Chapter 21

1.Lines 24 ff. Klopstock here follows John xii, making Jesus ‘hide himself’ from the palm-strewing people before entering the city gate.2.Säuseln; the ‘still small voice’ of I Kings xix, 12.3.Wandelndes=fortwandelndes, ‘continuing.’4.Abgrunds; the ‘pit’ of hell, where the imprisoned fathers are waiting to be released.2Wingolf5: The eighth song.Komm, goldne Zeit, die selten zu SterblichenHeruntersteiget, lass dich erflehn, und kommZu uns, wo dir es schon im HaineWeht, und herab von dem Quell schon tönet!Gedankenvoller, tief in EntzückungenVerloren, schwebt bei dir die Natur. Sie hat’sGetan! hat Seelen, die sich fühlen,Fliegen den Geniusflug, gebildet.Natur, dich hört’ ich im UnermesslichenHerwandeln, wie, mit Sphärengesangeston,Argo, von Dichtern nur vernommen,Strahlend im Meere der Lüfte wandelt.Aus allen goldnen Zeiten begleiten dich,Natur, die Dichter! Dichter des Altertums!Der späten Nachwelt Dichter! SegnendSehn sie ihr heilig Geschlecht hervorgehn.5.The entire ode, dating from 1747 and consisting of eight ‘songs’ in Alcaic meter, was at first entitledAn des Dichters Freunde. Wingolf, as it was finally called, is the Norse Gimle, the abode of the blest after Ragnarok. The seven preceding songs extol the various friends who, united in a new Bardenhain, are to usher in a new Golden Age.3An Fanny.6Wenn einst ich tot bin, wenn mein Gebein zu StaubIst eingesunken, wenn du, mein Auge, nunLang über meines Lebens Schicksal,Brechend im Tode nun ausgeweint hast,5Und stillanbetend da, wo die Zukunft ist,Nicht mehr hinaufblickst, wenn mein ersungner Ruhm,Die Frucht von meiner Jünglingsträne,7Und von der Liebe zu dir, Messias,Nun auch verweht ist, oder von wenigen10In jene Welt hinüber gerettet ward;Wenn du alsdann auch, meine Fanny,Lange schon tot bist, und deines AugesStillheitres Lächeln, und sein beseelter BlickAuch ist verloschen, wenn du, vom Volke nicht15Bemerket, deines ganzen LebensEdlere Taten nunmehr getan hast,Des Nachruhms werter als ein unsterblich Lied,Ach, wenn du dann auch einen beglückteren8Als mich geliebt hast, lass den Stolz mir,20Einen beglückteren, doch nicht edleren!Dann wird ein Tag sein, den werd’ ich auferstehn!Dann wird ein Tag sein, den wirst du auferstehn!Dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen,Die du einander, Natur, bestimmtest.25Dann wägt, die Wagschal’ in der gehobnen Hand,Gott Glück und Tugend gegen einander gleich;Was in der Dinge Lauf jetzt missklingt,Tönet in ewigen Harmonien!Wenn dann du dastehst jugendlich auferweckt,30Dann eil’ ich zu dir! säume nicht, bis mich erstEin Seraph bei der Rechten fasse,Und mich, Unsterbliche, zu dir führe.Dann soll dein Bruder, innig von mir umarmt,Zu dir auch eilen! dann will ich tränenvoll,35Voll froher Tränen jenes LebensNeben dir stehn, dich mit Namen nennen,Und dich umarmen! Dann, o Unsterblichkeit,Gehörst du ganz uns! Kommt, die das Lied nicht singt,Kommt unaussprechlich süsse Freuden!40So unaussprechlich, als jetzt mein Schmerz ist.Rinn, unterdes, o Leben! Sie kommt gewiss,Die Stunde, die uns nach der Zypresse ruft.Ihr andern, seid der schwermutsvollenLiebe geweiht, und umwölkt und dunkel!6.The ode dates from 1748. Fanny Schmidt was a young woman whose indifference to Klopstock’s devotion threw him back on the hope of a union in heaven.7.Jünglingsträne; tears of high poetic aspiration.8.Beglückteren, ‘more blest’ with this world’s goods.4Hermann und Thusnelda.Ha, dort kömmt er mit Schweiss, mit Römerblute,9Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! So schön warHermann niemals! So hat’s ihmNie von dem Auge geflammt!5Komm, ich bebe vor Lust! reich mir den AdlerUnd das triefende Schwert! Komm, atm’, und ruh’ hierAus in meiner Umarmung,Von der zu schrecklichen Schlacht!Ruh’ hier, dass ich den Schweiss der Stirn abtrockne,10Und der Wange das Blut! Wie glüht die Wange!Hermann! Hermann! So hat dichNiemals Thusnelda geliebt!Selbst nicht, da du zuerst im EichenschattenMit dem bräunlichen Arm mich wilder fasstest!15Fliehend blieb ich, und sah dirSchon die Unsterblichkeit an,Die nun dein ist! Erzählt’s in allen Hainen,Dass Augustus nun bang mit seinen GötternNektar trinket! Dass Hermann,20Hermann unsterblicher ist!“Warum lockst du mein Haar? Liegt nicht der stummeTote Vater vor uns? O hätt’ AugustusSeine Heere geführt, erLäge noch blutiger da.”25Lass dein sinkendes Haar mich, Hermann, heben,Dass es über dem Kranz in Locken drohe!Siegmar ist bei den Göttern!Folg’ du, und wein’ ihm nicht nach!9.Thusnelda greets her husband on his return from the victory over the Roman legions under Quinctilius Varus in the Teutoburg Wood.LXXI. CHRISTOPH MARTIN WIELAND1733-1813. Wieland’s great service is to have set forth the cultural problems and tendencies of the Age of Reason in an attractive literary form. His most important imaginative works are prose tales and narrative poems having a Greek, a medieval, or an Oriental setting, but dealing in reality with living issues of his own day. HisAgathon(1766-1794) marks the beginning of the GermanBildungsroman. He had much in common with the Gallic genius and was widely read in French translations—the first German to attain that distinction. During the last quarter of the 18th century he was the most popular and influential of German writers.1From ‘Musarion,’ lines 1385-1446; The happy estate of the converted Phanias.11385Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.Mit jedem folgenden find’t jedes sich beglückter,Indem es sich im andern glücklich macht.Durch überstandne Not geschickterZum weiseren Gebrauch, zum reizendern Genuss1390Des Glücks, das, sich mit ihm so unverhofft versöhnte,Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluss;Glückselig, weil er’s war, nicht weil die Welt es wähnte,Bringt Phanias in neidenswerter RuhEin unbeneidet Leben zu,1395In Freuden, die der unverfälschte StempelDer Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,Trifft seine Hütte nicht—den TempelDer Grazien, seitdem Musarion sie ziert.1400Bescheidne Gunst, durch ihren Witz geleitet,Gibt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rührt.Ein Garten, den mit Zephyrn und mit FlorenPomona sich zum Aufenthalt erkoren;1405Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;Ein kleiner Bach, von Ulmen überschattet,An dem der Mittagsschlaf uns ungesucht beschleicht;—Im Garten eine Sommerlaube,1410Wo, zu der Freundin Kuss, der Saft der Purpurtraube,Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar deucht;Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht,Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne—1415Wie vieles macht ihn reich!—denkt noch MusarionHinzu, und sagt, was kann zum frohen LebenDer Götter Gunst ihm mehr und Bessers geben?Die Weisheit nur, den ganzen Wert davonZu fühlen, immer ihn zu fühlen,1420Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen;Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor warKein Cyniker mit ungekämmtem Haar,Kein runzlichter Cleanth,2der, wenn die Flasche blinkt,Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt;1425Die Liebe war’s—wer lehrt so gut wie sie?Auch lernt’ er gern, und schnell, und sonder Müh,Die reizende Philosophie,Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,Vergnügt geniesst, und gern den Rest entbehrt;1430Die Dinge dieser Welt gern von der schönen SeiteBetrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht;Nicht wissen will, was alles das bedeute,Was Zeus aus Huld in rätselhafte NachtVor uns verbarg, und auf die guten Leute1435Der Unterwelt, so sehr sie Toren sind,Nie böse wird, nur lächerlich sie find’tUnd sich dazu—sie drum nicht minder liebet;Den irrenden bedaurt, und nur den Gleisner flieht;Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,1440Doch ohne Sold und aus Geschmack sie übet;Und, glücklich oder nicht, die WeltFür kein Elysium, für keine Hölle hält,Nie so verderbt, als sie der SittenrichterVon seinem Tron—im sechsten Stockwerk—sieht,1445So lustig nie als jugendliche DichterSie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.1.Phanias is at first a crabbed misanthrope. The lovely Musarion takes him in hand and teaches him her art of love as a philosophy of the Graces.2.The Stoic Cleanthes is one of the characters of the poem.2From ‘Agathon,’ Book 16, Chapter 3: The Philosophy of the sage Archytas.3Je mehr ich diesen grossen, alles umfassenden Gedanken4durchzudenken strebe, je völliger fühle ich mich überzeugt, dass sich die ganze Kraft meines Geistes in ihm erschöpft, dass er alle seine wesentlichen Triebe befriedigt, dass ich mit aller möglichen Anstrengung nichts Höheres, Besseres, Vollkommeneres denken kann, und—dass eben dies der stärkste Beweis seiner Wahrheit ist. Von dem Augenblick an, da mir dieser göttlichste aller Gedanken, in der ganzen Klarheit, womit er meine Seele durchstrahlt, so gewiss erscheint, als ich mir selbst meiner vernünftigen Natur bewusst bin, fühle ich,dass ich mehr als ein sterbliches Erdenwesen, unendlich mehr als der blosse Tiermensch bin, der ich äusserlich scheine; fühle, dass ich durch unauflösliche Bande mit allen Wesen zusammenhange, und dass die Tätigkeit meines Geistes, anstatt in die traumähnliche Dauer eines halb tierischen Lebens eingeschränkt zu sein, für eine ewige Reihe immer höherer Auftritte, immer reinerer Enthüllungen, immer kraftvollerer, weiter gränzender Anwendungen eben dieser Vernunft bestimmt ist, die mich schon in diesem Erdenleben zum edelsten aller sichtbaren Wesen macht.Von diesem Augenblick an fühle ich, dass der Geist allein mein wahres Ich sein kann, dass nur seine Geschäfte, sein Wohlstand, seine Glückseligkeit, die meinigen sind; dass es Unsinn wäre, wenn er einen Körper, der ihm bloss als Organ zur Entwicklung und Anwendung seiner Kraft und zu Vermittlung seiner Gemeinschaft und Verbindung mit den übrigen Wesen zugegeben ist, als einen wirklichen Teil seiner selbst betrachten, und das Tier, das ihm dienen soll, als seinesgleichen behandeln wollte; aber mehr als Unsinn, Verbrechen gegen das heiligste aller Naturgesetze, wenn er ihm die Herrschaft über sich einräumen, oder sich in ein schnödes Bündnis gegen sich selbst mit ihm einlassen, eine Art von Centaur aus sich machen, und die Dienste, die ihm das Tier zu leisten genötigt ist, durch seiner selbst unwürdige Gegendienste erwiedern wollte.Von diesem Augenblick an, da mein Rang in der Schöpfung, die Würde eines Bürgers der Stadt Gottes, die mich zum Genossen einer höhern Ordnung der Dinge macht, entschieden ist, gehöre ich nicht mir selbst, nicht einer Familie, nicht einer besondern Bürgergesellschaft, nicht einer einzelnen Gattung, noch dem Erdschollen, den ich mein Vaterland nenne, ausschliesslich an: ich gehöre mit allen meinen Kräften dem grossen Ganzen an, worin mir mein Platz, meine Bestimmung, meine Pflicht, von dem einzigen Oberherrn, den ich über mir erkennen darf, angewiesen ist. Aber eben darum, und nur darum, weil in diesem Erdenleben mein Vaterland der mir unmittelbar angewiesene Posten, meine Hausgenossen, Mitbürger, Mitmenschen, diejenigen sind, auf welche sich meine Tätigkeit sich zunächst beziehen soll, erkenne ich mich verbunden, alles mir Mögliche zu ihrem Besten zu tun und zu leiden, sofern keine höhere Pflicht dadurch verletzt wird. Denn von diesem Augenblickan sind Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit, ohne eigennützige Rücksicht auf mich selbst, die höchsten Gegenstände meiner Liebe; ist das Bestreben, diese reinsten Ausstrahlungen der Gottheit in mir zu sammeln und ausser mir zu verbreiten, mein letzter Zweck, die Regel aller meiner Handlungen, die Norm aller Gesetze, zu deren Befolgung ich mich verbindlich machen darf. Mein Vaterland hat alles von mir zu fordern, was dieser höchsten Pflicht nicht widerspricht: aber sobald sein vermeintes Interesse eine ungerechte Handlung von mir forderte, so hörten für diesen Moment alle seine Ansprüche an mich auf, und wenn Verlust meiner Güter, Verbannung und der Tod selbst auf meiner Weigerung stände, so wäre Armut, Verbannung und Tod der beste Teil, den ich wählen könnte.Kurz, Agathon, von dem Augenblick an, da jener grosse Gedanke von meinem Innern Besitz genommen hat und die Seele aller meiner Triebe, Entschliessungen und Handlungen geworden ist, verschwindet auf immer jede Vorstellung, jede Begierde, jede Leidenschaft, die mein Ich von dem Ganzen, dem es angehört, trennen, meinen Vorteil isolieren, meine Pflicht meinem Nutzen oder Vergnügen unterordnen will. Nun ist mir keine Tugend zu schwer, kein Opfer, das ich ihr bringe, zu teuer, kein Leiden um ihrentwillen unerträglich. Ich scheine, wie du sagtest, mehr als ein gewöhnlicher Mensch; und doch besteht mein ganzes Geheimnis bloss darin, dass ich diesen Gedanken meines göttlichen Ursprungs, meiner bohen Bestimmung, und meines unmittelbaren Zusammenhangs mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen Geist, immer in mir gegenwärtig, hell und lebendig zu erhalten gesucht habe, und dass er durch die Länge der Zeit zu einem immerwährenden leisen Gefühl geworden ist. Fühle ich auch (wie es kaum anders möglich ist) zuweilen das Los der Menschheit, den Druck der irdischen Last, die an den Schwingen unseres Geistes hängt, verdüstert sich mein Sinn, ermattet meine Kraft,—so bedarf es nur einiger Augenblicke, worin ich den schlummernden Gedanken der innigen Gegenwart, womit die alles erfüllende Urkraft auch mein innerstes Wesen umfasst und durchdringt, wieder in mir erwecke, und es wird mir, als ob ein Lebensgeist mich anwehe, der die Flamme des meinigen wieder anfacht, wieder Licht durch meinen Geist, Wärme durch mein Herz verbreitet, und michwieder stark zu allem macht, was mir zu tun oder zu leiden auferlegt ist.Und ein System von Ideen, dessen Glaube diese Wirkung tut, sollte noch eines andern Beweises seiner Wahrheit bedürfen als seine blosse Darstellung? Ein Glaube, der die Vernunft so völlig befriedigt, der mir sogar durch sie selbst aufgedrungen wird, und dem ich nicht entsagen kann ohne meiner Vernunft zu entsagen; ein Glaube, der mich auf dem geradesten Wege zur grössten sittlichen Güte und zum reinsten Genuss meines Daseins führt, die in diesem Erdenleben möglich sind; ein Glaube, der, sobald er allgemein würde, die Quellen aller sittlichen Übel verstopfen, und den schönen Dichtertraum vom goldnen Alter in seiner höchsten Vollkommenheit realisieren würde;—ein solcher Glaube beweiset sich selbst, Agathon! und wir können alle seine Gegner getrost auffordern, einen vernunftmässigern und der menschlichen Natur zuträglichern aufzustellen. Wirf einen Blick auf das, was die Menschheit ohne ihn ist,—was sie wäre, wenn sich nicht in den Gesetzgebungen, Religionen, Mysterien und Schulen der Weisen immer einige Strahlen und Funken von ihm unter den Völkern erhalten hätten,—und was sie werden könnte, werden müsste, wenn er jemals herrschend würde,—was sie schon allein durch blosse stufenweise Annäherung gegen dieses vielleicht nie erreichbare Ziel werden wird: und alle Zweifel, alle Einwendungen, die der Unglaube der Sinnlichkeit und die Sophisterei der Dialektik gegen ihn aufbringen können, werden dich so wenig in deiner Überzeugung stören, als ein Sonnenstäubchen eine vom Übergewicht eines Centners niedergedrückte Wagschale steigen machen kann.Ich kenne nur einen einzigen Einwurf gegen ihn, der beim ersten Anblick einige Scheinbarkeit hat; den nämlich, dass er zu erhaben für den grossen Haufen, zu rein und vollkommen für den Zustand sei, zu welchem das Schicksal die Menschen auf dieser Erde verurteilt habe. Aber, wenn es nur zu wahr ist, dass der grösste Teil unsrer Brüder sich in einem Zustande von Rohheit, Unwissenheit, Mangel an Ausbildung, Unterdrückung und Sklaverei befindet, der sie zu einer Art von Tierheit zu verdammen scheint, worin dringende Sorgen für die blosse Erhaltung des animalischen Lebens den Geist niederdrücken und ihn nicht zum Bewusstsein seiner eignen Würde undRechte kommen lassen: wer darf es wagen, die Schuld dieser Herabwürdigung der Menschheit auf das Schicksal zu legen? Liegt sie nicht offenbar an denen, die aus höchst sträflichen Bewegursachen alle nur ersinnlichen Mittel anwenden, sie so lange als möglich in diesem Zustande von Tierheit zu erhalten? —Doch, diese Betrachtung würde uns jetzt zu weit führen! —Genug, wir, mein lieber Agathon, wir kennen unsre Pflicht: nie werden wir, wenn Macht in unsre Hände gegeben wird, unsre Macht anders als zum möglichsten Besten unsrer Brüder gebrauchen; und wenn wir auch sonst nichts vermögen, so werden wir ihnen, so viel an uns ist, zu jenem ‘Kenne dich selbst’ behilflich zu sein suchen, welches sie unmittelbar zu dem einzigen Mittel führt, wodurch den Übeln der Menschheit gründlich geholfen werden kann. Freilich ist dies nur stufenweise, nur durch allmähliche Verbreitung des Lichtes, worin wir unsre wahre Natur und Bestimmung erkennen, möglich: aber auch bei der langsamsten Zunahme desselben, wofern es nur zunimmt, wird es endlich heller Tag werden; denn so lange die Unmöglichkeit einer stufenweise wachsenden Vervollkommnung aller geistigen Wesen unerweislich bleiben wird, können wir jenen trostlosen Zirkel, worin sich das Menschengeschlecht, nach der Meinung einiger Halbweisen, ewig herumdrehen soll, zuversichtlich für eine Chimäre halten. Bei einer solchen Meinung mag wohl die Trägheit einzelner sinnlicher Menschen ihre Rechnung finden: aber sie ist weder dem Menschen im ganzen zuträglich, noch mit dem Begriffe, den die Vernunft sich von der Natur des Geistes macht, noch mit dem Plane des Weltalls vereinbar, den wir uns, als das Werk der höchsten Weisheit und Güte, schlechterdings in der höchsten Vollkommenheit, die wir mit unsrer Denkkraft erreichen können, vorzustellen schuldig sind; und dies um so mehr, da wir nicht zweifeln dürfen, dass die undurchbrechbaren Schranken unsrer Natur, auch bei der höchsten Anstrengung unsrer Kraft, uns immer unendlich weit unter der wirklichen Vollkommenheit dieses Plans und seiner Ausführung züruckbleiben lassen.Auch der Einwurf, dass der Glaube einer Verknüpfung unsers Geistes mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen System der Dinge gar zu leicht die Ursache einer der gefährlichsten Krankheiten des menschlichen Gemütes, der religiösen und dämonistischenSchwärmerei, werden könne, ist von keiner Erheblichkeit. Denn es hängt ja bloss von uns selbst ab, dem Hange zum Wunderbaren die Vernunft zur Grenze zu setzen, Spielen der Phantasie und Gefühlen des Augenblicks keinen zu hohen Wert beizulegen, und die Bilder, unter welchen die alten Dichter der Morgenländer ihre Ahnungen vom Unsichtbaren und Zukünftigen sich und andern zu versinnlichen gesucht haben, für nichts mehr als das, was sie sind, für Bilder übersinnlicher und also unbildlicher Dinge anzusehen. Verschiedenes in der Orphischen Theologie, und das Meiste, was in den Mysterien geoffenbaret wird, scheint aus dieser Quelle geflossen zu sein. Diese lieblichen Träume der Phantasie sind dem kindischen Alter der Menschheit angemessen, und die Morgenländer scheinen auch hierin, wie in allem Übrigen, immer Kinder bleiben zu wollen. Aber uns, deren Geisteskräfte unter einem gemässigtern Himmel und unter dem Einfluss der bürgerlichen Freiheit entwickelt, und durch keine Hieroglyphen, heilige Bücher und vorgeschriebene Glaubensformeln gefesselt werden,—uns, denen erlaubt ist, auch die ehrwürdigsten Fabeln des Altertums für—Fabeln zu halten, liegt es ob, unsre Begriffe immer mehr zu reinigen, und überhaupt von allem, was ausserhalb des Kreises unsrer Sinne liegt, nicht mehr wissen zu wollen, als was die Vernunft selbst davon zu glauben lehrt, und als für unser moralisches Bedürfnis zureicht.Die Schwärmerei, die sich im Schatten einer unbeschäftigten Einsamkeit mit sinnlich-geistigen Phänomenen und Gefühlen nährt, lässt sich freilich an einer so frugalen Beköstigung nicht genügen; sie möchte sich über die Grenzen der Natur wegschwingen, sich durch Überspannung ihres innern Sinnes schon in diesem Leben in einen Zustand versetzen können, der uns vielleicht in einem andern bevorsteht; sie nimmt Träume für Erscheinungen, Schattenbilder für Wesen, Wünsche einer glühenden Phantasie für Genuss; gewöhnt ihr Auge an ein magisches Helldunkel, worin ihm das volle Licht der Vernunft nach und nach unerträglich wird, und berauscht sich in süssen Gefühlen und Ahnungen, die ihr den wahren Zweck des Lebens aus den Augen rücken, die Tätigkeit des Geistes einschläfern, und das unbewachte Herz wehrlos jedem unvermuteten Anfall auf seine Unschuld preisgeben. Gegen diese Krankheit der Seele ist Erfüllung unsrer Pflichten im bürgerlichen und häuslichen Leben dassicherste Verwahrungsmittel; denn innerhalb dieser Schranken ist die Laufbahn eingeschlossen, die uns hienieden angewiesen ist, und es ist blosse Selbsttäuschung, wenn jemand sich berufen glaubt, eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetze zu sein.3.Agathon is a Greek of the 4th centuryB.C.Brought up amid the religious influences of Delphi, he becomes an idealist and a dreamer of fine dreams. He goes to Athens, takes part in politics, is banished and sold into slavery. At Smyrna he is bought by the sophist Hippias, who tries to convert him to a sensualistic philosophy. He falls in love with the beautiful hetæra Danaë, but on learning the story of her other loves, he leaves Smyrna in disgust and goes to Syracuse, where he has divers adventures at the court of the tyrant Dionysius. At last, finding his way to Tarentum, he makes the acquaintance of the sage Archytas, who expounds to him the true philosophy.4.The ‘great thought’ is that the human mind is connected with the invisible world and with the general system of things.LXXII. GOTTHOLD EPHRAIM LESSING1729-1781. The earliest writings of Lessing, consisting of songs, anacreontic verses, epigrams, fables, and prose comedies, belong to an era that was passing. His more significant imaginative work begins withMiss Sara Sampson(1755), the first German tragedy of middle-class life. His three most famous plays,Minna von Barnhelm(1766),Emilia Galotti(1772), andNathan the Wise(1779), are well-known classics, and as such are not included in the scheme of this book. In the field of criticism his most important works are theLetters on Literature(1759-1765), which set a new standard of critical plain-speaking; theLaokoon(1766), which undertook to delimit the provinces of poetry and of plastic art; theHamburg Dramaturgy(1767-1769), which assailed the prestige of the French classical tragedy, and theAnti-Goeze(1778), a notable defense of what is now called the higher criticism. He exerted an immense influence in liberating Germany from the trammels of outworn convention.1Grabschrift auf Voltaire.Hier liegt—wenn man euch glauben wollte,Ihr frommen Herrn!—der längst hier liegen sollte.Der liebe Gott verzeih aus GnadeIhm seine HenriadeUnd seine TrauerspieleUnd seiner Verschen viele;Denn, was er sonst ans Licht gebracht,Das hat er ziemlich gut gemacht.2Der Tod.Gestern, Brüder, könnt ihr’s glauben?Gestern bei dem Saft der Trauben(Bildet euch mein Schrecken ein!)Kam der Tod zu mir herein.5Drohend schwang er seine Hippe,Drohend sprach das Furchtgerippe:Fort, du teurer Bacchusknecht!Fort, du hast genug gezecht!Lieber Tod, sprach ich mit Tränen,10Solltest du nach mir dich sehnen?Sieh, da stehet Wein für dich!Lieber Tod, verschone mich!Lächelnd greift er nach dem Glase,Lächelnd macht er’s auf der Base.15Auf der Pest, Gesundheit leer;Lächelnd setzt er’s wieder her.Fröhlich glaub’ ich mich befreiet,Als er schnell sein Drohn erneuet.Narre, für dein Gläschen Wein20Denkst du, spricht er, los zu sein?Tod, bat ich, ich möcht’ auf ErdenGern ein Mediziner werden.Lass mich! ich verspreche dirMeine Kranken halb dafür.25Gut, wenn das ist, magst du leben,Ruft er. Nur sei mir ergeben!Lebe, bis du satt geküsstUnd des Trinkens müde bist.O, wie schön klingt dies den Ohren!30Tod, du hast mich neu geboren.Dieses Glas voll Rebensaft,Tod, auf gute Brüderschaft!Ewig muss ich also leben,Ewig! denn, beim Gott der Reben!35Ewig soll mich Lieb’ und Wein,Ewig Wein und Lieb’ erfreun!3From ‘Miss Sara Sampson’: Act II, Scene 7.Mellefont.Marwood.1Marwood.Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern?Mellefont(bitter). Aufzuopfern? Sie machen, dass ich mich hier erinnere, dass den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert wurden.Marwood(spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen aus.Mellefont.So sage ich Ihnen, dass ich fest entschlossen bin, nie wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer sind Sie? Und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige, schändliche Buhlerin, die sich jetzt kaum mehr muss erinnern können, einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts vorzuwerfen, als dass ich dasjenige genossen, wasSie ohne mich vielleicht die ganze Welt hätten geniessen lassen. Sie haben mich gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiss, wer Marwood ist, so kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein Vermögen, meine Ehre, mein Glück—Marwood.Und so wollte ich, dass sie dir auch deine Seligkeit kosten müsste! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage ich? Kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinnst, das weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen Wert und kann volkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennen lernte; genug, dass ich in den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich nur hat sie es erfahren, dass ich es nicht sei; durch meine Bereitwilligkeit bloss, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine Hand anzunehmen.Mellefont.Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige.Marwood.Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredet, dass du dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuss du mit niemand als mit mir teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für eine andre als für mich zu entsagen?Mellefont.Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, dass diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin geniessen.Marwood.Ha! Nun seh’ ich’s, was dich eigentlich so trotzig macht! Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, dass ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein— Du wirst mich verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Lebensoll das Andenken meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!Mellefont(erschrocken). Marwood—Marwood.Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weisst, so sieh sie gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden lassen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das kleinste derselben auch da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich—ich werde wenigstens dabei empfinden, wie süss die Rache sei!Mellefont.Sie rasen, Marwood—Marwood.Du erinnerst mich, dass ich nicht gegen den rechten rase. Der Vater muss voran! Er muss schon in jener Welt sein, wenn der Geist seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht— (Sie geht mit einem Dolche, den sie aus dem Busen reisst, auf ihn los). Drum stirb, Verräter!Mellefont.(der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreisst).Unsinniges Weibsbild! Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand aufgehoben sein!Marwood(mit gerungenen Händen). Himmel, was hab’ ich getan? Mellefont—Mellefont.Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiss es doch wohl, was dich reuet; nicht dass du den Stoss tun wollen, sondern dass du ihn nicht tun können.Marwood.Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! Geben Sie mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.4The Seventeenth of the ‘Letters on Literature.’ Feb. 16, 1759.‘Niemand,’ sagen die Verfasser der Bibliothek,2‘wird leugnen, dass die deutsche Schaubühne einen grossen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.’Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. Es wäre zu wünschen, dass sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten oder sind wahre Verschlimmerungen.Als die Neuberin3blühte und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sahe es freilich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln, man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Heldenaktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien, und Prügel waren die witzigsten Einfälle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und grösste Geist zu sein. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und ‘Oui, monsieur’ verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen; er verfertigte, wie ein schweizerischer Kunstrichter4sagt, mit Kleister und Schere seinen ‘Cato’; er liess den ‘Darius’ und die ‘Austern,’ die ‘Elisie,’ und den ‘Bock im Prozesse,’ den ‘Aurelius’ und den ‘Witzling,’ die ‘Banise’ und den ‘Hypochondristen’ ohne Kleister und Schere machen; er legte seinen Fluch auf das Extemporieren; er liess den Harlekin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die grösste Harlekinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht so wohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen sein. Und was für eines neuen? Eines französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei oder nicht.Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, dass wir mehr in den Geschmack der Engländer als der Franzosen einschlagen; dass wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; dass das Grosse, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte; dass uns die zu grosse Einfalt mehr ermüde als die zu grosse Verwickelung u.s.w. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführet haben. —Sagen Sie ja nicht, dass er auch dieses zu nutzen gesucht, wie sein ‘Cato’ es beweise. Denn eben dieses, dass er den Addisonschen ‘Cato’ für das beste englische Trauerspiel hält,5zeiget deutlich, dass er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen und damals keinen Shakespeare, keinen Jonson, keinen Beaumont und Fletcher u.s.w. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiss gewiss, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als dass man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andre Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiss. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden, und am leichtesten von so einem, das alles bloss der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket.Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit grösserer tragischer Dichter als Corneille, obgleich dieser die Alten sehr wohl und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung und Shakespeare in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigne Wege er auch wählet, und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ober gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem ‘Oedipus’ des Sophokles muss in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben als ‘Othello,’ als ‘König Lear,’ als ‘Hamlet’ u.s.w. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerühret hätte als die ‘Zaire’ des Voltaire? Und die ‘Zaire’ des Voltaire, wie weit ist sie unter dem ‘Mohren von Venedig,’ dessen schwache Copie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des Orosmans entlehnet worden?Dass aber unsre alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläufig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen, ‘Doctor Faust’ hat eine Menge Szenen, die nur ein Shakespeare’sches Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen Doctor Faust! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgeteilet, in welchem gewiss viel Grosses liegt. Sind Sie begierig, ihn zu lesen? Hier ist er! —Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Verschwörungen; es erscheinen sieben derselben; und nun fängt sich die dritte Szene des zweiten Aufzugs an:Faust und Sieben GeisterFaust.Ihr? Ihr seid die schnellesten Geister der Hölle?Die Geister Alle.Wir.Faust.Seid ihr alle sieben gleich schnell?Die Geister Alle.Nein.Faust.Und welcher von euch ist der Schnelleste?Die Geister Alle.Der bin ich!Faust.Ein Wunder, dass unter sieben Teufeln nur sechs Lügner sind. —Ich muss euch näher kennen lernen.Der erste Geist.Das wirst du! Einst!Faust.Einst! Wie meinst du das? Predigen die Teufel auch Busse?Der erste Geist.Ja wohl, den Verstockten. —Aber halte uns nicht auf!Faust.Wie heissest du? Und wie schnell bist du?Der erste Geist.Du könntest eher eine Probe als eine Antwort haben.Faust.Nunwohl! Sieh her: was mache ich?Der erste Geist.Du fährst mit deinem Finger schnell durch die Flamme des Lichts—Faust.Und verbrenne mich nicht. So geh auch du und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Hölle und verbrenne dich nicht! —Du verstummst? Du bleibst? —So prahlen auch die Teufel? Ja, ja; keine Sünde ist so klein, dass ihr sie euch nehmen liesset. —Zweiter, wie heissest du?Der zweite Geist.Chil, das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.Faust.Und wie schnell bist du?Der zweite Geist.Denkest du, dass ich meinen Namen vergebens führe? —Wie die Pfeile der Pest.Faust.Nun, so geh und diene einem Arzte! Für mich bist du viel zu langsam. —Du dritter, wie heissest du?Der dritte Geist.Ich heisse Dilla; denn mich tragen die Flügel der Winde.Faust.Und du vierter?Der vierte Geist.Mein Name ist Jutta; denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.Faust.O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrücken, ihr Elenden—Der fünfte Geist.Würdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Körperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.Faust.Und wie schnell bist du?Der fünfte Geist.So schnell als die Gedanken des Menschen.Faust.Das ist etwas! —Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie träge sind sie alsdenn! —Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst; aber wer steht mir dafür, dass du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst hätte trauen sollen. Ach!— (Zum sechsten Geiste) Sage du, wie schnell bist du?Der sechste Geist.So schnell als die Rache des Rächers.Faust.Des Rächers? Welches Rächers?Der sechste Geist.Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnügte.Faust.Teufel! du lästerst; denn ich sehe, du zitterst. —Schnell, sagst du, wie die Rache des—bald hätte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! —Schnell wäre seine Rache? Schnell? —Und ich lebe noch? Und ich sündige noch?Der sechste Geist.Dass er dich noch sündigen lässt, ist schon Rache!Faust.Und dass ein Teufel mich dieses lehren muss! —Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur!— (Zum siebenten Geiste) Wie schnell bist du?Der siebente Geist.Unzuvergnügender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin—Faust.So sage: wie schnell?Der siebente Geist.Nicht mehr und nicht weniger als der Übergang vom Guten zum Bösen.Faust.Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! —Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! —Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! —Als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! u.s.w.Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Szenen hätte? Ich auch.5From ‘Laokoon,’ Chapter 16.Doch ich will versuchen, die Sache6aus ihren ersten Gründen herzuleiten.Ich schliesse so: Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemesVerhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, heissen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei.Gegenstände, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heissen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.Doch alle Körper existieren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und können in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper.Auf der ändern Seite können Handlungen nicht für sich selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen anhängen. Insofern nun diese Wesen Körper sind oder als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.Die Malerei kann in ihren coexistierenden Compositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen und muss daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am Begreiflichsten wird.Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen und muss daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.Hieraus fliesst die Regel von der Einheit der malerischen Beiwörter und der Sparsamkeit in den Schilderungen körperlicher Gegenstände.Ich würde in diese trockene Schlusskette weniger Vertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homers vollkommen bestätigtfände, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis des Homers selbst wäre, die mich darauf gebracht hätte. Nur aus diesen Grundsätzen lässt sich die grosse Manier des Griechen bestimmen und erklären, so wie der entgegengesetzten Manier so vieler neuern Dichter ihr Recht erteilen, die in einem Stücke mit dem Maler wetteifern wollen, in welchem sie notwendig von ihm überwunden werden müssen.Ich finde, Homer malet nichts als fortschreitende Handlungen, und alle Körper, alle einzelne Dinge, malet er nur durch ihren Anteil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Was Wunder also, dass der Maler da, wo Homer malet, wenig oder nichts für sich zu tun siehet, und dass seine Ernte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schöner Körper in schönen Stellungen in einem der Kunst vorteilhaften Raume zusammenbringt, der Dichter selbst mag diese Körper, diese Stellungen, diesen Raum, so wenig malen, als er will.

1.Lines 24 ff. Klopstock here follows John xii, making Jesus ‘hide himself’ from the palm-strewing people before entering the city gate.2.Säuseln; the ‘still small voice’ of I Kings xix, 12.3.Wandelndes=fortwandelndes, ‘continuing.’4.Abgrunds; the ‘pit’ of hell, where the imprisoned fathers are waiting to be released.

1.Lines 24 ff. Klopstock here follows John xii, making Jesus ‘hide himself’ from the palm-strewing people before entering the city gate.

2.Säuseln; the ‘still small voice’ of I Kings xix, 12.

3.Wandelndes=fortwandelndes, ‘continuing.’

4.Abgrunds; the ‘pit’ of hell, where the imprisoned fathers are waiting to be released.

Komm, goldne Zeit, die selten zu Sterblichen

Heruntersteiget, lass dich erflehn, und komm

Zu uns, wo dir es schon im Haine

Weht, und herab von dem Quell schon tönet!

Gedankenvoller, tief in Entzückungen

Verloren, schwebt bei dir die Natur. Sie hat’s

Getan! hat Seelen, die sich fühlen,

Fliegen den Geniusflug, gebildet.

Natur, dich hört’ ich im Unermesslichen

Herwandeln, wie, mit Sphärengesangeston,

Argo, von Dichtern nur vernommen,

Strahlend im Meere der Lüfte wandelt.

Aus allen goldnen Zeiten begleiten dich,

Natur, die Dichter! Dichter des Altertums!

Der späten Nachwelt Dichter! Segnend

Sehn sie ihr heilig Geschlecht hervorgehn.

5.The entire ode, dating from 1747 and consisting of eight ‘songs’ in Alcaic meter, was at first entitledAn des Dichters Freunde. Wingolf, as it was finally called, is the Norse Gimle, the abode of the blest after Ragnarok. The seven preceding songs extol the various friends who, united in a new Bardenhain, are to usher in a new Golden Age.

5.The entire ode, dating from 1747 and consisting of eight ‘songs’ in Alcaic meter, was at first entitledAn des Dichters Freunde. Wingolf, as it was finally called, is the Norse Gimle, the abode of the blest after Ragnarok. The seven preceding songs extol the various friends who, united in a new Bardenhain, are to usher in a new Golden Age.

Wenn einst ich tot bin, wenn mein Gebein zu Staub

Ist eingesunken, wenn du, mein Auge, nun

Lang über meines Lebens Schicksal,

Brechend im Tode nun ausgeweint hast,

Und stillanbetend da, wo die Zukunft ist,

Nicht mehr hinaufblickst, wenn mein ersungner Ruhm,

Die Frucht von meiner Jünglingsträne,7

Und von der Liebe zu dir, Messias,

Nun auch verweht ist, oder von wenigen

In jene Welt hinüber gerettet ward;

Wenn du alsdann auch, meine Fanny,

Lange schon tot bist, und deines Auges

Stillheitres Lächeln, und sein beseelter Blick

Auch ist verloschen, wenn du, vom Volke nicht

Bemerket, deines ganzen Lebens

Edlere Taten nunmehr getan hast,

Des Nachruhms werter als ein unsterblich Lied,

Ach, wenn du dann auch einen beglückteren8

Als mich geliebt hast, lass den Stolz mir,

Einen beglückteren, doch nicht edleren!

Dann wird ein Tag sein, den werd’ ich auferstehn!

Dann wird ein Tag sein, den wirst du auferstehn!

Dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen,

Die du einander, Natur, bestimmtest.

Dann wägt, die Wagschal’ in der gehobnen Hand,

Gott Glück und Tugend gegen einander gleich;

Was in der Dinge Lauf jetzt missklingt,

Tönet in ewigen Harmonien!

Wenn dann du dastehst jugendlich auferweckt,

Dann eil’ ich zu dir! säume nicht, bis mich erst

Ein Seraph bei der Rechten fasse,

Und mich, Unsterbliche, zu dir führe.

Dann soll dein Bruder, innig von mir umarmt,

Zu dir auch eilen! dann will ich tränenvoll,

Voll froher Tränen jenes Lebens

Neben dir stehn, dich mit Namen nennen,

Und dich umarmen! Dann, o Unsterblichkeit,

Gehörst du ganz uns! Kommt, die das Lied nicht singt,

Kommt unaussprechlich süsse Freuden!

So unaussprechlich, als jetzt mein Schmerz ist.

Rinn, unterdes, o Leben! Sie kommt gewiss,

Die Stunde, die uns nach der Zypresse ruft.

Ihr andern, seid der schwermutsvollen

Liebe geweiht, und umwölkt und dunkel!

6.The ode dates from 1748. Fanny Schmidt was a young woman whose indifference to Klopstock’s devotion threw him back on the hope of a union in heaven.7.Jünglingsträne; tears of high poetic aspiration.8.Beglückteren, ‘more blest’ with this world’s goods.

6.The ode dates from 1748. Fanny Schmidt was a young woman whose indifference to Klopstock’s devotion threw him back on the hope of a union in heaven.

7.Jünglingsträne; tears of high poetic aspiration.

8.Beglückteren, ‘more blest’ with this world’s goods.

Ha, dort kömmt er mit Schweiss, mit Römerblute,9

Mit dem Staube der Schlacht bedeckt! So schön war

Hermann niemals! So hat’s ihm

Nie von dem Auge geflammt!

Komm, ich bebe vor Lust! reich mir den Adler

Und das triefende Schwert! Komm, atm’, und ruh’ hier

Aus in meiner Umarmung,

Von der zu schrecklichen Schlacht!

Ruh’ hier, dass ich den Schweiss der Stirn abtrockne,

Und der Wange das Blut! Wie glüht die Wange!

Hermann! Hermann! So hat dich

Niemals Thusnelda geliebt!

Selbst nicht, da du zuerst im Eichenschatten

Mit dem bräunlichen Arm mich wilder fasstest!

Fliehend blieb ich, und sah dir

Schon die Unsterblichkeit an,

Die nun dein ist! Erzählt’s in allen Hainen,

Dass Augustus nun bang mit seinen Göttern

Nektar trinket! Dass Hermann,

Hermann unsterblicher ist!

“Warum lockst du mein Haar? Liegt nicht der stumme

Tote Vater vor uns? O hätt’ Augustus

Seine Heere geführt, er

Läge noch blutiger da.”

Lass dein sinkendes Haar mich, Hermann, heben,

Dass es über dem Kranz in Locken drohe!

Siegmar ist bei den Göttern!

Folg’ du, und wein’ ihm nicht nach!

9.Thusnelda greets her husband on his return from the victory over the Roman legions under Quinctilius Varus in the Teutoburg Wood.

9.Thusnelda greets her husband on his return from the victory over the Roman legions under Quinctilius Varus in the Teutoburg Wood.

1733-1813. Wieland’s great service is to have set forth the cultural problems and tendencies of the Age of Reason in an attractive literary form. His most important imaginative works are prose tales and narrative poems having a Greek, a medieval, or an Oriental setting, but dealing in reality with living issues of his own day. HisAgathon(1766-1794) marks the beginning of the GermanBildungsroman. He had much in common with the Gallic genius and was widely read in French translations—the first German to attain that distinction. During the last quarter of the 18th century he was the most popular and influential of German writers.

1From ‘Musarion,’ lines 1385-1446; The happy estate of the converted Phanias.11385Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.Mit jedem folgenden find’t jedes sich beglückter,Indem es sich im andern glücklich macht.Durch überstandne Not geschickterZum weiseren Gebrauch, zum reizendern Genuss1390Des Glücks, das, sich mit ihm so unverhofft versöhnte,Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluss;Glückselig, weil er’s war, nicht weil die Welt es wähnte,Bringt Phanias in neidenswerter RuhEin unbeneidet Leben zu,1395In Freuden, die der unverfälschte StempelDer Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,Trifft seine Hütte nicht—den TempelDer Grazien, seitdem Musarion sie ziert.1400Bescheidne Gunst, durch ihren Witz geleitet,Gibt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rührt.Ein Garten, den mit Zephyrn und mit FlorenPomona sich zum Aufenthalt erkoren;1405Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;Ein kleiner Bach, von Ulmen überschattet,An dem der Mittagsschlaf uns ungesucht beschleicht;—Im Garten eine Sommerlaube,1410Wo, zu der Freundin Kuss, der Saft der Purpurtraube,Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar deucht;Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht,Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne—1415Wie vieles macht ihn reich!—denkt noch MusarionHinzu, und sagt, was kann zum frohen LebenDer Götter Gunst ihm mehr und Bessers geben?Die Weisheit nur, den ganzen Wert davonZu fühlen, immer ihn zu fühlen,1420Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen;Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor warKein Cyniker mit ungekämmtem Haar,Kein runzlichter Cleanth,2der, wenn die Flasche blinkt,Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt;1425Die Liebe war’s—wer lehrt so gut wie sie?Auch lernt’ er gern, und schnell, und sonder Müh,Die reizende Philosophie,Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,Vergnügt geniesst, und gern den Rest entbehrt;1430Die Dinge dieser Welt gern von der schönen SeiteBetrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht;Nicht wissen will, was alles das bedeute,Was Zeus aus Huld in rätselhafte NachtVor uns verbarg, und auf die guten Leute1435Der Unterwelt, so sehr sie Toren sind,Nie böse wird, nur lächerlich sie find’tUnd sich dazu—sie drum nicht minder liebet;Den irrenden bedaurt, und nur den Gleisner flieht;Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,1440Doch ohne Sold und aus Geschmack sie übet;Und, glücklich oder nicht, die WeltFür kein Elysium, für keine Hölle hält,Nie so verderbt, als sie der SittenrichterVon seinem Tron—im sechsten Stockwerk—sieht,1445So lustig nie als jugendliche DichterSie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.

Der schönste Tag folgt dieser schönen Nacht.

Mit jedem folgenden find’t jedes sich beglückter,

Indem es sich im andern glücklich macht.

Durch überstandne Not geschickter

Zum weiseren Gebrauch, zum reizendern Genuss

Des Glücks, das, sich mit ihm so unverhofft versöhnte,

Gleich fern von Dürftigkeit und stolzem Überfluss;

Glückselig, weil er’s war, nicht weil die Welt es wähnte,

Bringt Phanias in neidenswerter Ruh

Ein unbeneidet Leben zu,

In Freuden, die der unverfälschte Stempel

Der Unschuld und Natur zu echten Freuden prägt.

Der bürgerliche Sturm, der stets Athen bewegt,

Trifft seine Hütte nicht—den Tempel

Der Grazien, seitdem Musarion sie ziert.

Bescheidne Gunst, durch ihren Witz geleitet,

Gibt der Natur, so weit sein Landgut sich verbreitet,

Den stillen Reiz, der ohne Schimmer rührt.

Ein Garten, den mit Zephyrn und mit Floren

Pomona sich zum Aufenthalt erkoren;

Ein Hain, worin sich Amor gern verliert,

Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet;

Ein kleiner Bach, von Ulmen überschattet,

An dem der Mittagsschlaf uns ungesucht beschleicht;—

Im Garten eine Sommerlaube,

Wo, zu der Freundin Kuss, der Saft der Purpurtraube,

Den Thasos schickt, ihm wahrer Nektar deucht;

Ein Nachbar, der Horazens Nachbarn gleicht,

Gesundes Blut, ein unbewölkt Gehirne,

Ein ruhig Herz und eine heitre Stirne—

Wie vieles macht ihn reich!—denkt noch Musarion

Hinzu, und sagt, was kann zum frohen Leben

Der Götter Gunst ihm mehr und Bessers geben?

Die Weisheit nur, den ganzen Wert davon

Zu fühlen, immer ihn zu fühlen,

Und, seines Glückes froh, kein andres zu erzielen;

Auch diese gab sie ihm. Sein Mentor war

Kein Cyniker mit ungekämmtem Haar,

Kein runzlichter Cleanth,2der, wenn die Flasche blinkt,

Wie Zeno spricht und wie Silenus trinkt;

Die Liebe war’s—wer lehrt so gut wie sie?

Auch lernt’ er gern, und schnell, und sonder Müh,

Die reizende Philosophie,

Die, was Natur und Schicksal uns gewährt,

Vergnügt geniesst, und gern den Rest entbehrt;

Die Dinge dieser Welt gern von der schönen Seite

Betrachtet; dem Geschick sich unterwürfig macht;

Nicht wissen will, was alles das bedeute,

Was Zeus aus Huld in rätselhafte Nacht

Vor uns verbarg, und auf die guten Leute

Der Unterwelt, so sehr sie Toren sind,

Nie böse wird, nur lächerlich sie find’t

Und sich dazu—sie drum nicht minder liebet;

Den irrenden bedaurt, und nur den Gleisner flieht;

Nicht stets von Tugend spricht, noch, von ihr sprechend, glüht,

Doch ohne Sold und aus Geschmack sie übet;

Und, glücklich oder nicht, die Welt

Für kein Elysium, für keine Hölle hält,

Nie so verderbt, als sie der Sittenrichter

Von seinem Tron—im sechsten Stockwerk—sieht,

So lustig nie als jugendliche Dichter

Sie malen, wenn ihr Hirn von Wein und Phyllis glüht.

1.Phanias is at first a crabbed misanthrope. The lovely Musarion takes him in hand and teaches him her art of love as a philosophy of the Graces.2.The Stoic Cleanthes is one of the characters of the poem.

1.Phanias is at first a crabbed misanthrope. The lovely Musarion takes him in hand and teaches him her art of love as a philosophy of the Graces.

2.The Stoic Cleanthes is one of the characters of the poem.

Je mehr ich diesen grossen, alles umfassenden Gedanken4durchzudenken strebe, je völliger fühle ich mich überzeugt, dass sich die ganze Kraft meines Geistes in ihm erschöpft, dass er alle seine wesentlichen Triebe befriedigt, dass ich mit aller möglichen Anstrengung nichts Höheres, Besseres, Vollkommeneres denken kann, und—dass eben dies der stärkste Beweis seiner Wahrheit ist. Von dem Augenblick an, da mir dieser göttlichste aller Gedanken, in der ganzen Klarheit, womit er meine Seele durchstrahlt, so gewiss erscheint, als ich mir selbst meiner vernünftigen Natur bewusst bin, fühle ich,dass ich mehr als ein sterbliches Erdenwesen, unendlich mehr als der blosse Tiermensch bin, der ich äusserlich scheine; fühle, dass ich durch unauflösliche Bande mit allen Wesen zusammenhange, und dass die Tätigkeit meines Geistes, anstatt in die traumähnliche Dauer eines halb tierischen Lebens eingeschränkt zu sein, für eine ewige Reihe immer höherer Auftritte, immer reinerer Enthüllungen, immer kraftvollerer, weiter gränzender Anwendungen eben dieser Vernunft bestimmt ist, die mich schon in diesem Erdenleben zum edelsten aller sichtbaren Wesen macht.

Von diesem Augenblick an fühle ich, dass der Geist allein mein wahres Ich sein kann, dass nur seine Geschäfte, sein Wohlstand, seine Glückseligkeit, die meinigen sind; dass es Unsinn wäre, wenn er einen Körper, der ihm bloss als Organ zur Entwicklung und Anwendung seiner Kraft und zu Vermittlung seiner Gemeinschaft und Verbindung mit den übrigen Wesen zugegeben ist, als einen wirklichen Teil seiner selbst betrachten, und das Tier, das ihm dienen soll, als seinesgleichen behandeln wollte; aber mehr als Unsinn, Verbrechen gegen das heiligste aller Naturgesetze, wenn er ihm die Herrschaft über sich einräumen, oder sich in ein schnödes Bündnis gegen sich selbst mit ihm einlassen, eine Art von Centaur aus sich machen, und die Dienste, die ihm das Tier zu leisten genötigt ist, durch seiner selbst unwürdige Gegendienste erwiedern wollte.

Von diesem Augenblick an, da mein Rang in der Schöpfung, die Würde eines Bürgers der Stadt Gottes, die mich zum Genossen einer höhern Ordnung der Dinge macht, entschieden ist, gehöre ich nicht mir selbst, nicht einer Familie, nicht einer besondern Bürgergesellschaft, nicht einer einzelnen Gattung, noch dem Erdschollen, den ich mein Vaterland nenne, ausschliesslich an: ich gehöre mit allen meinen Kräften dem grossen Ganzen an, worin mir mein Platz, meine Bestimmung, meine Pflicht, von dem einzigen Oberherrn, den ich über mir erkennen darf, angewiesen ist. Aber eben darum, und nur darum, weil in diesem Erdenleben mein Vaterland der mir unmittelbar angewiesene Posten, meine Hausgenossen, Mitbürger, Mitmenschen, diejenigen sind, auf welche sich meine Tätigkeit sich zunächst beziehen soll, erkenne ich mich verbunden, alles mir Mögliche zu ihrem Besten zu tun und zu leiden, sofern keine höhere Pflicht dadurch verletzt wird. Denn von diesem Augenblickan sind Wahrheit, Gerechtigkeit, Ordnung, Harmonie und Vollkommenheit, ohne eigennützige Rücksicht auf mich selbst, die höchsten Gegenstände meiner Liebe; ist das Bestreben, diese reinsten Ausstrahlungen der Gottheit in mir zu sammeln und ausser mir zu verbreiten, mein letzter Zweck, die Regel aller meiner Handlungen, die Norm aller Gesetze, zu deren Befolgung ich mich verbindlich machen darf. Mein Vaterland hat alles von mir zu fordern, was dieser höchsten Pflicht nicht widerspricht: aber sobald sein vermeintes Interesse eine ungerechte Handlung von mir forderte, so hörten für diesen Moment alle seine Ansprüche an mich auf, und wenn Verlust meiner Güter, Verbannung und der Tod selbst auf meiner Weigerung stände, so wäre Armut, Verbannung und Tod der beste Teil, den ich wählen könnte.

Kurz, Agathon, von dem Augenblick an, da jener grosse Gedanke von meinem Innern Besitz genommen hat und die Seele aller meiner Triebe, Entschliessungen und Handlungen geworden ist, verschwindet auf immer jede Vorstellung, jede Begierde, jede Leidenschaft, die mein Ich von dem Ganzen, dem es angehört, trennen, meinen Vorteil isolieren, meine Pflicht meinem Nutzen oder Vergnügen unterordnen will. Nun ist mir keine Tugend zu schwer, kein Opfer, das ich ihr bringe, zu teuer, kein Leiden um ihrentwillen unerträglich. Ich scheine, wie du sagtest, mehr als ein gewöhnlicher Mensch; und doch besteht mein ganzes Geheimnis bloss darin, dass ich diesen Gedanken meines göttlichen Ursprungs, meiner bohen Bestimmung, und meines unmittelbaren Zusammenhangs mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen Geist, immer in mir gegenwärtig, hell und lebendig zu erhalten gesucht habe, und dass er durch die Länge der Zeit zu einem immerwährenden leisen Gefühl geworden ist. Fühle ich auch (wie es kaum anders möglich ist) zuweilen das Los der Menschheit, den Druck der irdischen Last, die an den Schwingen unseres Geistes hängt, verdüstert sich mein Sinn, ermattet meine Kraft,—so bedarf es nur einiger Augenblicke, worin ich den schlummernden Gedanken der innigen Gegenwart, womit die alles erfüllende Urkraft auch mein innerstes Wesen umfasst und durchdringt, wieder in mir erwecke, und es wird mir, als ob ein Lebensgeist mich anwehe, der die Flamme des meinigen wieder anfacht, wieder Licht durch meinen Geist, Wärme durch mein Herz verbreitet, und michwieder stark zu allem macht, was mir zu tun oder zu leiden auferlegt ist.

Und ein System von Ideen, dessen Glaube diese Wirkung tut, sollte noch eines andern Beweises seiner Wahrheit bedürfen als seine blosse Darstellung? Ein Glaube, der die Vernunft so völlig befriedigt, der mir sogar durch sie selbst aufgedrungen wird, und dem ich nicht entsagen kann ohne meiner Vernunft zu entsagen; ein Glaube, der mich auf dem geradesten Wege zur grössten sittlichen Güte und zum reinsten Genuss meines Daseins führt, die in diesem Erdenleben möglich sind; ein Glaube, der, sobald er allgemein würde, die Quellen aller sittlichen Übel verstopfen, und den schönen Dichtertraum vom goldnen Alter in seiner höchsten Vollkommenheit realisieren würde;—ein solcher Glaube beweiset sich selbst, Agathon! und wir können alle seine Gegner getrost auffordern, einen vernunftmässigern und der menschlichen Natur zuträglichern aufzustellen. Wirf einen Blick auf das, was die Menschheit ohne ihn ist,—was sie wäre, wenn sich nicht in den Gesetzgebungen, Religionen, Mysterien und Schulen der Weisen immer einige Strahlen und Funken von ihm unter den Völkern erhalten hätten,—und was sie werden könnte, werden müsste, wenn er jemals herrschend würde,—was sie schon allein durch blosse stufenweise Annäherung gegen dieses vielleicht nie erreichbare Ziel werden wird: und alle Zweifel, alle Einwendungen, die der Unglaube der Sinnlichkeit und die Sophisterei der Dialektik gegen ihn aufbringen können, werden dich so wenig in deiner Überzeugung stören, als ein Sonnenstäubchen eine vom Übergewicht eines Centners niedergedrückte Wagschale steigen machen kann.

Ich kenne nur einen einzigen Einwurf gegen ihn, der beim ersten Anblick einige Scheinbarkeit hat; den nämlich, dass er zu erhaben für den grossen Haufen, zu rein und vollkommen für den Zustand sei, zu welchem das Schicksal die Menschen auf dieser Erde verurteilt habe. Aber, wenn es nur zu wahr ist, dass der grösste Teil unsrer Brüder sich in einem Zustande von Rohheit, Unwissenheit, Mangel an Ausbildung, Unterdrückung und Sklaverei befindet, der sie zu einer Art von Tierheit zu verdammen scheint, worin dringende Sorgen für die blosse Erhaltung des animalischen Lebens den Geist niederdrücken und ihn nicht zum Bewusstsein seiner eignen Würde undRechte kommen lassen: wer darf es wagen, die Schuld dieser Herabwürdigung der Menschheit auf das Schicksal zu legen? Liegt sie nicht offenbar an denen, die aus höchst sträflichen Bewegursachen alle nur ersinnlichen Mittel anwenden, sie so lange als möglich in diesem Zustande von Tierheit zu erhalten? —Doch, diese Betrachtung würde uns jetzt zu weit führen! —Genug, wir, mein lieber Agathon, wir kennen unsre Pflicht: nie werden wir, wenn Macht in unsre Hände gegeben wird, unsre Macht anders als zum möglichsten Besten unsrer Brüder gebrauchen; und wenn wir auch sonst nichts vermögen, so werden wir ihnen, so viel an uns ist, zu jenem ‘Kenne dich selbst’ behilflich zu sein suchen, welches sie unmittelbar zu dem einzigen Mittel führt, wodurch den Übeln der Menschheit gründlich geholfen werden kann. Freilich ist dies nur stufenweise, nur durch allmähliche Verbreitung des Lichtes, worin wir unsre wahre Natur und Bestimmung erkennen, möglich: aber auch bei der langsamsten Zunahme desselben, wofern es nur zunimmt, wird es endlich heller Tag werden; denn so lange die Unmöglichkeit einer stufenweise wachsenden Vervollkommnung aller geistigen Wesen unerweislich bleiben wird, können wir jenen trostlosen Zirkel, worin sich das Menschengeschlecht, nach der Meinung einiger Halbweisen, ewig herumdrehen soll, zuversichtlich für eine Chimäre halten. Bei einer solchen Meinung mag wohl die Trägheit einzelner sinnlicher Menschen ihre Rechnung finden: aber sie ist weder dem Menschen im ganzen zuträglich, noch mit dem Begriffe, den die Vernunft sich von der Natur des Geistes macht, noch mit dem Plane des Weltalls vereinbar, den wir uns, als das Werk der höchsten Weisheit und Güte, schlechterdings in der höchsten Vollkommenheit, die wir mit unsrer Denkkraft erreichen können, vorzustellen schuldig sind; und dies um so mehr, da wir nicht zweifeln dürfen, dass die undurchbrechbaren Schranken unsrer Natur, auch bei der höchsten Anstrengung unsrer Kraft, uns immer unendlich weit unter der wirklichen Vollkommenheit dieses Plans und seiner Ausführung züruckbleiben lassen.

Auch der Einwurf, dass der Glaube einer Verknüpfung unsers Geistes mit der unsichtbaren Welt und dem allgemeinen System der Dinge gar zu leicht die Ursache einer der gefährlichsten Krankheiten des menschlichen Gemütes, der religiösen und dämonistischenSchwärmerei, werden könne, ist von keiner Erheblichkeit. Denn es hängt ja bloss von uns selbst ab, dem Hange zum Wunderbaren die Vernunft zur Grenze zu setzen, Spielen der Phantasie und Gefühlen des Augenblicks keinen zu hohen Wert beizulegen, und die Bilder, unter welchen die alten Dichter der Morgenländer ihre Ahnungen vom Unsichtbaren und Zukünftigen sich und andern zu versinnlichen gesucht haben, für nichts mehr als das, was sie sind, für Bilder übersinnlicher und also unbildlicher Dinge anzusehen. Verschiedenes in der Orphischen Theologie, und das Meiste, was in den Mysterien geoffenbaret wird, scheint aus dieser Quelle geflossen zu sein. Diese lieblichen Träume der Phantasie sind dem kindischen Alter der Menschheit angemessen, und die Morgenländer scheinen auch hierin, wie in allem Übrigen, immer Kinder bleiben zu wollen. Aber uns, deren Geisteskräfte unter einem gemässigtern Himmel und unter dem Einfluss der bürgerlichen Freiheit entwickelt, und durch keine Hieroglyphen, heilige Bücher und vorgeschriebene Glaubensformeln gefesselt werden,—uns, denen erlaubt ist, auch die ehrwürdigsten Fabeln des Altertums für—Fabeln zu halten, liegt es ob, unsre Begriffe immer mehr zu reinigen, und überhaupt von allem, was ausserhalb des Kreises unsrer Sinne liegt, nicht mehr wissen zu wollen, als was die Vernunft selbst davon zu glauben lehrt, und als für unser moralisches Bedürfnis zureicht.

Die Schwärmerei, die sich im Schatten einer unbeschäftigten Einsamkeit mit sinnlich-geistigen Phänomenen und Gefühlen nährt, lässt sich freilich an einer so frugalen Beköstigung nicht genügen; sie möchte sich über die Grenzen der Natur wegschwingen, sich durch Überspannung ihres innern Sinnes schon in diesem Leben in einen Zustand versetzen können, der uns vielleicht in einem andern bevorsteht; sie nimmt Träume für Erscheinungen, Schattenbilder für Wesen, Wünsche einer glühenden Phantasie für Genuss; gewöhnt ihr Auge an ein magisches Helldunkel, worin ihm das volle Licht der Vernunft nach und nach unerträglich wird, und berauscht sich in süssen Gefühlen und Ahnungen, die ihr den wahren Zweck des Lebens aus den Augen rücken, die Tätigkeit des Geistes einschläfern, und das unbewachte Herz wehrlos jedem unvermuteten Anfall auf seine Unschuld preisgeben. Gegen diese Krankheit der Seele ist Erfüllung unsrer Pflichten im bürgerlichen und häuslichen Leben dassicherste Verwahrungsmittel; denn innerhalb dieser Schranken ist die Laufbahn eingeschlossen, die uns hienieden angewiesen ist, und es ist blosse Selbsttäuschung, wenn jemand sich berufen glaubt, eine Ausnahme von diesem allgemeinen Gesetze zu sein.

3.Agathon is a Greek of the 4th centuryB.C.Brought up amid the religious influences of Delphi, he becomes an idealist and a dreamer of fine dreams. He goes to Athens, takes part in politics, is banished and sold into slavery. At Smyrna he is bought by the sophist Hippias, who tries to convert him to a sensualistic philosophy. He falls in love with the beautiful hetæra Danaë, but on learning the story of her other loves, he leaves Smyrna in disgust and goes to Syracuse, where he has divers adventures at the court of the tyrant Dionysius. At last, finding his way to Tarentum, he makes the acquaintance of the sage Archytas, who expounds to him the true philosophy.4.The ‘great thought’ is that the human mind is connected with the invisible world and with the general system of things.

3.Agathon is a Greek of the 4th centuryB.C.Brought up amid the religious influences of Delphi, he becomes an idealist and a dreamer of fine dreams. He goes to Athens, takes part in politics, is banished and sold into slavery. At Smyrna he is bought by the sophist Hippias, who tries to convert him to a sensualistic philosophy. He falls in love with the beautiful hetæra Danaë, but on learning the story of her other loves, he leaves Smyrna in disgust and goes to Syracuse, where he has divers adventures at the court of the tyrant Dionysius. At last, finding his way to Tarentum, he makes the acquaintance of the sage Archytas, who expounds to him the true philosophy.

4.The ‘great thought’ is that the human mind is connected with the invisible world and with the general system of things.

1729-1781. The earliest writings of Lessing, consisting of songs, anacreontic verses, epigrams, fables, and prose comedies, belong to an era that was passing. His more significant imaginative work begins withMiss Sara Sampson(1755), the first German tragedy of middle-class life. His three most famous plays,Minna von Barnhelm(1766),Emilia Galotti(1772), andNathan the Wise(1779), are well-known classics, and as such are not included in the scheme of this book. In the field of criticism his most important works are theLetters on Literature(1759-1765), which set a new standard of critical plain-speaking; theLaokoon(1766), which undertook to delimit the provinces of poetry and of plastic art; theHamburg Dramaturgy(1767-1769), which assailed the prestige of the French classical tragedy, and theAnti-Goeze(1778), a notable defense of what is now called the higher criticism. He exerted an immense influence in liberating Germany from the trammels of outworn convention.

Hier liegt—wenn man euch glauben wollte,

Ihr frommen Herrn!—der längst hier liegen sollte.

Der liebe Gott verzeih aus Gnade

Ihm seine Henriade

Und seine Trauerspiele

Und seiner Verschen viele;

Denn, was er sonst ans Licht gebracht,

Das hat er ziemlich gut gemacht.

Gestern, Brüder, könnt ihr’s glauben?

Gestern bei dem Saft der Trauben

(Bildet euch mein Schrecken ein!)

Kam der Tod zu mir herein.

Drohend schwang er seine Hippe,

Drohend sprach das Furchtgerippe:

Fort, du teurer Bacchusknecht!

Fort, du hast genug gezecht!

Lieber Tod, sprach ich mit Tränen,

Solltest du nach mir dich sehnen?

Sieh, da stehet Wein für dich!

Lieber Tod, verschone mich!

Lächelnd greift er nach dem Glase,

Lächelnd macht er’s auf der Base.

Auf der Pest, Gesundheit leer;

Lächelnd setzt er’s wieder her.

Fröhlich glaub’ ich mich befreiet,

Als er schnell sein Drohn erneuet.

Narre, für dein Gläschen Wein

Denkst du, spricht er, los zu sein?

Tod, bat ich, ich möcht’ auf Erden

Gern ein Mediziner werden.

Lass mich! ich verspreche dir

Meine Kranken halb dafür.

Gut, wenn das ist, magst du leben,

Ruft er. Nur sei mir ergeben!

Lebe, bis du satt geküsst

Und des Trinkens müde bist.

O, wie schön klingt dies den Ohren!

Tod, du hast mich neu geboren.

Dieses Glas voll Rebensaft,

Tod, auf gute Brüderschaft!

Ewig muss ich also leben,

Ewig! denn, beim Gott der Reben!

Ewig soll mich Lieb’ und Wein,

Ewig Wein und Lieb’ erfreun!

Mellefont.Marwood.1Marwood.Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern?Mellefont(bitter). Aufzuopfern? Sie machen, dass ich mich hier erinnere, dass den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert wurden.Marwood(spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen aus.Mellefont.So sage ich Ihnen, dass ich fest entschlossen bin, nie wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer sind Sie? Und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige, schändliche Buhlerin, die sich jetzt kaum mehr muss erinnern können, einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts vorzuwerfen, als dass ich dasjenige genossen, wasSie ohne mich vielleicht die ganze Welt hätten geniessen lassen. Sie haben mich gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiss, wer Marwood ist, so kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein Vermögen, meine Ehre, mein Glück—Marwood.Und so wollte ich, dass sie dir auch deine Seligkeit kosten müsste! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage ich? Kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinnst, das weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen Wert und kann volkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennen lernte; genug, dass ich in den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich nur hat sie es erfahren, dass ich es nicht sei; durch meine Bereitwilligkeit bloss, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine Hand anzunehmen.Mellefont.Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige.Marwood.Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredet, dass du dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuss du mit niemand als mit mir teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für eine andre als für mich zu entsagen?Mellefont.Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, dass diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin geniessen.Marwood.Ha! Nun seh’ ich’s, was dich eigentlich so trotzig macht! Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, dass ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein— Du wirst mich verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Lebensoll das Andenken meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!Mellefont(erschrocken). Marwood—Marwood.Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weisst, so sieh sie gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden lassen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das kleinste derselben auch da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich—ich werde wenigstens dabei empfinden, wie süss die Rache sei!Mellefont.Sie rasen, Marwood—Marwood.Du erinnerst mich, dass ich nicht gegen den rechten rase. Der Vater muss voran! Er muss schon in jener Welt sein, wenn der Geist seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht— (Sie geht mit einem Dolche, den sie aus dem Busen reisst, auf ihn los). Drum stirb, Verräter!Mellefont.(der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreisst).Unsinniges Weibsbild! Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand aufgehoben sein!Marwood(mit gerungenen Händen). Himmel, was hab’ ich getan? Mellefont—Mellefont.Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiss es doch wohl, was dich reuet; nicht dass du den Stoss tun wollen, sondern dass du ihn nicht tun können.Marwood.Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! Geben Sie mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.

Mellefont.Marwood.1

Marwood.Nun sind wir allein. Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern?

Mellefont(bitter). Aufzuopfern? Sie machen, dass ich mich hier erinnere, dass den alten Göttern auch sehr unreine Tiere geopfert wurden.

Marwood(spöttisch). Drücken Sie sich ohne so gelehrte Anspielungen aus.

Mellefont.So sage ich Ihnen, dass ich fest entschlossen bin, nie wieder ohne die schrecklichsten Verwünschungen an Sie zu denken. Wer sind Sie? Und wer ist Sara? Sie sind eine wollüstige, eigennützige, schändliche Buhlerin, die sich jetzt kaum mehr muss erinnern können, einmal unschuldig gewesen zu sein. Ich habe mir mit Ihnen nichts vorzuwerfen, als dass ich dasjenige genossen, wasSie ohne mich vielleicht die ganze Welt hätten geniessen lassen. Sie haben mich gesucht, nicht ich Sie; und wenn ich nunmehr weiss, wer Marwood ist, so kömmt mir diese Kenntnis teuer genug zu stehen. Sie kostet mir mein Vermögen, meine Ehre, mein Glück—

Marwood.Und so wollte ich, dass sie dir auch deine Seligkeit kosten müsste! Ungeheuer! Ist der Teufel ärger als du, der schwache Menschen zu Verbrechen reizet und sie dieser Verbrechen wegen, die sein Werk sind, hernach selbst anklagt? Was geht dich meine Unschuld an, wann und wie ich sie verloren habe? Habe ich dir meine Tugend nicht preisgeben können, so habe ich doch meinen guten Namen für dich in die Schanze geschlagen. Jene ist nichts kostbarer als dieser. Was sage ich? Kostbarer? Sie ist ohne ihn ein albernes Hirngespinnst, das weder ruhig noch glücklich macht. Er allein gibt ihr noch einigen Wert und kann volkommen ohne sie bestehen. Mochte ich doch sein, wer ich wollte, ehe ich dich, Scheusal, kennen lernte; genug, dass ich in den Augen der Welt für ein Frauenzimmer ohne Tadel galt. Durch dich nur hat sie es erfahren, dass ich es nicht sei; durch meine Bereitwilligkeit bloss, dein Herz, wie ich damals glaubte, ohne deine Hand anzunehmen.

Mellefont.Eben diese Bereitwilligkeit verdammt dich, Niederträchtige.

Marwood.Erinnerst du dich aber, welchen nichtswürdigen Kunstgriffen du sie zu verdanken hattest? Ward ich nicht von dir beredet, dass du dich in keine öffentliche Verbindung einlassen könntest, ohne einer Erbschaft verlustig zu werden, deren Genuss du mit niemand als mit mir teilen wolltest? Ist es nun Zeit, ihrer zu entsagen? Und ihrer für eine andre als für mich zu entsagen?

Mellefont.Es ist mir eine wahre Wollust, Ihnen melden zu können, dass diese Schwierigkeit nunmehr bald wird gehoben sein. Begnügen Sie sich also nur, mich um mein väterliches Erbteil gebracht zu haben, und lassen mich ein weit geringeres mit einer würdigern Gattin geniessen.

Marwood.Ha! Nun seh’ ich’s, was dich eigentlich so trotzig macht! Wohl, ich will kein Wort mehr verlieren. Es sei darum! Rechne darauf, dass ich alles anwenden will, dich zu vergessen. Und das erste, was ich in dieser Absicht tun werde, soll dieses sein— Du wirst mich verstehen! Zittre für deine Bella! Ihr Lebensoll das Andenken meiner verachteten Liebe auf die Nachwelt nicht bringen; meine Grausamkeit soll es tun. Sieh in mir eine neue Medea!

Mellefont(erschrocken). Marwood—

Marwood.Oder wenn du noch eine grausamere Mutter weisst, so sieh sie gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden lassen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen und das kleinste derselben auch da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich—ich werde wenigstens dabei empfinden, wie süss die Rache sei!

Mellefont.Sie rasen, Marwood—

Marwood.Du erinnerst mich, dass ich nicht gegen den rechten rase. Der Vater muss voran! Er muss schon in jener Welt sein, wenn der Geist seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht— (Sie geht mit einem Dolche, den sie aus dem Busen reisst, auf ihn los). Drum stirb, Verräter!

Mellefont.(der ihr in den Arm fällt und den Dolch entreisst).Unsinniges Weibsbild! Was hindert mich nun, den Stahl wider dich zu kehren? Doch lebe, und deine Strafe müsse einer ehrlosen Hand aufgehoben sein!

Marwood(mit gerungenen Händen). Himmel, was hab’ ich getan? Mellefont—

Mellefont.Deine Reue soll mich nicht hintergehen! Ich weiss es doch wohl, was dich reuet; nicht dass du den Stoss tun wollen, sondern dass du ihn nicht tun können.

Marwood.Geben Sie mir ihn wieder, den verirrten Stahl! Geben Sie mir ihn wieder! und Sie sollen es gleich sehen, für wen er geschliffen ward. Für diese Brust allein, die schon längst einem Herzen zu enge ist, das eher dem Leben als Ihrer Liebe entsagen will.

‘Niemand,’ sagen die Verfasser der Bibliothek,2‘wird leugnen, dass die deutsche Schaubühne einen grossen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.’

Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. Es wäre zu wünschen, dass sich Herr Gottsched niemals mit dem Theater vermengt hätte. Seine vermeinten Verbesserungen betreffen entweder entbehrliche Kleinigkeiten oder sind wahre Verschlimmerungen.

Als die Neuberin3blühte und so mancher den Beruf fühlte, sich um sie und die Bühne verdient zu machen, sahe es freilich mit unserer dramatischen Poesie sehr elend aus. Man kannte keine Regeln, man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Heldenaktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien, und Prügel waren die witzigsten Einfälle derselben. Dieses Verderbnis einzusehen, brauchte man eben nicht der feinste und grösste Geist zu sein. Auch war Herr Gottsched nicht der erste, der sich Kräfte genug zutraute, ihm abzuhelfen. Und wie ging er damit zu Werke? Er verstand ein wenig Französisch und fing an zu übersetzen; er ermunterte alles, was reimen und ‘Oui, monsieur’ verstehen konnte, gleichfalls zu übersetzen; er verfertigte, wie ein schweizerischer Kunstrichter4sagt, mit Kleister und Schere seinen ‘Cato’; er liess den ‘Darius’ und die ‘Austern,’ die ‘Elisie,’ und den ‘Bock im Prozesse,’ den ‘Aurelius’ und den ‘Witzling,’ die ‘Banise’ und den ‘Hypochondristen’ ohne Kleister und Schere machen; er legte seinen Fluch auf das Extemporieren; er liess den Harlekin feierlich vom Theater vertreiben, welches selbst die grösste Harlekinade war, die jemals gespielt worden; kurz, er wollte nicht so wohl unser altes Theater verbessern, als der Schöpfer eines ganz neuen sein. Und was für eines neuen? Eines französierenden; ohne zu untersuchen, ob dieses französierende Theater der deutschen Denkungsart angemessen sei oder nicht.

Er hätte aus unsern alten dramatischen Stücken, welche er vertrieb, hinlänglich abmerken können, dass wir mehr in den Geschmack der Engländer als der Franzosen einschlagen; dass wir in unsern Trauerspielen mehr sehen und denken wollen, als uns das furchtsame französische Trauerspiel zu sehen und zu denken gibt; dass das Grosse, das Schreckliche, das Melancholische besser auf uns wirkt als das Artige, das Zärtliche, das Verliebte; dass uns die zu grosse Einfalt mehr ermüde als die zu grosse Verwickelung u.s.w. Er hätte also auf dieser Spur bleiben sollen, und sie würde ihn geraden Weges auf das englische Theater geführet haben. —Sagen Sie ja nicht, dass er auch dieses zu nutzen gesucht, wie sein ‘Cato’ es beweise. Denn eben dieses, dass er den Addisonschen ‘Cato’ für das beste englische Trauerspiel hält,5zeiget deutlich, dass er hier nur mit den Augen der Franzosen gesehen und damals keinen Shakespeare, keinen Jonson, keinen Beaumont und Fletcher u.s.w. gekannt hat, die er hernach aus Stolz auch nicht hat wollen kennen lernen.

Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiss gewiss, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als dass man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andre Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiss. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden, und am leichtesten von so einem, das alles bloss der Natur zu danken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket.

Auch nach den Mustern der Alten die Sache zu entscheiden, ist Shakespeare ein weit grösserer tragischer Dichter als Corneille, obgleich dieser die Alten sehr wohl und jener fast gar nicht gekannt hat. Corneille kömmt ihnen in der mechanischen Einrichtung und Shakespeare in dem Wesentlichen näher. Der Engländer erreicht den Zweck der Tragödie fast immer, so sonderbare und ihm eigne Wege er auch wählet, und der Franzose erreicht ihn fast niemals, ober gleich die gebahnten Wege der Alten betritt. Nach dem ‘Oedipus’ des Sophokles muss in der Welt kein Stück mehr Gewalt über unsere Leidenschaften haben als ‘Othello,’ als ‘König Lear,’ als ‘Hamlet’ u.s.w. Hat Corneille ein einziges Trauerspiel, das Sie nur halb so gerühret hätte als die ‘Zaire’ des Voltaire? Und die ‘Zaire’ des Voltaire, wie weit ist sie unter dem ‘Mohren von Venedig,’ dessen schwache Copie sie ist, und von welchem der ganze Charakter des Orosmans entlehnet worden?

Dass aber unsre alten Stücke wirklich sehr viel Englisches gehabt haben, könnte ich Ihnen mit geringer Mühe weitläufig beweisen. Nur das bekannteste derselben zu nennen, ‘Doctor Faust’ hat eine Menge Szenen, die nur ein Shakespeare’sches Genie zu denken vermögend gewesen. Und wie verliebt war Deutschland, und ist es zum Teil noch, in seinen Doctor Faust! Einer von meinen Freunden verwahret einen alten Entwurf dieses Trauerspiels, und er hat mir einen Auftritt daraus mitgeteilet, in welchem gewiss viel Grosses liegt. Sind Sie begierig, ihn zu lesen? Hier ist er! —Faust verlangt den schnellsten Geist der Hölle zu seiner Bedienung. Er macht seine Verschwörungen; es erscheinen sieben derselben; und nun fängt sich die dritte Szene des zweiten Aufzugs an:

Faust und Sieben GeisterFaust.Ihr? Ihr seid die schnellesten Geister der Hölle?Die Geister Alle.Wir.Faust.Seid ihr alle sieben gleich schnell?Die Geister Alle.Nein.Faust.Und welcher von euch ist der Schnelleste?Die Geister Alle.Der bin ich!Faust.Ein Wunder, dass unter sieben Teufeln nur sechs Lügner sind. —Ich muss euch näher kennen lernen.Der erste Geist.Das wirst du! Einst!Faust.Einst! Wie meinst du das? Predigen die Teufel auch Busse?Der erste Geist.Ja wohl, den Verstockten. —Aber halte uns nicht auf!Faust.Wie heissest du? Und wie schnell bist du?Der erste Geist.Du könntest eher eine Probe als eine Antwort haben.Faust.Nunwohl! Sieh her: was mache ich?Der erste Geist.Du fährst mit deinem Finger schnell durch die Flamme des Lichts—Faust.Und verbrenne mich nicht. So geh auch du und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Hölle und verbrenne dich nicht! —Du verstummst? Du bleibst? —So prahlen auch die Teufel? Ja, ja; keine Sünde ist so klein, dass ihr sie euch nehmen liesset. —Zweiter, wie heissest du?Der zweite Geist.Chil, das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.Faust.Und wie schnell bist du?Der zweite Geist.Denkest du, dass ich meinen Namen vergebens führe? —Wie die Pfeile der Pest.Faust.Nun, so geh und diene einem Arzte! Für mich bist du viel zu langsam. —Du dritter, wie heissest du?Der dritte Geist.Ich heisse Dilla; denn mich tragen die Flügel der Winde.Faust.Und du vierter?Der vierte Geist.Mein Name ist Jutta; denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.Faust.O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrücken, ihr Elenden—Der fünfte Geist.Würdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Körperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.Faust.Und wie schnell bist du?Der fünfte Geist.So schnell als die Gedanken des Menschen.Faust.Das ist etwas! —Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie träge sind sie alsdenn! —Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst; aber wer steht mir dafür, dass du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst hätte trauen sollen. Ach!— (Zum sechsten Geiste) Sage du, wie schnell bist du?Der sechste Geist.So schnell als die Rache des Rächers.Faust.Des Rächers? Welches Rächers?Der sechste Geist.Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnügte.Faust.Teufel! du lästerst; denn ich sehe, du zitterst. —Schnell, sagst du, wie die Rache des—bald hätte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! —Schnell wäre seine Rache? Schnell? —Und ich lebe noch? Und ich sündige noch?Der sechste Geist.Dass er dich noch sündigen lässt, ist schon Rache!Faust.Und dass ein Teufel mich dieses lehren muss! —Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur!— (Zum siebenten Geiste) Wie schnell bist du?Der siebente Geist.Unzuvergnügender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin—Faust.So sage: wie schnell?Der siebente Geist.Nicht mehr und nicht weniger als der Übergang vom Guten zum Bösen.Faust.Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! —Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! —Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! —Als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! u.s.w.

Faust und Sieben Geister

Faust.Ihr? Ihr seid die schnellesten Geister der Hölle?

Die Geister Alle.Wir.

Faust.Seid ihr alle sieben gleich schnell?

Die Geister Alle.Nein.

Faust.Und welcher von euch ist der Schnelleste?

Die Geister Alle.Der bin ich!

Faust.Ein Wunder, dass unter sieben Teufeln nur sechs Lügner sind. —Ich muss euch näher kennen lernen.

Der erste Geist.Das wirst du! Einst!

Faust.Einst! Wie meinst du das? Predigen die Teufel auch Busse?

Der erste Geist.Ja wohl, den Verstockten. —Aber halte uns nicht auf!

Faust.Wie heissest du? Und wie schnell bist du?

Der erste Geist.Du könntest eher eine Probe als eine Antwort haben.

Faust.Nunwohl! Sieh her: was mache ich?

Der erste Geist.Du fährst mit deinem Finger schnell durch die Flamme des Lichts—

Faust.Und verbrenne mich nicht. So geh auch du und fahre siebenmal eben so schnell durch die Flammen der Hölle und verbrenne dich nicht! —Du verstummst? Du bleibst? —So prahlen auch die Teufel? Ja, ja; keine Sünde ist so klein, dass ihr sie euch nehmen liesset. —Zweiter, wie heissest du?

Der zweite Geist.Chil, das ist in eurer langweiligen Sprache: Pfeil der Pest.

Faust.Und wie schnell bist du?

Der zweite Geist.Denkest du, dass ich meinen Namen vergebens führe? —Wie die Pfeile der Pest.

Faust.Nun, so geh und diene einem Arzte! Für mich bist du viel zu langsam. —Du dritter, wie heissest du?

Der dritte Geist.Ich heisse Dilla; denn mich tragen die Flügel der Winde.

Faust.Und du vierter?

Der vierte Geist.Mein Name ist Jutta; denn ich fahre auf den Strahlen des Lichts.

Faust.O ihr, deren Schnelligkeit in endlichen Zahlen auszudrücken, ihr Elenden—

Der fünfte Geist.Würdige sie deines Unwillens nicht. Sie sind nur Satans Boten in der Körperwelt. Wir sind es in der Welt der Geister; uns wirst du schneller finden.

Faust.Und wie schnell bist du?

Der fünfte Geist.So schnell als die Gedanken des Menschen.

Faust.Das ist etwas! —Aber nicht immer sind die Gedanken des Menschen schnell. Nicht da, wenn Wahrheit und Tugend sie auffordern. Wie träge sind sie alsdenn! —Du kannst schnell sein, wenn du schnell sein willst; aber wer steht mir dafür, dass du es allezeit willst? Nein, dir werde ich so wenig trauen, als ich mir selbst hätte trauen sollen. Ach!— (Zum sechsten Geiste) Sage du, wie schnell bist du?

Der sechste Geist.So schnell als die Rache des Rächers.

Faust.Des Rächers? Welches Rächers?

Der sechste Geist.Des Gewaltigen, des Schrecklichen, der sich allein die Rache vorbehielt, weil ihn die Rache vergnügte.

Faust.Teufel! du lästerst; denn ich sehe, du zitterst. —Schnell, sagst du, wie die Rache des—bald hätte ich ihn genennt! Nein, er werde nicht unter uns genennt! —Schnell wäre seine Rache? Schnell? —Und ich lebe noch? Und ich sündige noch?

Der sechste Geist.Dass er dich noch sündigen lässt, ist schon Rache!

Faust.Und dass ein Teufel mich dieses lehren muss! —Aber doch erst heute! Nein, seine Rache ist nicht schnell, und wenn du nicht schneller bist als seine Rache, so geh nur!— (Zum siebenten Geiste) Wie schnell bist du?

Der siebente Geist.Unzuvergnügender Sterbliche, wo auch ich dir nicht schnell genug bin—

Faust.So sage: wie schnell?

Der siebente Geist.Nicht mehr und nicht weniger als der Übergang vom Guten zum Bösen.

Faust.Ha! Du bist mein Teufel! So schnell als der Übergang vom Guten zum Bösen! —Ja, der ist schnell; schneller ist nichts als der! —Weg von hier, ihr Schnecken des Orcus! Weg! —Als der Übergang vom Guten zum Bösen! Ich habe es erfahren, wie schnell er ist! Ich habe es erfahren! u.s.w.

Was sagen Sie zu dieser Szene? Sie wünschen ein deutsches Stück, das lauter solche Szenen hätte? Ich auch.

Doch ich will versuchen, die Sache6aus ihren ersten Gründen herzuleiten.

Ich schliesse so: Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemesVerhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, auf einander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen.

Gegenstände, die neben einander, oder deren Teile neben einander existieren, heissen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei.

Gegenstände, die auf einander, oder deren Teile auf einander folgen, heissen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.

Doch alle Körper existieren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und können in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen und in anderer Verbindung stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein. Folglich kann die Malerei auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper.

Auf der ändern Seite können Handlungen nicht für sich selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen anhängen. Insofern nun diese Wesen Körper sind oder als Körper betrachtet werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen.

Die Malerei kann in ihren coexistierenden Compositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen und muss daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am Begreiflichsten wird.

Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen und muss daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.

Hieraus fliesst die Regel von der Einheit der malerischen Beiwörter und der Sparsamkeit in den Schilderungen körperlicher Gegenstände.

Ich würde in diese trockene Schlusskette weniger Vertrauen setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homers vollkommen bestätigtfände, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis des Homers selbst wäre, die mich darauf gebracht hätte. Nur aus diesen Grundsätzen lässt sich die grosse Manier des Griechen bestimmen und erklären, so wie der entgegengesetzten Manier so vieler neuern Dichter ihr Recht erteilen, die in einem Stücke mit dem Maler wetteifern wollen, in welchem sie notwendig von ihm überwunden werden müssen.

Ich finde, Homer malet nichts als fortschreitende Handlungen, und alle Körper, alle einzelne Dinge, malet er nur durch ihren Anteil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit Einem Zuge. Was Wunder also, dass der Maler da, wo Homer malet, wenig oder nichts für sich zu tun siehet, und dass seine Ernte nur da ist, wo die Geschichte eine Menge schöner Körper in schönen Stellungen in einem der Kunst vorteilhaften Raume zusammenbringt, der Dichter selbst mag diese Körper, diese Stellungen, diesen Raum, so wenig malen, als er will.


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