„Glaubst du denn an solche Dinge, Jean Louis?“
Der Meerkönig lachte. „Auf dem Lande glaube ich nicht an Gott,“ sagte er, „aber auf dem Meere. Auf dem Lande kann dir die Regierung helfen, aber auf dem Meere selbst der Minister nicht!“
Das leuchtete mir ein.
„Wie lange wirst du noch mit diesem Lumpen von einem Segel fahren?“ fragte ich.
„Ein neues Segel ist teuer, bei allen Teufeln, unerschwinglich!“ antwortete Jean Louis. „Ich werde Streifen darüber nähen, quer, mein Freund, quer. Vor zehn Jahren hatte ich ein kleines Malheur mit einemSegel wie diesem da.“ Und Jean Louis erzählte dieses Malheur mit seiner heiser heulenden Stimme. Er fischte bei Stiff und sein Segel zerriß in hundert Fetzen und er trieb mit dem Strom. Da verlegte er sich aufs Rudern. Er ruderte wie ein Irrsinniger, aber als er sich nach einer Weile umblickte, war die Insel schon ganz klein. Am Abend sah er noch das Leuchtfeuer von Stiff, dann sah er nichts mehr. Er spie ins Meer und sagte: Jetzt geht es dahin mit dir, Jean Louis, hühü! Der Tag kam und er war Gott weiß wo. Es war Nebel, die Dampfer heulten. Wieder wurde es Nacht und er sah eine dunstige Lichtwindmühle die Flügel werfen. Einerlei, sagte er sich, du schläfst. Er schlief. Plötzlich hörte er Tuten und lautes Gebrüll. Er erwachte und sah ein riesiges schwarzes Gebäude mit vielen Lampen vor sich, und von da droben riefen sie ihn durch das Sprachrohr an. Er ruderte heran und stieg an Bord. Mein Boot, sakrenomdedü! — Vorwärts, die Glocken klangen, die Maschinen begannen zu arbeiten und der Dampfer marschierte. Am Morgen stand der Meerkönig inmitten einer eleganten Gesellschaft von Damen und Herren, die ihn erstaunt anlachten, den alten, weißhaarigen, kleinen Meerkönig, den man mitten in der Nacht aus dem Kanal gefischt hatte. Sie stopften ihm die Tasche voll Geld und besorgten ihm einBillett zweiter Klasse von London nach Brest. Hühü! Da war er wieder! Gehe in die Hölle, Meerkönig, da bist du ja wieder! Sie hatten schon die Totenmesse gelesen. Ein Kreuzchen mit seinem Namen stand in der Friedhofskapelle. Und er mußte acht Franken für eine Messe bezahlen, die er nicht bestellt hatte.
„Aber ich bezahlte sie!“ schrie Jean Louis und schlug an seine Brusttasche. „Nun hab ich eine Messe voraus!“
Er, Jean Louis, hatte dem lieben Gott einen Vorschuß gewährt, haha!
Dann lenkte ich das Gespräch auf Rosseherre: „Du hast ja eine so hübsche Enkelin, Jean Louis!“ sagte ich.
„Rosseherre ist meine Pflegetochter!“ heulte Jean Louis. „Meine zwei Töchter waren böse Weibsbilder und keiner hätte sie angerührt. Sie waren Kanaillen, sie prügelten mich, wenn ich getrunken hatte, und ich mußte meine kleinen Sous in den Mauerritzen verstecken vor ihnen. Sie hätten mir die kleinen Sous aus dem Maul gestohlen. Hühü — nun sind sie tot! Sie starben an der Schwindsucht. Rosseherre, mein Freund, ist meine Pflegetochter.“
„Du liebst sie wohl sehr, Jean Louis?“
„—Hühühü!“ Der Meerkönig lachte kindisch undschlug sich auf die kurzen Schenkel. „Rosseherre! — Eines nur ist schade. Sie ist nicht ganz gesund.“
„Hat sie es auch mit der Brust zu tun?“
Der Meerkönig schüttelte den Kopf. „Nein, mein Freund, sie hat es im Kopf. Sie hat es von ihrer Mutter. Die war eine Geisterseherin. Sie geht mit dem Meer. Sie hat Zeiten, da ist sie besessen und nicht bei Sinnen. Wenn sie heute sagt, der Pilot ist in der Nacht ertrunken, so kommt er nicht zurück — nie mehr!“
Ich hielt auf die rote Boje in der Reede. „Und jetzt will Yann sie heiraten?“
„Ja! Aber ich gebe meine Einwilligung noch nicht her!“ Der Meerkönig warf sich in die Brust und tat stolz.
„Höre!“ sagte ich und sah Jean Louis in die flachen, gebleichten Augen, die wie erblindet aussahen, „ich möchte dem kleinen Kapitän einen Streich spielen, er hat mir neulich ein Weinglas an den Kopf geworfen. Ich werde dir ein neues Segel kaufen, ein funkelnagelneues Segel aus bestem Material, erstklassig, wenn du deine Einwilligung noch etwas hinausschiebst.“
Jean Louis schlug sofort ein. Er wollte noch so lange warten als ich bestimmte.
„Gut, ich komme morgen zu dir und wir gehenzusammen zu Noel um die Leinwand zu kaufen. Wir können dann auch gleich die Kerze aussuchen.“
Hier aber lachte Jean Louis verschmitzt.
Nun, da wir gut angekommen seien, sei es besser, die zehn Sou in Schnaps anzulegen. Ich hatte nichts dagegen.
Jean Louis spülte die Fische ab und legte sie in den Kasten. Er schmunzelte zufrieden. Einen selten guten Tag hatten wir gehabt. Für gut drei Franken hatten wir gefischt in diesen zwölf Stunden! Wir bekamen ja nicht soviel dafür, die Händler —. Der kleine Fischhändler auf der Insel, der größere in Brest und der große Fischhändler in Paris. Sie alle hatten ungeheure Spesen, Haus, Familie, Wagen, sie alle hatten ein enormes Risiko. Der Meerkönig dagegen hatte keine Spesen und riskierte nichts als sein Leben.
Jean Louis kroch mühselig ans Land. Auf dem Lande bewegte er sich unbeholfen wie ein Krebs. Er nahm den Kasten über die Schulter, die zwei größten Fische trug er an den Zeigefingern, die er in die Kiemen einhakte, und so klapperten wir langsam den Steig hinauf zu Chikel. Der Boden wogte unter meinen Füßen, die Steine waren wie Teig.
In der Bar drängten wir die lauten Gäste zurSeite. „Platz gemacht, wir sind Fischer, kommen eben von der Arbeit!“
„Hoho! Seht sie an die krummen Hunde.“
„Hahaha!“
Es ging immer laut und fröhlich bei uns zu.
Ich gehe nach Hause. Die Steine klingen unter meinen Schritten, meine Augen sind scharf und folgen der Möwe weit hinaus übers Meer.
Am andern Tag machte ich Jean Louis den versprochenen Besuch.
„Guten Tag, Meerkönig, da bin ich wegen des Segels.“
„Hü—hü — Segel?“
Er hatte alles schon wieder vergessen.
„Hühü — da ist er jetzt — tritt ein!“ heulte Jean Louis.
Rosseherre war nicht da. Aber in der Ecke hing ein schwarzglänzender Rock. „Feinste Seide!“ sagte ich und der Meerkönig lachte geschmeichelt.
Das kleine, schmale Wohnzimmer besaß nur ein einziges viereckiges Fensterchen in einer Nische. Die Bettschränke befanden sich an den Längsseiten hinter kleinen, sauberen Vorhängen, wie Kasperltheater sahen sie aus. Ein Tisch und Bänke rings an den Wänden, das war die ganze Ausstattung. Unter eine Nische mit einer bunten Madonna aus Gips war jener Spruch geheftet, mit dem vor Augen die Fischer ihr Leben verbringen:
Ar Maro
Ar Maro
a zo eur moment terrublevit ar bec’herien,galvet int ractal dirag.Ar Barner Souveren.
a zo eur moment terrubl
evit ar bec’herien,
galvet int ractal dirag.
Ar Barner Souveren.
(Der Tod ist ein schrecklicher Augenblick für die Fischer, denn sie werden ganz plötzlich abgerufen vor den himmlischen Richter.)
Jean Louis goß Wein ein. Der Wein war dunkelgolden, was für ein Wein war es doch?
„Dieses kleine Weinchen stammt aus einem Schiffbruch, mein Freund!“
Der Meerkönig verschwand und brachte von irgendwoher ein kleines japanisches Lackschränkchen, das, hol mich der Teufel! tausend reizende Schubfächer hatte.
„Schiffbruch!“
Ja, früher, da waren die Schiffe gekommen, hühü! Als die Feuer und Nebelsirenen noch nicht so vollendet waren. Manchmal kamen zwei, drei in einer Nacht. Man brauchte nur aufzulesen. Aber jetzt —? Das Leben wurde immer schwerer.
Und plötzlich sah ich, daß der Tisch, an dem ich saß, ringsum mit einem Rand versehen war und seine Füße hatten unten Beschläge zum Festschrauben, was sagst du dazu!
Der Meerkönig lächelte pfiffig, gewiß hatte er noch ganz andere Reichtümer irgendwo versteckt.
Dann gingen wir zu Noel.
„Willst du also das Tuch bezahlen?“ fragte JeanLouis auf halbem Wege und pflanzte sich mit gespreizten Beinen vor mir auf.
„Ja!“
„Wirklich bezahlen?“
„Wirklich!“
„Eh bien, mon vieux, en route!“
Jean Louis trat herausfordernd an den Kaufmann heran und heulte ihm ins Gesicht: „Ich möchte Leinwand zu einem Segel kaufen, Noel!“
Der siegellackrote Noel aber hatte keine Eile. Er zuckte die Achsel und sagte leise singend, indem er mit einem spöttischen Lächeln zum Fenster hinaussah: „O, mein alter Freund, es ist mein Prinzip euch Fischern keinen Sou zu kreditieren.“
Aber Jean Louis, der kaum über die Bar sehen konnte, deutete auf mich und schrie wütend: „Mein Freund bezahlt!“ Dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Der kleine Meerkönig zitterte vor Erregung an allen Gliedern.
Sofort floß Noel von Freundlichkeit und Eifer über. „Ah, das ändert die Sache!“ Er schleppte Ballen Tuch herbei, er brachte Gläser und Flaschen. Nun begann die Arbeit des Meerkönigs. Er musterte die Ballen. Er nahm die schmierige Kappe ab und setzte sie wieder auf. Dann stürzte er ein Glas Schnaps in die Kehle. Er prüfte das Gewebe zwischenden Fingern, riß, scheuerte, hielt gegen das Licht. Er nahm einzelne Fäden und zerriß sie. Nicht zu leicht, nicht zu schwer, nicht zu dünn, nicht zu dick. — Dann trank er wieder einen Schnaps und noch einen, er stotterte, taumelte gegen einen Mehlsack, er trocknete sich die Stirn und sagte, er käme morgen wieder.
Erst am dritten Tag konnte er sich entschließen, und dann dämpfte er seine Erregung mit so vielen gouttes, daß er mit dem Tuch unter dem Arm mitten in der Heide auf einen Felsen rannte, kenterte und liegen blieb.
Ich begegnete Rosseherre in der Nähe des Dorfes als es dämmerte. Sie trug einen großen Brotlaib unter dem Arm. Creach zündete gerade sein Feuer an. In seinem gläsernen Kopfe hauchte es, wie wenn jemand ein glimmendes Streichholz in den Mund nimmt und es anfacht, dann spie er kurze violette Blitze, die in die Dämmerung wie geschliffene Nadeln stachen. Das Meer war schon dunkel.
„Ihr wäret ja neulich auf ein Haar ertrunken!“ sagte Rosseherre singend und stemmte den Brotlaib gegen die schmale Hüfte.
Ich lachte. „Es war nicht so gefährlich,“ sagte ich.
Rosseherre wiegte mit kindlichem Ernst den Kopf. „Jean Louis hatte die Hoffnung schon aufgegeben! Und er kennt das Meer da draußen, niemand kennt es besser. Und dann schwimmst du bei den Klippen, es ist dir schon ganz einerlei, ob Ebbe oder Flut ist. Es gibt aber Strudel und Ströme und das Meer kann dich hinaustragen. Amorik von Creach sagt, ich kann ihm schon gar nicht mehr zusehen. Warum tust du das?“
„Ich schwimme ja nicht, wenn die Brandung sehr stark ist.“
„Du kennst das Meer nicht,“ fuhr Rosseherre fort. „Du sollst dich in acht nehmen.“
Ich lächelte. Die Besorgnis Rosseherres rührte mich. Sie war ein Kind. „In acht nehmen?“
„Ja, vor dem Meer!“
„Ich möchte wohl gerne wissen, weshalb du auf der Insel lebst?“ fuhr Rosseherre fort.
„Um das Meer zu hören und den Fisch zu fangen, Rosseherre.“
Das verstand sie nicht. „Hast du denn keine Eltern und Geschwister?“
„Nein.“
„Und keine Frau?“
„Nein.“
„Aber Freunde hast du doch?“
„Nein. Ich bin seit Jahren unterwegs und meine Freunde haben mich längst vergessen.“
Rosseherre schüttelte den Kopf. „Der Chef der Post sagt, du bist ein englischer Spion und willst herausbringen, wo sie mit ihren Kriegsschiffen auf der Insel landen können. Aber das ist nicht wahr. Vielleicht hast du etwas getan und kannst nicht in dein Vaterland zurückkehren?“
Ich lachte.
„Oder bist du in deinem Vaterland sehr unglücklich gewesen und hast es deshalb verlassen?“
„Nein, glaube das nicht, Rosseherre, ich bin im Gegenteil sehr glücklich gewesen.“
„Ja, niemand begreift, weshalb du hier lebst — hier, wo nichts ist?“
„Es gefällt mir hier.“
Rosseherre wußte nichts mehr zu fragen. Ihr Gesicht war nun ganz dunkel geworden, nur ihre Haube leuchtete noch.
„Die Nächte sind nun so schön und warm, Rosseherre,“ sagte ich, „du solltest hören wie die Grillen bei Sturmvilla in den Nächten lärmen.“
Rosseherre drehte sich ein wenig und lachte leise. Ich sah das Weiße ihrer Augen und ihre Zähne.
„Kenavo!“ sagte sie dann.
„Kenavo!“
In den Nächten war nichts als die Dunkelheit, das Schlagen des Meeres, das Feilen der Grillen und meine Sehnsucht nach unbekannten und unmöglichen Dingen. Die Erde war schwarz und das Meer, und ich war allein.
Das Meer brandete und donnerte ohne Aufhören, und doch war es so still in meiner Hütte, daß ich das feine, klingende Hämmern der Spinnen in den Wänden hörte. Immerzu blitzte es. Alle sieben Sekunden fuhr zweimal nacheinander Creachs blitzendes Messer durch die Nacht, zerschnitt das kleine Fenster, zerschnitt die Hütte und mich. Ich achtete nicht mehr darauf.
In den klaren Nächten öffnete ich die Türe. Der schwüle Geruch des Meeres strömte herein. Im Rahmen der Türe stand der tiefblaue Himmel und die blitzenden Sternbilder. Ich trat vors Haus, machte ein paar Schritte in den nassen Gräsern und ließ den Blick über die unendliche Kuppel des Firmaments wandern. Zuweilen sank ein Meteor langsam und leuchtend ins Meer. Und irgendwo draußen auf dem Wasser gab es ein kleines rotes oder grünes Licht, das wanderte. Drüben über der Bai aber, an denKlippen, flogen Creachs Lichthiebe atemlos dahin wie blendend erleuchtete Expreßzüge der Hölle, die, tausend in der Stunde, in die Unendlichkeit hinausjagten. Es war totenstill ringsum und ich ging wieder ins Haus zurück. Aber horch! Hörst du nicht? Irgend etwas wanderte da draußen, bald nah, bald fern, lautlos und unsichtbar, aber ich fühlte es, während ich vor meinem Feuer saß. Es gab also noch etwas außer mir hier außen? War es ein toter Seemann, der aus dem Meere stieg und sich zu seiner Hütte schlich um durch das Fenster zu spähen? Was war es? Horch! Und zuweilen dachte ich an das sonderbare Bibelwort: der Geist Gottes schwebte über den Wassern —
Langsam drehte sich die Nacht. Neue Sternbilder erschienen in der Türe. Ich warf eine Handvoll trockenen Tang auf das Feuer. Das war alles, was ich in einer Stunde tat. Die Möwen schrillten. Ebbe, dachte ich, die Möwen ziehen auf Raub aus. Das Meer atmete erschöpft. Dann rollte das erste Dröhnen am Gestade entlang: die Flut kam zurück. Und ich saß und hielt die Pfeife im Gang und lächelte zuweilen, wenn eine schöne Vision im Feuer erschien. O, ich verstand es meine Einsamkeit auszukosten, bis auf den Grund — so allein war ich, so herrlich allein, haha! Poupoul schlief vor dem Kamin undließ die Luft durch die Nasenlöcher wie durch Ventile abpfeifen. Wenn ich ein Wort an ihn richtete, so klopfte er mit dem Schwanzstumpen und öffnete schlaftrunken ein Auge. „Schlafe, Poupoul!“ Da kroch er näher und legte den Kopf auf meinen Fuß und schlief weiter.
Zuweilen stand ich auf und machte die Augen scharf, als ob ich auf etwas in ganz weiter Ferne blickte: es waren Menschen, die ich sah, die Menschen, die ich vor Zeiten gekannt hatte. So weit entfernt war ich nun von ihnen.
Und wieder stand ich auf und blickte in die Ferne: das waren Gedanken, die ich sah, meine alten Gedanken vor Jahren. So fern, so klein. Weit entfernt war ich nun von ihnen.
Ich ging hinaus und blickte über das schlaflose Meer: ein senkrechter Blitz spaltete die Nacht in zwei Teile wie einen Block glänzender Kohle. Auf dem Meere waren zwei ferne Stimmen, die riefen und antworteten, aber nichts war zu sehen. Ein Hauch kam um mein Haus herum und stand neben mir wie ein Geist. Es rieselte in einem Felsen, hörst du? Der Felsen altert.
Auf dem schlaflosen Meer schwang ein Funke hin und her, und weitab antwortete ein anderer: zwei Schiffe, die miteinander sprachen.
In einer Nacht begann es zu wehen. Ich hielt den Atem, an. Über mir brauste der große Raum. Von Getümmel und Kampf und einem herrlichen wilden Tod sauste es da droben. Mein Herz pochte laut. Ich ging hinaus. Der Wind schlug die Arme um mich und heulte mir in die Ohren, daß er mein Genosse sei. Er umtoste mich und plötzlich entfachte er einen wunderbaren Gedanken in meinem Kopfe. Ja! Wir wollten sehen, was an uns war, heute, jetzt! Und ich ging hinab zum Meer, entschlossen es mit ihm aufzunehmen, sei es wie es wolle. Der Wind heulte mir in die Ohren: ja, ja!
Das Meer war leuchtend schwarz und die wirbelnden Schaumkämme schneeweiß mit glühenden Feuerchen im Innern. An den Felsen zersprang die Welle zu Tausenden von Brillanten. Hinein! Ich wühlte in grünem Feuer und war selbst wie ein glühender Geist, der sich im nächtigen Meere bewegte. Da drunten leuchtete und flimmerte es wie ein schwarzer Wald voller Glühwürmchen. Feuergarben schlugen bei jedem Schwimmstoß empor und meine Arme waren bedeckt mit phosphoreszierenden Klümpchen. Ich warf mich der Woge entgegen und wenn sie herankam, hob ich die Faust aus dem Wasser und schlug sie ins Angesicht. Die Woge trug mich in die Höhe wie einen Span. Ich aber verwandelte mich in eine wirbelnde Schiffsschraubeund es ging dahin. Wenn ich untertauchte, so wurde es still um mich, kam ich in die Höhe, so heulte und tobte es in meine Ohren. Auf meinem Lid saß ein leuchtendes Körperchen und ich fühlte das sanfte Licht durch das Lid hindurch.
Da war ich wieder. Ich stand und dampfte. Ich hatte mich dem Meere angeboten, aber es hatte mich nicht gewollt. Meine Brust ging ruhig und meine Arme zitterten nicht. Ich sah weit über das dunkle Meer hinaus.
Der Wind heulte und versprach mir Ehre und Reichtum und tausend schöne Frauen.
Ich aber lachte. „Merci, behalte alles!“ sagte ich. Ich brauchte nichts, so stand es. In dieser Minute war ich ohne Wunsch.
Wie schwül es nun in meinem Hause war! Ich braute Grog und suchte meine Lektüre hervor. Meine ganze Bibliothek, bestand aus einer Nummer des New-York Herald, European Edition, die ich zufällig in der Tasche mitgebracht hatte. Sie war vergilbt und roch nach Salz und stets kamen ein paar Spinnen heraus. Ich konnte sie auswendig, jeden einzelnen Artikel und selbst die Annoncen. Aber ich las sie immer wieder und geriet stets in eine gehobene Stimmung, wenn ich sie auseinanderfaltete: das war die Welt, meine Herrschaften, die Welt mit Haut und Borsten, einem Heiligenschein und roten Mörderhänden.
Ja, haha, zu amüsant war das — prost!
Auf Seite eins lag noch immer der Papst im Bett — er hütete das Bett — wegen eines leichten rheumatischen Leidens im rechten Knie, nicht im linken, hol mich der Teufel! Ich wünsche seiner Heiligkeit rasche Genesung. Auf derselben Seite rasselte ein betreßter Affengreis mit den Kinnladen und die Affen ringsumher schlugen mit den Schwänzen vor Ergebenheit. Du wirst alt Europa und beginnst zu stinken!
Es rüttelte an der Türe, es pochte, und ich wandte den Kopf. Herein! Niemand antwortete. Eine feine Stimme, wie die einer kleinen frierenden Seele, wimmerte oben an der Türe.
Da gefiel mir Bobby besser, der Nigger, den man im Staate Ohio hinrichtete. O nein, zurück, Bobby braucht keinen geistlichen Zuspruch, er geht „zu einem bestimmten Zweck in die Hölle“. Wenn es schon sein muß — prost, Bobby! — Was sagst du übrigens dazu? Zwischen Deutschland und Italien herrscht momentan große Kälte. He, dieses Genie, das Papierbrei wiederkaut und ein von Druckerschwärze schwarzes Maul hat, legt die Hand auf das Herz der Staaten und konstatiert große Kälte. Ich werde einen glühendheißen Grog trinken, Sie papierenes Rindvieh, denn bei dieser großen Kälte zwischen Deutschland und Italien klappern mir die Zähne.
Regen prasselte über mein Dach. Jemand pickte an das Guckfenster und ein Gesicht sah herein und blinzelte mit zu. Aber ich kümmerte mich nicht darum. Ich war es gewohnt, daß nachts Gesichter zu mir hereinsahen. Die feine Stimme surrte jetzt am Boden, durch die Türritze. Da ließ Creach sein Gebrüll in der Ferne hören. Nebel. Ich warf Tang aufs Feuer.
Dann stürzte ich mich in die Annoncen. Im Handumdrehen engagierte ich dreiunddreißig chamber-maids, governesses nicht über zwanzig, zarte Behandlung zugesichert, und hierauf verschwand ich blitzschnell unter der Erde, um einen Küchenchef, 94 rue de Longchamps zu verpflichten. Ich raste durch die Eingeweide von Paris, stieg ans Tageslicht empor, schwang mich auf einen Autobus und segelte zwischen den Balkonen und Firmenschildern dahin, und die Leute unten trieben im Strom. Hélas! Mein Küchenchef war eben ausgegangen — also wartete ich in einem Café, hier traf ich ein hübsches Mädchen, Auto! Und es ging dahin über die glitzernden Asphaltseen von Paris —
In einer Nacht aber, als ich wieder las, sah ein Gesicht zu meinem Fenster herein und dieses Gesicht trug eine weiße Haube. Poupoul schlug an.
Ich legte den Herald beiseite und öffnete.
„Ah, du bist es, Rosseherre?“
„Ja, ich bin es,“ sagte sie ohne Atem, „ich komme — Jean Louis ist krank.“
„Was fehlt ihm denn?“
„Er spricht und lacht. Er hat Fieber. Komm und sieh!“
Wir gingen rasch über die Heide. Jean Louis lag in seinem Bettschrank und empfing mich mit lautem Lachen. Hühühü!
„Hallo, Jean Louis, kennst du mich nicht?“
Nein, er erkannte mich nicht. Eine heiße, dumpfe, alkoholgeschwängerte Luft schlug aus seinen Kissen. Rosseherre leuchtete mit einem Stümpfchen Licht, das ihr über die Finger rann, und ich sah, daß er die Augen offen hatte. Er lachte und plapperte.
„Was sagt er denn, Rosseherre?“
„Er sagt: komm heraus, mein Herzchen. Er meint den Fisch.“
Der Meerkönig war nicht nur betrunken, er hatte auch starkes Fieber, was war zu tun? Wir legten ihm Kompressen auf den Kopf und die Brust und er kicherte vor Vergnügen, als er das kalte Wasser fühlte. Rosseherre zitterte.
„Es wird nicht schlimm sein, Rosseherre.“
„Nein?“
„Ich glaube nicht.“
Dann saßen wir und warteten. Rosseherre klebte das Lichtstümpfchen am Tisch fest und der Talg floß und tropfte auf den Boden. Der Docht sank in den geschmolzenen Talg und erlosch. Nun war es ganz finster.
„Hü—hü—hü!“ lachte der Meerkönig.
Ich legte meine Hand an Rosseherres kleine Brust.
„Rosseherre?“
Sie neigte sich vor und legte die Hände um meinen Nacken.
„Une bonne pêche — mon vieux — mon vieux!“ heulte Jean Louis und lachte.
„Aber Jean Louis —?“ flüsterte Rosseherre.
„Er kann uns ja nicht sehen!“ —
„Hühü — sakrenomdedü — trente sou — quarante — hühü,“ lachte der Meerkönig in seinem Bettschrank.
Rosseherre bebte am ganzen Körper. Sie gebärdete sich unsinnig, weinte und flüsterte und bedeckte mein Gesicht mit raschen Küssen. Dann küßte sie mir Hände und Füße, hundertmal. „Me o car,“ flüsterte sie.
„Gute Nacht, Rosseherre.“
Sie begleitete mich vor die Türe.
„Gute Nacht!“ Sie lächelte und ihre Brust atmete noch rasch.
Aber als ich schon gegangen war, rief sie mich nochmals zurück.
„Höre,“ sagte sie, „könntest du mir nicht — hundert Sou leihen — ich habe eine alte Schuld.“ Sie stammelte. „Nein, nicht hundert — fünfzig — zwanzig Sou?“ — — —
Am nächsten Abend klopfte es wieder an meinem Fenster und Rosseherre stand vor der Tür. Sie war gekommen um mir zu sagen, wie es mit Jean Louis gehe.
„Es geht ihm gut, ja. Morgen wird er wieder hinausfahren.“
„Willst du nicht hereinkommen, Rosseherre?“
Rosseherre lachte. „Ja.“
„Nun, so tritt ein.“
Wie laut die Grillen doch in diesen Sommernächtenum Sturmvilla lärmten! Yann hatte viel drüben an der Küste zu tun, er mußte Kohlen holen für Creach.
Wenn es Abend wurde saß ich gewöhnlich auf dem Stein vor meiner Tür, der noch heiß von der Sonne war, und spielte mir ein Lied auf meiner Flöte.
Dann kamen die großen Stürme und alles wurde anders. Die Stürme selbst waren schuld daran —
Eines Morgens erwachte ich mit einem elenden Gefühl. Das Atmen wurde mir schwer. Ich ging hinaus um zu sehen, ob nicht etwa der Himmel herabgekommen sei und in Mannshöhe über der Insel laste. Alles stand still. Die Gräser, das Meer, die Luft, über dem Meer lag die lange Rauchwolke eines Dampfers, der schon entschwunden war, auch diese Rauchwolke stand still. Ein grauer, greisenhafter Himmel blickte von oben herab. Wo war das Leben hin?
Eine Stunde später änderte sich alles. Die Möwen waren die ersten, die das Fest witterten. Sie zogen in weiten raschen Kreisen mit dem Bauch über das Meer und schrien wild. Am Horizont schob sich eine unscheinbare, bleifarbene Wolkenbank empor, aber so rasch, als steige sie aus einer Versenkung herauf, und während sie wuchs wurde sie immer dunkler, fast schwarz. Senkrechte weißliche Wolkenfetzen flogen vor ihr her. Das Meer wurde düster und runzelte sich wie die Stirn eines wilden Tieres, das die Geduld verliert. Die Fittiche der raschen Möwen flatterten kalkbleichvor der dunkeln Wolke. Die Meerschwalben zogen in Zickzacklinien um die Klippen und läuteten und gurrten. Auf einem Felsen saß ein Fischreiher, sah hinaus und schlug zuweilen mit den Flügeln.
Mein Herz aber pochte.
Plötzlich ging ein pfeifender Hieb über uns dahin und die Insel war in eine ungeheure Staubwolke gehüllt, als ginge sie in Rauch auf. Die Gräser legten sich flach auf den Boden, Steinkörner sausten durch die Luft. Da war er —
Was für ein Gesang war das, bei allen Göttern? Es war das Lied vom Chaos, als es noch nichts gab als die schwarzen Wasser und das nackte Gestein. Es war das Schlachtenlied der Urriesen, die um Erde und Meer kämpften und sich zerschmetterten —
Das Meer dröhnte schwer, die Felsen tuteten, und das Toben vereinigte sich zu einem hohlen, surrenden Brausen, das alles erschütterte. Die Luft wetterte, die Atmosphäre bebte, wie ein Riesenventilator surrte die Luft und zerrte das Fleisch von den Knochen, riß an den Augenlidern und Lippen, legte die Ohren um und bog die Nase, wohin sie wollte.
Die Küste ringsum war bis hoch hinauf mit Gischt bedeckt und sah wie beschneit aus. Die Klippen im Meer trugen wehende Generalsbüsche. Das Meer war getigert bis zum Horizont, ein paar fliegendeschneeweiße Schaumkämme mit Nacht dazwischen war das ganze Meer, nichts sonst. Die Schaumkämme aber rasten gegen die Insel. Je näher sie kamen, desto lebendiger wurden sie. Es waren Reihen von Schimmeln mit wehenden Mähnen, schäumenden Mäulern und strampelnden Vorderfüßen. Sie galoppierten gegen die Klippen, stürzten in die Höhe, wieherten, schwangen die Mähnen und sanken zerschmettert rücklings ins Meer. Und augenblicklich galoppierte die nächste Reihe heran, hoi, hoi, hopp hopp! Der Wind peitschte sie und sie taten ihr Bestes, flogen heran, hinauf und zerschellten.
Das war er!
„Vater unser — das ist er! Was soll ich tun? Sag mir den Gesang, den ich anstimmen soll! Soll ich vom grasgrünen Meerteufel singen, der drunten schlief und nun emporstieg und sich dreht wie ein rasender Kreisel?“
Poupoul sprang an mir empor, und ich packte ihn am Kragen und drosselte ihn. „Nimm dich in acht, Poupoul, siehst du nicht, daß ich ein Mörder bin!“
Und ich ging dahin und schrie in den Sturm hinein —
Am Hafen unten standen Männer und Frauen, flatternde Fahnenfetzen, alle erschrocken und bleich.Eine Frau lief schreiend hin und her und rang die Hände. Ihr Mann war nachts hinausgefahren und noch nicht zurückgekehrt. Jede Woge überflutete die Granitmauern des Dammes und hob spielend die schweren Eisenringe in die Höhe, daß sie klirrten. Ganze Wände von Wasser stürzten auf uns herab. Auf dem Damm lag ein behauener Granitblock, der einer Boje als Anker dienen sollte, gut einen Meter hoch und breit. Er war der Woge im Weg und plötzlich hob sie ihn und stürzte ihn ohne viele Umstände vornüber den Damm hinab. Man hatte das Postschiff rasch in den Innenhafen gebracht; auf dem Deck liefen brüllend die Matrosen umher und zogen die Taue an. Der „Kommissionär“ war gefesselt wie ein Tobsüchtiger, mit Ketten, Drahtseilen, Tauen. Aber er wieherte vor Vergnügen, bäumte sich auf, zerriß die Fesseln und schlug das Heck der „Notre Dame de l’Isle“, die hinter ihm lag, in tausend Stücke. Draußen in der rasenden Bai ritt Yanns kleiner Dampfer an seinen Ketten. Viel Vergnügen, Yann!
Da sah ich auf einmal auch Rosseherre. Sie saß auf der andern Seite des kleinen Hafens in den Klippen. Sie sah gelb und elend aus und starrte mit hochgezogenen Brauen in die Ferne. Sie hielt einen Rosenkranz in den Händen und ihre Lippen bewegten sich.
„Hallo! Rosseherre!“ schrie ich mit aller Kraft. Aber ich hörte nicht einmal die eigene Stimme.
Plötzlich klang etwas wie ein ehernes Bellen durch den Sturm. Es läutete. — Bei Stiff war ein Schiff in Not.
Sofort machte ich mich auf den Weg. Bis Stiff hatte man eine knappe Stunde zu gehen, aber ich brauchte zwei geschlagene Stunden dazu. Ich hielt den Mantel mit den Zähnen fest und bohrte den Kopf in den Sturm. Schritt um Schritt mußte ich mir erkämpfen. Der Sturm hatte die Regentropfen zu Nadeln zugespitzt und sie spießten sich wie Eispfeile in meine Haut. Zuweilen war ich gezwungen inne zu halten und im Schutze eines Steins aufzuatmen; wenn ich nur so viel Deckung fand als für meinen Kopf nötig war und ein paar Atemzüge tun konnte! Verließ ich die Deckung, so erfaßte mich der Sturm wie ein sausender Treibriemen und riß mich mit sich. Poupoul erging es nicht viel besser. Er streckte alle zehn Schritte sein Hinterteil dem Sturm entgegen und atmete zwischen den Pfoten, den Kopf auf den Boden gepreßt. Ich sah eine Möwe, die rückwärts flog! Sie landete erschöpft, ruhte ein wenig und stürzte sich abermals dem Sturm entgegen. Sie drehte sich wie eine Schiffsschraube, aber der Wind war stärker als sie und sie mußte wiederum rückwärts fliegen.Der Sturm trug sie in die Höhe wie ein Stück Papier, sie schrie, arbeitete wahnsinnig mit den Fittichen, aber es half nichts, sie mußte dahin, wo der Sturm es wollte. In drei Stunden war sie in England. Plötzlich begann ich zu pfeifen. He! Ja, ich pfiff ohne es, zu wollen. Der Wind flötete zum Vergnügen in meinem Kehlkopf, und durch Öffnen und Schließen des Mundes konnte ich ein ganzes Konzert pfeifen, über die triefende Heide aber zog Rauch. Ich stand still. Eine wagrechte dicke Rauchwolke zog rasend mit dem Sturm dahin. Brannte es? Brannte ein Schiff da drunten? Nein, es war Wasserdampf. Die Insel war hier turmhoch, aber der Sturm blies so heftig, daß er den Wasserstaub aus den Schächten und Kaminen der Klippen riß, wie Rauch aus einem Schlot, und forttrug. Drei, vier solcher Rauchsäulen fegten quer über die Insel.
Da war endlich Stiff. Sein kleiner gelber Leuchtturm schwamm verkrümmt in einer Wasserblase, die Hütte der Markonistation kauerte wie ein zerzaustes, graues Tier in der fegenden Heide. Selbst in der Sonne sah Stiff so trostlos, öde und bedrückend aus, daß sich der Herzschlag verlangsamte. Heute aber war es eine unterweltliche Wüstenei, die Grauen verbreitete. Und wie böse stand die schwarze Flagge über dem Semaphor! Der Sturm stieß mich hier wie einBündel vor sich her, er trug mich streckenweise, und es gelang mir schließlich nur noch, mich auf allen vieren von Stein zu Stein vorwärts zu bohren. Ohne Atem und fast seekrank vor Erschöpfung erreichte ich die Markonistation. Ich hämmerte gegen den eisernen Laden.
Herr Boucher war hier, Gott sei Dank! Er warf sich gegen die Türe. „Ziehen Sie doch!“ schrie er.
„Ich ziehe ja!“ antwortete ich. Die Türe schnappte wieder zu. Sollten wir, zwei Männer, nicht imstande sein eine lumpige Türe zu öffnen? Herr Boucher steckte einen Prügel durch die Türspalte, ich zog und die Türe flog krachend gegen die Hanswand. Da lag sie nun, wie angeschraubt. Wir arbeiten wie Teufel, der Regen peitschte uns das Gesicht, der Sturm riß uns das Fleisch von den Knochen — — endlich.
„Es soll ein Schiff in Not sein, Herr Boucher?“
„Sehen Sie durch dieses Guckloch. Da drunten ist es. Sehen Sie es nicht? Ein Fischerboot.“
Ja, nun sah ich es. Ein winziges Segel zuckte da drunten in der Tiefe zwischen denSchaumkappen.
„Nun?“
„Sie sind verloren. Sie können nicht hinaus aufs Meer und nicht hinein in die Bucht, sie würden in die Felsen geschleudert werden.“ Herr Boucher nahm den Stahlbügel mit dem Hörer über den Kopf undsetzte sich vor den Apparat. „Ich habe eben ein Gespräch belauscht zwischen einem Dampfer und Lizard. Ich glaube ein Schiff ist gescheitert. Lesen Sie hier. Nein, nun höre ich nichts mehr.“
Es war eine Depesche des Cunardliners Celtic an Lizard. Die Celtic telegraphierte, daß sie den Kohlendampfer „Fullspeed“ fünfzehn Meilen südlich Scilly-Islands passiert habe, ohne Maste und Kamin, Maschine in Ordnung.
„Ja, nun gehe ich wieder. Vielen Dank, Herr Boucher.“
Ich mußte hinunter! Es ist mir heute noch rätselhaft, wie wir, Poupoul und ich, den steilen Pfad zur Bucht hinuntergekommen sind, aber wir kamen hinunter, das ist eine Tatsache.
Ein Häufchen Fischer kauerte in den Felsennischen. Der Schuppen, in dem sich das Rettungsboot befand, stand offen. Sie konnten natürlich nicht hinaus zu dem kleinen zuckenden Segel. Es war sogar unmöglich das Boot ins Wasser zu bringen. Sie standen mit den Händen in den Hosentaschen schwiegen und starrten mit zusammengekniffenen Augen hinaus. Die Gischtfahnen gingen haushoch über sie dahin.
Vor der Türe des Schuppens saß ein Weib mit zwei Kindern und alle drei verfolgten regungslos daskleine Segel, das im Kreise zuckte. Das Weib hatte harte Augen und lächelte kalt und verächtlich.
„Sie ist die Frau des Patrons da draußen,“ sagte mir ein Fischer. „Es sind drei Mann an Bord. Sie sind schon vierundzwanzig Stunden auf dem Meer. Sie haben nur einen Laib Brot und eine Flasche Schnaps mit. Lange können sie es nicht mehr aushalten. Sie sind hin!“
Als ich nach Hause kam, war Sturmvilla wie mit einem Aussatz bedeckt. Schaumballen schwirrten durch die Luft. Die Wut der Brandung zerrieb das Wasser zwischen den Felsen zu schmutzigem Schaum und der Wind trug ganze Blöcke Schaum davon. Vor meiner Türe lag er fußhoch und die Heide war weithin damit bedeckt.
Der Sturm hatte meinen großen Kamin wie mit der Zunge ausgeleckt. Kein Stäubchen war in meinem Zimmer mehr zu sehen.
In dieser Nacht schlief ich wenig. Ich dachte immerfort an das kleine Segel, das bei Stiff im Kreise zuckte. Nun waren sie dreißig Stunden draußen. Und immer im Kreise! Vielleicht konnten sie einen Kreis von zweihundert Meter Umfang segeln, das war alles, was sie sich erlauben konnten. Und kaum eine halbe Meile vom Land entfernt. Wie? Sie sehen das Feuer von Stiff vor sich, dicht vor den Augen,am Tage hatten sie deutlich die schwarze Flagge über dem Semaphor gesehen: das war der Tod, der da droben wehte, ihr Tod war es. Vielleicht sahen sie Häuser, in denen man sicher hocken konnte hinter den dicken Wänden und essen und trinken — und sie fuhren im Kreise, vor dem Tod her, der mit ihnen ein Spielchen trieb.
Die Nacht war voll von unbeschreiblichem Spektakel. Das Spritzwasser zischte über mein Dach und rieselte an den Wänden herab. Regenböen prasselten. Es tobte und toste. Es hörte sich an, als ob ein rasender Riesengorilla auf den Klippen hockte und mit den Fäusten auf seinen Bauch trommelte. Schreie durchschnitten die Luft, als ob Menschen von den Klippen herabgestürzt würden und im Falle schrien. Gelächter, Flüche. Es waren all die Seeleute, die draußen ertrunken waren, die schrien und die Fäuste über den Klippen schwangen. Sie jammerten, denn sie sollten die Heimat nicht wiedersehen. All die Schiffe, die hier gescheitert waren, fuhren noch einmal in dieser Nacht auf. Sie krachten, splitterten, sanken. Und durch den Lärm hörte ich das dumpfe Läuten des Meeres. Bis in die Tiefe war es aufgewühlt. Da drunten rollten alte behaarte Glockentiere hin und her und dröhnten.
Bum — baha — bum baha!
Aus dem Tosen aber hörte ich deutlich ein Heulen heraus, das fürchterliche Heulen einer einzelnen Stimme! Sie rechtete mit Gott und der Hölle und konnte kein Ende finden. Das war Poupon, der Mörder, den das Meer nicht wollte. Hörst du ihn? Zuweilen stieß er einen Schrei aus und stürzte sich hinab, aber immer kam er wieder, heulte, verfluchte Gott und die Welt und schleuderte dem Schöpfer Felsen ins Gesicht, Felsen, Felsen! Hörst du?
Der Teil der Heide, auf dem mein Haus stand, hieß der „englische Friedhof“. Vor zweihundert Jahren scheiterte hier eine englische Flotte von vierzig Segeln und die Leichen bedeckten den Strand. Man begrub sie hier. Ja, nun hörten auch sie, daß da oben etwas vor sich ging und kamen heraus. Sie johlten und lärmten, viele hundert Stimmen schwirrten durcheinander, aber ich glaubte doch jede einzelne zu verstehen. Das Haus war ihnen im Weg, sie mußten etwas demolieren, denn sie waren wild geworden. Sie warfen sich mit den Rücken dagegen. Sie stießen mit den Füßen gegen die Türe und lachten. Öffne, öffne, you damn’ rascal! Ich hörte sie ganz deutlich, ich hörte sogar, daß sie Englisch sprachen. Auf das Dach! Nun, da waren sie auch schon auf dem Dach, polterten, zerbrachen mir die Ziegel und schließlich brüllten sie zum Kamin herein. Vielezu gleicher Zeit: Ha! Ha! Ho! Ho! Son of a bitch. Hooo!
Ich setzte mich aufrecht und die Haare standen mir einzeln zu Berge.
Da aber ging ein schrilles Pfeifen über das Haus dahin, ein Schleifen, ich hörte wie sie sich entfernten, wie der letzte vom Dach herabglitt. Sie rannten johlend über die Heide. Wie ein Blitz, all die vielen Hundert zusammen. Ich hörte, wie ihr Gejohl mehr und mehr in die Ferne entschwand. Das Segel! Ja, das kleine zuckende Segel bei Stiff. Hier gab es Arbeit für sie, hier gab es etwas zu tun —
„Vielleicht sind sie eben untergegangen,“ dachte ich laut und fror.
Der Tag kam und der Orkan surrte wie tausend rasende Expreßzüge über die Insel dahin. Er heulte nicht mehr, schrie nicht mehr, er surrte, hohl und dumpf. Nimm den Hut ab, ziehe die Jacke aus, hänge Hut und Jacke an meine Hauswand, ohne Nagel, wie angeleimt bleiben sie hängen, so wehte es. Das kleine Segel zuckte noch immer im gleichen Kreise. Sie waren nun sechsunddreißig Stunden draußen. Die Nacht kam, fünftausend wiehernde Kannibalen tanzten um mein Haus, wieder tagte es und der Sturm surrte.
Das kleine Segel war verschwunden.
Ich erbleichte, als ich es hörte.
Aber gerade als wir alle in Chikels Bar standen und uns ereiferten: diaul! einen Laib Brot und eine Flasche Schnaps, zwei Tage ohne Schlaf und welche Arbeit — ging die Tür auf, und was kam herein? Drei Seegespenster! Drei Gespenster mit kalkweißen Gesichtern und blauen Lippen, Leichen, die tagelang in Eiswasser gelegen waren, mit Glasaugen, klebenden dünnen Haaren und einem irrsinnigen Totenlächeln. Nun also, da waren sie! Es wurde ganz still. Dann aber begannen die drei Seegespenster in den gemeinsten Ausdrückenzu schimpfen. Ihr hättet uns ruhig ersaufen lassen, ihr Hundesöhne! Gott, sei Dank, sie waren lebendig.
Sie hatten das Verzweifelte getan. Sie waren aufs offene Meer hinausgefahren, um zu sterben — oder, die Insel zu umsegeln und im Lee irgendwo unterzuschlüpfen. Es war ihnen geglückt. Hoho, Brüderchen! Und nun küßten wir sie alle.
Sie gossen sich Branntwein in die Kehle und gurgelten Schnaps. Einer ließ drei, vier Gläser fallen, er hatte jedes Tastgefühl in den Händen verloren, und lachte idiotisch.
Da kam noch ein Seegespenst herein. Aber es war nicht weiß, sondern schwarz wie ein Neger, der da und dort Farbe gelassen hatte, mit rotgesäumten Augen. Das war Yann. Der „kleine Kapitän“ sprach wie ein Faß und hatte einen furchtbaren Brüllhusten.
„Ich mußte an Land gehen,“ hustete er, „ich habe keinen Kognak mehr, he, Patronne! Rasch! Es war die reinste Hölle in der vergangenen Nacht. Willst du mit an Bord? He?“ Ah, Yann, wie spöttisch und überlegen du doch lächelst!
„Sechs Flaschen Kognak, Madame Chikel!“ erwiderte ich. „Etwas Käse. Hast du Brot? Vorwärts Yann!“
Im Hafen schwammen die Trümmer der zerschlagenen „Notre Dame de l’Isle“. Mit jeder Welletrieben sie vorwärts und zurück. Der gefesselte „Kommissionär“ hatte sich ein paar Rippen eingeschlagen und lag mit dem Stern auf Grund und wälzte sich schwerfällig.
Wir sprangen ins Boot, Poupoul voran. Er war atemlos vor Vergnügen, sobald er in ein Boot springen konnte. Die Ruder tauchten ein und das Boot trieb mit der zurückflutenden Welle hinaus. Yann saß mit gebeugtem Nacken am Steuer und folgte lauernd den Bewegungen der Wogen, wie ein Boxer jenen seines Gegners. Er schrie den Matrosen Befehle zu und sie sahen ihm gespannt auf den Mund, denn hier außen konnte man kein Wort verstehen. Wir hatten fünfhundert Meter zu rudern, aber es sah aus als sollten wir den „Arbeiter“ nie erreichen. Manchmal stand das Boot buchstäblich senkrecht.
Der „Arbeiter“ zerrte an seinen zwei Ankerketten, bäumte sich auf und schlug aus wie ein Pferd. Bald war sein Deck auf Wasserhöhe, bald schnellte es ein Stockwerk in die Höhe und der „Arbeiter“ zeigte den roten Bauch.
Zuerst stieg Yann an Bord, dann reichte ich Poupoul hinauf, der zappelte vor Erregung, zuletzt folgte ich.
Der „Arbeiter“ war in voller Fahrt. Mit all seinen sieben Knoten rannte er vorwärts und kam dochnicht vom Fleck. Ganze Häuser, ganze Straßen bebender Wassermassen warfen sich ihm entgegen. Der Abstand zwischen den Wogenreihen betrug gut zweihundert Schritt. Lange sausende Ebenen flogen heran, die Wasserberge wuchsen bebend daraus hervor, der „Arbeiter“ stieg, kletterte, sprang, glitt hinab, und die nächste sausende Ebene flog heran. Der Wind verwehte das Spritzwasser, so daß die Wogen wie mit weißen langen Wollfäden bestreut aussahen. Wie ein fliegendes schwarzgrünes Gebirge waren sie, in dessen Rinnen und Rillen der Schnee schmolz. Sie glitten blitzschnell an den Wänden des Dampfers entlang, kreiselten wütend und kletterten dröhnend und zischend an Deck. Der „Arbeiter“ troff von oben bis unten.
Eine Sturzsee prasselte wagrecht über den „Arbeiter“ dahin, vom Bug bis zum Stern, und ich bekam die volle Ladung ins Gesicht.
„Vorwärts!“ brüllte Yann und stieß mich in die Luke hinab. Es war unmöglich in der kleinen übelriechenden Kajüte auch nur eine Sekunde aufrecht zu stehen. Sie war dunkel und kreiste wie der Bauch eines Haifisches in voller Fahrt. Und es ist bekannt, daß sich ein Haifisch in Spirallinien durchs Wasser schraubt. Die Luke an der Luvseite war verschraubt und wir bekamen nur dann etwas Licht, wenn sichdas Glas gegenüber über Wasser befand. Poupoul hustete ein wenig. Nun, Poupoul, du wirst doch nicht? Was fällt dir ein, ein Schiffshund! Nein, Poupoul hatte ja nur zum Vergnügen ein wenig gehustet, er fühlte sich zu Hause hier unten.
„Trinke, rasch!“ schrie Yann und goß Kognak in eine Blechkasserolle. Augenblicklich begannen wir mörderisch zu trinken, hier unten in dem kreisenden Haifischbauch blieb nichts anderes zu tun übrig, entweder oder. Also prost, meine Damen!
Ich verbrachte zwei ganz unvergeßliche Tage und Nächte auf dem „Arbeiter“.
Wenn die Flut kam, löste Yann seinen Steuermann ab. Wir mußten hinauf. Sobald wir den Kopf aus der Luke streckten, fegten Wind und Wasser wie ein Reibeisen über unser Gesicht. Dann kletterten wir zwischen zwei Sturzseen die schmale eiserne Treppe zur Brücke empor und hier banden wir uns fest. Der Sturm empfing uns mit einem pöbelhaften Triumphgeheul, als ob wir uns versteckt gehabt hätten. Das Spritzwasser trommelte auf unseren geölten Anzügen und festgebundenen Sturmhauben, und ganze Grotten von Wasser stürzten auf uns herab. Das Wasser auf der Brücke ging uns über die Knöchel, aber da wir barfüßig waren, schadete es nicht weiter. Es schwankte hin und her, bis es endlich wie einWasserfall die eiserne Treppe hinabstürzte. Zuweilen schlugen Bomben auf dem Dampfer ein, und Maste, Kamin, alles verschwand in einer Wolke von Gischt und Dunst.
Yann hustete fürchterlich und fluchte ununterbrochen. Er hatte sich am Sprachrohr den Mund blutig gestoßen und war wütend. Er überhäufte jede einzelne Woge mit Flüchen wie einen persönlichen Feind. So oft einer dieser fliegenden Wasserberge heranrollte, schrie er ins Sprachrohr: Zurück! — und wenn wir den Berg hinaufgeklettert waren: Vorwärts! — um den Anprall der vielen tausend Tonnen Wasser auszugleichen. Die Ankerketten strafften sich, knirschten, rasselten, der Bug sank ein, um gleich darauf einige Stockwerke emporzuschnellen. Oft legte sich der Dampfer so stark zur Seite, daß die Brücke steil wie ein Giebel stand. Das Meer war in der Nacht schwarz wie Pech und die wirbelnden Gischtkämme leuchteten wie Schnee. Creach schwang seine Lichtkegel im Kreise und beleuchtete das grauenhaft gerunzelte Meer. Der Dunst des Spritzwassers glitzerte und funkelte in seinem Lichte. Dann sahen wir auch alle sieben Sekunden das „Kamel“, das draußen in der Bai galoppierte. Das „Kamel“ war ein Felsen, hoch wie ein fünfstöckiges Haus, aber das Wasser fegte darüber hin. Zuweilen fuhr der Gischt nach allen Seiten in dieHöhe, als sei das „Kamel“ soeben aus großer Höhe ins Meer hinabgesprungen.
Gegen drei Uhr nachts hatten wir Unglück. Die Spitze des Fockmastes mit unserer hübschen Laterne ging über Bord. Yann stieß einen der längsten und entsetzlichsten Flüche aus, den je eine menschliche Zunge zustande brachte. Gewiß hätte er sich in der Wut dem Mast nachgestürzt, wenn er nicht festgebunden gewesen wäre.
„Die Sache ist die,“ schrie mir Yann ins Ohr, und drehte den Bug einer Woge entgegen, die mit hocherhobenen weißen Tatzen schräg herankam und alle andern überholte, „die Anker hatten sich festgebissen, aber der Teufel weiß, ob die Ketten es noch lange aushalten werden. Dann gute Nacht, in fünf Minuten sind wir in den Klippen. Achtung! O, daß alle stinkenden Teufel der Hölle dich haariges Monstrum —! En arrière!“ Eine ungeheure Wassermasse schlug über Bord und der Dampfer sank so tief ein, daß es eine Ewigkeit dauerte, bis er sich wieder in die Höhe arbeiten konnte.
Dann und wann unternahm ich eine kleine Expedition nach dem Maschinenraum. Ich kletterte die Treppe hinab an Deck, wartete bis ich den nächsten Eisengriff fassen konnte ohne über Bord gefegt zu werden, und kroch im Lee des Kesselraums entlang.Wo der Wind eine Spalte fand, blies er so rasend, daß ich spürte, wie sich das Fleisch an meinen Knochen verschob und löste.
Haha, da waren sie, schwarz wie Mohren hantierten sie da drunten. Ich klopfte auf die verschraubte Luke, sie sahen herauf, grinsten und der Maschinist öffnete. Ich ließ mich die eiserne Leiter hinab. Wie warm es hier war!
„Ihr habt es gut hier, ihr Halunken!“
„Warum hast du uns nichts zu trinken mitgebracht?“
Ja, wie konnte ich es auch wagen ohne Kognak zu diesen Rußteufeln zu kommen, deren Kehlen lichterloh brannten?
„Sofort!“
Ich kroch wieder zur Luke hinaus, machte die Expedition zur Kajüte hin und zurück und da war ich wieder. Der Heizer ließ kochendes Wasser in einen Tiegel und mischte einen großen Humpen Grog zurecht. Es roch hier unten nach heißem Öl und Putzwolle. Die Schaufel scharrte und das Heizloch spie Gluten. Es gab hier glühende Kohlenstückchen, die es auf meine nackten Füße abgesehen hatten. Der Sturm toste in der Ferne; man fühlte sich hier wohl und geborgen wie in einem eleganten Salon, wennes draußen hagelt. Der Wind tutete und pfiff durch das Sprachrohr und monoton rasselnd kamen Yanns Befehle heraus: en route, doucement, en arrière! Der Maschinist hatte die Hand am Hebel, die Maschine tickte, und wenn sich die Schraube über Wasser befand, wackelte sie von oben bis unten.
„Hau — hau — hau — en route!“ hustete Yann.
„Der ‚kleine Kapitän‘ hat sich etwas erkältet!“ Die Leute liebten Yann und verließen sich auf ihn. Wenn er auch zuweilen mit den Fäusten auf sie losging, er hatte seine guten Seiten, ohne Zweifel. Und dann, er war tüchtig!
Die Burschen hier unten führten ein Leben für sich, was oben war, ging sie gar nichts an. Nun ja, heute gab es etwas zu tun — aber das hielt sie nicht ab sich in aller Gemütlichkeit über die Dummheiten zu unterhalten, die sie mit einer dicken Kellnerin in Brest getrieben hatten — hahaha!
Das Sprachrohr rasselte, und der Dampfer wurde in die Höhe geschleudert. Eine Sturzsee erschütterte ihn und er sank ein. Wohin sollte es noch gehen? Eine Weile stand er still, dann legte er sich bebend auf die Seite, so daß der Boden nahezu senkrecht stand und man sich mit Händen und Füßen festklammern mußte. Wir sagten kein Wort. DerMaschinist am Hebel sah wachsgelb aus unter der Rußschicht.
„Wenn jetzt der ‚kleine Kapitän‘ nicht bald ein Kommando gibt, dann ist er über Bord gegangen!“ sagte er und öffnete lauschend Mund und Augen.
„En route, nom de chien!“ rasselte das Sprachrohr.
Sobald Yann abgelöst wurde, war er vollkommen Privatmann und tat, als ginge ihn der ganze Kasten von einem Dampfer nichts mehr an.
Wir soupierten. Yann schnitt ungeheure Terrassen in den Brotlaib und den Käse und stopfte sich mit beiden Händen den Mund voll. Während er noch mit der rechten Backe kaute, trank er schon mit der linken aus der Flasche. Er verlor keine Minute Zeit, immer war er in voller Fahrt. „Iß und trink!“ rief er zuweilen. Armer Yann! Er hatte vollkommen die Stimme verloren. Während er sich mit der Zunge noch die Zähne reinigte, entkorkte er schon eine neue Flasche.
Dann nahm er eine Zigarre aus dem Schubfach, legte sich zurück und atmete ein paarmal tief auf.
„Haha!“ lachte er.
„Prost, Kapitän!“
„Haha!“ Yann zwinkerte gut gelaunt und ließ vor Vergnügen einen Wind streichen. Dann brach er in lautes, hustendes Lachen aus und machte sich ans Rauchen. Nun soll man nicht denken, daß Yann eine Zigarre ohne weiteres rauchte. Yann tat nichts ohne weiteres. Er schnitt in der Nähe der Spitzeeine Kerbe in die Zigarre und hier zündete er sie an. „Hersehen! Ah, du wirst die Augen aufreißen! Es wird — hahaha! — ein Mönch wird es!“
Nach einigen Zügen glühte die Kerbe und das war, bei Gott, ein Mönch in der Kutte, mit einem glühendroten feisten Gesicht, und nun bekam er noch dazu graue Haare!
Yann betrachtete den Mönch mit verliebten Augen. „Hahaha! Siehst du ihn? Ein Pater, ein Franziskaner, ein Benediktiner, ein Kapuziner!“
Er lachte triumphierend.
Bis zur nächsten Wache blieben uns gute vier Stunden und so plauderten wir ein bißchen. Wir hatten nun gegessen und getrunken, so weit es nötig war, und nun tranken wir zum Vergnügen. Wir tranken puren Kognak aus einem flachen Blechtiegel und klommen Hand in Hand Sprosse um Sprosse empor. Der „Arbeiter“ stampfte und bebte und krachte in allen Fugen, als wolle er entzweireißen. Die Sturzseen klatschten über unseren Köpfen auf das Deck, und unsere kleine Petroleumlampe schwang sich quiekend im Ring und qualmte. Yanns Gesicht war ganz dunkel und aus seinem finstern Gesicht schimmerten hell, fast weiß seine wasserblauen Augen. Der brennende Mönch stank, als ob er Hufspäne und Haare im Leibe habe.
Die Unterhaltung begann. Wir konnten nie fünf Minuten sprechen, ohne uns in den Haaren zu liegen. Wir ruhten so bequem auf den Kojen, rauchten, aber sofort schnellten wir in die Höhe und brüllten einander an.
Da war zum Beispiel Yanns zweiter Maschinist lungenkrank und Yann hatte ihm den Rat gegeben, die Glut des Heizloches einzuatmen um die Bazillen zu töten.
Das hielt ich für falsch! Einfach für verkehrt!
„Die moderne Therapie erklärt große Wärme für Gift, geradezu — Yann!“
Yann übergoß mich mit einem beißenden Spottgelächter.
„Und man schickt die Kranken nach Ägypten — haha!“
„Der Trockenheit der Luft wegen!“
„Eh bien, mon cher monsieur le docteur — ist die Luft aus einem Heizloch etwa nicht trocken?“
„Du bist ein Zwanzigtausendtonnen-Rindvieh, Yann!“
„Haha! Also die kalte Luft soll heilen? Seht an!“
„Sie ist bazillenfreier, ja.“
„Bien! Warum schickt man die Kranken nicht nach dem Nordpol? Hast du schon gehört, mon très cher ami, daß man einen Schwindsüchtigen nach demNordpol schickte? Ja! Übrigens, mein Bruder, ein berühmter Spezialist in Nizza“ —
„Schweige! Schweige!“ brüllte ich.
„Ich rede solange ich will!“ schrie Yann.
Nein, es war nicht gegen Yanns fünfundzwanzig Brüder und fünfzig Vettern aufzukommen, die über den ganzen Globus verstreut waren. Man mochte von Maschinen reden, von Astronomie, von Streichholzfabrikation, einerlei, immer hatte Yann einen Bruder vom Fach, der ihm brühwarm die neuesten Errungenschaften übermittelt hatte. Yann, Yann, man kann nicht mit dir debattieren! Yann aber riß stets die Fahne an sich und schwang sie triumphierend.
Dann erklomm er die nächste Sprosse, auf ihr begannen Scherzfragen und Kunststücke. Yann warf ein Dutzend Streichhölzer auf den Tisch, und nun ordne sie so, daß —
„Gehe in die Hölle, Yann!“
Yann aber ordnete die Streichhölzer wie es sich gehörte und lachte. Er wollte mir ja nur beweisen, daß ich nichts wußte, nichts, und nichts konnte, gar nichts. „Soll ich dir einen Fächer aus einem Stück Holz schnitzen?“
„Nein!“ Aber doch war ich gespannt, wie er das anstellen würde.
„Du wirst sehen. Auf den Segelschiffen macht man das.“
Yann stand auf und hielt rasch Umschau. Er schlug eine Leiste vom Kartenschrank und begann augenblicklich zu arbeiten. Eins, zwei, die Fetzen flogen. Er saß mit angezogenen Knien auf der Koje und hantierte sicher mit dem Messer, obgleich er unaufhörlich auf- und abtanzte. Zuweilen stemmte er das Knie gegen den Tisch um nicht zu mir herüber geschleudert zu werden. Zuerst schnitzte er einen Stab, den er an verschiedenen Stellen einkerbte — das gab die Verzierungen des Griffes und der Stäbe — dann schleißte er ihn in dünne Streifen von oben bis herab zum Griff, und diese Streifen drehte er vorsichtig auswärts. So! Fünf Minuten und fertig! Haha! Er fächelte sich kokett.
„Nächstens werde ich dir einen Dreimaster in eine Kognakflasche hineinschnitzen.“
„Gott beschütze mich!“
„Vollkommene Ausrüstung, mein Lieber!“
Darauf führte Yann eines seiner Lieblingskunststücke vor. Er nahm das Messer, ein stumpfes, schmutziges Instrument, mit dem er Fische schlachtete und Ratten, setzte es an den Daumen und schnitt. Das Blut quoll heraus. Yann steckte den Daumen in den Mund, massierte ihn — nichts war mehr zusehen, hoho! Ich rückte näher. Ein Schwindler bist du, Yann! Man sah ja nicht gut, der Rauch war zu dick. Yann wiederholte triumphierend das Experiment und führte mir eindringlich alle Phasen vor. Nun grub er mit dem Messer rings um den Daumennagel einen Graben, der sich langsam mit schwarzem Blut füllte. Er leckte, preßte — verschwunden.
„Ein Teufelskerl bist du!“
Yann aber lachte mich vielsagend an: und was kannst du? Nichts.
Nein, wirklich, ich konnte nichts. Ich konnte einen Bindfaden mit meinem Bizeps sprengen, zweistimmig pfeifen, amerikanisch ausspucken, zwei vorsintflutliche Lieder und einen Triller auf der Flöte spielen — lauter minderwertige Künste.
Dann nahm Yann einen ungeheuren Schluck und warf sich in die Koje, die Zigarre im Mund. „Man hat es nicht schlecht jetzt, man hat es zu etwas gebracht!“ begann er zufrieden und verschwand in der Rauchwolke.
„Man ist Kapitän, hat seine hundertundzwanzig Franken monatlich, man hat sein Weinchen, seine Zigarre und eine Couchette zum Schlafen. Was willst du noch mehr? Man hat das Gröbste hinter sich. Ah, das Furchtbarste, weißt du, he, was das Furchtbarste ist? Lege mir zehntausend Franken auf denTisch — nein, nie mehr! Ich habe zwei Campagnen mitgemacht. Das ist ein Leben für Hunde, für Schweine!“
„Wovon faselst du denn?“
„Idiot, du hörst wohl nicht? Ich rede von St. Pierre, beim Teufel! Fünfzigtausend Stockfische, achtzigtausend in einer Campagne. He, mein Lieber! Das Schiff ist von oben bis unten mit Salz angefüllt und die Arbeit beginnt. Fische, Fische, nichts als Fische! Du schläfst, du bist todmüde, pique! pique! auf! Die Fische sind da. Du fährst in die Hosen. (Hier fuhr Yann in die Hosen und rieb sich den schweren Schlaf aus den Augen.) hinaus in die Kälte, brrr! Du schlotterst nur so und legst die Angel aus und ziehst sie ein und schläfst dabei. (Yann legte die Angel aus, zog und schlief dabei.) Plötzlich — tsch! — ein Walfisch kommt daher und verjagt die Fische. Du legst dich aufs Ohr. Pique, pique! O, gehe in die Hölle! Da stehst du Tag und Nacht, im Nebel, im Sturm, im Schnee und fischst. Oder du schneidest die Köpfe ab, tausend Köpfe an einem Tag, zweitausend. Am Tisch ist ein langer Nagel, da hinein stößt du den Fisch und schneidest ihm eins, zwei den Kopf ab. Du reißt die Leber heraus, ins Faß, die Gedärme wirfst du ins Meer. Links und rechts vom Schiff tänzelt ein Haifisch undschnappt und frißt alles, denn der Haifisch ist nichts als ein Schwein. O, was für ein mörderischer Gestank! Die Leber riecht, die Fische stinken, das ganze Schiff stinkt von oben bis unten wie faule Fische. Mein Lieber, prost! Es ekelt dich an und du möchtest am liebsten über Bord gehen. Ich habe handfeste Burschen gesehen, die weinten vor lauter Traurigkeit.“
„Hehe! Aber lustig ist es doch! Da gibt es merkwürdige Dinge. Zum Beispiel, den Sonnenfisch! Er ist hoch wie ein Mann und flach wie ein Teller. Er hat ein Gesicht und eine Nase wie ein kleiner, gedörrter Jude, ein Judenprofil. Er fächelt mit den Flanken, so, siehst du, auf diese Weise schwimmt er. Vor seiner Judennase schwimmt ein kleiner Fisch einher, das ist sein Pilot. Denn der Sonnenfisch ist ungeheuer dumm und halb blind. Du lachst dich halb tot über ihn. Wie ein dicker Bankier, der schwach auf den Beinen ist, läßt er sich von seinem Fremdenführer alle Sehenswürdigkeiten zeigen, und dann, wenn er sich satt gefressen hat, macht er sich schwer und läßt sich hinabsinken auf den Grund des Meeres. Da liegt er im Sand, flach wie eine Zeitung, und schläft und verdaut. Dann gibt es hier die Schwertfische, die den Walfisch absolut nicht ausstehen können. Sobald so eine Dampfspritze in voller Fahrt daherkommt, schnellt sich mein Schwertfisch in die Höhe,viele Meter hoch und gräbt sein Schwert in den Wanst des Wales. Hinunter damit! Ja, beim Teufel, eine gemütliche Welt hat unser Herrgott erschaffen. Hohoho, wie konnte er nur auf all den Unsinn verfallen! Dann kannst du dich auch mit dem Hai amüsieren. Du läßt ein Tau hinab, schwupp, er schneidet es ab wie eine Zigarre. Wir haben auch dann und wann einen Hai gefangen, zum Spaß, Gott o Gott, wie sie stinken! Und hüte dich, ihm noch nach Stunden zu nahe zu kommen! Dieses Schwein ist mit Elektrizität geladen und gibt dir einen Schlag, daß dir Hören und Sehen vergeht.“
„He! Entkorke eine neue Flasche, wir müssen trinken! Das ist eine niederträchtige See heute! — Zu fressen bekommst du bei den Bänken nichts. Übel kann dir werden. Zwei Kartoffeln und grüne Erbsen, am Sonntag ein Stückchen Speck, winzig, und ein Glas Wein. Der Speck wird verlost, wie beim Pfänderspiel die Pfänder. Wem soll dieses Stück gehören? Sonst würde es Streitigkeiten geben, denn alle sind wild vor Hunger wie Wölfe. Man haßt sich auch, nach ein paar Monaten haßt man seinen besten Freund. Geh mir aus dem Weg, du Fratze! Ah, was für ein Leben! Während der ganzen Campagne wäscht sich kein Mensch mehr, wozu? Kommen schöne Mädchen an Bord? Aber vor der Heimreise geht esnach St. Pierre um Einkäufe zu machen. Alles geht an Land und alles wäscht sich. Lauter neue Gesichter! Eine neue Equipage, he? Bon jour, messieurs!“
„Viele aber reisen nicht heim, mein Freund. Es rentiert sich nicht als Leiche zu Hause anzukommen. Du mußt die Stürme nicht vergessen — und die Eisberge. Plötzlich tauchen sie vor dir auf und sie werden dich zertreten, sie sehen dich gar nicht. Und die großen Schnelldampfer bei Nebel! Da heißt es das Nebelhorn drehen — tuh — tuh! — tagelang. Man hört sie schon meilenweit. Sie brummen wie Bären, die Hunger haben. Er kommt heran, näher und näher. Du liegst in der Koje, erwachst, horchst und deine Haare sträuben sich. Alles stürzt an Deck: Patron, ein Dampfer kommt über uns! Was sollst du tun? Wenn er dich nun nicht hört? Kein Wind, wohin? Und woher kommt er? He, nun ist er ganz nahe, keine zweihundert Schritt entfernt. Du wirst ihn nun nicht mehr hören, aber sehen, wenn es sein muß. Du stehst und wartest und deine Zähne klappern vor Angst. (Bei Gott, Yanns Haare sträubten sich bei der bloßen Erinnerung!) Da — er tutet ferner — er ist vorüber! Du bist noch einmal mit heiler Haut davongekommen. Jedes Jahr wird ein halbes Dutzend Boote glatt durchschnitten, das gibt einen kleinen Knax und weg ist er.“
„Kommt er nicht zurück, Yann?“
Yann lachte. „Er wird sich das überlegen. Er braucht eine Viertelstunde, bis er zurückkommen kann. Und wo bist du dann? Er findet vielleicht eine Insel gesalzener Stockfische, das ist alles. — Nun aber, sagen wir, du kehrst zurück. Der Armateur gibt dir dein Gehalt, sechshundert oder achthundert Franken, und dazu schenkt er dir zwei Stockfische. Zuerst betrinkst du dich nun und schläfst dann irgendwo hinter einem Zaun, das Geld in der verkrampften Hand. Hier ist es am sichersten. Das Geld bringst du deiner Mutter. Sie gibt dir zehn Franken, damit du dir einen vergnügten Tag machen kannst, staffiert dich aus und du promenierst im Dorf mit deinem kleinen Bambusstock und läßt dich anstaunen. Ja, da bin ich wieder! Wenn du keine Mutter hast, so gehst du gleich zu den Mädchen. Hier läßt du dich häuslich nieder, ißt, trinkst, machst dir vergnügte Stunden mit dem ganzen Haus, von der Besitzerin angefangen bis herab zum Dienstmädchen, sie nehmen dir alles ab und werfen dich auf die Straße. Da bist du wieder. Du gehst und verdingst dich und ein paar Tage später bist du wieder bei grünen Erbsen und Kartoffeln angelangt. Hehe! Aber es war hübsch. Und alle andern erzählen dir ebenfalls, wie hübsch es war. Sie singen und du singst mit und bist geborgen.Du bist wieder auf dem Meer, wo du hingehörst.“
Plötzlich schnarchte Yann. Er konnte zu jeder Zeit einschlafen und aufwachen, und es war ihm auch einerlei, in welcher Lage er schlief, ob er auf einem Stein saß oder auf dem Boden lag, das Gesicht auf den Händen.
Ich saß mit angezogenen Knien in der Koje und rauchte. Zuweilen schwindelte mir vorübergehend, es war nicht mehr hübsch. Der Dampfer rollte furchtbar. Wenn sich die Ankerketten strafften, so erschütterten ihn ungeheure ruckweise Stöße, daß alles ächzte und knarrte. Er zitterte vom Stampfen der Maschine, und wenn die Schraube frei lief, so bebten seine Flanken. Droben trillerte der Sturm in den Tauen, die Sturzseen klatschten und dann tropfte und rieselte es an der Luke. Dicht an meinem Ohr prallten die Wassermassen wie Rammklötze gegen die Wandung. Zwei Finger breit und da draußen war das Meer. Ich sah durch das Guckfenster wie es mit geschliffenen Äxten und gezackten, blanken Schwertern auf den „Arbeiter“ einhieb. Das Glas war pechschwarz, wir waren unten, ein Klumpen großer glotzender Augen hing am Glas, ein weißes, aussätziges Gesicht starrte herein, ich sah das Licht des Leuchtturms und die Gischtkämme, wir waren oben.
Poupoul leckte mir die Hand und wedelte mit dem Schwanz. Er freute sich. Er glaubte, wir seien auf hoher See und morgen werde er an Deck gehen um fliegende Fische anzubellen. Ich plauderte ein wenig mit ihm.
Da erwachte Yann. „Haha, und jetzt bist du hier, bist Kapitän,“ fuhr er in seinem Gespräch fort, „und hast eine silberne Uhr für dreißig Franken in der Tasche. — Hast du alles ausgetrunken? Vorwärts!“
Er hatte zehn Minuten versäumt und sie mußten nachgeholt werden. Im übrigen hatte er recht, man mußte trinken. Wenn man nur einen Augenblick nachgab, wurde man tödlich seekrank.
Yann holte nun aus einem Kästchen seine berühmte Zitronenessenz, die er in den Kognak träufelte. Die Mischung nannte er Punsch. Dieser Punsch war von unwiderstehlicher Wirkung und gerade das war Yanns Absicht. In der Tat genügte ein Tropfen dieses Elixiers um einen Liter Wasser in eine starke Zitronenlimonade zu verwandeln. Die Essenz stammte aus einem Schiffbruch und war meines Erachtens für die Parfüm- und Seifenfabrikation bestimmt.
Wir stürzten uns abermals in Debatten, wurden laut und hitzig, und behandelten jetzt überhaupt nur noch Gegenstände, von denen wir beide gar nichts verstanden.Aber täuschten wir uns nicht ein wenig, Yann? Sprachen wir nicht so atemlos um die Angst zu verbergen, die tief innen in unserem Herzen nagte? Hatten wir nicht, während wir redeten und sorglos taten, immerfort den einen Gedanken: wenn die Ketten reißen —? Dann begannen wir fürchterlich zu lügen. Auch darin war Yann nicht zu schlagen. Er fing sogleich an zu spurten. Nun war er auf jener Sprosse angelangt, auf der er sich gewählter, kunstvoller und gedrechselter Redewendungen bediente: das ist ganz den Umständen angemessen, das ist von keiner tieferen Bedeutung, primo, secundo. Er erzählte eine schauerliche Geschichte von der „Pacifique“, einem Dreimaster ohne Steuer, ohne Maste, Segel und Wind. Und ohne Nahrung. Sie hatten das Los geworfen und zuerst den Steuermann verzehrt, dann den Küchenjungen, dann —