The Project Gutenberg eBook ofDas Meer: Roman

The Project Gutenberg eBook ofDas Meer: RomanThis ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online atwww.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.Title: Das Meer: RomanAuthor: Bernhard KellermannRelease date: March 15, 2013 [eBook #42339]Most recently updated: October 23, 2024Language: GermanCredits: Produced by Jens Sadowski*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS MEER: ROMAN ***

This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online atwww.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.

Title: Das Meer: RomanAuthor: Bernhard KellermannRelease date: March 15, 2013 [eBook #42339]Most recently updated: October 23, 2024Language: GermanCredits: Produced by Jens Sadowski

Title: Das Meer: Roman

Author: Bernhard Kellermann

Author: Bernhard Kellermann

Release date: March 15, 2013 [eBook #42339]Most recently updated: October 23, 2024

Language: German

Credits: Produced by Jens Sadowski

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S. Fischer, Verlag, BerlinBerlin, 1917

26.—40. Auflage.Gedruckt während der Kriegszeit auf Papier mit Holzschliffzusatz.Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.Copyright S. Fischer, Verlag, Berlin.

Das Meer

Wir hatten alles, was das Herz begehrt. Wir hatten Frauen die Fülle, wir hatten zu trinken, wir hatten Stürme, die mit achtzig Seemeilen Geschwindigkeit dahinfegten. Wir brauchten nichts, merci, hebe dich hinweg —

Auf unserer Insel gab es weder Baum noch Strauch. Wie ein in Schutt zerfallenes Gebirge sah sie aus, und ringsum keuchten die Klippen in der Brandung. Tag und Nacht aber donnerte es, horch! Das war das Meer. Es wehte, immerfort schrie der Wind, und wenn ein Mensch über die Heide ging, so flatterte er wie eine zerfetzte Fahne. Zu jeder Stunde bei Tag und bei Nacht schrillten die Möwen, denn ihnen gehörte Insel und Meer. Manchmal versank die Insel buchstäblich unter ihrem markerschütternden, feilenden Lärm. Wenn ich da draußen bei den Klippen schwamm, so reckten sie unruhig die weißen Köpfe, es waren ihrer drei, fünf, zehn, aber sobald ich näher kam, waren es Hunderte, Tausende. Sie umkreisten mich schrillend wie eine wetternde Wolke und mich erfaßte eine mystische Furcht, denn es waren ihrer so viele. Sie schreien noch oft in meinen Träumen.

En route! Das Großsegel donnert und wir jagen dahin. Unsere Muskeln sind hart und unsere Herzen stählern und klingend — — —

Wann aber meine Augen zum erstenmal auf Rosseherre fielen, kann ich nicht mehr sagen. Ich weiß nur, daß es an einem Posttag im Frühjahr war. Rosseherre war das einzige blonde Mädchen auf der Insel, und es ist möglich, daß sie gerade deshalb Eindruck auf mich machte. Sie war eigentlich nicht blond, sondern gelb, wenn man so sagen kann. All die andern dagegen waren schwarz und ich kannte sie alle.

Zuweilen unternahmen wir eine Expedition, Yann, der „kleine Kapitän“, Poupoul, mein Hund, und ich, und auf diesen Entdeckungsreisen machte ich ihre Bekanntschaft. Es gab auf der Insel dreimal mehr Frauen als Männer, denn die Männer machten Dienst auf den Schiffen, Gott weiß, wo sie waren. Solange sie jung waren, waren sie schön, und alten gingen wir aus dem Wege. Braun gebacken von der Sonne waren sie und das Blut glühte in ihren Wangen und Augen, als ob sie gerade aus einem heißen Ofen kämen. Sie hatten weiße, starke Gebisse und pechschwarzes Haar, das sie offen trugen bis zu den Schultern herab. Sie waren einfältigen Herzens, munter und laut und zögerten nicht lange, denn es fehlte ihnen an Zeit und Auswahl.

Yann und ich setzten in irgendeiner kleinen Bar Dampf auf, dann sah mich Yann mit feuchtglänzenden Augen an und puffte mich: „Hehe?“

„Schön!“ sagte ich. Yann und ich verstanden einander auf eine nahezu mysteriöse Art.

„Aber noch ein Glas! He, Patron, noch ein Glas, rasch!“

Wir brachen auf. Wir schlugen sofort ein derartig rasches Tempo an, als gälte es Leben oder Tod. Nicht eine Minute Zeit hatten wir zu versäumen.

„Nur keine großen Umstände gemacht, hörst du?“ sagte Yann. „Sie warten nur darauf —“

„Tiens!“ sagte ich, ärgerlich über Yanns ewige Bevormundung. „Habe ich je Umstände gemacht? Sakrenomdedü“ —

„Allons, allons!“ Yann lachte.

Es war Nacht, alles schlief. Die Leuchtfeuer suchten nach uns wie riesige Blendlaternen und wir schlichen wie Diebe zwischen den Hütten dahin. Oft mußten wir uns hinter eine niedrige Mauer ducken um nicht gesehen zu werden. „Nieder!“ kommandierte Yann. Dann pochte Yann an ein Fenster: „Mach’ auf, mach’ doch auf!“ Er pochte geduldig eine Stunde lang und raunte: „Mach’ auf, ich bin es, Yann!“Endlich klirrte der Riegel und Yann schlüpfte ins Haus. Ich wartete. Die schwarzen Wolken wälzten sich über den Himmel, der Wind knallte in meinem Rock, ich fror. Endlich kam Yann wieder, satt und erhitzt sah er aus.

„Es ist heute nichts mit ihr.“

„Nichts?“

„Nein, wir haben einen unglücklichen Tag gewählt.“

„O, Yann!“ Und wir steuerten einen anderen Kurs. „Mach’ auf, mach’ doch auf, ich bin es, Yann.“ Wir lauschten, Poupoul knurrte. „Mach’ auf, mach’ doch auf!“ In den Fischerhütten roch es süß und kräftig wie in einem Kuhstall.

„Umarme ihn, vorwärts!“ befahl Yann. „Er ist mein Freund — Napoleon — hast du nie gehört von ihm?“

Dann hielten wir uns ein paar Striche westlich und klopften eine abseits liegende Kneipe wach um uns zu stärken. Wir brachten den Wirt um seine Nachtruhe, aber da wir die kapitale Zeche von einem Franken machten und bar bezahlten, waren wir willkommene Gäste.

„Nun wollen wir nach Stiff gehen,“ sagte Yann, „eine halbe Stunde, dort wohnt Jeanne, aber wirmüssen uns in acht nehmen, sie muß herauskommen“ — Unersättlich war Yann.

„Wird sie herauskommen, Yann?“

Yann blieb stehen und rückte die Mütze ins Genick. „Wenn ich klopfe? He?“

Auf diese Weise machte ich die Bekanntschaft der Schönheiten der Insel. Wir litten keinen Mangel, das will ich nicht behaupten. Es wäre undankbar, nichts anderes.

Rosseherre aber hatte ich noch nicht gesehen,

An einem Mittwoch nun ging ich zum Hafen hinüber um zu sehen, ob der „Kommissionär“ heil hereinkäme. Das Meer war erregt.

Die Fischer standen oben auf den Felsen, turmhoch über der Bai, und blickten regungslos auf den „Kommissionär“ hinaus, nur zuweilen spien sie aus, aber ohne sich zu rühren. Sie sahen zerzaust und zerwühlt aus, ausgetrocknet von der Sonne, die Augen geschliffen vom Wind. Manche schienen gerade aus dem Wasser zu kommen, die dünnen Haare klebten an ihren Schläfen, die Kittel hingen an ihren Schultern herab. Neben ihnen stand Noel, der Kaufmann und „Inselkönig“, in einer schwarzen Lederjacke, den Feldstecher vor den Augen. Er strotzte von Wohlhabenheit, sein Gesicht war siegellackrot und sein schwarzer Vollbart knisterte vor Gesundheit. „O, lala!“ riefer und schüttelte besorgt den Kopf, denn der „Kommissionär“ gehörte ihm. Ein paar Fetzen Tuch an den Stangen watete der Kutter in der Ferne durch die sausende Dünung, unter Sturzseen begraben. Manchmal versank er bis auf die Mastspitze — fahre wohl! — nein, er tauchte wieder auf. Hinter ihm ging schräg der schwarzgraue Regen. Plötzlich hielten alle Fischer inne — wenn jetzt ein Seil riß oder der Wind nur eine Minute aussetzte — sie spien wieder aus, es gab keine Gefahr mehr. In den Nischen der Klippen kauerten Trüppchen von Fischerweibern, wie Hühner, die der Wind in einen Winkel wehte. Alles flatterte an ihnen, die schwarzen offenen Haare, die Bänder der weißen Hauben, die Röcke. Die schwarze Jeanette saß bei ihnen und blickte lächelnd zu mir empor. Ich stand bei den Fischern, regungslos wie sie, und nur zuweilen nahm ich die Pfeife aus dem Mund und spie aus, auf amerikanische Art, durch die Zähne; ich hatte es darin zur Vollkommenheit gebracht.

Der „Kommissionär“ zog die Segel ein und warf mit Gerassel seinen zerfressenen Anker aus. Eine kleine Rostwolke stieg auf und ich roch sie bis herauf. Sofort kam aus dem Hafen wie stets jenes kleine Boot heraus, das sich wie eine Kaulquappe bewegte, denn es wurde mit einem einzigen Ruder am Stern gerudert. Ein halbes Dutzend flatternde Bündel (Menschen),Ballen, ein Rudel kleiner Schweine, all das wurde mit einer Hast hineingeworfen, die Seeleute an sich haben, wenn sie schon einmal arbeiten. Im Nu war der Nachen zum Sinken voll.

Die Schweine schrien mörderisch, und die Weiber in den Felsennischen kreischten vor Lachen. Plötzlich aber begannen sie zu rufen. Sie schwenkten die Arme und schrien: „Rosseherre! Rosseherre!“

Im Schnabel des kleinen schlingernden Bootes stand ein Mädchen mit flatternden messinggelben Haaren.

Ich hatte sie noch nie gesehen. Gelbes Haar hatte sie! Und sie stand so ruhig.

Die quiekenden Schweine wurden herausgeworfen, die Ballen, der Postsack und ein ganzes Gebirge von großen Brotlaiben mit schmutziggrauer Kruste. Die Schweine liefen darüber, die gelbe Welle leckte nach ihnen und färbte einzelne dunkel, ehe Noel sie wegräumen konnte.

„Pack an, pack an!“ schrie er, und der Dorflump in seinen klaffenden Hosen, Noels Schützling, sprang mitten in das Gebirge von Brot hinein.

Rosseherre stieg geschickt zwischen zwei Wellen aus dem Nachen und klapperte rasch in ihren Holzschuhen den Steig hinauf. Je näher sie kam, desto gelberwurde ihr Haar. Sie war klein und schmal, ein Mädchen von sechzehn Jahren; sie trug eine weiße Haube, ein Tuch um die Schultern, und war schwarz gekleidet wie alle Frauen der Insel.

Wir wandten uns ihr zu. Die Fischer taten es, ohne die Füße zu regen, ihre Holzpantinen waren festgenagelt am Boden. Kedril nahm den Tabakklumpen aus dem Mund und legte ihn unter die Mütze auf den Kopf. „Da ist ja Rosseherre wieder!“ sagte er. Die andern sagten nichts. Sie spritzten den Tabaksaft mit kindlicher Freundlichkeit durch die Zähne und nickten. Man sah ja, daß sie da war.

In diesem Augenblick sah Rosseherre zu uns her. Das gelbe Haar wehte um ihr kleines kindliches Gesicht und sie strich es mit der Hand zurück. Die Weiber schrien ihr lachend etwas zu, und sie sah mich von oben bis unten neugierig an. Ich nahm die Pfeife aus dem Mund, bewegte aber keine Miene. Da kehrte Rosseherres Blick nochmals zu mir zurück und haftete an meiner Hand, an der ich einen unscheinbaren Ring trug. Dann sah sie mir rasch in die Augen. Was für ein Blick war es doch?

Die Weiber lachten breit, plapperten und gingen mit Rosseherre davon. Im Nu hatte sie der Windum die Ecke geweht. Aber bevor Rosseherre verschwand, blickte sie nochmals zurück.

Drunten in der Bai schaukelte verlassen der „Kommissionär“; ein Matrose in rotem Hemd kletterte auf dem Deck. Der Briefträger und Chef der Post ging an die Arbeit. Bis an die Zähne bewaffnet stürzte er sich ins Feuer. Er hatte hohe Reiterstiefel an und schwang einen lächerlich kleinen Korb mit den Briefen in der Hand. Sein Dienst war mörderisch. Wohin er kam, mußte er ein Gläschen trinken. Am Abend kehrte er aber stets als Sieger zurück, schnaubend wie ein Nilpferd, in Schweiß gebadet, um in Chikels Bar zusammenzubrechen unter der ungeheuren Last von Verantwortung, Wichtigkeit und eines höllischen Dienstes, für den er acht Tage lang Kräfte gesammelt hatte.

Der Karren mit dem Schimmel kam, um die Säcke und Ballen fortzuschaffen. Dieser Schimmel stand und ging, in einer Art Kniebeuge, er hatte rote Ränder um Augen und Nüstern und war fast gänzlich haarlos. Er schlief augenblicklich ein, und der Dorflump kitzelte ihn mit einem Strohhalm aussichtslos in den Nasenlöchern.

Der Karren fuhr ab — und nun war wieder Ruhe auf der Insel für eine ganze Woche.

Ich kaufte im Dorf für zwei Sou Fische und wanderte nach „Sturmvilla“ zurück.

„Hast du gesehen, daß sie auf deinen Ring blickte?“ sagte ich zu mir. „Sie sind doch auf der ganzen Welt die gleichen. Was für gelbes Haar sie hat, oho, das ist schon fast nicht mehr erlaubt, wie, Poupoul!“

Plötzlich fiel mir ihr Blick wieder ein. Merkwürdig. Es war ein — wie soll ich sagen? — es war ein Blick wie ihn Wahnsinnige haben.

Der Weg führte hoch oben über die Felsen dahin, in denen das Meer ohne Aufhören wusch und schaufelte.

Tag und Nacht war es an der Arbeit. Es fand eine Spalte und fing an, einen Tunnel zu bohren. In tausend Jahren sollte er fertig sein und es ging mutig ans Werk. Ein paar Schritte weiter hämmerte es in einer Höhle und meißelte in einem Schacht. In tausend Jahren sollte der Schacht mit dem Tunnel zusammenstoßen. Dann wollte es in den großen Stürmen Spitzhacken und Picken nach oben schicken um eine Halle auszuhauen. In abermals tausend Jahren war die Decke so dünn, daß sie nach den Regengüssen einstürzte, und dann stand eine Klippe da, frei und scharf wie eine Sense, und das Meer suchte sich eine neue Aufgabe. Es hatte Zeit.

Je näher man Sturmvilla kam, desto lauter wurde das Meer. Denn hier außen war der offene Ozean und der große Strom brach sich an den Klippen. Unaufhörlich stiegen die Gischtsäulen an den Riffen empor. Zuweilen dröhnte es, als ob eine ungeheure Felsmasse ins Meer stürzte. Eine große Woge. Ich hielt nicht mehr den Schritt an, nur manchmal erschrak ich noch tief innen im Herzen.

Vereinzelte bleischwere Tropfen fielen vom Himmel. Das Gewölk schleppte sich niedrig und schwer wie schwarzer Qualm übers düstre Meer und es wurde rasch Nacht. Unsere beiden Leuchttürme begannen zu arbeiten. Im Norden Stiff. Wie ein saugender, erschreckender Mond zuckte er hinter der schwarzen Heide empor. Zweimal weiß und einmal rot. Im Süden aber begann hoch oben eine geisterhafte Sonne mit vier bleichen Strahlenbündeln wie irrsinnig zu kreisen. Das war Creach. Er schleuderte seine Lichtgarben dreißig Meilen weit in die Nacht hinaus. Es waren sausende Hiebe von Doppelblitzen. Sie flogen über die schwarze Heide, die bleichen Giebel der Hütten, liefen wie eine leuchtende Schlange an den Klippen über der Bai drüben entlang, betasteten ein Riff, eine Woge, einen Wolkensaum, ein Segel — fort, Nacht, Schwärze — und schon blendeten sie wieder auf. Mit der Nacht, da die Geräusche des Tages verstummen und das Ohr sich schärft, donnerte das Meer um so lauter, und so kam es, daß man glaubte fortwährend in einem Gewitter zu leben.

Creach leuchtete mir auf den Weg. All die Felsen, die glattgeschliffenen Elefantenschädeln und Skeletten vorweltlicher Tiere ähnlich sahen, füllten sich mit Gestalt und Leben, wenn der Lichthieb über sie hinfegte. Mitten unter ihnen stand ein bleicher, abgezehrterMönch, der den Arm erhob und den Skeletten predigte: „Es ist noch nicht zu spät, ihr Saurier!“ In jeder Nacht stand er da und predigte, am Tage war er nichts als ein ordinärer Felsklotz. Auch mir predigte er, wenn ich vorüberkam: „Was den Sauriern gilt, gilt auch dir!“ Und er drehte sich nach mir mit dem erhobenen Arm: „Es ist noch nicht zu spät, Heide!“ Sturmvilla selbst sah wie ein bleicher Schädel aus, durch dessen zerfressene Nase ich hinein mußte.

Sie war früher ein Wächterhaus, aber nun gehörte sie Noel, dem Kaufmann, der ein Sammler alter Baracken war, die er mit großartigen Namen ausstattete: Villa de tempête, Sans-souci, Louis seize.

Ich nahm die Fische aus, schabte sie ab und briet sie in einem dick mit Butter beschmierten Papier über einem kleinen Feuer. Aus der Leber machte ich mit Butter, Salz und Essig die Sauce dazu. Dann hatten wir noch ein paar kleine Kartoffeln, herrlich!

Sturmvillas Gemächer bestanden aus einem einzigen kleinen Raum und die Hälfte davon nahm ein unförmiger pechschwarzer Kamin ein, der mich fast verschlang. Ich liebte es, davor zu sitzen und dem Feuer zuzusehen.

Die Fische zischten und draußen rumorte das Meer. Mein Ohr war fein und geschliffen und ich unterschied jede einzelne Woge. Der Strom stürzte sich gierig und wild gegen die Klippen, in der Ferne dröhnte es in gleichmäßigen Intervallen, als ob eherne Röhren ans Land rollten. Das war die Brandung in der Bai. Dazwischen unterschied ich ein fernes knatterndes Schnellfeuer. Das war das Meer bei Creach. Es hatte die Klippen in Trümmer zerschlagen und jede Woge rollte die zentnerschweren Kugeln auf und ab. Das Splittern und Krachen aber und die Schreie, was war das? Nein, ich öffnete nicht mehr die Türe. Ich sah nicht mehr schwarze Schiffsrümpfe auf- und abstampfen, ich hörte nicht mehr Ertrinkende schreien. Es waren die dunkeln Klippen, die da draußen tanzten, und ich wußte auch, woher die Schreie kamen. Es war das Wasser, das schrie, der Wind. Die Steine schrien.

Es pochte an die Türe. Ich wandte mich nicht um. Wer sollte kommen? Der Wind weinte an meinem Guckloch, er weinte von einem Schmerz, der nicht alltäglich ist, einem auserlesenen Schmerz, der das Herz eines Heiligen brach. Dann lachte er ein kleines, irrsinniges Lachen und weg war er.

Ich saß vor meinem kleinen Feuer und rauchtedie Pfeife. „He, Poupoul, alter Kamerad!“ sagte ich und kraute ihm den Kopf. Was war geschehen? Nichts. Aber es lag ein Geruch wie von Abenteuern in der Luft.

Dieser gelbe Irrwisch, der heute aus dem Meer gestiegen war! Ich machte mich bereit. Nimm dich in acht, Yann —

Gleich am nächsten Tag zog ich auf Kundschaft aus, um Rosseherre aufzustöbern. Aber ich fand sie nicht. Nun, mochte sie in Gottesnamen bleiben, wo sie wollte, ich war nicht auf sie angewiesen. Und am übernächsten Tag hatte ich sie vergessen.

Die Möwen schrien und die Meerschwalben zogen läutend und glucksend dahin. Es wehte, die Brandung donnerte. Wir fuhren hinaus zum Fischfang. Wir fuhren hinaus um den Hummer und die Languste zu fangen, unser Boot war angefüllt mit Reusen. Kedril, der Pilot Nummer Eins, erhielt eine Depesche und wir jagten zwischen den schwarzen raschen Wogen dahin wie ein Geisterschiff. Wir brüllten wie Teufel, um das Meer zu überschreien. Kommando und Wiederholungen der Kommando. Ich bediente das Focksegel und trachtete mit dem Wind fertig zu werden. Ich stemmte die Füße gegen die Bootsrippen und oft hing ich wagrecht im Boot um das Segel zu spannen. Meine Hände waren zerschunden, meine Augen entzündet vom Salzwasser und vom Wind, die Haare klebten mir im Gesicht. Wir kreuzten acht Stunden lang zwischen den Wassergräbern, bis das trübe Lichtunseres Dampfers aus der Dunkelheit blinzelte, und acht Stunden lang trillerte uns der Wind wie eine schrille Pikkoloflöte in die Ohren. Der Pilot kletterte an der schwarzen Eisenwand in die Höhe und verschwand, und nur oben tauchte sein schnapsrotes Gesicht mit der geschwollenen Backe — er verwahrte den Tabak darin — wieder im Lichtschein der Lampen auf. Lebe wohl, Pilot! Wir, der Knecht und ich, legten mit aller Kraft die Stangen gegen den Dampfer um nicht zu zerschellen, und das eiserne Ungeheuer strich davon. Dann jagten wir durch die Nacht die vielen Meilen zurück. Die Sturzseen prasselten auf unseren geölten Anzügen. Unsere Augen lagen auf der schwarzen Straße vor uns und spähten nach Gischt aus. Denn wo Gischt war, waren Klippen. Im Nebel aber legten wir uns über den Bootsrand und schnupperten ganze Tonnen von Luft durch unsere geringelten Nasen — um die Klippen zuriechen.

Wir tranken. O, wie mörderisch tranken wir! Mit der Flasche in der Hand taumelten wir an den Wänden entlang und tranken, weil wir durstig waren. All das Salz, hinab damit. Die Fischer brüllten zum Fenster hinaus. Das Meer hatte ihre Herzen wild gemacht und was sollten sie damit tun? „Brülle auch!“ schrie Yann, und ich brüllte ebenfalls zum Fenster hinaus. Es machte uns Vergnügen. —

Tagelang aber hausten wir einsam da draußen mit dem Wind und den Möwen, Poupoul und ich.

Vor meinem Hause lag ein Stein, groß und flach wie ein Tisch. Er war grau in der Sonne, bei trübem Wetter aber färbte er sich dunkel. Auf diesem Stein saß ich und sah dem Meere zu.

Die Wolken zogen am Himmel und ihre Schatten trieben übers Meer wie dunkle Inseln. Der Wind blies scharf hinein ins milchig grüne Wasser, ohne nachzulassen, und das Meer war eine Armee spitzer Wellen, der Horizont rauchte. Der Wind heulte und schrie und das Meer war getigert mit breiten zornigen Gischtstreifen, die dahinfuhren, Donner und Blitz.

Die Stunde kam und das Meer war anders.

Die Weite blendete mich. Ich stand auf, als ob ich etwas sagen wollte, ungeheure Worte schwebten mir auf den Lippen, Felsen von Worten, aber ihr Sinn war mir fremd und ich sagte nichts. Ich setzte mich wieder. Der Wind blies und fachte mein Herz an, daß es glühte, bis dahin, wo es ganz alt war. Und ich saß inmitten der Weite und Leere und der unbekannten Dinge, die in der Luft sind. So saß ich vom Morgen bis zum Abend und nun verstand ich, was mein Herz mir sagen wollte. Ja! Ich blickte in die Höhe. Gott war verreist, er hatte die Erde vorläufig allein gelassen, da sie aus den Kinderschuhenheraus war, aber die alten Götter lebten noch, denen ich räucherte, da ich übers Gebirge kam, die Steinaxt auf der Schulter. Hörst du es? Wie es sauste da droben! Die alten Götter waren da droben unterwegs.

Tausend Quadratmeilen Wasser, tausend Kubikmeilen Luft, alles gehörte mir. Nein, die da droben sollten nicht auf den Gedanken verfallen, es mit einem undankbaren, schäbigen Burschen zu tun zu haben. Ich ging und stahl einen halben Gartenzaun und machte ein Feuer an zwischen den Klippen. Ich warf Fische hinein, die ich eigenhändig gefangen hatte, mit Augen und Eingeweiden warf ich sie ins Feuer, und der Rauch schwärzte mein Gesicht. Sie sollten es sehen, wenn sie dort oben durch den Äther fuhren!

Und Tag um Tag saß ich auf dem Stein vor meinem Hause.

Draußen zogen die Dampfer vorüber.

Ich unterschied die kleinste Rauchwolke unter dem hängenden Gewölk, ja sogar ein Mast, der am Horizont wanderte, fein wie eine Nadel, konnte meinen Augen nicht entgehen. Die Rauchwolke wuchs, ein grauer qualmender Turm stand auf der Linie des Horizonts. Der Turm wölbte sich, bekam Maste, Kamine, Verdecke. Die Möwen schwangen sich von den Klippen und schossen schrillend hinaus. Und der Dampfer kämpfte sich näher. Sein Bug, sank ein und verschwand,lange, als ginge es hinab. Dann stieg der Bug in die Höhe und der Stern versank. Und wieder neigte sich der Bug. So zog er dahin. Die Gischtsäulen fuhren senkrecht am Schnabel in die Höhe, die Sturzseen strichen übers Deck. Wenn es dunstig war, so kam es vor, daß ich die Dampfer aus den Augen verlor und minutenlang suchen mußte, bis ich sie wiederfand. Bei Sturm erschienen sie wie verzweifelte Gespenster, die sich mit dem Meere schlugen. Sie sahen kahl aus, wie rasiert vom Wetter. Sie stampften auf und ab, qualmten, rollten hin und her, versanken, und oft dauerte es eine Stunde, bis sie den großen Strom passiert hatten.

Sie zogen nach Süden und Südwest. Von meinem Stein aus sah ich bis nach den heißen wimmelnden Städten Asiens, nach Südafrika, Mexiko und Südamerika, und zuweilen bis dahin, wo die Palmeninseln in einem Meer so blau wie Samt schlummern, und die Affen kletterten in unseren Tauen, sobald wir anlegten.

Ich spähte hinaus. Der Wind zerrte in meinen Haaren, die Funken stoben aus meiner Pfeife und fuhren wagrecht über die Heide. Auf einem Felsen saß ein Möwe mit gesträubten Federn und spähte hinaus wie ich.

Poupoul hockte neben mir und seine Nase ringeltesich bei all den Düften, die das Meer sandte. Er war ein pensionierter Schiffshund, ein zottiger schwarzer Pudel, groß und ein wahrer Teufel, und hatte alle Meere befahren. Ich hatte ihn drüben an der Küste gegen eine Flasche eau de vie eingehandelt. Zuweilen machte er eine kleine Exkursion, die Schnauze am Boden, ob nicht etwa Schweinsohren versteckt wären. Er trollte hin und her und lief hinab zum Meer. Das tat er auf drei Beinen, denn gewiß war es so ein erhöhtes Vergnügen. Er sprang vor und zurück, hielt den Rachen schräg und schnappte nach der Welle. Dann kam er zurück und setzte sich, wieder still neben mich.

Ein Dreimaster stand auf dem Meer. Poupouls gelbe Augen blendeten durch seine ergrauenden Haarbüschel hindurch zu mir empor.

„Ja, Poupoul, ich sehe ihn schon.“

Poupoul aber wollte wissen, ob das sein Schiff sei.

„Ja, es ist deines!“

Da heulte Poupoul kurz und heiß. Ich klopfte ihm den Pelz. „Komm!“ Wir gingen. Wir suchten eine Möwenfeder für meine Pfeife und strichen durch die Klippen. „Gott gebe, Poupoul, daß wir eine passende Feder finden!“ Die Welle klopfte. Ich sah sie an und sagte: „Und was willst du?“ Zuweilen redete ich mit den Sandkörnern, die über die Heiderollten; denn ich konnte nicht immer nur mit Poupoul reden. Auch mit den schwarzen Hammeln sprach ich, die da und dort angepflöckt waren und darauf warteten, daß ein Grashalm wuchs. Ich begrüßte sie und machte ihnen meinen Standpunkt klar.

„Daß Ihre Herren Väter Hammel waren, mit Ihrer Erlaubnis,“ sagte ich, „ist keine Schande! Nein, deswegen vertragen wir uns recht gut. Aber, daß Ihre Abkömmlinge noch in Millionen von Jahren nichts als Hammel sein werden, das macht Sie verächtlich. Sie haben sich in eine Sackgasse verrannt, Ihr Zustand flößt mir Mitleid ein. Ich bitte um Verzeihung, meine Herren!“ Ich grüßte und ging. Die Hammel sahen mir frierend und zitternd nach.

Wir hatten die Feder gefunden und gingen wieder nach Hause. Horch! Ringsum mahlte es wie tausend Wasserfälle — die große Lunge atmete. Die Möwe war unterwegs, die Meerschwalbe läutete.

Trii! — Trii! —

Döi! Döi! Gullugullugullu — döi!

Der Wind fegte und ich mußte mich an den Steinen in der Heide festhalten.

Wenn aber die Sonne schien und ich bei guter Laune war, so setzte ich mich in die Klippen und zog meine kleine Flöte aus der Tasche. Ich hatte sie bei Noel gekauft, um mir die Zeit damit zu vertreiben,sie kostete zehn Sou, besaß aber einen wundervollen Ton. Nun, ich spielte nicht für euch, keine Angst, ich spielte für die kleine Welle zu meinen Füßen, für die Fische im Meer, für den Dampfer in der Ferne, für Poupoul und mich.

Ja, herrlich klang es! Wunderbar klar hallte die Flöte in den Klippen wider. Poupoul zuckte mit den Ohren und sah mich voller Bewunderung an.

Nichts geschah. Das Meer wanderte. Aber dann trappelte es draußen und ich stand auf und mein Herz klopfte. Horch, Poupoul! Was trappelt so? Geht man draußen?

„Nun, so warte doch, du schwarzer Satan, wohin? Wie dein Haar glänzt! Wie heißt du — Yvonne? Ich möchte deinen braunen Nacken küssen, Yvonne, wo der Wind dein Haar auseinanderbläst. So, siehst du, keine Angst — zurück, Poupoul! Hahaha — sie ist doch kein Hammel!“

Nun vergingen wieder viele Tage, bevor sich hier außen ein Mensch zeigte. Ich klopfte die Pfeife aus. Tock — tock — es hallte in der Heide. Aber dann tauchte ein Mann aus der Heide auf und steuerte auf mein Haus zu. Es war Kedril, der kam um mich zu seiner Hochzeit einzuladen.

„Du heiratest also, mon vieux?“

„Ja. Ich trinke zu viel. Wirst du kommen?“

„Wenn ich nicht komme, kommt niemand, Pilot!“

„Vielleicht kannst du deine Flöte mitbringen?“ (Meine kleine Flöte war auf der ganzen Insel berühmt.)

„Gewiß, mon cher!“

Auf dieser Hochzeit sah ich das gelbhaarige Mädchen wieder.

Um nichts zu versäumen, war ich schon am frühen Morgen zur Stelle. Der Tau lag noch auf den Halmen.

Ich war rasiert, mein noch in Europa gewaschener Kragen (der letzte) blendete in der Sonne. An der Hand trug ich zwei Ringe und über der Weste eine dünne silberne Kette, die ich schon seit fünf Jahren mit mir in der Hosentasche herumtrug. Gott weiß, warum. Ungeheuer vornehm nahm ich mich unter den Fischern aus, und das Aufsehen war groß.

In der Kirche knieten links die Frauen mit den weißen Hauben, rechts die Männer. Rosseherres helles Haar stach unter all den schwarzen Mähnen ab wie ein neugeprägter Louisdor unter alten Kupfermünzen. So oft sie das Kreuz schlug, bewegte sie die Lippen; sie sah weder rechts noch links. Der Priester gackerte wie eine Henne, der schweres Unrecht widerfahren ist und die ihr seelisches Gleichgewicht nicht wiederfinden kann. Er eiferte gegen die Trunksucht. Gewiß, er fuhr in Wind und Regen hinaus aufs Meer und lebte das ganze Jahr von getrockneten Fischen und Kautabak, während die Fischer in einem gepolsterten Lehnstuhl saßen und sich an der Freundschaft der Heiligen wärmten. Wir wurden langsam im Fegfeuergeröstet, dann strich ein leiser Zephir der Seligkeit über uns hin und es war zu Ende. Alle waren ergriffen. Kedril, der Bräutigam, der schon um sieben Uhr morgens betrunken war, lauschte mit ein wenig ausgestreckter Zunge und der pure Alkohol rieselte ihm aus den entzündeten Augen. Seine Braut kniete mit fettem, gewölbtem Rücken, den Kopf gesenkt, wie bereit zur Hinrichtung.

Poupoul unterhielt sich unterdessen prächtig mit Noels grünem Papagei, der auf dem Kirchplatz seine Morgenpromenade machte. Ich hörte die beiden disputieren. Auf das schallende Spottgelächter des Papageis antwortete Poupoul stets mit rasendem Kläffen.

Nach der Trauung küßten sich alle. Ein Mann machte die Runde mit einer Flasche und jeder bekam einen Schluck geweihten Wein und ein Stückchen geweihtes Brot. Der kleine Kirchplatz wimmelte von weißen Hauben; als sei soeben ein Extrablatt ausgeworfen worden, so sah es aus.

Rosseherre stand in meiner Nähe und wandte zuweilen den Kopf nach mir. Auf den ersten Blick hatte sie entdeckt, daß ich heute meine sämtlichen Juwelen angelegt hatte. Zwei alte Fischer näherten sich ihr, nahmen die flachen Tellermützen von den kahlen Schädeln und rieben ihre stachligen Gesichter gegenihre Wange, während sie mit eingeknickten Knien standen. Rosseherre lächelte mir zu, als die Fischer sie küßten.

Nun kam die Reihe an mich. Ich nahm die Mütze ab und trat an Rosseherre heran. Sie sah mich mit ungeheuer verwunderten Augen an. Diese Augen waren graugrün und hatten gelbe Sterne in der Mitte. Sie sahen ganz anders aus als neulich. Wie hatte ich doch denken können, daß ihre Augen wahnsinnig aussähen? Nur alt erschienen sie mir. Ihre tiefroten rissigen Lippen standen voll Erstaunen offen. Dann brach sie in kindliches Gelächter aus. Sie klemmte die Hände zwischen die Knie und schüttelte sich wie ein messinggelber Pudel, der aus dem Wasser kommt.

Alle wurden von ihrer Heiterkeit angesteckt, auch ich; ich lachte um meine Niederlage zu verbergen.

„Du bist ja kein Fischer!“ sagte sie im singenden Französisch der Bretonin.

„Woher weißt du das? Nun warte, wenn nicht heute, so morgen!“

Wiederum lachten alle.

Hierauf begaben sich die Geladenen ins Grandhotel, und auch die Nichtgeladenen gingen dahin.

Das Grandhotel war eine elende gelbe Hütte, die abseits vom Dorfe stand, dicht über der Bai, und sichnicht entschließen konnte, nach welcher Seite sie umfallen sollte. Vor der krummen kleinen Tür saßen zwei Papageien auf Sardinenbüchsen. Ohne jedes Zeichen von Aufregung saßen sie da, bald auf der rechten Kralle, bald auf der linken, rollten die Liderkapseln, knarrten und zuweilen lachten sie und schrien markerschütternd: Dieb, Lump, Faulpelz!

Im Grandhotel hauste Madame Chikel, ein stämmiges Weib, à la bonheur, mit einem lauten Mundwerk, immer liebenswürdig, immer entgegenkommend, und mit Händen wie Anker. In ihrem Schatten fristete Herr Chikel sein jämmerliches Dasein, wie ein Pilz im Schatten einer Eiche. Mit seinem breitrandigen Plantagenbesitzerhut, den er sich beigelegt hatte, seinen ewigen Bandagen an Kopf, Armen und Beinen, erinnerte er auch an einen Pilz.

Zuweilen bekam Herr Chikel einen Schlag mit einer Flasche über den Schädel, zuweilen auch nur eine Serie der entzückendsten Backpfeifen. Manchmal mußte er auch seiner Gesundheit halber im Freien übernachten. Er erschien im Mondschein wie ein Bündel in der Tür und flog die Treppe hinab. Die Tür krachte ins Schloß, der Riegel klirrte. Vorsicht! Aus dem Fenster flogen Hämmer, Flaschen, und Chikel war gezwungen, sich in die Klippen zurückzuziehen, in eine Art Fort, und hier schlief er.

Herr Chikel war eine Hundeseele. Lächle ihn an, was tut er? Er zittert mit dem Bein und lächelt wieder. Lächle etwas spöttisch oder sauer, er wird spöttisch oder sauer lächeln. Ziehe die Brauen zusammen und durchbohre ihn mit Blicken, als ob du ihn töten wolltest — er wird alles nachahmen. Er war verdammt dazu, den Gemütszustand anderer widerzuspiegeln, und man konnte ihn die Skala der Empfindungen auf- und abhetzen, bis ihm der Schweiß aus den Poren brach.

Madame Chikel war ihm so sehr an Kräften überlegen, daß er mit List kämpfen mußte. Er liebte es sich mit spitzen Gegenständen zu verteidigen, mit Nadeln und Glasscherben, die er ins Bett legte; es kam ihm auch nicht darauf an etwas Petroleum in den Strohsack zu gießen und nebenher ein Streichholz fallen zu lassen. Sobald aber Madame Chikel etwas merkte, daß zum Beispiel ein Nagel durch die Sohle ihres Holzschuhs getrieben war, oder sonst etwas, schlug sie ohne Mitleid auf den Pilz ein.

In diesem, dem ersten Etablissement der Insel fand Kedrils Hochzeit statt.

Die Weiber der Geladenen brachten ihre eigenen Bestecke und Teller mit — denn das Etablissement konnte nicht so viele stellen — und das Mahl begann. Ein wirres Meergespenst erhob sich und sprach.Es sprach bretonisch. Es waren Namen, Namen, eine endlose Reihe. Da und dort schlug einer das Kreuz und auch Rosseherre zuckte plötzlich zusammen, beugte den Kopf und bewegte die Lippen. Dann sah sie auf, etwas bleich und scheu, während sie zu lächeln versuchte. Es waren die Namen all derer, die aufs Meer hinausgefahren und nicht mehr zurückgekehrt waren. Speisen und Getränke wurden aufgetischt. Es gab Fisch, Hammel und einen Kuchen uralten Rezepts, der aus Schweineblut, Mehl und Zwetschgen gebacken war. Am Anfang ging es bäurisch steif zu, dann begann die Unterhaltung. Sie begann damit, daß man allgemeinen Zweifel über die Treue von Kedrils Braut äußerte. Kedril erstickte vor Lachen.

Nach dem Mahl wurde auf der Heide getanzt.

Bumba — bumba — alle formten einen Kreis und stampften mit den Holzschuhen, als stiegen sie eine Treppe empor und sangen: bumba — bumba. Das dauerte endlos. Plötzlich aber begann eine einzelne Mädchenstimme zu schrillen und der Kreis setzte sich in Bewegung.

Es war Rosseherre, die sang. Sie sang mit der Fistel, so hoch und schrill, daß selbst eine Grille erstaunt wäre. Sie sang das bretonische Hochzeitslied:

„Gib mir doch, gib mir doch, dein klein’ Herz, mein Lieb“ —„Gib mir doch, gib mir doch, dein kleines süßes Herz“ —

„Gib mir doch, gib mir doch, dein klein’ Herz, mein Lieb“ —

„Gib mir doch, gib mir doch, dein kleines süßes Herz“ —

Sie wiegte den Kopf dabei und sah zum Himmel empor. Ihre Haare flogen und der Reigen drehte sich. Die Holzschuhe klapperten, die Tücher wehten, die langen Haare der Frauen, die Bänder der weißen Hauben. Auf der einen Hälfte des Reigens wehte alles einwärts, auf der andern nach außen. Die Fischer mit den Köpfen Ertrunkener und den blinkenden Augen trollten unbeholfen dahin, die braungebeizten Indianerweiber lachten und zeigten die weißen Zähne, während die Röcke über ihre dicken weißen Strümpfe emporschlugen. Um den Reigen herum standen die Kinder, grell geputzt wie Puppen, mit Ruschelköpfen, roten Backen und staunenden, strahlenden Augen.

Tief unten rauschte das Meer. Die Brandung lief und donnerte. Die Möwen schrillten und flogen über den Reigen weg, der Wind wehte. Es war Sommer, die Sonne schien, aber die Insel sah aus wie eine trostlose Öde von starrenden Felsen. In der Ferne zogen auf einem tiefblauen Streifen im Meer zwei Dampfer gegen Süden; da draußen lief die Straße vorbei, auf der die Zeit wanderte.

„Gib mir doch, gib mir doch, dein klein’ Herz, mein Lieb —“

„Gib mir doch, gib mir doch, dein klein’ Herz, mein Lieb —“

Ich stand und folgte dem blonden Kopf Rosseherres, der im Kreise ging wie eine funkelnde Glocke, die bimmelte. Rührend sang sie —

Neben mir stand Yann, der „kleine Kapitän“, denn wir waren stets beisammen. Yanns Distelkopf war heute nicht nur gewaschen, sondern abgescheuert wie ein Deck. Man sah noch deutlich jeden Bürstenstrich. Seine hellblauen Kinderaugen waren geputzt wie Schiffslaternen. Er trug zur Feier des Tages einen eingeschrumpften weißen Kittel, einen zerknitterten Kragen, blaue Manschetten, schwarze Holzschuhe und ein dünnes Bambusstöckchen. Durch die Krawatte hatte er eine Nadel mit einem riesigen Brillanten gesteckt, der Quere nach, so daß die Nadel fingerlang herausragte. Und dazu — ha, ha, riechst du es nicht? — hatte er sich parfümiert, der Elegant. Die blaue schmucke Kapitänsmütze trug er nachlässig hinten im Genick wie etwas Nebensächliches und Lästiges.

Yann stand natürlich mit gespreizten Beinen, die Hände in den Hosentaschen, aber das war bei weitem nicht genug. Die Füße waren einwärts gerichtet, besonders der rechte, die Schenkel auf unmögliche Weise verdreht, so daß sein rundes Sitzfleisch plastisch hervortrat. Die linke Hüfte war stark herausgedrückt, dann machte Yanns Taille einen graziösen Bogen einwärts und die Brust stand vollkommen senkrecht. Diese Stellung gab einen federnden Unterbau aus Gummi und Stahl, und so konnte man in aller Gemütsruhe auf einem schwankenden Verdeck in der gröbstenSee stehen. Auch ließ sich der Oberkörper nach Belieben wenden und drehen, ohne daß man je den Unterbau verändern mußte.

Yann war Kapitän eines kleinen Regierungsdampfers, der drunten auf der Reede vor Anker lag. Seine Laufbahn war die übliche gewesen: Mousse auf einem Fischerkutter, Ohrfeigen und nichts zu essen, Leichtmatrose auf verschiedenen Segelschiffen, Ohrfeigen und wenig zu essen, zwei Campagnen Stockfischfang auf den Bänken von St. Pierre, Hundefressen, ein paar Jahre Dienst auf einem Amerikadampfer, erträgliches Essen. Von da an war es rasch in die Höhe gegangen mit ihm. Er wurde geprüfter Pilot und die Regierung vertraute ihm jenen schwarzlackierten Sarg mit Dampfheizung an, hundert Tonnen, sechs Mann Besatzung. Diese Auszeichnung war ihm zu gönnen. Seine Fingerkappen waren noch heute verunstaltet vom Reffen der Segel — und da drunten bei Kap Horn waren die vereisten Segel hart wie Glas, daß das Blut aus den Nägeln sprang und man zuletzt die Ellbogen nehmen mußte — sein rechter Zeigefinger war gebogen vom Abschneiden von Tausenden von Stockfischköpfen. Seine Finger hatten tiefe Rinnen von den Angelleinen, seine Hände waren hart vom Rudern und den ewigen Tauen.

Yann war ein Tausendsasa. Er war Schneider,Schuster, Tischler, Schlosser, Koch, was war er nicht, er konnte Strümpfe stricken, Netze knüpfen und flicken, mit einem Stück Draht, das er auf der Straße fand, öffnete er dir jedes Schloß. Dieser Teufelskerl sprach Arabisch, Malaiisch, Chinesisch, was nicht, abgesehen von jenen lumpigen Sprachen wie Spanisch, Portugiesisch, Englisch usw. Von all diesen Sprachen wußte er nur fünf Wörter. Aber damit konnte er alles sagen, was nötig war die Bedürfnisse eines Seemannes zu decken, der an Land geht. Obendrein wußte er von allen Sprachen das gemeinste Schimpfwort, das er anwandte, wenn ihn die Kenntnisse verließen oder ihm etwas gegen den Strich ging. Sobald er den Fuß auf eine ferne Küste setzte, schleuderte er dem Gewürm dieses kapitale Schimpfwort entgegen. Ah, ein Eingeweihter, kein Neuling! Die Preise sanken rapid, denn Yann stieß bei jedem, auch dem demütigsten Angebot dasselbe ungeheure Schimpfwort hervor, und das gleiche Wort bekam der Glückliche an den Kopf, dem er etwas abkaufte.

So war Yann! Er war vollgestopft mit verfänglichen Scherzfragen und mit zwölf Streichhölzern konnte er schädelspaltende Probleme bewältigen. Aus einer einzigen Spielkarte konnte er etwas so unerhört Unanständiges schneiden, daß einem das Wasser aus den Augen sprang. Gib Yann zum Beispiel dein Taschenmesser.Er nimmt es in die Hand wie ein Numismatiker eine seltene Münze. Messingfalse, gut, sie rosten nicht. Er stößt es in Noels Ladentisch, wippt daran, er schneidet eine tiefe Kerbe in Noels Tisch: der Stahl ist gut, überhaupt ein hübsches Messer! Er stellt beide Klingen senkrecht zum Griff — wenn nun einer Lust hat, ich stelle mich gegen die Wand, heran — wupp! zwei Stiche auf einmal. Yann streckt die Klingen. So! Wenn nun hinten einer kommt und vorn — eins, zwei! — man schwingt den Arm, der hinten erhält das Messer in den Bauch, der vorn in die Kehle. Ein hübsches Messer, merci!

Und doch war Yann ein Gemüt. Es kam wohl vor, daß er seinen Schiffsjungen mit der Faust ins Gesicht schlug, aber er gab ihm doch sofort zehn Sou, als die Mutter dieses Schiffsjungen erkrankte. Er konnte mit Tränen in den Augen schwärmen von einem Weinchen, das er vor sechs Jahren irgendwo getrunken hatte, von Mädchen, die er genossen hatte — ah, so etwas, süß, saftig, und welch eine liebliche Stimme — ! —

Da stand er nun, duftend und herausgeputzt, vom Kopf bis zu den Zehen eine einzige ungeheure Überlegenheit und Verachtung, und sein loses Maul stand nicht einen Augenblick still.

„He, dich haben sie wohl heute aus dem Friedhof freigelassen, Großmütterchen?“ sagte er zu einer verschrumpftenGreisin mit wachsgelbem Gesicht. Ein Mädchen, das guter Hoffnung war, grüßte er überaus höflich: „Bonjour, messieurs-dames!“ Für jeden hatte er eine kleine Aufmerksamkeit auf Lager. Doch man nahm es ihm weiter nicht übel und zahlte ihm mit gleicher Münze heim. Aber Yann behielt stets das letzte Wort.

„Ha! ha! ha!“ Und mit einem schallenden Lachen machte er dem niedergeschmetterten Gegner den Garaus.

Nun aber war seine Stunde gekommen. Er räusperte sich, was zum Teufel steckt mir doch in der Kehle? „Vorwärts, gehen wir hinein. Ein Gläschen, he!“

Der Reigen gefiel mir, ich blieb. Ich stand und sah Rosseherre an.

Yann lachte. „Wie kann dir das doch gefallen! Das sind ja Wilde!“ sagte er verächtlich. „Glaube nicht, daß das Franzosen sind! He! Nein, das sind Leute aus der Sintflut, ohne jede Zivilisation und Bildung, sie sterben aus. Sieh sie doch an — bumba, bumba!“ Und Yann lachte rasend um mir seinen ungleich höheren Kulturzustand darzutun. Dabei war er aus Roskoff, Yann hieß er und war selbst ein Bretone von oben bis unten, o du Schurke!

„Kennst du Rosseherre?“ fragte ich ihn. „Rosseherre? Natürlich kenne ich sie!“ Yann sah an mir vorbei. Sonst sagte er nichts. Hm! „Nun marsch!“ Er wollte trinken und da gab es kein Sträuben bei ihm.

Wir hatten ganze fünf Schritte zu gehen, aber Yann handhabte sein Bambusstöckchen, als ob er im Bois de Boulogne lustwandle.

Im Grandhotel ging es schon laut her. Die Fischer schwangen die Gläser in den steifen Händen, sie sprachen wie Fässer und Röhren, stießen sich gutmütig mit den Fäusten und spritzten einander ganze Duschen von Schnaps ins Gesicht, wenn sie in Gelächter ausbrachen. Alles war in Bewegung, nur Chikel, die Hundeseele, rührte sich nicht. Er hatte es sich in den Kopf gesetzt nicht mitzumachen. Den bandagierten Fuß auf einem Stuhl, saß er in der Ecke und spielte Domino mit einem unsichtbaren Gegner. Sein Kopf war verbunden und nur ein kleines Auge bewegte sich hinter dem Verband, wie ein kleines glänzendes Tier in einem dunklen Käfig.

„Hallo, Chikel, neulich war dein Arm verbunden und heute bist du ganz eingewickelt?“

Yann aber sagte nichts, er postierte sich vor Chikel auf und lachte unverschämt.

„Das sind die Folgen meiner schlechten Aufführung,“ erwiderte Chikel mit einem scheuen Achselzucken und schob mit der zarten schmutzigen Hand die Dominosteine.Madame Chikel aber rief von der Bar herüber, daß man ihrem Lumpen keinen Sou in die Hand geben solle. Heute nacht hatte ihr Lump die Bretter der Bettstatt durchgesägt, so daß sie durchkrachte. „O, was für eine erbärmliche Kanaille!“

Hier Pfiff Chikel vor boshaftem Vergnügen wie eine Maus, aber augenblicklich schwieg er wieder still, da seine Gattin eine Gebärde machte.

Der Reigen war zu Ende und die Hochzeitsgesellschaft füllte die kleine Bar. Das eigentliche Fest begann. Die Bar wurde unter eau de vie gesetzt. Man schrie und betrank sich, Männer und Frauen. Ein Dudelsack winzelte und man tanzte. Es war eine Art Schottisch, aber die Hauptsache dabei war, daß man gehörig mit den Holzschuhen stampfte. Das Grandhotel tobte wie das Innere einer großen Trommel, auf die ein Rasender mit Prügeln losschlägt. Ganze Wolken von Staub stiegen von den Dielen auf.

Rosseherre kam in meine Nähe und ich trat an sie heran und bat sie um einen Tanz.

Ihr kleines Gesicht war mit einer sonderbaren Röte bedeckt, als sei es mit Ziegelmehl gepudert. Sie lachte mich an. Ihr Gebiß blitzte. Sie sagte nichts.

„Nun, Rosseherre? Willst du nicht?“

Rosseherre schüttelte den Kopf und lachte wieder. Sie war verlegen.

„Schön.“ Ich wandte mich ab und kehrte zu Yann zurück um einen geeigneteren Zeitpunkt für eine Annäherung abzuwarten.

Yann amüsierte sich prächtig. Er saß in einer Ecke, trank, applizierte den Tänzern kleine Fußtritte in die Kniekehle und kniff die Frauen. Ho! Ho! Ho! Und wie er dabei lachte! Schließlich stach er sich die Hand an seiner Krawattennadel blutig, und augenblicklich riß er Binde und Kragen ab und zerstampfte wütend diese Anhängsel der Zivilisation. Nun fühlte er sich wieder Mensch, und es war merkwürdig, er trank jetzt zweimal so rasch.

Da gab es einen kleinen Zwischenfall. Jean Louis, den sie den „Meerkönig“ nannten, ein kleiner weißhaariger Greis, sank lautlos in sich zusammen. Man trug ihn hinaus und legte ihn vor das Haus.

Rosseherre trat zu Yann. „Großvater liegt vor der Tür,“ sagte sie etwas beunruhigt.

Yann lachte. „Nun, und was weiter?“ fragte er. „Glaubst du, jemand wird kommen und ihn stehlen?“

Rosseherre lächelte. Nein, nun war sie beruhigt. Yann reichte ihr generös sein Glas.

„Das hier ist mein Freund!“ schrie er und deutete auf mich. „Umarme ihn, vorwärts!“

Das kam Rosseherre sehr komisch vor.

„Wir kennen uns schon,“ sagte ich, indem ich ihrdie Hand reichte und in die Augen sah, „aber Rosseherre will nichts mit mir zu tun haben, sie ist zu stolz.“

„Stolz? O, ich bin gar nicht stolz!“ rief Rosseherre singend aus und rückte verlegen an der Haube.

„Aber doch willst du nicht mit mir tanzen, Rosseherre!“

Sie lachte.

„Tanze mit ihm, tanze sofort mit ihm, er ist mein Freund,“ schrie Yann. „Tanze mit ihm!“ Das wiederholte er hundertmal, bis Rosseherre einwilligte.

Ich stampfte im Kreise wie die andern, Rosseherre im Arm. Sie war leicht und schmal und ihre Haare fielen weich über meine Hand.

„Du bist wohl drüben an der Küste gewesen, Rosseherre?“

Ach, nein, sie war nicht auf der großen Erde, sie war nur auf der Insel Molen.

„Heute in der Kirche sahst du so hübsch aus, Rosseherre. Wie eine kleine Madonna. Du hast mir gefallen, bei Gott!“ sagte ich und zog sie an mich.

Rosseherre sträubte sich nicht; sie lächelte und sah flüchtig zu mir empor.

Sie hatte viele Sommersprossen, besonders unter den Augen. Ihr Mund war voll und weich, ein Mund, der sich beim Kusse ganz ergibt. Sie hatte fast gar keine Brauen. Kindlich und unentwickeltwar ihr Gesicht, trotz der merkwürdigen, alten Augen. Auf ihrer niedrigen, eigensinnigen Stirn waren die Linien vieler Falten zu sehen, wie bei allen Mädchen der Insel und selbst bei Kindern. Denn in die grausame Helle des weiten Himmels konnte man nur mit zusammengezogenen Brauen blicken.

Wir wurden langsam in der Runde geschoben. So oft wir an Yann vorbeikamen, stach er nach uns mit seinem Bambusstöckchen. Dann war der Tanz zu Ende.

Rosseherre war erhitzt und trocknete sich die Stirn mit dem Ärmel. Ich zog ein kleines, blaues Tuch aus der Tasche und reichte es ihr.

„Ein hübsches Foulard!“ rief sie aus.

Yann prüfte fachmännisch das Gewebe.

„Prima!“ sagte er.

Ich faltete das Tuch zusammen und legte es in Rosseherres kleine braune Hand.

„Nun?“

„Behalte es, wenn du willst, Rosseherre. Ich brauche es nicht.“

Rosseherre sah mich ungläubig an.

„Nun, so nimm es doch, Rosseherre!“ schrie Yann. „Er ist mein Freund!“

Rosseherre sah mich dankbar an. „Merci!“ sagte sie leise und lächelte. Sie betrachtete das Tuch nochmalsvon allen Seiten. „Wo hast du es gekauft? — In Paris!?“ Das konnte Rosseherre kaum fassen. Dann beugte sie sich über meine Hand und studierte die Ringe. „Wie hübsch sie sind, Yann, sieh doch!“ Ich nahm die Ringe ab und sie streifte sie über die Finger. Sie hielt sie gegen das Licht, damit sie glänzten, und ihre Augen waren voll verliebter Gier.

Nun aber mußte Yann sein Gutachten abgeben. Er zog ein derbes Messer aus der Tasche hinten, schabte vorsichtig daran und ritzte die Steine. Zuletzt spie er etwas darauf und polierte sie am Ärmel.

„Echt!“ sagte er.

Rosseherre war durstig und wollte gerne Cidre haben. „Also, Cidre, Patronne! Im Namen der Hölle, rasch, sechs Flaschen!“

Yann prüfte ihn. Er roch, leckte, zerpreßte einen kleinen Schluck auf der Zunge und je weiter seine Untersuchung vorschritt, desto strahlender wurde seine Miene. Das war ein Cidre . . .! Auch Rosseherre und ich mußten daran riechen, Yann zwinkerte vielsagend und überhäufte im nächsten Augenblick Madame Chikel mit den wüstesten Vorwürfen, uns so etwas für diesen Preis vorzusetzen. Madame Chikel war gezwungen den Preis um einen Sou pro Flasche nachzulassen, ob sie wollte oder nicht. Nun war Yann glücklich.

„Ich tue das immer,“ sagte er, „das sind ja lauter Diebe, diese Leute auf der Insel. Selbst die Priester sind Diebe hier.“ Dann zeigte er mir, wie man Cidre zu trinken habe. „Nicht schlucken, um Gottes willen nicht schlucken — so — einfach hinablaufen lassen. Durchs Schlucken verliert der Cidre vollkommen seine Blume, seine Seele. Aber wenn man getrunken hat, muß man die Zunge gegen den Gaumen pressen, das prickelt angenehm. So!“

Plötzlich schwang Yann seinen Fuß rasch unterm Tisch. „Ich wollte nur sehen, ob ihr zwei — haha!“

Wir unterhielten uns ausgezeichnet. Auch Poupoul. Es schien, als ob die Erinnerung an seine besten Zeiten in ihm erwache. Er lächelte. Einigemal wandte er mit großer Geschicklichkeit seinen Rattenfallentrick an, der darin bestand, daß er die Zähne um ein Bein schlug und festhielt ohne zu beißen.

Die schwarze Jeanette stand lächelnd neben uns und sah mit verlangenden Augen zu, wie wir tafelten.

„Hole dir ein Glas, Jeanette!“ rief ich ihr zu.

Aber da wurde Rosseherre purpurrot im Gesicht.

„Nun, ein Glas Cidre mag sie wohl haben?“

Yann sagte: „Sie ist Rosseherres Feindin.“

„Ach so!“

Da stand Jeanette mit dem Glas in der Hand. Yann sah sie an und lächelte verächtlich.

„Du hast dir das Glas geholt?“ fragte er spöttisch. „Nun, trag es wieder hübsch zurück. Ho! Ho! Ho!“

Und Jeanette öffnete verblüfft den Mund, lachte laut und herzlich und trug das Glas zurück.

Sie tröstete sich rasch. Ein kleiner stiernackiger Seemann hatte den Arm um sie gelegt und sie ging mit ihm hinaus. Unter der Türe sah sie lachend zu uns her und zeigte die Zähne.

„Siehst du,“ sagte Yann, „da geht sie hinaus, sie schämt sich gar nicht.“

Die Bar tobte. Man hätte hier einen Dampfhammer arbeiten lassen können, niemand hätte ihn gehört. Ha! Ha! Ha! Hoo! Es entstanden heulende Schwingungen infolge des Getöses und zuweilen schien es, als fliege das Grandhotel durch die Luft. Diese stillen, schweigsamen Leute, die in der Einsamkeit der Wogen beim Rauschen des Meeres arbeiteten, brüllten heute für ein ganzes Jahr. In der Ecke stand einer, den Kopf gegen die Wand gelehnt, die Augen verzückt geschlossen, und riß das Maul auf und schrie sinnlos heraus.

Die Köpfe dampften, die Arme wirbelten. Die Augen glühten wie geschmolzenes Blei in den brandroten Gesichtern. Die Frauen kreischten und quiekten. Es herrschte eine Betrunkenheit, die in Europa längst ausgestorben ist. Nur Chikel saß in seinem Winkel und spielte Domino.

Ich muß gestehen, daß ich mich hier zu Hause fühlte. Ich liebe sittsame Gesellschaften nicht. Zuweilen staut sich die Luft in meinen Lungen und dann macht es mir Vergnügen zu brüllen. Die überschüssige Kraft zuckt in meinen Muskeln und sie werden plötzlich hart wie Stein, und dann ist es hübsch einen Teller in Stücke zu schlagen. Siehst du! Wenn mich in guter Gesellschaft ein Idiot langweilt, so muß ich dazu lächeln, hier aber kann ich ihm sofort sagen, daß er in die Hölle fahren möge. Ja, bitte! Hier konnte man auch trinken, ohne sofort als Pavian zu gelten und tausend gestreckte Meilen Abstand zwischen sich und seine Umgebung zu legen.

Ha! Ha! Ha! Hooo!

Kedril hat allen Grund mit seiner Hochzeit zufrieden zu sein. Und er war es. In eine Wolke von Alkohol eingehüllt, mit Gespensteraugen, ging er mit einer Flasche in der Hand umher, wie ein Sprengwagen. Und dazu sprach dieser Mann eine vollkommen neue Sprache! Hatte sich der Geist eines Höhlenbewohners Chikels Seele bemächtigt und ritt sie?

„Was zum Teufel redet er denn?“

Yann wußte es. „Die Mondsprache,“ sagte er und begann eine Unterhaltung in diesem Idiom mit Kedril. Kedril war entzückt, er verstand, er antwortete. Ich aber war Ausländer, Kedril sah das ein.

„Wo steckt denn deine Frau, Kedril?“

„Frau? Frau? Frau?“ Kedril tanzte mit der Flasche. O, er hatte ganz vergessen —

„Wie schön der Priester heute gesprochen hat, wie?“ fuhr er fort. „Du sollst dich nicht vollsaufen, hahaha, so schön, so rührend hat er gesprochen. Morgen passiert die ‚Lady of Ireland‘, morgen abend, wirst du mitkommen? Eine Spazierfahrt. Ja, sagte ich, mein kleines Haifischchen —“ Er erzählte verworren von seinem Haifisch, den er im vorigen Sommer gefangen hatte. „Mein kleiner Haifisch, ich sehe ihn, er marschiert daher, komm heran, mein Kleiner, mit deinen hübschen Zähnchen — keine Angst, gib mit die Ehre.“ Es sah aus, als habe er ihn mit der Hand gefangen und an den Zähnen herausgezogen — ekelhaft!

„O Kedril, Pilot Nummer Eins, Haifischfänger, ich sage dir, mein Bruder, dieser Haifisch, der dich berühmt gemacht hat, war dein Verderben. Du warst der ordentlichste Mann der Insel, jetzt geht es dahin mit dir. Du hast geheiratet, wirst Kinder zeugen, Hydrocephalen, du wirst dein Boot vertrinken und deine Frau wird dich windelweich hauen. Es gibt kein Zurück mehr.“

Kedril war gerührt über meine Ansprache. Er umarmte und küßte mich. „Dank, mein Freund, du meinst es gut mit mir!“

Ich drückte ihm verstohlen ein Fünffrankenstück in die Hand. „Es soll lustig hergehen auf deiner Hochzeit, Pilot.“

Kedril prüfte die Münze zwischen den hölzernen Fingern und bohrte sich mit der Flasche in die Mauer von Rücken, die die Bar umgab.

Eine neue Epoche des Festes begann. Sie charakterisierte sich dadurch, daß es in allen Ecken klirrte und kurze Streitigkeiten aufflackerten. Sie wurden in triefender Sentimentalität ertränkt. Die beiden Papageien, die man hereingenommen hatte, turnten auf ihrer Stange und schrien begeistert.

„Und nun spiele!“ rief Yann. „Du hast doch die Flöte dabei?“

„Jawohl!“

„So spiele uns etwas.“

Ich nahm die Flöte aus der Tasche, feuchtete die Lippen an und ließ die Finger über die Löcher galoppieren. Und meine kleine Flöte sang:


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