Sechzehntes Kapitel.
Ernst verbrachte den Tag, an welchen Hans mit Sidonie nach der Minneburg geritten war, in großer Unruhe. Er wäre so gerne mitgeritten und grollte seinem Vater, der es ihm verboten hatte. Mit seiner ganzen Sehnsucht begleitete er die beiden auf ihrem Ritte, berechnete die Zeit, wann sie dort ankommen mußten, und beneidete Hans, daß dieser, dem wenig daran gelegen sein konnte, Richilde heute wiedersah, während er selber, den es heiß danach verlangte, dieses Glückes nicht teilhaftig wurde. Jetzt sind sie da, sagte er sich, setzt sieht Ohm Hans das holde Mädchen, drückt ihr die Hand und blickt ihr in die lieben süßen Augen; sie spricht mit ihm und lächelt ihn an und wundert sich im stillen, daß du nicht mitgekommen bist. Was wird sie davon denken, wenn es ihr Sidonie nicht sagt, warum du zurückgeblieben bist! aber sie wird es ihr sagen; Sidonie ist klug und euch wohlgesinnt. Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten ihn den ganzen Vormittag und wurden dann von der Ungeduld abgelöst, mit der er Hans zurückerwartete, um ihn über Richilde ausfragen zu können.
In dem Drange, sein übervolles Herz durch offenes Aussprechen zu erleichtern, vertraute er sein Hoffen undSehnen der ihn auf stillen Waldwegen wieder begleitenden Josephine an, die auch seinem ausführlichen Gespräch über die von ihm einzig Geliebte mit großer Aufmerksamkeit folgte. Aber seit jenem Abend auf Burg Schadeck, der ihr in einer tief demütigenden Erinnerung stand, war mit ihr eine Wandlung vorgegangen. In dem heißblütigem leidenschaftlichen Mädchen war das Weib erwacht, das seine Liebe nicht zurückgewiesen, seine Hingebung nicht um einer anderen willen verschmäht wissen wollte, und das voll Eifersucht und Haß auf die Bevorzugte den Wunsch hatte, sich an dieser rächen zu können. Darum lauschte sie seinen Plänen und vorhabenden Schritten nur mit der Absicht, sie zu hemmen und zu durchkreuzen, und gab die Hoffnung, Ernsts Liebe zu gewinnen, noch immer nicht auf, welcher Mittel auch sie sich dazu bedienen müßte.
Um über alles zu ihren Zwecken Brauchbare genau unterrichtet zu sein, ging sie ihren Vater an, ihr nicht nur Richildens, sondern auch Julianens Horoskop vollständig mitzuteilen, und es gelang ihr auch, ihm Wort für Wort zu entlocken, was er der Herrin der Minneburg damals in dem Erker ihres Palasgemaches gesagt hatte. –
Der Abend kam heran, ehe Hans zurückkehrte; doch Ernst konnte den Oheim nicht mehr sprechen und erfuhr nur von seinem Vater, daß die Angelegenheit mit dem Walde zu allseitiger Zufriedenheit erledigt und die völlige Versöhnung mit Frau Rüdt von Kollenberg auf dem besten Wege wäre; er könnte nun nach der Minneburg reiten, so oft es ihm beliebte. Die Worte waren seinen Ohren eine Musik, die ihm bis ins Herz hinein klang und sein Verlangen aufs äußerste steigerte, sich von Ohm Hans erzählen zu lassen, wie sich alles zugetragen hatte.
Am andern Morgen früh genug, um sicher zu sein, daß Hans nicht etwa schon wieder Gott weiß wohin entschlüpft war, begab sich Ernst zu ihm auf Burg Schadeck.
»Kommst du, mein Bursch?« tief ihm Hans fröhlich entgegen, »meinst wohl, ich hätte es nicht ohne dich fertig gebracht auf der Minneburg? Oh! was du dir denkst! Oder willst du mich nun auch ausholen wie gestern abend dein Vater schon getan hat? Was ich gesagt hätte, und was sie gesagt hätte, was ich darauf entgegnet, und was sie dann wieder geredet hätte; das ging in einem so fort, als ob ich auf der Streckleiter läge, und er zog immer schärfer an und frug und frug, daß ich gar nicht mehr wußte, was ich antworten sollte.«
»Die Hauptsache weiß ich, Ohm Hans,« erwiderte Ernst; »aber du mußt mir nun ausführlich erzählen, was du auf der Minneburg alles erlebt hast.«
Dazu ließ sich denn der gutmütige Hans auch herbei; aber er machte es seinem Neffen gegenüber ebenso, wie er es gestern seinem Bruder gegenüber gemacht hatte: er sagte ihm soviel, wie er mitzuteilen für gut fand, und behielt das Beste für sich.
»Waren die drei Fräulein bei eurer Verhandlung zugegen?« frug Ernst.
»Nein; Sidonie nahm ihre beiden Freundinnen gleich mit sich aus dem Zimmer; ich habe sie nur flüchtig gesehen,« erwiderte Hans.
»Aber doch auch gesprochen?«
»Nur kurz bei meiner Ankunft und beim Abschied,« sagte Hans; »sie waren munter wie Eichkätzchen.«
»Fräulein Richilde auch?«
»Gewiß!«
»Wird sie mitkommen, wenn ihre Mutter uns nächstens hier besucht?«
»Weiß ich nicht, ist aber wohl möglich.«
»Hat sie nach mir gefragt?«
»Nach dir gefragt? nein! wie sollte sie denn dazu kommen?« entgegnete Hans, immer verwunderter über die seltsamen Fragen seines Neffen.
»Nun, ich dachte, weil ich dich diesmal nicht begleitete.«
»Und da meinst du wohl, sie hätte dich vermißt?«
»Das hoff' ich,« sprach Ernst.
»So? das hoffst du? sieh mal an! Was hast du denn für Gründe zu solcher Hoffnung?« Ernst schlug die Augen nieder und schwieg. Hans aber sah ihn mit einem langen, aufmerksam prüfenden Blick an, denn es stieg ihm der Verdacht auf, den er nicht aussprechen mochte, weil er ihm selber zu unsinnig erschien. Doch frug er: »Wann hast du sie denn zuletzt gesehen?«
»Mit dir, Ohm, bei unserem Besuch auf der Minneburg; seitdem leider nicht.«
»Und die Rinke da an deinem Gürtel, die du jetzt immer trägst, die hast du von ihr?«
»Jawohl; sie gab sie mir, als sie den Reiher geschossen hatte. Das habe ich dir ja erzählt, und solch ein Andenken muß man doch in Ehren halten.«
»Freilich, freilich!« sagte Hans nachdenklich. Er wurde immer mißtrauischer. Sollte es denn wirklich menschenmöglich sein? Er mußte Gewißheit haben. »Ernst!« sprach er beide Fäuste in die Hüften stemmend mit lauter Stimme, »nicht wahr, verliebt bist du doch in Fräulein Richilde nicht?!«
»Ohm Hans, statt der Antwort eine Frage!« erwiderte Ernst errötend. »Hast du die Versöhnung mit Frau Rüdt von Kollenberg so gut, so vollständig zuwege gebracht, daß sie mir, wenn ich sie darum bäte, ihre Tochter zur Frau geben würde?«
Hans setzte sich, er sank förmlich in seinen Elensgeweihsessel und starrte den vor ihm Stehenden mit offenem Munde sprachlos an. »Junge!« rief er endlich, »du willst – heiraten?!« Er brachte das Wort kaum über die Lippen.
»Warum denn nicht?« lachte Ernst, »groß genug bin ich doch dazu.«
»Verrückt bist du!« schrie Hans.
»Schilt, soviel du willst, Ohm Hans!« sprach Ernst, »aber hilf mir!«
»Daß ich ein Narr wäre!«
»Willst du denn nicht mein Glück?«
»Eine Heirat ist ein Unglück!«
»Dafür hast du keine Beweise.«
»Genug, in Hülle und Fülle« rief Hans. »Glücklich ist nur der ledige Mann. Sieh mich doch an! was fehlt mir denn?«
»Vor allem eine Frau,« lachte Ernst.
»Junge! Gelbschnabel! da setze dich hin und höre mich an!«
Ernst setzte sich dem Oheim gegenüber, und dieser begann: »Sage mir, liebst du die Freiheit, die Ungebundenheit, das wohlige, sichere Bewußtsein, tun und lassen zu können, was du willst, gehen, wohin, wiederkommen zu können, wann es dir gefällt, keinen Menschen etwas fragen, keinem Menschen über etwas Rede stehen zu müssen, kurzum ganz nach deinen Wünschen, nach deinem Belieben und Geschmack leben zu können? He? antworte!«
»Gewiß, Ohm Hans! wer möchte das nicht?« erwiderte Ernst.
»Damit ist es aber aus, ein für allemal rein aus, wenn man eine Frau am Halse hat,« eiferte Hans. »Ich bin hier Herr in meiner Burg, und niemand hat hier zu befehlen,als ich allein. Ich kann aufstehen, wann ich will, und kann so lange schlafen, wie es mir behagt, kann zu Mittag essen, wann ich Lust habe, niemand wartet auf mich; ich komme nie zu spät; ich muß nicht reden, wenn ich lieber schweigen möchte, ich muß nicht mitgehen, wo ich lieber wegbliebe. Ich kann trinken, so lange ich Durst habe, kann mir zu Gaste laden, wen ich bewirten will, kann die Nacht zum Tage machen und kann hier alles zu unterst und zu oberst kehren, wenn es mir Spaß macht. Das alles können die unglücklichen Ehemänner nicht, denn sie sind nichts, als die Vasallen ihrer Weiber.«
»Ohm Hans, so sprichst du, weil du das Glück der Liebe nicht kennst,« hielt ihm Ernst entgegen.
»Ich spreche nicht vom Glück der Liebe, ich spreche vom Unglück, von der unerträglichen Pein und den tausend Schrecken der Ehe,« sagte Hans. »Ernst, laß dich warnen, ehe es zu spät ist! Steckst du erst einmal darin in dem Elend, so ziehen dich keine zehn Pferde wieder heraus. Du darfst nicht mehr nach deinem Willen leben, sondern nach dem Willen deiner Frau und nach Zeit und Stunde, die sie dir bestimmt. Sie sagt es dir, wann du Hunger und Durst haben und wann du schlafen sollst, aber schnarchen darfst du auch nicht, mußt dich überhaupt fügen und in allen Stücken nach ihr richten, wie sie es von dir zu verlangen gerade die Laune hat; und wer kann Weiberlaunen zählen? wer sie berechnen? wer sie befriedigen? Du mußt sinnen, womit du deine Frau freundlich stimmst und versöhnst, wenn sie schmollt, und sie schmollt immer. Glaubst du, daß du ihr jemals etwas recht machst? niemals! sie ist viel klüger als du, tut wenigstens so, weiß alles besser als du, widerspricht dir, tadelt und schilt dich; du wirst deines Lebens nicht froh und hast keine ruhige Stunde mehr. Und dann das Kleinkindergeschrei und was da alles noch so drum unddran hängt! O du mein Saitenspiel! Weiber und kleine Kinder! Ernst, das ist über alle Maßen schauderhaft!«
Ernst mußte ihm ins Gesicht lachen: »Als wenn du jemals mit kleinen Kindern etwas zu tun gehabt hättest!«
»Das fehlte auch noch!« rief Hans entrüstet, »ich habe schon an dem genug, was ich bei anderen Leuten davon gesehen habe, und kann's bezeugen, was du deinen Eltern für Not gemacht hast. Du glaubst nicht, was für ein widerliches kleines Scheusal du warst, gräßlich, ganz gräßlich, sag' ich dir! Und so bin ich natürlich auch einmal gewesen, das bestreite ich gar nicht. Aber das selber durchmachen zu sollen, mich mit solchen Jammerwürmern befassen zu müssen, in meinen vier Wänden kleine Kinder quäken zu hören – grauenerregend! bei dem bloßen Gedanken daran überläuft mich eine Gänsehaut. Siehst du, das ist Eheglück, Ernst! Das steht dir bevor, wenn du die Torheit begehst, dir eine Frau anzuschaffen.«
»Ihre treue Liebe würde mich auch für größeres Ungemach reichlich entschädigen,« erwiderte Ernst, begeistert von den Gefühlen seines jungen Herzens.
»Aha! ihre treue Liebe!« spottete Hans. »Ja, ja, ein paar Jahre geht's vielleicht ganz gut; da wollt ihr euch vor Liebe auffressen. Dann kommt einmal einer, der ihr besser gefällt als du und schwub! ist es aus mit der lieben Treue. Sie betrügt dich, sie betrügt dich, Ernst!«
»Ohm Hans!« fuhr Ernst zornig auf, »wie kannst du so schlecht von den Frauen denken!«
»Nun, nun, es tun's vielleicht nicht alle,« erwiderte Hans; »es gibt Ausnahmen. Aber sicher bist du nicht, durchaus nicht. Es gibt nur ein Mittel, sich davor zu schützen: wenn man's so macht wie ich; mich betrügt keine!« fügte er lachend hinzu und rieb sich vergnügt die Hände.
Ernst schüttelte den Kopf und sprach: »Ohm Hans, du überzeugst mich nicht, und – nichts für ungut! – deine gräulichen Schilderungen, die mich abschrecken sollen, sind nichts, als Zerrbilder und Gespenster, die nur in deinem schnurrigen Junggesellenkopfe spuken.«
»So!« sagte Hans. »Nun, so will ich dir ein Gespenst heraufbeschwören, das du mit deinen eigenen Augen am hellen, lichten Tage sehen kannst, ein Ungeheuer in Weibesgestalt, in das sich oft genug der leibhaftige Teufel versteckt, um die Männer bis auf das Blut zu quälen. Die entsetzlichste Zugabe zu einer Ehe, der Würgengel des Friedens im Hause, die schlimmste Kreatur, die Gott im Zorne geschaffen hat, ist – eine Schwiegermutter. Ernst, Ernst, du weißt nicht, was eine Schwiegermutter ist! Aller Ärger, alle großen und kleinen Verdrießlichkeiten und Unbequemlichkeiten, die dir eine Frau unvermeidlich verursacht, sind nichts gegen die unendlichen und unbeschreiblichen Plagen und Widerwärtigkeiten, die dir Tag für Tag und Stunde für Stunde eine Schwiegermutter bereitet, und das mit Lust bereitet und mit unerschöpflicher Erfindungsgabe, als wäre es ihr Lebensberuf und der einzige Zweck ihres Daseins. Sie hetzt deine Frau gegen dich auf und nimmt sie gegen dich in Schutz, auch wenn es gar nicht nötig ist; sie bricht den Streit vom Zaune und läßt dich nicht zu Worte kommen; sie greift dich an mit allen Waffen, hat Gift und Galle oder Seufzer und Tränen gegen dich bereit und nennt dich ihren Mörder. Sie kennt alle deine wunden Stellen, und wenn du keine hast, so bringt sie dir welche bei, sieht und benutzt jede kleine Blöße deiner Deckung, und wenn du mit einem noch so starken Harnisch von Geduld und Gleichmut gepanzert wärest, der Stachel ihrer unbesiegbaren Zunge geht durch das dickste Fell. Um sie dreht sich die ganze Wirtschaft, siebefiehlt und verbietet, sie verlangt die unglaublichsten Rücksichten und nimmt selber nicht die geringste, wenigstens nicht auf dich, der du nur der gnädig Geduldete in deinen eigenen Mauern bist, der unverbesserliche, verstockte Sünder, der das Glück, eine solche Frau und besonders eine solche Schwiegermutter zu besitzen, nicht zu würdigen weiß und noch viel weniger verdient.«
Ernst hatte die halb grimmige, halb launige Verdammungsrede seines Oheims fortwährend mit einem herzlichen Lachen begleitet, und als dieser jetzt einmal innehielt, um Atem zu schöpfen, sprach er: »Du übertreibst, Ohm Hans. Ich habe doch schon sagen hören, daß die Mutter der Frau, wenn sie wollte, auch die Stütze des Mannes sein könnte, die darauf achtet und ihre Tochter dazu anhält, daß der Mann zu seinem Rechte kommt und es ist ihm an nichts im Hause fehlt, die erfahrene Freundin, die stets liebevoll, stets heiter und hilfreich mit Rat und Tat alles zum Besten lenkt, die, mit einem Worte, für beide Eheleute der gute Engel ist.«
»Es soll deren hie und da schon auf Erden gegeben haben und vielleicht noch geben,« räumte Hans widerwillig ein. »Aber wie selten ist solch ein Engel, solch eine Perle von Schwiegermutter! unter tausenden, unter zehntausenden findest du nicht eine solche. Laß dich bekehren, Ernst! und glaube mir: eine Schwiegermutter ist der böse Dämon der Ehe. Sie verfeindet dir deine Frau, verzieht deine Kinder, beleidigt deine Freunde, verklatscht deine Knechte und Mägde, mißhandelt deine Hunde und verfolgt dich mit ihrem Hasse bis zu ihrem oder bis zu deinem letzten Atemzuge; es kommt nur darauf an, wer von euch beiden es am längsten aushält.«
Ernst sann ein Weilchen nach; dann sprach er: »Sage mal, Ohm Hans, glaubst du, daß das alles auch für dievon mir ersehnte Schwiegermutter, Frau Juliane Rüdt von Kollenberg, zutrifft?«
Auf diese verfängliche Frage blickte Hans seinen Neffen etwas verdutzt an und wußte nicht gleich, was er darauf erwidern sollte. »Ich will dir etwas sagen, mein Junge!« lächelte er dann. »Frau Juliane ist meine liebe, gute Freundin, aber – ob ich sie zur Schwiegermutter haben möchte … Bedenke auch: wenn du ihre Tochter heiratest, so werdet ihr auf der Minneburg hausen, das heißt, du wohnst dann bei deiner Schwiegermutter. Glaubst du dann etwa den Burgherrn spielen zu können? mit nichten! sie wird sich stets als die Herrin betrachten und wird dich das deutlich genug fühlen lassen. Du wirst unter ihrer Hoheit ein Leben führen, als hättest du nicht eine einfache, sondern gleich eine doppelte Schwiegermutter mitgeheiratet, eine, die in deiner Ehe gebietet, und eine, die in der Burg und über Land und Leute herrscht. Dazu kommt, daß Juliane sehr schön ist, schöner als ihre Tochter jemals werden wird –«
»Oho!«
»Oho? Willst du etwa bestreiten, daß Juliane schöner ist als Richilde?«
»Das bestreite ich ganz entschieden!«
»Dann hast du keine Augen im Kopf oder willst nicht sehen, was klar ist wie der Tag,« sagte Hans erregt.
»Es muß Dämmerung gewesen sein, Ohm Hans, als du das gesehen haben willst,« erwiderte Ernst spöttisch.
»Juliane ist in der Dämmerung schöner, als Richilde im hellsten Sonnenschein,« behauptete Hans.
»Natürlich!« lachte Ernst, »im Dunkeln kann man sich's wenigstens einbilden, daß eine die Schönste ist.«
»Was verstehst du von Weiberschönheit!« sprach Hans wegwerfend.
»Wie kannst du Frau Julianens Vollreife mit der lieblichen Jugendfrische ihrer Tochter vergleichen!« entgegnete Ernst ärgerlich.
»Die erschlossene Rose ist mir lieber, als die noch halb grüne Knospe.«
»Die eine verblüht, die andere blüht auf.«
»Juliane ist schöner!«
»Richilde ist schöner!«
Sie waren beide aufgesprungen und standen sich mit funkelnden Augen gegenüber. Plötzlich brach der ältere in ein ihm von Herzen kommendes, schallendes Gelächter aus, legte schwer und wuchtig eine Hand auf die Schulter des jüngeren und sprach: »Was sind wir doch für Narren, daß wir uns darüber zanken, ob Mutter oder Tochter die Schönste ist! Geh jetzt, denke darüber nach, was ich dir gesagt habe, und schlage dir das Heiraten aus dem Sinn!«
Darauf reichten sich beide die Hände, und Ernst verließ das Gemach.
Das war der erste Streit, den Oheim und Neffe miteinander gehabt hatten. Sie schieden zwar versöhnt, aber jeder verschwieg nun dem andern etwas, was er ihm zu sagen sich vorgenommen hatte: Hans seinen Zweikampf mit Bödigheim, und Ernst sein Stelldichein mit Richilde. Und beides sollte morgen fast um dieselbe Stunde stattfinden. Verstimmt ging Ernst seines Weges und nahm sich vor, den hagestolzen Oheim in seiner Herzensangelegenheit nicht weiter zu Rate zu ziehen, sondern rasch und entschlossen auf eigene Faust zu handeln. Wer so von den Frauen, von der Liebe und Ehe dachte, von dem konnte ein Liebender nimmermehr Hilfe und Beistand zur Förderung seines Glückes erwarten.