Chapter 10

Die Erdenmenschen sind gespalten, die verschiedenen Rassen und Nationen eng verwachsen mit ihren Ländern und historischen Traditionen, sie reden verschiedene Sprachen, und ein gegenseitiges tiefgreifendes Nichtverstehen kennzeichnet alle ihre Verhältnisse ... All das trifft zu und es ist auch wahr, daß die allgemeinmenschliche Vereinigung, die sich mit großer Anstrengung einen Weg über alle Grenzen bahnt, bei unseren Erdenbrüdern weit später verwirklicht werden wird, als dies bei uns der Fall war. Betrachten Sie aber die Ursache und werten Sie deren Folgen. Die Spaltung wurde verursacht durch die Größe der Erdenwelt, den Reichtum und die Mannigfaltigkeit ihrer Natur. Das führte zu den verschiedensten Auffassungen über das Weltall. Ist aber all dies etwa der Beweis, daß die Erdenmenschheit niederer und nicht höher steht als unsere Welt in den analogen Epochen der Geschichte?

Schon die rein mechanische Verschiedenheit der Sprachen, in denen die Menschen reden, unterstützte die Entwicklung des Denkens, befreite den Begriff von der plumpen Herrschaft des Wortes. Vergleichen Sie die Philosophie der Erdenmenschen mit jener unserer kapitalistischen Ahnen. Die Philosophie der Erde ist nicht nur weit vielseitiger, sondern auch weit feiner, sie geht nicht nur von einem bei weitem komplizierteren Material aus, sondern ihre Analyse ist, in den besten Schulen, eine viel tiefgründigere, die weit richtiger die Verbindung der Tatsachen und Begriffe darstellt. Selbstverständlich ist jede Philosophie der Ausdruck der Schwäche und der fehlerhaften Erkenntnis, hervorgerufen durch mangelhafte wissenschaftliche Entwicklung; der Versuch, ein einheitliches Bild des Seins zu geben, ist ein unbeschriebenes Blatt der wissenschaftlichen Erfahrung, deshalb wird auch vonder Erde die Philosophie verschwinden, wie dies bei uns mit dem wissenschaftlichen Monismus geschah. Betrachten Sie aber, wie viele philosophische Voraussetzungen, gegeben von den ersten Denkern und Kämpfern bereits in groben Umrissen die Entdeckungen unserer Wissenschaft voraussehen – so zum Beispiel fast alle sozialwissenschaftlichen Philosophien. Es ist klar, daß eine Rasse, die unsere Ahnen in der Schaffung einer Philosophie übertraf, auch imstande sein wird, diese in der Schaffung einer Wissenschaft zu übertreffen.

Und Sterni will diese Menschen aus der Liste der Gerechten streichen mitsamt den bewußten Sozialisten, die sich unter ihnen befinden; er will sie nach ihren niedersten Widersprüchen beurteilen, nicht aber nach jenen Kräften, die zur gegebenen Zeit diese Widersprüche ausgleichen werden. Er will auf ewig diesen stürmischen, aber schönen Ozean des Lebens austrocknen.

Fest und entschlossen müssen wir ihm die Antwort geben:niemals!

Wir müssen unseren künftigen Bund mit der Erdenmenschheit vorbereiten. Freilich können wir den Uebergang zu einer freien Welt nur wenig beschleunigen, aber auch das Wenige, was wir zu leisten vermögen, sind wir zu tun verpflichtet. Und wenn es uns nicht gelang, den ersten Abgesandten der Erde vor unnötigen Leiden und Krankheiten zu bewahren, – so gereicht dies keineswegs zu unserer Ehre. Zum Glück wird er bald hergestellt sein, und selbst wenn ihn der allzu rasche Uebergang in ein ihm fremdes Leben tötete, so hat er immerhin viel für den künftigen Bund der beiden Welten geleistet.

Unsere eigenen Schwierigkeiten und Gefahren müssen wir auf eine andere Art besiegen. Neue wissenschaftliche Kräfte müssen sich mit der chemischen Herstellung der Eiweißstoffe befassen und wir müssen, soweit dies möglich ist, die Kolonisation der Venus vorbereiten. Gelingt es uns nicht, diese Aufgabe in kürzester Zeit zu erfüllen, so müssen wir vorübergehend die Vermehrung einschränken. Welcher vernünftigeGeburtshelfer opferte nicht das Leben des ungeborenen Kindes, um die Frau zu retten? Auch wir müssen, wenn dies unvermeidlich wird, einen Teil jenes Lebens opfern, das noch nicht ist, um das, wenn auch fremde Leben zu retten, das schon besteht und sich entwickelt. Die Verbindung der Welten wird dieses Opfer reichlich lohnen.

Die Einheitlichkeit des Lebens ist das höchste Ziel, und Liebe ist die höchste Weisheit!“

(Tiefes Schweigen. Dann ergriff Menni das Wort.)

„Ich beobachtete aufmerksam die Stimmung der Genossen und sehe nun, daß die Mehrheit auf seiten Nettis ist. Das freut mich sehr, denn auch meine Ansicht deckt sich ungefähr mit der ihren. Ich möchte nur noch eine praktische Erläuterung hinzufügen, die mir äußerst wichtig erscheint. Es besteht für den Fall, daß wir uns zu einer Massenkolonisation auf einem anderen Planeten entschließen, die ernste Gefahr, daß unsere technischen Mittel in kürzester Zeit nicht mehr ausreichen werden.

Wir vermögen zehntausend große Aetheroneffs herzustellen, und es kann geschehen, daß es uns an den zur Fortbewegung nötigen Stoffen mangelt. Jene radiumausstrahlende Materie, vermittels derer sich die Aetheroneffs für gewöhnlich bewegen, müßte um das Hundertfache vermehrt werden. Inzwischen aber versiegen die alten Lager, und neue werden immer seltener entdeckt.

Sie müssen auch wissen, daß wir der radiumausstrahlenden Materie nicht nur dazu bedürfen, um dem Aetheroneff seine ungeheure Geschwindigkeit zu verleihen. Sie wissen ja, daß unsere ganze technische Chemie auf diesen Stoffen beruht. Wir bedürfen ihrer auch zur Erzeugung der Minus-Materie, ohne die sich unsere Aetheroneffs und unsere zahllosenLuftschiffe in nutzlose schwerfällige Kisten verwandeln würden. Diesem unentbehrlichen Gebrauch dürfen wir die Materie nicht entziehen.

Noch ärger ist, daß die einzige Möglichkeit, die Kolonisation zu ersetzen, die Synthese des Eiweiß, aus dem gleichen Mangel an radiumausstrahlenden Stoffen zur Unmöglichkeit wird. Eine technisch leichte und entsprechende fabrikmäßige Herstellung der ungeheuer komplizierten Synthese des Eiweiß ist undenkbar bei der alten Methode der Synthese, einer äußerst komplizierten Methode. Sie wissen, daß es uns bereits vor etlichen Jahren gelang, auf diesem Wege ein vorzügliches Eiweiß herzustellen, aber nur in geringer Quantität und bei einem großen Verlust an Energie und Zeit, so daß die ganze Arbeit ausschließlich eine theoretische Bedeutung besaß. Die Massenproduktion des Eiweiß aus unorganischen Stoffen ist nur möglich vermittels der raschen und scharfen Umwandlung des chemischen Bestandes, der bei uns von einem nicht stabilen Element zu einer stabilen Materie wird. Die erfolgreiche Durchführung dieses Prozesses erfordert von zehntausend Arbeitern eine Spezialforschung über die Gewinnung des Eiweiß, sowie Millionen von neuen Experimenten. Demnach würde selbst im Fall eines Erfolges eine ungeheure Vergeudung der Kollektivaktivität unvermeidlich sein, eine Vergeudung, der wir nicht gewachsen sind.

Von diesem Gesichtspunkt aus gilt es, schleunigst die einzige für uns wichtige Frage zu beantworten: vermögen wir neue Quellen der radiumausstrahlenden Stoffe zu entdecken? Und wo sollen wir diese suchen? Offensichtlich auf einem anderen Planeten, das heißt: entweder auf der Erde oder auf der Venus. Meiner Ansicht nach muß der erste Versuch unbedingt auf der Venus gemacht werden.

Was die Erde anbelangt, so können wir annehmen, daß sich auf ihr reichliche Vorräte an radioaktiven Elementen befinden. Bei der Venus hingegen ist dieseTatsache bereits festgestellt. Wo sich auf der Erde diese Quellenbefinden, ist uns unbekannt, denn jene, die von den Erdengelehrten gefunden wurden, taugen nichts. Auf der Venus aber entdeckte unsere Expedition sofort die bewußten Quellen. Außerdem befinden sich diese ganz nahe der Erdoberfläche, sind leicht erreichbar, so daß wir ihr Bestehen vermittels der Photographie feststellen konnten, während sich jene der Erde, gleich den unseren, tief unter dem Erdboden befinden. Wollten wir auf der Erde das Radium suchen, so müßten wir bis in die Tiefen dringen, wie das auch auf unserem Planeten der Fall ist. Dies aber bedeutete einen Verlust von vielleicht zehn Jahren, und es bestünde auch noch die Gefahr, daß wir uns in der Wahl des Ortes geirrt haben. Auf der Venus hingegen gilt es bloß, die bereits gefundenen Lager auszubeuten, und dies kann ohne jegliche Verzögerung geschehen.

Deshalb halte ich es für unbedingt notwendig, unabhängig davon, wie wir die Frage der Massenkolonisation lösen, sofort an eine teilweise, vielleicht auch nur vorübergehende Kolonisation der Venus zu schreiten, zu dem ausschließlichen Zweck, die dort befindliche radioaktive Materie zu gewinnen.

Die uns von der Natur entgegengestellten Hindernisse sind freilich ungeheuer groß, doch brauchen wir sie ja augenblicklich nicht völlig zu überwinden. Es gilt nur, von einem kleinen Teil des Planeten Besitz zu ergreifen. Wir müssen demnach eine große Expedition ausrüsten, die nicht, wie die erste, Monate auf der Venus verbringt, sondern Jahre, und deren Zweck es ist, das Radium zu gewinnen. Selbstverständlich muß zur gleichen Zeit ein energischer Kampf wider die Natur geführt werden, das Klima, wider die uns noch unbekannten Krankheiten, sowie gegen andere Gefahren. Es wird viele Opfer geben, vielleicht wird auch nur ein geringer Teil der Expedition heimkehren. Der Versuch jedoch muß gemacht werden.

Als erstes Feld unserer Tätigkeit kommt die „Insel des glühenden Sturmes“ in Betracht. Ich habe deren Natur genau studiert und einen detaillierten Plan unserer Tätigkeitausgearbeitet. Wenn Sie, Genossen, jetzt bereit sind, diesen zu beurteilen, so werde ich ihn sofort vorlegen.“

(Niemand erhob Einwände, und Menni ging an die Erläuterung seines Planes, der sich mit allen technischen Einzelheiten befaßte. Nach Beendigung seiner Rede traten noch andere Redner auf, doch nahmen sie alle Mennis Vorschlag an, besprachen nur die Details. Etliche zweifelten an dem Erfolg der Expedition, alle aber waren damit einverstanden, daß sie unternommen werde. Schließlich wurde die von Menni vorgeschlagene Resolution angenommen.)

Die gewaltige Bestürzung, die mich übermannt hatte, verhinderte selbst den Versuch, meine Gedanken zu sammeln. Ich fühlte bloß, daß ein kalter Schmerz wie mit eisernen Fingern mein Herz zusammenpresse. Vor meinem Bewußtsein erhoben sich mit halluzinierender Lebendigkeit Sternis riesenhafte Gestalt, sein unerbittlich gelassenes Gesicht. Alles übrige versank in schwerem, nächtlichem Chaos.

Wie ein Automat verließ ich die Bibliothek und bestieg mein Luftschiff. Der durch den raschen Flug erzeugte kalte Wind hüllte mich wie ein Mantel ein und erweckte in mir auf irgendeine Art einen neuen Gedanken, einen Gedanken, der gleichsam in meinem Bewußtsein erstarrte und in mir die Gewißheit hervorrief: eines müsse geschehen. Heimgekehrt, ging ich daran, den Gedanken zu verwirklichen; all dies geschah schier mechanisch, als handelte nicht ich, sondern ein anderer.

Ich schrieb dem Leiter des Fabrikrates, daß ich auf einige Zeit meine Arbeit aufgebe. Enno sagte ich, wir müßten uns vorläufig trennen. Sie blickte mich beunruhigt, forschend an, erblaßte, sprach jedoch kein Wort. Bloß im Augenblick des Abschieds fragte sie, ob ich nicht Nella sehen möchte. Ich verneinte und küßte Enno zum letzten Mal.

Dann versank ich in ein dumpfes, tödliches Grübeln. Kalter Gram ließ mich erschaudern, zerriß meine Gedanken. Von Nettis und Mennis Reden war mir bloß eine blasse, gleichgültige Erinnerung geblieben, als wären sie etwas Unwichtiges, Uninteressantes. Nur ein einziges Mal durchzuckte mein Gehirn die Erkenntnis: also deshalb verließ mich Netti, von dieser Expedition hängtallesab. Hingegen hatte ich Sternis Worte und sogar ganze Sätze seiner Rede getreu im Gedächtnis behalten: „Das Unvermeidliche mußbegriffenwerden ... einige Millionen Zellenwesen ... die völlige Ausrottung der Erdenmenschheit ... er wurde von einer schweren psychischen Krankheit befallen ...“ Doch vermochte ich weder Zusammenhänge, noch einen Ausweg zu finden. Bisweilen erschien mir die Ausrottung der Erdenmenschheit als eine bereits vollzogene Tatsache, aber auf unklare, abstrakte Art. Mein Schmerz wurde größer, und in mir erwachte der Gedanke, daß an dieser Ausrottung ich die Schuld trage. Dann wieder sah ich ein, daß ja noch nichts geschehen war, vielleicht niemals etwas derartiges geschehen würde. Aber selbst das vermochte nicht meinen Kummer zu lindern. Ich konstatierte bei mir: „Alle werden sterben ... auch Anna Nikolajewna ... und der Arbeiter Vania ... und Netti, nein, Netti bleibt am Leben, sie ist ein Marsmensch ... sonst aber werden alle sterben ... doch ist dies nicht grausam, denn sie werden nicht leiden ... so sagte Sterni ... alle werden sterben, weil ich erkrankte ... das bedeutet, daß ich daran die Schuld trage ...“ Zerrissene schwere Gedanken erstarrten in meinem Bewußtsein, kalt, reglos. Und zugleich mit ihnen schien die Zeit stehen zu bleiben.

Auf mir wuchtete eine schwere, qualvolle, nicht abzuschüttelnde Last. Die Gespenster befanden sich nicht außerhalb meiner selbst; in meiner Seele hockte ein einziges, schwarzes Gespenst, und dieses Gespenst bedeutete für michalles. Ich sah kein Ende der Qual, war doch die Zeit stehen geblieben.

Der Gedanke an Selbstmord suchte mich heim, drang aber nicht völlig in mein Bewußtsein. Der Selbstmord erschien mir nutzlos und öde, – konnte er denn meinen schwarzen Gram heilen? Ich vermochte nicht an den Selbstmord zu glauben, weil ich den Glauben an mein Sein verloren hatte. Qual, Kälte und Haß existierten, aber mein „Ich“ verlor sich in ihnen, wie etwas Richtiges, unsäglich Kleines. Es gab kein „Ich“.

Es kamen Augenblicke, da meine Stimmung so unerträglich war, daß in mir der wilde Wunsch erwachte, mich auf meine ganze Umgebung zu stürzen, auf Lebendiges und Totes, alles zu zerschlagen, zu zerreißen, zu vernichten, damit davon auch nicht die geringste Spur zurückbleibe. Doch besaß ich noch genügend Verstand, um zu wissen, daß dies sinnlos und kindisch wäre; ich biß die Zähne zusammen und beherrschte mich.

Ohne Unterlaß umkreisten meine Gedanken Sterni; sein Bild haftete starr in meinem Bewußtsein, war der Mittelpunkt aller Qualen und Leiden. Allmählich, äußerst langsam, kristallisierte sich um diesen Mittelpunkt ein Entschluß heraus, der immer klarer und fester ward: „Ich muß Sterni sehen“. Weshalb, aus welchem Grund ich ihn sehen wollte, vermochte ich nicht zu sagen. Ich wußte bloß, daß ich es tun müsse. Zugleich aber fiel es mir qualvoll schwer, die auf mir lastende Starre und Unbeweglichkeit zu durchbrechen, um meinen Entschluß auszuführen.

Ich begab mich in den großen Observatoriumssaal und sprach dort zu einem der Arbeiter: „Ich muß Sterni sehen.“ Der Genosse ging, um Sterni zu rufen, kehrte nach wenigen Augenblicken zurück und erklärte, Sterni sei eben mit der Prüfung eines Instrumentes beschäftigt, er werde in einer Viertelstunde frei sein, und ich möge so lange in seinem Arbeitszimmer warten.

Der Genosse führte mich ins Arbeitszimmer. Ich setzte mich in einen Lehnstuhl vor den Schreibtisch und wartete. Der Raum war voll der verschiedensten Apparate und Maschinen,von denen ich einige kannte, während mir die anderen fremd waren. Meinem Lehnstuhl gegenüber ragte ein Instrument mit einem schweren Metallstativ auf, an dessen Ende sich drei Messer befanden. Auf dem Tisch lag ein offenes Buch über die Erde und deren Bewohner. Ich begann mechanisch darin zu lesen, hielt aber schon nach den ersten Zeilen inne und versank in ein dem früheren ähnliches Grübeln. In meinem Inneren fühlte ich, zusammen mit der alten Qual, eine unbezwingliche, fast krampfartige Erregung. So verging die Zeit.

Auf dem Korridor wurden schwere Schritte vernehmbar, die Tür öffnete sich, und Sterni betrat das Zimmer; auf seinen Zügen lag der gewöhnliche, gelassen beschäftigte Ausdruck. Er setzte sich in den Lehnstuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches und blickte mich fragend an. Ich schwieg. Er wartete noch einen Augenblick, wandte sich dann an mich mit der Frage: „Womit kann ich Ihnen dienen?“

Ich verharrte noch immer stumm, starrte ihn an, als wäre er ein lebloser Gegenstand. Er zuckte kaum merklich die Achseln und lehnte sich abwartend im Lehnstuhl zurück.

„Nettis Mann ...“ sprach ich schließlich halbbewußt, mit Anstrengung, mehr zu mir selbst, als zu ihm.

„Ich war Nettis Mann“, verbesserte er mich gelassen. „Wir haben uns bereits vor langer Zeit getrennt.“

„Die Ausrottung ... wird nicht ... grausam ...“ stammelte ich, langsam fast unbewußt jenen Gedanken Ausdruck verleihend, die mein Gehirn durchwirbelten.

„Also darum handelt es sich“, meinte er ruhig. „Jetzt ist doch davon nicht mehr die Rede. Es wurde, wie Sie ja wissen, ein völlig anderer Beschluß gefaßt.“

„Ein anderer Beschluß ...“, wiederholte ich mechanisch.

„Was meinen damaligen Plan anbelangt“, fuhr Sterni fort, „so muß ich zugeben, daß ich ihn noch nicht gänzlich aufgegeben habe. Doch bin ich von seiner Richtigkeit nicht mehr so fest überzeugt.“

„Nicht mehr so fest ...“ wiederholte ich abermals.

„Ihre Genesung und Ihre Teilnahme an unserer Gemeinschaftsarbeit haben zum Teil meine Argumente widerlegt ...“

„Ausrottung ... zum Teil ...“ murmelte ich, und das ganze von mir empfundene Leid und Weh mochten wohl aus meiner unbewußten Ironie klingen. Sterni erblaßte, schaute mich bekümmert an. Dann trat Schweigen ein.

Jählings preßte die kalte Hand des Schmerzes mit übermächtiger, ungeahnter Kraft mein Herz zusammen. Ich warf mich in den Lehnstuhl zurück, um den in mir aufsteigenden wahnsinnigen Schrei zu unterdrücken. Meine Finger umklammerten krampfhaft etwas Hartes, Kaltes. Ich fühlte in der Hand eine schwere Waffe. Mein Kummer verwandelte sich in sinnlose Verzweiflung. Ich schnellte vom Lehnstuhl empor und führte gegen Sterni einen gewaltigen Schlag.

Eines der drei Messer fiel auf ihn nieder; ohne einen Laut stürzte er zur Seite wie ein lebloser Körper.

Ich rannte auf den Korridor hinaus und sprach zum ersten mir begegnenden Genossen: „Ich habe Sterni getötet.“ Der Genosse erbleichte und eilte ins Arbeitszimmer, doch mußte er sich wohl auf den ersten Blick überzeugt haben, daß es hier keine Rettung mehr gebe, denn er kehrte sofort zu mir zurück. Er führte mich in seine Stube, beauftragte einen anderen Genossen, telephonisch einen Arzt zu berufen und sich dann zu Sterni zu begeben. Wir blieben allein zurück. Anscheinend konnte er sich nicht entschließen, mit mir zu sprechen. Ich selbst brach das Schweigen, indem ich ihn fragte:

„Ist Enno hier?“

„Nein“, entgegnete er, „sie fuhr für einige Tage zu Nella.“

Wir schwiegen abermals, bis sich der Arzt einfand. Er versuchte mich über das Vorgefallene zu befragen, doch erwiderte ich, ich wolle nichts sagen. Dann brachte er mich in die nahegelegene Heilanstalt für Geisteskranke.

Hier stellte man mir ein großes behagliches Zimmer zur Verfügung, und ich wurde lange Zeit nicht belästigt. Etwas Besseres konnte ich mir gar nicht wünschen.

Für mich erschien jetzt die Lage völlig geklärt. Ich hatte Sterni getötet und dadurch alles vereitelt. Die Marsbewohner sahen nun an einem lebendigen Beispiel, was sie von einer Annäherung an die Erdenmenschen erwarten durften. Sie sahen, daß sogar jener, den sie für befähigt gehalten hatten, ihr Leben zu teilen, ihnen nichts anderes zu bringen vermocht hatte, als Gewalt und Tod. Sterni war tot, aber seine Idee feierte ihre Auferstehung. Die letzte Hoffnung entschwand, die Erdenwelt war verdammt. Und an all dem trug ich die Schuld.

Nach dem Mord kreisten diese Gedanken in meinem Gehirn, beherrschten es zusammen mit der Erinnerung an meine Tat. Anfangs eignete der kalten Gewißheit eine Art Beruhigung. Dann aber steigerten sich Qual und Schmerz ins Grenzenlose.

Ich empfand gegen mich selbst die heftigste Abneigung. Fühlte mich als Verräter an der ganzen Menschheit. Einen Augenblick lang empfand ich die unklare leise Hoffnung, die Marsbewohner würden mich töten, doch erkannte ich dann, ich müsse sie allzu sehr ekeln, und daß ihre Verachtung für mich sie daran hindern würde. Freilich verbargen sie ihre Abneigung gegen mich, dennoch bemerkte ich sie trotz all ihrer Bemühungen genau.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit auf diese Art verstrich. Endlich betrat der Arzt das Zimmer und teilte mir mit, ich solle mich auf die Rückkehr nach der Erde vorbereiten. Ich glaubte, dies bedeute ein verschleiertes Todesurteil, doch empfand ich keinen Wunsch, mich dagegen zu wehren. Bat nur, mein Leichnam möge von allen Planeten so weit wie möglich geworfen werden, damit ich diese nicht verunreinige.

Die Eindrücke der Rückreise sind äußerst unklar und verschwommen. In meiner Umgebung sah ich keine bekannten Gesichter, sprach auch mit niemandem. Mein Bewußtsein war zwar nicht getrübt, doch bemerkte ich nichts von meiner Umgebung. Mir war alles einerlei.


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