Sechsundsechzigster Brief.

Sechsundsechzigster Brief.

Paris, den 23. September 1848.

Lord N. äußerte: es sei von Bildung eines europäischen Congresses über die italienischen Angelegenheiten eigentlich nicht die Rede, sondern nur, daß zwei befreundete Mächte, zwei sich bekriegende Mächte versöhnen wollten. Andere, hiezu nicht aufgeforderte Reiche (z. B. Rußland) würden dadurch nicht verletzt; — oder Alle würden sonst gleiche Rechte und Pflichten in Anspruch nehmen können. Ich setzte hierauf auseinander, in welcher näheren Beziehung Deutschland zu den obschwebenden Fragen stehe, und wie um so weniger Grund vorhanden sei, es auszuschließen, da Österreich und Sardinien nichts gegen seine Theilnahme einwendeten, ja sich damit einverstanden erklärten. Was würde man sagen (fragte Lord N.), wenn Preußen zugezogen würde?Ich erwiderte: für diesen Fall wäre eine Zurückweisung des Reichsverwesers und der Centralgewalt doppelt unbegründet und nicht zu rechtfertigen.

Zuletzt fand Lord N. die Forderung, als mitinteressirter Theil aufzutreten und mitzuwirken, billig und natürlich, kam aber, wie Hr. Minister Bastide, auf die unerläßliche Vorbedingung zurück: daß in Frankfurt eingemäßigtesund zugleichkräftigesReichsministerium gebildet werde, welches dieAnarchisten zügeleund nicht darauf ausgehe, die einzelnen deutschen Staaten zu vernichten. Ganz in ähnlichem Sinne sprach Hr. Bastide von der Nothwendigkeit, Preußen mächtig zu erhalten und die rebellischen Versuche dasselbe zu schwächen, mit Nachdruck zu vereiteln.

Die hier soeben eingegangenen Nachrichten, daß das Reichsministerium keineswegsschwächlichden Aufrührern in Frankfurt nachgegeben, sondern sie inhöchst preiswürdigerWeise bekämpft und besiegt hat, macht hier bei allen Freunden der Ordnung und Gesetzlichkeit dengrößtenunderfreulichstenEindruck. Man hofft, daß sich dieselben auch in der Reichsversammlung fester einigen und für einen Mann stehen werden.

Was mein persönliches Verhältniß zu Hrn. General Cavaignac und zu Hrn. Minister Bastide anbetrifft, so kann es gar nicht angenehmer sein. Allesklar, offen, bestimmt, wohlbegründet; Alles hat (wie man sagt) Hand und Fuß. Meinerseits habe ich fast in Jeglichem dasGegentheilDessen gethan, was sogenannte routinirte und überängstliche Diplomaten mir riethen; — und sie müssen jetzt eingestehen, meine ehrliche, aufrichtige, vertrauliche Weise habe — ihnen unerwartet — Vertrauen erworben und Beifall hervorgerufen. Die HH. Cavaignac und Bastide haben mir dies nicht blos mehre Male, sondern auch Anderen gesagt, ihre Zufriedenheit mit meinem Benehmen amtlich in Frankfurt zu erkennen gegeben und den Wunsch ausgesprochen, daß ich hierlängerin Thätigkeit bleibe — Hr. v. Schmerling (welcher einstweilen in Frankfurt das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernommen) schreibt mir: „ich hoffe, daß Sie in dem jetzigen schwierigen Zeitpunkte,da Ihre Dienste unentbehrlichsind, es gut finden werden, wenn eine Verfügung auf Ihr Entlassungsgesuch unterbleibt, bis Sie sich zu einer späteren Wiederholung desselben an das künftige definitive Ministerium —wider Verhoffen— veranlaßt sehen sollten.“ — Ich antwortete gestern: „Eure Exc. Wiederübernahme der Geschäfte betrachte ich als eine Bürgschaft, daß bald ein zugleich gemäßigtes und kräftiges Ministerium zu Stande kommen werde. Und so will ich denn (bei dem mir hier und in Frankfurt gütigst geschenkten Vertrauen)gern mit meinen geringen Kräften für mein Vaterland fernerhin zu wirken versuchen.“

Mithin werde ich, nachdem ich so viele Jahre meines Lebens unzählige diplomatische Berichte gelesen habe, nun noch eine Zeit lang etwelche schreiben müssen!

Von Mittagsgesellschaften ist hier fast gar nicht mehr die Rede: ich ward vor Jahren, als bloßer Professor, viel öfter eingeladen als jetzt. Die Abendgesellschaften (welche ich zum Theil von Amtswegen besuchenmuß) sind hinsichtlich des Kommens und Gehens bequem; aber bald überfüllt (so bei Cavaignac, Lamoricière u. A.), bald zu leer, wie bei Anderen. Dann stecken zwei und zwei die Köpfe zusammen und tuscheln, während man verlassen daneben steht und sich langweilt; oder es gerathen Mehre in Eifer und sprechen dann so schnell, und recht eigentlich in ihre großen Bärte hinein, daß ich oft nicht weiß, ob sie französisch, oder chinesisch reden. Auch viele Frauen befleißigen sich (vielleicht weil es zum guten Tone gehört) einer undeutlichen Aussprache. Allerdings trifft die Schuld desNichtverstehens auch mich, des Hörens Ungeübten; aber keineswegsallein, denn Frau von Rothschild, Hr. Mignet und Andere sprechen so schön und deutlich, daß man, ohne alle Anstrengung und ohne ängstliches Rathen, jedes Wort versteht. —

Wie schlecht durch Uneinigkeit und Nachlässigkeit der sogenannten Wohlgesinnten die neuesten Wahlen hier ausgefallen sind, und wie mangelhaft sich das allgemeine Stimmrecht noch immer erweiset, habe ich wohl schon bemerkt, obwohl das frühere Geldmonopol auch nichts taugte. Es regen sich rothe Republikaner (Plünderungslustige), Bonapartisten (Kriegslustige), Orleanisten (Mitleidige), Legitimisten (Rückläufige); was soll nun aus all diesen Mischungen hervorgehen, oder welche einzelne Partei wird obsiegen? — Schwerlich wird eine friedliebender, oder auch nur ebenso friedliebend sein, wie die jetzige Regierung. Freilich gewährt und bezeugt ein Belagerungszustand keine politische Freiheit; er ist aber hier, wie in Frankfurt, das Rettungsmittel gegen Mord und Brand.

Es macht einen sehr traurigen Eindruck überall zu bemerken, daß der Begriff und das Gefühl derVerehrungfast ganz abhanden gekommen ist. Überall tritt Verneinung, Tadel, Geringschätzung, Verachtung hervor, womit kein Einzelner ein rechtes Leben führen kann, und noch weniger ein Staat sich regieren läßt. — Fast wird es wie etwas Unausbleibliches, Unausweichbares, wie ein mathematischer Grundsatz bezeichnet und anerkannt, daß jeder Mensch (und deshalb zuletzt auch jede Lehre, jede Regierung)binnen sehr kurzer Fristverbraucht (usé) seinwerdeund seinmüsse. Daher kein Widerstand, kein Muth, kein Glaube, kein Vertrauen. — So ist es aber auch in Deutschland, von den Straßenjungen und Studenten aufwärts, bis zu den berliner Reichstagsabgeordneten.

Überall werden jetzt die Minister durch unnütze Fragestellungen (zu deutsch, Interpellationen) geschoren; hier jedoch weniger wie in Berlin und Wien, und gestern hat eine solche in der Nationalversammlung dem Generale Cavaignac einen neuen Beweis ihres allgemeinen Zutrauens gebracht, dessen er zur Beruhigung der aufgeregten Gemüther sehr bedarf. Wie, trotz des übermäßigen politischen Schwatzens und Eiferns, doch bei Vielen eine verdammliche Gleichgültigkeit vorherrscht, ergiebt sich daraus, daß in dem Departement der Seine von 406,929 Wählern, bei den Wahlen 159,687 nicht erschienen sind. — In einem Artikel desJourn. d. débatsvom 18. Sept. steht (ganz übereinstimmend mit meinen Ansichten) Folgendes über Deutschland.Nous continuerons à soutenir le sentiment de l’unité allemande, et nous continuerons aussi à en signaler les excès. — La tentative de centraliser l’Allemagne a l’instar de la France, est contraire à l’histoire et au génie l’Allemagne. — Si l’assemblée de Francfort ne tempère pas l’ardeur de centralisation dont elle s’est prise, elle échouera dans la constitution de l’unité allemande. Cette constitution est possible, à condition de n’être point excessive. — On passe ordinairement par l’enthousiasme, pour arriver au bon sens etc.


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