Einfahrt nach Der-es-Sor.Siebentes Kapitel.Deutsche Artillerie auf dem Wege nach Bagdad.
Einfahrt nach Der-es-Sor.
Einfahrt nach Der-es-Sor.
In der Nacht nach dem im fünften Kapitel geschilderten Abenteuer hatte sich der Sturm nochmals aufgerafft, und er blies auch den folgenden Tag, den 19. April, so ungestüm und regellos, daß mir nichts übrig blieb, als bei Säbcha im Schutz der Tamariskengebüsche zu verweilen und mir und meinen übermüdeten Leuten Ruhe zu gönnen.
Unter dichten Weißdornbüschen, geschützt vor dem Wind, hatten sie sich am Ufer hingestreckt und freuten sich in der Morgenfrische der Wärme, die ein knisterndes Feuer ausströmte. Ich fühlte mich an Bord am wohlsten, hatte es mir mit Hilfe dicker Winterkleider einigermaßen behaglich gemacht und lag lesend auf meinem Bett, als ich auf einmal Schritte auf der Laufplanke hörte und ein junger Europäer vor meiner Hütte erschien. Zu meiner größten Überraschung war der Ankömmling ein Landsmann von mir, Nils de Maré, Major in persischen Diensten. Am Abend vorher war er mit Major Pousette und sechzehn Österreichern, die aus russischer Gefangenschaft in Taschkent entflohen waren und sichdurch Persien hatten durchschlagen können, in Säbcha angelangt. Sie hatten meine Fähre ankommen sehen, und da de Maré überzeugt war, daß ich mich darauf befände, hatte er seine Begleiter nach Meskene und Aleppo vorausfahren lassen. Dann brach der Orkan aus, und meine Fähre war im Sturmnebel verschwunden. Mit einem persischen Diener hatte sich der Major in einem gebrechlichen Fahrzeug aufgemacht, um meine letzte Spur zu suchen, und er war jetzt nicht wenig erstaunt, mich völlig wohlbehalten in meiner Hütte zu finden, die er höchstens als ein trauriges Wrack anzutreffen gefürchtet hatte.
Ich ließ dem willkommenen Gast auftischen, was das Haus vermochte. Das war nun leider wenig, und Apfelsinen und Zigarren mußten die Dürftigkeit unseres Mahles vergolden. De Maré war auf der Heimreise nach Schweden; er hatte den Rückzug über Kirmanschah nach Chanikin mitgemacht und in den Kämpfen mit den nachdrängenden Russen so viel erlebt, daß die Stunden unseres Beisammenseins nur so verflogen.
Um 4 Uhr nachmittags saßen wir noch immer über seine persischen Kartenskizzen gebeugt, als plötzlich Mahmud herbeigesprungen kam mit der Meldung, eine große deutsche Fähre sei im Anzug. Und richtig! Nur wenige hundert Meter flußaufwärts kam ein großer, schwerer Prahm im heftigen Wind gerade auf uns zu, als ob er mein leichtes Fahrzeug in den Grund bohren wollte. Aber er steuerte mit tadelloser Sicherheit nahe vorbei und landete unter dichtem Tamariskengebüsch ein Stück weiter abwärts. Auf der Längsseite der Fähre stand in großen Buchstaben ihr Name „Möve“. Sie war also die Vorhut der bayrischen Batterie, die einige Tage nach mir Dscherablus verlassen hatte. Bald kam auch die ganze Flottille an der letzten Biegung des Stromes vor, die „Emden“ mit ihren verdeckten Munitionswagen, die „Hella“ unter Gesang ihrer Besatzung, „Mohammed Reschid V.“ mit starkem Tiefgang infolge seiner schweren Last an Geschützen und Granaten, und schließlich ein türkischer Doppelschahtur von der Größe des meinigen, das Admiralschiff des Majors von Schrenk, das unter Flaggengruß, Winken und Hurrarufen der Offiziere an mir vorüberfuhr. Wenige Minuten später durfte ich den Major und seine Kameraden vor meiner Hütte begrüßen, und am Abend führte Leutnant Schmidt mich und meinen Landsmann mit einer Laterne durch stachliges Tamariskengebüsch zumLagerplatz der Deutschen, wo wir uns beim Licht des Mondes und einer Karbidlampe zum gemeinsamen Abendbrot niederließen und im Austausch unsrer Erlebnisse während der letzten Woche reizende Stunden verbrachten. De Maré verabschiedete sich um 9 Uhr, um mit seinem persischen Diener nach Säbcha zurückzukehren; er konnte aber sein Boot im Dunkeln nicht finden und verbrachte daher die Nacht, in meinen Mantel gehüllt, am Lagerfeuer, um am frühen Morgen endgültig aufzubrechen.
Vier von den neunzehn deutschen Fahrzeugen fehlten noch; sie waren in der Nähe von Rakka auf Sandbänke getrieben, und der Major wollte nun hier warten, bis er alle wieder beisammen hatte. Da am andern Morgen der Wind noch ebenso heftig wehte, der Euphrat in weißbraunen Wogen rollte und das Wetter so rauh war, daß man sich seiner Winterkleider und des Ledermantels aufrichtig freute, beschloß auch ich den Tag in Gesellschaft meiner deutschen Freunde zuzubringen.
Am Vormittag wurden auf einer Anhöhe in der Nähe des Lagers zwei Masten aufgestellt, um den Nachzüglern Signale zu geben, und ein Rundblickfernrohr schaute nach ihnen aus. Zwei türkische Doppelfähren kamen bald in Sicht und erhielten ihre Plätze am Ufer angewiesen. Von den zwei übrigen deutschen machte die „Bavaria“ am meisten Sorge. Sie war schwer befrachtet, und da der Euphrat in der Nacht bedeutend gesunken war, saß sie wahrscheinlich auf ihrer Sandbank um so fester und mußte entladen werden, um nur wieder loszukommen. Nach stundenlangem Ausspähen meldete endlich Leutnant Max Kirchmair, daß über der Zeile von Tamarisken und Wasserwerken, die in dem flachen Lande die Windungen des Euphrat kenntlich machten, eine deutsche Flagge langsam vorrückend zu sehen sei. Sie kam näher und näher, und endlich wurde das Fahrzeug selbst sichtbar: es war „Kaiser Wilhelm II.“ Ein Seil flog ans Land, und mit starken Tauen wurde das schwere Fahrzeug festgemacht.
Nach einer weiteren Stunde kam endlich auch die „Bavaria“ in Sicht. Von dem starken Strom getrieben, schien sie auf ihren Vorgänger anrennen zu wollen. Da sprang ein Mann der Besatzung, ein Seil in der Hand, in das mehrere Meter tiefe Wasser, verschwand einen Augenblick unter der Oberfläche, tauchte dann wieder auf und schwamm flugs ans Land, um die „Bavaria“ oberhalb des „Kaiser Wilhelm“ zu vertäuen.
So hatten sich die neunzehn deutschen Fahrzeuge wie Schildkröten am Lande festgebissen, und in dem Tamarisken- und Hagedorngebüsch des Ufers entwickelte sich ein Lagerleben, dessengleichen die Station Säbcha wohl schwerlich vorher gesehen hatte. Deutsche Artilleristen lagen gruppenweise um die Feuer, plauderten und sangen bei siedenden Kesseln und schöpften mit großen Kellen Suppe in ihre Eßschüsseln. Dazwischen bildeten türkische Soldaten und Ruderer, die lebhaft über die bevorstehende Fahrt nach Der-es-Sor berieten, mit ihrer orientalischen Kleidung bunte Farbenkleckse. Unteroffiziere gingen hin und her und erteilten Befehle für den Abend, die Nacht und den Aufbruch am andern Morgen. Bei den Fahrzeugen, wo mancherlei instand zu setzen war, erklang der Schlag der Hämmer und das Zischen der Sägen, und Äxte zersplitterten die Tamariskenstämme, die den himmelan lodernden Flammen der Lagerfeuer verfallen waren.
Major von Schrenks Schahtur war überaus praktisch eingerichtet. In seiner Mitte standen zwei türkische Zelte mit je drei Betten; am Tage wurden die Betten zusammengepackt, die Zelte abgenommen, nur das Stangengerippe blieb stehen. Auf leichten Tischen lagen Bücher, Karten und Fernstecher, und Zeltstühle sorgten für ausreichende Bequemlichkeit.
Am nächsten Morgen wollten wir zusammen aufbrechen. Es war Karfreitag, der 21. April. Der Fluß war am Tage wieder 20, in der Nacht 42 Zentimeter gestiegen. Schon kurz vor ½5 Uhr ließ ich die Haltetaue meiner Fähre lösen und fuhr voraus. Kurz vor 5 Uhr ging die Sonne in strahlender Klarheit auf und beleuchtete auf den Wassern des Euphrat das ungewöhnliche Schauspiel, wie sich die Fahrzeuge der deutschen Artilleristen eins nach dem andern vom Ufer lösten, stromabwärts zogen und bei der nächsten Biegung verschwanden; das Admiralschiff bildete wieder den Schluß.
Auf den Rat vorüberfahrender Araber war ich in einen schmalen Sund eingebogen, der die erste Stromwindung abschnitt. So überholte ich die deutschen Boote bis auf zwei. Bei einer scharfen Biegung nach Südosten trieb mich aber der hartnäckige Wind in einem Dickicht überschwemmter Tamarisken am linken Ufer auf Grund, und bei der nächsten Windung nach Nordwesten preßte er meine Fähre gegen eine Landzungeam rechten Ufer. Hussein versuchte krampfhaft mit dem Ruder abzustoßen; mit gewaltigem Krach zerbrach es, und das schnell gefaßte Reserveruder blieb im zähen Grundschlamm stecken. Während dieses Aufenthalts schwamm die ganze deutsche Flottille an mir vorüber; als wir dann aber den Wind im Rücken hatten, überholte ich wieder zwei Gruppen meiner deutschen Reisegesellschaft, die auf der sonst eintönigen Fahrt eine angenehme, spannende Abwechslung brachte. Die am schwersten beladenen Fahrzeuge fuhren am schnellsten, denn sie hatten bedeutenden Tiefgang und wurden von Wasserschichten getragen, die der Wind nicht beeinflußte. Meine leichte Fähre schwamm wie eine Nußschale auf der Oberfläche, ein Spielzeug jedes Windes; oft wenn ich am Schreibtisch saß, drehte sich die Landschaft um mich herum wie eine Scheibe um ihre Achse. Außerdem hatten die Deutschen stämmige Kanoniere an Bord, die den eingeborenen Ruderern fleißig halfen. So mußte ich es bald aufgeben, mit den Vorauseilenden gleichen Schritt zu halten. Dafür konnte aber mein kleineres Fahrzeug schmale Seitenarme benutzen und seinen Weg mehrfach abkürzen.
Mein neuer „Kapitän“ Sale Abdul Mohammed (in der Sonne das Gesicht verziehend).
Mein neuer „Kapitän“ Sale Abdul Mohammed (in der Sonne das Gesicht verziehend).
Aus den Gebüschen am Ufer erhoben sich zahlreiche Krähenschwärme mit heiserem Geschrei; Schafherden und viele Zeltdörfer bedeckten das Uferland. Eine zeitlang schwamm eine Gruppe stolzer Pelikane vor uns her; die Tiere ließen uns nicht aus den Augen; sobald wir ihnen abernäherkamen, erhoben sie sich mit klatschenden Flügelschlägen und streuten einen Regen von Wassertropfen herab. An diesem Tag sahen wir auch die erste Heuschrecke; sie ließ sich auf den Rand der Fähre nieder, Kerit schlug sie tot und schalt wie ein Rohrspatz auf das Ungeziefer, das das Brot des Volkes auffresse; dann aber kamen sie zu Hunderten, und Kerit mußte sie wohl oder übel sitzen lassen.
In der Gegend El-Hamma durchschneidet der Euphrat den kleinen Bergrücken il-Bischri, und die jäh abfallenden Bergwände rücken erst auf dem rechten, dann auch auf dem linken Ufer wieder eng an den Fluß heran, nur schmale Streifen Wiese oder bebautes Feld an ihrem Fuße freilassend. In diesem wunderschönen Hohlweg drängt sich der Euphrat auf etwa 100 Meter Breite zusammen. Rechts auf der Höhe stehen die alten Doppelmauern und Türme der Feste Halebije, und auf dem Berggipfel drüben die stolzen Ruinen des Kastells Selebije. Der Grundriß von Halebije ist ein Dreieck, dessen eine Seite direkt am Ufer liegt; die beiden andern treffen in einem Turm zusammen, dessen Zinnen sich hoch über die ganze Festung erheben.
Allzu schnell treten die Kalksteinwände wieder zurück, und der Fluß verbreitert sich. Rechts liegt die Poststation Tibni, über ihr auf einem Hügel die Ruine gleichen Namens; der Ort ist ein „Kischla“, eine Garnison mit geringer Besatzung. Auf einer kleinen Insel prangen die Weiden in frischem Frühlingsgrün, und bei dem Dorf Issyf Pascha am linken Ufer stehen wieder Zelte armenischer Flüchtlinge.
So wechseln die Landschaftsbilder unaufhörlich. Der Tag geht zur Neige, und die Berge breiten tiefe Schatten über das Tal. Heute aber denke ich noch nicht an Landung; die „Aleman“, versichert mir ein Araber am Ufer, meine deutschen Reisegefährten, seien weit voraus. Fern in Ostsüdost blitzt ein helles Licht; jedenfalls der Scheinwerfer der deutschen Schiffe, der uns den Weg zeigen soll. Er gibt mir die Möglichkeit, sichere Peilungen zu machen, und von Stunde zu Stunde kommen wir dem Lichtzeichen näher. Es ist ½9 Uhr. Da donnert das Megaphon uns die Warnung vor einer Sandbank entgegen, wir sollten den Kurs direkt auf eine schwimmende Laterne zu halten. Die Ruder knirschen, als die Fähre über den Strom hinübergezwungen wird. Aber es gelingt, und wir landen glücklich unter den deutschen Fahrzeugen, vondenen nur zwei noch fehlen. Der Küchenwagen an Bord der „Möve“ brodelt noch und bewirtet mich mit trefflicher Erbsensuppe.
Am andern Morgen waren die Deutschen vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Ich wartete noch auf Windstille, als das kleine Avisoboot „Blitz“ mit zwei Artilleristen an Bord heransauste, um Erkundigungen über die Weiterfahrt der Flottille einzuziehen. Es kam von der „Bavaria“, die in einem schmalen Flußarm festgelaufen war, wo der Wind auch meine Fähre im Kreise gedreht hatte. Während die beiden Gäste mit mir frühstückten, kam die „Bavaria“ mit dem noch vermißten Doppelschahtur schon vorübergefahren und verschwand hinter dem nahen Dorf El-Busera. „Blitz“ machte sogleich wieder fertig und jagte ihr nach. Um 9 Uhr stießen auch wir vom Lande ab. Die deutschen Kameraden sah ich aber erst am Abend wieder bei den hellbraunen Lehmhäusern und den fünf weißen Minaretts der kleinen arabischen Stadt Der-es-Sor, die sich in dem üppigen Grün von Weiden und Platanen, Kastanien und Walnußbäumen mit ihren zahlreichen Wasserschöpfwerken und ihrer auf Steinpfeilern ruhenden, verkehrsreichen Holzbrücke überaus schmuck ausnimmt.
Der-es-Sor.
Der-es-Sor.
Diesem Ziel der heutigen Tagereise hatte ich mit Spannung entgegengesehen. Denn hier war eine Telegraphenstation. Welche Nachrichten aus der lärmvollen Welt mochten dort vorliegen?
Keine Siegeskunde empfing mich zum Osterfest 1916, wohl aber eine erschütternde Trauerbotschaft: Vor drei Tagen, am 19. April, war Feldmarschall von der Goltz, nach der Rückkehr von einer Inspektionsreise nach Kut-el-Amara, in Bagdad am Flecktyphus gestorben! —
Straße in Der-es-Sor.
Straße in Der-es-Sor.
Der-es-Sor ist der offizielle türkische Name der Stadt; gewöhnlich sagt man nur Ed-Der, d. h. das Kloster. Sor bezeichnet das Land zwischen Palmyra, Ed-Der, Chabur, Sindschar, Nesibin und Rakka. Nach Sachau beträgt die Einwohnerzahl gegen 5 bis 6000, nach M. von Oppenheim gegen 6 oder 7000 Mohammedaner und 700 Christen. Die Stadt, deren Straßen in besserem Zustand waren als die Bagdads, und das ganze Gebiet zwischen Rakka und Ana wird von einem Mutessarrif, einem Gouverneur, regiert, der unmittelbar dem Ministerium des Innern in Konstantinopel untersteht. In Friedenszeiten lagen in Der-es-Sor ein Bataillon regulärer, auf Mauleseln berittener Infanterie und eine größere Abteilung Saptije zu Pferd; diese Truppen mußten die Anese-Beduinen in der syrischen Wüste und den Schammarstamm in Mesopotamien im Zaume halten. Das hinderte nicht, daß mit diesen ein lebhafter Handel getrieben wurde, und Der-es-Sor ist ein wichtiger Knotenpunkt auf den Karawanenstraßen zwischen Aleppo und Bagdad, Damaskus und Mosul.
Nachdem ich ein Telegramm und einen Brief nach Hause auf die Post gegeben hatte, suchte ich einen der größeren Hans der Stadt auf, wo, wie ich erfahren hatte, eine Landsmännin, Frau Major Erikson, wohnte. Ich fand die junge, liebenswürdige Dame in Gesellschaft von vier deutschen Herren aus Persien, die sie von Bagdad auf der üblichen Karawanenstraße den Euphrat entlang nach Konstantinopel begleiteten. Die Reise bis Der-es-Sor war sehr beschwerlich und langwierig gewesen. Überschwemmungen hatten zu weiten Umwegen auf ungebahntem Gelände gezwungen, und an einigen Stellen hatte man die Pferde, Maulesel und Wagen auf Fähren über hindernde Wasserläufe befördern müssen. Frau Erikson pflegte die Nächte in ihrem wohlverschlossenen Wagen zuzubringen, auf dessen Kutscherbock ein großer kluger Rattenfänger grimmig Wache hielt.
Major von Schrenk wirbt in Der-es-Sor Ruderer.
Major von Schrenk wirbt in Der-es-Sor Ruderer.
Den Abend dieses ereignisvollen Tages verbrachten wir in einem türkischen Wirtshaus in Gesellschaft des Majors von Schrenk und seiner Offiziere, sowie der der Fliegerabteilung, die ich ebenfalls hier getroffen hatte. Beim Abschied übergab mir Frau Erikson einen Brief an ihren Gatten, der in deutschen Diensten damals in Kasr-i-Schirin stand; beim Vorrücken der Russen kam er allmählich nach Chanikin an der persisch-türkischenGrenze. Da ich ihn nicht traf, schickte ich ihm den Brief durch einen deutschen Offizier. Erst nach meiner Abreise kam auch Major Erikson nach Bagdad — doch nur um zu sterben. Er liegt auf dem christlichen Friedhof vor der Kalifenstadt begraben, seine irdische Hülle soll aber seinerzeit nach Schweden gebracht werden.
In Der-es-Sor wechselten die Deutschen und ich die türkische Begleitung. Ich mietete drei junge, kaum zwanzigjährige Araber, alle drei stattliche, gut gekleidete, sonnenverbrannte Kerle von kräftigem Körperbau. So zuverlässig wie die Türken waren sie nicht, aber — wenn sie wollten — in ihrem Handwerk überaus gewandt, voll Heiterkeit, ja Übermut und zu allerhand Streichen aufgelegt, die mancherlei Kurzweil gaben. Mein neuer „Kapitän“ Sale Abdul Mohammed trug seinen schönen Kopf mit dem roten, gelbgepunkteten Turban stolz wie ein Königssohn, sang den ganzen Tag und hielt unter seinen Kameraden Mannszucht wie ein Alter. Wenn seine Eitelkeit mit im Spiele war, arbeitete er musterhaft. Die beiden Ruderer, Said Ahmed und Hussein Ali, erschienen in langen, dünnen Kaftans, bauschigen weißen Beinkleidern, Leibgürteln aus Tuch und spitzen Pantoffeln. Ihr ganzes Gepäck bestand aus einem Bündel mit Brot, Eiern und Gurken. Der neue Gendarm hieß Hussein Ben Mohammed, und ein Freipassagier namens Asis Ben Ibrahim fand sich auch noch hinzu; er mußte sich natürlich verpflichten, mit zuzugreifen, wenn Not an Mann war. Die einheimische Besatzung der deutschen Kriegsfähre erhielt keine Löhnung, sondern genügte an Bord ihrer militärischen Dienstpflicht. Die Türken als Angehörige einer kriegerischen Nation fügten sich dem ohne weiteres; die Araber aber kniffen mit Vorliebe aus, und es machte nicht geringe Mühe, die nötige Anzahl kundiger Schiffer aufzutreiben. Und als wir am Ostersonntag die Anker lichteten, gab es für die kurze Reise nach Ana, das zweite Drittel der Flußfahrt, ein tränenreiches Abschiednehmen von den Angehörigen, als ginge es direkt in den Schützengraben und ins Granatfeuer.