Sechsundvierzigster Brief.

Sechsundvierzigster Brief.

Frankfurt a. M., den 10. August 1848.

Die Zeit hat mir nicht erlaubt zu meinen sechs gedruckten „in der Paulskirchenichtgehaltenen Reden,“ noch andere hinzuzufügen. Ich hatte sonst Lust eine zu halten„über die Abschaffung der deutschen Geschichte“, etwa folgenden Inhaltes: „Die pariser Tage des Februar haben nicht blos den Franzosen, sondern auch den Deutschen die Freiheit gebracht! Mit dem Jahre 1848 beginnt das Leben unseres Volkes; was dahinter liegt, war Tyrannei der Könige, der Fürsten, des Adels, der Patricier, der Zünfte, der Bischöfe, der Pfaffen; ein unwürdiger, erbärmlicher Zustand, den zu achten Verrath, den zu vergessen ein Glück, den zu verdammen eine Pflicht, mit welchem sich zu beschäftigen, ein widerwärtiges, ekelhaftes Geschäft ist.

So ertönen mancherlei Stimmen mit solcher Sicherheit und Anmaßung, daß ihnen zu widersprechen, Tollkühnheit und Thorheit zu sein scheint. Und warum auch widersprechen? Die neue Lehre ist ja so bequem, der Weg so kurz, das Ziel nahe und unfehlbar, und die neue Weisheit leicht zu behalten. Zwar findet sich der Anfangspunkt des Deutschen nicht in Deutschland, sondern in Paris; auch ist seine Lebensdauer noch nicht so lang wie die eines Kindes, und es hat noch weniger die Kinderkrankheiten überstanden. In seiner durch französische Gevatterschaft geheiligten Geburtsstunde, liegt jedoch eine Bürgschaft für die Ewigkeit und das Jahr 1848 wiegt tausend Jahre früherer Geschichte auf. Hiemit, meine Herren, wäre denn freilich von Etlichen die Abschaffung der deutschen Geschichte beschlossen,und diese Abschaffung scheint noch weniger Anstoß zu geben, als die des Adels und des Cölibats.

Soll ich, ein Lehrer der Geschichte, nun allein hierüber Klage erheben? Soll ich mich nicht vielmehr freuen, daß alle historischen Aufgaben so erleichtert und verkürzt, ja daß sie ganz bei Seite geworfen sind, weil jetzt von Manchen allein diejenige Geschichte für würdig erklärt wird, welche sie selbst machen.

Den größten Theil meines Lebens habe ich der Geschichte unseres Vaterlandes gewidmet, mich für jene Zeiten großer Kaiser, gewaltiger Päpste, edler Fürsten, kräftiger Städte begeistert! — „Das Alles (höre ich rufen) war Narrentheidung, lächerliche Verblendung, thörichter Wahnsinn! Ihr Leben war ein gänzlich verlorenes Leben.“

Wie ich leben wollte und gelebt habe, das ist meine Sache; davon handelt es sich nicht. Ich vertrete nicht meine Person, sondern Deutschlands Geschichte; und so hoch ich die Versammlung in der Paulskirche auch stelle, — wenn aus ihren Grüften auf die Galerie hinaufstiegen, Kaiser wie Friedrich I. und Friedrich II., Fürsten wie Heinrich der Löwe und Friedrich der Weise, Adlige wie Hutten und Götz von Berlichingen, Männer wie Luther und Melanchton; — sie würde bei aller Berufung auf ihre Allmacht nicht im Stande sein, die so besetzte Galerie räumen zu lassen!

Wozu indeß mein Eifer? Es sind ja zuletzt nur Wenige (ich meine außerhalb dieser Mauern), welche die Geschichte so hochmüthig behandeln, Vorfahren lästern ohne zu erwägen, daß Nachkommen alsdann dasselbe thun werden, Wurzeln des Daseins und Verbindungsfäden mit der Vorzeit abschneiden, uneingedenk, daß alsdann auch das Werk des letzten Tages abreißt und vertrocknet.

So fern Sie auch, meine Herren, von diesen Ansichten und Lehren sind, liegt Ihnen doch die Gefahr keineswegs fern: viele durch alle Jahrhunderte hindurchgehende Eigenschaften und Neigungen, Leidenschaften und Vorurtheile, Vorzüge und Mängel unseres Volkes um deswillen nicht unbefangen zu würdigen, weil die drückenden Mängel der letzten Jahre sämmtlich nacheinerSeite hin lagen.

Im Jahre 1648 glaubte man auch das Allerbeste für die Ewigkeit gegründet zu haben und rühmte sich dessen über Maß; — und doch war es nur ein Nothbehelf, erwachsend auf dem Boden, nicht der höchsten Wahrheit und Liebe, sondern auf dem zerrütteten Boden der endlich ermatteten Leidenschaften.

Soll Ihr Werk gesunder, dauernder, segensvoller sein, so gründen Sie es auf dem Inhalte tausendjähriger deutscher Geschichte, befreien Sie den Baum unseres Lebens von trockenen, oder unfruchtbaren Zweigen; aber hauen Sie ihn nicht nieder, um Stecklinge in einen Boden zu pflanzen, in welchem sie nicht gedeihen können!


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