IX.
Guanabacoa.
Die Vuelta Arriba ist durch den bunten Wechsel ihrer Bodenformen und die davon abhängige Pflanzenbekleidung eine der reizvollsten und schönsten sowie auch zugleich der reichsten von ganz Cuba. Zu dem kleinen Hügelgebirge von Guanabacoa, das sich bis 170müber dem Meeresspiegel erhebt, ist der Anstieg von Regla (10000 Einw.), dem Fähr- und Eisenbahnvororte Habanas östlich der Bai, ziemlich steil. Auf seinen Höhen — dem Monte Blanco, dem Monte Villareal, der Sierra de San Martin — angekommen, darf sich der Bürger der Großstadt aber im Vollgenusse aller Herrlichkeiten fühlen, die die „isla la mas hermosa“ des Kolumbus dem Auge zu bieten vermag,des Rückblickes auf die Häusermenge und das Festungsgemäuer Habanas sowie auf seine von Schiffen und Booten belebte Bai, des Überblickes über die Palmenthäler und Palmenhänge sowie über die bebuschten und begrasten Cerro- und Lomagipfel mit ihren weidenden Rindern rings umher, und des Ausblickes auf das weite Meer im Norden, zu dem das Gebirge jäh genug abstürzt. Dazu umweht ihn die frische, kräftige Passatbrise, und er kann von der niederdrückenden Schwüle und Enge und von den Anstrengungen und Schweißtropfen der Geschäftsstraßen frei aufatmen. Mit gutem Grunde ist Guanabacoa (12000 Einw.) daher seit langem ein beliebter Landhaus- und Wohnvorort von Habana gewesen (Abb. 79), und der Personenverkehr auf der Eisenbahn zwischen den beiden Städten ist ein sehr reger. Für größere Kulturen lassen die engen Thäler und die steinschuttbedeckten Hänge des kleinen Gebirges aber im allgemeinen keinen Raum, und so blüht in der Gegend nur etwas Gartenbau zur Versorgung der Hauptstadt sowie daneben die Viehzucht. Gegen Süd und Ost verflacht sich das Guanabacoagebirge allmählich, und während die namhaft gemachten höheren Teile aus Tertiärkalk bestehen, so tritt hier seine Diorit- und Serpentinfelsgrundlage an den Tag, bei Las Minas mit eingebetteten Eisen- und Kupfererzlagern. Der oberflächliche graue Boden ist von zahlreichen großen Steinblöcken überstreut, die ausgewittert sind, und die spärliche Vegetation der Espartillograsbüschel (Kylingia filiformis), der gelben Heiligendisteln („Cardio Santo“) und der Opuntien, die in ihm wurzelt, und die kaum für einige Esel und Ziegen hinreichende Nahrung bietet, bekundet seine Unfruchtbarkeit. Den Eisenbahnbau zwischen Habana und Matanzas hat diese flachwellige und nur von einigen kleinen Flüßchen durchschnittene Thalgegend aber sehr wesentlich erleichtert.
Abb. 81.Cubanischer Orangenhain.
Abb. 81.Cubanischer Orangenhain.
Abb. 82.Ostrand des Yumurithales.❏GRÖSSERES BILD
Abb. 82.Ostrand des Yumurithales.
❏GRÖSSERES BILD
Das Bergland östlich von Habana.
Sowohl südlich als auch östlich von ihr steigt dann wieder wirkliches Gebirgsland auf, und dem Auge erscheint dasselbe aus der Ferne, und vielerorten kaum minder in der unmittelbaren Nähe, als geradezu großartig. In seinen tieferen Lagen allenthalben in einen dichten Mantel von üppigem Tropengrün gehüllt, und im Vordergrunde beinahe immer herrliche Königspalmenhaine tragend, zeigt es uns doch höher oben zugleich auch so zahlreiche kahle, weißleuchtende Felswände und so vielgestaltige Zinnen, Zacken und Hörner, daß wir meinen, es müsse sich um eine sehr ansehnliche Erhebung über den Meeresspiegel handeln. Thatsächlich sind es aber auch nur Hügelgebirge, deren Gipfel kaum 300mHöhe erreichen, mit denen wir es zu thun haben — im Süden eine lose Aneinanderreihung kleiner Sierren und Tafelberg- und Lomagruppen, zwischen denen sich ähnliche flachwellige Thalgegenden ausbreiten, wie die erwähnte größere und tiefere, welche das Guanabacoabergland begrenzt; und im Osten ein dichtes Gedränge solcher Ketten und Gruppen, die teils durch tief eingerissene Thalschluchten mit wilden Kalkfelspartien, teils durch mehr oder minder weite Roterdeebenen („Llanuras“) voneinander getrennt sind. Das erstere Bergland, das wir als Bergland von Managua bezeichnen, begreift vor allem die weithin sichtbaren Tetas de Managua (223m) und die Sierra de Camoa (272m) in sich und dacht sich westwärts zum Isthmus von Batabano, südwärts zur Niederung des Matamanogolfes und ostwärts zu den großen Roterdeebenen von Guines und Aguacate ab, an den meisten Orten mit stark abgeböschten, aber immerhin deutlich bemerkbaren Stufen. Es bildet einerseits das Quellgebiet des westlich von Habana mündenden Rio Almendares (im Unterlaufe Chorrera genannt) und andererseits dasjenige des Rio de Guines (Mayabeque), der sich östlich von Batabano in den Matamanogolf ergießt, und die den betreffenden Gewässern und den sie schwellenden Regengüssen inne wohnende Energie ist es offenbar vor allen Dingen gewesen, welche das Bergland zu dem gemacht hat, was es heute ist. Der Almendares bezeugt diese Energie wenige Kilometer oberhalb seiner Mündung noch nachdrücklich genug, und auch sein Hochwasser steigt bisweilen auch dort noch gegen 12müber sein Niederwasser (Abb. 80). Bei der vorherrschenden Kalksteinnatur war es übrigens auch hier in sehr bedeutendem Maßstabe die unterirdische Erosion, welche die Wirkung hervorrief, und neben der großen Zahl bekannter Höhlen, die das Gebirge durchsetzen, und die zum Teil erst an seinem letzten Stufenabsatze ans Tageslicht ausgehen, ist dabei wahrscheinlich eine noch beträchtlichere Zahl unbekannter sowie zusammengebrochener vorzeitlicher in Anschlag zu bringen. Hier weisen wir nur auf die großen Höhlen von Las Comas (Tapaste) hin, die im letzten Aufstande ein wichtiges Insurgentenversteck bildeten, sowie auf die Höhlen von Cotilla und Toribacoa. Wirtschaftsgeographisch ist das Managuabergland gleich dem Guanabacoaberglande vorwiegend eine Stätte der Viehzucht, und der Zuckerrohrbau sowie daneben die Fruchtkultur (Abb. 81) und der Tabakbau sind nur in der Randgegend bedeutend, vor allem bei Santiago de las Vegas (6000 Einw.), bei Bejucal (8000 Einw.), bei San Antonio des las Vegas (1200 Einw.), bei Melena del Sur (1000 Einw.), und bei Guines (7000 Einw.). Diese Orte sind gleichzeitig Hauptstationen der das Bergland im weiten Bogen umkreisenden Eisenbahn, und Guines dankt seine Bedeutung vor allen Dingen dem Netze von Bewässerungskanälen, das seine Ebene durchzieht. Das nahe bei Habana gelegene Santa Maria del Rosario ist durch seine Heilquellen namhaft.
Das andere Bergland, das wir Bergland von Jaruco nennen, und das in den Montes de Don Martin (300m) und in der Sierra de Sibarima gipfelt, fällt gleich dem Guanabacoaberglande steil zum Meere ab, während es sich im Südwesten eng an das Managuabergland anlehnt und auch im Osten nur unvollständig gegen das benachbarte Bergland von Canasi abgegrenzt werden kann. Die Stromthäler des Rio Jaruco und des Rio Santa Auz, die es in südöstlicher Richtung durchschneiden, sind außerordentlich malerisch, und die Roterdeebenen von Jaruco (2500 Einw.), Bainoa Aguacate (2000 Einw.) und Jibacoa enthalten eine beträchtliche Zahl großer Ingenios.
Abb. 83.Yumuridurchbruch.❏GRÖSSERES BILD
Abb. 83.Yumuridurchbruch.
❏GRÖSSERES BILD
Yumurithal.
Ähnliches gilt auch von dem prächtig bewaldeten Berglande von Madruga, jenseits der reichen Ebenen von Guines und Aguacate, dem besonders die Montes de la Esperanza und die Lomas de Jiquima (341m) zugehören, und desgleichen vondem gegen Nordost hin damit verwachsenen Berglande von Canasi, in dem sich das schöne Bergpaar des Palenque und des Pan de Matanzas (386m) als der letzte Rest einer ehemaligen Hochstufe des ursprünglichen Terrassenbaues auffällig über die Sierra de Camarones (193m) erhebt, und in dessen nordöstliche Kalksteinmesa (die Cumbremesa etwa 70mhoch) das berühmte Yumurithal (Abb. 82) eingegraben ist. Das letztere große Kesselthal, dessen ebene Sohle sich nur schwach über den Meeresspiegel erhebt, dürfte schwerlich wohl anders gebildet worden sein, als durch unterirdische Erosion und durch nachfolgenden Höhleneinsturz, und eine ähnliche Entstehungsgeschichte glauben wir überhaupt vielen der berührten, von steilen Berghängen umwandeten Roterdeebenen zuschreiben zu müssen. Kleinere Kesselthäler von der Art der Karstdolinen — die natürliche Begleiterscheinung der Höhlen — sind in keinem der angegebenen Gebirge selten, und ganz im allgemeinen darf man füglich die cubanische Kalksteinlandschaft als eine durch das Tropenklima modifizierte Karstlandschaft bezeichnen. Die Schichtung des Kalksteins ist in den genannten Gebirgen vielfach stark gestört, und ganz besonders ist dies auch der Fall an dem Yumuridurchbruche (Abb. 83) durch die Cumbremesa, meist scheinen diese Störungen aber die Folge von Höhleneinstürzen zu sein.
Denselben Familiencharakter und dieselben hohen natürlichen Reize besitzt schließlich auch noch das Hügelgebirge von Limonar, zwischen Matanzas und Cardenas, dem die Tetas de Camarioca (340m) und die Lomas Grandes sowie die bekannten schönen Tropfsteinhöhlen von Bellamar an dem hohen Ostgestade der Matanzasbai (Abb. 84) zuzurechnen sind. Der Eisenbahnbau stieß in den zuletzt genannten Hügelgebirgen auf erhebliche Schwierigkeiten, da sowohl zahlreiche Strom- und Schluchtüberbrückungen als auch verschiedene Felsdurchstiche nötig waren.
Zuckerrohrfelder.
Östlich und südlich von dem Limonargebirge sowie östlich und südlich von dem Madrugagebirge tritt aber eine allgemeine Verebnung der Landschaft ein, und es tauchen daselbst nur hier und da noch unbedeutende Lomazüge auf. Der stark kalkhaltige rote Verwitterungsboden dieser weiten Ebene, die ostwärts ohne irgend welche Grenzscheide in die Ebenen der Las-Villas-Landschaft übergeht und die an der Hauptsache von dem Rio Camarones, dem Rio de Palmas, dem Rio Hanabana und dem Rio Negro entwässert wird, besitzt im allgemeinen eine große Fruchtbarkeit, und auf ihm hat die cubanische Zuckerrohrkultur ihre hervoragendste Heimstätte gefunden. Fast könnte man sagen, daß die ganze Gegend ein einziges, wogendes Zuckerrohrfeld sei (Abb. 85), und die aneinander stoßenden Distrikte von Colon und Alfonso XII, die den Hauptteil der Ebene umfassen, enthalten nicht weniger als 25 Prozent von der Gesamtzahl der cubanischen Ingenios (Abb. 86). Als die Hauptmittelpunkte der betreffenden Industrie und der Zucker- und Melasseverfertigung haben wir aber neben Colon (6000 Einw.) und Alfonso XII (2500 Einw.) namentlich die Eisenbahnknotenpunkte La Union (2000 Einw.) und Jovellanos (5000 Einw.) sowie Sabanilla del Eda (2000 Einw.), Bolondron (1200 Einw.), Corral Falso (2500 Einw.), Jaguey Grande (1000 Einw.), Cuevitas (1500 Einw.), Guamutas (2000 Einw.) Cimarrones (1800 Einw.) und Lagumillas (2500 Einw.) zu verzeichnen.
Zapata.
Südlich von diesem ungeheuren Garten, in dem ein guter Teil von wirtschaftsgeographischen Fähigkeiten Cubas beruht, breitet sich dann, von zahlreichen großen Lagunen durchsetzt und von dem schleichenden Rio Gonzalo und Rio Negro durchzogen, die ungeheure Sumpfwildnis der Cienaga de Zapata aus, die sich durch die Cochinosbucht in eine Ost- und Westhälfte gliedert, und diese bietet zur Zeit auch ein reiches Feld für den Naturforscher — den Botaniker so gut wie den Zoologen — aber noch in viel höherem Grade als die Sumpfgürtel des Camaguey einen trostlosen Boden für die Kultur. An ihrem Südrande erhebt sich ein trockenerer Landgürtel schwach aus dem Sumpfe heraus, der Boden ist aber dort im allgemeinen kahle Seborucofläche und ermöglicht lediglich die Existenz einiger armseliger Ranchos und Rinderherden. An der Seeseite begleiten die große Cienaga Untiefen und Sandbänke, sowie weiter westlich Korallenriffe und Keys, und im allgemeinen kann ihre Küste als vollkommen unnahbar gelten.Auch die weit gegen Süd geöffnete Cochinosbai und die Cazonesbai machen von dieser Regel keine Ausnahme. Übrigens setzt sich die Cienaga in einem schmaleren Streifen entlang dem Golfe von Matamano weiter fort, und Batabano (2500 Einw.) bleibt auf diese Weise der einzige Landungsplatz, den die Vuelta Arriba an der Seite des Karibischen Meeres für Schiffe bis 3mTiefgang besitzt. Sie ist in einem noch höheren Maße als selbst das Camaguey an dieser Seite ein geschlossenes Land.
Cardenas.
Damit die reiche Produktion der Landschaft nicht Habana allein zu gute komme, ist aber ihre Nordküste wesentlich anders beschaffen. Auf die große Bucht von Cardenas, die noch dem Bereiche der großen nördlichen Korallenkeyflur angehört, ist bereits hingewiesen worden. Da dieselbe Fahrzeuge von hinreichendem Tiefgange aufzunehmen vermag und mit der Habanabucht den Vorteil der gegen Nordamerika vorgeschobenen Lage teilt, so nimmt die Ausfuhr der großen Zuckerdistrikte von Colon und Jorellanos, mit dem sie durch zwei Eisenbahnen verbunden ist, größtenteils über sie ihren Weg. An ihren Ufern aber nahm die erst im Jahre 1828 an dem niedrigen Mangroveufer begründete Stadt Cardenas (25000 Einw.) einen raschen und hohen Aufschwung, als Zuckerausfuhrhafen mit Cienfuegos wetteifernd, und auch ein ähnliches unhistorisches, hervorragende Bauten entbehrendes, aber sauberes Gepräge zur Schau tragend. Mit Habana ebensowie mit Sagua la Grande und Caibarien steht Cardenas im regelmäßigen Küstendampferverkehr. Ein kleinerer Hafenplatz an derselben Bucht, der ebenfalls von amerikanischen Zuckerschonern besucht wird, ist Siguapa.
Matanzas.
Westlich von der schmalen und niedrigen, mit Salzteichen besetzten Hicacoshalbinsel ist die Küste entlang dem Nordabfalle des Berglandes von Limonar ziemlich hoch und den größten Fahrzeugen bequem nahbar, und bei gutem Wetter bieten die kleinen Buchten von Veradero und Comacho brauchbare Ankerplätze. Höheren Verkehrsansprüchen genügt aber die mächtige und tiefe Matanzasbucht (Abb. 87und88), die durch von Osten her (von der Punta Maya) vorspringende Korallenriffe besser gegen den Seegang geschützt ist, als ihre weite Öffnung erwarten läßt, und die in ihren inneren Teilen zauberhaft schöne Landschaftsbilder bietet — in dieser Beziehung die Habanabucht wesentlich übertreffend. In dem in die Bucht mündenden Rio San Juan, der aus dem Madrugagebirge kommt (Abb. 89), können auch ziemlich große Boote, die Ladung nehmen wollen, unmittelbar vor den Lagerhäusern ankern. Die Stadt Matanzas (56000 Einw.), die wir bereits auf der Karte von Ortelius (1587) verzeichnet finden und die ursprünglich, wie ihr Name sagt, nichts war als eine Rinderschlachtstätte, hat sich solchergestalt ebenfalls eines großen Teiles der Zuckerausfuhr der Vuelta Arriba bemächtigen können, und sie steht in dieser Beziehung Cardenas sowie Cienfuegos noch sehr beträchtlich voran. Durch ihre allgemeine Physiognomie, besonders durch ihre prächtige Plaza (Abb. 90u.91), durch mehrere schöne Kirchenbauten und durch zahlreiche freundliche Quintas und Gärten in ihren Vororten ein Bild hoher Blüte darbietend, hat sie durch die letzte Insurrektion schwerer gelitten als jede andere.
Abb. 84.Die Höhle von Bellamar.
Abb. 84.Die Höhle von Bellamar.
Westlich von der Matanzasbucht sind an der sehr geradlinig verlaufenden Steilküste des Berglandes von Canasi, Jaruco und Guanabacoa zwar so gut wie gar keine Gefahren für die Schiffahrt vorhanden,ebensowenig aber auch gute Zugänge in das Innere, und auf diese Weise hat Habana außer von Matanzas und Cardenas keinen weiteren Wettbewerb in seiner Eigenschaft als Haupthafen der Vuelta Arriba zu bestehen.
Abb. 85.Zuckerrohrfeld in der Vuelta Arriba.
Abb. 85.Zuckerrohrfeld in der Vuelta Arriba.