Achtzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

Geräuschvoll hatte Eikes Gegenwart nie gewirkt. Er hatte tagaus, tagein still in seinem Zimmer gesessen und geschrieben, immer geschrieben, aber nun, nach seinem Abgange, schien es in der Burg noch stiller geworden zu sein. Er fehlte allen, denn alle bis zum untersten Knecht und zur jüngsten Magd hatten ihn lieb gewonnen und die wenigen Dienste, deren der anspruchslose, leutselige Gelehrte bedurfte, gern geleistet. Am schmerzlichsten vermißte ihn Gräfin Gerlinde, obwohl seine Abwesenheit, nach der Andeutung des Grafen, nur von kurzer Dauer sein sollte. Sie vermied es, ihren Gemahl zu fragen, ob Eike unterwegs etwas über den mutmaßlichen Tag seiner Rückkehr geäußert hätte, so sehr sie auch darauf brannte, dies zu erfahren, um ihm einen festlichen Empfang bereiten zu können. Dem Türmer hatte sie schon anbefohlen, einen laut schmetternden Ruf zu blasen, sobald er den Gast im Tale heranreiten sähe.

Als sie einmal sein Zimmer mit einer Andacht, als wäre es ein Heiligtum, betrat, sah sie dort, welch eine Menge von Schriftstücken er zurückgelassen hatte, die er alle noch bearbeiten wollte; also wiederkommen mußte er.

Auch sie selber war, als er abritt, mit ihrer Stickerei für ihn noch nicht fertig, an der sie, des Entfernten gedenkend, emsig weiter wirkte. Dennoch waren es trübe Stunden, die sie am Rahmen verbrachte, von keinem Sonnenstrahl freundlich erhellt, denn der Himmel hatte sich in Dunst und Wolken gehüllt, und der Wind summte eine schwermütige Weise um die Zinnen der Burg, zu der die Wetterfahne mißtönig knarrte. Sonst hatte sich Gerlinde mit fleißigen Fingern allmählig an die Mittags- und Abendmahlzeit herangestichelt in der frohen Gewißheit, den Geliebten sich dann gegenüber zu haben. Wenn Melissa sie jetzt zu Tische rief, schnellte sie nicht wie der Vogel vom Ast flink vom Stuhl empor, sondern erhob sich lässig und unlustig, blickte nicht in ihren silbernen Handspiegel, sich das wellige Haar an Stirn und Schläfen zu ordnen, und eilte nicht beflügelten Schrittes zum Speisesaal.

Auch Graf Hoyer war in keiner erbaulichen Verfassung. Der Ritt in Eikes Begleitung, den er weiter ausgedehnt als er sich vorgenommen, hatte ihm nicht gut getan. Dazu kam, daß er jetzt etwas entbehren mußte, was ihm zu einem seelischen Bedürfnis geworden war, die Besprechungen mit Eike über dessen Werk. Diese empfindliche Lücke in seinem täglichen Leben machte ihn oft übellaunig, worunter auch Gräfin Gerlinde zu leiden hatte.

Der einzige, der Eikes Verschwinden nicht bedauerte, war Wilfred, weil er nun von aller Last und Plage befreit war und seine Zeit verwenden oder vielmehr totschlagen konnte, wie es ihm gefiel. Er besuchte sein liebes Füchslein draußen im Walde, lungerte in den Ställen bei Rossen und Rüden herum, störte mit Geschwätz und läppischen Flausen das Burggesinde bei derArbeit, begegnete aber allen neugierigen Fragen nach der Ursache und der Dauer von des Ritters Abwesenheit mit der geheimniskrämerischen Ausrede, daß er als Eingeweihter zum Schweigen verpflichtet sei und nichts verraten dürfe.

Eike hatte sich unter demselben Vorwande von ihm verabschiedet, den er dem Grafen Hoyer gegenüber gebraucht hatte. Wilfred aber glaubte nicht recht an das Herbeiholen noch anderen schriftlichen Stoffes, sondern sah darin nur einen ziemlich fadenscheinigen Deckmantel für die unbegreifliche Flucht, die ihm einen etwas verdächtigen Anstrich hatte. Einen Zwist zwischen der Herrschaft und dem Gaste konnte es nicht gegeben haben; sonst hätte der Graf ihn nicht begleitet. Da mußten also andere, schwerwiegende Gründe vorliegen, die er noch nicht zu durchschauen vermochte. Er wußte nur, daß Eike nicht alle Aktenbündel mit sich genommen hatte, und es stachelte ihn, herauszukriegen, welche Papiere er hier zurückgelassen hatte. Zu dem Zwecke stahl er sich in des Ritters Zimmer, durchstöberte die dort noch lagernden Schriftstücke und fand, daß nur die in dem Gesetzbuche bereits verarbeiteten hiergeblieben waren, die anderen, ihrer Benutzung noch harrenden aber in dem Regal fehlten. Daraus folgerte er, daß der von hier Ausgerückte sein langweiliges Buch in Reppechowe fertig schreiben, also nicht wiederkommen wollte, eine Entdeckung, die ihn überaus fröhlich stimmte, die er jedoch für sich zu behalten beschloß, weil er sie vielleicht irgendwie zu seinem Vorteil verwerten konnte.

Auch Melissa zerbrach sich den Kopf über Eikes plötzliche Abreise, doch sollte ihr des Rätsels Lösung nicht lange zu schaffen machen. Nach einigen Tagen fing die Gräfin aus freien Stücken an, davon zu sprechen und das in wohlerwogener Absicht.

Gerlinde war überzeugt, daß ihre scharfsichtige, hellhörige Gürtelmagd längst wußte oder wenigstens ahnte, wie sie mit Eike stand, wollte aber nicht, daß sich Melissa über seine Entfernung eine falsche Meinung bildete und eine ehrenrührige, seinem Rufe schadende Veranlassung dazu vermutete. Darum sagte sie eines Morgens so beiläufig: »Nächstens wird auch Herr von Repgow wiederkommen, Melissa; wir können ihn jetzt fast jeden Augenblick erwarten. Er ist nach seinem Lehen an der Elbe geritten, um sich noch einige ihm nötige Schriften für seine Arbeiten zu holen.« Melissa äußerte, sich in die Seele der Gräfin versetzend, ihre lebhafte Freude darüber und schob die ihr an der Gebieterin bisher völlig fremde Unsicherheit und Befangenheit bei der Mitteilung auf die Ungeduld des Hoffens und Harrens, die sie ihr seit dem Abzuge des Ritters deutlich ansah.

Zum Teil hatte sie das Richtige damit getroffen, aber nicht ganz. Es war nicht bloß Ungeduld, es war schon Zagen und Bangen, was sich der Vereinsamten mehr und mehr bemächtigte.

Gerlinde hatte sich die Frist bis zu Eikes Wiederkehr so berechnet: zwei Tage für den Hinweg nach Reppechowe, höchstens zwei für den Aufenthalt dort zur Auswahl der Skripturen und zwei für den Rückweg, also zusammen, reichlich bemessen, sechs Tage, und heute waren schon acht nach seinem Wegritt verflossen. Das beunruhigte sie und weckte ihr Zweifel, ob er überhaupt jemals wiederkommen würde.

Diese Sorge entging der treuen Dienerin nicht, und nun versuchte sie, den sich mit jedem Tage steigernden Trübsinn ihrer lieben Herrin mit bescheiden tröstlichem Zuspruch nach Möglichkeit zu vertreiben. Dazu schüttelte Gerlinde nur traurig das Haupt, seufzte und schwieg.

Verdüstert und vergrämt saß sie endlos lange Stunden in ihrem Zimmer, fand auch am Stickrahmen keine Linderung und Stillung ihres Schmerzes, und ihre Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dem Geliebten sank und sank.

Da, in ihres Herzens bitterer Not, nahm sie ihre Zuflucht zur Harfe, spielte erst eine sanft hinschwebende Melodie, schlug dann bewegtere Töne an und sang dazu:

Ein Falke strich daher im Forst,Und als er hier gebaut den Horst,Da hab' ichs kommen sehen.Ich spürte seiner Flügel SchlagWie Kosewind am MaientagMich wonniglich umwehen.Ich hätt' ihn gerne mir gezähmt,Vor seiner Augen Blick beschämtMußt' ich die Wimpern senken.Ich habe seinem Wort gelauscht,Mich aufgerichtet, mich berauschtAn seinem kühnen Denken.Mit Geistes Kraft bezwang er mich,Stolz, immer stolzer schwang er sichEmpor ob meinem Haupte.Ich folgte seinem hohen Flug,Weil Sehnsucht hin zu ihm mich trug,Der meine Ruh mir raubte.Nun aber über Berg und TalIst er zu meines Herzens QualVon dannen doch gezogen.Wann kehrest du zu mir zurück,Wie weit, mitnehmend all mein Glück,Hast, Falk, du dich verflogen?

Ein Falke strich daher im Forst,Und als er hier gebaut den Horst,Da hab' ichs kommen sehen.Ich spürte seiner Flügel SchlagWie Kosewind am MaientagMich wonniglich umwehen.

Ich hätt' ihn gerne mir gezähmt,Vor seiner Augen Blick beschämtMußt' ich die Wimpern senken.Ich habe seinem Wort gelauscht,Mich aufgerichtet, mich berauschtAn seinem kühnen Denken.

Mit Geistes Kraft bezwang er mich,Stolz, immer stolzer schwang er sichEmpor ob meinem Haupte.Ich folgte seinem hohen Flug,Weil Sehnsucht hin zu ihm mich trug,Der meine Ruh mir raubte.

Nun aber über Berg und TalIst er zu meines Herzens QualVon dannen doch gezogen.Wann kehrest du zu mir zurück,Wie weit, mitnehmend all mein Glück,Hast, Falk, du dich verflogen?

Bei dem einen Liede blieb es nicht. Sie behielt die Harfe im Arm, drückte sie an ihre wogende Brust und starrte, auf der Wolfsbank sitzend, mit feucht schimmernden Augen ins Leere. Dann hub sie wieder an:

Vergebens in die FerneTauch' ich den müden Blick,Umsonst frag' ich die Sterne:Wie lenkt ihr mein Geschick?O laßt dies Leben endenUnd schiebt den Riegel vor,Nichts hat mehr zu verschwenden,Wer alles schon verlor.Ich wandelte auf Wegen,Beglänzt von Sonnenschein,Jetzt möcht' ich still mich legenIns dunkle Kämmerlein.Mir blühten ringsum RosenIn funkelhellem Tau,Jetzt ist in Sturmes TosenDer Himmel wolkengrau.Und aus den SaitensträngenKein Lied mehr davon schallt,Was mir mit WunderklängenIm Traum nur widerhallt.

Vergebens in die FerneTauch' ich den müden Blick,Umsonst frag' ich die Sterne:Wie lenkt ihr mein Geschick?

O laßt dies Leben endenUnd schiebt den Riegel vor,Nichts hat mehr zu verschwenden,Wer alles schon verlor.

Ich wandelte auf Wegen,Beglänzt von Sonnenschein,Jetzt möcht' ich still mich legenIns dunkle Kämmerlein.

Mir blühten ringsum RosenIn funkelhellem Tau,Jetzt ist in Sturmes TosenDer Himmel wolkengrau.

Und aus den SaitensträngenKein Lied mehr davon schallt,Was mir mit WunderklängenIm Traum nur widerhallt.

Auch damit hatte sie noch nicht genug; es lag ihr zu vieles auf der Seele, was herunter mußte, und noch einmal begann sie in ihrer Gefühle wehmutvollem Drang:

Blätter fallen nieder,Blumen welken auch,Doch sie kommen wiederMit des Frühlings Hauch.Ist das Herz gebrochen,Blüht es nimmer neu,In den Wind gesprochenWaren Lieb und Treu.Was man nie besessen,Läßt man leicht zurück,Schwer ist zu vergessenEin verlornes Glück.Mein kann ich nicht nennen,Was so lockend gleißt,Daß man soll erkennen,Was entsagen heißt.Ach, ich will entsagen,Aller Hoffnung bloß,Schweigend will ich tragenMein verzweifelt Los.Dürft darum nicht wähnen,Daß mein Herz versteint,Saht ja nicht die Tränen,Die ich Nachts geweint.

Blätter fallen nieder,Blumen welken auch,Doch sie kommen wiederMit des Frühlings Hauch.

Ist das Herz gebrochen,Blüht es nimmer neu,In den Wind gesprochenWaren Lieb und Treu.

Was man nie besessen,Läßt man leicht zurück,Schwer ist zu vergessenEin verlornes Glück.

Mein kann ich nicht nennen,Was so lockend gleißt,Daß man soll erkennen,Was entsagen heißt.

Ach, ich will entsagen,Aller Hoffnung bloß,Schweigend will ich tragenMein verzweifelt Los.

Dürft darum nicht wähnen,Daß mein Herz versteint,Saht ja nicht die Tränen,Die ich Nachts geweint.

Ganz leise nur waren die Worte ihren Lippen entflohen, und es war ihr, als hätte nicht sie mit dem Spiel ihrer Finger die Töne aus den schwirrenden Saiten hervorgebracht, sondern als wäre die Harfe wie eine andere, teilnehmende Sängerin mit eigener, lebendiger Stimme zur Begleitung eingefallen. Danach erhob sie sich langsam, hängte die Harfe wieder an die Wand und sprach schmerzbewegt: »Verstumme nun, du traute Genossin meines Leides! Dies wird das letzte Lied gewesen sein, das wir zwei miteinander gesungen haben.« –

Die Fanfare des Türmers erklang noch immer nicht, so sehr auch alles, was Ohren hatte in der Burg, darauf wartete und horchte. Denn der Wächter auf der Plattform des Bergfrieds hatte es allen gesagt: »Wenn ihr mich jetzt einmal recht laut und lustig tuten hört, so bedeutet das: unser Ritter kommt wieder. Die Gräfin hat's befohlen, ich soll ihn in alle vier Winde ankündigen, daß die Füchse im Bau und die Ratten in ihren Löchern die Lauscher spitzen.«

»Da könnt ihr lange warten!« hatte Wilfred dazu listig in sich hineingekeckert. »Den bläst hier kein Hornstoßwieder an.« Seit er unbeschränkte Freiheit hatte, war der Leichtfuß voll Übermut und lief, wann und wo es nur anging, Melissa nach, bei der er jetzt mehr denn je in Gunst stand, weil er zu ihrer Freude in der Dirnitz öfter mit ihr getanzt hatte als mit der ihr verhaßten Müllerstochter. Nun hatte er sie aber jüngst einmal belauert, wie sie aus dem obersten Ausguck des Schlosses nach der Stelle hinlugte, wo die Landstraße um die Berge in das Tal einbog. Das verdroß ihn, und als sie auf den Burghof herabkam, warf er ihr vor: »Ich habe dich gesehen, wie du dir da oben den Hals ausrecktest nach einem, in den du verliebt bist, du falsche Katze! aber das nützt dir nichts, er kommt nicht wieder, der versessene Rechtsklitterer.«

»Erstens, Fred, bin ich keine falsche Katze, zweitens bin ich nicht verliebt in den Ritter, und drittens kommt er allerdings wieder; er holt sich nur neue Schriftstücke von seinem Lehngute,« erwiderte Melissa.

»Jawohl! das hat er mir auch aufgebunden, nichts als eitel Flunkerei!« höhnte Wilfred. »Ich sage dir, er kehrt nicht auf den Falkenstein zurück.«

»Warum sollte er denn nicht zurückkehren?« fragte Melissa. »Er ist ja in Fried und Freundschaft von hier geschieden.«

»Er wird schon wissen warum.«

»Ach was, dummes Zeug, eine rein aus der Luft gegriffene törichte Einbildung von dir!«

»Wollen wir wetten, daß er nicht wiederkommt?«

»Ja! um was?«

»Um sieben Küsse.«

»Gleich sieben auf einmal?«

»Auf einmal! einen nach dem andern natürlich.«

»Aber warum just sieben? einer wäre wohl auch genug,« meinte Melissa.

»Weil sieben eine heilige Zahl ist. Sieben Sakramente gibt es, sieben Todsünden, sieben Planeten, sieben Weltwunder und sieben freie Künste. Sieben Tage hat die Woche und sieben Heerschilde das Lehnrecht,« dozierte er großartig.

»Der gut abgerichtete Klosterschüler spukt dir noch im Kopfe, Fred, aber von dem Rechtsklitterer scheinst du doch auch was gelernt zu haben,« hänselte ihn Melissa.

»Mehr als mich verlangte,« lachte er. »Also gilt's? sieben Küsse! Wenn er von heute binnen zweimal sieben Nächten nicht hier ist, hab ich die Wette gewonnen.«

»Meinetwegen!«

»Topp!« sagte Wilfred, »er kommt nicht.«

»Topp! er kommt,« behauptete die Streitlustige.

Er hielt ihr die Hand hin, und Melissa schlug ein.

»Was habt ihr euch denn so feierlich gelobt?« fragte herzutretend Goswig, der, hinter einer Säule des Brunnens verborgen, die miteinander Tuschelnden heimlich beobachtet hatte. »Wollt ihr freien? Du hast nichts, und sie hat auch nichts als ihr hübsches Lärvchen und ihr schnippisches Schleckermäulchen.«

»Aber viel mehr Verstand als unter einer gewissen Marderpelzmütze zu finden ist,« trumpfte Melissa den sich ungerufen Einmischenden ab, der von der Wette und ihrem Preise glücklicherweise nichts gehört hatte.

»Wir haben gewettet,« fügte Wilfred hinzu, »ob einer, den wir kennen, abends nach dem vierten oder fünften Kruge Bier noch Mann und Weib voneinander unterscheiden kann.«

»Laßt's doch einmal drauf ankommen, ihr beiden!« knurrte der Alte und zog sich beleidigt in seinen Schmollwinkel, das Torstübchen, zurück. –

Dem Grafen Hoyer wurde Eikes Abwesenheit, je länger sie währte, je unverständlicher, denn er konnte sie auf keine Weise mit der ihm dargelegten Absicht des Freundes in Einklang bringen. Nun ließ es ihm keine Ruhe mehr; er wollte wissen, was dahinter steckte. Vielleicht konnte ihm Wilfred Auskunft geben. Sofort beschickte er den Schreibgehilfen seines beurlaubten Gastes, um aus ihm eine Deutung von Eikes Verschwinden herauszupressen.

Wilfred, der immer ein gebrochen Schwert und nie ein ganz reines Gewissen hatte, erschien mit ängstlich klopfendem Hasenherzen vor dem gestrengen Burgherrn und war auf manches gefaßt, nur nicht auf etwas Erfreuliches.

Der Graf stellte jedoch in einem fast gnädigen Ton die Frage an ihn: »Wilfred, hat dir Herr von Repgow Näheres über die Zeit seiner Wiederkehr gesagt?«

»Nein, Herr Graf! er wollte sich nur noch einige Schriftstücke für sein herrliches Gesetzbuch holen,« entgegnete Wilfred.

»Ganz recht,« sprach der Graf, »aber davon könnte er doch längst wieder hier sein.«

»Das hab' ich mir auch schon gedacht.«

»So! Du auch, – und was denkst du dir sonst noch?«

Wilfred zuckte die Achseln und erwiderte: »Nichts, Herr Graf! mich hat Herr von Repgow nicht ins Vertrauen gezogen.«

»Besinne dich wohl! es kommt mir viel darauf an,« ging ihm der Graf nun schärfer zu Leibe.

»Ich habe keinerlei Vermutung über den Verbleib des Ritters,« log Wilfred unsicher und eingeschüchtert.

»Du kannst mir also nicht den geringsten Anhalt über die Pläne und Maßnahmen des Ritters geben?« fragte der Graf noch einmal dringlich den vor ihm Zitternden.

»Ich glaube, Herr Graf –«

»Ach was, glauben! tu, was ich dir befohlen habe,« schnitt ihm der Graf schnell das Wort ab und winkte ihm, zu gehen, denn in diesem Augenblick war die Gräfin eingetreten, die von diesem Gespräch nichts wissen sollte.

Wilfred, froh, daß das peinliche Verhör damit ein Ende hatte, machte sich schleunig aus dem Staube.

Er war gerade auf dem Sprunge gewesen, seine Entdeckung in bezug auf die von Eike mitgenommenen und von ihm hiergelassenen Papiere einzugestehen. Wäre ihm dazu Zeit gelassen worden, so hätte der Graf erfahren, daß Eike niemals wiederkommen wollte, und das hätte zu Erörterungen im Schlosse führen können, von denen sich der diesmal Unschuldige nichts Gutes versprach. Diese Gefahr war durch den Eintritt der Gräfin abgewendet.

Gerlinde hatte mit ihrem Gemahl nur eine kurze Besprechung über eine Wirtschaftsangelegenheit, in der sie seinen Rat zu hören wünschte und nach deren Erledigung sie ihn wieder verließ.

Dem Grafen war es aufgefallen, wie bleich und bekümmert sie ausgesehen hatte, und er brauchte nach der Ursache davon nicht zu suchen. »Eike fehlt ihr ebenso wie mir,« sprach er zu sich, »sie härmt sich um ihn, und das ist sehr begreiflich. Sie standen so freundschaftlich miteinander, er unterhielt sie so gut, und sie redete so gern mit ihm von seinem Werke, wie ich, ganz wie ich. Das soll nun alles mit einem Male vorbei sein? nein! auch ich will ihn wiederhaben, und ihr bereite ich eine Freude, wenn ich ihn wieder einfange und sie eines schönen Tages mit seiner Rückkehr überrasche.«

Er erhob sich und schritt, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab. »Wenn ich reiten könnte, holt'ich ihn mir selber. Aber schreiben werd' ich ihm, einen geharnischten Brief, der ihm an Herz und Nieren geht. Scharruhn muß damit hin zu ihm und mir den Abtrünnigen heranschaffen.«

Er beschied den Wildmeister, auf den er sich unbedingt verlassen konnte, zu sich und eröffnete ihm: »Scharruhn, du mußt morgen zu Herrn von Repgow reiten nach Reppechowe, gegenüber von Aken an der Elbe, darfst aber keiner Menschenseele sagen, wohin dein Weg geht, hörst du? keiner Menschenseele, auch nicht der Gräfin und keinem vom Burggesinde. Ich werde dir einen Brief mitgeben, und nicht Antwort sollst du mir darauf bringen, sondern den Ritter selber, wie er geht und steht, und läßt keine Ausrede, keine Entschuldigung von ihm gelten. Bist du im klaren, Alter?«

»Wie ein Schweißhund auf frischer Fährte, Herr Graf!«

»Gut! dann sattle nach der Morgensuppe. In vier, spätestens fünf Tagen erwarte ich dich mit dem Ritter zurück. Den Brief werde ich dir heute noch hier in meinem Zimmer einhändigen, ehe du zum Abendtrunk in die Dirnitz gehst.«

»Es wird alles so geschehen, wie Ihr befehlt, Herr Graf,« sprach der Wildmeister, verneigte sich ehrerbietig und trat ab.

Abends stellte er sich wieder ein und nahm den Brief in Empfang, der folgendermaßen lautete:

Eike von Repgow!Wo bleibst Du? warum kommst Du nicht wieder? was soll ich davon denken? Du fehlst uns, mir und der Gräfin, an allen Ecken und Enden, und wir wollen Dich wiederhaben. Wahrscheinlich hast Du Dich dort in die gefundenen Schriften verbissen und vergißt uns darüber statt mit ihnen zu uns zurückzukehren undhier weiter zu arbeiten. Du hast Dein Buch manchmalunserBuch genannt, und nun willst Du mich der größten, der einzigen Freude meiner letzten paar Jahre berauben, daran teilzunehmen? Das darfst Du mir nicht antun, Eike! Ich beschwöre Dich: komm wieder! Der Wildmeister hat gemessenen Befehl, Dich uns zurückzubringen, und wir lassen ihn nicht über die Zugbrücke ohne Dich.Dixi.Auf Wiedersehen, mein Eike!Hoyer von Falkenstein.

Eike von Repgow!

Wo bleibst Du? warum kommst Du nicht wieder? was soll ich davon denken? Du fehlst uns, mir und der Gräfin, an allen Ecken und Enden, und wir wollen Dich wiederhaben. Wahrscheinlich hast Du Dich dort in die gefundenen Schriften verbissen und vergißt uns darüber statt mit ihnen zu uns zurückzukehren undhier weiter zu arbeiten. Du hast Dein Buch manchmalunserBuch genannt, und nun willst Du mich der größten, der einzigen Freude meiner letzten paar Jahre berauben, daran teilzunehmen? Das darfst Du mir nicht antun, Eike! Ich beschwöre Dich: komm wieder! Der Wildmeister hat gemessenen Befehl, Dich uns zurückzubringen, und wir lassen ihn nicht über die Zugbrücke ohne Dich.Dixi.Auf Wiedersehen, mein Eike!

Hoyer von Falkenstein.

Am andern Morgen ritt der mit so dringender Botschaft Betraute in seinem besten Jagdkoller, Weidmesser an der Hüfte, von der Burg ab. Am Tore fragte ihn Goswig: »Wo hinaus hoch zu Rosse?«

»Ins Thüringerland zum Brautlauf,« gab ihm der im Sattel zur Antwort. »Hab' da noch eine Feinsliebste sitzen; die will ich heimführen.«

»Da wird's aber Zeit mit dem Kränzlein,« lachte Goswig. »Wird wohl schon eine recht ehrwürdige Jungfrau sein, oder ist's eine gut erhaltene Wittib mit einem erklecklichen Sparpfennig zu unterst in der Truhe?«

»Wart' es ab, alter Kettenhund, und belle sie nicht an, wenn ich mit ihr meinen Einzug halte,« erwiderte der Weidmann.

»Na dann Heil und Segen zum fröhlichen Beilager, du übermütiger alter Hagestolz!« rief ihm der Torhüter nach.


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