Sie bummelten durch die Straßen, bewunderten die Gärten in ihren wunderbar leuchtenden Herbstfarben und suchten sich eine Villa aus. Das taten sie oft auf ihren Spaziergängen.
Sie bummelten durch die Straßen, bewunderten die Gärten in ihren wunderbar leuchtenden Herbstfarben und suchten sich eine Villa aus. Das taten sie oft auf ihren Spaziergängen.
Und wenn sie ein Haus gefunden hatten, das ihnen gefiel – aber auch der Garten mußte danach sein, und die Garage und die Spitzengardinen an den Fenstern – dann konnte es Olga plötzlich einfallen zu sagen, daß sie eigentlich noch eine Abendgesellschaft größeren Stils geben müßten – vor ihrer Abreise nach Kairo – und Mette sollte doch mit Schmidt telephonieren, der Blumen wegen, und dann kam eine lange Beratung, in welcher Farbe sie diesmal den Tafelschmuck nehmen sollten. – Und sie einigten sich auf blaßlila Treibhausfliederund Orchideen und was es sonst noch in der Farbe gab. Aber dann konnten sie nicht das Sèvres-Porzellan nehmen; denn das Kobaltblau vertrug sich nicht mit hellila – und ob sie das Essen bestellen oder alles im Hause machen ließen? Ob sie sich vom Grafen Oriola seinen französischen Koch ausleihen sollen? Dann wurde die Speisenfolge beraten und die Weine dazu. Aber das hübscheste war immer die Liste der Gäste aufzusetzen und Tischordnung zu machen.
Gerhart Hauptmann sollte Julia Culp zu Tisch führen.
„Nein, er mußdichdoch führen,“ bestimmte Mette. „Du bist doch die Hausfrau!“
„Ich?“ sagte Olga. „Nein, das bist du doch!“
Sie standen vor einem breiten schmiedeeisernen Portal und sahen in einen wunderschönen Garten.
„Schade,“ sagte Olga mit einem bewundernden Blick auf die breite Terrasse, „es ist schon zu spät, um im Freien decken zu lassen. Aber nächstes Jahr müssen wir in einer Juninacht ein Gartenfest geben – hier auf der Terrasse essen – und plötzlich erscheinen auf dem Wasser lauter kleine Barken, ganz, ganz voll Rosen, jede mit einer bunten Lampe, und alle Gäste steigen in die Boote, immer zwei, und fahren hinaus, wohin sie wollen, auf das weite, dunkle Wasser ...“
„Und mit wem möchtest du mir davonfahren?“ fragte Mette mißtrauisch.
Olga stampfte mit dem Fuß auf. „So seid ihr nun!“ sagte sie mit Empörung flammenden Augen. „Willst du dir jetzt vielleicht den Tag verderben, weil ich dir davonfahren könnte, wenn wir in dieser Villa ein Gartenfest geben. Wenn man sich schon etwas Unsinniges ausdenkt, dann muß es doch wenigstens etwas Schönes sein.“
Ein Herr in braunem Überzieher streifte sehr dicht an ihnen vorüber und sah sich in einiger Entfernung mit einer merkwürdig vorsichtigen Geste nach ihnen um.
„Das war der Mann aus der Bahn,“ sagte Mette. „Der hält dich für eine schöne Römerin und möchte für sein Leben gern mit dir anbandeln. Ich glaube, ich werde diskret sein und mich zurückziehen.“
Olga fuhr bei Mettes ersten Worten zusammen.
„Wir wollen umkehren!“ sagte sie hastig. „Trinken wir oben bei Schultheiß Kaffee. Der geht jetzt sicher nach dem schwedischen Pavillon, und ich habe keine Lust, ihm nachzulaufen.“
Mette lachte hell auf. „Meinetwegen kannst du! So hab’ ich mir den nicht vorgestellt, mit dem du mir davongehst! Einen so perversen Geschmack hätt’ ich dir nicht zugetraut! Aber da du so vor ihm fliehst, scheint es gefährlich.“
Olga antwortete mit keinem Wort, mit keinem Lächeln auf Mettens Neckereien. Sie preßte die Lippen aufeinander, zog die Brauen zusammen und ging so rasch, ein wenig vornüber geneigt, den Kopf gesenkt, die Schultern hochgezogen, als liefe sie vor einer unsichtbaren Peitsche.
Sie saßen oben beim Schultheiß und tranken ihren Kaffee. Aber Olgas gute Laune schien verflogen. Sie saß da, beide Hände in den Jackentaschen vergraben, als ob sie fröre und war zerstreut und einsilbig.
Sie hatte sich eben mit einem: „Du entschuldigst, ichmußrauchen“, eine Zigarette angezündet, als Mette den Herrn im braunen Überzieher in den Garten treten sah. Er stand einen Augenblick still, ließ einen prüfenden Blick über alle Tische gleiten, ging dann in entgegengesetzter Richtung, um nach einem weiten Bogen plötzlich wieder in ihrer Nähe aufzutauchen und, zwei, drei Tische von ihnen entfernt, Platz zu nehmen.
Metten erschien das sehr komisch.
„Der Mann aus der Bahn!“ frohlockte sie laut. „Jetzt ist es klar, Olga, du hast es ihm angetan.“
„Schweig’!“ sagte Olga hart. Und dann, als sie Mettens bestürztes Gesicht sah – wie mühsam gebändigt, mit schwergehendem Atem: „Er kann dich ja hören, Kind!“
Sie nahm die eben angerauchte Zigarette mit einer zornigen Bewegung aus dem Mundwinkel, preßte die Brandfläche gegen den Teller und drehte und drückte so lange mit nervösen Fingern daran herum, bis der Tabak aus dem zerrissenen Papier rieselte.
Mette fühlte, daß irgend etwas vorging, was sie nicht verstand. Eine dumpfe Beklommenheit schien plötzlich in der Luft zu liegen, teilte sich ihr mit und machte sie angstvoll und unsicher.
Nach einer kleinen Weile stand Olga auf. Mette griff nach ihrem Hut, der neben ihr auf dem Stuhl lag.
„Nein, laß!“ sagte Olga sehr bestimmt und lauter, als es sonst ihre Art war. Sie haßte es, in öffentlichen Lokalen, auf der Straße, in der Bahn so laut zu sprechen, daß auch nur der nächste Nachbar sie verstehen konnte. „Wir bleiben doch noch. Ich will nur eben telephonieren. Ich bin gleich wieder da.“
Mette wartete geduldig. Olga kam nicht wieder.
Schließlich fing sie an, sich zu ängstigen. Wenn ihr schlecht geworden wäre? Sie sah sie schon irgendwo hilflos, ohnmächtig liegen.
Sie lief ins Haus. Am Telephon war sie nicht. Wie sie sich suchend umsah, kam der Kellner, der sie bedient hatte, hinter ihr her. Sie suche wohl die andere Dame? Die hätte gezahlt und wäre gegangen– aber sie hätte einen Zettel am Büfett hinterlassen.
Mette holte sich den Zettel. Ja, die Dame hätte telephoniert und hätte nach dem nächsten Zug gefragt und wäre sehr eilig fortgegangen. Sie hätte nur noch dies hier aufgeschrieben. Der Kellner hätte es hinausbringen wollen, aber sie hätte gesagt, es wäre nicht nötig, die Dame würde es sich schon holen.
Mette dankte und lächelte und tat, als ob das alles die natürlichste Sache von der Welt wäre und wunderte sich, wie gut sie ihre Angst und Aufregung beherrschen konnte.
Sie ging erst ein paar Schritte weiter, ehe sie die verschlossene Hülle aufriß. Auf dem Bogen standen nur wenige Worte.
„Sei nicht bös, ich mußte fort. Wenn du kannst, komm abends zu mir. Aber nicht direkt, fahr erst nach Hause.“
Mette faltete das Blatt zusammen und schob es mechanisch in die Tasche. Sie ging langsam und mit schweren Füßen wieder durch den Garten und an ihren Platz.
Sie versuchte, sich von ihren Gedanken und Empfindungen Rechenschaft zu geben.
Sie wäre froh gewesen, wenn sie Olgas rätselvolles Betragen als Laune, als Rücksichtslosigkeit hättenehmen können und sich einfach darüber ärgern und entrüsten.
Aber sie fühlte, daß ein Mehr dahinter war. Irgend etwas Dunkles, Drohendes, wovon sie nichts wußte. Mit wem hatte Olga gesprochen? Wer hatte sie so dringend fortgerufen?
Für sie war Olga Radó das Leben, das wußte Mette. Alles andere war eine dumpfe Qual oder Vorfreude auf die Stunden, die sie mit ihr zusammen sein durfte, oder Erinnerung an die Stunden, die sie mit ihr verbracht hatte.
Aber was war sie für Olga?
Irgendein Nebenher, ein beiläufiger Zeitvertreib, eine Episode eines reichen, bunten, starken Lebens, eine gehorsame kleine Sklavin, ein Haustierchen, das man verhätschelt, ein bequemes Etwas, das man rufen und fortschicken kann, und das noch nicht einmal fragen durfte,warumes gerufen oder fortgeschickt wurde. Nichts wußte sie davon, nichts, was eigentlich dieses Leben erfüllte, was ihm Inhalt gab, nichts wußte sie von den Menschen, die für Olga Schicksal waren, dieihrden Mut zum Leben gaben, den sie von ihr empfing – nichts wußte sie von dem, der sie jetzt fortgerufen hatte, dem sie folgte, ohne daran zu denken, daß sie der armen kleinen Mette den Tag zerstörte, auf den sie sich so gefreut.
Mette konnte sich nicht zum Heimweg entschließen. Sie trug ihren Hut in der Hand und ging in tiefen und traurigen Gedanken an den Ufern des Sees entlang.
Erst die plötzlich einfallende Dämmerung weckte sie auf und trieb sie nun in Hast dem Bahnhof zu.
Im Moment, als sie im Begriff war, auf dem Bahnsteig eine Wagentür des einfahrenden Zuges zu öffnen, fühlte sie einen Blick, der sie zwang, sich umzuwenden.
Sie sah in das völlig ausdruckslose Gesicht des Mannes in dem braunen Überzieher. Er öffnete die Tür zum Nebenabteil und stieg in den Zug.
Mette erschrak tödlich und wußte nicht warum. Dieser Mann lief nicht hinter ihr her, weil er Gefallen an ihr fand. Das wußte sie deutlich. War es Zufall? Was in aller Welt konnte es sonst für einen Zweck haben? Plötzlich faßte sie ein unerklärliches Grauen. Er hatte so ein merkwürdig leeres Gesicht und einen starren und dabei doch scheuen Blick. Vielleicht war es ein Irrsinniger. Einer, der irgendwo entsprungen war.
Am Bahnhof Zoo bemühte sie sich, unter der drängenden Menschenmenge sich zu verstecken. Aber sie fühlte den Fremden unentwegt hinter sich. Ihr schien es, als klammerte sich seine Hand in der Manteltasche um einen Revolver oder um ein Stilett. In jedemAugenblick konnte das blitzende Eisen oder die Kugel sie in den Rücken treffen. Sie fühlte schon den scharfen Schmerz zwischen den Schulterblättern und preßte unwillkürlich die Rückenmuskeln zusammen.
Während sie die dämmerigen Straßen hinunterjagte, wagte sie nicht, sich umzusehen. Erst, als sie das Haus aufschloß, spähte sie die Straße hinunter. Er war natürlich nicht gefolgt. Es war alles eine lächerliche Einbildung.
Als sie innen im Treppenflur stand, warf sie noch einen Blick durch die Glasscheibe der Tür.
Auf der anderen Seite der Straße, das Haus von oben bis unten aufmerksam betrachtend, ging der Mann in dem braunen Überzieher. – – –