VIII.

VIII.

Die Floridastraße.

Um ein Urteil über das kulturgeographische Gepräge der westcubanischen Landschaften zu gewinnen, nähern wir uns der Insel von derselben Seite, von welcher der Hauptstrom der amerikanischen Reisenden und Nachrichten in sie einzufließen pflegt, und von welcher im Gefolge derselben schließlich die amerikanischen Kriegsschiffe herankamen, um die „Perle der Antillen“ ihren vierhundertjährigen Besitzern zu entreißen — von Key West her. Das Meer, das wir dabei zu queren haben — die Floridastraße mit dem durch sie hindurchsetzenden Golfstrom — ist für die Regel nicht ganz so ruhig und sanft, als Kolumbus es zwischen den Bahamainseln und der Nordostküste Cubas fand, aber es ist schmal, und eine neunstündige Dampferfahrt bringt uns darüber hinweg.

Als ein ungeheuer weit gegen Ost und West ausgezogener, auch in der winterlichen Trockenzeit für die Regel von starkem Cumulusgewölk überlagerter Landstreifen, der uns von vornherein einen Begriff gibt vonder gewaltigen Längserstreckung der Insel, taucht Cuba da vor unseren Blicken aus der bewegten blauen Flut auf. Und der Streifen ist merkwürdig genug gegliedert, um unser Auge gefesselt zu halten und uns zu seiner genaueren Prüfung herauszufordern. Indem wir gegen Südwest, in der Richtung auf Mariel und Bahia Honda, gewendet stehen, erblicken wir eine Stufenlandschaft von seltener Reinheit und Deutlichkeit. Eine niedrige Wand, die völlig horizontal verläuft, erhebt sich 30 oder 40müber den Meeresspiegel, rechts steigt aber mit steiler Rampe eine höhere Wand über dieselbe, 120 oder 150mhoch, und in ihrer ganzen Ausdehnung ebenfalls horizontal, und über diese wieder ragt noch weiter rechts, in ähnlichem Winkel aufsteigend und den ganzen Bau krönend, eine höchste Wand, an Länge bedeutender und wohl gegen 400mhoch, oben aber auch ohne irgend welche sichtbare Störung ihres ebenen, mauergleichen Verlaufes, bis sie plötzlich weit im Westen ohne Vermittelung einer Zwischenstufe zur Niederstufe abstürzt. Wären die Ausmaße des Ganzen nicht zu riesenhaft, so könnte man an das kunstvolle, regelstrenge Gefüge eines menschlichen Baumeisters denken. Ein grundverschiedenes Bild gewahren wir aber, wenn wir unseren Blick gegen Südost, gegen Guanobacoa und Jaruco hin, schweifen lassen. Da sehen wir die angegebene niedrige Wand sich sanft und allmählich gegen Ost hin erheben, um welliger und welliger zu werden und endlich in einer Hügellandschaft zu gipfeln, die nahezu die Höhe der Mittelstufe des Terrassenbaues hat; dann folgt ein rascher, aber keineswegs steiler Abfall zur Höhe der Niederstufe, dann ein allein stehender Brotlaibberg, und endlich in beträchtlichem Abstand von diesem ein Doppelgipfel von der Art der ostcubanischen Sillas (Sattelberge) und etwas höher als die Mittelstufe der Terrasse.

Abb. 70.Fruchtverkäufer in Habana.

Abb. 70.Fruchtverkäufer in Habana.

Das nordwestliche Cuba.

Der ganze Grundplan, nach dem Cuba aufgebaut und in seiner gegenwärtigen oroplastischen Gestalt zugerichtet worden ist, liegt da gewissermaßen klar vor unseren Augen — noch übersichtlicher und verständlicher als bei Baracoa und Punta Caleta. Auch in ihrem westlichen Teile ist die Insel offenbar nicht durch ein fortlaufendes, sondern durch ein ruckweises, von längeren Ruhepausen unterbrochenes Aufsteigen aus dem Meere — bezugsweise durch ein Zurückweichen des letzteren — gebildet worden, und ihr ursprünglicher, in das Früh- und Mitteltertiär zurück datierender Stufenbau scheint in seiner Grundgestalt im äußersten Westen viel besser und allgemeiner erhalten zu sein, als irgendwo sonst. In dem östlichen Teile des von uns überschauten Bildes deuten ihn nur einzelne Erhebungen noch dunkel an, und im allgemeinen ist er daselbst ähnlich wie in dem Camaguey und in dem nördlichen Teile der Cinco-Villas-Landschaft von den Atmosphärilien vielleicht unter der Beihilfe von Erdbeben von Grund aus zerarbeitet, abgeschliffen und abgetragen. Wir haben da zugleich auch den durchgreifenden Unterschied zwischen den beiden Landschaften des cubanischen Occidentes, dem Terrassenlande der Vuelta Abajo und dem Hügel- und Flachlande der Vuelta Arriba, die an dem schmalen Isthmus von Batabano miteinander verwachsen sind. Würden wir übrigens das nordwestcubanische Küstenbild weiter gegen Ost verfolgen und zur See bis auf die Höhe von Jaruco oder Matanzas gelangen, so würde uns die Vuelta Arriba nur noch eine Anzahl weiterer Brotlaib-,Tafel-, Zuckerhut- und Sattelberge zeigen und zum Teil ganze Gruppen solcher Berge, auch der höchste derselben — der Pan de Matanzas, der als ein hübsches Seitenstück des Yunque von Baracoa bezeichnet werden darf und der eine ähnlich hervorstechende Landmarke für die Schiffer bildet wie dieser — erreicht aber nicht ganz 400m(386m), und die allgemeine Physiognomie der Landschaft bleibt dieselbe. Und würden wir uns andererseits zu Schiff weiter westwärts, etwa bis auf die Höhe von Bahia Honda, begeben, so würden wir an der Vuelta Abajo die gleiche Beobachtung machen, nur würden wir den großen Treppenbau sich noch höher türmen sehen — im Pan de Guajabon 795m—, und auf der Höhe würden uns auf ausgedehnten Strecken Hunderte von wilden Zacken schon aus der Ferne verraten, daß die cubanischen Luftgeister auch auf ihn nicht ganz ohne Einfluß geblieben sind.

Abb. 71.Geflügelhändler am Taconmarkte von Habana.

Abb. 71.Geflügelhändler am Taconmarkte von Habana.

Abb. 72.Maultierkarren auf der Plaza de San Francisco von Habana.

Abb. 72.Maultierkarren auf der Plaza de San Francisco von Habana.

Ansegelung von Habana.Der Hafen von Habana.

Indem unser Dampfer seinen Kurs weiter verfolgt und ziemlich genau auf die Stelle zusteuert, wo die Niederstufe der Vuelta-Abajo-Treppe sich an das Hügelland von Guanabacoa anlehnt, unterscheiden wir allgemach freundliche grüne Gelände, die den Eindruck einer wohlangebauten Kulturlandschaft machen, die wir aber in keiner Weise großartig nennen können und die füglich auch einer ganz anderen, außertropischen Erdgegend angehören könnten. Da war das Bild von Santiago und seiner Umgebung von der See aus zweifellos viel bedeutender. An dem Fuße des Gehänges und dicht an dem Wasserrande, auf niedriger, brandungbespülter Klippenwand, hebt sich aber eine stattliche Front von Häusern und Türmen ab — Habana nebst seinen Vorstädten Vedado und Carmelo, die sich an die 5kmweit dem Meeresstrande entlang ausdehnen —, und wir können dabei keinen Augenblick im Zweifel darüber sein, daß wir es hier mit dem weitaus hervorragendsten städtischen Gemeinwesen zu thun haben, das in Cuba sowie in dem gesamten Westindien erwachsen ist. Dann tritt auf etwas höherer, wetter- und wogenzerfressener Korallenklippe, die ziemlich weit gegen Nordwest herausspringt, und die auf diese Weise zugleich einen wirksamen Schutz gegen den Seegang aus Nordost bietet, ein ähnliches altertümliches,von einem hohen Leuchtturme überragtes Festungswerk aus der Häusermasse hervor, wie an dem Eingange in die Santiagobucht und ebenso wie dort Morro geheißen, und zwischen diesem Morro und der ihm gegenüber liegenden Hilfsbefestigung der sogenannten Punta, geht es durch eine enge (nur 340mbreite) und ziemlich lange, aber verhältnismäßig gefahrenfreie und gerade Einfahrt (Abb. 62) in die gewaltige Habanabai (vgl. das Übersichtskärtchen,Abb. 61), die Schiffe aller Größen in jeder denkbaren Zahl aufzunehmen vermag und die unter den vielen guten Naturhäfen Cubas der beste genannt zu werden verdient. In ihrer Gestalt und Gliederung den allgemeinen Typus der handförmig in das Land eingreifenden nordcubanischen Buchten auf das treueste darstellend, verzweigt sie sich in ihrem Innern in die drei Teilbuchten von Marimelena oder Regla (im Osten), von Guasabacoa (im Südosten) und von Atares oder Tallapiedra (im Südwesten), und es wird dadurch sowohl für die Handels- und Verkehrs- und Wohnanlagen als auch für die Verteidigungswerke eine große Mannigfaltigkeit günstiger Positionen geschaffen. Abgesehen von einem kleinen Manglar an der Guasabacoabucht, ist ja der Baugrund in der Umgebung der Bai allerwärts ein guter, und während der durch die Marimelenabucht ausgeschnittene halb halbinselartige Landvorsprung im Nordosten eine ziemlich hohe (ungefähr 40m), gegen Regla hin stufenförmig abfallende Kalksteinmesa (Abb. 62) darstellt, die als Trägerin der stärksten Bollwerke „gegen inn- und äußeren Feind“ — des Morro, der Cabañacitadelle und des Sandiegoforts — in vorzüglichster Weise geeignet erscheint, so bildet die ihr gegenüber liegende Halbinsel, nördlich von der Tallapiedrabucht, eine nur schwach (5–6m) über den Wasserspiegel der Bai erhobene Seborucofläche, die für die Bauten der Stadt sowie für die Entwickelung ihrer Hafenfront (Abb. 63und64), und ihrer Landungs- und Ladevorrichtungen hinlänglichen Raum und jeden denkbaren Vorteil sowie jede mögliche Bequemlichkeit gewährte. Südlich und westlich von dieser ebenen Fläche aber erheben sich 30–50mhoch eine Anzahl gerundete Hügel und Kuppen, die ebenso gut zur Vervollständigung der kriegerischen Wehr der Stadt — zur Errichtung des Atares- und Principekastelles und der Santa-Clara-Batterie — wie zum Aufbau freundlicher und gesunder Landhäuser und Vororte des Cerro u. s. w. (Abb. 66) benutzt werden konnten. Die Frage, ob die Bai in irgend einem Winkel vollkommen sturmsicher sei, ist freilich zu verneinen, und die Orkane der Jahre 1768, 1810, 1844 und 1845 richteten unter den im Hafen vor Anker liegenden Schiffen furchtbare Verheerungen an. Das ist aber in anderen westindischen Häfen auch nicht anders, und wer in denselben handelt und verkehrt, der hat mit solchen Katastrophen allenthalben zu rechnen.

Erste Eindrücke beim Anblick von Habana.

In dem Anblicke, den Habana und seine Bai dem Beschauer auf dem Schiffe gewährt, überwiegt das kulturhistorische, bezugsweise das militär- und wirtschaftsgeographische Moment das naturästhetische Moment bei weitem — ganz anders als bei der Santiagobai. Die Hügel- und Terrassenumrahmung der Bai nennt man freundlich und anziehend, die hellblaue Wasserfläche wie jede andere große Wasserfläche schön und herzerquickend, nach der von Cuba erwarteten üppigen tropischen Pflanzenpracht sieht man sich aber vergebens um, und Königspalmen erblickt man nur, wenn man sein Auge anstrengt, in weiter Ferne, so daß man sie als Zierde des Bildes nicht zu würdigen vermag. Wieder und wieder haftet das Auge aber an dem weit ausgedehnten grauen Gemäuer, das von der Höhe im Osten herunterdroht und das dem, der seine stumme Sprache versteht, so viel zu erzählen weiß — von den alten französischen Boucanieren, von dem englischen Korsaren Franz Drake und von einer langen Reihe holländischer und englischer Admirale und Flotten, die länger als anderthalb Jahrhunderte vergeblich bedrohten; wie dann die Engländer sich 1762 von der Landseite her nach hartem Kampfe mit starker Truppenmacht (14000 Mann) in ihm festsetzten, bis ein großes Sterben über sie kam und sie wieder von dannen zogen; und von zahllosen Gefangenen und standrechtlich erschossenen Insurgenten endlich. Wie merkwürdig, daß diese gewaltigen Festungswerke, die zu einem beträchtlichen Teile auch dem Strategen der Neuzeit als starke und widerstandsfähige gelten müssen, den Spaniern ohne einen Schwertstreich haben entwunden werden können, und daß sie nicht einmal dazu benutzt worden sind, die Amerikaner zur Milderung ihrer Friedensbedingungen zu veranlassen! Daß die strategische Bedeutung von Habana in dem spanisch-amerikanischen Kriege überhaupt nicht in Frage gekommen sei, wird derjenige, der den Zusammenhang der Dinge überblickt, allerdings schwerlich behaupten, und im Grunde genommen war es doch in viel hervorragenderer Weise die unblutige Blockade der Habanabai und die dadurch verursachte Aushungerung des Hauptteiles der Insel, welche die Entscheidung herbeiführte, als der blutige Kampf am Westfuße der Gran Piedra. Wie eine Insel von der Ausdehnung des süddeutschen Staatenkomplexes — 118833qkm, die alljährlich zwei oder drei Maisernten und ebensoviele Bataten-, Kartoffel- und Bohnenernten von demselben Boden gewährt, ausgehungert werden konnte, bleibt dabei freilich eine offene Frage.

Doch nicht weniger Aufmerksamkeit als der Cabañafestung und dem durch gedeckte Gänge damit verbundenen Morro wenden wir dem Stadtbilde auf der Westseite der Bai sowie dem bunten Wasserleben rund um uns herum zu — dem alten Zollhause, das ursprünglich eine Kirche war, das aber nach seiner Entweihung durch die Engländer (1762) seiner gegenwärtigen unheiligen Bestimmung übergeben wurde, dem Hafenhauptmannsgebäude, dem Statthalterpalaste, den Türmen der Kathedrale, den weitläufigen Zeughausbauten, den Landungs- und Lagerhallen, den Gast- und Kaufhäusern, den Schiffen, die mit dem unsrigen im Hafen vor Anker liegen und unter denen auch ein paar spanische Kriegsschiffe nicht fehlen, und den Scharen der kleinen blauen, gegen Sonnenbrand und Regenguß (Abb. 67) mit niedrigem Zeltdach versehenen Leichterbooten, die uns und sie umspielen. Und auch angesichts dieses Bildes können wir uns gewisse kulturgeographische Reflexionen nicht ersparen. Wie ist es zugegangen, daß ein solches Zusammenstehen und Zusammenspielen der Dinge gerade an dieser Stelle statt hat und sonst an keiner anderen in Cuba oder Westindien? Warum hat Santiago seine Rolle als Hauptstadt Cubas schließlich ebensoan Habana abtreten müssen, wie Baracoa die seinige vorher an Santiago? Die alte Stadt San Cristobal de la Habana, die der cubanische Städteerbauer Velasquez als die erste von Westcuba im Jahre 1515 in der Gegend des heutigen Batabano, also an der Südküste der Insel, anlegte, wollte ja in keiner Weise vorwärts kommen. Wie glänzend ist aber ihr Aufschwung gewesen, nachdem man sie im Jahre 1519 an ihren heutigen Ort — an das Ufer des Puerto de Carenas Ocampos — verlegt hat!

Abb. 73.Der Prado von Habana mit Ausblick auf das Meer.❏GRÖSSERES BILD

Abb. 73.Der Prado von Habana mit Ausblick auf das Meer.

❏GRÖSSERES BILD

Abb. 74.Die Plaza de Armas von Habana.

Abb. 74.Die Plaza de Armas von Habana.

Wichtigkeit der Lage Habanas.

Die angegebene Beschaffenheit der Habanabucht ist für das Aufblühen der Stadt selbstverständlich von höchster Wichtigkeit gewesen. Füglich sind die Vorzüge, welche dieselbe vor der Santiagobucht und einigen anderen voraus hat, aber keine so gewaltigen, und die Überlegenheit der Befähigung Habanas, als Regierungssitz und Hauptstützpunkt der spanischen Herrschaft zu dienen, sowie den Hauptvereinigungspunkt aller inneren und äußeren Handels- und Verkehrsbeziehungen Cubas zu bilden, kann damit in jedem Falle nicht vollkommen erklärt werden. Ist doch die Lage der Bucht auf der Insel auch kaum weniger excentrisch, als bei der Santiagobucht, und würde doch namentlich die Cienfuegosbucht in dieser Hinsicht vor der einen wie vor der anderen vorzuziehen sein.

Abb. 75.Ärmere Vorstadt-Straße.

Abb. 75.Ärmere Vorstadt-Straße.

Strategische Lage Habanas.

Sehr bedeutsam ist es aber für Habana gewesen, daß die Bucht gerade dort in den Inselkörper einschneidet, wo die beiden verschiedenartig gebildeten Landschaften der Vuelta Arriba und Vuelta Abajo, die sich als die kulturfähigsten von ganz Cuba erwiesen haben und die auf einem Vierteile der Inselfläche die größere Hälfte der Inselbevölkerung beherbergen und ernähren, in der beschriebenen Weise aneinander stoßen. Die Produktionskraft und der Reichtum beider Landschaften hatte Habana solchergestalt einen gewissen Tribut zu zollen, und es mußte dies in einem um so höheren Maße der Fall sein, als es sonst um die seeseitigen Verkehrspforten im Westen Cubas nicht in jeder Beziehung wohlbestellt war. Ein noch größerer Vorteil war es aber, daß der schöne Naturhafen Habanas zugleich auch an der stärksten Verschmälerung Cubas — wo der Fisch- oder Eidechsenschweif der Insel sich dem langgestreckten Rumpfe anfügt — und daß es auf derSüdseite des betreffenden Isthmus bei Batabano eine brauchbare Reede für größere Küstenfahrer sowie für kleinere Hochseeschiffe gibt. Der Isthmus ist zwischen der Habanabai und der Küste von Batabano nur 42kmbreit, zwischen der Bucht von Mariel und der Bucht von Majana aber sogar nur 27km, und derselbe entspricht ebenso wie der mehrfach erwähnte Isthmus von Moron einer starken allgemeinen Verflachung und Erniedrigung des Inselbodens, so daß seine höchste Höhe über dem Meeresspiegel (bei Bejucal,Abb. 68) bloß 92mbeträgt. Schon am Ende des vorigen Jahrhunderts konnte man auf diese Weise das Projekt einer Kanaldurchstechung an den Isthmus knüpfen, und während es seiner Zeit der Volante und dem Reit- oder Lasttiere nicht mehr als eine kleine Tagereise nahm, auf der Landstraße von einem Meere zum anderen zu gelangen, so ist dies heute dem Eisenbahnzuge in einer oder in ein paar Stunden möglich. Standen die beiden Landschaften östlich und westlich von der Habanabucht nun schon zu Lande in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnisse von der daselbst begründeten Stadt, so wurde dieses Verhältnis ein noch viel strengeres dadurch, daß sie auch auf ihrer ganzen Seeseite von deren Verkehrsfäden umsponnen wurden. Sehr bezeichnend werden die beiden Landschaften daher auch einfach nach ihrem Verhältnisse zu Habana benannt — die Vuelta Arriba als die Seite, von welcher der Wind (der Passat) für die Habanesen kommt, und die Vuelta Abajo als die, nach welcher er von ihnen aus weht. Was aber die ferner liegenden cubanischen Landschaften angeht, so gilt das über Santiago Gesagte natürlich auch von Habana: bei dem gesamten interprovinzialen Verkehr der Insel — bei dem Verkehre der Verwaltung und der Truppenkörper ebenso wie bei dem Verkehr der Handelsgüter und Reisenden — stand immer in erster Linie der Seeverkehr entlang der Küste in Frage, und dadurch, daß Habana besser als Santiago und besser als jede andere cubanische Stadt in der Lage war, die Nord- und Südküste gleichzeitig mit seinen Beziehungen zu umspannen, war es sozusagen die prädestinierte Hauptstadt der Insel in politischer ebenso wie in wirtschaftlicher und allgemein kulturgeographischer Hinsicht. Übrigens ist es hierbei sehr selbstverständlich, daß von einer strengen Centralisation der cubanischen Angelegenheiten in einem Punkte bei der weiten Auseinandergezogenheit der Insel niemals die Rede sein konnte, und die Rolle einer Nebenhauptstadt hat Santiago daher recht wohl weiter fortspielen können, wie es ja bis zu einem gewissen Grade auch mit Puerto Principe und Santa Clara der Fall war. Endlich liegt aber die Habanabai auch in der Gegend der stärksten Annäherung Cubas an das Gebiet der Nordamerikanischen Union und an deren Schnellverkehrsplätze Key West und Tampa, sowie in der Konvergenz dreier wichtiger Meerstraßen — die Floridastraße, des Bahamakanales (hier Nicolaskanal genannt) und der Yucatanstraße —, und hieraus hat sich die hohe Bedeutung ergeben, die Habana als „Llave del Nuevo Mundo“ sowie als ein Hauptzielpunkt des europäischen und nordamerikanischen Dampfschiffverkehrs gehabt hat. Darüber haben wir uns aber bereits ausgesprochen, und wir betonen daher hier nur noch, daß die strategische Wichtigkeit von Habana in dieser Beziehung leicht überschätzt werden kann. In dem Sinne, in welchem Gibraltar den Eingang in das Mittelländische Meer oder Aden-Perim den Eingang in das Rote Meer beherrscht, kann Habana die bezeichneten Eingänge in den Mexicanischen Golf und in das Karibische Meer unmöglich beherrschen. Denn einmal sind dieselben ungleich weiter — die Floridastraße zwischen dem cubanischen Hicacoskap und dem floridanischen Kap Sable 195km, der Nicolaskanal zwischen dem Bahia-Cadiz-Key und dem Salt Key der Bahamas 46km, und die Yucatanstraße zwischen Kap San Antonio und Mugeres 185km—, und sodann lassen sie sich in der Richtung auf das Karibische Meer und den daselbst zu eröffnenden interoceanischen Kanal auch leicht umgehen.

Abb. 76.Im Botanischen Garten von Habana.

Abb. 76.Im Botanischen Garten von Habana.

Abb. 77.Im Botanischen Garten von Habana.

Abb. 77.Im Botanischen Garten von Habana.

Die Straßen Habanas.

Doch wir können uns mit dem allgemeinen Übersichtsbilde, das uns Habana vom Hafen aus darbietet, nicht begnügen, sondern wir haben uns in einem der kleinen blauen Boote ans Land zu begeben und unsere kulturgeographischen Betrachtungen bei unseren Streifzügen in der Stadt und ihrer näheren und ferneren Umgebung weiter fortzusetzen und auf allerlei Einzelheiten zu erstrecken. Dem Stadtteile in der Nachbarschaft des Hafens sind durchgängig sehr enge Straßen mit kaum anderthalb Fuß breiten Bürgersteigen eigentümlich (Abb. 69),und es ist weder den Fuhrwerken noch den Fußgängern darin möglich, ohne vielfache Zusammenstöße aneinander vorüber zu kommen, während sie im übrigen die Luftzirkulation behindern, üble Dünste festhalten und zum Teil dadurch wahre Pestherde bilden — Brutstätten des Gelb- und Malariafiebers sowie der Blattern- und Typhusepidemien. Eine gewisse Annehmlichkeit bieten sie nur insofern, als sie ein Wesentliches dazu beitragen, ihren Bewohnern lange Wanderungen in der Tropensonne zu ersparen, als sie die in sie einfallende Strahlenmenge auf ein Mindestmaß beschränken, und als sie es einem möglich machen, sie mit ein paar Schritten oder Sprüngen zu queren, wenn sie sich durch die Güsse der Regenzeit alltäglich zu wiederholtenmalen in fußtiefe Bäche verwandeln. Alles in allem hat man sie aber als ein Erbe aus alten Zeiten oder sozusagen als ein historisches Überlebsel zu betrachten, das für andere Bedürfnisse als die heutigen berechnet war, und das man nicht ohne weiteres beseitigen kann. Als diese Straßen und die sie einrahmenden festungsartigen Häuser mit ihren eisenvergitterten glaslosen Fenstern und ihren schwer beschlagenen starken Holzthüren entstanden, drohten noch die Einfälle der Korsaren und Boucaniere sowie der Holländer und Engländer, und es war nötig, das ganze Gemeinwesen in eine Ringmauer einzuschließen. Dabei galt es aber Raum zu sparen, und da in den Straßen beinahe ausschließlich Lasttiere und Reiter sowie Fußgänger verkehrten und selbst Ochsenkarren Ausnahmserscheinungen waren, während sich die Sanierung in der noch kleinen Stadt von selbst bewirkte, — wie in mancher europäischen Kleinstadt wohl auch — durfte man diese Rücksicht ohne weiteres walten lassen. Heute ist der Verkehr der Wagen und Personen in einzelnen von diesen Straßen, wie namentlich in der Calle Obispo und Calle O’Reilly, sowohl in den Morgen- als auch in den späten Nachmittagsstunden ein sehr starker, und der nicht an das Schauspiel Gewöhnte kann sich dabei nicht enthalten, das Geschick zu bewundern, mit dem die Rosselenker ebenso wie die Wanderer auf den Bürgersteigen die vorhandenen großen Schwierigkeiten zu überwinden wissen. Übrigens begegnet man natürlich auch unter den Formen des Verkehres manchem historischen Überlebsel, das vor zwei- oder dreihundert Jahren von Spanien nach Cuba verpflanzt worden ist und das heute in seiner ursprünglichen Heimat kaum noch zu erblicken sein dürfte, das aber hier unter der Tropensonne noch kräftig weiter blüht. Die alte Volante zwar sucht man heute vergebens in Habana, und statt ihrer jagen Wagen von derselben Art wie in den europäischen Hauptstädten hin und her, und dazu auch Omnibusse, Pferdebahnwagen und Dampfstraßenbahnzüge. Ein guter Teil der Verkaufsgegenstände, die für den täglichen Gebrauch der Stadtbevölkerung vom Lande her nötig sind, wird aber immer noch auf den Rücken von Pferden, Eseln und Maultieren herbei gebracht und in den Straßen oder auf dem großen und wohleingerichteten Taconmarkte feilgeboten (Abb. 70und71). Größere und schwerere Transporte vom Lande in die Stadt vollziehen sich aber vorwiegend in roh gebauten, zelttuchüberspannten und nach dem Tandemprincip von Maultieren gezogenen Karren (Abb. 72), denn die Landstraßen sind auch in der Nähe der Hauptstadt der Mehrzahl nach schlecht — wenigstens in der Zeit der Regen —, und nicht weniger schlecht ist auch das Steinpflaster in der Stadt selbst. Wird die neue Ära, die über Cuba hereingebrochen ist, dies alles von Grund aus ändern? Und werden die Amerikaner, die sich anschicken, die Führung in dieser Ära zu übernehmen, den Stumpfsinn und den Schlendergeist zu bannen verstehen, der bei diesen Zuständen zweifellos mit im Spiele ist? Im eigenen Lande haben dieselben sich als Straßenbauer bisher nicht sonderlich bewährt, und ihre Stadtverwaltungen erfreuen sich ebenfalls beinahe durchgängig nicht eines sehr guten Rufes. Füglich fegt aber mancher Besen in der Welt weitaus am besten und wirksamsten vor der Thür des Nachbarn. Daß sowohl der Landstraßenbau als auch das Imstandehalten des Straßenpflasters in dem Tropenklima Cubas noch erheblich größere Anstrengungen erforderlich machen wird, als in dem Klima Nordamerikas, ist wohl sicher.

Abb. 78.Die Kathedrale von Habana.

Abb. 78.Die Kathedrale von Habana.

Das neuzeitliche Habana liegt außerhalb der alten Ringmauern, und hier bieten die breiten, von westindischen Lorbeerbäumen beschatteten und von stattlichen Häusern und Bogengängen begleiteten Straßen (Abb. 73) zahlreiche Bilder vornehmen Glanzes, und in einem noch höheren Grade die mit Palmen, Hibiscus und Rosen sowie mit Bildsäulen und Springbrunnen schön geschmückten und von Kaffee-, Gast-, Schauspiel- und Klubhäusern umrahmten Plazas (Abb. 74) — die letzteren vor allem am Abende, wenn sie von elektrischen Lichtern erhellt und von Scharen von Lustwandelnden sowie von den Klängen von Musikbanden belebt sind. Noch weiter draußen stoßen wir freilich zum Teil wieder auf sehr ärmliche Straßen, in denen das Elend daheim ist (Abb. 75), und die große Zahl zerlumpter Bettler bringt auch einen schlimmen Mißton in das heitere Leben der Plazas. Übrigens sondern sich aber Arme und Reiche, Schwarze, Weiße und Gelbe in Habana keineswegs nach derselben strengen Regel wie in den Städten der Union in besonderen Stadtvierteln voneinander ab, sondern es herrscht in dieser Beziehung ein ziemlich buntes und regelloses Durcheinander, und unmittelbar neben dem Palaste oder der Quinta eines Großkaufmanns oder Granden, an dem Marmorsäulen und sonstiger Zierat nicht gespart worden sind, stoßen wir vielfach auf recht bescheidene Häuschen oder Hütten.

Abb. 79.Guanabacoa.

Abb. 79.Guanabacoa.

Gesundheitsverhältnisse Habanas.

Wer in Habana echte Tropenbilder schauen will, — schöne Reihen und Gruppen von Königs- und Kokospalmen, mächtige Bambusen, vollkronige Mango- und Aguacatebäume, saftgrüne hohe Bananenstöcke und dergleichen — den müssen wir nach dem Parke bei der Quinta des Generalstatthalters führen oder nach dem Botanischen Garten am Fuße des Castello del Principe (Abb. 76u.77). Haben wir aber, um unsere Anschauungen betreffs der Stadt zu thunlichst vollständigen zu machen, nicht unsere Schritte schließlich auch noch über dieses Festungswerk hinaus nach dem großen Kirchhofe zu lenken und dort die zahlreichen prunkvollen Denkmäler in Augenschein zu nehmen, sowie daneben die zahlreichen frisch und flüchtig zugescharrten Gräber von den Opfern der letzten Blattern- und Gelbfieberepidemie? Der Tod arbeitet in Habana zu Zeiten so rasch, daß der Totengräber nicht gleichen Schritt mit ihm halten kann, und besonders ist dies in den Zeiten der letzten Insurrektion der Fall gewesen. In normalen Jahren ist die Sterblichkeitsziffer von Habana zwar eine hohe (34,1 auf das Tausend), bei weitem aber nicht die höchste, welche von den größeren Städten zu verzeichnen ist (Madrid 41,6 und Mexico 45 auf das Tausend), und wenn das in mancher Beziehung sehr im argen liegende Sanitätswesen der Stadt reformiert würde, so würde dieselbe vielleicht den gesündesten Städten der Erde zuzuzählen sein. Gegenwärtig ist außer den engen Straßen der Geschäftsstadt namentlich das unzweckmäßig angelegte Abzugskanalsystem, das unmittelbar an dem Hafeneingange in das Meer mündet, ein schreiender Uebelstand. Von den Sterbefällen sind aber in gewöhnlichen Zeiten nicht ganz 8 Prozent dem Gelben Fieber, 22 Prozent dagegen den Erkrankungender Atmungsorgane, und reichlich 12 Prozent Unterleibsentzündungen zuzuschreiben.

Eine eigentliche Industriestadt hat Habana so wenig werden können als irgend eine andere Koloniestadt in den Tropen. Kein Besucher der Stadt sollte es aber versäumen, einen Einblick in eine von den vierzig großen Cigarrenfabriken zu nehmen, die daselbst im Werke sind, die Welt mit dem köstlichen Genußmittel zu versorgen, durch das Habana in allererster Linie berühmt ist.

Ein kurzer besonderer Besuch gilt dann noch der im Jahre 1724 erbauten Kathedrale (Abb. 78) nebst der darin angebrachten Gedächtnistafel von Christoph Kolumbus (Abb. 2) sowie dem kleinen besonderen Gedächtnistempel nahe dabei (Abb. 3), der dem großen Entdecker errichtet worden ist. Ob die Asche desselben im Jahre 1795 thatsächlich von Santo Domingo nach Habana übergeführt wurde und demgemäß im Jahre 1898 wieder von Habana zurück nach Spanien, muß freilich als sehr fragwürdig gelten.

Bevölkerung Habanas.

Die Einwohnerzahl von Habana betrug im Jahre 1827: 94023, im Jahre 1877: 198721 und im Jahre 1887: 200448, und die beiden letzten Ziffern lassen auf einen gewissen Stillstand der Entwickelung schließen, was bei der beschriebenen allgemeinen Lage, in der sich die ganze Insel in den letzten Jahrzehnten befunden hat, nicht zu verwundern ist. Das Verhältnis der Männer zu den Frauen stand 1887 wie 112 : 88, ähnlich wie in anderen Kolonialstädten, das Verhältnis der weißen Rasse zu der farbigen aber wie 74 : 26, in bemerkenswertem Gegensatze zu Santiago, und die Zahl der weißen Nichtspanier war im ganzen nur 6500.

Abb. 80.Der Almendaresdurchbruch bei Puentes Grandes.

Abb. 80.Der Almendaresdurchbruch bei Puentes Grandes.


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