45Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zählte,War Brei der Helden Speis und Holz der Götter Haus;Als aber ihm das Maass von seinem Reichthum fehlte,Trat bald der schwächste Feind den feigen Stolz in Graus.Du aber hüte dich, was grössers zu begehren;50So lang die Einfalt daurt, wird auch der Wohlstand währen.Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt3;Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zäunen,Weil sich die Menschen selbst die grössten Plagen sind.55Dein Trank ist reine Flut und Milch die reichsten Speisen,Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Würze zu;Der Berge tiefer Schacht giebt dir nur schwirrend4Eisen,Wie sehr wünscht Peru nicht, so arm zu sein als du.Dann, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder,60Die Felsen selbst beblümt und Boreas gelinder.Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern!Der Reichthum hat kein Gut, das eurer Armuth gleicht;Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemüthern,Weil kein beglänzter Wahn euch Zweitrachtsäpfel reicht;65Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht hasst;Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,Die, was ihr nöthig, sucht und mehrers hält für Last.Was Epictet gethan und Seneca geschrieben,70Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen lieben.Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,Der Tugend unterthan und Laster edel macht;Kein müssiger Verdruss verlängert hier die Stunden,Die Arbeit füllt den Tag und Ruh besetzt die Nacht;75Hier lässt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,Des morgens Sonne frisst des heutes Freude nie.Die Freiheit theilt dem Volk, aus milden Mutter-Händen,Mit immer gleichem Maass Vergnügen, Ruh und Müh;Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke,80Man isst, man schläft, man liebt und danket dem GeschickeZwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schätze,Man misst die Strassen nicht zu Rom und zu Athen,Man bindet die Vernunft an keine Schulgesetze,Und niemand lehrt die Sonn in ihren Kreisen gehn.85O Witz! des Weisen Tand, wann hast du ihn vergnüget?Er kennt den Bau der Welt und stirbt sich unbekannt;Die Wollust wird bei ihm vergällt und nicht besieget,Sein künstlicher Geschmack beeckelt seinen Stand;Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben,90Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben.Hier macht kein wechselnd Glück die Zeiten unterschieden,Die Thränen folgen nicht auf kurze Freudigkeit;Das Leben rinnt dahin, in ungestörtem Frieden,Heut ist wie gestern war und morgen wird wie heut.95Kein ungewohnter Fall bezeichnet hier die Tage,Kein Unstern malt sie schwarz, kein schwülstig Glücke roth.Der Jahre Lust und Müh ruhn stets auf gleicher Waage,Des Lebens Staffeln sind nichts als Geburt und Tod.Nur hat die Fröhlichkeit bisweilen wenig Stunden100Dem unverdrossnen Volk nicht ohne Müh entwunden.Wann durch die schwüle Luft gedämpfte Winde streichen,Und ein begeistert Blut in jungen Adern glüht,So sammlet sich ein Dorf im Schatten breiter Eichen,Wo Kunst und Anmuth sich um Lieb und Lob bemüht.105Hier ringt ein kühnes Paar, vermählt den Ernst dem SpieleUmwindet Leib um Leib und schlinget Huft um Huft.Dort fliegt ein schwerer Stein nach dem gesteckten Ziele,Von starker Hand beseelt, durch die zertrennte Luft.Den aber führt die Lust, was edlers zu beginnen,110Zu einer muntern Schaar von jungen Schäferinnen.Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weisse,Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen Jetzt durchbohrt;Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten GleisseNach dem erwählten Zweck mit langen Sätzen fort.115Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen HändenIn dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schallmei,Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Tacte wenden,So legt die Fröhlichkeit doch ihnen Flügel bei.Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,120Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.Denn hier, wo die Natur allein Gesetze giebet,Umschliesst kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.Was liebenswürdig ist, wird ohne Scheu geliebet,Verdienst macht alles werth und Liebe macht es gleich.125Die Anmuth wird hier auch in Armen schön gefunden,Man wiegt die Gunst hier nicht für schwere Kisten hin,Die Ehrsucht theilet nie, was Werth und Huld verbunden,Die Staatssucht macht sich nicht zur Unglücks-Kupplerin:Die Liebe brennt hier frei und scheut kein Donnerwetter,130Man liebet für sich selbst und nicht für seine Väter.So bald ein junger Hirt die sanfte Glut empfunden,Die leicht ein schmachtend Aug in muntern Geistern schürt,So wird des Schäfers Mund von keiner Furcht gebunden,Ein ungeheuchelt Wort bekennet, was ihn rührt;135Sie hört ihn und, verdient sein Brand ihr Herz zum Lohne,So sagt sie, was sie fühlt, und thut, wornach sie strebt;Dann zarte Regung dient den Schönen nicht zum Hohne,Die aus der Anmuth fliesst und durch die Tugend lebt.Verzüge falscher Zucht, der wahren Keuschheit Affen,140Der Hochmuth hat euch nur zu unsser Qual geschaffen!

Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser,

Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab;

Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewässer,

Theilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab;

Umhängt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten,

Speist Tunkins Nest1aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd,

Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten,

Räumt Klippen aus der Bahn, schliesst Länder ein zur Jagd;

Wird schon, was ihr gewünscht, das Schicksal unterschreiben

Ihr werdet arm im Glück, im Reichthum elend bleiben!

Wann Gold und Ehre sich zu Clios Dienst verbinden,

Keimt doch kein Funken Freud in dem verstörten Sinn.

Der Dinge Werth ist das, was wir davon empfinden;

Vor seiner theuren Last flieht er zum Tode hin.

Was hat ein Fürst bevor, das einem Schäfer fehlet?

Der Zepter eckelt ihm, wie dem sein Hirten-Stab.

Weh ihm, wann ihn der Geiz, wann ihn die Ehrsucht quälet,

Die Schaar, die um ihn wacht, hält den Verdruss nicht ab.

Wann aber seinen Sinn gesetzte Stille wieget,

Entschläft der minder sanft, der nicht auf Eidern lieget?

Beglückte güldne Zeit, Geschenk der ersten Güte,

O, dass der Himmel dich so zeitig weggerückt!

Nicht, weil die junge Welt in stätem Frühling blühte,

Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepflückt;

Nicht, weil freiwillig Korn die falben Felder deckte

Und Honig mit der Milch in dicken Strömen lief;

Nicht, weil kein kühner Löw die schwachen Hürden schreckte,

Und ein verirrtes Lamm bei Wolfen sicher schlief;

Nein, weil der Mensch zum Glück den Überfluss nicht zählte,

Ihm Nothdurft Reichtum war und Gold zum Sorgen fehlte!

Ihr Schüler der Natur, ihr kennt noch güldne Zeiten!

Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht;

Wer misst den äussern Glanz scheinbarer2Eitelkeiten,

Wann Tugend Müh zur Lust und Armuth glücklich macht?

Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen,

Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl;

Der lange Winter kürzt des Frühlings späte Wochen,

Und ein verewigt Eis umringt das kühle Thal;

Doch eurer Sitten Werth hat alles das verbessert,

Der Elemente Neid hat euer Glück vergrössert.

Wohl dir, vergnügtes Volk! o danke dem Geschicke,

Das dir der Laster Quell, den Überfluss, versagt;

Dem, den sein Stand vergnügt, dient Armuth selbst zum Glücke,

Da Pracht und Üppigkeit der Länder Stütze nagt.

Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zählte,

War Brei der Helden Speis und Holz der Götter Haus;

Als aber ihm das Maass von seinem Reichthum fehlte,

Trat bald der schwächste Feind den feigen Stolz in Graus.

Du aber hüte dich, was grössers zu begehren;

So lang die Einfalt daurt, wird auch der Wohlstand währen.

Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,

Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt3;

Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zäunen,

Weil sich die Menschen selbst die grössten Plagen sind.

Dein Trank ist reine Flut und Milch die reichsten Speisen,

Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Würze zu;

Der Berge tiefer Schacht giebt dir nur schwirrend4Eisen,

Wie sehr wünscht Peru nicht, so arm zu sein als du.

Dann, wo die Freiheit herrscht, wird alle Mühe minder,

Die Felsen selbst beblümt und Boreas gelinder.

Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern!

Der Reichthum hat kein Gut, das eurer Armuth gleicht;

Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemüthern,

Weil kein beglänzter Wahn euch Zweitrachtsäpfel reicht;

Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,

Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht hasst;

Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,

Die, was ihr nöthig, sucht und mehrers hält für Last.

Was Epictet gethan und Seneca geschrieben,

Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen lieben.

Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,

Der Tugend unterthan und Laster edel macht;

Kein müssiger Verdruss verlängert hier die Stunden,

Die Arbeit füllt den Tag und Ruh besetzt die Nacht;

Hier lässt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,

Des morgens Sonne frisst des heutes Freude nie.

Die Freiheit theilt dem Volk, aus milden Mutter-Händen,

Mit immer gleichem Maass Vergnügen, Ruh und Müh;

Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glücke,

Man isst, man schläft, man liebt und danket dem Geschicke

Zwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schätze,

Man misst die Strassen nicht zu Rom und zu Athen,

Man bindet die Vernunft an keine Schulgesetze,

Und niemand lehrt die Sonn in ihren Kreisen gehn.

O Witz! des Weisen Tand, wann hast du ihn vergnüget?

Er kennt den Bau der Welt und stirbt sich unbekannt;

Die Wollust wird bei ihm vergällt und nicht besieget,

Sein künstlicher Geschmack beeckelt seinen Stand;

Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben,

Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben.

Hier macht kein wechselnd Glück die Zeiten unterschieden,

Die Thränen folgen nicht auf kurze Freudigkeit;

Das Leben rinnt dahin, in ungestörtem Frieden,

Heut ist wie gestern war und morgen wird wie heut.

Kein ungewohnter Fall bezeichnet hier die Tage,

Kein Unstern malt sie schwarz, kein schwülstig Glücke roth.

Der Jahre Lust und Müh ruhn stets auf gleicher Waage,

Des Lebens Staffeln sind nichts als Geburt und Tod.

Nur hat die Fröhlichkeit bisweilen wenig Stunden

Dem unverdrossnen Volk nicht ohne Müh entwunden.

Wann durch die schwüle Luft gedämpfte Winde streichen,

Und ein begeistert Blut in jungen Adern glüht,

So sammlet sich ein Dorf im Schatten breiter Eichen,

Wo Kunst und Anmuth sich um Lieb und Lob bemüht.

Hier ringt ein kühnes Paar, vermählt den Ernst dem Spiele

Umwindet Leib um Leib und schlinget Huft um Huft.

Dort fliegt ein schwerer Stein nach dem gesteckten Ziele,

Von starker Hand beseelt, durch die zertrennte Luft.

Den aber führt die Lust, was edlers zu beginnen,

Zu einer muntern Schaar von jungen Schäferinnen.

Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weisse,

Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen Jetzt durchbohrt;

Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten Gleisse

Nach dem erwählten Zweck mit langen Sätzen fort.

Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen Händen

In dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schallmei,

Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Tacte wenden,

So legt die Fröhlichkeit doch ihnen Flügel bei.

Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,

Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.

Denn hier, wo die Natur allein Gesetze giebet,

Umschliesst kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.

Was liebenswürdig ist, wird ohne Scheu geliebet,

Verdienst macht alles werth und Liebe macht es gleich.

Die Anmuth wird hier auch in Armen schön gefunden,

Man wiegt die Gunst hier nicht für schwere Kisten hin,

Die Ehrsucht theilet nie, was Werth und Huld verbunden,

Die Staatssucht macht sich nicht zur Unglücks-Kupplerin:

Die Liebe brennt hier frei und scheut kein Donnerwetter,

Man liebet für sich selbst und nicht für seine Väter.

So bald ein junger Hirt die sanfte Glut empfunden,

Die leicht ein schmachtend Aug in muntern Geistern schürt,

So wird des Schäfers Mund von keiner Furcht gebunden,

Ein ungeheuchelt Wort bekennet, was ihn rührt;

Sie hört ihn und, verdient sein Brand ihr Herz zum Lohne,

So sagt sie, was sie fühlt, und thut, wornach sie strebt;

Dann zarte Regung dient den Schönen nicht zum Hohne,

Die aus der Anmuth fliesst und durch die Tugend lebt.

Verzüge falscher Zucht, der wahren Keuschheit Affen,

Der Hochmuth hat euch nur zu unsser Qual geschaffen!


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