Eine problematische Natur

Eine problematische Natur

Ein Coupé erster Klasse.

Auf dem mit himbeerrotem Samt bezogenen Divan liegt ein hübsches junges Dämchen.

Der kostbare befranste Fächer kracht in ihrer krampfhaft zusammengedrückten Hand, der Zwicker rutscht jeden Augenblick von ihrem hübschen Näschen, die Brosche an ihrer Brust hebt und senkt sich wie ein Nachen inmitten der Wellen. Sie ist sehr aufgeregt … Ihr gegenüber sitzt der Beamte für besondere Aufträge beim Gouverneur, ein junger angehender Schriftsteller, der im Gouvernements-Amtsblatte kleine Novellen aus den höheren Kreisen erscheinen läßt … Er schaut ihr unverwandt mit einer Kennermiene ins Gesicht. Er beobachtet, er studiert, er sucht diese exzentrische, problematische Natur zu ergründen, er hat sie schon beinahe erfaßt … Ihre Seele, ihre ganze Psychologie sind ihm vollkommen klar.

»Oh, ich verstehe Sie!« sagt der Beamte für besondere Aufträge, ihre Hand in der Nähe des Armbandes küssend. »Ihre empfindliche, empfängliche Seele sucht einen Ausgang aus dem Labyrinth … Gewiß! Es ist ein ungeheuer schrecklicher Kampf, aber … verzagen Sie nicht! Sie werden siegen! Ganz bestimmt!«

»Beschreiben Sie mich doch, Woldemar!« spricht das Dämchen mit einem traurigen Lächeln. »Mein Leben ist so voll, so abwechselungsreich, so bunt … Die Hauptsache aber ist, daß ich unglücklich bin! Ich bin eine Märtyrerin im Stile Dostojewskijs … Zeigen Sie der Welt meine Seele, Woldemar, zeigen Sie ihr diese arme Seele! Sie sind ein Psycholog. Es ist kaum eine Stunde her, daß wir hier im Coupé sitzen und sprechen, Sie aber haben mich schon ganz erfaßt!«

»Sprechen Sie! Ich beschwöre Sie, sprechen Sie doch!«

»Hören Sie. Ich stamme aus einer armen Beamtenfamilie. Mein Vater war ein guter Kerl, gescheit, aber … der Geist der Zeit und des Milieus … vous comprenez, ich klage meinen armen Vater nicht an. Er trank, spielte Karten … nahm Bestechungsgelder an … Auch die Mutter … Was soll ich davon sprechen! Die Not, der Kampf um ein Stück Brot, das Bewußtsein seiner Nichtigkeit … Ach, zwingen Sie mich nicht, diese Erinnerungen aufzufrischen! Ich mußte mir selbst meinen Weg bahnen … Die entsetzliche Institutserziehung, die Lektüre dummer Romane, die Verirrungen der Jugend, die erste scheue Liebe … Und der Kampf mit dem Milieu? Schrecklich! Und die Zweifel? Und die Qualen der beginnenden Enttäuschung am Leben und an sich selbst? … Ach! Sie sind Schriftsteller und kennen uns Frauen. Sie werden es begreifen … Zu meinem Unglück bin ich mit einer breiten Natur begabt … Ich wartete auf ein Glück, und auf was für eines! Ich lechzte danach, Mensch zu sein! Ja! Mensch zu sein, darin sah ich mein Glück!«

»Sie Herrliche!« stammelt der Schriftsteller, ihr die Hand in der Nähe des Armbandes küssend. »Nicht Sie küsse ich, Sie wunderbares Geschöpf, sondern das menschliche Leid! Erinnern Sie sich an Raskolnikow? Er küßte so.«

»Oh, Woldemar! Ich lechzte nach Ruhm … nach rauschendem Leben und Glanz wie jede – warum soll ich bescheiden sein? – wie jede nicht ganz gewöhnliche Natur. Ich lechze nach Ungewöhnlichem … gar nicht Weiblichem! Und … Und … ich stieß auf meinem Wege auf einen reichen alten General … Begreifen Sie mich doch, Woldemar! Es war ja Selbstaufopferung, Entsagung, begreifen Sie mich! Ich konnte nicht anders. Ich versorgte meine Angehörigen, ich machte Reisen, ich tat Gutes … Wie litt ich aber dabei, wie unerträglich und erniedrigend gemein erschienen mir die Umarmungen jenes Generals, obwohl er, das muß man ihm lassen, seinerzeit im Kriege große Tapferkeit gezeigt hat. Es gab Minuten … schreckliche Minuten! Mich hielt aber der Gedanke aufrecht, daß der Alte heute oder morgen stirbt, daß ich dann nach meinem Wunsche leben, mich einem geliebten Menschen hingeben und glücklich sein werde … Ich habe aber einen solchen Menschen, Woldemar! Gott weiß es, daß ich einen solchen habe!«

Das Dämchen schwingt energisch den Fächer. Ihr Gesicht nimmt einen weinerlichen Ausdruck an.

»Nun ist der Alte tot … Er hat mir einiges Vermögen hinterlassen, ich bin so frei wie ein Vogel. Nun kann ich glücklich werden … Nicht wahr, Woldemar? Das Glück klopft an meine Tür. Ich brauche es nur hereinlassen, aber … nein! Woldemar, hören Sie, ich beschwöre Sie! Jetzt sollte ich mich doch dem geliebten Menschen hingeben, seine Freundin werden, seine Helferin, die Trägerin seiner Ideale, glücklich sein … ausruhen … Aber wie gemein, häßlich und dumm ist doch alles in dieser Welt! So niederträchtig ist alles, Woldemar! Ich bin unglücklich, unglücklich, unglücklich! Auf meinem Wege erhebt sich ein neues Hindernis! Wieder fühle ich, daß mein Glück fern, ach, so fern ist! Ach, diese Qual, wenn Sie nur wüßten, welch eine Qual!«

»Was ist es denn? Was ist es für ein Hindernis? Ich beschwöre Sie, sagen Sie es mir! Was ist es?«

»Ein anderer reicher Alter …«

Der zerbrochene Fächer verdeckt das hübsche Gesicht. Der Schriftsteller stützt seinen gedankenschweren Kopf in die Hand, seufzt und beginnt mit der Miene eines Kenners und Psychologen zu grübeln. Die Lokomotive pfeift und faucht, die Fenstervorhänge röten sich im Lichte der untergehenden Sonne …


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