II.

II.

Tabakbau.

Man darf behaupten, daß die hohe wirtschaftliche Blüte Cubas bis in die siebziger Jahre des XIX. Jahrhunderts hinein angedauert habe, und wenn gewisse statistische Ausweise für die Beurteilung dieser Blüte maßgebend wären, so könnte man sogar geneigt sein zu glauben, daß es auch in den achtziger und neunziger Jahren noch sehr glänzend damit bestellt gewesen sei. Die Zuckerproduktion der Insel erreichte ja im Jahre 1894 die vordem niemals dagewesene Höhe von 1030000 Tonnen, so daß sie ein volles Dritteil von der Rohrzuckerproduktion der ganzen Welt ausmachte, und daß Java, Mauritius u. s. w. darin weit hinter Cuba zurückstanden. DieTabakernte betrug bis 1895 im Jahresdurchschnitte gegen 600000 Centner, und etwa 450000 davon wurde in Gestalt von Blättern, der größere Teil des Restes aber in Gestalt von Cigarren (1889 250 Millionen) und Cigaretten (1893 147 Millionen Pakete) in das Ausland verführt. Die Einwohnerzahl der Insel war im Jahre 1890 auf 1660198 gestiegen, die Zahl ihrer Zuckerfabriken (Ingenios) auf 1119, die Zahl ihrer Tabakpflanzungen (Vegas) auf 8485, die Zahl ihrer Viehzuchtgehöfte (Potreros) auf 4214, die Zahl ihrer Rinder auf 2,5 Millionen, die Zahl ihrer Pferde, Maultiere und Esel auf 965000 und der Wert ihrer sämtlichen Landgüter auf 1260 Millionen Mark. In seinem Ausfuhrhandel aber überragte Cuba (1892 384 Millionen Mark) sowohl Algerien und Ägypten als auch das Kaisertum Japan, und in demHafen von Habana allein verkehrten 1890 2179 Schiffe (mit 2,6 Millionen Tonnen).

Abb. 10.Die Königspalmenallee des Botanischen Gartens zu Habana.

Abb. 10.Die Königspalmenallee des Botanischen Gartens zu Habana.

Abb. 11.Ein Ingenio.

Abb. 11.Ein Ingenio.

Die Ursachen des Niederganges.

Ungeachtet dieser Ziffern, die von der Bedeutung und dem Werte der „Perle der Antillen“ kein weniger glänzendes Zeugnis ablegen als das Tagebuch des Kolumbus, wurde die Lage in Cuba aber in wirtschaftlicher ebenso wie in politischer und allgemein kultureller Beziehung während der letzten Jahrzehnte allgemach eine überaus üble, und man durfte sich seit geraumer Zeit mit Fug und Recht fragen, ob sie wohl in irgend einem Lande der Erde eine traurigere sein könne. In Irland war sie höchstens eine ähnlich traurige.

Der Ursachen, die diese Wendung zum Schlechteren herbeigeführt haben und die es zugleich auch bewirkt haben, daß die Herrschaft über die Insel vor unseren Augen den Händen der Spanier entglitten ist, — dieser Ursachen gab es mancherlei, und mit dem bloßen Hinweise auf das spanische Mißregiment sind dieselben in jedem Falle nicht erschöpft.

Die berührte starke Bevölkerungszunahme in dem letzten Viertel des vergangenen und in der ersten Hälfte des gegenwärtigen Jahrhunderts war, da es sich bei Cuba selbstverständlich immer in erster Linie um eine tropische Pflanzungskolonie handelte, in ganz hervorragender Weise durch die in jener Zeit sehr schwungreich betriebene Negersklaveneinfuhr aus Afrika bedingt, und mehr und mehr gewann dabei das schwarze Element in dem cubanischen Volkskörper das entschiedene Übergewicht. So waren im Jahre 1774 nicht ganz 44 Prozent von der Bevölkerung Neger und Mulatten, im Jahre 1841 aber mehr als 62 Prozent, und erst als die Sklaveneinfuhr aufhörte — die Schmuggeleinfuhr nicht früher als in den fünfziger Jahren —, da trat in diesem Verhältnisse wieder ein Umschwung zu Gunsten des weißen Elementes ein dergestalt, daß das letztere bei der Volkszählung 1887 62 Prozent, das Element der Neger und Mulatten aber nur 35 Prozent von der Gesamtbevölkerung ausmachte.

Volksverhältnisse.

Von einer so hochgradigen Verschwarzung und Afrikanisierung wie auf Haiti oder Jamaica war also auf Cuba zu keiner Zeit die Rede, immerhin schritt der Prozeß aber vorübergehend ebensoweit fort wie in den nordamerikanischen Südstaaten Südkarolina, Georgia, Alabama, Mississippi und Louisiana, und gewisse schlimme Mißstände konnten auch hierbei nicht ausbleiben. Die Behandlung der Schwarzen durch die Weißen war unter der heißen Sonne Cubas im allgemeinen eine viel mildere und menschenwürdigere oder doch eine viel lässigere und weniger straffe als in Nordamerika, und im Zusammenhange damit war die Zahlder Freigelassenen früh eine verhältnismäßig große (1811: 114000 und 1867: 249000), sowie auch die sociale Scheidewand zwischen den beiden Elementen nirgends eine sehr strenge und schroffe und vielfache Vermischungen und Übergänge zwischen ihnen Platz griffen. Dabei wurde die farbige Rasse natürlich nicht zu einem unterwürfigen Sinne gegenüber der weißen erzogen, sondern viel eher zu Unabhängigkeitsgefühl und zu hochfahrendem und unbändigem Wesen. Zugleich gab es auch jederzeit eine beträchtliche Zahl Entlaufener — sogenannter Cimarronneger, weil die hellfarbigen Mulatten unter ihnen die Hauptrolle spielten —, und diese scharten sich in den schwer zugänglichen Gebirgs- und Sumpfwildnissen allerwärts, namentlich aber in dem östlichen Teile der Insel, zu mehr oder minder starken Banden zusammen, teils nach afrikanischer Art ein harmloses und bedürfnisloses Naturmenschenleben fristend, teils aber auch Weg und Steg bedrohend, einsame Pflanzergehöfte überfallend, raubend, mordend und brennend, und eine allgemeine Unsicherheit des Lebens und Eigentums schaffend. Wiederholt, vor allem in den Jahren 1812, 1829 und 1844, wurden in dieser freien Negerbevölkerung Cubas auch ähnliche politische Gelüste und Bestrebungen wach, wie seiner Zeit auf Haiti, und mindestens ein Aponte ging mit seinem Aufstande (1812) zweifellos darauf aus, nach dem Vorbilde von Toussaint l’Ouverture und Dessalines eine Mulattenrepublik oder ein Mulattenkaisertum in Ostcuba zu errichten.

Abb. 12.Fabrikgebäude eines Ingenio.

Abb. 12.Fabrikgebäude eines Ingenio.

Neger und Weiße.

Ein arbeitslustiges und aus eigenem Antriebe wirtschaftlich rühriges oder geistig vorwärts strebendes Bevölkerungselement ist das farbige auf Cuba so wenig gewesen wie anderweit, und ein schweres Hemmnis der allgemeinen Kulturentwickelung der Insel hat darin immer gelegen, ganz ähnlich wie in den nordamerikanischen Südstaaten. Daß das Wirtschaftsleben Cubas ein so überaus einseitiges geblieben ist und sich heute im wesentlichen nur auf zwei Stapelerzeugnisse erstreckt, ist vor allen Dingen hieraus zu begreifen. Der Rohrzuckerbau würde trotz der hohen Gunst des Klimas und der Bodenart schwerlich zu dem angegebenen großartigen Umfange gediehen sein, wenn die Pflanzer in den Zeiten, wo sie sich zu der schrittweisen Freigebung ihrer Sklaven verstehen mußten, nicht darauf bedacht gewesen wären, die schwarzen Arbeiter gutenteils durch eingeführte chinesische Kulis und durch gemietete weiße Arbeiter sowie durch Maschinen zu ersetzen; und die Tabakkultur erhielt sich auf der alten Höhe lediglich dadurch, daß sie jederzeit ganz vorwiegend in den Händen von weißen und halbindianischen Kleinbauern (Guajiros) gewesen ist. Zucker- und Tabakdistrikte sind auf Cuba im allgemeinen keine Negerdistrikte. Die bis zum Jahre 1840 auf das höchste blühende, von der Negerarbeit aber schwer unabhängig zu haltende Kaffeekultur geriet in argen Verfall und vermochte in den letzten Jahrzehnten nicht mehr den Eigenbedarf der Inselbevölkerung zu decken, und der Kakaobau, der Baumwollenbau, der Indigobau sowie zahlreiche andere tropische Landwirtschaftszweige, die durch die Naturverhältnisse recht wohl möglich wären, gelangten über ein schwaches Anfangsstadium ihrer Entwickelung niemals hinaus. Desgleichen hielt sich auch der bereits bei der indianischen Urbevölkerung betriebene Maisbau ebenso wie der Reisbau und der Anbau anderer Nährfrüchte hauptsächlich der schwer entbehrlichen Negerarbeit halber in sehr bescheidenem, für die Versorgung der Bevölkerung unzureichendem Umfange, obgleich Mais, Reis, Bataten, Kartoffeln und dergleichen auf Cuba alljährlich zwei bis drei Ernten von demselben Boden gewähren.

Abb. 13.Cubanische Negerin.

Abb. 13.Cubanische Negerin.

Daß Neger und Mulatten auf Cuba bei der ihnen eigenen Arbeitsscheu nur ausnahmsweise zu wirklichem Wohlstande kamen, und daß sie nach ihrer, mit gutem Grunde von der spanischen Regierung nur zögernd und schrittweise vollzogenen Befreiung ein besitzloses städtisches und ländliches Proletariat (Abb. 13) darstellen, kann hiernach nicht befremden. Ebenso ist es aber auch nicht zu verwundern, daß die farbige Bevölkerung allezeit ein ganz besonders williges und eifriges Instrument jeder auf Unordnung und auf Umsturz der bestehenden Verhältnisse abzielenden Bewegung gewesen ist, und daß sie auch in den Revolutionskriegen der Jahre 1868 bis 1878 und 1895–1898 sowohl eine verhältnismäßig große Zahl der Anführer — einen Antonio und José Maceo, einen Quintin Bandera, einen Clotilde Garcia, einen Villanueva, einen Castillo — als auch die entschiedene Mehrzahl der wirklichen Kämpfer und des Trosses in dem Insurgentenheere gestellt hat. Der große und erfolgreiche Brenn- und Sengzug durch die Zuckerrohr- und Tabakfelder, den die Insurgenten im Winter 1895 zu 1896 in der ganzen gewaltigen Längserstreckung der Insel ausführten — von der äußersten Ostspitze (Kap Maisi) bis zur Westspitze (Kap San Antonio) ist es weiter als von der deutsch-russischen bis zu der deutsch-französischen Grenze (gegen 1200 Kilometer) —, kommt beinahe ausschließlich auf die Rechnung der Mulatten und Neger.

Volksleben.

Die weiße Bevölkerung Cubas entströmte im bemerkenswerten Gegensatze zu derjenigen der Nordamerikanischen Union in dem gegenwärtigen Jahrhunderte ebenso wie in allen voraufgegangenen in der Hauptsache einem einzigen europäischen Lande — Spanien —, und soweit sich der Stammesgegensatz zwischen Castiliern, Catalanen, Basken, Andalusiern u. s. w. von dem spanischen Boden auf den Boden der großen Antilleninsel verpflanzte, so schwand er daselbst immer sehr rasch. Es läßt sich demnach kaum eine vollkommenere Einheitlichkeit in Sprache, Sitte und Lebensart, sowiezugleich im Religionsbekenntnisse denken, als er unter den cubanischen Weißen herrscht, und ebensowenig auch eine vollkommenere ethnologische Übereinstimmung zwischen der Kolonie und ihrem Mutterlande. Man rühmt den Cubanern nach, daß sie fast durchgängig ein sehr reines Castilisch sprechen. Ebenso erfreuen sie sich an dem grausamen Spiele des Stiergefechtes mit seinen buntgekleideten Toreros und Toreras, Banderilleros und Banderilleras (Abb. 14und15), sowie an dem des Hahnenkampfes mit den damit verbundenen Wetten, an den Glücksspielen des Monte und der Lotterie, an der Musik der Guitarre, an den Volkstänzen des Fandango und Zapateado (Abb. 16), und vielfach entfalten sie bei alledem eine noch größere Leidenschaftlichkeit, als ihre daheim gebliebenen Stammesbrüder, so daß man behaupten könnte, der heißblütige spanische Nationalcharakter habe sich in ihnen nur noch weiter gesteigert. Die Männer tragen breitrandige Sombreros wie in Spanien und die Frauen schwarze Spitzenmantillas (Abb. 17). Die Häuser von Habana und Santiago sind von derselben massigen und festungsartigen Bauart wie die von Toledo und Sevilla, und besseren darunter fehlt nie der blumen- und palmengeschmückte innere Hof (Patio) sowie die Söllerausstattung der oberen Stockwerke, nur sind ihre Fenster weiter und statt mit Glasscheiben mit schwerem Eisengitterwerk verschlossen (Abb. 18,19und20), weil der Luftbedarf darin in dem Tropenklima naturgemäß ein viel größerer ist. Die Getränke kühlt man in den wohlbekannten spanischen Alcarrazas (porösen Thonkrügen), während sich im übrigen in den Trinkgefäßen zum Teil der auch nach dem Mutterlande hinüberwirkende indianische Einfluß geltend macht (Abb. 21). Die Herrschaft über die Geister endlich führen in Cuba wie in Spanien Priester und geistliche Orden, und nur unter den Männern herrscht hier wie dort eine gewisse Neigung zu Gleichgültigkeit in religiösen Dingen oder zu ausgesprochenem Freidenkertume.

Abb. 14.Ein Stiergefecht.

Abb. 14.Ein Stiergefecht.

Wie bei solcher Übereinstimmung und Einheitlichkeit eine tiefe Kluft mitten durch die weiße Bevölkerung Cubas hindurchgehen kann, mag auf den ersten Blick unbegreiflich erscheinen. Die Thatsache läßt sich aber nicht leugnen und auch die andere Thatsache nicht, daß die Kluft sichniemals hat überbrücken lassen und daß sie noch erheblich mehr als die geschilderte Eigenart der farbigen Rasse dazu beigetragen hat, die materielle und geistige Kulturentwickelung Cubas zum Stillstand und die spanische Herrschaft über die Insel zum Zusammenbruche zu bringen. Auch in anderen Kolonialländern, und nicht zum mindesten auch in der Nordamerikanischen Union — die in beträchtlichem Umfange bis auf den heutigen Tag ein Kolonialland geblieben ist —, bildet sich verhältnismäßig rasch ein Gegensatz zwischen den älteren und neueren Ankömmlingen, bezugsweise zwischen den im Lande Geborenen und den Einwanderern, und die letzteren werden von den ersteren vielfach als „Grüne“ oder „Gringos“ mit mißgünstigen Augen betrachtet, weil sie den wirtschaftlichen „Kampf ums Dasein“ zu einem härteren und schwierigeren machen. In Cuba, wo sich dieser Gegensatz bereits in den Zeiten der Velasquez und Cortez deutlich genug bemerkbar machte, ist er durch verschiedene Umstände aber zu viel größerer Schärfe und Schroffheit gediehen, als anderweit.

Abb. 15.Stierfechter(Banderillero).

Abb. 15.Stierfechter(Banderillero).

Das Klima Cubas.

Das cubanische Klima weicht zwar in dem größeren Teile der Insel (im ganzen Westen und Norden) nicht unwesentlich von dem Typus des normalen Tropenklimas ab, insofern als die von Nordamerika hereinbrechenden Nordwestwinde („Nortes“) öfters eine starke Abkühlung mit sich bringen — in den höher gelegenen Teilen des westlichen Binnenlandes gelegentlich bis zur Rauchfrostbildung —, und eben dadurch hat es die Akklimatisation der weißen Kulturmenschen in einem höheren Maße begünstigt, als irgendwo sonst zwischen den Wendekreisen. Immerhin wirkt das Klima außerordentlich erschlaffend auf die Nerven sowie auf den ganzen Organismus. Das kann jeder, der Cuba besucht, an sich selbst wohl genug erfahren, auch wenn er sich nur kurze Zeit daselbst aufhält. Ist doch die Durchschnittstemperatur des Januar (22,2°C) in Habana immer noch 3,2° wärmer als die Temperatur des Juli in Berlin, die Durchschnittstemperatur des Juli (28°) aber wenigstens noch 0,2° wärmer als in New Orleans, und geht doch mit den hohen Hitzegraden an den meisten Tagen des Jahres, vor allen Dingen aber in der Regenzeit (Mai bis November), eine große relative Luftfeuchtigkeit und eine starke elektrische Spannung Hand in Hand.

Wirkungen des Klimas.

Die in dem Lande geborenen Kaukasier — die Kreolen oder die „Cubanos“ schlechthin — erscheinen unter der Herrschaft dieses Klimas im großen Ganzen als ein schwächlicher Menschenschlag, dem Thatkraft, Arbeitslust, Unternehmungsgeist und offener Mut in einem hohen Grade abgeht, während ihm nicht ohne Grund Arglist und Heimtücke, sowie Hang zu privater und politischer Ränkespinnerei nachgesagt wird. Am ehesten noch dürfte man vielleicht hinsichtlich der Frauen behaupten, daß durch die veränderten geographischen Verhältnisse eine Veredelung des spanischen Typus herbeigeführt worden sei. Von ihnen werden aber auch andere Eigenschaften erwartet als von den Männern, und in dem Schatten der Häuser und Söller vermögen sich dieselben den klimatischen Einflüssen wenigstens teilweise besser zu entziehen als jene. Und Trägheit sowie Mangel an geistigem Bildungstrieb macht man den mit sanften Glutaugen, vollen Körperformen und üppigem Haarwuchs ausgestatteten Kreolinnen ebenfalls zum Vorwurfe. Übrigens giebt es natürlich unter den Männern ebenso wie unter den Frauen glänzende Ausnahmen von der allgemeinen Regel, in den meisten Fällen handelt es sich dabei aber um Persönlichkeiten, die in der glücklichen Lage waren, zeitweise unter einem außertropischen Himmelsstriche — in Spanien oder in Nordamerika — zu leben und daselbst ihre Spannkraft mehr oder minder vollständig zurückzugewinnen.

Abb. 16.Zapateado.

Abb. 16.Zapateado.

Die neuen Ankömmlinge aus Spanien, die in den letzten Jahrzehnten namentlich aus den Baskenprovinzen, aus Asturien, aus Galicien und aus Catalonien in beträchtlicher Zahl ins Land kamen, zeichnen sich, wie es bei den Auswanderern über See ziemlich allgemein der Fall zu sein pflegt, sowohl durch robuste Körperkraft als auch durch Willensstärke aus, und zugleich sind sie außerordentlich erwerbslustig und betriebsam, während sie betreffs ihrer geistigen Bildung und betreffs ihrer ethischen Grundsätze in vielen Fällen keineswegs auf einer sehr hohen Stufe stehen. Dem Klima zahlen sie ihren Tribut in den ersten Jahren ihrer cubanischen Existenz vornehmlich damit, daß sie von den bekannten Akklimatisationskrankheiten des Gelb- und Malariafiebers betroffen und zum Teil dahingerafft werden: soweit sie dieselben überstehen, bewähren sie sich aber in dem Wirtschaftsleben als ein sehr rüstiges und tüchtiges, zugleich aber auch denCreolen gegenüber als ein sehr aggressives und rücksichtsloses Bevölkerungselement. Allmählich schwindet wohl der Vorrat von Energie, den sie mitgebracht haben, auch bei ihnen, erst die Kinder aber werden in jeder Beziehung den Creolen gleich, wie sich dieselben — meist unter dem Einflusse ihrer cubanischen Mütter sowie unter dem Einflusse der Bildungsarmut ihrer spanischen Väter — auch alsbald als solche fühlen.

Wirtschaftliche Verhältnisse der Bevölkerung.

Neben der einfachen geographischen Differenzierung, die in solcher Weise zwischen den Spaniern und den Creolen — den „Peninsulares“ und den „Cubanos“ — eintritt, geht aber noch eine volkswirtschaftliche Differenzierung einher. In dieser Beziehung befinden sich die Creolen im Zusammenhange mit ihrem Volkscharakter großenteils in keiner günstigen Lebenslage, und die Mehrzahl von ihnen stellt ein ähnliches Proletariat dar wie die große Masse der Farbigen, mit der es in beständiger Verschmelzung begriffen ist — nichts sein eigen nennend als eine Machete (ein Haumesser zum Zuckerrohrschneiden und Dickichtlichten) und eine Hängematte, und je nach der gebotenen Arbeitsgelegenheit oder nach sonstigen Lockungen bald hier, bald da, aus der Hand in den Mund lebend, nicht gerade selten auch von denselben Desperado- und Banditenneigungen beseelt, wie ein Teil der Farbigen. Die Besitzer von großen Pflanzungen unter ihnen sowie auch die Besitzer von kleineren Landgütern irgend welcher Art sind aber vielfach tief in Schulden und sehen ihre Liegenheiten infolgedessen oft genug in die Hände neuer Ankömmlinge, seien dies Spanier oder seien es Amerikaner, Engländer, Deutsche u. s. w., übergehen. Die eingewanderten Spanier dagegen gelangen, auch wenn sie ohne eine Peseta (80 Pfennige Nennwert) in Habana angekommen sind, für die Regel rasch zu einem kleineren oder größeren Vermögen, und unlautere Mittel haben sie dabei durchaus nicht unbedingt nötig, wenn sie auch nicht völlig ausgeschlossen sein mögen. Da der bessere Landbesitz in Cuba seit lange in fester Hand war — dank vor allem den großen Schenkungen (mercedes) der spanischen Krone an ihre Günstlinge —, so wandten sich die neuen Einwanderer übrigens immer beinahe ausschließlich in die Städte, und es vollzog oder erhielt sich in dieser Weise noch eine weitere Sonderung zwischen ihnen und den Creolen, sowie zugleich auch eine weitere Vereinheitlichung der beiden Elemente innerhalb ihrer selbst. In den Städten, und namentlich in Habana, hatten die Spanier die Oberhand, das Land mit seinen Estancias (Farmhäusern), Bohios (Palmstrohhütten) und seinen Petreros (Viehzuchtgehöften) war aber rein creolisch (Abb. 22und23) — ein Umstand, in dem jederzeit die größte Stärke der Insurrektionsbewegungen gelegen hat.

Abb. 17.Cubanisches Mädchen im Patio.

Abb. 17.Cubanisches Mädchen im Patio.

Spanische Politik.

Daß sich Creolen und Spanier auf Cuba seit geraumer Zeit wie zwei feindliche Lager gegenüber gestanden haben und gegeneinander von bitterem Hasse erfüllt gewesen sind, und daß sich der Spruch „Blut ist dicker als Wasser“ an ihnen schlecht genug bewährt hat, darf nach diesen Ausführungen nicht wunder nehmen, und die Einheitlichkeit und Geschlossenheit der beiden Elemente in sich mußte eher dazu beitragen, die Schroffheit des Gegensatzes zu steigern, als sie zu mildern. Mindestens wurde es der spanischen Regierung dadurch schwer gemacht, den Creolen gegenüber den alten Herrschergrundsatz des „Divide et impera“ in Anwendung zu bringen, und zweifellos würden sich Nativisten und Einwanderer in der Nordamerikanischen Union auch in viel bedenklicherer Weise gegenüber stehen, wenn sie statt aus einer bunten Vielheit von Nationalitäten aus einer einzigen beständen.

Abb. 18.Typisches spanisches Haus.

Abb. 18.Typisches spanisches Haus.

Nationalcharakter und Aufstand.

Die Gefährlichkeit des Zwiespaltes wurde aber auf Cuba noch sehr bedeutend erhöht dadurch, daß die spanische Regierung sich bei ihrer Politik immer rückhaltslos auf den Einwanderernachschub aus dem Mutterlande gestützt und die höheren Verwaltungsämter vorwiegend mit Spaniern von Geburt besetzt hat. Dabei mußte den Creolen wohl oder übel viel schweres Unrecht geschehen, auch wenn die Beamten jederzeit wirklich fähige und moralisch fleckenlose Männer gewesen wären, was nicht behauptet werden kann. Das ganze Hispaniertum aber mußte den Creolen als eine wohlorganisierte Macht erscheinen, die in erster Linie darauf ausging, sie zu bedrücken, und das schöne Land, das sie kraft ihrer Geburt als das ihrige ansahen, in jeder Weise auszusaugen. Naturgemäß strebten sie also gleichfalls danach, sich zu organisieren, und in den Geheimbünden der „Soles de Bolivar“ (1823) und der „Aguila Negra“ (1829) zielte dieses Streben bereits auf die Beseitigung der spanischen Herrschaft ab, während es in der von Narciso Lopez geleiteten Erhebung von 1848–1851 für diese Herrschaft zum erstenmale wirklich bedrohlich wurde. Die spanische Regierung hat demgegenüber ihr Heil darin gesucht, daß sie den Generalstatthalter von Cuba mit diktatorischer Gewalt bekleidete, daß sie das Versammlungs- und Vereinsrecht, sowie das Recht der Presse in engen Schranken hielt, daß sie eine starke militärische Besatzung auf die Insel warf (in Friedenszeiten bis 30000 und in Kriegszeiten bis 200000 Mann), daß sie die vorwiegend aus Einwanderern zusammengesetzte Truppe der sogenannten Freiwilligen („Voluntarios“) schuf, daß sie zahlreiche Verschwörer und politischer Umtriebe Verdächtige aus dem Lande verwies und daß sie in den Zeiten des Aufruhrs unbedenklich zu Masseneinkerkerungen und Massenhinrichtungen schritt. Wir erinnern in letzterer Hinsicht namentlich an das Erschießen der acht Studenten von der Universität Habana (1871) und der 53 Leute von dem amerikanischen Dampfer Virginius (1873). Der Erfolg, den die Regierung mit diesen Maßregeln gehabt hat, ist aber ein sehr schlechter gewesen, und zu Zeiten sind ihr die Zügel dabei völlig aus der Hand geraten, um von dem „Casino Español“ (dem „Spanischen Vereine“), sowie von den „Voluntarios“, also von den Einwanderern selbst, ergriffen zu werden. Wurde doch sowohl ein General Dulce (1870) als auch ein Marschall Campos (1896) von ihnen zum Rücktritt und zur Rückkehr nach Spanien gezwungen, als sie ihnen nicht scharf und rücksichtslos genug gegen die Insurgenten vorzugehen schienen, und feuerten doch die Voluntarios ohne jeden Befehl auf die Besucher des Villanueva-Theaters. Als der große Aufstand von 1868–1878 durch den Vertrag von Zanjon beigelegt war, suchte die Regierung zu Madrid den inneren Frieden und die Ordnung auf Cuba dadurch zu befestigen, daß sie die Insel füreine spanische Provinz erklärte und ihr als solcher „alle Freiheiten Spaniens“ zugestand, und seit dieser Zeit haben 16 cubanische Senatoren und 30 Abgeordnete in den spanischen Cortes Sitz und Stimme gehabt. Den Wünschen und Ansprüchen der Creolen ist aber auch damit keine Genüge geschehen, denn trotz der viel geringeren Zahl der Peninsulares, die zu derjenigen der Creolen etwa wie 1 : 4 stehen dürfte, haben diese bei den Wahlen in der Regel den Sieg davongetragen, und überdies haben die Vertreter Cubas natürlich in den Cortes niemals etwas anderes darstellen können, als eine kleine Minorität, die einen entscheidenden Einfluß betreffs des Schicksals der Insel unmöglich geltend machen konnte. Es kam daher im Februar des Jahres 1895 zu einer neuen großen Erhebung, und der Katastrophe, die dadurch herbeigeführt worden ist, hat die Bewilligung einer weitgehenden Autonomie — nach Art der canadischen —, zu der sich die spanische Regierung endlich entschloß, nicht mehr begegnen können. Daß die hervorragendsten und energischsten Führer in diesem letzten Kampfe meist keine cubanischen Creolen waren, sondern Mulatten und Ausländer — Maximo Gomez Dominganer, Suarez Mexicaner, Roloff Pole, Vargasa Chilene, Castello Colombaner u. s. f. —, ist bekannt. Das steht in vollkommenem Einklange mit dem geschilderten Nationalcharakter und war in den vorausgegangenen Insurrektionskämpfen auch nicht anders, denn Narciso Lopez war Venezuelaner, und Maximo Gomez bewährte sich auch schon in den Jahren 1873 bis 1878 als der scharf blickende, verwegene und rücksichtslose, mit seinen eigenen Kampfmitteln, sowie mit der Gefechtsart seiner Gegner und mit der tropischen Landesnatur wohlvertraute Obergeneral. Echte cubanische Creolen waren dagegen die Häupter der republikanischen Regierung des „Freien Cuba“ („Cuba Libre“) — S. Cisneros und B. Masso —, die sich während des Kampfes schattenhaft im Hintergrunde gehalten haben, sowie die überaus rührigen Vertreter dieser Regierung in Washington und New York — Estra da Palma und Gonzalez de Quesada —, und die große Masse der Creolen ließ den Aufständischen allenthalben, wo sie konnte, gern jede geheime Förderung und Unterstützung zu teil werden, dadurch der aufgebotenen Militärmacht der Spanier ohne Zweifel ungleich gefährlicher, als wenn sie ihr im offenen Felde gegenüber gestanden hätte.

Abb. 19.Habanas Häuser und Höfe(Patios)von oben.

Abb. 19.Habanas Häuser und Höfe(Patios)von oben.

Chinesen, Amerikaner und Engländer.

Die chinesischen Kulis, deren Zahl sich zur Zeit etwa auf 50000 (gegen 3 Prozent der Gesamtbevölkerung) beläuft, haben den Zweck, zu dem sie seit 1847 eingeführt worden sind, im allgemeinen gut erfüllt und sich in den Zuckerrohrpflanzungen und Zuckerfabriken als geschickte und fleißige Arbeiter bewiesen, so daß das Fortblühen des wichtigsten cubanischen Wirtschaftszweiges ihnen in sehr bemerkenswertem Maße mit zu verdanken ist. Reichtümer haben sie aber unter den obwaltenden Verhältnissen als Plantagenarbeiter ebensowenig gesammelt als in anderen Geschäftsbetrieben, denen sie sich nach Ablauf ihres Kontraktes etwa zuwandten — als Handwerker, Gemüsegärtner, Straßenverkäufer (Abb. 24) u. s. w. —, und zu dem cubanischen Proletariate stellen sie eine auffällig große Anzahl der allerelendesten und beklagenswertesten Bettlerfiguren. Loyalität dem spanischen Regiment gegenüber war natürlich von ihnen noch weniger zu erwarten als von den Negern, Mulatten und Creolen, und da sie in politischer Beziehung einfach mit dem Strome schwimmen, so sind sie auch in dem Insurgentenheere verhältnismäßig stark vertreten gewesen, zwar nicht unter den Kämpfern, wohl aber unter den Köchen, Trägern und dergleichen.

Abb. 20.Cubanisches Fenster.

Abb. 20.Cubanisches Fenster.

Eine ungleich bedeutsamere Rolle haben aber in der neuesten Phase der Kulturentwickelung Cubas die weißen Nichtspanier gespielt, die auf der Insel ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben, wenn deren Zahl sich insgesamt auch nur auf etwa 11000 beläuft. Dieselben haben sowohl einen großen Teil der Kapitalkraft in dem cubanischen Wirtschaftsleben vertreten, als auch zugleich einen großen Teil des darin wirksamen Unternehmungsgeistes, und sie sind es deshalb in ganz hervorragender Weise gewesen, die seinen eigentlichen Niedergang verhindert haben. Vor allem gilt dies von den Amerikanern aus der Union, die bei den regen Handels- und Verkehrsbeziehungen ihres Landes zu Cuba besonders stark darunter vertreten sind und in deren Händen sich nicht bloß zahlreiche, mit Maschinen auf das vorzüglichste ausgestattete Ingenios befinden, sondern auch die schwungreich betriebenen Eisen- und Manganerzminen, sowie verschiedene große Südfruchtpflanzungen. Nicht minder gilt es aber auch von den Deutschen, deren Kolonie zu Habana die stattlichste nichtspanische Kolonie der ganzen Insel ist, und die namentlich einen beträchtlichen Teil der Tabakverarbeitung und Tabakausfuhr sowie der Zuckerausfuhr bewirken. Engländer leben zwar nur wenige auf Cuba, ihr Kapital ist aber bei dem Baue und Betriebe der cubanischen Eisenbahnen in der hervorragendsten Weise beteiligt. In den Revolutionswirren haben die weißen Nichtspanier sich der aktiven Parteinahme um so leichter enthalten können, als sie vorwiegend in den Städten oderdoch außerhalb der Machtsphäre der Aufständischen lebten. Dies hat aber nicht verhindert, daß sie an den Mißständen der Verwaltung gelegentlich sehr herbe, zum Teil vielleicht ungerechte Kritik übten, und von dem amerikanischen Elemente könnte man in dieser Beziehung sogar behaupten, daß es dadurch ein Wesentliches mit dazu beigetragen habe, die letzte große Katastrophe heraufzubeschwören. Die amerikanischen Konsuln waren jedenfalls so gut wie ausnahmslos entschiedene Parteigänger der Insurrektion.

Abb. 21.Gebrauch des cubanischenWasserkruges.

Abb. 21.Gebrauch des cubanischenWasserkruges.


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