Am nächsten Sonntag nach dem Kirchgang traf ich sie wieder bei Noel. Sie kaufte Wolle ein für Amoriks Strümpfe und die Wahl unter all den bunten Strängen wurde ihr schwer. Endlich entschied sie sich für himbeerfarbene. Dann wühlte sie in allerlei Kram und zog eine schmale Spitze hervor.
„O, wie hübsch sie ist. Für die Haube!“
„Ein halbes Meter. Zehn Sou!“
„O!“ Yvonne warf die Spitze auf den Ladentisch. „Was denkst du, so reich bin ich nicht!“
„Gib mir die Spitze,“ sagte ich und legte zehn Sou hin. Da aber fühlte ich, daß mich jemand ansah, und ich wandte mich um: Rosseherre stand hinter uns. Mit ihren gelben Haaren, den schmalen Wangen und vielen Sommersprossen, welk sah sie aus trotz ihrer Jugend — „Guten Tag, Rosseherre“ — aber sie war schon gegangen.
„Nun, Yvonne, willst du die Spitze haben?“
„Nein, ach nein!“ Aber als ich sie recht hübsch bat, nahm sie doch das kleine Geschenk an.
Ich ging nach Creach. Es wurde Abend. Kahl und nüchtern stand der Leuchtturm inmitten der kleinen Hütten in der Heide. Jemand ging oben auf derGalerie und pfiff, und das Pfeifen klang klar wider in der dünnen Luft.
„Guten Abend, Yvonne!“ Yvonne stand am Fenster und helle Lichter glänzten auf ihren braunen Wangen. „Ein schöner Abend? Wie warm der Wind ist! Willst du nicht ein wenig herauskommen zu mir?“ Yvonne trat zurück und ihr Gesicht wurde ganz dunkel. Ihre Zähne blinkten matt. Gewiß knisterten ihre pechschwarzen Haare, wenn man sie anfaßte. Yvonne lächelte und schüttelte den Kopf.
Da rief man mir. „Vater ruft dir!“
Amorik beugte sich oben über die Galerie und winkte. Ich stieg die Schneckentreppe hinauf in den hallenden Schlot. Amorik, der Einäugige, nahm die Tücher von den Scheiben und die untergehende Sonne zersprang in den Linsen und Segmenten dieses blitzenden kristallenen Spielzeugs zu tausend farbigen Feuern. Gleißende blaue und gelbe Dolchbüschel stachen nach mir, scharfe rote und grüne Sicheln zerschnitten mir die Augen. Die Insel unter uns war schon dunkel und die Klippen schwarz. Drüben an der fernen Küste zuckte ein Feuer empor — immer als ob es sich strecke — irgendein eisernes Gespenst, das in der Brandung stand und sein Auge rollte. Die Kerze knisterte, der Lichtbogen sprang über, Amorik schaltete den Apparat ein, und das glitzernde Spielzeug begannsich geräuschlos zu drehen und schleuderte seine vier Strahlengarben über unsere Köpfe hinweg übers Meer hinaus. Man konnte nicht hineinsehen ohne zu erblinden. Nun blinzelte und funkelte an der Küste ein Dutzend weißer, roter und grüner Feuer, der Schmuck der großen Kokotte Frankreich blitzte in der Nacht.
Amorik saß auf einem kleinen Schemel und sein linkes Auge wachte. Wo hast du dein Auge verloren, grauer Amorik? He, der Wind kam und blies und sagte: ich bin der Wind, und blies es dir aus der Höhle? Nein, während eines Sturmes war ihm eine Segelsparre ins Auge gefallen.
Mit seinem feinen Lächeln saß Amorik da und sein Gesicht war gesättigt mit der Güte jener Menschen, die einsam in der stillen Nacht wachen und schweigen. Und wo konnte man einsamer sein, als unter der gleißenden Mühle?
Ich trat auf die Galerie. Der Nachtwind legte mir die Kleider glatt an den Körper und zerrte an meinen Augenlidern. An den Scheiben tanzten große Falter und Myriaden von Milben und bohrten sich wollüstig ins Licht. Wie rotierende weißglühende Fontänen schossen die Strahlengarben in die Finsternis empor und hinaus, dreißig Seemeilen weit und mehr. Die Insel war vollkommen schwarz, mattschwarz,und glänzendschwarz war das Meer und bewegte sich.
Ein grüner Funke wanderte nach Norden. Sie wußten, das ist Creach, in vier Stunden sind wir im Kanal, in zwanzig, in fünfzig Stunden zu Hause. Noch nach fünf Stunden würden sie uns sehen.
Wir wachten und wechselten dann und wann ein kurzes Wort. Amorik hatte es längst verlernt zu reden.
Im Falle Nebel kommt, werden wir den kleinen Hebel öffnen und die komprimierte Luft wird im Schalltrichter brüllen. Aber es kam kein Nebel, die Nacht war übersät mit Sternen.
„Nun, gute Nacht, Amorik.“
„Du gehst?“
„Ja, ich bin müde.“
„Bist du noch wach, Yvonne, so tief in der Nacht?“
Yvonne stand im dunkeln Fenster und lächelte. Sie wußte alles und doch war sie ein junges Mädchen.
„Komm heraus, Yvonne. Nicht? Yvonne, so reich mir doch die Hand heraus. Kenavo, Yvonne!“
„Kenavo!“ flüsterte sie.
„Yvonne, mache nochmals auf!“
„Ja?“
Ich nahm die kleine silberne Kette aus der Tasche und warf sie ins Fenster. Ich hörte wie sie auffiel. Ich sagte nichts und ging.
Einige Tage später saß ich auf dem Stein vor meinem Hause. Ich legte die Hand darauf und siehe, sie wurde immer noch weiß: das war das Salz, von all dem Spritzwasser der großen Stürme. Ich saß und sonnte mich und hatte friedliche Gedanken im Herzen. Da kam ein Mädchen über die Heide. Sie sah aus, als suche sie etwas. Sie blieb stehen, dann kam sie geradeswegs auf mich zu. Ist es —? Nein, sie hatte helles Haar.
„Du bist es, Rosseherre!“ sagte ich und stand auf. Ich war so kühl im Herzen und auch mein Blick war kühl. Der Sturm ist gekommen und hat mich in eine ferne Gegend geweht, Rosseherre, ich wohne nicht mehr hier. Poupoul dagegen gebärdete sich ganz närrisch vor Freude und sprang mit der Zunge nach Rosseherres Gesicht.
Rosseherre sagte nichts. Sie wehrte Poupoul ab und sah mich an.
„Wo bliebst du so lange, Rosseherre?“ fragte ich lächelnd.
Rosseherre sah mich an. „Die Zeit wird dir nicht lang geworden sein —,“ stammelte sie. Das Blut stieg ihr ins Gesicht und ihre Augen wurden dunkelund hart. Dann lächelte sie verächtlich und ihr Blick flammte auf. Sie zog etwas aus dem Mieder und warf mir meine zwei Ringe vor die Füße.
„Ich brauche deine Ringe nicht!“ stieß sie hervor und wurde bleich. „Gib sie Yvonne! Auch dein Geld will ich dir bringen —“
Ich mußte lachen. Rosseherre war eifersüchtig, seht an. Rosseherre, Rosseherre, was fällt dir ein? Dachtest du, ich würde mich auf ewig vor deinem Herzen vor Anker legen? Weißt du nicht, daß ich unterwegs bin in den großen Jagdgründen des Lebens, heute da und morgen dort, und immer in einem leichten Zelte unter den Sternen schlafe? O, Rosseherre, ich werde mir erst ein festes Haus bauen, wenn ich vor Gichtbeulen nicht mehr stehen kann und die Langeweile mich zwingt meine Memoiren zu diktieren.
Ich sah Rosseherre an und schüttelte lachend den Kopf. „Du wirst doch nicht töricht sein, Rosseherre,“ sagte ich, „die Ringe gehören dir, ich hebe sie nicht auf. Sprich auch nicht von den paar Franken, die ich dir geliehen habe. Wie sonderbar du doch bist!“
Rosseherre aber bebte vor Zorn. Sie schrie laut und wütend, aber ich verstand kein Wort, denn sie sprach Bretonisch. Schließlich schüttelte sie mich am Rock, so sehr vergaß sie sich. Poupoul kläffte und knurrte und machte sich zu meiner Verteidigung bereit.
„Höre endlich auf, was schreist du denn, so, Rosseherre!“ sagte ich barsch, und da ich sprach, wie man auf der Insel spricht, kam Rosseherre sofort zur Besinnung.
„Ich sage nichts mehr,“ fuhr sie auf französisch fort, „du kannst ihr ruhig Ketten schenken und was du willst — ihr — hohoho — mit allen Matrosen hat sie es —“
„Yvonne?“
„Ja, Yvonne!“
Ich lachte. „Yvonne! Haha! O nein, die hat es nicht mit allen Matrosen.“
Rosseherres Augen kochten. Ihre Lippen wurden ganz weiß. „Willst du damit sagen, daß ich es mit allen Matrosen habe?“
„Sagte ich ein Wort —?“
„Und wenn du es auch gesagt hast, ich kann vor der Mutter Gottes beschwören, daß ich nie einem andern gehörte als Yann. Und Yann wird mich heiraten. Aber Yvonne — nein, laufe ihr ruhig nach — jeder Mensch auf der Insel kann dir sagen, daß sie mit sechzehn Jahren ein totgeborenes Kind gehabt hat — sie ist nichts als Schmutz!“
Gott stehe mir bei! Ich lachte. „Rosseherre, was sagst du doch — Yvonne — hahaha?“
„Es ist so, wie ich es sagte — nun, du wirst esnoch bald genug erfahren — Hunde seid ihr Männer, Hunde! — warte nur, bis sie dich bestiehlt — und was für Worte hast du mir gegeben — Lügner, Lügner!“
„Höre, Rosseherre,“ sagte ich und berührte ihren Arm um sie zu beruhigen, „du hast ja Yann, nicht wahr, es ist besser so!“
Rosseherre wich zurück. „Ja, ich habe Yann,“ entgegnete sie, „das ist wahr, und obwohl er nur ein einfacher Seemann ist, ist er mir doch tausendmal lieber als du.“
„Das glaube ich gern.“
„Tausendmal!“ wiederholte Rosseherre und sah mich voller Haß an. Ihre Augen waren so gelb im Sonnenlicht wie die einer Katze. „Du kannst ruhig zu Yvonne gehen, du bist so schlecht wie sie — hoho — und du glaubst vielleicht, daß ich eifersüchtig bin — o nein —“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und ging.
„Rosseherre!“ rief ich.
Aber sie fing an zu laufen. Dann blieb sie plötzlich stehen und lachte schallend: „Du bist ja ein Narr — hahaha! — ein Narr!“ Und wieder lief sie.
Ich sah ihr nach. Wie rasch sie lief, wie sie flatterte. Ihre Gestalt versank und ich sah nur noch ihre weiße Haube über die Heide gleiten — so rasch.
Nun, zuweilen war es an mir so zu laufen, nun war es an ihr, die Zeiten haben sich geändert.
Wie rasend sie war, welch ein Haß in diesem gelben Irrwisch steckte! Gott erbarme sich meiner, sie hatte mich übel zugerichtet, keinen guten Faden hatte sie an mir gelassen.
Ich ging über die Heide, nach Creach. „Poupoul, sprich!“ sagte ich zu Poupoul, der schon wieder alles vergessen hatte. „Sprich die Wahrheit, dir, einem Tier, wird es leichter fallen gerecht zu sein als uns Menschen: haben wir nicht oft gesehen, wie die kleine weiße Haube in der Nacht zum ‚Arbeiter‘ hinüber ruderte, und haben wir jemals ein Wort gesagt? Und sie — he, Poupoul, sprich die Wahrheit!“ Und wieder mußte ich lachen: wie schnell sie lief, obschon ihr doch niemand folgte!
Nein, Rosseherre war nicht gut auf mich zu sprechen. Auch Yann sagte es mir, als er am andern Tag zu mir kam. Tiens, tiens, wie böse sie auf dich ist!
Am Morgen war ich draußen gewesen und hatte einen schweren, dicken Fisch gefangen, eine fette Kafferntante. Toll vor Wut hatte sie mich angefunkelt, als ich sie aus dem Wasser zog. Nun aber lag sie da und die Schuppen flogen. Meine Kafferntante war ein gefräßiger Klumpen mit dummen goldenen Glotzaugen und hämischen fahlen Negerlippen, zwischen denen die spitzen porzellanweißen Zähne grinsten. Hinten am Rachen hatte sie ein zweites Gebiß, ein Reibeisen aus flachen Zähnen. Ihr fetter Wanst war von einem schleimigen, dicken Netz überzogen, das schildkrotfarben und morchelähnlich war und ihr erlaubte, getrost drunten in den Tangwäldern zu stehen ohne gesehen zu werden. Hatte ich jemals etwas ähnliches an Habgier, Gefräßigkeit und Gemeinheit gesehen? O, jawohl: Menschen! Oft sah ich gleich ein ganzes Dutzend porträtähnlicher Exemplare beisammen. Hätte ich euch hier — unter meinen entblößten Armen und blutigen Händen, es wäre mir ein Vergnügen —
Da kam Yann. Er schleppte einen großen irdenen Topf, und das bedeutete, daß wir eine seiner berühmten bretonischen Suppen kochen würden.
Yann war in vorzüglicher Stimmung und ich sah ihm sofort an, daß etwas besonderes vorgefallen sein mußte.
Nachdem er mir ein Kompliment gemacht hatte über die schwere Kafferntante, griff er in die Brusttasche: „Willst du etwas sehen, he?“
„Was gibt es?“
„Nun, willst du etwas sehen?“ wiederholte Yann und blitzte mich mit den hellblauen Augen an.
„Laß sehen!“ erwiderte ich neugierig.
Yann ließ den Rand eines großen Briefes erscheinen. Er zupfte daran und die Ecken von Banknoten wurden sichtbar. Eins, zwei, drei — fünfhundert Franken!
Ich riß die Augen auf und starrte Yann an.
Dann zog Yann den Brief heraus und überreichte mir mit einer großartigen Geste das Schreiben.
Es war von der englischen Gesellschaft, der die „Indiana“ gehört hatte.
„Jeder meiner Matrosen hat hundert Franken erhalten!“ sagte Yann. „He, wie höflich sie schreiben, wie? Und sieh das Kuvert an: es ist mit Leinwand ausgeschlagen, hast du je solch ein Kuvert gesehen?“
Ich sah das Kuvert von außen und innen an. „Nom de pipe!“ sagte ich.
Yann richtete sich stolz auf und sandte einen kühnen Blick übers Meer. „Es ist wie ein Geschenk vom Himmel. Pro Kopf über sechzig Franken! Ja, was kann ich jetzt tun?“ Und Yann sah mir in die Augen. „Jetzt kann ich tun, was ich will, siehst du!“
Über Nacht war er reich geworden.
„Wenn du nun Geld brauchst,“ fügte Yann hinzu, „du brauchst nur ein Wort zu reden“ — und er hielt mir zwei-, drei-, vierhundert Franken hin — „du bist mein Freund und kannst soviel haben wie du willst.“
Yann war doch ein prächtiger Bursche!
Dann stürzte er sich in die Arbeit. Er warf den Kittel weg, rückte die Mütze ins Genick und stülpte die geschwärzten Hemdärmel auf. In dem Topf befanden sich Kartoffeln, Gemüse, Kraut und Rüben, ein Klumpen graues Fett, grease bretonne, eine Flasche Kognak und ein rundes Paket. Er wusch, schabte, schnitt, machte Feuer an. Da der irdene Topf einen Sprung hatte, holte er rasch Erde, knetete sie und verschmierte den Riß, eins, zwei —
Dann öffnete er das sorgfältig verschnürte, runde Paket. „Und hier ist ein kleines Andenken, mein Freund!“ sagte er.
Es war eine Teekanne aus weißem Porzellan mit billiger Goldverzierung.
Yann stand mit gespreizten Beinen und sah mich vielsagend an. „Nun?“
„Nun, sie ist hübsch.“
Yann lachte höhnisch und betrachtete die Teekanne mit spöttischen Blicken. „Das ist sie,“ sagte er, „das ist die berühmte Teekanne von der ‚Charlotte‘! Und diese meineidigen Hunde schworen seinerzeit, ich hätte eine silberne Teekanne mit Goldeinlage gestohlen! Haha, was sagst du dazu?“
Ich sah Yann an und lachte.
„Nun, willst du sie, diese silberne Kanne?“ fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, Yann, merci. Ich will nichts besitzen, was man nicht in die Tasche stecken kann, verstehst du?“
„Bien!“ Yann nahm die Kanne und warf sie in weitem Bogen in die Klippen, wo sie zerschellte. „Au revoir!“
Darauf zog er eine Uhr aus der Hosentasche. „Drei Uhr,“ sagte er nebenhin, „um acht ist die Suppe fertig.“ Ich aber sah die Uhr kaum an und so hielt sie mir Yann dicht unter die Nase. „Ja, genau drei Uhr!“ Da fiel mir die Uhr auf. Sie war aus Gold und hatte einen Springdeckel, so etwas! Diese Uhrwar dreihundert Franken wert und das Geschenk eines Pariser Bekannten.
Ich staunte und schüttelte den Kopf. Yann ließ mich ins Werk hineinsehen, wo es tickte und schwang.
Dann zeigte er mir, daß er die Hosentasche mit Putzwolle ausgestopft hatte, damit die Uhr nicht beschädigt werde.
„Warum hast du dir denn von dem Pariser Freunde nicht lieber Schiffsinstrumente schenken lassen, Yann?“ fragte ich arglistig, nachdem ich mich von meiner Verblüffung erholt hatte.
Yann zog das Augenlid mit dem Zeigefinger herab. „Eh!“ rief er aus. „Warum? Wie kann ein Mensch so dumm fragen? Man hätte behauptet, ich habe die Schiffsinstrumente von der ‚Charlotte‘ gestohlen.“
Die Uhr war gut. Yann hatte keinen schlechten Tausch gemacht!
Ich mußte lachen: Yann, Yann, wie soll man klug aus dir werden? Wie oft hast du mir jene Geschichte von der „Charlotte“ erzählt, da sie dich so frech verleumdeten, und ich hatte Mitleid mit dir! Wie oft standen deine treuen Kinderaugen voller Tränen und lachtest du höhnische Triller: Ich, ein Dieb? Ich?
Hahaha! Yanns Seele war derartig mit Ehrlichkeit imprägniert, daß sie den Verdacht des Diebstahlsentsetzt zurückwies. Nie, nie würde Yann glauben, daß er gestohlen hatte, selbst mit der Kanne vor Augen und der goldenen Uhr in der Tasche nicht, niemals, er war zu ehrlich dazu.
Unsere Suppe mußte fünf Stunden über langsamem Feuer kochen, und so hatten wir Zeit ein wenig zu plaudern. Wir saßen vor dem Hause auf dem Boden und Yann goß aus der Flasche ein, die er — ein reicher Mann — mitgebracht hatte.
Plötzlich lachte er laut heraus. „Was in aller Welt hast du denn Rosseherre getan?“ rief er aus. „Tiens, tiens, wie wütend sie auf dich ist.“
„Nichts habe ich ihr getan.“
„O, sie ist nicht gut auf dich zu sprechen, mein Freund!“ fuhr Yann fort. „Du hast ein Auge auf Yvonne Amorik geworfen — sie ist Rosseherres beste Freundin gewesen, trotzdem — wer kennt sich mit diesen Frauenzimmern aus! Hast du Yvonne nicht eine Kette geschenkt? Hoho, ist es so? Und was glaubst du, was Rosseherre mich fragte? Hehe — was glaubst du?“
„Nun?“
„Sie fragte mich, ob ich dich töten könnte.“
„Hallo!“
„Ja, haha, so verrückt sind diese Weiber, wenn sie eifersüchtig sind.“
„Und, Yann, was hast du ihr geantwortet?“
„Ja, habe ich gesagt, warum nicht? Ich wollte sie bei guter Laune haben.“
Ich pfiff durch die Zähne und lachte.
Auch Yann lachte. Er lachte mit der heiteren Sicherheit eines Liebhabers, dessen Rivale endgültig ungefährlich geworden ist. „Ich habe ihr sogar versprochen dich zu töten,“ sagte er, „dann wurde sie demütig und gefügig wie ein kleiner Hund!“ Yann brach ab und zog mit erstaunter Miene einen Ring zwischen den Gräsern hervor. „He, was ist das?“
„Hier ist der andere, unter dem Stein,“ antwortete ich, „sie hat mir die Ringe zurückgebracht.“
Yann steckte die Ringe in die Tasche. Er schüttelte ärgerlich den Kopf. „So ein verrücktes Frauenzimmer, he! Ich werde ihr die Ringe geben, wenn sie vernünftiger geworden ist.“
„Also, du hast ihr versprochen —?“
„Ja!“ sagte Yann lachend. „O, sie war so verrückt, sie verweigerte sich mir — sie machte eine Bedingung daraus, hahaha — aber sie hat mir keinen Termin gesetzt — das hat sie vergessen. Ich gebe dir noch viele Jahre Zeit, mein Freund! Keine Eile!“
Dann sprachen wir von etwas anderem und Rosseherres Name wurde nicht mehr erwähnt.
Die Suppe war fertig. Yann schnalzte mit derZunge, solch eine Suppe! Er schlürfte voller Entzücken die beiden Augen meiner Kafferntante. Wir saßen und schmausten, wir drei, Yann, Poupoul und ich. Die Türe stand offen, und draußen dröhnte das Meer.
Eine Stunde lang fuhren wir mit den Löffeln in den Topf hinein, bis wir uns nicht mehr regen konnten. Der Topf aber war noch lange nicht leer, wir aßen stets zwei, drei Tage daran. Dann setzten wir uns vor der Türe in die Heide und tauchten.
„Spiele ein kleines Lied,“ sagte Yann, „gerade jetzt, wo es dunkelt —“
Ich spielte. Aber während ich die kleine Flöte schwang, schielte ich zu Yann hin: da saß er, die fünfhundert Franken in der Hand und sah hinaus aufs Meer und träumte.
Es wurde Nacht und wir gingen ins Haus zurück um ein Gläschen zu trinken.
Yann breitete seine Banknoten aus, er ließ unendlich oft den Springdeckel der Uhr springen. Er strahlte vor Glückseligkeit. Ein wenig später aber legte er die Uhr unter den Holzschuh und trat ein wenig darauf um zu sehen, was die Uhr aushalte. Knax, das Glas sprang. Aber deshalb ist die Uhr doch noch nicht kaputt, wie, hahaha! Er nahm die Banknoten, machte eine Kugel daraus und ließ sievon Poupoul apportieren. Dieses Geld, pfui, man sollte es einem Hund zum Fressen geben, man sollte es ins Feuer werfen!
Yann führte einige seiner Kunststücke vor. Er holte eine Münze aus einem Teller voll Wasser, ohne sich auch nur die Fingerspitzen zu netzen. Das vollführte dieser Tausendsasa vermittels heißer Luft in einem Weinglas.
Er schüttete sich Kognak in die Kehle und erzählte von der Seeschlange, die er in der Südsee gesehen hatte. Dabei entblößte er den Arm, spitzte die Hand zu und bewegte sie im Gelenk; genau so reckte sich die Seeschlange aus den Fluten und sagte: Guten Morgen, Yann aus Roskoff! Und in den Molukken gab es ein Meer, das schwer wie Blei war; fuhr ein Schiff hindurch, so blieb das Kielwasser eine ganze Woche lang stehen.
Haha! O Yann!
Es war tief in der Nacht, als wir uns trennten. Yann glättete die Scheine und zählte sie zweimal — ob er nichts vergessen habe, immer noch suchte er mit den Augen auf dem Boden. Er war eine einfache Natur und konnte es deshalb nicht unterlassen mich dutzendmal seiner ewigen Freundschaft zu versichern.
„Wegen eines verrückten Frauenzimmers werdenwir uns nicht verfeinden!“ sagte er und sah mich mit Tränen in den Augen an. „Wie?“
„Das fehlte noch, Yann!“
Yann preßte mir die Hand.
„Noch eines, Yann. Ist es wahr, daß Yvonne es mit allen Matrosen hält und mit sechzehn Jahren ein Kind hatte?“
„Tiens!“ lachte Yann. „Wie kann jemand solch eine Lüge ersinnen!“
Das Meer lockte mich. Ich sah es an und es winkte mir mit seinen tausend Händen. Ich wurde krank im Herzen, wenn ich die Dampfer draußen in hoher See sah — denn ich war nicht an Bord, hinaus!
Tag für Tag arbeitete ich draußen auf dem Meere. Wir fischten in dieser Zeit einen meterlangen, aalförmigen Fisch, congre, der sich in großen Tiefen aufhält. Die Leinen waren ordentliche Seile und so lang, daß sie das ganze Boot ausfüllten. Der Fisch aber war wie von Teufeln besessen und man mußte ihn augenblicklich abschlachten. Die Sonne röstete mich. Mein Gesicht, mein Nacken und meine Brust, meine Arme und Hände wurden kupferrot und an manchen Stellen schwarz wie Ruß und die Haut löste sich in großen Stücken ab. Meine Haare verfilzten und fielen aus, meine Augen entzündeten sich vom Salz, meine Stimme wurde rauh und heiser wie die der Fischer. Ich sprach auch dasselbe heulende Französisch der Bretonen, das selbst Franzosen schwer verstehen. Und, gehe in die Hölle, ich hatte es gelernt zu fluchen und die Faust zu ballen!
Wenn das Wetter schlecht war, so verständigte ich mich mit Jean Louis. Für eine Flasche eau de viefährt der Meerkönig, wann du willst. Ganz allein zogen wir in unserem winzigen Boot hinaus, während die großen Langustiers an ihren Ketten rissen. Wir hatten stets Glück.
Das Meer sang und jubelte. Oft tobte es verführerisch in der Nacht vor meinem Hause und ich erwachte. Der Regen peitschte ans Fenster und der Wind schrie.
„Hallo! Pilot! Kedril! Hallo!“
„Was gibt es?“
„Ich möchte fahren, Pilot!“
„Fahren? Wohin? Jetzt?“
Ich lachte. „Ja, hinaus! Eine kleine Spritztour. Du sollst es ja nicht umsonst tun!“
Kedril steckte den Kopf durch das Guckfenster. „Hörst du das Meer? Wir kommen keine hundert Meter weit.“
„Ich biete dir zwanzig Franken. Zwei Seemeilen über die Bai hinaus!“
Kedril kam halb angekleidet heraus und klapperte ans Meer. Er hob mit einer plumpen Gebärde die Hände.
„Ich biete dir fünfzig Franken für eine Stunde!“
Kedril sah mich an und ging in sein Haus.
„Hallo! Pilot!“
Aber Kedril antwortete nicht mehr. Und ich sah mit heißen, trockenen Augen übers Meer.
In diesen Tagen sah ich einmal auch Rosseherre.
Eines Abends kam ich mit Jean Louis zurück und als wir anlegten, stand Rosseherre am Kai. Sie hatte einen kleinen runden Korb in der Hand und zeigte ihn Jean Louis.
„Crevetten!“ Sie lachte. Sie sah mich nicht an, aber plötzlich wurde sie dunkelrot, denn sie fühlte meinen Blick.
„Hühü!“ lachte Jean Louis und stieg aus.
Da wandte mir Rosseherre den Blick zu und sagte lächelnd und etwas scheu: „Wollen Sie Crevetten haben, monsieur?“
„Danke,“ sagte ich kühl.
Da flammten Rosseherres Augen auf und sie schleuderte den Korb mit den Crevetten ins Wasser und lief fort.
„Hühü, was hat sie denn?“ lachte Jean Louis täppisch.
In den folgenden Tagen ereigneten sich einige Dinge, die ich wenig beachtete und erst später verstand.
Einmal kam ich nach Hause und sah zu meiner Überraschung jemand unter der Türe stehen. Es war Noel, der Kaufmann. Ich kam näher und siehe da, der Maire erschien neben Noel in der Türe. Beide waren verlegen.
„Was gibt es?“ sagte ich.
Noel sah den Maire an und der Maire sah Noel an.
„Wir sind bei Ihnen eingebrochen,“ sagte Noel lächelnd.
Ich richtete mich auf. „Sie sehen mich überrascht, mein Herr!“ sagte ich.
Wieder tauschten die Biedermänner Blicke.
„Die Wahrheit zu sagen,“ begann der Maire, „es lief eine Anzeige bei der Mairie ein. Man hat behauptet, du seist ein Spion, der die Insel auskundschaftet.“
Ich lachte laut auf. „Ich bezahle auf der Stelle tausend Franken,“ sagte ich, „wenn ihr einen Strich oder eine geschriebene Zeile bei mir findet!“
„Nun ja, wir taten unsere Pflicht!“ Und die begossenen Pudel gingen.
Ein paar Tage später bemerkte ich, daß kein Wasser in der Tonne war. Es hatte in den Nächten heftig geregnet, aber im Faß war kein Tropfen Wasser. Ich untersuchte die Tonne, ja, sie war leck. Am untern Rand war eine Daube beschädigt. Poupoul beschnupperte einen Stein, der neben der Tonne lag. Aber das fiel mir erst später auf.
Ich dachte an nichts.
Es kamen trübe und mutlose Tage. Sie sahenaus wie die Gesichter Verzweifelter, die dahingehen ohne Ziel und zuweilen stehen bleiben um sich auf etwas zu besinnen, was ihr kranker Kopf längst vergessen hat.
Das Meer warf sich stöhnend hin und her. All die irrenden Wellen — sie waren Menschen, Tausende und Tausende von Menschen, die dahin gehen und dorthin und untergehen und niemand hat gesehen, wann und wo. Nicht so! Laß den Sturm kommen, den gewaltigen, denn herrlich ist ein wilder Tod. —
Die Fischer fuhren nicht hinaus. Auch Jean Louis nicht. Ich konnte mit harten Talern in der Tasche klimpern, der Meerkönig blieb taub.
„Ich habe Furcht!“ heulte er.
„Wenn du schon Furcht hast, Meerkönig —!“
Ich strich über die Insel, eine Falte in der Stirn und lauschte auf das Toben des Meeres. Als stände ich in der Mitte eines Wasserfalls, so klang es. Der Himmel war voller Schmutzund Unrat und trübe Wolkenfetzen hingen senkrecht aus ihm herab und schleiften über Insel und Meer. Die Falte in meiner Stirn wurde tiefer. Ich ging nicht nach Creach. Nein. Yvonne — ich hatte keine törichten Gedanken im Herzen. So kam ich nach Stiff in die Markonistation.
Tagelang arbeitete ich hier, so eifrig, als sollteich bald eine entscheidende Prüfung ablegen. Wir sprachen mit grünem Feuer und Ozon zu den Unsichtbaren, wie Geister sich unterhalten. Wie es roch! Wie in den Wäldern meiner Heimat nach Regengüssen.
Herr Boucher handhabte den Drücker und die grünen Blitze sprangen zwischen den blanken Konduktoren und schnarrten und knatterten, zuweilen war der Dampfer, mit dem wir sprachen, ganz nahe und wir konnten seine Rauchfahne am Horizont sehen. Oft aber waren sie fern. „Geben Sie uns bitte Ihren Punkt!“ Trr—trr—tack—tack—trr— das war sein Punkt. Gott stehe uns bei, wo war er? Er war noch westlich von den Azoren. Wir arbeiteten geduldig und ruhig. Manchmal mußten wir eine Frage dutzendmal depeschieren, bis wir verstanden wurden. Seit zwei Tagen suchten wir uns mit einem Dampfer zu verständigen, an dessen Bord sich Mr. William Finch befand. „Ihr Koffer folgt mit dem nächsten Schiff.“ Trr—trr— „Ihr Koffer folgt mit dem —“ Immer, wenn Herr Boucher eine freie Viertelstunde hatte, jagte er diese Depesche in die Luft. Zuweilen wurde die Verbindung plötzlich durch Gott weiß was unterbrochen und erst Stunden später hörte man uns wieder. All die kleinen Worte, die durch die Luft schwirrten! Wir sandten täglich einige Säcke Küsse übers Meer. Wirwaren diejenigen, die Herrn Schmidt, Edgar Schmidt, tausend Seemeilen entfernt, in einen Freudentaumel versetzten, da wir ihm mitteilten, daß seine Frau Anna mit den Kindern im Hotel de Commerce in Cherbourg ihn erwarte. Er sitzt im Rauchsalon, dieselbe zerlesene Nummer der Fliegenden Blätter in der Hand, und sieht gelangweilt durch das kleine Fenster, wie die Reling sanft steigt und fällt, der Streifen Meer wird schmal, breit, seit Wochen schrumpft und wächst dieser Streifen: Herr Schmidt, Herr Schmidt! Siehst du, wie es ihn trifft? Zum Teufel, mein Hut! Trr—tack—tack— wie rasch er gewesen ist! „Bin gesund und wohlauf.“ Sonst fiel ihm in der Eile nichts ein.
Dann nahm Herr Boucher den Stahlbügel mit der Hörmuschel über die Glatze und lauschte auf das Ticken und schrieb die Worte nieder. Wir konnten alles hören, was Lizard den großen Amerikadampfern telegraphierte, die jeden Tag eine Zeitung drucken. Auf diese Weise waren wir von allem unterrichtet, was die Welt beschäftigte, ja wir erhielten die Neuigkeiten sogar früher als die Zeitungsleser. Die Könige da drüben räusperten sich in ihren verrosteten Rüstungen und wir hörten es. Wir hörten das große Feuer prasseln, das in den Wäldern Südrußlands wütete. Wir hörten den Lärm der Börse, die Papiere fielen, o, pfui Teufel!
Herr Boucher schrieb und ich übersetzte — denn ich fungierte hier als Übersetzer. Herr Boucher las zwar fließend die Klassiker der großen Sprachen, von der Umgangssprache aber verstand er kein Wort.
Es war sehr still bei uns. Die Drähte unserer Empfangsmaste schwangen und klirrten und der Wind schleifte über die öde Heide. Drei unserer kleinen Ratten, die in der Station hausten (es waren siebzehn), spielten vor der Türe. Das Meer aber wusch. Sobald es dunkel wurde, erbleichte die Heide wie im Mondlicht, zweimal, dann brannte sie einmal rot wie glühendes Moos. Das war das Feuer von Stiff. Wenn Herr Boucher hinaus ging um Luft zu schöpfen, so sah er zweimal wie ein kalkweißes Gespenst aus und dann verwandelte er sich in einen roten Dämon.
Trr—trr—tack—tack — Herr Boucher saß und schrieb die Worte nieder. Es war ein schwaches Echo der großen Trommel Europa, das zu uns herüberdrang.
Schluß. Lizard hatte nichts mehr zu sagen.
Spät in der Nacht kam ich nach Hause. Noch im Traum telegraphierte ich. Children all well. Much love. Grace. Die Funken knatterten. Und der Empfänger tickte: Am 21. 39° 12’ 44° 8’ 10" zwei Eisberge gesichtet. Pennsylvania. Da schlug Poupoul an. „Schweig doch!“ sagte ich. Poupoul leckte mirdie Hand und winselte. Dann hörte ich ihn an der Türe schnuppern. Ich schlief wieder. Gleich darauf weckte mich Poupoul abermals. Er schlug laut und zornig an.
Ich lauschte.
Draußen knisterte und raschelte es. Es war mir, als röche ich Rauch. In diesem Augenblick donnerte es und ein Gewitterregen ging prasselnd nieder.
„Es regnet ja nur, Poupoul!“ sagte ich. „Schlafe, alter Schwede!“
Aber am andern Morgen sah ich, daß der Holzstoß vor meiner Türe zum Teil verbrannt war. Die Wand des Hauses war geschwärzt von Rauch. Wäre der Gewitterregen nicht zur rechten Zeit niedergegangen, so stände Sturmvilla wohl nicht mehr.
Ich schüttelte den Kopf. „Solche Leute gibt es hier, sie gönnen dir nicht einmal das Holz!“ sagte ich und spie aus.
In einer Nacht erwachte ich und begann nachzudenken.
Ja, bei Gott, warum mußten meine Augen gerade auf Yvonne fallen, die sich hinter ihrer Jungfräulichkeit verschanzte wie hinter sechszölligen Panzerplatten. Warum war gerade sie anders als die Mädchen auf der Insel, die wenig Umstände machten?
Nun, ich werde zu dir gehen, Yvonne, und dir reinen Wein einschenken, ich werde dir sagen, was ich denke und was ich will und du wirst mir antworten.
Ich stand auf. O, nein, ich hatte gar keine Lust, dem Schicksal aus der Hand zu fressen. Aber es war noch Nacht, eine helle Spalte klaffte im Osten, es war vier Uhr morgens.
Am Vormittag machte ich mich auf den Weg nach Creach — aber da kam Kedril heran und schwenkte eine Depesche: trois bâtiments russes! He, Kriegsschiffe, die nach Brest wollten. Es gab ein hübsches Stück Geld zu verdienen und zwanzig Lotsen von der Küste und den Inseln machten sich auf die Suche. Wir würden natürlich das Geld einstreichen, Kedril und ich!
Vor der Fahrt tranken wir bei Chikel, das ganze Dorf betrank sich vor Aufregung: das große Geld, Gott beschütze mich! Alle Not würde ein Ende haben —
Es gab nun garkeinen Zweifelmehr, daß die Russen uns gehörten. Wie Pilot? Haha, los! Yvonne, nun du bleibst ja hier —
Es war mehr als klar, daß die Panzer auf das Feuer von Creach halten würden, und auf dieser Annahme basierten unsere Operationen. Aber man kann von russischen Kriegsschiffen unmöglich Pünktlichkeit verlangen, sie ließen auf sich warten. Die See tobte und spektakelte, das Großsegel donnerte und der Mast ächzte und kreischte. Kedril lag mit dem Körper gegen das Steuer und brüllte so laut er konnte seine Befehle. Und wir, der Matrose und ich, wiederholten sie brüllend, zum Zeichen, daß wir verstanden hatten, und unter einem unbeschreiblichen Geheul jagten wir durch die nächtigen Wasserschluchten und kletterten wir über die bebenden, atemlosen Wogenketten. Unser Fockmast bohrte sich bis zum Schnabel in die schwarzglänzenden Glasberge, die uns unaufhörlich entgegenrollten, und schaufelte Blöcke von Wasser in die Höhe. Wie ein zerfetztes Banner sah er aus. Die Sturzseen zischten und der Wind trillerte in den Seilen. Irgendwo erschien ein zerfetzter, verwehter Lichtfunke im Süden und wir galoppierten unsere fünf geschlagenenMeilen. Ein lumpiger, verfluchter Frachtdampfer, gehe in die Hölle!
Es wurde nichts mit dem Stück Geld, die trois bâtiments russes waren uns entgangen. Wir betranken uns aus Wut. Wir zitterten vor Erschöpfung — achtundvierzig Stunden lang hatten wir uns mit einer fürchterlichen See herumgeschlagen, ohne einen Bissen über die Lippen zu bringen. Und nichts! Diaul! Hehe! Wie hatte es Mathieu, dieser Satan, nur fertig gebracht — war er ihnen bis zum Äquator entgegengefahren — he, Kedril, Pilot Nummer Eins? Wir pufften uns ein wenig zum Scherz. Was für Hämmer Kedrils Fäuste waren! Wir waren aufgelegt zu einer Prügelei — heran! —
Nun, da bin ich wieder.
„Komm heraus, Yvonne. So reich mir doch die Hand heraus!“
Yvonnes Mund war kühl, aber ihre Wangen glühten. Ihr Haar roch warm wie der Sommer und der Geruch der Heide stieg aus ihren Kleidern. Lichter glänzten auf ihren braunen Wangen und ihrer gewölbten Stirn. Sie war so braun, wie Amorik selbst, der Einäugige.
„Wirst du herauskommen, Maria?“
Sie lächelte. Sie wußte alles, was geschehen würde, wenn sie herauskäme.
„Das nächste Mal will ich herauskommen,“ flüsterte sie.
„Nein, heute, Yvonne!“
„Das nächste Mal!“
Gut.
Ich ging und mitten in der Heide setzte ich mich auf einen Stein. Sie nahm es so heilig, sie war ein Mädchen. Sie bebte und zitterte vor ihrer Stunde. Ich werde warten, Yvonne, ich schwöre dir Geduld zu haben.
Horch! Das ist die Flut. Der Strom donnert. Horch! Ebbe. Es sind Möwen unterwegs. Der Regen prasselte über mein Dach und hoch oben stürzte heulend der Wind dahin. Ich sang. Ich ging hinaus in den Sturm und sang mit lauter Stimme, denn ich fühlte, daß ich lebte. Nebel. Er quoll durch Türe und Wände und mein Tabak wurde feucht. Creach brüllte Nächte lang. Ich ging auf und ab und mein Herz schlug, so oft Creach die Stimme erhob. Draußen antwortete ein Dampfer. Still! Er fuhr zu nahe. Ich trat vors Haus und lauschte mit verhaltenem Atem. Nun heulte er ferner. Es gab keine Gefahr mehr. In einer Nebelnacht hörte ich das Tuten eines Dampfers, der einen vollkommen falschen Kurs steuerte. Er fuhr an der falschen Seite vorüber, die gefährliche Passage de Fromveur, diealle Seeleute kennen. Er fuhr sorglos darauf los, tutete und verschwand, ohne je zu ahnen, wie nahe sein Kiel den Klippen gewesen war. Da draußen gab es Riffe wie Sensen, die nur darauf gelauert hatten ihn der Länge nach aufzuschlitzen.
Wenn die Sonne aufging und all die Halme und Gräser der Heide streifte, so sah die Insel wie bereift aus. Die Vogelzüge kamen aus dem Norden, von Irland und England, und zogen keilförmig über die Insel dahin und verschwanden blitzschnell hinter dem Horizont. Dahinterher kamen stets Trüppchen von Nachzüglern — mochten sie mitkommen oder nicht, es gab hier keine Rücksichten. In den schwarzen Nächten aber sausten die Schwärme den Leuchtfeuern entgegen, die vor ihnen aufblitzten, und ehe der schwirrende Keil schwenken konnte, hatten sich Hunderte von Vögeln die Schädel eingerannt. Die ganze Insel nährte sich in dieser Zeit von Vögeln. Auch ich. Man brauchte nur nach Creach zu gehen und sie aufzulesen. Sie lagen auf der Heide, in den Klippen, überall. Ihre Schnäbel standen ein wenig offen, als hätten sie im Sturz geschrien, runde, graue Kapseln wölbten sich über ihre kleinen Augen, die feucht blinkten. Und wie zart sich die Knochen unter den flaumigen Federn anfühlten!
Poupoul hatte gute Tage.
„Guten Tag, Mathieu! Guten Tag, L’honneur, Petitjean! Guten Tag, alle zusammen!“
„Wir sind herübergekommen zum Fischen, wir wollten sehen, wie es dir geht.“
Sie hatten mich nicht vergessen! Ja, sie waren sogar bis nach Sturmvilla gewandert.
„Nun, ihr braucht ja keine Gläser, so vornehm seid ihr nicht — ah, bei allen Teufeln, Petitjean, du säufst ja die ganze Flasche aus! Sind wir fertig? Erzählt was es Neues gibt! Ihr Hunde, jetzt fällt es mir ein, ihr habt uns ja die drei Russen weggeschnappt, ihr Kerle! Kedril und ich, wir sind fast hin geworden auf dem Meer!“
Der Morgen war frisch und klar. Wie ein einziger tadellos reiner Block von Kristall lag die Luft auf dem Meer. Das Meer leuchtete stahlblau und strahlte einen kühnen Glanz aus und eine blitzende Helle, bebend von intensiven Vibrationen, die das Herz leicht und heiter machten. Am Horizont floß ein Streifen von sattem Ultramarin dahin. Man konnte ihn nicht ohne Verwunderung betrachten. Die nassen Riffe glitzerten in der Sonne. Am Hafen unten standen die Fischer, laut und fröhlich, und warteten auf eineBrise. Ihre frischgewaschenen Gesichter leuchteten rot in der Sonne. Guten Morgen! Guten Morgen allerseits!
Wir ruderten hinüber zum „Kirchturm“. In der Bai stand ein kleines leuchtendes Segel, das war Jean Louis. Immer war der Meerkönig der erste. Es sah aus, als ob es da draußen eine Handvoll Wind gäbe und so zogen wir das Großsegel auf. L’honneur, Petitjean und ich. Ho-hupp, langsam stieg das schwere Tuch in die Höhe und wir lagen mit dem Rücken auf dem Verdeck. Dann spannten sich L’honneur und Petitjean im Nachen vor den „Kirchturm“, ich lehnte mit dem Rücken gegen den Mast und handhabte das fünf Meter lange Ruder — es federte, meine Arme wurden eisenhart — und der massige „Kirchturm“ kroch langsam dahin. Das Großsegel hing schlaff wie ein Gehenkter und zappelte zuweilen ein wenig, das war alles. Kein Wind.
Die Bai war glatt wie Öl. Wo sonst die Brandung wirbelte, kräuselte und wölbte sich das Meer nur ein wenig. Die Klippen blühten wie Kirschbäume in der Sonne und weit draußen schimmerten sie wie Perlmutter. Milchige, sonnendurchtränkte Nebelstreifen schwebten langsam über die Insel, einer hinter dem andern. Ein kleiner Frachtdampfer winselte fern und dann und wann erhob auch Creach auf Minuten sein Gebrüll.
Wir hatten die Bai hinter uns und waren auf dem Meer. Die Matrosen stiegen an Bord und die Arbeit begann. Wir machten die Reusen zurecht. Das waren Weidenkörbe in der Form großer Fliegengläser. Sie hatten nur oben einen Eingang. In der Mitte wurde ein Fisch befestigt, ein halbverfaulter lascher Fisch, dessen Augen schon grau waren, Steine waren am Boden festgebunden. Die Körbe waren schwer und das Blut hämmerte in meinen Schläfen, als ich sie zusammen mit L’honneur über Bord warf. Eine perlende Schaumkrone stieg auf wo sie auffielen, dann sanken sie auf den Grund des Meeres hinab. Sie waren mit langen Stricken versehen, die am Ende Bündel von Korkstücken trugen, damit man sie wieder heraufziehen konnte.
Die Arbeit war getan und wir hatten gute sechs Stunden Zeit.
Der mousse hatte unterdessen Kaffee gekocht und wir saßen rings im Kreise auf dem Deck und tranken ihn aus einem Blechtopf, der Jahresringe von Schmutz, Wein, Kaffee und Kognak hatte. Ich streckte mich in der Sonne aus und bot ihr Arme und Gesicht und die nackten Füße dar. Und ich fühlte, daß ich in der Hitze aufging wie das Brot im Ofen. Das Meer war glatt und durchsichtig wie Eis, mit einem weißlichgrünen Riß da und dort in der Tiefe. Zuweilen kräuselte essich wie Hautfalten und steuerbord zog in der Ferne eine glitzernde Straße vorbei, wie Myriaden kleiner, rascher Fische. Die Möwen schwirrten und Trüppchen von Meerschwalben zogen dahin.
Triii — triii —
Döi — döi — gullugullu gullu — döi.
Eine dreieckige Flosse tauchte auf und etwas atmete, genau wie die Luftbremse einer elektrischen Tram, und strich rasch dahin, gute vier Meter lang. Ein „souffleur“. Er schwamm rasch, atmete noch zweimal, dreimal und war verschwunden. Die Insel lag in der Ferne, wie ein graues schuppengepanzertes Tier, das schreckliche Gebiß lauernd halb unter Wasser, einen Stachel auf der Nase. Sie sah unbewohnt aus, und wem hätte es auch einfallen sollen, auf diesem unwirtlichen Steinhaufen zu wohnen? Ein Nebelstreifen näherte sich Creach, verhüllte ihn, und Creach brüllte, während hier außen die hellste Sonne schien. Der Nebelstreifen kroch näher und hüllte den „Kirchturm“ ein. Nebelschnüre zogen vorüber und hängten sich in Kleider und Haare, so daß alle aussahen, als gingen sie in Rauch auf. Ein Dampfer tutete, mächtig und ruhig, wie nur ein großes Postschiff tutet, das keine Angst hat und um freie Fahrt ersucht. Er kam näher und wir griffen zu den Rudern, denn man konnte nicht wissen, woher er kam. Da erschien er wie ein riesigesGespenst im Nebel, mit all seinen Masten, Rahen, Kaminen, Verdecken. Es war ein P.- und O.-Steamer. In diesem Augenblick schlüpfte der Nebel hinweg und der Dampfer zog leuchtend und glänzend an uns in nächster Nähe vorbei.
Auf dem Verdeck standen Gruppen von Mädchen mit wehenden Schleiern. Augenblicklich begann L’honneur die Mundharmonika zu spielen. Sie schrien und quiekten und ihre weißen Taschentücher flatterten. Hiiii! Wollt ihr Fische haben? L’honneur hielt einen Fisch in die Höhe und warf ihn dem Dampfer entgegen. Hiii! schrien die Mädchen. Dann spielte L’honneur, der ein Allerweltskerl war: God save the queen. Hi—hi—hiii! schrien sie. Der „Kirchturm“ kam ins Schaukeln.
„L’honneur!“ sagte L’honneur. „Wenn wir sie doch hier hätten! Ah! Für jeden eine und für mich zwei junge Witwen!“ Und er blickte dem davonstreichenden Dampfer mit hellen, wilden Augen nach. Dann machte er eine instinktive, unglaublich komische Bewegung und wir starben vor Lachen.
Ein oiltank kam heran. Dieser Dampfer sah komisch aus, da er den Kamin ganz hinten hatte. Es waren unfreundliche Leute, schwarz wie Neger sahen sie zu uns her und grinsten nur ein wenig, L’honneur erbot sich sie auf die hölzerne Fresse zu schlagen.
Eine Weile war es ruhig — da und dort standenDampfer, sie verschwanden in den Nebelstreifen, tuteten, erschienen wieder — dann kam ein sonderbarer Segler heran. Guter Gott! Er war klein und stammte sicher aus einem andern Jahrtausend. Er hatte zwei Maste, einen richtigen Mast und dahinter einen Stumpen. Die Reling war zwei Handbreiten hoch, das war alles, und sonderbare Burschen handhabten die langen Ruder. Es war ein Boot, in dem man kaum über einen See fahren konnte geschweige übers Meer.
„He, wieviele Knoten macht ihr in der Stunde?“
Niemand antwortete.
L’honneur steckte die Finger in den Mund und pfiff herausfordernd. Sollen wir an Bord kommen und euch verhauen?
„Woher kommt ihr?“
„Von Spanien.“
Hier aber wurde Petitjean lebendig. Er schnupperte mit der Stumpfnase und seine kleinen Augen sprühten Funken.
„Wohin fahrt ihr?“ fragte er. Sie waren nun ganz nahe.
„Nach Le Havre.“
„Also nach England fahrt ihr?“ sagte Petitjean und lachte. „Was für Ladung habt ihr?“
„Wein.“
Petitjean kannte diese Sorte. Er war ja selbstin dieser Branche tätig gewesen. „Es sind Schmuggler,“ sagte er zu mir, „sieh doch das Schiff an! Natürlich fahren sie nie nach Le Havre. Hahaha, gebt uns etwas Wein, wir wollen euch Fische geben.“
Aber die Leute auf dem sonderbaren Boot verstanden auf einmal kein Wort Französisch mehr, sie schimpften auf Spanisch.
L’honneur erbot sich ihnen die Schädel einzuschlagen.
Petitjean aber folgte ihnen mit glänzenden, sehnsüchtigen Blicken. „Ah, sie sind in der Klemme, sie rudern ja. Sie sind abgetrieben worden und haben keinen Wind.“ Er sah ihnen voll Mitgefühl nach und schnalzte mit der Zunge.
Petitjean war ein dumm und treuherzig aussehender Bursche, so wie die oft aussehen, die plötzlich zum Tod verurteilt werden. Sie haben da etwas getan, bei Gott, sie wissen kaum was, sie sind ganz erstaunt. Er hatte fünf Jahre bei einem Patron gedient, dessen Spezialität es war Schiffe zu verlieren. Vertraue ihm ein abgedientes Schiff an, das die Gesellschaften nur noch ungern versichern, du brauchst ihm gar nichts zu sagen: die Gesellschaften ziehen nicht mehr recht oder sonst etwas, das genügt. Das Schiff kommt nicht zurück! — Es scheitert, es sinkt, eines ist sicher, es kommt nicht wieder. Es ist zumBeispiel angebohrt, sinkend, in jämmerlicher Verfassung, Torpedoboote können es schleppen wollen, es ergibt sich nicht, es stirbt. Petitjean hatte mehr Schiffbrüche mitgemacht als irgend ein anderer. Die Bezahlung war ausgezeichnet. Aber dann, gerade als Petitjean zum Militär mußte, ertrank sein Patron mit der ganzen Besatzung. Er hatte diesmal einen kleinen Fehler gemacht, er rannte auf, bevor er es wollte.
Tagelang konnte Petitjean erzählen. Drei Worte, drei Gesten, aber man sah alles. Er war zu dumm um zu lügen.
L’honneur dagegen war ein witziger Bursche mit hellen Augen und entwickelten Zügen. Er log. Alle seine Bewegungen waren rasch. Er war immer geschäftig. Er nagelte an einer Stange, knüpfte ein Seil, flickte ein Segel, immer sah er etwas. Er war barfüßig, trug eine kurze Hose und ein lächerlich kurzes Hemd — was für ein Hemd war es doch! Es reichte nur ein wenig unter die Schultern, ließ seinen ganzen braunen Rücken, die Arme und die Brust frei, und doch war es ein Hemd und noch dazu ein Hemd aus San Franzisko. Auf seinen rechten Arm war ein Segelschiff tätowiert und Napoleon, um den sich eine dicke Schlange ringelte, auf seine Brust ein Riesenbildnis der Republik, und wenn seineHose herabrutschte, so sah man auf seinem Sitzfleisch einen runden, böse blickenden Fisch mit zornigen Stacheln, L’honneur war braun und halbnackt und man sah, daß er unzweifelhaft männlichen Geschlechts war.
L’honneur legte ein Seil wie eine Acht auf das Deck und tanzte, während er dazu spielte; er machte seine Sache geschickt und berührte das Seil nie mit den Füßen.
Natürlich konnte ich das auch. „L’honneur, spiele!“ Aber, siehe da, es war nicht so leicht wie es aussah.
Dann legten wir die Leinen aus und wurden ganz still. Stunden vergingen. Wir fischten den lieu, blank wie Stahl, mit spitzer Hechtschnauze, den silberglänzenden pirronneau, der einen Drachenflügel auf dem Rücken hat, den grausamen sarthe, mit spitzen Zähnen im Rachen, gieriger breiter Drossel, gewölbten Katzenaugen, getigertem Leib, ziegelrotem Kopf und rotgelben Flossen, den liebchen coquette, der scharlachrot wird, wenn er an die Luft kommt, den morchelartigen vielle, dick und plump, mit lüsternen Negerlippen, den rouget, merland, congre. Da lagen sie in der Ecke, schnappten nach Luft, starben. Morgen werden wir ins Meer stürzen und nach Luft schnappen. Sarthe wird herankommen wie ein Unterseeboot unduns die Augen ausreißen, und der dicke vielle wird uns mit seinen lüsternen Negerlippen die Nase abknabbern.
Die Sonne stieg ins Zenit und ich lag auf dem heißen Deck ausgestreckt und blinzelte zu ihr empor. Sie fauchte, flackte und ließ mir lange feurige Fahnen ums Gesicht wehen. Ich schloß die Augen und schlief. Aber da zuckte die Leine an meinem Finger: irgendein Fisch da drunten, der mich in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünschte.
Die Glocken der Insel bimmelten in der Ferne und der Schiffsjunge trug das Mittagessen auf. Das war ein großer Topf, gefüllt mit Brühe, Kartoffeln, Kohl, Fischstücken, herrlich. Wir saßen um den Topf herum und fuhren mit den Löffeln hinein. L’honneur schlug ein derartig rasendes Tempo an, daß niemand ihm folgen konnte. Der mousse durfte den Topf auslecken.
Nun war es Zeit, die Reusen in die Höhe zu ziehen. Die Seile hatten schon Rinnen in den Bootsrand geschnitten und das Boot schnurrte und surrte wie eine Baßgeige. Man mußte ein Stück Zeug um die Hände wickeln, denn die nassen belasteten Stricke zerfetzten die Haut. Das Boot troff von Wasser und die mit Tang und Gras behängten Reusen brachten einen starken fruchtbaren Geruch vom Meeresgrund herauf.Die ersten Körbe waren leer, ein paar Muscheln und Seesterne, nur eine große Krabbe hockte darin, L’honneur empfing sie wenig höflich. Da sie nicht freiwillig aus dem Korb spazieren wollte, riß er ihr zuerst einige Beine aus, ja, nun ging es. Korb um Korb stieg empor und wir sahen alle gespannt ins Wasser, wo der Korb erscheinen mußte. Wenn man die bleiche Fischleiche schimmern sah, so war wenig Hoffnung vorhanden. Das Geschäft blühte, wir waren nicht unzufrieden.
Hehe! Heraus mit euch!
L’honneur faßte sie geschickt um die Taille, preßte sie zwischen die Knie und schnitt ihnen die Sehnen der Scheren durch. Die Langusten schnurrten, burr! burr! und schnellten sich auf den Schwänzen rückwärts, sie scheuten vor L’honneurs Messer und glotzten es mit ihren langen Pilzaugen an. Es half ihnen nichts. Es war merkwürdig, daß sie meistens zu Paaren in den Körben saßen. Gewiß war das eine Art von Hochzeitsreisenden, die plötzlich auf ihrer Wanderung diese herrliche mit Fisch gefüllte Villa auf dem Meeresgrund angetroffen hatten und sich häuslich niederließen. Hier wollen wir bleiben, Geliebte — aber da fing die Villa an zu marschieren. Sie trugen Kupferpanzer und im Nacken Knorpelschilder; auch ein Paar Hummern war dabei, in blanken Stahlbrünnen. Sie schlugenwild mit den Zangen um sich und L’honneur erhielt einen Schlag in die Hand. Das Blut sprang heraus. „Sacre nom de bleu cochon!!“ Vorsicht, L’honneur! Ein Hummer schneidet einen Finger glatt durch.
Wir hatten die Körbe wieder instand gesetzt und hinabgelassen, als sich ein kleines Boot näherte. Wir machten die Augen scharf, wer in aller Welt — es war Yann.
Da kam er herausgerudert, vier Meilen weit, um uns einen Besuch abzustatten.
„Ah, der kleine Kapitän! Ihr arbeitet heute nicht?“
„Nein, die Maschine ist kaputt!“ Yann tat laut und gleichmütig, er wollte nur sehen was wir trieben — aber ich fühlte sofort, daß Yanns Besuch einen bestimmten Zweck hatte. Er galt mir.
Yann hatte blutunterlaufene Augen und ich wußte, was das bedeutete. Er hatte seine Periode. Dann trank er schrecklich, er trank tagelang, und die Matrosen auf dem „Arbeiter“ wagten nicht zu sprechen. Mit einem vor unsinniger Wut geschwollenen Nacken tigerte er hin und her und suchte nach Rostflecken auf dem Deck. Er schabte, kratzte, untersuchte jeden Nagel, rasselte mit den Ankerketten und Winden, knurrend, ohne eine Wort zu reden. Er riß dem Matrosen, der mit Anstreichen beschäftigt war, wortlos den Pinselaus der Hand und strich selbst an. Der Matrose aber nahm sich wohl in acht ein Wort zu sagen: denn dann spie dieser Vulkan Feuer und es hagelte Felsblöcke. Und immer schrecklicher trank Yann, ohnmächtig vor Wut, denn er wußte nicht warum.
In dieser Verfassung traf Yann auf dem „Kirchturm“ ein.
Aber Yann sagte nichts.
Es wurde Abend und auch der Abend brachte uns keinen Wind. Wir trieben mit dem Strom an der Insel vorüber, nach Norden. Eine Zeitlang mußten sich die Matrosen im Nachen vorspannen und Yann und ich arbeiteten mit dem langen Ruder. Wir strichen haarscharf an den Klippen vorbei, an denen der Gischt sausend emporschoß.
„Nun, Yann, wie geht es?“
Yann sah mich scheu an. „Gut, wie sonst?“
Die Sonne sank und das Meer blinkte wie tausend Fensterscheiben. Sie glühte purpurn in einem violetten Himmel, dann wurde sie gelb und matt und der Himmel hinter ihr fahlgrau. Die blendende Straße, die von ihr bis zu uns ans Boot führte, schrumpfte zusammen, wurde kürzer und kürzer und verschwand. Die Sonne war gegangen; auf dem Stillen Ozean graute der Morgen. Hinter der dunkeln Insel schossen Lichtgarben hervor, das war Creach. Stiff leuchtete dicht vor uns, weiß, weiß, rot, immer ferner.
Die Dämmerung war weich wie blauer Rauch.
Der mousse fachte Kohlen auf einem kleinen Ofen an, und als sie glühten, legte er unsere große Krabbemit dem Rücken darauf. Zuerst fühlte sie sich behaglich; das war eine Art Julisonne, die ihr auf den Rücken brannte, sie streckte sich wohlig aus, dann aber wurde es ihr zu heiß. Sie ruderte verzweifelt mit den Scheren und mahlte mit den Freßwerkzeugen. Die Schale bekam ein Loch, es zischte in den Kohlen, aber immer noch regte sie sich. Endlich lag sie still und das war das Zeichen, daß sie gar war.
Wir hatten Brot, einen Tiegel ranziger Butter und als Leckerbissen unsere Krabbe. Ich bekam die Scheren. Hallo! Wie das schmeckte! Auch die Butter war eigentlich nicht ranzig und mundete vorzüglich. Wir waren ausgehöhlt vom Hunger und hätten Blechbüchsen und Sägespäne verschlungen. Yann entkorkte eine Flasche und ließ sie zirkulieren.
Ich muß sagen, es war schön. Wir waren müde, satt und tranken. Sie alle saßen im Kreise, braun und wild, mit hellen Augen im Kopf, gutmütig, wie Kinder, die das Meer groß gezogen hatte, mit kräftigem, anheimelndem Lachen, L’honneur erzählte ein Erlebnis. Wie ihr Schiff zu Eis wurde, im Norden von Neufundland. Das Deck vereiste zuerst und die Reling, die Maste vereisten und lange Eiszapfen hingen von den Rahen und Tauwänden herab, das Steuer vereiste und schließlich war das ganze Schiff ein schwerfälliger Eisklumpen. Und das Treibeis kamund schloß es ein und preßte es, daß es knarrte. So trieb es langsam dahin, viele Tage lang, L’honneur hatte einen sorgfältig gehüteten Zeitungsausschnitt in der Kajüte und holte ihn. Ich mußte ihn lesen.
Dann erzählte Petitjean von seinem Patron. So erzählte er: „Der Patron, siehst du, war klein und breit. Viereckig. Er war stark und riß einen Anker mit der Hand aus dem Grund. Er wird zornig, siehst du, und sein Nacken steigt über den Kopf empor. So! Wir haben Kohle geladen. In England. Kohle? Dreck! Der Patron geht herum und spricht nicht. Gib acht! sagen wir. Der Patron sieht sich den Himmel an. Das Meer. Die Küste — da in der Ferne. Der Patron kennt jeden Stein im Meer. Mit verbundenen Augen segelt er um die Erde. Auf Ehre! Der Patron kommt übers Deck geschaukelt, eine Flasche in der Hand. Garçons, wir wollen ein Gläschen trinken. Verstehst du? Das ist das Zeichen. Wir packen unser Bündel. Morgen ist das Schiff nicht mehr über Wasser.“
„Der Patron war ein Seemann. Ein Seemann! Er segelte bei schlimmstem Wetter mit einem Taschentuch an den Stangen zwischen zwei Häusern hindurch. Auf Ehre! Der Patron war ein Künstler, ein professeur!“ sagte Petitjean und riß die Augen furchtbar weit auf.
Und wir lachten, weil er die Augen so fürchterlich aufriß.
Nun aber kam die Reihe an mich.
„He, und nun spiele etwas!“ sagte Mathieu.
Ich zog die Flöte aus der Tasche, blies den Tabak heraus und feuchtete die Lippen an.
„Was wollt ihr hören?“
„Einerlei.“
Also spitzte ich die Lippen, blies in meine kleine Flöte hinein und ließ die Finger im Stechschritt auf den Löchern spazieren gehen. Wunderbar klar klang meine kleine Flöte übers Meer: