Leben, Trachten und Sitten der chinesischen Frauen.

Leben, Trachten und Sitten der chinesischen Frauen.

A

Am ersten Tage meines Aufenthaltes in Canton gewahrte ich in dem Straßengewirr dieser größten Stadt des Reiches der Mitte an einer Straßenbiegung eine junge Chinesin, ihrer Kleidung nach zu schließen, den besseren Ständen angehörig. Auf ihren winzigen Füßchen trippelte sie unbeholfen, auf einen Schirm gestützt, einher, ein seltsames Wesen mit bemaltem Gesicht und üppigem schwarzen Haar, in welchem einige natürliche Blumen steckten.

Frau aus dem Volke.

Frau aus dem Volke.

Die Chinesen, die ihr begegneten, blickten sie spöttisch an, einige riefen ihr mir unverständliche Worte zu, andere verhöhnten sie durch Gebärden. Die Chinesin aber ließ alle Vorübergehenden unbeachtet.

Das zarte Geschöpf interessierte mich, denn ihr unschuldsvoller Gesichtsausdruck und ihre Scheu sagten mir, daß sie unmöglich eine Jüngerin Aphrodites sein könne. Mein Dolmetscher, den ich darüber befragte, bestätigte meine Vermutung. „So geht es den Frauen immer”, fügte er hinzu, „wenn sie sich ohne Begleitung auf die Straße wagen. Anständige Frauen sollen bei uns das Haus nicht verlassen, und thun sie es, so lassen sie sich in geschlossenen Sänften tragen, oder sie nehmen Begleiterinnen mit.”

„Aber die vielen Frauen, die wir hier in den Straßen sehen”, frug ich weiter, „bleiben doch unbeachtet? Kein Mensch scheint sich um sie zu kümmern.”

„Weil sie arm sind, nur Arbeiterinnen und Frauen aus dem Volke. Aber Damen dürfen sich so nicht sehen lassen: das ist gegen die Sitte.”

Thatsächlich fand ich während meiner folgenden Reisen und Aufenthalte in größeren Städten diese Bemerkungen bestätigt. Der Gegenstand war so interessant, daß ich überall trachtete, so viel als möglich darüber zu erfahren. Auf vielen früheren Reisen hatte ich beobachtet, daß nichts so richtig auf den Kulturzustand eines Volkes schließen läßt, als die Stellung der Frau. In China ist diese Stellung nicht so tief, als es den Anschein hat. Die Mißachtung der Frau ist nur äußerlich und durch althergebrachte Formen eingeimpft. In Wirklichkeit spielt sie vielleicht eine ebenso wichtige, wenn nicht wichtigere Rolle und ist geachteter und einflußreicher als bei so manchem anderen Volke, dessen Kulturzustand für höher angesehenwird als jener der Chinesen. Der Fremde, der länger in China weilt, wundert sich in der ersten Zeit, den Chinesen niemals in der Gesellschaft ihrer Frauen und Töchter zu begegnen. Empfängt der Chinese zu Hause, so bleiben die weiblichen Mitglieder seiner Familie unsichtbar; giebt er Diners, so nehmen nur Männer, zuweilen auch Courtisanen daran teil, niemals die Frauen; besucht er das Theater, so werden die Frauen in einer abgesonderten, den Männern unzugänglichen Galerie Platz nehmen; fährt er an einem besonderen Festtage spazieren, so geschieht dies ausschließlich nur in Gesellschaft von Männern; die Frauen fahren in einem anderen Wagen und zu anderer Zeit aus. Bei Familienfesten, Hochzeiten und dergleichen bewirtet der Hausvater die Männer, seine Gattin die Frauen. Ja, es ist unter den Chinesen sogar ein Verstoß gegen die gute Sitte, nach dem Befinden der Frau überhaupt nur zu fragen, geschweige denn ihr einen Besuch abzustatten oder die (stets rote) Visitenkarte bei ihr zu hinterlassen. Im gesellschaftlichen Verkehr werden die Frauen vollständig ignoriert, als wären sie gar nicht vorhanden, obschon die Chinesen unter sich ein sehr ceremoniöses, höfliches Volk sind. Das einzige weibliche Wesen, das im Gespräch unter Bekannten beachtet wird, ist die Mutter. In einem fremden Hause erkundigt sich der Besucher nach dem Alter und dem Befinden aller männlichen Bewohner. Er fragt nicht: „Wie geht es Deinem Vater?” sondern in wörtlicher Uebersetzung: „Ausgezeichneter Bejahrter, welches ehrenwerte Alter?” d. h. „wie alt ist Dein Vater?” Der Vater des Hausherrn wird von Besuchern als der ausgezeichnete Ehrenwerte oder der ehrwürdige große Fürst bezeichnet; der Sohn nennt seinen Vater Majestät der Familie oder Fürst der Familie; der verstorbene Vater heißt der frühere Fürst. Will aber ein Gast der Mutter des Hausherrn (niemals der Frau) seine Aufmerksamkeit bezeugen, so sagt er: „Ausgezeichnete Langlebigkeit Halle bezeuge für mich Wunsch Ruhe”. Die drei ersten Worte deuten die Wohnung der Mutter an. Spricht ein Chinese mit einem näheren Bekannten von dessen Frau, so nennt er sie die ehrenwerte Dame oder Deine Bevorzugte; spricht er aber von seiner eigenen Frau, so bezeichnet er sie mit den Worten „tsien nui”, d. h. die Geringe der inneren Gemächer oder auch die Närrische der Familie. Selten dringt ein Fremder bis in die Frauengemächer seines Gastfreundes.

Unter solchen Umständen ist es ungemein schwierig, aus eigener Anschauung etwas über das Leben und die Stellung der Frauen in der besseren Gesellschaft der Chinesen zu erfahren; der Fremde wird sie im Theater, im Wagen oder in der Sänfte, dann bei festlichen Aufzügen oder in Tempeln sehen können, aber er kann nicht mit ihnen sprechen; die einzigen Auskünfte über sie kann er nur von Dolmetschern, von katholischen Missionären, welche vermöge ihres Berufes in das Familienleben der Chinesen näheren Einblick erhalten, und endlich von aufgeklärten, an den Umgang mit Europäern gewöhnten Chinesen selbst erhalten, wie es deren in den Hafenstädten, besonders in Shanghai, viele giebt. Ich habe diese Quellennach Thunlichkeit benutzt und mir überdies die bezüglichen Stellen des in ganz China anerkannten Buchs der Gebräuche übersetzen lassen; einen tiefen Einblick in das Frauen- und Familienleben gewährt überdies ein äußerst interessantes Buch eines neueren chinesischen Schriftstellers, Luhtschau, genannt der weibliche Lehrmeister. In seiner Vorrede sagt er von den Frauen:

Chinesische Mädchentypen.❏GRÖSSERES BILD

Chinesische Mädchentypen.

❏GRÖSSERES BILD

„Im Gespräch soll eine Frau nicht dreist und geschwätzig sein, sondern streng sich danach halten, was recht ist; ob sie ihrem Gatten einen Rat erteilt, oder ihm Vorwürfe macht, oder ihre Kinder unterrichtet, sie muß immer die Etikette beobachten, ihre Erfahrungen unterwürfig vorbringen.... Das Betragen der Frau soll streng, ernst und nüchtern sein, sich aber doch den verschiedenen Gelegenheiten anpassen, z. B. im Bedienen ihrer Eltern, im Empfangen oder Begrüßen ihres Gatten, beim Aufstehen oder Niedersetzen. Wenn in gesegneten Umständen oder in Trauer, oder bei der Flucht vor dem Kriege, soll sie durchaus anständig sein. Die wichtigsten Beschäftigungen eines Weibes sind die Zucht des Seidenwurmes und das Weben von Stoffen; die Zubereitung und das Austeilen der Speisen für die Haushaltung, dann das Vorbereiten der Opfergegenstände; danach können Studien und Lektüre die Zeit ausfüllen.”

Dieser Abschnitt aus dem Werke Luhtschaus sagt in wenigen Worten sehr viel, und was die Hauptsache ist, seine Vorschriften werden von der großen Menge der Frauen Chinas streng eingehalten. Es kann kaum sittsamere, keuschere und tugendhaftere Frauen geben, als es die Chinesinnen sind, sittsam im Betragen wie in der Kleidung. Im Gegensatz zu den Japanerinnen zeigt sich die Chinesin unter allen Verhältnissen stets vollkommen bekleidet, von der Fußspitze bis zum Halse; selbst unter den untersten Ständen, unter den Bootsleuten Cantons oder den Theearbeiterinnen Hankaus, bleiben höchstens die Füße und Unterarme unbekleidet.

Wie kleidet sich die Chinesin? Das ist gewiß für europäische Damen ein sehr interessantes Kapitel, zumal jetzt, wo die Schöpfer der Damenmoden wohl ihr ganzes Erfindungstalent aufgebraucht haben, wo die ganze Geschichte der Mode von der Jetztzeit bis zum Altertum und vom Altertum bis zur Jetztzeit mehrmals durchprobiert, wo alles bisher Erdachte schon mehrmals hervorgeholt, eingeführt und wieder abgesetzt wurde, wo nichts mehr übrig bleibt, als zu den Moden der letzten Jahre zurückzugreifen; denn mit jedem Jahre, mit jeder Saison wechseln die Damenmoden zum Schrecken aller Gatten und Familienväter. Wo kann man noch etwas Neues, nicht Dagewesenes hervorholen? Die Toiletten der Negerinnen und Indianerinnen sind selbstverständlich ausgeschlossen, die Gewänder der Bewohnerinnen Indiens und Japans entsprechen nicht dem europäischen Geschmack, also vielleicht China? Ich glaube nicht, daß unsere Damen an der Tracht der Chinesinnen besonderen Gefallen finden dürften, ebensowenig wie die letzteren an unseren Moden Gefallen gefunden haben. Beträgt die Bevölkerung Chinas wirklichvierhundert Millionen, so giebt es dort beiläufig zweihundert Millionen Evatöchter, also um vierzig Millionen mehr als in ganz Europa. Aber unter diesen zweihundert Millionen hat es bisher keine gegeben, welche die Tracht der europäischen Damen angenommen hätte, ja, ich habe in China keine einzige Chinesin gesehen, die auch nur ein Hütchen, ein Stiefelchen, einen Handschuh oder Strümpfe nach europäischem Muster getragen hätte. Ein ähnliches Beharren an althergebrachten Trachten, eine ähnliche Standhaftigkeit habe ich bisher bei keinem Volke angetroffen. Auf meinen Reisen sah ich zahlreiche Negerinnen, Indianerinnen, Mulattinnen, Frauen der Indier, Javaner, Malayen, Siamesen, Japaner, Birmaner, selbst der Araber in europäischen Frauentrachten. Noch zahlreicher waren jene, welche wenigstens einzelne Kleidungsstücke, vor allem Strümpfe, Schuhe und Hüte angenommen haben. Nicht daß diese europäischen Kleidungsstücke ihrem Aussehen zuträglich gewesen wären, im Gegenteile, bei keiner einzigen von den Tausenden des bunten Völkergemisches, das mir vorschwebt, hat ein europäisches Kleidungsstück je eine Erhöhung ihrer weiblichen Reize, eine Verschönerung ihres Aussehens zur Folge gehabt. Anderseits kann merkwürdigerweise die Europäerin, besonders jene der germanischen Rassen, die Tracht irgend einer anderen Rasse, ausgenommen der Negerinnen und Indianerinnen, die, sagen wir, zu geringfügig ist, anlegen, sie wird dadurch an eigentümlichem Reiz nur gewinnen. Nur eine Frauentracht macht darin eine Ausnahme: gerade jene der Chinesin, die unschönste, die ich unter den Frauentrachten der einzelnen fremden Völker kennen gelernt habe. Von den Chinesinnen werden die Erfinder der europäischen Damenmoden wohl kaum jemals etwas holen. In einer Hinsicht ist dies sehr bedauerlich, und diese ist die Beharrlichkeit, mit welcher die Chinesinnen an der althergebrachten Tracht festhalten. Wie ihre Urgroßmütter, so kleiden sie sich auch heute noch, und so werden sich voraussichtlich auch ihre Enkelinnen kleiden. Die Chinesin hat so wenigstens Gelegenheit, ihre Kleidungsstücke auszutragen, sie braucht sie nicht nach einjährigem Gebrauch wieder beiseite zu legen. Sie kann ihren Geist, ihre Mittel, ihre Zeit nützlicheren Dingen zuwenden als der leidigen Mode.

Im ganzen großen Weltreiche herrscht eine merkwürdige Gleichheit der Frauentracht, wie sie sonst in so ausgesprochener Weise nirgends vorkommt. Von der Mandschurei bis Tonkin, von Tibet bis ans Gelbe Meer zeigt der Schnitt der Kleider bei hoch und niedrig nur geringe Unterschiede. Am einfachsten sind wohl die armen Frauen jener Hunderttausende gekleidet, welche in Canton auf dem Perlflusse leben. Ihre Armut, ihr Elend gestattet ihnen keine anderen Kleidungsstücke als ein blaues bis über die Knie reichendes Oberhemd, an der Seite zugeknöpft, und ein Paar blaue Beinkleider aus Baumwollstoff, die bis nahe an die Knöchel reichen. Sie kennen keine regelrechte Kopfbekleidung, und ihre Füße sind nackt. Ebensowenig kennen sie Unterwäsche. Die einzige Koketterie, die sie entfalten, betrifftdie gewöhnlich sorgfältige Haarfrisur, welche sie noch mit natürlichen Blumen schmücken; aber die Chinesin flicht ihre Haare nicht in Zöpfe, sondern kämmt sie glatt von der Stirn nach hinten und steckt sie dort, bandartig zusammengeklebt und verschlungen, mit einer langen Stecknadel fest. Jede trägt überdies Ohrgehänge aus milchgrünem Nephritstein (Jade), und jene, welche sich durch Arbeit mühsam einige Mark zusammensparen, legen diese gewöhnlich noch in einem ebensolchen Armring aus einem Stück an. Reichen ihre Mittel nicht dafür aus, so kaufen sie sich wenigstens Ohr- und Armringe aus grünlich-milchigem Glas.

Andere Kleidungsstücke als das Baumwollhemd und die Beinkleider kennen die Frauen und Mädchen der niederen Stände nicht; auch die Feldarbeiterinnen der südlichen Provinzen tragen sie Tag und Nacht. Bei brennender Sonnenhitze schützen sie ihren Kopf durch große Strohhüte, und dann sind sie aus einiger Entfernung von den Männern kaum zu unterscheiden, besonders wenn diese ihren langen Zopf nicht über den Rücken fallend, sondern um den Kopf gewunden tragen. In China, diesem Lande der verkehrten Welt, wo unsere Kultur auf den Kopf gestellt ist, tragen die Männer Zöpfe, nicht die Frauen.

Je höher man in der gesellschaftlichen Rangstufe der Chinesen aufwärts steigt, desto zahlreicher werden die Kleidungsstücke der Frauen. Jene, denen man in den Straßen Cantons, Swataus, Futschaus begegnet, tragen Sandalen oder Schuhe. Ihre Füße und Knöchel sind mit weißen Baumwollstreifen umwunden, welche zuweilen das untere Ende der Beinkleider umfassen. An ihren großen oder vielmehr natürlichen Füßen erkennt man, daß sie umherziehende Tagelöhnerinnen sind, die sich ihren Verdienst heute hier, morgen dort durch saure Arbeit erwerben. Die nächst höhere Stufe, die Frauen der Handwerker und kleinen Händler, sind durch reichlichere Kleidungsstücke und bessere Schuhe erkenntlich, die bei den Chinesen beider Geschlechter niemals aus Leder, sondern stets aus Stoff mit dicken Filzsohlen ohne Absätze bestehen. Gewöhnlich ist die Farbe der Schuhe schwarz. Sind sie blau, so befindet sich ihr Träger in leichter Trauer, sind die Schuhe und mit ihnen auch die Kleidungsstücke weiß, so befindet sich ihr Träger in tiefer Trauer. Nur die Unterkleider sind unter gewöhnlichen Verhältnissen weiß, und der Besitzer derselben zeigt dadurch allein schon, daß er dem Mittelstande angehört. Eine Frau aus diesen Ständen läßt sich schon aus der Ferne als solche durch ihren beschwerlichen, unbeholfenen Gang erkennen, der sich ausnimmt, als ginge sie auf kurzen Stelzen einher. Nähert man sich ihr, so gewahrt man auch die Ursache dieses eigentümlichen Ganges, denn die Füße zeigen sich wie schmale Ponyhufe, mit weißen Baumwollstreifen umwunden und in winzigen Schuhen steckend, die, kaum eine Spanne lang, mit bunten Zieraten und Stickereien versehen sind.

Viele Reisende, die auf ihrer Jagd um den Erdenglobus flüchtig durch Canton oder Shanghai wanderten, berichten, die Unsitte der Verkrüppelung der Füße sei imAbnehmen begriffen. Sie haben eben nur Frauen der untersten Stände gesehen, bei welchen die Fußverkrüppelung überhaupt nicht vorkommt. Aber bei den Frauen der mittleren und höheren Stände findet sie heute gerade so statt wie vor Jahrhunderten. Ja auf meinen Reisen durch die nördlichen Provinzen, vornehmlich in Schantung, habe ich selbst auf den Feldern, in den ärmsten Dörfern keine einzige Frau, kein Mädchen von über zwölf Jahren gesehen, deren Füße nicht verkrüppelt gewesen wären. Je höher die gesellschaftliche Stufe, welcher die Frau angehört, desto mehr werden auch ihre Füße von früher Jugend auf eingezwängt, desto kleiner erscheinen die Füßchen, ja ich habe in China neue sowohl wie getragene Schuhe erworben, die neun bis zwölf Centimeter lang sind. Als ich in einem Schuhladen in Hongkong zum erstenmale derlei Schuhe erblickte, hielt ich sie für solche von zwei- oder dreijährigen Kindern, bis ich erwachsene Frauen mit solchen Schuhen einhertrippeln sah. Hätte man mir dergleichen in Europa erzählt, ich hätte es für unglaublich gehalten. Die winzigen schmalen Füßchen in den hübschen, bunten Seidenschuhen nehmen sich ungemein zierlich und kokett aus, besonders wenn die Damen sitzen oder stehen. Gehen sie, so kann man sich der Gedanken an die Qualen, die sie ausstehen müssen, nicht erwehren, aber hat man Gelegenheit, einen nackten derartigen Fuß zu sehen, dann wird man von Entsetzen erfaßt. Im chinesischen Hospitale von Hongkong zeigte mir der (europäische) Arzt vom Dienste die Füße einer kranken Frau. Die vier kleineren Zehen waren unter der Fußsohle eingebogen, und ihre Nägel erschienen in die Sohle eingewachsen. Die Ferse war nach vorn gezwängt, derart, daß der Abstand zwischen dem fleischlosen Fersenknochen und der Spitze der großen Zehe kaum zwölf Centimeter betrug; und die Wadenknochen waren vollständig fleischlos, nur mit der runzeligen, roten Haut bedeckt.

Das ist chinesische Frauenschönheit, auf welche die Männer den größten Wert legen; das sind Reize, welche die chinesische Braut besitzen muß, wenn sie überhaupt einen Mann finden will. Von einer Abnahme dieses entsetzlichen Gebrauches in China habe ich nirgends etwas vernommen, auf dem Lande wie in der Stadt sind die Kin-lien, d. h. goldenen Lilien (so heißen die verkrüppelten Füße bei den Chinesen), nach wie vor ein Schönheitszeichen, und nur in Hangtschou habe ich erfahren, daß viele dortige Männer in ihren Heiratskontrakten die goldenen Lilien nicht mehr erwähnen, daß sie also die verkrüppelten Füße der Braut nicht mehr vorschreiben. Ich habe mit vielen Chinesen über diese entsetzlichen Martern, welche die armen Frauen ausstehen müssen, gesprochen, aber die meisten lächelten und meinten statt jeder weiteren Antwort, es wäre eben Sitte. Ein aufgeklärter Kaufmann in Shanghai stellte statt aller Antwort die Gegenfrage auf: „Verkrüppeln denn Ihre europäischen Damen nicht auch ihre Füße, verkrüppeln sie nicht ihre Körper, indem sie dieselben ebenso zusammenzwängen wie unsere Frauen ihre Füße?”

Schantung-Damenschuh.

Schantung-Damenschuh.

In dieser Hinsicht sind die Frauen der Tataren und Mandschuren viel besser daran. Die Fußverkrüppelung kommt bei ihnen nicht vor, es genügt ihnen, ihre an und für sich sehr kleinen, wohlgeformten Füßchen in zierliche Pantöffelchen zu stecken, und sie finden doch ihren Mann. Da die herrschende Kaiserdynastie einem Mandschurengeschlechte entstammt, so besitzt auch die Kaiserin von China keine verkrüppelten Füße, und am ganzen Kaiserhof ist diese Unsitte unbekannt.

Bei den Chinesen ist sie einfach Modesache, deren Entstehung noch von niemand erklärt worden ist. Uebrigens können sich viele fashionable Damen Chinas trotz ihrer Hemmschuhe erstaunlich gut fortbewegen. Freilich sah ich einmal in Nanking eine Dame, die vor ihrem Hause von einer Dienerin aus der Sänfte gehoben und auf ihrem Rücken in das Innere getragen wurde, gerade so wie die Fellachenweiber ihre Kinder auf dem Rücken tragen. In Chinkiang sah ich mehrere Sklavinnen, die ihre reich geputzten Herrinnen in derselben Weise über die Straße in ein Freundeshaus trugen. Die Damen hatten ihre Arme um den Nacken der Trägerinnen geschlungen, und die letzteren hielten ihre Lasten wieder dadurch, daß sie, mit ihren Händen nach rückwärts greifend, die Schenkel der Damen unterstützten. Die goldenen Lilien waren unter den Kleidern auf beiden Seiten der Sklavinnen sichtbar. Gesprächsweise erwähnte ich dies einem im Innern von China wirkenden Missionar gegenüber. Dieser, seit einer Reihe von Jahren dort thätig und mit dem Leben der Chinesen eng vertraut, erzählte mir seinerseits, er habe schon viele Chinesinnen kennen gelernt, die ungeachtet ihrer verkrüppelten Füße ohne Schmerz beträchtliche Strecken weit gehen konnten. Eine derselben war jeden Sonntag von ihrer mehrere Kilometer weiten Wohnung zum Gottesdienst in die Kirche gekommen und wieder zu Fuß heimgekehrt. Viele Hausfrauen haben bei ihren häuslichen Verrichtungen in den zumeist sehr geräumigen Homes mit ausgedehnten Gärten und Höfen täglich recht viel zu gehen, so daß der Einwand, die verkrüppelten Füße hinderten am Gehen, keineswegs richtig ist. Auf meinen späteren Inlandreisen sah ich Chinesinnen, mit ihren verkrüppelten Füßchen in Seidenschuhen steckend, auf den Feldern arbeiten; ja, als ich den heiligen Berg Taischan, sechstausend Fuß hoch, bestieg, thaten Dutzende von Frauen, darunter Greisinnen, das gleiche mit ihren winzigen Krüppelfüßchen.

Chinesische Frauenfüße.

Chinesische Frauenfüße.

Die Toilette der vornehmen Chinesinnen ist in Schnitt und Farbe jener der niederen Stände ähnlich, aber mit farbigem Besatz und den prächtigsten Stickereien reich verziert. Die Aermel sind weiter und länger, so daß bei herabfallenden Armen sogar die Hand davon bedeckt wird. Ein steifes Nackenband mit Stickereien hält den Faltenwurf in Ordnung, und auf der Brust sind dieselben Stickereien von Bären, Drachen, Reihern, Pfauen und dergleichen zu sehen, welche ihr Gatte je nach seinem Mandarinsrange tragen darf. Ueber dem Beinkleid tragen die vornehmen Damen Chinas noch einen langen blauen Rock, der bis an die Füße reicht und an den Hüften festgehalten wird. Das gestickte blaue Oberhemd fällt über diesen Rock bis nahe an das Knie herab. Jede Seite des Unterrockes zeigt sechs senkrechte Doppelfalten, und auf die Vorder- und Rückseite sind viereckige Stücke aus den schwersten Seidenstoffen aufgenäht, welche die herrlichsten und zartesten Stickereien tragen, Arbeiten, die unsere Damen in helles Entzücken versetzen würden. Sie, sowie der Kopfputz und die Füße bilden den Stolz der chinesischen Frauenwelt. Auf Schmucksachen, ausgenommen Ohrgehänge und Armspangen aus Halbedelsteinen, Perlen oder Edelmetall, wird kein besonderer Wert gelegt. Hüte sind auch bei vornehmen Damen unbekannt; ebensowenig tragen sie Kopftücher oder Schleier. Der Kopf ist stets unbedeckt und unverhüllt. Nur wenn Mandarinsfrauen zu Festlichkeiten an den Kaiserhof befohlen werden, erfordert die ungemein strenge Etikette, daß sie dieselben Hüte mit denselben Rangabzeichen tragen wie ihre Männer.

Viele Damen finden Gefallen daran, die Fingernägel des dritten und vierten, zuweilen auch des kleinen Fingers der linken Hand ein paar Centimeter lang wachsen zu lassen. Im Hause werden die Nägel durch zierlich ornamentierte Fingerhüte aus Gold oder Silber geschützt, die nach unten zu offen sind. Es blieb mir unverständlich, auf welche Weise die chinesischen Damen Hände und Gesicht waschen konnten, auf welche Weise sie auch ihre Zeit verbrachten, denn Handarbeiten mitderartigen Krallen sind ausgeschlossen, und mit dem Romanlesen ist es im Reich der Mitte schlimm bestellt.

Verkrüppelter Fuß einer Chinesin.

Verkrüppelter Fuß einer Chinesin.

Die kostbaren Juwelen werden von den Damen im Haar getragen. Ueberhaupt gefiel mir an ihnen der Kopfputz am besten, denn die Gesichter sind gewöhnlich mit einer dicken Schicht Puder bedeckt, über welche die Damen noch eine ebenso dicke Schicht von Rot legen, das bis an die Augenbrauen reicht. Sie suchen diese Malerei auch keineswegs zu verbergen, sie ist ehrlich, offen und dick aufgetragen, und gewiß kann sich niemand rühmen, eine chinesische Dame jemals zum Erröten gebracht zu haben. Die Augenbrauen werden zuweilen ausgezupft oder abrasiert, stets aber mit Holzkohle derart nachgezeichnet, daß sie etwa die Form des Mondes an den ersten Tagen nach Neumond besitzen. Was Wunder, daß mir unter solchen Umständen das Haar am besten gefiel? Auch hier werden falsche Haare zu Hilfe genommen, ganz so, wie es bei Damen, die unseren Rassen näher stehen, zuweilen auch der Fall sein soll. Nur ist es den Chinesinnen leichter, die Haarfarbe des Chignons zu treffen, denn sie sind durchweg rabenschwarz. Eine blonde oder rote Chinesin würde vielleicht größeres Aufsehen erregen als die siamesischen Zwillinge. Junge Mädchen tragen das Haar lang herabfallend. Frauen verleihen ihrem gewöhnlich sehr üppigen Haarwuchs erhöhten Glanz dadurch, daß sie es in harzigen Flüssigkeiten baden und sorgfältig kämmen. Haarbürsten sind den orientalischen Völkern unbekannt.

Durch Zufall sah ich einmal mit Hilfe des Feldstechers der Haartoilette einer Dame zu, eine gewiß verzeihliche Indiskretion, wenn man bedenkt, daß ich sie nur in ethnographischem Interesse, und um die Europäerinnen vielleicht etwas Neues zu lehren, beging. Die blatternarbige Schöne saß auf ihren Fersen auf dem Boden. Sie kämmte ihr reiches Haar von der Stirne glatt zurück und hob es etwas vom Kopfe dadurch, daß sie einen Finger darunter hielt. Dann wurde der flache Haarstrang am Scheitel nach vorn umgebogen, so daß er eine Schleife bildete, und mit einer Nadel festgesteckt. In ähnlicher Weise bildete sie mit dem Seitenhaar Schleifen, die weit vom Kopfe abstanden, und steckte sie am Scheitel mit Nadeln fest. Dann schmückte sie das Haar mit Juwelen und Blumen, von denen die hübscheste in ein kleines schmales Gefäß gesteckt wurde, das sie in dem Haar verbarg.

In den mittleren Provinzen Chinas wird das Haar von rückwärts nach aufwärts gekämmt und in einem hohen, vom Kopfe abstehenden Bogen nach vorn geführt, wo es festgesteckt wird. Ein chinesischer Poet besingt eine Schöne mit folgenden Worten: „Wangen wie die Mandelblüte, Lippen wie die Pfirsischblüte, den Leib wie ein Weidenblatt, Augen, so munter wie in der Sonne glitzerndes Wassergekräusel, und Füße wie die Lotosblume.”

Frau in eleganter Kleidung.

Frau in eleganter Kleidung.

Würden unsere Damen die Lage ihrer Schwestern bei den anderen Völkerrassen aus eigener Anschauung kennen lernen, so würden sie uns wahrscheinlich größeren Dank wissen für die gewiß beneidenswerte Stellung, welche wir ihnen, wir wollen es zugeben, auch mit vollem Rechte eingeräumt haben. Die Chinesen vergleichen beispielsweise die Stellung der Frau zum Manne wie jene der Erde zum Himmel, wobei der letztere selbstverständlich durch das starke Geschlecht dargestellt wird. Die Geschlechter sind in dem uralten Reiche der Mitte keineswegs gleichberechtigt wie bei uns. Der Chinese huldigt der Frauenschönheit und Frauentugend nicht wie wir, er besingt und umschwärmt sie nicht, Frauenwünsche und Frauenlaunen sind ihm nicht Befehle, die Ritterlichkeit und Höflichkeit, mit welcher unseren Damen, wie sie meinen, noch viel zu wenig begegnet wird, ist den Chinesen vollständig unbekannt. Der Mann herrscht dort, die Frau dient, dem Manne allein gehört das öffentliche Leben, die Frau bleibt im Hause, der Mann genießt vollständige Freiheit, die Frau ist dem Willen des Mannes unterworfen. Sie tritt überhaupt nicht an die Oeffentlichkeit und wird im großen ganzen als ein geringeres Wesen angesehen. Die Geburt eines Sohnes ist ein Freudenfest im Hause und in der ganzen Familie des Chinesen; die Geburt einer Tochter wird kaum berücksichtigt. Fragt man einen Chinesen, ob er Kinder besitze, so wird er das nur auf die Söhne beziehen und die Töchter gar nicht mit nennen, ja, es ist Thatsache, daß Tausende von neugeborenen Mädchen jährlich ermordet werden. Armut und übergroßer Kindersegen sind die Hauptursachen dieses verbrecherischen Gebrauchs. Von den Eltern selbst wird der Kindermord selten begangen; das Kind wird gewöhnlich der Hebamme übergeben oder vielleicht an einer Polizeistation oder an dem Kreuzungspunkt vonStraßen weggelegt. Wird es gefunden, bevor es dem Hunger oder den Unbilden der Witterung unterlegen ist, so wird es einem der vielen in den Städten bestehenden Waisenhäuser übergeben und dort großgezogen. Die Regierung hat den Kindermord in mehreren kaiserlichen Edikten verdammt und mit Strafe belegt; er ist auch in den meisten Gegenden nicht so häufig, wie es angenommen wird, nur in Schantung und Honan scheint er überhand genommen zu haben. Uneheliche Kinder werden stets beseitigt. Auch bei Knaben kommt es zuweilen vor, besonders wenn sie mit Gebrechen behaftet sind, oder wenn die abergläubigen Eltern der Meinung sind, daß das Kind von bösen Geistern besessen ist. So wurde mir in Tsining am Kaiserkanal erzählt, daß kürzlich ein Knäblein in das dortige Waisenhaus gebracht wurde, das auf der Brust von Raben ganz zerhackt war. Ein christlicher Chinese soll es vor den Stadtmauern gefunden haben. In Tsining und Tsautschou-fu kommt das Weglegen von neugeborenen Töchtern besonders in Zeiten von Hungersnot sehr häufig vor. Gewöhnlich werden die armen Wesen schon im Elternhause getötet, die Leichen aber über die Stadtmauer geworfen, wo sie von Hunden und Raben gefressen werden. Ein chinesisches Sprichwort sagt:Igo guinia pango örr, d. h. „eine Tochter ein halber Sohn”, und wenn in einer Familie der Reihe nach mehrere Töchter geboren werden, so wird häufig auch in den besseren Ständen eine Tochter geopfert, in der Hoffnung, daß bei der Seelenwanderung ihre Seele doch in den Körper eines Knaben kommen dürfte.

In den meisten Großstädten befinden sich eigene Kindertürme, gemauerte Behälter, in welche die Leichen neugeborener Kinder geworfen werden, um die Beerdigungskosten zu ersparen. Aber es ist unrichtig, daß sie zur Aufnahme lebender weggelegter Kinder dienen.

In vielen Familien gleicht das Leben der Mädchen und Frauen, natürlich nur nach europäischen Begriffen, einem langsamen Hinsterben, denn sie sind an das Haus gefesselt, keine Frau darf es ohne Bewilligung ihres Gatten verlassen, und thut sie es, so kann der Mann sie einem anderen Manne als Konkubine verkaufen. Man hat mir von vielen Frauen erzählt, welche das Haus jahrelang nicht verlassen haben. Freilich darf man sich unter den Häusern der Reicheren nicht etwa solche wie die unserigen vorstellen. In China wohnen ganze Familien, oder vielmehr Familiengruppen, mit zahlreichen Männern, Frauen, Kindern und Sklavinnen in einem ausgedehnten Häuserkomplex mit Gärten und Lotosteichen, Lusthäuschen, Hallen und Tempelchen, alles von einer hohen Mauer umschlossen, aber über diese Mauer hinaus gelangen die Frauen nur selten. Sie haben ihre eigenen Häuser und Gemächer, und schon als Kinder von sechs bis sieben Jahren werden sie von ihren Brüdern und Vettern, mit einem Worte, von den Männern so viel als möglich abgesondert. Selbst in den Räumen der ärmeren Klassen dürfen Knaben und Mädchen nicht auf denselben Matten sitzen oder gemeinschaftlich ihre Mahlzeiteneinnehmen. Ja, einem alten chinesischen Gebrauch zufolge sollen Frauenkleider mit jenen der Männer nicht auf denselben Nagel gehängt werden; Frauen sollen nicht an denselben Stellen baden, an welchen sich Männer zu baden pflegen; die Frau darf auch nicht mit dem Manne essen. Zuerst stillt er seinen Hunger, dann kommt die Frau. In den untersten Volksschichten können diese Gebote natürlich nicht eingehalten werden, aber in den höheren Ständen werden sie streng beachtet.

Erreicht das Mädchen ein Alter von dreizehn bis fünfzehn Jahren, so wird sie von den Eltern verlobt, ja sehr häufig findet diese Verlobung schon statt, wenn die Kinder kaum das fünfte oder sechste Jahr erreicht haben. Von einer selbständigen Wahl ihrer Gatten ist natürlich niemals die Rede. Nur in seltenen Fällen hat das Mädchen der besseren Stände Gelegenheit, andere Männer wenigstens flüchtig zu sehen, aber selbst wenn zwei junge Leutchen auf solche Art Zuneigung zu einander fassen sollten, müssen die Eltern ihre Zustimmung geben. Ein chinesisches Sprichwort sagt darüber:T’schü t’schi yu ho, pi ku fu mo, d. h. „will man ein Weib freien, so muß man sich an die Eltern wenden”. Die Eltern sind die unumschränkten Gebieter über ihre Kinder; diese werden niemals zu Rate gezogen, und nur von Seite der Männer darf eine Heiratsaufforderung ergehen, niemals von den Mädchen. Papa und Mama des zukünftigen Ehemannes, selbst wenn er erst acht oder zehn Jahre alt sein sollte, lassen durch eigene Heiratsvermittler in den verschiedenen, ihnen im Range annähernd gleichen Familien nach einem passenden Mädchen Umschau halten. Ohne Heiratsvermittler giebt es in China keine Heirat. Der Chinese sagt:Tien schang wu yün pu hsia yü, ti hsia wu mei pu t’scheng t’schin, „wie der Himmel ohne Wolken keinen Regen spenden kann, so kann auch keine Heirat stattfinden ohne Heiratsvermittler”, wobei diese Vermittler meistens pfiffige, alte Weiber sind.

Die beiden Familien erkundigen sich eingehend nach den beiderseitigen Verhältnissen, und sind diese befriedigend, so wird die Summe festgestellt, welche die Eltern des angehenden Ehemannes den Eltern der Braut zu zahlen haben, denn die Ehe in China ist im Grunde nichts weiter als der Ankauf einer Frau. Unrichtige Angaben dürfen dabei nicht gemacht werden, sonst erhält der schuldige Papa vom Gerichte hundert Stockstreiche verabreicht, und die Geschenke, welche der Braut beim Abschluß der Verlobung gemacht werden, müssen zurückgeschickt werden. Auch darf kein Zwang eintreten. Sollte es sich herausstellen, daß jemand die Tochter eines freien Mannes zur Ehe mit seinem Sohne oder einem sonstigen Anverwandten gegen den Willen ihrer Eltern oder Vormünder veranlaßt hat, so wird er gerichtlich erdrosselt. Die Tochter wird aber niemals nach ihren Wünschen gefragt, obschon die chinesischen Mädchen doch auch Herzen haben. Ihre Pflicht ist es, den Eltern zu folgen und sich fürs Leben an jenen zu ketten, den die Eltern für sie angenommen haben, mag auch das Herz dabei zu Grunde gehen. Deshalb kommen auch in China Liebestragödien gar nicht selten vor. Will die junge Braut sich der Ehe mit einem ihr verhaßten Manne entziehen, so bleibt ihr nichts übrig, als Selbstmord zu begehen.

Sind die Erkundigungen, wie gesagt, befriedigend ausgefallen und die Verträge unterzeichnet, so sendet der Bräutigam seiner ihm gänzlich unbekannten Braut Verlobungsgeschenke, unter denen sich als wichtigstes häufig dieses nützliche, aber keineswegs besonders angesehene Haustier, eine Gans befindet. Die Gans gilt in China wie in Korea als das Symbol der ehelichen Treue. Mit der Annahme der Gans ist das Mädchen verlobt, obschon sie je nach ihrem Alter häufig noch Jahre warten muß, ehe ihr das zweifelhafte Glück zu teil wird, Frau zu werden. Was immer in manchen Werken über China behauptet werden mag, es kommt doch nur selten vor, daß Männer unter zwanzig Jahren, Mädchen unter fünfzehn Jahren wirklich heiraten.

Man kann sich die Gefühle eines solchen eben aufblühenden jungen Mädchens vorstellen, wenn sie den chinesischen Verlobungsring, die Gans, erhält. Sie hat keine Ahnung von dem Aussehen und Charakter des Menschen, mit dem sie für ihr ganzes Leben verbunden werden soll. Von ihren Eltern und Brüdern oder gar von Bekannten kann sie darüber wenig erfahren; denn vom Tage ihrer Verlobung an wird sie noch strenger gehalten als zuvor. Sie darf mit Fremden gar nicht verkehren, und sollten ihre Eltern Besuche erhalten, so muß sie sich aus dem Raume entfernen.

Wie ihre kleinen Füßchen, die goldenen Lilien, so werden auch ihre Gefühle, ihr ganzes inneres Wesen und Sein absichtlich verkrüppelt, und es wäre unverständlich, wie chinesische Mädchen unter solchen Umständen noch fröhlich sein, lachen und scherzen können, wüßten wir nicht, daß sie eben keine Ahnung von den glücklichen Verhältnissen haben, unter denen ihre kaukasischen Schwestern in Europa und Nordamerika leben. Ihr Horizont reicht nicht weiter als die Mauern ihres Heims, ihre Urteilsfähigkeit ist eingedämmt durch die althergebrachten Formen und Sitten, ihre Lektüre, wenn sie lesen gelernt haben, beschränkt sich auf langweilige Klassiker, Theaterstücke und chinesische Erzählungen, denn Bücher über Länderkunde, Geschichte und dergleichen giebt es nur wenige.

Am Tage der Ehe wird sie von einem Freunde ihres Gatten abgeholt, in eine rote Sänfte eingesperrt und so nach ihrem zukünftigen Heim getragen. Aber ihre Stellung bleibt nach wie vor die gleiche, denn sie erhält keinen eigenen Hausstand. Als Mädchen war sie die unterwürfige Dienerin ihrer Eltern und älteren Brüder, als Frau ist sie die Dienerin ihrer Schwiegereltern und ihres Gatten. Der Verkehr mit dem Elternhause hört auf, die Eltern ihres Gatten sind nun ihre Eltern, und selbst wenn ihr Gatte sterben sollte, so bleibt sie in der Familie desselben und darf zu ihren eigenen Eltern nicht zurückkehren. Dies ist sogar der Fall, wenn der Tod ihres Verlobten vor der Heirat erfolgen sollte. Ein derartigesLos ist gewiß nicht beneidenswert. Sie gelangt mitten unter Fremde, die ihr nicht immer mit Liebe begegnen, ohne Murren muß sie die Befehle ihrer neuen Mutter, der Herrin des Hauses, ausführen, sie selbst hat nichts zu sagen, ja sie findet mit Beschwerden bei ihrem Manne kaum irgendwelche Unterstützung, denn als erstes Gebot im chinesischen Familienleben gilt die Unterwerfung gegenüber den Eltern. Zeigt die junge Frau Unwillen oder Trotz, so kann sie von ihrem Manne geschlagen werden. Hilfe findet sie nirgends. Nur durch sklavische Befolgung ihrer Pflichten, durch Demut und Unterwürfigkeit kann sie sich allmählich die Neigung ihrer neuen Verwandten erwerben; wird ihr aber ein Sohn geboren, so ist ihre Stellung gesichert, sie wird fortan mit Achtung und Liebe behandelt. Während des ersten Monats nach der Geburt ihres Kindes ist sie das Opfer einer Menge eigentümlicher Gebräuche. Mutter, Vater, ja ihr eigener Gatte meidet das Gemach, in dem die Kranke liegt. Niemand als ihre Dienerin darf es betreten, und ein großer Strauß von Immergrün, über der Thür aufgehängt, warnt alle Besucher vor dem Eintritt. Ja die letzteren dürfen sogar ihre großen roten Visitenkarten nicht abgeben. Alle Personen, die mit ihr in demselben Hause wohnen, selbst Fremde, die das Haus während dieses ersten Monats betreten sollten, werden unrein und dürfen beispielsweise bis nach Ablauf des Monats keinen Tempel betreten. Stirbt die unglückliche Mutter während dieser Zeit, so hat sie im Fegefeuer bestimmte Strafen auszustehen, bis sie aus demselben durch besonders vorgeschriebene Tempelopfer befreit wird.

Ist das junge Wesen, dem sie das Leben gegeben hat, ein Mädchen, so wird die Stellung der jungen Frau womöglich noch ungünstiger, denn nicht nur, daß sie in der Achtung ihrer Eltern und Verwandten sinkt, ihr Gatte wird sich auch bald, wenn es seine Mittel erlauben, nach einer zweiten Gattin, oder vielmehr nach einer Konkubine umsehen. Die chinesischen Gesetze erkennen freilich nur eine Frau, und zwar die erste, als die rechtmäßige an, allein sie gestatten es dem Manne, so viele Konkubinen in sein Haus aufzunehmen, als er ernähren kann oder will. Diese Art der Vielweiberei kommt hauptsächlich bei den wohlhabenden Kaufleuten und Mandarinen vor, in den ärmeren Klassen nur selten. Dennoch sind mir auch hier derartige Fälle vorgekommen. Meine Bootsfrau in Canton, ein energisches, sparsames, flinkes Wesen, erzählte mir selbst, daß ihr Gatte sich eine Konkubine im Hause hielte, und beklagte nur das schwere von ihr sauer erworbene Geld, welches er ihr für diesen Zweck abpreßte. Ruderte sie mich mit ihren starken Armen auf dem breiten Strom umher, dann kam ihr Gespräch immer wieder auf ihren verlumpten Mann zurück und auf seine zweite Frau, die sie im Hause dulden mußte. Aus jedem Worte sprach ihre Eifersucht. Sind die Chinesinnen denn keine Frauen? Mein Dolmetscher in Canton besaß drei Frauen, jener in Chinkiang zwei. Durch Zufall begegneten wir diesen letzteren in der Straße, häßliche, ärmlich gekleideteWesen: die eine war in einer Seidenzucht beschäftigt, die andere verkaufte den chinesischen Bootsleuten im Hafen Eßwaren. Wie ich mir nachher von einem Zollbeamten sagen ließ, hatte der gute Lin Tun Fung seine zweite Frau nur ins Haus genommen, weil er durch ihre Thätigkeit seine Einnahmen vermehrte.

So gefügig und duldsam die chinesische Frau auch sein mag, eine Nebenbuhlerin im Hause muß ihr doch arge Seelenschmerzen bereiten, denn nicht selten kommt es vor, daß sie durch allerhand kleine Mittelchen trachtet, ihre Schwester oder sonst eine Anverwandte ihrer eigenen Familie mit ihrem Manne zusammenzubringen, damit er sie als Konkubine wähle. Mehrere Konkubinen sind weniger schlimm als eine einzige. Um die Ruhe seines Hausstandes zu sichern, weist der Gatte der zweiten Gattin gewöhnlich eine eigene Haushaltung an, denn ein chinesisches Sprichwort sagt: „Ein Schlüssel macht keinen Lärm, zwei Schlüssel verursachen Gerassel”. Auch wenn die erste Frau ihm Söhne geboren haben sollte, nimmt der Chinese gerne noch eine zweite Frau; besonders Schiffer, Boots- und Handelsleute, die viel auf Reisen gehen, und wohlhabendere Beamte, welche die Bäder besuchen wollen. Seine erste Frau kann er nicht mitnehmen, weil ihr die Leitung der Hausgeschäfte obliegt, als Reisefrau nimmt er die zweite mit.

Der Ausdruck zweite oder dritte Frau ist nicht in diesem Sinne zu verstehen, denn nur die erste ist wirklich seine legitime Frau, und bei ihren Lebzeiten darf er keine zweite heiraten, er darf auch keine solche an die Stelle der ersten setzen, also ihre Stellungen in seinem Haushalte vertauschen. Die Nebenfrauen sind nur Konkubinen und unterstehen der wirklichen Gattin; sie werden auch nicht mit demselben Ceremoniell wie die letztere geheiratet, sondern einfach ihren Eltern abgekauft, und dabei kann der Gatte wenigstens dem Zuge seines Herzens folgen, lieben und in sein Haus aufnehmen, wen er will.

Die Nebenfrauen eines Chinesen sind, wie bemerkt, der Autorität der ersten Frau unterworfen. Diese allein hat im Hause zu befehlen, und das ist vielleicht die einzige Genugthuung, die ihr nach ihrer Demütigung durch den Gatten bleibt. Mädchen der besseren Stände werden auch für Nebenfrauen nicht hergegeben; gewöhnlich entstammen sie den armen Volksklassen, sind möglicherweise Sklavinnen oder sogar Dienerinnen aus dem eigenen Hausstande. Ihre Kinder müssen sie aber der ersten Frau abtreten, welche die Mutter aller Kinder ihres Gatten wird und mit diesem allein über ihre Eheschließung und alle andern Verhältnisse zu verfügen hat. Die wirklichen Mütter dürfen keine Einsprache erheben.

Ehrenpforte bei Tsingtschou-fu.

Ehrenpforte bei Tsingtschou-fu.

In Arbeit, Erziehung der Kinder und Verwaltung des Hausstandes vergehen die Jahre, und je älter sie wird, desto mehr steigt ihr Ansehen. War ihr Gatte der älteste Sohn der Familie, und sterben seine Eltern, so hat sie die höchste Stellung in der Familie erreicht, ist umgeben und hochgeachtet von den Frauen der jüngeren Brüder, ihren Kindern und Enkeln, die alle unter ihrer Leitung in demselben Häuserkomplex wohnen. Stirbt ihr Gatte aber noch bei Lebzeiten seiner Eltern, und solange sie jung ist, so gilt es nicht für anständig, wenn sie sich einen zweiten Gatten nimmt, und die Fälle einer Wiederverheiratung kommen bei Witwen von Beamten niemals, bei solchen der höheren Stände nur selten vor. Aber ein chinesisches Sprichwort sagt:t’ieu yan hsia, niang yan tschia, wu fa k’o tschy,d. h. will der Himmel regnen und deine Mutter wieder heiraten, so kann sie nichts daran verhindern. Um die althergebrachten Sitten zu wahren und angesehenen Familien die Schande zu ersparen, eine Witwe ihres Hauses in ein anderes Haus übertreten zu sehen, werden standhafte Witwen in China auf eigentümliche Weise belohnt. Ich habe in chinesischen Städten und Dörfern häufig freistehende Thorbogen aus Stein, mit Inschriften bedeckt, wahrgenommen. Ursprünglich dachte ich, sie wären Triumphbogen, zum Andenken an kriegerische Thaten oder tapfere Generale aufgeführt. Aber diese tapferen Generale sind in diesem Falle gewöhnlich standhafte Witwen oder besonders brave Töchter gewesen. Ich kann mit meinem bescheidenen Europäerverstand freilich nicht begreifen, wie es bei einer Witwe besonderer Standhaftigkeit bedarf, nach den gewöhnlich sehr traurigen Erfahrungen der ersten Ehe dem Ansturm neuer Freier zu widerstehen. Aber in China scheint die Sache doch anders aufgefaßt zu werden, denn dieser tapfere Widerstand wird dem Distriktstaotai gemeldet, dieser macht einen Bericht an den Provinzgouverneur, und der letztere sendet ihn sogar an den Kaiser in Peking. Ich fand zuweilen in der Pekinger Staatszeitung Edikte, mit welchen Seine Majestät anordnet, daß der Witwe X. X. oder der braven Tochter Y. Y. in ihrem Heimatsorte ein Triumphbogen zu errichten sei. Wieder die verkehrte Welt. Bei uns sind es große Staatsmänner und Kriegshelden, welchen solche Ehren erwiesen werden, in China Mädchen und Witwen.

Stirbt die gesetzliche Frau eines Mannes, so darf er sich wieder verheiraten oder eine seiner Konkubinen zur ersten Frau erheben, die mit zunehmendem Alter endlich die Herrschaft über den ganzen Familienclan erhält. Ja, sollte sie in dieser höchsten Familienstellung ihren Gatten verlieren, so tritt nicht etwa der älteste Sohn an dessen Stelle als Leiter der Familie, sondern die Mutter bleibt es in unumschränkter Weise bis zu ihrem Tode. Der Chinese sagt, seine legitime Frau sei wie der Mond, die Konkubinen wie die Sterne, und alle drehen sich in ihrem Laufe um die Sonne, den Mann.

Die chinesischen Ehen sind nicht etwa unauflöslich. Die Gesetze nennen sieben Gründe für die Ehescheidung, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse des Reiches der Mitte grell beleuchten. Sie sind: Ehebruch, Unfruchtbarkeit, Eifersucht, Ungehorsam, Diebstahl, Aussatz und Geschwätzigkeit. Auch kann die Scheidung auf gegenseitiges Einverständnis erfolgen. Sollte der Mann bei Ehebruch seiner Frau die Scheidung nicht verlangen, so setzt er sich der Bestrafung durch Stockstreiche aus; sollte sie während seiner Abwesenheit eine neue Ehe eingehen, so wird sie erdrosselt; nur wenn diese Abwesenheit drei Jahre dauert, kann sie nach Anmeldung bei den Gerichten ihre Freiheit erlangen.

Die armen Frauen der höheren Stände haben es kaum viel besser als jene der indischen Zenanas oder der arabischen Harems, und beinahe könnte man sagen, daß die Frauen der untersten Stände Chinas ein günstigeres Los haben, als ihrereichgekleideten, geputzten und geschmückten Schwestern. Sie sind wenigstens nicht an das Haus gefesselt, sie genießen einigermaßen Freiheit. Besonders in Canton und den südlichen Provinzen sah ich sie allen möglichen Berufen nachgehen. Schneiderinnen kauern an den Straßenecken, um Kleider zu flicken; Dienerinnen durchwandern die Gäßchen, um Einkäufe oder Besorgungen für ihre Herrin zu machen; auf dem Flusse und im Hafen verkehren die Frauen ungezwungen, durch keine gesellschaftlichen Formen eingeengt, mit den chinesischen oder fremden Männern. Die ärmsten der Frauen ziehen durch das Gewirre von Gäßchen der Städte, um allerhand Abfälle und Unrat für ihre Schweine zu sammeln. Draußen auf dem Lande sind sie in den Seidenzüchtereien oder auf den Reisfeldern thätig; sie schneiden Gras oder suchen auf den Bergabfällen nach Wurzeln, Zweigen und sonstigem Brennmaterial; Hunderte pflücken Theeblätter an den sich meilenweit hinziehenden kleinen Stauden; überall sind es kräftige, gut gebaute Gestalten, weit größer und stärker als ihre Schwestern in Japan oder Hinterindien. Weiter gegen Norden, in der Umgegend von Swatau oder Amoy, sind sie schon viel seltener; auch am Jangtsekiang und Kaiserkanal genießen sie lange nicht die gleichen Freiheiten wie in Canton.


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