The Project Gutenberg eBook ofDer Weihnacht-AbendThis ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online atwww.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.Title: Der Weihnacht-AbendAuthor: Gustav SchillingRelease date: December 21, 2016 [eBook #53780]Most recently updated: October 23, 2024Language: GermanCredits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net. This book was produced from scannedimages of public domain material from the Google Booksproject.*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WEIHNACHT-ABEND ***
This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online atwww.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook.
Title: Der Weihnacht-AbendAuthor: Gustav SchillingRelease date: December 21, 2016 [eBook #53780]Most recently updated: October 23, 2024Language: GermanCredits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net. This book was produced from scannedimages of public domain material from the Google Booksproject.
Title: Der Weihnacht-Abend
Author: Gustav Schilling
Author: Gustav Schilling
Release date: December 21, 2016 [eBook #53780]Most recently updated: October 23, 2024
Language: German
Credits: Produced by the Online Distributed Proofreading Team athttp://www.pgdp.net. This book was produced from scannedimages of public domain material from the Google Booksproject.
*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER WEIHNACHT-ABEND ***
Tollkühner!
Tollkühner!
Tollkühner!
DerWeihnacht-Abend.VonGustav Schilling.Wien, 1817.Bey Anton Pichler.
VonGustav Schilling.
Wien, 1817.Bey Anton Pichler.
DerWeihnacht-Abend.
DerWeihnacht-Abend.
DerNordwind blies, der Schnee fiel in großen Flocken, die Regenschirme zärtlicher Eltern und Liebhaber bedeckten den Christmarkt. „Laßt mich ein Kind seyn!“ sprach Woldemar und zog seinen Freund in das sehenswerthe Gedränge. Hier feilschten Mädchen eine Wiege, dort stand der grämliche Küster unter einer Glorie von Hannswürsten, der General vor dem Stalle zu Bethlehem, der Staats-Rath unter Steckenpferden. Eine Reihe neugebackener, reich versilberter Potentaten lockte die täuschbaren Kinder an.
„Hierher meine gnädigen Herrn!“ rief des Hof-Conditors süße Rosine. „Sehen Sie nur die schöne Bescheerung. Rosseaus Grab, Harlekins Hochzeit, Mariä Verkündigung unddiese niedliche Papagena.“ Die Freunde traten näher, besahen das Grab, die Hochzeit, das Mädchen selbst. Lachend verglich sie Julius der Vogelfängerin, Woldemar aber erröthete, denn nur ein Säugling bedeckte Papagenas gesegnete Brust; die Verlegenheit macht’ ihn zum Käufer und Rosine öffnete dankbar ihr Döschen, um ihn mit ächten Diabolini’s zu bewirthen. Der Adjutant störte die Gäste. Wenn es Dir, „sprach er zu Woldemar“ anders noch Ernst damit ist in das neue Frey-Corps zu treten so eile, Dich dem General vorzustellen. Er steht im Begriff zu der Armee abzugehn.
Wisse Freund, „erwiederte dieser“ daß mein Schicksal in den Händen einer unschlüssigen Fee liegt, die mich bald anzieht, bald entfernt, mir heute räth in den Krieg zu ziehen, mich morgen dann nicht lassen will — Doch soll es sich noch heut entscheiden. Damit steckt’ er die wächserne Papagena ein und verschwand unter dem Haufen.
HerrWahl, der Oheim, und Vormund dieser Schicksals-Göttin saß indeß daheim vor dem Hauptbuch, freute sich der eben gezogenen Bilanz, hieß den Seidenhändler Merker viel freundlicher als sonst willkommen und sprach sofort vom Curs, von Geschäften, vom plötzlichen Fall eines bedeutenden Hauses. Herr Merker schnippte den Staub von seinem Ermel, zog den Stockknopf vom Munde, räusperte sich und rief: „Was fällt das fällt! Wir, denk’ ich, bleiben stehen.“
So Gott will! brummte der Alte und faltete in stiller Andacht seine Hände.
Ich stehe gut.
Ist mir bekannt.
Doch immer noch auf Freyers Füßen. Geduldigzwar, doch auch zuweilen mit Ungeduld. Wenn Ihre Jungfer Nichte sich endlich nun entschliessen wollte — oder bereits entschlossen hätte — Wie?
Dann „fiel der Oheim ein“ wäre uns beyden geholfen, denn das Mädchen ist meine einzige Sorge. Ich sollte mich ärgern, aber das hilft nichts —
Ein Machtwort sprechen, Herr Kollege, ein Machtwort —
Da sey Gott für! Der gab ihr ja, wie uns, den freyen Willen.
So? — Ja! und vier Liebhaber zu meiner Plage.
Bedeuten nichts! den einen haßt, den andern verachtet sie, der dritte ward ihr verdächtig, der vierte endlich ist ein armer Teufel. Ohne Mittel, ohne Tittel, ein Herrvon—von nichtssag’ ich Ihnen.
Das sind die Schlimmsten —
Ein redliches Gemüth übrigens —
Heuchelschein! Dem sollten Sie das Haus verbiethen!
Ey bewahre! Herminchen sieht ihn nicht ungern, und wer ihr zusagt, den nehme sie. Die Bräute sind wie Lämmer zu betrachten, die zur Schlachtbank geführt werden; wie arme Sünderinnen denen denn, nach hergebrachter, christlicher Sitte, jedes billige Verlangen allerdings zu gewähren ist. Um ihrer selbst willen nimmt sie ja doch keiner. Den einen kirrt der Mutterwitz, den andern ein Grübchen, den dritten nichts besseres: Sie und Ihres Gleichen — solide Leute mein’ ich — die Mitgift. Und was wird ihr denn für die und für jenes? Evens Erbtheil! die herbe Knechtschaft, Schmerz und Jammer. Wir gehen indeß ein bischen da- ein bischen dorthin und gehaben uns wohl.
Hermine hüpfte jetzt herein, an dem Freyer vorüber zum Onkel hin, welcher nach einem leisen, scherzhaften Wortwechsel das Zimmer verließ. Sie wollt’ ihm folgen als HerrMerker unter steifen Verbeugungen ihren Arm ergriff und Anstalt zu einem Handkuß machte. Das Mädchen zog den Arm zurück, er folgte ihr mit gespitztem Munde, bald tief hinab, bald in die Höhe nach und immer lauter lachte sie, und immer schneller flog die Hand bald rechts, bald links um seinen Scheitel. Der Geneckte ließ jetzt ab; doch stampfte er ein wenig mit dem Fuße. Hermine zog einen niedlichen Pantalon aus dem Ridikül, bedeckte ihn mit Küssen, nannt ihn mit süßen Nahmen, ließ das Männchen aus ihrer Hand in die seine hüpfen und sprach „Den bescheerte mir der heilige Christ.“
Herr Merker sah in dem Sprunge des Püppchens ein Merkzeichen ihrer Gunst. „Da hab ich mich besser angegriffen!“ rief er, an seine Tasche schlagend.
Wahrhaftig? O, ich glückliche. Und das konnten Sie über sich gewinnen?
Was seyn muß, muß seyn! sprach er mit Achselzucken.
Nun, so bescheeren Sie denn! Wir werden ja sehen. Die Gabe schildert den Geber, sie ist das Probemaß seines Geschmacks, und seiner Empfindungs-Weise.
Für’s erste „hob er an“ etwas Sammt zu einer Besetzung, und der istextra, Theuerste! Dann diesen Ring; ein Erbstück von der seligen Großmutter. Solche Kleinodien machen sich rar. Endlich und zuletzt einen sogenannten Koselschen Gulden den ich in Ihrer Münz-Sammlung vermißte — Wenig mit Liebe. Nehmen Sie! Ohne Widerrede!
Das Mädchen ließ den Sammt auf die Tafel, den Ring in seinen Hut, und das seltene Kabinets-Stück zu Boden fallen, drehte sich unter einem hellen Gelächter um ihre Achse und verschwand.
Herr Merker wußte nicht wie ihm geschah. Ein sauberes Lamm! „sprach er endlich“ Ey wenn Du doch heute noch auf die Schlacht-Bank geführt würdest!
EinAnbether folgte heute den andern, doch Hermine ließ sich verläugnen, sandte ihre Kains Opfer zurück und sah vergebens bis zum Abend dem einzigen Willkommenen entgegen. Woldemar ließ sich nicht blicken. Sie zögerte mit dem Nacht-Essen, sie eilte von Minute zu Minute ans Fenster und als der Onkel endlich zu Bette ging, voll Mißmuth in ihr Schlafgemach. „Der Undankbare!“ schalt das Mädchen und warf den Ueberrock ab. „Der Bestandlose!“ fuhr sie fort, und löste mit Ungestüm die Schleifen. „Der Verblendete!“ setzte sie seufzend hinzu und nahm jetzt befremdet eine wächserne Papagena wahr. Lächelnd saß das Püppchen unter dem Spiegel; es lag ein Notenblatt zu seinen Füßen.Er ist Dir nah!sprach der Text —
Er ist Dir nah, er lauscht am Freuden-Quelle.Des Kühnen Muth, der Sehnsucht heiße Welle,Der Liebe Schmerz dräng ihn zur stillen ZelleIn’s Heiligthum der Zauberin.
Er ist Dir nah, er lauscht am Freuden-Quelle.Des Kühnen Muth, der Sehnsucht heiße Welle,Der Liebe Schmerz dräng ihn zur stillen ZelleIn’s Heiligthum der Zauberin.
Er ist Dir nah, er lauscht am Freuden-Quelle.Des Kühnen Muth, der Sehnsucht heiße Welle,Der Liebe Schmerz dräng ihn zur stillen ZelleIn’s Heiligthum der Zauberin.
Er ist Dir nah, er lauscht am Freuden-Quelle.
Des Kühnen Muth, der Sehnsucht heiße Welle,
Der Liebe Schmerz dräng ihn zur stillen Zelle
In’s Heiligthum der Zauberin.
Hermine ließ das wahrsagende Blatt fallen und warf bestürzt ihre leuchtenden Augen umher, da rauschte der Vorhang des Alkovens und Woldemar trat, einem Genius gleich, aus dem Dunkel. Sie wollt’ ihrem Mädchen rufen, wollte zürnen, wollte fliehen und floh — in seinen Arm. „Tollkühner!“ stammelte sie unter den Küssen des Jünglings. Er zog die Liebliche an’s Herz, ihre Thränen bedeckten ihn; sie verbarg das glühende Gesicht an seiner Brust. „Mein also?“ rief er aus. „O himmlische Weih-Nacht!“
Früherals zu fürchten stand, ging Merkers letzter Segen in Erfüllung. Woldemar kehrte spät genug von dem Freuden-Quelle zurück; seine Wangen brannten, seyn Herz bebte; er sah begeistert zu den verblichenen Sternen auf, im Morgenroth die Farbe der Braut, im Wolkenflug den Tanz der schönsten Horen: entzückende, bedeutungsvolle Träume reiheten sich an die selige Wirklichkeit und auch diese erschien ihm, als er am hohen Mittag erwachte, nur wie ein Trugbild des Phantasus, denn die feurige Welle deren das Notenblatt gedachte, trug ihn weit über die Grenze seines Willens und seiner Erwartung hinaus.
Gestern erst hatte der Verschlossene, von dem Adjutanten gedrängt, einige Worte über das Geheimniß seines Herzens verlohren.Jetzt war der Wurf gelungen, jetzt sollte Julius sich mit ihm freun, jetzt sollte der Wildfang in Herminens Nähe geführt, von ihrer Anmuth gewonnen, von ihrem Werth ergriffen, erleuchtet von dem Himmelsglanz dieser Seele, zu dem längst verscherzten Glauben an die sittliche Güte des bessern Geschlechtes zurückkehren. Lästige Besuche hielten ihn fest, es war schon Abend, als Woldemar in des Freundes Behausung kam. Zwar fand er sie verschlossen, aber er hatte Licht gesehn, schlich, vertraut mit den Zugängen durch eine Hinterthür und trat, überraschend genug, in’s Kabinet. Julius sprang aus dem Arm eines Mädchens empor, das sich laut schreiend aufraffte und durch die offene Thür entfloh. Woldemar stürzte ihr nach. „Hermine!“ rief er, aber sie war unter dem Schutze der Nacht verschwunden. Er stand erstarrt auf offener Straße. Daß sie es war, litt keinen Zweifel, der Irrthum lag ausser dem Gebiete der Möglichkeit. Er hatte ihr Gesicht gesehn, jedenZug unterschieden. Das war ihr Hauskleid, das ihr Palatin und das sein Liebling unterihrem Häubchen.
„Du Störenfried!“ sprach Julius der ihm gefolgt war. Sage mir „fragte Woldemar“ auf Deine Seele frag ich Dich, war das die Wahl?
Julius schwieg betroffen still. Sie war’s! gestand er endlich. Sie war’s? rief jener aus und schlich sich heim. Der Zustand seines Gemüths kann leichter empfunden als beschrieben werden. Unglücklicher „sprach sein Gewissen“ wie mancher Pflicht hast Du entsagt, wie manches Glück verschmäht, wie manche Blume der Jugend hingeworfen, um der Eigensucht deines Götzen, den Launen einer Buhlerin zu fröhnen! Der Adjutant unterbrach dieses heilsame Selbst-Gespräch. Noch immer „sagte er“ läuft Dir das Glück nach. Ich komme jetzt um anzufragen, ob Dich die räthselhafte Göttin deren Du gestern gedachtestauch heute noch am Ziegel hält? Woldemar wendete sich schaamroth ab. Jener drehte ihn schnell um seine Achse, sah ihm tief in die unstäten Augen und sprach „Täuscht mich nicht alles, so ward die Fee zur Furie, oder zur Hexe, oder zum unerbittlichen Schicksal. Hin ist hin! Ermanne Dich, tritt zu den Freykorps. Der Würgengel ist ein wohlthätiger Genius, der alle diese zwerghaften Quälgeister des Stilllebens austreibt und die entarteten, verzauberten Männer von dem Rocken ihrer Omphale losschließt; das Bett der Ehre ist reitzender als das der Schäferin, und der Riese der Gefahr minder furchtbar als eine schmollende Tyrannin mit dem feindseligen Gesindel ihrer Grillen.“
Führe mich zum General, „fiel Woldemar erheitert ein“ ich bin der Deine. Mit Freuden weih ich mich von nun an dem Tode.
Schlag ein! „entgegnete der Adjutant, und drückte ihn an seine Brust.“ Hand in Handzum ernsten Waffentanze! Bestelle Dein Haus, wir gehn nach wenigen Stunden zur Armee ab.
AlsJulius am Morgen der schlaflos hingebrachten Nacht zu dem Freund eilte, um sich von der eigentlichen Triebfeder seines gestrigen Ueberfalls und Benehmens zu unterrichten, klopft’ er lange ungehört an alle Thüren. Endlich kam der Wirth herbey, beklagte den Verlust eines so lieben Hausgenossen, erzählte dem Baron, daß ihm Woldemar einige Koffer in Verwahrung gegeben und vor Tage noch mit Extrapost abgereist sey. Dieser bestand auf einem Briefe, welchen sein Freund nothwendig für ihn zurückgelassen haben müsse und vermochte denWirth die Zimmer zu öffnen, doch fand sich nirgends ein solcher vor, wohl aber lag Herminens Schattenriß zerrissen am Boden. Julius begriff so wenig wie sich dieß Bild zu dem Geflohenen, als gestern Woldemar, wie das Original in die Arme des Barons sich habe verlieren können. Erblassend las er die Stücke auf und kehrte, jenem gleich, von Mißtrauen, Aerger und Argwohn gefoltert, zurück.
Woldemar zog indeß in Erinnerungen an den kurzen Göttertraum seines Lebens versunken, dem fernen Ziele der neuen Bestimmung entgegen und verwünschte diese bereits, als er sich, um ihm die nöthigen Vorkenntnisse zu verschaffen, im Rücken der Armee, bey dem Depot des Regiments angestellt sah. Die Edelfrau des Rittersitzes auf dem man ihm sein Quartier anwies, empfing den erstarrten, mit Eis und Schnee bedeckten Officier aufs wohlwollendste und führte ihn unter herzlichen Aeußerungen von Theilnahmein ein freundliches Stübchen, das mit allen, lang entbehrten Bequemlichkeiten versehen war. Ueberall sprachen ihn Bilder des Friedens, Symbole eines schön geordneten Lebens an; er sah in der gütigen Baronin seine selige Mutter, in dem holden, geschäftigen Fräulein den Schutzgeist des Hauses, in ihrer reitzenden, geistvollen Gesellschafterin den traulichen Genius der Freundschaft. Die Wolken des tiefen,lang genährten Unmuths brachen sich, ein heller Sonnenblick fiel in sein Herz.
Woldemar eilte, sich umzukleiden und wartete der Baronin auf. Sie nahm das Wort, unterhielt ihn von den unseligen Früchten des Kriegs, von den Schrecken die er verbreitete, von der Angst in die er sie schon oft versetzt, von dem hoffnungsvollen, einzigen Sohne, den ihr die erste Schlacht geraubt habe. Der Zuhörer hatte indeß bald zu dem Flügel auf dem Auguste nur einzelne, leise Töne anschlug, bald an den Nähtisch der Gesellschafterinhingesehen, hatte des Fräuleins blonde Locken mit Julianens schwarzen Flechten, ihr blaues, himmelreines Auge mit diesen dunkeln, misterischen, Augustens zarten, wie von Geisterhand gewebten Bau mit der üppigen Fülle der Frau von Wessen verglichen, die ihm jetzt als die Wittwe des Gefallenen vorgestellt ward. Auguste hörte kaum des verlohrnen Bruders gedenken, als ihre Hand unwillkührlich ein Adagio anschlug; schnell aber zog sie sich zurück, um den Perlen des schwesterlichen Thränen-Opfers zu begegnen: Frau von Wessen hingegen nähete gleichmüthig fort und sprach mit süßem Silberton „O, lassen wir ihn ruhn,ma mere! Welche Hölle wird das Leben, wenn uns der schwarze Geist der Vergangenheit die Genüsse der Gegenwart verkümmern darf. Ich für meinen Theil habe mich gewöhnt jeden Abend aus der Lethe zu trinken, um mit jedem Morgen zu einem neuen Leben aufzustehen.“
Auf diesem Wege „entgegnete Woldemar“ wird uns der schwarze Geist allerdings immer gerüstet finden und keine lächelnde Hore ungenossen vorüber fliehen. Verständ’ ichs nur mich an den heiligen Strom zu betten.
„Der Wille macht ihn dienstbar“ entgegnete Julie.
„Der Leichtsinn vielmehr!“ fiel die Baronin ein.
„Die göttliche Gabe!“ erwiederte jene. Wir klagen fort und fort ein Schicksal an, daß nur den Feigen geißelt und verfolgt. Aber man ziehe doch — es gilt den Versuch — jede vorschnelle Sorge für die Zukunft, jede unnütze Nachwehe der Vergangenheit, jede Distel des ziellosen Stunden-Kummers aus dem Strauß eines Jahres, und ich bin gewiß daß uns der freundliche Rest mit den wenigen, unvertilgbaren Dornen versöhnen wird.
Die Baronin, welche nach Art allezeitfertiger Kreuzträgerinnen Geschmack am Leide, Zerstreuung in der Klage, Genuß im Kummerfand und wie jene der Hoffnung lebte, dort um so herrlicher zu prangen, je demüthiger und zerknirschter sie sich hier unter der Hand Gottes gekrümmt habe, bewies in einer ausführlichen Gegenrede die Unzureichbarkeit dieses Receptes. Augusteblätterte in ihren Noten, Woldemar aber warf bereits, dem Rathe gemäß, den verdächtigen Freund und die tugendlose Braut aus dem Kranz seines Lebens, um ihn durch jene glühende Rose und dies liebliche, mit dem Himmelsthau der Thränen bedeckte Veilchen zu ergänzen. Selbst seine Anstellung bey dem Depot, vorhin eine Quelle des Mißmuths, ward jetzt als eine göttliche Schickung ganz ohne Murren hingenommen und der liebenswerthe Gast kehrte erst spät am Abend, von dem Wohlwollen der Töchter und dem Zutrauen der Mutter begleitet, in das heimliche Stübchen zurück.
Schnellgenug „schrieb ihm Julius bald darauf“ hat sich das seltsame Räthsel, welches uns entzweyte und den friedlichen Schäfer zum Wehrwolf machte, gelöst. Der Freund eilt deshalb, den unschuldigsten aller jetzt lebenden Freybeuter mit Aufschlüssen zu versehen, die Dich ohnfehlbar aus dem eisernen Felde an das Herz einer viel süßern Beute zurückführen werden.
Ich kam, wie Du weißt, im November von Paris zurück, bezog mein gegenwärtiges Quartier, stellte mich aus angestammter Galanterie den sämmtlichen Hausgenossen vor und fand im Laufe dieser Arbeit einen Schatz der weder von Tanten noch Riesen, noch Drachen bewacht, des Schutzes dennoch mehr als einer bedürftig schien. Daseinsame Mädchen ließ mich zu wiederholten Mahlen die Schelle ziehen. Sie sah, (ich merkte es deutlich) durch’s Schlüßelloch, öffnete endlich, im Glauben an die Arglosigkeit, welche ich während dieser Besichtigung auf Stirn und Lippe treten ließ, das enge Dachstübchen, führte mich über eine Saat von Flohr-Schnitzeln zu dem einzigen Stuhle hin und nahm, dem Gaste gegenüber, auf ihrem Bettchen Platz. Ich verglich sie nach den ersten Begrüssungen der Perl, die des Zufalls Laune in eine unscheinbare Wohnung vergräbt, sie aber bestand darauf nur ein Blümchen zu seyn, das des Zufalls Spiel vor kurzem hergeweht habe. Ein Wort veranlaßte das andere, meine Theilnahme erweckte Vertrauen, die reiche Stickung meines Kleides Hoffnungen auf einen Engel vom Himmel, und so erfuhr ich denn, daß die bildschöne Putzmacherin ein Kind der Liebe, daß sie um gewisse Rechte geltend zu machen, hieher gekommensey und sich bis zu Austrag dieser Angelegenheit von der Arbeit ihrer Hände nähre. Du glaubst nicht wie reitzend Therese durch dieß Geständniß in meinen Augen ward, mit welcher Schonung, welchem himmlischen Erröthen sie ihrer Mutter, in wenig leisen, kaum vernehmbaren Tönen jener Schwäche zieh, wie sichtlich es ihr weh that, vom jungfräulichen Zartgefühl gebunden, den Fehltritt, welcher der Erde eine Grazie gab, unentschuldigt lassen zu müssen. Ich that es jetzt an ihrer Statt, und gebehrdete mich so ehrbar und zierlich wie der Engel der Verkündigung in alten Comödien. Auch wollte Therese bereits von der Frau Wirthin eine Schilderung meiner mannigfaltigen Vorzüge vernommen haben, und es kostete mir nicht wenig, die Frau Hausbesitzerin der Partheylichkeit zu bezüchtigen. Jetzt gab es endlich eine Pause. Sie machte, des Lebewohls gewärtig, eine leise Bewegung, ich aber hielt noch unverrückt das Wasserglasund zwey Semmel-Schnitten, wahrscheinliche Reste ihres Mittags-Mahls im Auge und vermißte zu meinem Verdruß den kecken Muth mit dem ich oft so mancher ihrer Schwestern einen viel zweydeutigern Beystand geboten hatte. Es gibt „sprach ich endlich im Ton der Weihe“ es gibt der Wölfe die im Schafskleid, der Satans Engel, die im Lichtgewand guter Genien einhertreten, so viele — so viele — daß — „Ein Blick in ihre hellen, lauschenden Augen brachte mich so schnell um die Folgerung, daß ich in der Verlegenheit, mit der Hand einen Gedankenstrich durch die Luft beschrieb, und kleinlaut fortfuhr“ Kurz und gut! Sie dürfen mich unbedenklich als einen Vormund ansehen, der Ihnen das väterliche Erbtheil schuldig blieb. Meine rechte Hand faßte während der großmüthigen Erklärung die ihre, die linke warf einige Dukaten in das halbvolle Wasserglas. Ich sah; ich setzte vielleicht sogar — Du glaubst mir das aufs Wort —schon manches Mädchen in Verlegenheit, doch sah ich keine je in einer reitzendern. Sollte sie um den Vorschuß zurückzugeben, den Gesetzen des Anstandes entgegen, vor meinen Augen Fischerey treiben? Die kleinen Finger reichten, es sprang ins Auge, nicht zu dem Gold hinab; dazu machte der reine Mangel an Gefäßen die Entfernung des überflüßigen Wassers ohnmöglich, und der gütige Geber war verschwunden als sie noch im Kampfe zwischen Schaam und Bedürfniß, wie Eva vor dem Gold-Fruchtbaum stand. Erbaut von dieser guten That, wie mein Herz sie zu nennen beliebte, gelob’ ich mir noch auf der Treppe nie mehr als ihr Vormund werden zu wollen, und treffe im Vorsaal auf den Jäger des Vaters, der mich an sein Sterbebett bescheidet.
Ich eil’ auf das Gut, find ihn im Sarge und im Gefolge seines Todes eineMasse von Geschäften, die mich dort bis Weihnacht festhält.
Vergessen ist Therese, der Gedank’ an sie ging in den Wunden des Verwaisten, im Würbel ernster Zerstreuungen unter; eine süße Erinnerung spricht mich bey der Rückkehr in meine Wohnung an. Ich gedenke der gelobten Vormundschaft, widerrathe mir, den neulichen Besuch zu wiederholen und sinne eben auf Mittel sie durch die dritte Hand mit einem Weihnacht-Geschenk zu erfreuen, als man leis an meine Thüre klopft. Sie thut sich auf, ein Engels-Köpfchen sieht in’s Zimmer. Sind Sie allein? fragt ihre Flöten-Stimme und Therese steht vor mir. Ich schiebe, des Bedienten wegen, ihr unbewußt den Riegel vor und führe, betroffener als sie selbst, die schüchterne, zitternde Taube zum Sopha.
Zu Ihnen „flisterte sie und drückte schneller als ich dem wehren konnte, meine Handan den rosigen Mund“ Zu Ihnen darf sich wohl ein Mädchen wagen?
Ich gestehe Dir, Woldemar, daß mein neuer Adam, eingedenk jenes Gelübdes, sich jetzt ein wenig überhob und schon im Geiste die süßen Zinsen abwies, die mir die gewissenhafte Schuldnerin ganz augenscheinlich entgegen trug; daß mich daher die Schaamröthe um so brennender überlief, als sie jene Goldstücke in die Hand des Lehners drückte, und mit sichtlicher Rührung sprach — Der gute Geist der mir diesen Helfer erweckte, hat meine Sache geführt; hat mich in einer gefürchteten Feindin, eine großmüthige Wohlthäterin finden lassen —
„Wohl nur einen Wohlthäter?“ unterbrach ich sie, von dem grämlichsten Unmuth übereilt, mit satirischem Lächeln. Therese sah mich schwer beleidigt an — so ohngefähr wie ein Engel den verhärteten Sünder fixiren würde, und helle Wemuthsthränen fielen jetzt aus ihren Augen. Sie fielen in meinHerz, es bat um Verzeihung; einem Verzückten gleich, sprach ich von dem Sonnenglanz ihrer Unschuld, schlang den Arm um Theresens Nacken und plötzlich standst Du, einem Nachtgespenst gleich, vor der heiligen Gruppe. Das Mädchen entsetzt sich, springt nach der Thür, flieht auf ihr Zimmer. Ich stürze Dir nach, erstaunt über den lebhaften Antheil den Du an meinem Schützling nimmst. Ich sehe in diesem Ueberfalle das Treiben der Eifersucht, und überzeuge mich des Angstrufs eingedenk mit dem sie fortstürzt, um so schneller, daß diese Heilige nur eine Heuchlerin, und Du selbst die vorgebliche Wohlthäterin seyst. Sie zu entlarven eil ich nun nach ihrem Zimmer, es ist verschlossen; ich höre sie schluchzen: vergebens drängen sich meine Beschwörungen durch das ansehnliche Schlüsselloch. Ich sehe jetzt hindurch, sehe das Mädchen auf seine Knie hingeworfen, die Hände gefaltet zum Himmel erhoben, und in allen dem nur das Spiel einer Kokette die sich bemerktweiß. Mein Argwohn wird, als ich am Morgen Theresens Schattenriß zerstückt in Deinem Zimmer finde, von neuem zur Gewißheit. Ich schreib’ ihr, lege die Stücke des Bildes bey, nenne sie einen Satans-Engel; zerreiße den tobenden, halb fertigen Straf-Prediger, schreib’ einen zweyten, verbrenne die Kriegs-Erklärung und zwinge mich endlich zu dem dritten, bescheidenern, auf welchen mir am folgenden Morgen die beyliegende, das Räthsel erfreuend auflösende Antwort zukam. Du kannst denken, guter Woldemar, wie feurig meine Reue, wie viel beschämender noch als die gestrige, meine heutige Abbitte war —
Soweit hatte Woldemar gelesen und still ergrimmt der Fabel gelacht mit der man ihn jetzt, einem Kinde gleich, verblenden wollte, als plötzlich in der Nähe Schüsse fielen. Er sah die Besatzung des Dorfs in regellosen Haufen dem Schlosse zustürzen, warf den Brief samt der ansehnlichen, noch ungelesenen Beylage auf den Tisch, griff zu den Waffen und eilte in den Hof hinab.
Der Feind! rief ihm Frau von Wessen aus dem Keller-Halse nach; ohnmächtig lag Auguste vor der Treppe. Er trug sie in den Arm der Schwägerin. Der Feind! riefen die herbeyströmenden Rekruten und Woldemar rief nach dem Hauptmann. Den aber hatte bereits eine Kugel getödtet und alles floh nun dem Neuling zu.
Das Schloß war allerdings fest genug, es einige Stunden lang gegen ein fliegendes Corps zu vertheidigen und da es die Geld- und Feld-Geräths-Wagen des Regiments enthielt, ein Gegenstand von hoher Bedeutung. Der Gärtner der Baronin hatte bereits die Zugbrücke aufgezogen, der Verwalter die Thore zugeworfen, der Jäger jedem dienstbaren Geiste seiner Herrschaft ein Gewehr in die Hand gedrückt. Woldemar begriff die Möglichkeit einer solchen Erscheinung um so weniger, da er sich vier Meilen hinter der Armee, von Truppen umgeben, kurz in Abrahams Schooß wußte. Aber der kühne Partheygänger hatte sichdenn doch, trotz dem Heere das auf seinen Lorbern ruhte, von dem Schnee-Gestöber begünstigt, durch das Gebürge geschlichen. Eben befand er sich mit Geißeln, Brandschatzungen, und einer erbeuteten Kriegs-Kasse beschwert auf dem Rückweg und würde die Wessenburg wohl ganz unangetastet gelassen haben, wenn nicht Woldemars Hauptmannden Vortrab des feindlichen Zugs, auf einen Dienstritt entdeckt, und sich ihm mit allem was sich aufraffen ließ, in den Weg geworfen hätte. Der Kühne fiel, und die Freyjäger flohen nun dem Schlosse zu, das der Führer des Vortrapps mit Ungestüm angriff. Woldemar fühlte lebhaft was er den Damen, dem Vaterland, der Ehre seines Degens schuldig sey und belebte durch wenig erhebende Worte den gesunkenen Muth seiner Brüder. Ihr Widerstand verwickelte den Feind der indeß von den herbey fliegenden Schaaren seiner Verfolger ereilt, umringt und zusamt der gemachten Beute gefangen ward.
AlsWoldemar am folgenden Morgen, von dem Schmerz einer empfangenen Kopfwunde geweckt, aus tiefer Betäubung erwachte, stand die Baronin zu des Bettes Häupten und Frau von Wessen neben ihr. Diese lächelte, jene weinte, der Wundarzt gab den besten Trost; bald darauf erschien auch der Adjutant; er warf ihm unter zweydeutigen Glückwünschen ein Hauptmanns-Patent auf die Decke. Da siehst Du „sprach er“ wie blind das Glück, wie mächtig der Kriegs-Gott in den Schwachen ist. Dein zufälliger, folgenreicher Widerstand hat Dir plötzlich einen Nahmen gemacht und eine Stelle verschafft nach der ich seit zwanzig Dienst-Jahren vergebens strebte. Eben kam auch Auguste herbey, sprach von den Schrecken des Gefechts, von WoldemarsRitterdienst und seinem Heldenmuth. Mutter und Schwägerin stimmten ein und der Adjutant kehrte nach einem frostigen Lebewohl, mit verbittertem Gemüth auf seinen Posten zurück. Woldemar sah jetzt — wie am Morgen der Weih-Nacht in der er die stille Myrte brach — auch in dem schnell erworbenen Lorber nur ein Gaukel-Spiel der Phantasie, in dem Patent nur ein Papier das ihn an jenen Brief erinnerte, nach dem er jetzt, vom Fiebertraum erwacht, mit Sehnsucht fragte. Vergebens suchte die Baronin das Stübchen, der Bediente seine Taschen, der Wundarzt den Zwinger des Schlosses aus; weder der Brief, noch die bedeutende Beylage war zu finden und der herbey gerufene Jäger, welcher aus diesem Zimmer auf die Feinde schoß, gestand daß er allerdings einige hier gelegene Papiere unbesehen zu Pfropfen für sein Gewehr verbraucht habe.
Frau von Wessen bot sich dem Kranken zum Sekretär an, und er sagte ihr mittenim Schmerz einige Zeilen für den verdächtigen Freund in die Feder. Nur der Wohlstand konnte die holde Pflegerin für kurze Zeiträume vor seinem Bett entfernen und diese zarte, unerschöpfliche Sorgfalt gewann ihr schnell genug das erkenntlichste Herz. Julie errieth seine Wünsche, seine Winke, seine Verhältnisse; scheuchte mit lieblichen Liedern jede Grille, mit zarter Hand jede Winter-Fliege vom Bette des Kranken, bot ihm die hülfreiche bey jedem Verbande und führte ihn allgemach durch eine Reihe wohlthuender Situationen. Das Wundfieber nahm zusehends ab, schon vermocht er außerhalb des Bettes zu dauern und auch Auguste wagte sich nun wieder in des Freundes Nähe.
Sehen Sie „sprach Julie, als sie eines Abends an seiner Seite spann“ ich bin die Parze die Ihr Leben spinnt. Ein langer Faden, rein und glänzend.
Hygea vielmehr! erwiederte er.
Hygea spann ja nicht! „sagte das abgehende Fräulein“ nur Schlangen nährte die —
Heilbringende! rief ihr Woldemar nach.
„Galt das mir oder Ihnen?“ lispelte Julie. Der Zorn röthete schnell ihre Wangen. Rasch ergriff er den Arm der Spinnerin. Meine Hygea! sprach der Dankbare, von süßen Regungen durchdrungen.
Die Schlange sticht! erwiederte Frau von Wessen und verletzte seine Hand mit der Spindel. Ein Tropfen Blut trat hervor. Sie küßt’ ihn lachend weg, er zog sie an das Herz. Die dunkeln, verlangenden Augen glänzten hart vor den seinen, die lüsterne Lippe vermählte sich dem begehrenden Munde, Juliens Busen schlug voll glühender Sinnlichkeit an Woldemars Brust.
FrauTochter „sprach die Baronin, als jene in das Familien-Zimmer hinab kam“ vergebens hab ich bisher als Freundin Sie gewarnt, als Mutter Sie gebeten dieses thörichte Herz zu bewahren, und Ihrem Leichtsinn nicht die Ehre meines Nahmens preis zu geben — Ihren Begierden vielmehr! Unwürdige! So ehrst Du das Gedächtniß Deines Gatten?
Julie stellte den Rocken bey Seite, setzte sich zum Nähtisch hin und wiederholte mit Gelassenheit —
Begierden? Unwürdige? Sie sind sehr aufgebracht,ma mere!
Der junge Mann hat Zartgefühl. Er muß die Zudringliche verachten.
Eine so gute Christin sollte gütiger seyn,gnädige Frau; gerechter wenigstens; denn selbst das höchste Gebot entschuldigt die Zudringlichkeit der Menschenliebe. Daß ich ihm wohl will, ist in der Regel. Sehr wohl,ma mere! Nie sah mein Auge in ein reineres, nie begegnete mein Herz einem wärmern. Darum empört mich ihre Härte nicht. Was gibt es süßeres als um den Mann zu leiden, den wir lieben?
Also ein Anschlag auf seine Hand?
Auf Anschläge verstehen sich in der Regel die Mütter nur. Ich folge kindlich dem Gefühle.
Nur leider nicht dem Zartgefühl. Ihr seliger Mann hat das erfahren.
Friede sey mit ihm. Er weiß nun, wer ihm wohl und wer mir übel wollte.
Ich wollte Dein Glück, Undankbare!
Glück macht die Liebe nur und nurSiehat er geliebt. Gefürchtet vielmehr. Mein Herz war lauter Flamme, das seine lauterErz, und immer spröder ward es, bis der Tod es brach.
Du brachst es früher schon!
Julie warf einen glühenden Blick auf die Mutter, verbarg ihr empörtes Gefühl hinter einem unholden Lächeln und schwieg.
Sähe der Hauptmann dies Gesicht „fuhr jene fort“ er würde noch entschiedener zurücktreten.
Er würde mich bedauern und erlösen.
Erlösen, sagst Du? Geh, ich verwerfe Dich!
Sie werfen mich in seinen Arm. Ich komm’ aus diesem!
Die Baronin faltete seufzend die Hände und schlich abseits, dem Himmel ihre Noth zu klagen.
Hygeahatte den genesenden Jüngling in der feurigsten Wallung verlassen. Noch glühte jener Wonnekuß auf seinen Lippen, noch sah er diese flammenden Augen, die Fülle der schnell bewegten Brust. Sein ganzes Wesen war in Aufruhr und die seltsamste Erscheinung weckte ihn nach Mitternacht vom Schlummer auf. Der volle Mond beschien ein niedliches Gespenst das aus der Wand hervor zu schweben schien, nun seinem Bette näher tratt und zögernd an ihm lauschte. Woldemar bog sich mit klopfenden Herzen nach der Mauer zurück, wollte seinen Sinnen nicht trauen, wagt’ es kaum einen Blick auf die Erscheinung zu werfen, und kämpfte noch unentschlossen mit sich selbst als der seltsame Zuspruch wieder aufbrach und mit der Leichtigkeit eines Schattenszurückkehrte. Schnell wuchs sein Muth, er schlich ihm durch die Oeffnung nach und stand jetzt vor dem Bett in dem die Frau von Wessen schlief. Betroffen weilte er an der fesselnden Stätte und traf, als ihn sein Genius fortzog, auf ein zweytes in dem Auguste, lächelnd wie die Unschuld ruhte.
Woldemar, der bis dahin die heimliche Tapeten-Thür übersehn und nie geahnt hatte, daß sein Stübchen an diese Schatzkammer grenze, machte sie bey der Rückkehr mit leiser Schonung zu und glaubte zuversichtlich durch die Nachwehen des Wundfiebers zum Geisterseher geworden zu seyn, denn hätte selbst — der Fall war nicht denkbar — sich eine dieser Schläferinnen zu einem solchen Schritt vergessen können, so würde er ja die Fliehende ereilt oder erkannt haben.
Das unerklärbare Räthsel beschäftigte ihn bis zum Morgen, jetzt aber wich der Glaube an das Spiel einer krankhaften Phantasie dem Erstaunen mit welchem er ein himmelblaues,vor seinem Bette liegendes Band erblickte, und dieses dem Schauer des Fiebers, das im Gefolge der erschütternden Zauberspiele dieser Stunden zurückkehrte.
Auchdie Baronne war am Morgen erkrankt, hatte den Beystand der Schwiegertochter zurückgewiesen und Auguste, gewöhnt der Feindin wohlzuthun, für dies Mahl vergebens alles aufgebothen den Groll des tief empörten Mutterherzens zu beschwören.
Julie schlich sich, von der Mutter verschmäht, zu dem Freunde hinüber der bey ihrem Eintritt seinen Rückfall vergaß, und schüttete ihr Herz vor ihm aus. Der Kindheit Freuden hatte ihr, laut dieser Geständnisse, eine grausame Stiefmutter, die Blumen der Jugend ein liebloser Gatte und die herrschsüchtige Baroningeraubt. Diese verkenne, Auguste beneide sie, und beyde sähen in dem heiligen Mitgefühl, in dem reinen Feuer der Theilnahme das sie zur Pflegerin des edelsten Mannes gemacht habe, nur den schlau berechneten Plan einer Kokette. Helle Thränen begleiteten die rührende Elegie, sein fieberhaft reitzbares Herz sprach nur zu laut für die Weinende. Sie nannte ihn ihren einzigen Freund, er aber nannte sich ihren ewigen Schuldner und gedachte seufzend gewisser Fesseln, die seine feurige Vergeltungs-Lust für den Augenblick noch gefangen hielten.
Daß mein Gemüth „erwiederte Julie“ die Heiligkeit dieser Pflichten kennt, daß es selbst die Ansprüche einer Unwürdigen zu ehren versteht, bezeugt die Fassung mit der es in jener Nacht das feurigste aller Gelübde zurückwies.
Welche Gelübde? „sprach er im Herzen zu sich selbst.“ In welcher Nacht?
Oder hätte die Krankheit Sie in jener unvergeßlichen Stunde zum bewußtlosen Schwätzergemacht? Wohl Ihnen dann! Dann wäre ja Hermine nur ein Traumbild, das mit der wiederkehrenden Besinnung in sein Nichts zerfloß und ihre Treulosigkeit ein Phantom das im Morgenrothe der Genesung unterging. Woldemar sah verstummt zu Boden. Und Wohl auch mir! „fuhr Frau von Wessen fort“ der da ein Gott die Kraft verlieh, dem feurigsten aller Männer zu widerstehen, und die Erhörung zu verzögern.
Unseliges Verhängniß! „rief er und sprang auf“ O, warum streifte mich der Fittich des Würgengels nur? Wie gern schlief ich in seinem Arme!
Oder am Herzen der Verlobten?
Ich bin sehr elend! Nimm mich an das Deine. An das hart verletzte, das ich heilen will und muß.
Nicht also, guter Woldemar, ein Engel wird diese Wunden verbinden, der Engel der Vergeltung der unsere Opfer zählt und unsere Thränen.
Ich will alles gut machen! „rief er, hingerissen von der Fluth seiner Gefühle, von einer unzeitigen Großmuth gemeistert“ ja, ich gelob es! Nur das Mitleid sagst Du, die Theilnahme nur, nur die laue Hand der Freundschaft hätte Dich Wochenlang an meinem Bette festgehalten? Nur um ihretwillen hättest Du dem Grolle der Schwester, dem Zorne der Baronin, der Verläumdung bösartiger Thoren getrotzt? Nur aus Rücksicht auf die geflohene Treulose meiner Hand entsagt, die ich Dir — zwar in des Fiebers Gluth — doch wahrlich, inspirirt von meinem Engel both?
Still, Frevler — Still! „rief Juliane jetzt.“ Sie fühlen nicht wie tief mich diese Zweifel beugen; die Flamme nicht, die an unheilbare Wunden schlägt. O warum muß die böse Fee zwischen mich und den Abgott meines Lebens treten?
Lieblicher hatte nie eine Frage seinem Ohr geschmeichelt, schneller nie ein Zauber seinHerz umstrickt, kein sterblich Weib ihn je so magisch angezogen. Die Spiegel ihrer Seele flammten wie Sterne durch die Nacht des Grams, der Wehmuth Genius schien aus dem Rosenkelche dieser Lippen ihn um Erbarmen anzuflehen. Er faßte sie mit starkem Arm, er hob sie hoch, an’s Herz empor und bedeckte die Schluchzende mit zahllosen Küssen. Ich bin der Deine! „rief er“ wirst Du dies zweyte heißere Gelübde verschmähen?
Liebling — Bräutigam! Himmlischer Geist! stammelte Julie und ließ die Lippen des Trunkenen schalten. Man klopfte, er vernahm es nicht. Auguste trat herein ihre Schwägerin abzurufen; sie wand sich sanft aus seinem Arm, sprach zu dem Fräulein, dessen Antlitz ein edles Schaamroth überflog. „Nimm hier kein Aergerniß, wir sind verlobt!“ und hüpfte fort.
Auguste verbeugte sich gegen den Hauptmann, und wollte der Braut folgen, Woldemar aber faßte ihre Hand und bestätigte ingebrochenen Worten Juliens Versicherung. Ich kenne „erwiederte das Fräulein“ die Gesinnungen meiner Mutter zu wenig und die Gefahren Ihres Standes zu genau um Beyden jetzt schon Glück zu wünschen. Er ließ beleidigt Augustens Hand fallen. Aber wie kömmt dieß Band in Ihr Zimmer? „fragte sie jetzt, und nahm es vom nahen Tische weg“ vergebens hab ich es heut’ am Morgen gesucht.
Ein Strumpfband vielleicht? Sie verstummte.
Oder etwa gar der Gürtel der Vesta? Auf jeden Fall sind Sie im Stande mir das Räthsel zu lösen. Vor meinem Bette fand ich es. Ihr Schutzgeist, Fräulein, trug diesen Talismann mitten in der Nacht in mein Zimmer.
Auguste wechselte die Farbe, der Hauptmann sah ihr starr in’s Gesicht — „Und die misterische Pforte hier — unstreitig führt sie in das Geisterreich; aus ihr tratt der willkommeneGast hervor, durch sie kehrt’ er zurück. So ist es — auf mein Ehrenwort!“
Ihre Hände bebten, ihre Wangen verblichen, sie wankte sprachlos aus dem Zimmer.
Woldemarsah ihr staunend nach. Sein Kopf brannte, sein Herz glühte, Feuer rann in seinen Adern, er eilte Luft zu schöpfen, in den Zwinger der das Schloß umgab. Die Erscheinungen dieser Zeit schwebten wie Geistertänze vor seiner Seele und der Schutt und die Blutspuren im Schnee weckten Erinnerungen an jenes ehrenvolle Gefecht in ihm auf. Er freute sich der gelungenen That, dachte des Getümmels das ihr voranging, des empfangenen Briefes den der Jäger der Baronin in seinem Diensteifer verbracht hatte undeilte zu sehen ob sich nicht Reste desselben auffinden ließen, unter sein Fenster hin. Lange störte er vergebens zwischen Eis und Schnee und dem Abbiß der Patronen, fand endlich ein bedeutend scheinendes, zerrissenes Blättchen und las —
„Die großmüthige Schwester — das Häubchen von ihrem Kopfe — zur Täuschung ähnlich —“
„Die großmüthige Schwester — das Häubchen von ihrem Kopfe — zur Täuschung ähnlich —“
Eine kalte Hand griff ihm in’s Herz. Er sann und sann und suchte jetzt angsthafter; ihn aber suchten die Bedienten, denn eine Ordonanz aus dem Hauptquartier war gekommen. Der Husar erbat sich einen Empfangschein und übergab die Depesche. Woldemar fertigte ihn ab, öffnete den Befehl, sah sich angewiesen mit der unterhabenden Mannschaft alsogleich aufzubrechen, des fördersamsten im Haupt-Quartier einzutreffen, oder falls sein Gesundheits-Zustand ihm dies für seine Person nicht gestatte, ohne Zögerung nach dem Lazareth abzugehn.
Schnell ward gepackt, gesattelt, und der General-Marsch geschlagen,denn kein Augenblick war zu verlieren wenn das entfernte Ziel, den Worten der Depesche gemäß, erreicht werden sollte.
Juliehatte indeß, trotz dem bestimmten Verbote, die kranke Schwiegermutter heimgesucht, das gestrige unkindliche Benehmen mit der Heftigkeit ihres Charakters entschuldigt, ihre Hände mit Küssen bedeckt, heilige Sprüche und schöne Sentenzen zu Mittlern gemacht und so den Zorn der gutmüthigen Baronin in Wehmuth, den stillen Groll in herzliche Vergebung aufgelöst. Jetzt hielt Frau von Wessen ihrem Woldemar eine Schutzrede der die Mutter um so weniger zu widersprechenvermochte, da sie früher selbst seiner Bescheidenheit, seiner Sittlichkeit, und so mancher liebenswürdigen Eigenschaft die ihn auszeichnete, das gebührende Lob ertheilt hatte. Zu allen dem „fuhr jene fort“ hat Ihnen Gott in dem edlen Mann einen Engel gesandt, denn wie wäre es uns ergangen, wenn er nicht Wunder that. Dieses Haus läg in der Asche, Sie vielleicht im Grabe, ich und Auguste ständen, des Aergsten gar nicht zu gedenken, geplündert und verlassen am Scheidewege. Was wir sind, was wir haben, erhielt uns seine Hand und die wollten Sie aus der Hand seiner Vergelterin reißen? Der Himmel selbst belohnte diese That und öffnete ihm eine glänzende Laufbahn.
Gewiß würde die Baronin in Hinsicht auf den Werth des Freyers, auf den Schutz, welchen sie ihm dankte, dieß Einverständniß wohl eher begünstigt als gescholten haben, wenn ihr das Glück der Tochter nicht näher als das der Verwandtin am Herzen gelegenhätte. Sie kannte nur zu gut den Quell des stillen Grams der aus Augustens verweinten Augen sprach und begriff nicht, wie ein so zartfühlender Mann, blind für den Zauber dieser Himmelsblume, nach der dornigten prahlenden Rose zu greifen vermochte. Da indeß die Ehen, ihrem Glauben zu Folge, des Himmels Sache waren und die Frau von Wessen bereits als verlobte Braut um ihren Segen bat, so vergab sie mit sanften Worten den übereilten Schritt, behielt sich das Weitere bis zu ihrer Genesung vor und drang darauf daß Woldemar zuförderst einem Stande, der Julien bereits zur Wittwe gemacht habe, entsagen solle. Frau von Wessen erklärte selbst diese Bedingung für zweckvoll und unerläßlich und sah jetzt, still entzückt, in der sinkenden Sonne den Herold des Braut-Abends. Da ward es plötzlich lebhaft auf dem Hofe, des Hauptmanns Leute liefen durch einander, der eine sattelte, der andere sprach von nahemBlutvergießen, der Ruf der Trommel scholl aus dem Dorf herauf.
Die Kniee wankten unter ihr, sie stürzte geisterbleich hinüber, in Woldemars Arm.
Was soll das? „fragte er mit verbissenem Schmerz“ Warst Du nicht eines Soldaten Frau? Euch ziemt, wie uns, gefaßter Muth.
Doch zu schrecklich war der jähe Sturz vom Sonnenziele in die Nacht des Grams, zu tief der Fall für ein so zügelloses Herz das jedes Lächeln des Geschicks zum Himmel hob, jeder Umfall in die Höhle des Jammers hinabwarf. Wimmernd hing sie an Woldemars Halse, hielt ihn krampfhaft umfaßt und ihre Lippen zuckten gichterisch.
Bald sehen wir uns wieder! „tröstete er mit halber Stimme.“Oft!sagt mein Herz — nach wenig Tagen vielleicht, und am Ziele winkt ein Hafen in dem uns nichts mehr trennen soll. Aber die Jammernde verwarf jeden Trost. Nimm! „rief sie und schnitt mit schonungsloserHast eine Flechte von dem glänzenden Haupthaar.“ Nimm und gedenke mein! Und meiner nur! Gelobend bedeckte er ihren bebenden Mund mit heißen Küssen und bat sie dann, die kranke Mutter auf seinen Abschieds-Besuch vorzubereiten. Julie ging nach langen Bitten, doch wenige Schritte nur. Laut schreyend flog sie an seinen Hals zurück. Ihre zuckenden Augen brachen, entgürtelt flog der Busen, das lose Haar um ihre Scheitel. Sie lag noch bewußtlos im Arm ihrer Kammerfrau als Woldemar in der furchtbarsten Stimmung seines Lebens über die donnernde Zugbrücke sprengte. Schaudernd blickte er vom Thal aus nach dem Schlosse hinauf, dessen Fenster das Spätroth vergoldete, gab den räthselhaften Geistern dieser Burg gute Nacht, und saugte das Blut aus der Lippe die Julie im Wahnsinn ihres Schmerzes verletzt hatte.
Alsman den Hauptmann nach jenem Gefechte verwundet und betäubt auf sein Zimmer zurücktrug, übernahm Frau von Wessen wie bekannt die Rolle der Wärterin und ließ deshalb um in seiner Nähe zu bleiben, ihr Bett ohne der Mutter Wissen, in jene leere, nachbarliche Kammer versetzen. Erst späterhin bemerkte die Baronin diesen ihr höchst mißfälligen Uebelstand, wieß Julien auf der Stelle einen Platz inihrem eigenen Schlafzimmer an, gesellte ihr, als diese Weisung unbeachtet blieb, Augusten bey und verschloß die bewußteTapeten-Thür. Frau von Wessen aber schloß sie, um sich einen weiten Umweg zu ersparen, am folgenden Morgen wieder auf und aus angebohrner Furcht vor Dieben und Kobolden, Nacht für Nacht die andere zu, welche über den unheimlichenSaal in die Zimmer der Baronin hinüber führte. Auguste hingegen der es nie beykam den lieben Gast auf einem Schleifwege heimsuchen zu wollen, glaubte die streitige, von der Mutter gesperrte Thüre noch immer fest verschlossen, und ahnte nicht daß ihr Verhängniß sie im tiefsten Nachtkleid und in der verdächtigsten Stunde hindurch, und an das Bett eines feurigen, hoffnungslos geliebten Mannes führen werde. Oft genug ward die vermißte Nachtwandlerin in frühern Zeiten bald von dem Simse des Fensters bald aus irgend einem entlegenen Verstecke zurückgehohlt. Das Übel nahm mit den Jahren ab und immer hatte man sie bey den seltenern Rückfällen von der verschlossen gefundenen Thüre ohne weiteres in ihr Bettchen zurückkehren sehn.
Welch Entsetzen mußte daher dieses reine, von dem erklärten Brautstand der Schwägerin so eben gebrochene Herz ergreifen, als Woldemars spöttisches Lächeln, als sein zumPfand gesetztes Ehrenwort die leise Ahnung einer schrecklichen Möglichkeit zur Überzeugung erhob.
Die kranke Baronin lag indeß während des Aufbruchs der Besatzung, von allen den Ihrigen verlassen da. Sie hörte den Lärm, das Wirbeln der Trommeln, den Hufschlag der Rosse und schellte vergebens. Die Bedienten kannegießerten im Hofe mit den marschfertigen Jägern, die Jungfer lag, in Thränen aufgelöst, an des Feldscheers Brust, das Stuben-Mädchen wollte den Pfeifer nicht lassen, Juliens Kammerfrau saß erstarrt vor der verzweifelnden Braut, und Augustens alte Wärterin lief der schluchzenden Enkelin nach, die ihrem Trommelschläger den Wirbel verdarb.
Das Getöse nahm kein Ende, der zersprungene Klingeldrath lag am Boden, und die Baronin, welche jetzt nichts sicherer glaubte, als daß der Feind zu Folge eines zweyten gelungenern Überfalls das Schlimmste beginne,sprang, von der Angst geheilt, plötzlich auf, um ihre Küchlein mit Hand und Mund bis auf den letzten Odemzug zu vertheidigen. Aber noch stand im Vorsaal alles auf dem gewohnten Platz. Von Zimmer zu Zimmer eilte sie nach Juliens Schlafkammer, trat jetzt erblassend vor ein Schreckbild das unter wilden Krämpfen ächzte und nahm, nach Hülfe rufend, Augusten wahr, die einer Sterbenden gleich vor ihrem Bette kniete und taub für allen Jammer dieser Scene schien. Welch ein Abend! Welch eine Masse von Seufzern und von Thränen, von denen ach, so wenige ein Gegenstand für die wohlthuende, Schmerz und Thränen wiegende Vergelterin seyn konnten.
Zerstört im Innersten klagte Julie ihr Geschick an; in Thränen edler Schaam gebadet, verging die holde Nachtwandlerin; sprachlos stand die schluchzende Mutter zwischen der Gruppe und die betäubten Bräute des Frey-Corps sprangen mit verweinten Augen buntdurch einander ab und zu und hohlten in der Zerstreuung Öhl statt des Essigs, Tinte statt des Balsams und den Pastor statt des Baders herbey.
Woldemarhatte indeß das Ziel seiner Bestimmung erreicht, sich gesund gemeldet und eine Masse lästiger Dienst-Geschäfte vorgefunden, die den Unkundigen bey dem Mangel an Rathgebern und Freunden, bey der feindseligen Stimmung die sein frühes Glück veranlaßte, schnell genug mit einem Stand entzweyten an dem ihn doch das eiserne Band der Pflicht und des Ehrgefühls festhielt.
Auf der Wessenburg herrschte jetzt nach langen Stürmen eine Windstille.
Juliens Arzt war der Leichtsinn, Augustens Trost das Bewußtseyn geworden undder himmlische Frühling goß das Füllhorn der Erneuung über sie aus. Eben war die Mutter mit Woldemars Braut auf ein nachbarliches Gut gefahren als sich ein fremder Baron bey dem Fräulein ansagen ließ. Viel lieber hätte die Einsame den unwillkommenen Gast abgewiesen aber es fehlt’ ihr für den Augenblick an einer glaubwürdigen Entschuldigung und so ward erdenn angenommen.
Ein junger, blendend schöner Mann trat in das Zimmer. Sein hoher Wuchs, sein Apollons-Kopf, die würdevolle Anmuth seines Benehmens, gewann in voraus ein Gemüth dem der zärteste Sinn für die Gabe der Grazien anhing und der Gegenstand welcher ihn zu Augusten führte, war bedeutend genug ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.
Julius hatte nehmlich nach dem Empfange jener wenigen, nichts sagenden Zeilen welche Frau von Wessen damahls in Woldemars Nahmen schrieb, vergebens einerAntwort auf seine dringende, Herminens EhrerettendeZuschrift entgegen gesehen; hatte endlich an den Adjutanten geschrieben, und von diesem einige Winke, Weisungen und Aufschlüsse empfangen die ihn zu der Reise nach dem fernen Schauplatz des Kriegs bestimmten. Von den Verhältnissen in denen sein getäuschter Freund hier stand wie von dem Charakter der handelnden Personen unterrichtet, hatte er im Posthause bereits seit Tagen den günstigen Augenblick erwartet, der ihm, Augusten ohne Zeugen zu sprechen, vergönnen würde. Er stellte sich ihr jetzt als Woldemars Vertrauten dar, den der Beruf, viel Unheil zu verhüten, vor ihre Augen geführt habe; bedauerte ihre Langmuth durch Weitläufigkeit erschöpfen zu müssen, unterhielt das Fräulein zuförderst mit Woldemars heimischen Verhältnissen, und von der seltsamen Katastrophe die ihn aus jenen weg, in den Krieg trieb.
Aber es fehlte viel daran daß seine Weitläuftigkeit das Fräulein ermüdet hätte: siewar ganz Ohr, und ihre Theilnahme machte sie von Minute zu Minute liebenswerther.
Herminens Vater „fuhr Julius fort“ hatte als Handlungs-Diener das Glück, der Tochter seines reichen Herrn zu gefallen, und im Gefolge dieser Gunst das Unglück, sich zu einem Schritte zu vergessen, der Theresen das Leben gab. Des Vaters Blindheit und der Beystand der Mutter machten die Verheimlichung möglich, der junge Mann ward nach Holland, das Kind der Liebe in ein entferntes Waisenhaus versetzt und des Kindes Mutter mit größerm Glück als Recht die Gattin eines bedeutenden Wechslers. Er starb im ersten Ehejahr und setzte sie zur Erbin ein. Der frühere Vertraute kam zurück, machte die verjährten Rechte geltend, verloschene Gefühle in dem Herzen der Wittwe wieder rege, und ward ihr Gemahl. Sie gebar ihm Herminen und starb in dem Kindbett. Er folgte ihr nach wenig Monden, vom Schlage getroffennach, und sein redlicher Bruder nahm den verwaisten Säugling auf.
Falsche Schaam, die Quelle so manches Unheils, hatte es der Verschiedenen ohnmöglich gemacht sich späterhin zu diesem Kinde zu bekennen, doch sorgten die Eltern aus der Ferne für sein Wohl. Des Vaters schneller Tod entriß Theresen die letzte Stütze, denn es fand sich weder ein Testament noch irgend etwas das ihr Daseyn bezeichnet hätte, vor. Die Vorsteher jenes Waisenhauses überließen die heran Wachsende einer Dame, der sie ihre Bildung dankt, als aber diese zufolge einiger verlohrnen Rechtsstreite verarmte, und sie jetzt in die fremde Welt hinaus treten mußte, machten Bildung und Anmuth ihre Lage nur um so kritischer.
Der Thee unterbrach jetzt den Erzähler. Auguste kredenzte ihn; Julius bemerkte mit Wohlgefallen ein Paar der zartesten Hände und die ganz eigene Annehmlichkeit, welcheAugustens Gliederspiel über die kleinste ihrer Bewegungen verbreitete.
Hermine „fuhr er fort, und rückte ihr vertraulich näher“ Hermine stört vor kurzem in der Schatulle ihrer Mutter, und trifft da, von dem guten Geist des Zufalls geleitet auf ein geheimes, mit Quittungen und Briefen angefülltes Fach, welches außer dem überraschenden Beweiser der mütterlichen Verirrung sichere Hülfsmittel enthält, die Spur der nie geahnten Schwester aufzufinden. Hermine sieht eine höhere Fügung in dem Ohngefähr, fühlt sich so geneigt als berufen die Verlassene mit ihrem Ueberfluße zu erfreuen, macht den Oheim zum Vertrauten und wird nicht müde ihn um Beystand und Vermittlung anzugehn. Der Onkel untersucht, überzeugt sich, empfiehlt ihr Verschwiegenheit; will erst dasWieundWoerforschen, sich von dem Werth oder Unwerth der Person unterrichten, und der Wallung eines schönen Herzens durch weise Vorsicht Maß und Ziel setzen. Aber das übervollehat sich bereits am Busen einer Freundin entladen und diese das Geheimniß unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihrem Bruder, Herminens hoffnungslosesten Anbeter mitgetheilt. Armuth, Habsucht und der Groll verschmähter Liebe bestimmen ihn, die Entdeckung zu seinem Vortheil zu benutzen: er durchreist die bezeichnete Gegend und findet nach manchem Kreuzzug die Gesuchte zwischen Hunger und Kummer mitten inne.
Augustens Mädchen rief jetzt das Fräulein ab. Sie kehrte nach wenigen Minuten zurück, entschuldigte ihre Abwesenheit mit der angenehmen Sorge für sein Nachtlager und bat den Baron der ihr für diese Güte den feurigsten Dank sagte, um die Fortsetzung der Geschichte.
Goldne Berge „erzählte Julius“ werden jetzt Theresen gegen eine billige Vergeltung zugesichert, der Beweis ihrer Abkunft so überzeugend geführt, der Umfang ihrer Ansprüche so klar in’s Licht gestellt, daß sie nicht längerzögern mag, diese Kette schmerzlicher Entbehrungen mit dem verhießenen Ueberfluß zu vertauschen. Sie eilt, von den trefflichsten Zeugnissen ihres Wohlverhaltens unterstützt nach der Vaterstadt, erschreckt den Oheim durch die sprechende Aehnlichkeit mit Herminen, die von der plötzlichen Erscheinung überrascht, von diesen Zeugnissen gewonnen, von dem Anblick ihres Ebenbildes erschüttert an des Mädchens Hals fliegt, und die gefundene Schwester feurig willkommen heißt. Therese vernimmt mit Erstaunen, was bereits von hieraus für sie geschah, sieht sich statt der Verläugnung auf die sie gefaßt war, mit den zärtlichsten rein vom Herzen kommenden Liebkosungen überhäuft, und beschließt, in Schaam und Rührung aufgelöst, Gleiches mit Gleichem, die Großmuth durch Mäßigung zu vergelten. Ein seltsamer Wettstreit entspinnt sich nun. Hermine dringt auf eine Theilung derErbschaft, Therese will sich dagegen nur vor dem Hunger geschützt, nur als eine Hülfsbedürftige geduldetsehen, am wenigsten im Kreise der Familie unter ihrer wahren Gestalt auftreten. Jene trägt ihre besten Kleider zur Auswahl für Theresen herbey, diese wählte sich einen häuslichen, schon getragenen Anzug. — Und so blieb denn das Mädchen meine Haus-Genossin, so verkannte Woldemar, der in diesem Momente weder die unzartere Haut noch das dunklere Haar in Betracht zog, seine schuldlose Braut —
Die ihn „fiel Auguste ein“ mit dem Daseyn einer solchen Schwester, schon um dieser gefährlichen Aehnlichkeit willen hätte bekannt machen sollen —
Ohnfehlbar „entgegnete Julius und das Fräulein erröthete“ schloß ihr nur die zarte Verschämtheit, oder die Achtung für den Ruf und die Asche ihrer Mutter den Mund. Ich bin am Ziele „setzte er mit einer leichten Verbeugung hinzu“ und Tag und Nacht gereist das unseligste aller Mißverständnisse auszugleichen, oder, wenn mir das nicht gelingensollte, der Gekränkten eine Genugthuung zu verschaffen, die das Gesetz der Ehre vorschreibt.
Auguste seufzte tief und sprach „Am Ende war vielleicht die übereilte Entfernung Ihres Freundes eine unerkannte Wohlthat des Himmels der das edelste Mädchen auf diesem Wege von dem bestandlosen Manne befreyt hat.“
Meynen Sie? fragte er, und sah ihr tief in das blaue Augen-Paar.
Denn Ihrem Woldemar „fuhr sie fort“ weint bereits eine neuere Braut nach.
Man sagte mir das: ich glaubte es nicht. Jetzt — O jetzt muß ich’s fürchten!
Sie sind sein Freund. An Ihnen ist es, ihm den vorgefaßten Argwohn zu benehmen, ihn an ein Herz, das er zerrieß zurück zu führen.
O, nun es so weit ist, sind wir geschieden — der Rächer tritt nun an des Warners Platz.
Nein, edler Mann „sprach sie mit flehendem Silberton“ der Warner muß zum Engel und nicht müde werden bis ihm die gute That gelingt.
Julius küßte von dem Zauber dieser Töne, und von dem Geiste dieses Raths ergriffen, Augustens Hand, als die zurück gekommene Julie hereinrauschte, betroffen stehen blieb und die Gruppe mit blitzenden Augen maß. Das Fräulein stellte ihr in dem Gaste Woldemars Freund vor. Sie erwiederte seinen Gruß mit dem anmuthigsten Lächeln, zitterte bereits im Herzen vor den Zwecken dieses augenscheinlichen Störenfrieds und griff zu den magischen Waffen ihres Zaubers. Aber Julius sah durch den täuschenden Schleyer der Grazie in ein harmvolles Herz, in diesen unstäten Blicken, in dieser leisen, jeden Scherz verkümmernden Angst den regen Argwohn ihrer Schuld — und als er sie jetzt über dem Fräulein vergessen zu wollen schien, da ward die Charis plötzlich zurAte, der Groll der Mißgunsttrat auf ihre Stirn, Auguste aber zog sich mit sanften Erröthen hinter den Heiligen-Schein der Sittlichkeit zurück. Frau von Wessen faßte sich schnell; überschüttete die verstummte Schwätzerin mit Schmeicheleyen, lenkte nun, von dem Spiele seines Humors erheitert, das Gespräch auf den Hauptmann, dessen bis jetzt nur beyläufig gedacht worden war und erschöpfte sich in seinem Lobe. Julius begleitete es mit den Gebehrden des Beyfalls, erbat sich, als Auguste verschwunden war die Erlaubniß eine so theilnehmende Gönnerin seines Vertrauten von dem seltsamen Mißgeschick ihres gemeinsamen Freundes unterhalten zu dürfen und wiederhohlte Wort für Wort die Geschichte. Julie sah ihm erst in’s Auge, dann zum Himmel, von diesem zu Boden. Sie spielte bald mit dem Ridikül, bald mit den Gliedern ihrer Kette, erröthete, verblaßte, und stand eben im Begriff den Erzähler für ihre Ansprüche zu gewinnen, als die Baronin mit einem Brief in’s Zimmertrat. Sie übersah den Fremden in ihrer Bestürzung. Lies! „sprach sie kaum vernehmbar“ die Armee ist geworfen — der Feind im Anzug. Julie verschlang mit feurigen Augen den Inhalt der Nachricht. Er wird vermißt! „rief sie die Hände ringend“ Woldemar ist gefangen oder gefallen!
Der Himmel selbst „erwiederte Julius“ scheint dies Herz an die Entbehrung seines Lieblings gewöhnen zu wollen.
Sie wissen also „entgegnete Frau von Wessen“ daß Woldemar der Meine ist? Aber wissen Sie wohl auch, daß weder ein Mährchen, noch sein Erfinder, weder die Schlauheit einer Neben-Buhlerin, noch die Beredtsamkeit ihres Wortführers, mir ihn entreißen wird?
Ich weiß nur „fiel er ein“ daß der Feind gegen den er dies Schloß vertheidigte, bey weitem nicht sein schlimmster war und daß sein Weg zu Ihnen nur über mich geht. Aber wir streiten vielleicht über die Pflichten einesTodten, und thäten doch, falls diese Nachrichten gegründet sind viel besser, zu packen und zu fliehen.
Julie kehrte ihm tief empört den Rücken und folgte der Baronin, welche taub für den Wortwechsel mit dem Himmel verkehrt hatte.
Julius traf im Fortgehn auf das Fräulein. Werden wir uns widersehn? „sprach er“ und wie, und wenn? Längstens dort! „entgegnete sie“ und so Gott will, an einem schönern Tage.
Er drückte gerührt ihre Hand an die Lippen. Sie müssen fliehen „sprach er“ wer begleitet, wer beschützt Sie denn?
Himmel und Erde „entgegnete sie“ der Mutter Gebet und unser Jäger.
Die Baronin kam in diesem Augenblick herzu. Sie hatte von Julien vernommen wer er sey, sah in dem unerwarteten Gaste einen ihr in der Stunde der Noth gesandten, erbeteten Beystand und bot ihm nach den ersten Begrüssungen den Platz in ihrem Wagen an.Augustens Augen unterstützten mit sanften, beredtsamen Blicken das Erbieten, der Freyherr sagte zu.