Der gewöhnliche Preis eines langen Kerls von fünf Fußzehn Zoll rheinländischen Maßes war siebenhundert Taler; einer von sechs Fuß wurde mit tausend Talern bezahlt, und war er noch länger, so stieg der Preis noch höher. Einer der teuersten war der Irländer Kirkland; für diesen zahlte der preußische Gesandte in London neuntausend Taler. Für einen andern bekam der General Schmettau fünftausend Taler und eine Stiftsstelle für seine Schwester. Im Lande selbst ward alles aufgeboten, damit man sich der tauglichen Subjekte rechtzeitig versichern konnte. Kinder in der Wiege, die lang zu werden versprachen, bekamen eine rote Halsbinde und ihre Eltern das Handgeld. Es gab Dorfschulen, wo alle Knaben solche Binden trugen. Ein sonderbarer Versuch des Königs, recht lange Potsdamer mit recht langen Frauen zusammenzugeben, um von ihnen wieder recht lange Kinder zu erhalten und auf solche Art ein Geschlecht von Giganten aufzuziehen, mißglückte leider.Das Infanterieregiment der blauen Grenadiere, das Königsregiment genannt, war das schönste in ganz Europa. Es bestand aus Leuten von allen Ecken und Enden der Welt, Deutschen, Holländern, Engländern, Schweden, Dänen, Russen, Walachen, Ungarn, Polen und Litauern. Franzosen waren grundsätzlich ausgeschlossen, aber wenn sie sechs Fuß maßen, konnte der König nicht widerstehen. Die »lieben blauen Kinder« waren seine größte Freude. Er ging mit ihnen um wie ein Kamerad und wie ein Vater; jeder Soldat hatte bei ihm freien Zutritt. Die größten hatte er malen lassen, und ihre Bilder hingen in den Gängen des PotsdamerSchlosses. Der Flügelmann Jonas mußte sogar in Stein gehauen werden, und zwar, befahl der König, so ähnlich wie möglich. Es war den lieben blauen Kindern gestattet, Bier- und Weinhäuser, Material- und Italienerläden zu halten und Gewerbe zu treiben. Einigen baute der König Häuser, andern schenkte er Geld und Grundstücke, verheiratete sie und hob ihre Kinder aus der Taufe.Um eine solche durch Zwangswerbung entstandene Armee in Ordnung zu halten, bedurfte es der schärfsten Disziplin. Die Truppen wurden jährlich neu gekleidet, die Infanterie blau, die Kavallerie weiß, die Husaren rot. Alle trugen, wie der König selbst, den langen Zopf und Puder in den Haaren. Die Monturen waren so eng, daß die Leute oft nicht wagten, sich zu bewegen, aus Furcht, die Röcke könnten zerreißen. Einmal bemerkte der König vom Fenster des Schlosses aus einen Offizier, der einen zu langen Rock an hatte; er ließ ihn sogleich rufen und schnitt ihm eigenhändig mit der Schere das vorschriftswidrige Stück weg. Exerziert wurde unaufhörlich, und es war das größte Glück des Königs, wenn bei jedem Kommando in der ganzen Linie nur ein Griff zu sehen, beim Marschieren nur ein Tritt und beim Feuern der Rotten nur ein Schuß zu hören war. Der Ton im Heer war streng und rauh, die Strafen waren furchtbar. Wenn ein Soldat desertierte, mußten Bürger und Bauern die Sturmglocken läuten, und wer den Flüchtling wieder einbrachte, bekam zwölf Taler. Um dem allmählich überhand nehmenden Werbeunfug zu steuern, erließ der König im Jahre 1733 das berühmteKantonreglement, das den Keim und Anfang des allgemeinen Wehrpflichtgesetzes darstellt. Alle Einwohner des Landes wurden als für die Waffen geboren erklärt; ausgenommen waren nur die kleinen, die Söhne des Adels und die Söhne derjenigen Bürger, die einen gewissen Reichtum nachzuweisen vermochten.Zeit seines Lebens bezeugte Friedrich Wilhelm für Kaiser und Reich eine Ehrerbietung und Treue der Gesinnung, die man bei einem so mächtigen Herrn, welcher achtzigtausend Soldaten unter sich stehen hatte, nicht vermuten konnte. Er warb um die Gunst der kaiserlichen Minister, und einmal sagte er: »Ich würde mich begnügen, wenn ich des Kaisers Kammerpräsident wäre.«Alles was nicht deutsch war, war ihm nicht zu Sinne, und sonderlich waren ihm die Franzosen ein Greuel »mit ihren Quinten und französischen Winden«. Um den Berlinern die französischen Moden zu verleiden, ließ er seinen Profosen französische Kleider tragen, grüne Röcke mit großmächtigen Aufschlägen, gelbe Westen und gelbe Strümpfe, dazu ungeheuer große Hüte wie Wetterdächer und Haarbeutel wie riesige Säcke. Auf dem Theater ließ er einmal ein Stück aufführen, das den Titel hatte: »Der anfangs hitzig und großsprechende, zuletzt aber mit Schlägen abgefertigte Marquis«. Ebenso verhaßt waren dem König »die hoffärtigen Leute über dem großen Wassergraben«, wie er die Engländer nannte. Als ihn zwei reformierte Prediger um die Erlaubnis baten, ihre Söhne nach England zu den Erzbischöfen von Canterburyund York schicken zu dürfen, schlug er es mit der Begründung ab, daß in England keine Orthodoxie in der Religion statuiert werde und es überhaupt ein Sündenland sei. »Der König,« schreibt Seckendorf 1726 an Prinz Eugen, »ist sehr gegen die englische Nation pikiert und souteniert nicht ohne Grund, daß selbige durch ihre Seemacht das Comercium von ganz Europa an sich nehmen wolle.« Im Jahre 1730 wurden zwischen Deutschland und England Verhandlungen zu einer Doppelheirat gepflogen; der Kronprinz Friedrich sollte die Tochter Georgs II. und der Prinz von Wales die Prinzessin Friederike angetraut bekommen. England forderte nur, daß der König den Minister Grumbkow als einen Verräter im Dienst und Solde Österreichs entferne, und der Gesandte Hotham erbot sich, diese Anklage aus aufgefangenen Briefen Grumbkows zu beweisen. Der Graf Seckendorf stellte aber dem König vor, daß England den treuen Minister nur deshalb entfernen wolle, um mehr Einfluß am preußischen Hof zu gewinnen; die aufgefangenen Briefschaften seien unterschoben und künstlich fabriziert. Als nun Hotham zur Audienz kam und die Zuversicht aussprach, daß der König den Verräter sofort entlassen werde, geriet Friedrich Wilhelm in solchen Zorn, daß er dem Gesandten Großbritanniens die Dokumente ins Gesicht warf und sogar den Fuß aufhob, als wollte er ihn mit einem Tritt bedienen. Der Gesandte machte Anstalten zu seiner Abreise, Friedrich Wilhelm erkannte seine Übereilung und ließ sich zweimal entschuldigen, aber kurz darauf wollte er seine Gemahlin, die englische Prinzessin,bei der Tafel nötigen, auf Englands Untergang zu trinken.Mit Holland und Sachsen-Polen stand der König gut, aber seine größte Sympathie hatten doch die Russen. Er war sehr für die russische Allianz, und der Gedanke des nordischen Drei-Adlerbündnisses schwebte ihm immer vor der Seele. Der große Kurfürst war anderer Meinung gewesen und hatte tiefer gesehen, wie sein Wort beweist: Die Russen sind Bären, die man nicht loslassen muß, weil es schwer ist, sie wieder anzubinden.Die Königin Sophie Dorothea verübelte es ihrem Gemahl sehr, daß er sich allerwegen für das Interesse des Kaisers einsetzte. Einmal sagte sie bei Tisch vor seinen Vertrauten und Offizieren zu ihm: »Ich will noch erleben, daß ich Euch Ungläubige will gläubig machen und dartun, wie Ihr seid betrogen worden.« Aber der König ließ sich nicht irre machen. Einst schrieb er an Seckendorf: »Meine Feinde mögen tun was sie wollen, so gehe ich nit ab vom Kaiser, oder der Kaiser muß mich mit Füßen wegstoßen, sonsten ich mit Treu und Blut sein bin und bis in mein Grab verbleibe.« Er war auch der Ansicht, die deutschen Fürsten müßten geradezu gezwungen werden, die pragmatische Sanktion anzuerkennen. »Weigern sie sich, oder wollen sie sich nit explizieren,« schrieb er, »so muß man die Laus und Motten nit im Pelz lassen wuchern, daß der ganze Pelz nit verdorben sei.« Im Jahre 1729 schon drohte der Krieg, und da schrieb der König an Seckendorf: »Ich wünsche, daß es losgehe und kann versichern,daß ich mit Gut und Blut beistehen werde, aber es muß alles reichskonstitutionsmäßig sein, und die Auswärtigen müssen attackieren, dann ohne Räsonieren drup! drup! Mit die größte Pläsier von der Welt, die stolzen Leute zur Räson bringen zu helfen, sie sollen sehen, daß das deutsche Blut nit verwüstet ist.« Aber als es fünf Jahre später zum Krieg zwischen Frankreich und Österreich kam, wollte er seine Truppen doch nicht marschieren lassen und sagte: »Ich gebe keinen Mann und kein Geld. Ich muß wissen woher und wohin.« Dann ließ er aber doch zehntausend Blauröcke ins Feld rücken. Der Kardinal Fleury schickte ihm eine künstlich gearbeitete goldene Birne, in welcher ein Wechsel auf fünf Millionen Pistolen lag, zahlbar, wenn der König sich für Frankreich erklären würde. Er wies das Anerbieten zurück. In der Folge wurde er aber vom Kaiser mit Undank belohnt, und als es zum Frieden kam, wurde Preußens Stimme nicht einmal gehört. Ein halbes Jahr später sagte er bei einer Unterredung in Potsdam, indem er auf seinen so lange mißhandelten Sohn Friedrich wies, die berühmten Worte: »Da steht einer, der mich rächen wird.« Noch zwei Jahre früher freilich hatte er dieses Genie so über die Achsel angesehen, daß er sich geäußert hatte: »Fritzchenne sait rien du tout des affaires.Wenn du es nicht recht anfangen wirst und alles drunter und drüber gehen wird, so werde ich in meinem Grabe über dich lachen.«Als der Kronprinz Friedrich sechs Jahre alt war, erhielt er zwei militärische Gouverneure von seinem Vater, und diesenward eingeschärft, ihn in der Furcht Gottes zu erziehen, denn dies sei das einzige Mittel, so schreibt der König selbst in seiner Instruktion, die von menschlichen Gesetzen und Strafen befreite suveräne Macht in den Schranken der Gebühr zu erhalten. Man müsse ihn zum Guten antreiben und die Begierde zum Ruhm und zur Bravur in ihm erwecken, von Opern, Komödien und andern weltlichen Eitelkeiten abhalten und ihm so viel als möglich Ekel davor machen. Aber alles was zu lernen sei, solle ihm ohne Ekel und Verdruß beigebracht werden. »Sie müssen ihn nicht bei Leib und Leben verzärteln oder gar zu weichlich gewöhnen. Vor der Faulheit, als woraus Verschwendung entsteht, soll ihm der allergrößte Abscheu von der Welt gemacht werden. Er soll nie allein gelassen werden, weder bei Tag noch bei Nacht, einer der Gouverneure soll jederzeit bei ihm schlafen. Da sich bei herannahenden Jahren oftmals das Laster der Hurerei einzuschleichen pflegt, soll sowohl der Oberhofmeister als auch der Subgouverneur vor allen Dingen achthaben, daß solches verhütet werde, widrigenfalls sie mir mit ihren Köpfen davor haften sollen.« Und in einem späteren Reglement heißt es: »Am Sonntag morgen soll er um sieben Uhr aufstehen; und sobald er die Pantoffel an hat, soll er vor dem Bette auf die Knie niederfallen und zu Gott kurz beten, und zwar laut, daß alle, die im Zimmer sind, es hören können. Dann soll er sich hurtig anziehen und proper waschen, schwänzen und pudern; dann soll er frühstücken in sieben Minuten Zeit. Dann sollen alle seine Domestiken und Duhan hereinkommen,das große Gebet gehalten, auf die Knie, darauf Duhan ein Kapitel aus der Bibel lesen soll und ein oder ander gutes Lied singen soll, da es dreiviertel auf acht sein wird. Alsdann wieder alle Domestiken herausgehen sollen. Duhan soll alsdann mit Meinem Sohn das Evangelium vom Sonntag lesen, kurz explizieren und dabei allegieren, was zum wahren Christentum nötig ist, auch etwas vonKatechismo nolteniirepetieren, und soll dies geschehen bis neun Uhr; alsdann mit Meinem Sohn zu Mir herunter kommen soll und mit Mir in die Kirche gehen und essen; der Rest des Tages ist vor Ihn. Des Abends soll er um halb zehn Uhr von Mir guten Abend sagen, dann gleich nach der Kammer gehen, sich sehr geschwind ausziehen, die Hände waschen, dann soll Duhan ein Gebet auf den Knien halten, ein Lied singen, dabei wieder alle Seine Domestiken zugegen sein sollen, alsdann Mein Sohn gleich zu Bette gehen soll.« So war auch für die Wochentage die Stundeneinteilung aufs genaueste geregelt. Das Budget des Prinzen ward ungemein kärglich bemessen, und der König prüfte alle Rechnungen selbst.Friedrich sollte nach dem Willen seines Vaters vor allem ein guter Soldat werden; aber sein feiner, rascher und feuriger Geist war durch das pedantische Leben, das er führen mußte, das unablässige Exerzieren, das Absperren von Musik und Büchern, zu denen ihn seine innerste Herzensneigung zog und die ihm der Vater beharrlich verwehrte, aufs tiefste bedrückt. Er lehnte sich auf gegen die Tyrannei, gab sich Ausschweifungen hin und warf sich mit aller Glut einer jugendlichenund unbefriedigten Seele der französischen Philosophie in die Arme. Der König, dem die Änderung im Wesen des Sohnes nicht entgehen konnte, behandelte ihn nur um so strenger. Die Königin hatte Friedrich heimlich Unterricht im Flötenspiel geben lassen; er hatte oft in versteckten Gewölben Konzerte veranstaltet oder seine musikalischen Freunde in den Wald bestellt; während sein Vater Schweine hetzte, wurden die Flöten und Geigen aus den Jagdtaschen gezogen und im Waldesdunkel konzertiert. Der König kannte diese Neigung und nannte seinen Sohn verächtlich den Querpfeifer und Poeten. Auf Friedrichs Bitten hatte die Königin den berühmten Flötenspieler Quanz nach Berlin kommen lassen; der König hatte Nachricht davon erhalten und den Prinzen überrascht; Quanz konnte zwar noch glücklich in einem Kamin versteckt werden, er erzählte später, daß ihm nie eine Pause so schwer zu halten gewesen sei, aber der König hatte im Zimmer des Prinzen brokatne Schlafröcke und französische Gedichtbücher gefunden. Die Schlafröcke ließ er verbrennen, die Bücher verkaufen. Wütend darüber, daß sein Sohn den Petitmaitre machte, schickte der König eines Morgens den Hofbarbier Sternemann zu Friedrich mit dem Befehl, ihm die schönen, langen, braunen Seitenlocken abzuschneiden und ihn vorschriftsmäßig einzuschwänzen. Als der gutmütige Mann den Prinzen weinen sah, legte er die Schere weg und band die Locken in den Zopf mit ein. Als Friedrich sich bei seiner Tafel statt der zweizinkigen Eisengabeln gegen den Befehl dreizinkige silberne anschaffen ließ, ward er geschlagen.Auch bei anderen Gelegenheiten wurde er von seinem Vater mißhandelt, und seine Lage erschien ihm plötzlich so unerträglich, daß er den Plan faßte, zu entfliehen. Aber der unvorsichtige Katte, der überall in Berlin mit der Freundschaft des Kronprinzen prahlte, hatte geschwatzt, und der König, den sein Sohn auf einer Rheinreise begleitete, ließ ihn in Wesel verhaften und fragte ihn, warum er habe desertieren wollen. »Weil Sie mich nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen niederträchtigen Sklaven behandelt haben,« antwortete Friedrich. »Ihr seid also nichts weiter als ein feiger Desertör ohne Ehre?« sagte der König. »Ich habe so viel Ehre wie Sie,« antwortete Friedrich, »und habe nur das getan, was Sie mir hundertmal gesagt haben, Sie würden es an meiner Stelle tun.« Der König zog den Degen und wollte in der Hitze den Sohn erstechen. Der Mut des Kommandanten von Wesel rettete Friedrich; er warf sich zwischen Vater und Sohn und rief dem König zu: »Sire, durchbohren Sie mich, aber schonen Sie Ihres Sohnes!«Der neunzehnjährige Prinz ward aus der preußischen Armee gestoßen und auf die Festung Küstrin gebracht. Sein Gefängnis war sehr hart. Die Tür war mit zwei großen Vorlegeschlössern versperrt, sein Essen, aus der Garküche mittags für sechs Groschen und abends für vier Groschen, mußte ihm vorher entzweigeschnitten werden, Messer und Gabel waren verboten, ebenso Tinte und Feder, Bücher und Flöte. Niemand durfte sich länger als vier Minuten bei ihm aufhalten, und um acht Uhr abends hatte der wachthabendeOffizier den Befehl, die Kerzen auszulöschen. Einmal erinnerte er den Prinzen daran, zu Bett zu gehen, und als dieser nicht darauf achtete, blies er die Lichter aus. Friedrich gab ihm eine Ohrfeige. Am andern Morgen erschoß sich der Offizier. Die beabsichtigte Desertion allein hätte nicht des Königs Zorn so erregen können, wie es der Fall war. Man hatte ihm hinterbracht, und hier hatte wahrscheinlich Grumbkow seine Hand im Spiele gehabt, daß Friedrich nach Österreich fliehen gewollt, um katholisch zu werden und sich mit Maria Theresia zu verheiraten. Katholisch werden, das war für den König der Schrecken und das Grauen. Grumbkow, der sich überzeugt hatte, daß die Königin und die Prinzessin Friederike die wichtigsten Papiere beiseite gebracht hatten, drängte den Prinzen zu Aussagen über einige Punkte. Friedrich antwortete mit stolzer Verachtung. Da hatte Grumbkow die Stirn, mit der Folter zu drohen. Friedrich erwiderte, ein Henker könne nur mit Vergnügen von seinem Henkerhandwerk reden, und er wolle sich nicht zu weiteren Geständnissen erniedrigen. Die Untersuchung ergab, daß er zur Flucht fünfzehntausend Taler geborgt hatte, auch wurde ihm ein Liebesverständnis mit der schönen Potsdamer Kantorstochter Doris Ritter zur Last gelegt. Der König befahl, das Mädchen auszupeitschen und nach Spandau ins Spinnhaus bringen zu lassen; der Vater verlor sein Amt. Das furchtbarste Schicksal aber hatte Katte. Er hatte mit der Flucht gezögert, weil ein Mädchen ihn hielt, war arretiert und vom Kriegsgericht zur Ausstoßung aus der Armee und zu lebenslänglicher Festung verurteilt worden.Der König verschärfte das Urteil auf die Todesstrafe. Am sechsten November früh sieben Uhr wurde der zweiundzwanzigjährige Mensch am Schlosse vorbei und auf den Wall geführt. Friedrich öffnete das Fenster und rief mit lauter Stimme: »Verzeih mir, lieber Katte.« Katte erwiderte: »Der Tod für einen solchen Prinzen ist süß.« Damit ging er mutig zum Richtplatz, wo sein Kopf fiel. Friedrich wurde ohnmächtig und blieb dann bis zum Abend regungslos am Fenster stehen, den Blick unverwandt auf die Richtstätte gerichtet. Wahrscheinlich begann mit diesem Tag seine völlige Umkehr und Verwandlung, zum Heil seines Volkes und der Welt. So ist, was grausam und dem einzelnen schwer zu tragen scheint, in einem höheren Sinne Notwendigkeit.Der Areopag, vor welchem am Berliner Hofe die Angelegenheiten der innern und äußern Politik verhandelt wurden, war das Tabakskollegium. Die Tabaksstube war auf holländische Art wie eine Prachtküche mit einem hohen Gestell von blauen Tellern eingerichtet; jeden Abend gegen sechs Uhr kam das Tabakskollegium zusammen und blieb bis zehn Uhr und auch länger. Es gehörten dem Kollegium an: Grumbkow, der Alte Dessauer, der Graf Dönhoff, der Oberst von Derschau, die Generale von Gerstorf und von Sydow, Jean de Forcade, der Kommandant von Berlin, Peter von Blankensee, bei Hofe der Blitzpeter genannt, Kaspar Otto von Glasenapp, Christoph Adam von Flanz, der beste Rebhuhnschütze, Dubislav Gundomar von Natzmer, Heinrich Karl von der Marwitz, Friedrich Wilhelm von Rochow, Wilhelm Dietrich von Buddenbrock,Arnold Christoph von Waldow, Johann Christoph Friedrich von Haake und die von Fall zu Fall gebetenen Minister und Gesandten.Um den Haupttisch saßen die Herren mit ihren breiten Ordensbändern und rauchten aus langen holländischen Pfeifen; vor jedem von ihnen stand ein weißer Krug mit Ducksteiner Bier und ein Glas. Die nicht wirklich rauchen konnten, wie der Alte Dessauer und der Graf Seckendorf, mußten wenigstens eine Pfeife in den Mund nehmen und kalt rauchen; Seckendorf war sogar so gefällig, sich durch fortwährendes Blasen mit den Lippen den Anschein eines geübten Rauchers zu geben. Es ergötzte den König höchlich, wenn fremde Prinzen, die als Gäste anwesend waren, betrunken gemacht werden konnten oder wenn ihnen das ungewohnte Tabakskraut Sterbensübelkeit verursachte. Er selbst rauchte passioniert, jeden Abend dreißig Pfeifen. Auf dem Tische lagen die Zeitungen, die Berliner, die Hamburger, die Leipziger, die Frankfurter, die Breslauer, die Wiener, auch holländische und französische. Ein Vorleser war bestellt, der sie vorlesen, und, was unverständlich war, erklären mußte. Dieser Vorleser hieß Jakob Paul Freiherr von Gundling.Gundling war ein Franke, ein Pfarrerssohn aus Hersbruck bei Nürnberg. Er war durch Danckelmann nach Berlin gekommen und Professor an der Ritterakademie gewesen, der König erhob ihn auf Grumbkows Empfehlung zum Hofrat und Zeitungsreferenten beim Tabakskollegium; er erhielt freie Tafel bei Hof, Wohnung im Schlosse und mußte den Königauf allen seinen Gängen begleiten, um ihm mit seiner Gelahrtheit und instruktiven Unterhaltung nahe zu sein. Er galt als ein wichtiger Mann, und der russische wie der kaiserliche Hof verschmähten es nicht, ihn durch Gnadenketten zu gewinnen. Um die Gelehrsamkeit, die er wirklich besaß, recht lächerlich zu machen, mußte er beim König den Hofnarren abgeben. Der König erhob ihn zu einer bereits abgeschafften Würde, der des Oberzeremonienmeisters, und schenkte ihm den Anzug des verabschiedeten Besser, den dieser beim Krönungsfest getragen hatte; es war ein roter, mit schwarzem Samt ausgeschlagener Leibrock mit großen französischen Aufschlägen und goldenen Knopflöchern, dazu eine große Staatsperücke mit langen Locken aus weißen Ziegenhaaren, ein großer Hut mit weißen Straußfedern, gelbe Beinkleider, seidene Strümpfe mit goldenen Zwickeln und Schuhe mit roten Absätzen. Der König machte ihn, und zwar an Stelle des großen Leibniz, zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften. Er gab ihm den Freiherrntitel und die Kammerherrnwürde.In der Trunkenheit schnitt man ihm einst den Kammerherrnschlüssel ab. Der König drohte, ihn wie einen Soldaten zu behandeln, der sein Gewehr verloren hat. Nachdem Gundling acht Tage hindurch einen ellenlangen hölzernen Schlüssel zur Strafe auf der Brust hatte tragen müssen, ward ihm der verlorene wieder eingehändigt, und er ließ ihn nun von einem Schlosser mit starkem Draht an seinem Rockschoß befestigen. Alle Würden und Chargen, auch die des geheimen Oberappellationsrats, des Kriegs- und Hofkammerrats, desHof- und Kammergerichtsrats, des Freiherrn und Historiographen erhielt Gundling nur, um ihn und die Ämter damit zu verspotten. Einmal machte Gundling den Vorschlag, Maulbeerbäume in der preußischen Monarchie anzupflanzen; da ernannte ihn der König zum geheimen Finanzrat mit der Weisung an den vorsitzenden Etatsminister, »man solle Gundling feierlich in das Kollegium introduzieren, ihncum voto sessionisanstellen und ihm das Departement aller seidenen Würmer im ganzen Land übertragen«.Dem armen Gundling ward oftmals so stark zugesetzt, daß er seiner nicht mächtig blieb. Man heftete ihm allerlei Figuren von Eseln, Kamelen und Ochsen an sein Staatskleid und malte ihm einen Schnurrbart. Man ließ ihn aus den Zeitungen die boshaftesten Artikel über seine eigene Person vorlesen, die der König eigens an die Redaktionen hatte schicken lassen. Man setzte einen Affen, der genau wie Gundling gekleidet und mit dem Kammerherrnschlüssel geschmückt war, an seine Seite; der König behauptete, der Affe sei Gundlings natürlicher Sohn, und er wurde gezwungen, das Tier vor dem ganzen Tabakskollegium zu umarmen. In Wusterhausen, wo auf dem Schloßplatz immer mehrere junge Bären herumliefen, legte man ihm einige Bären in sein Bett, die Vorderfüße der Bestien waren zwar verstümmelt, dennoch hätten sie ihn mit ihren Umarmungen beinahe totgedrückt, und er bekam den Bluthusten. Einmal im Winter taumelte er betrunken über die Wusterhausener Schloßbrücke; da packten ihn auf Befehl des Königs vierhandfeste Grenadiere, und an Stricken ließen sie den schweren Mann solange in den gefrorenen Schloßgraben hinunter und wieder hinauf und wieder hinunter, bis er das Eis durchgestoßen hatte. Diese Szene mußte zur besonderen Ergötzlichkeit des Königs wiederholt und sogar gemalt werden. Einmal war Gundling zu Gaste geladen und ließ sich in einer Sänfte tragen. Plötzlich wich der Boden der Sänfte unter ihm, er schrie den Trägern zu, sie möchten halten, aber je lauter er rief, je schneller rannten die Träger und zwangen ihn so, nach Art des Pachter Feldkümmel mit ihnen zu laufen. Häufig fand Gundling, wenn er nachts nach Hause kam, sein Studierzimmer zugemauert; anstatt sich zur Ruhe legen zu können mußte er stundenlang die Türe suchen und endlich an der Treppe schlafen.Eines Tages entfloh der schwergeplagte Mann zu seinem Bruder, dem Professor Nikolaus Hieronymus in Halle. Der König ließ ihn aber wieder holen und machte Miene, ihn als Desertör zu bestrafen. Da er aber eine ungewöhnliche Stille an ihm bemerkte, nahm er zu dem alten Köder der Eitelkeit seine Zuflucht: er erhob ihn in den Freiherrnstand, und zwar mit der Anciennität von sechzehn Ahnen väterlicher und mütterlicher Seite. Es dauerte aber nicht lange, und der König ließ wieder einen seiner derbsten Schwänke an ihm verüben. Auf seinen Befehl schrieb Faßmann, der Autor der damals beliebten »Gespräche im Reich der Toten« eine bösartige Satire auf Gundling, betitelt: »Der gelehrte Narr«, und erhielt den Auftrag, sie Gundlingim Tabakskollegium zu überreichen. Gundling wurde hochrot vor Zorn und kam so in Harnisch, daß er eine der zum Pfeifenanbrennen mit glühendem Torf gefüllten Pfannen ergriff und sie Faßmann ins Gesicht schleuderte, wovon diesem die Brauen und Wimpern versengt wurden. Sofort setzte sich Faßmann vor den Augen Seiner Majestät in Avantage, entblößte Gundling die hinteren Kleider und bearbeitete ihn mit der heißen Pfanne dermaßen, daß er vier Wochen lang nicht sitzen konnte. Seitdem begegneten sich die beiden gelehrten Herrn im Tabakskollegium niemals, ohne daß es zum Faustkampf kam. Der König, die Generale, die Minister und die Gesandten sahen den Turnieren zu. Schließlich verlangte der König, die beiden Herren sollten ihren Ehrenhandel durch ein Duell zum Austrag bringen. Faßmann forderte Gundling auf Pistolen, Gundling mußte die Forderung annehmen, er mochte wollen oder nicht. Als die Kombattanten auf dem Schloßplatz erschienen, warf Gundling die Pistole weg, Faßmann schoß ihm die seinige, die nur mit Pulver geladen war, in die Perücke, welche zu brennen anfing; Gundling fiel vor Schreck auf die Erde, und ein ganzer Eimer kalten Wassers, den man über ihn schüttete, konnte ihm nicht die Gewißheit geben, daß er noch lebte.Achtundfünfzig Jahre alt, beschloß Gundling sein Dasein. Bei der Sektion ergab sich, daß er im Magen ein großes Loch hatte; der Magen war vom vielen Trinken geborsten. Seit zehn Jahren war vom König ein mächtiges Weinfaßzu seiner letzten Ruhestätte bestimmt worden. In seinem besten Staatskleid angetan, ward er in dieses Faß gelegt und so in Bornstädt bei Potsdam trotz des Widerspruchs der Geistlichkeit wirklich begraben. Faßmann hielt dem preußischen Freiherrn mit der Anciennität von sechzehn Ahnen, dem preußischen Kammerherrn, Präsidenten, Finanzrat und Historiographen die Nach- und Trauerrede über seine Weinfaß-Ruhestätte.In Potsdam gab der König im Winter einige Assembleen, in Berlin unterließ er dies aus Sparsamkeitsgründen, da mußten die Generale und Minister auf ihre Kosten Assembleen geben, aber bei den Diners, wo Friedrich Wilhelm ein freies Gespräch liebte, verbat er sich die Anwesenheit von Damen. Der Hauptgastgeber war Grumbkow. Ein wegen seiner Knauserei bekannter General, bei dem sich der König zu Gast geladen hatte, entschuldigte sich einst, daß er keine eigene Wirtschaft führe. Der König verwies ihn zum Gastwirt Nikolai, erschien dort mit großem Gefolge, und es wurde vortrefflich gegessen und getrunken. Beim Aufstehen rief der General den Wirt herein und fragte ihn, was das Gedeck koste. »Ohne den Wein einen Gulden die Person,« antwortete der Wirt. »Schön,« sagte der General, »hier ist ein Gulden für mich und einer für Seine Majestät; die andern Herrn, die ich nicht gebeten habe, bezahlen für sich.« Der König lachte und erwiderte, das sei ganz fein; er habe den Herrn zu prellen geglaubt, und nun sei er selber geprellt. Darauf bezahlte er die ganze Rechnung.Später wurde die Einrichtung der Assembleen einem herumreisenden Komödianten übertragen, einem gewissen Karl von Eggenberg. Er war ein Sattlersohn aus dem Bernburgischen, war vom König von Dänemark geadelt worden und hatte Friedrich Wilhelm durch seine Körperkraft in Erstaunen gesetzt; man hieß ihn nur den starken Mann, und er konnte eine zwei Zentner schwere Kanone samt einem Tambur in die Höhe heben und solange halten, bis der Tambur ein Glas Wein ausgetrunken hatte. Er kam reich nach Berlin, baute ein Haus, stand beim König, dem er die Husarenpferde, dänische Hengste, besorgte, in großer Gunst, und er war es auch, der das Theater wieder einigermaßen emporbrachte. Vordem hatten nur Seiltänzer, Gaukler, Taschenspieler, Marktschreier und Marionettenspieler von Zeit zu Zeit die Erlaubnis erhalten, in Berlin Vorstellungen zu geben, auch einzelne herumziehende Schauspieler, nur durfte nichts Ärgerliches und Skandalöses auf der Bühne erscheinen. Eggenberg bekam nun den Titel eines Königlichen Hofkomödianten und durfte mit einer vom König besoldeten Truppe Aufführungen veranstalten, »nur keine gottlosen und dem Christentum nachteilige Dinge, sondern lauter innozente Sachen zum honetten Amüsement.« Sie spielten auf dem Stallplatz und auf der breiten Straße; Hauptperson war der Hanswurst; es wurde der Doktor Faust aufgeführt, wie er vom Teufel geholt, und Haman, wie er gehängt wird. Der »Premierplatz« kostete acht Groschen. Zuletzt wurde die Komödie auch in Halle erlaubt, aber die theologischeFakultät erhob wegen des Gaukel- und Teufelsspiels beim König Protest. Der König schrieb zurück, es würden auch in Utrecht und Leyden Schauspiele geduldet, und kein Mensch könne zweifeln, daß dies die beiden ersten Universitäten der Welt seien.Sonst war Friedrich Wilhelm allen Volkslustbarkeiten abhold, er sah darin nur Üppigkeit. Das Scheibenschießen hob er auf, Tee- und Kaffeeschenken verschwanden, und wer nach neun Uhr abends sich in den Wirtshäusern betreffen ließ, wurde von den Patrouillen arretiert. Wenn der König nach der Friedrichstadt kam, flüchteten die Leute, machten Türen und Fenster zu, und die Straßen waren öde. Für die Künste hatte Friedrich Wilhelm keinen Sinn. Er malte zwar selbst, besonders in den späteren Jahren, wo ihn die Gicht plagte; gewöhnlich waren es Bauern, die er porträtierte, einmal malte er auch Gundling als Polichinell, aber die Bilder wurden nur von seinen Schmeichlern gelobt. Für die Musik hatte er wenig übrig; einmal ließ er Glockenspiele aus Holland kommen, die von den Türmen geistliche Lieder spielten. Ein paarmal in der Woche ließ er an Winterabenden Arien und Chöre aus heroischen Opern vorführen, etwa aus Händels Alessandro oder Siroe, und zwar auf Blasinstrumenten von den Hoboisten des Garderegiments. Bei diesen Konzerten standen die Musiker mit ihren Pulten und Lichtern am einen Ende des langen Saals, und der König saß ganz allein am andern. Zuweilen, nach einem guten Diner, schlief er auch bei der heroischen Musik ein. Denhöchsten Spaß bereitete ihm ein von Kapellmeister Pepusch für sechs Fagotte komponiertes Konzert, betitelt:Porco primo, porco secondousw. Er hielt sich den Bauch dabei vor Lachen. Auch der Kronprinz Friedrich wollte einmal dieses Konzert hören, und um den Komponisten zu verspotten lud er eine große Gesellschaft dazu ein. Pepusch wollte ausweichen, mußte sich aber dem Willen des Prinzen fügen. Er kam nicht mit sechs, sondern mit sieben Hoboisten, legte die Noten auf die Pulte und schaute ganz ernsthaft im Saal herum. Der Kronprinz trat auf ihn zu und fragte: »Herr Kapellmeister, sucht Er etwas?« Pepusch antwortete, es fehle ihm noch ein Pult. »Ich dachte,« versetzte Friedrich lächelnd, »es seien nur sechs Schweine in seiner Musik?« – »Ganz recht, königliche Hoheit,« gab Pepusch zurück, »aber es ist da noch ein Ferkelchen gekommen,flauto solo.« Und Friedrich, der Flötenspieler, war angeführt.Was der große Kurfürst begonnen hatte, vollendete Friedrich Wilhelm mit der Niederbeugung des Adels; er setzte die Besteuerung durch. Als der Graf Alexander Dohna, Marschall der Stände Preußens, in seinem Bericht an den König die Phrase gebracht hatte:Tout les pays seront ruinés,schrieb Friedrich Wilhelm die denkwürdigen, unsterblich gewordenen Worte: »les pays seront ruinés? Nihil credo,aber dascredo,daß die Junkers ihre Autorität wird ruiniert werden. Ich stabiliere die Suveränität wie einenrochervon Bronze.« Friedrich Wilhelms Herz neigte sich mehr zu den Bürgern als zu den Junkern. Wenn er einmal äußerte, daß er einwahrer Republikaner sei, so verstand er eigentlich seine bürgerliche Gesinnung darunter. Er liebte es, mit dem Volke unmittelbar zu verkehren, und besuchte Gastmähler und Hochzeiten, auch richtete er sich in Berlin und Potsdam ganz einfach bürgerlich ein, wie ein guter deutscher Haushalter. Fleißige Handwerker und reinliche Hausfrauen belobte er sehr. Mit der Reinlichkeit konnte er auch an seinem ganzen Körper nicht genug tun; ferner war er äußerst wahrheitsliebend. In der Instruktion für die Räte seines Generaldirektoriums schrieb er: »Wir wollen die flatterien durchaus nicht haben, sondern man soll Uns allemal nur die reine Wahrheit sagen.« Aber er war ein sehr gewalttätiger Herr und König, im Zorne wild und furchtbar. Friedrich der Große und seine Schwester hatten ihm den Spitznamenle ragotingegeben. Zuletzt war er so dick geworden, daß seine Weste fast vier Ellen weit war.Er forderte unbedingten Gehorsam ohne Widerspruch. Die Universität Halle stellte einmal beweglich vor, daß ein Studiosus von einigen Soldaten des Abends auf der Straße angefallen und zum Tor hinausgeführt worden sei. Der Bescheid des Königs lautete: »Soll nicht räsonieren! Ist mein Untertan.«Er wollte in seinem Lande nur gute Christen, fleißige Bürger und tapfere Soldaten haben. Voltaire nannte ihn den Vandalen; aber alle seine Strenge und Härte entschuldigte Friedrich Wilhelm mit der Pflicht, und öfters äußerte er: Ich bin nur der erste Diener des Staates; und den Staat regierte er nach seiner eigentümlichen Weise mit Gewalt, umihn zu beglücken. Dabei war er gewissenhaft; einmal hatte er in Stettin einen Beamten durch den Henker prügeln lassen, kurz darauf stellte sich die Unschuld des Mannes heraus, da ließ er ihn an seiner Tafel speisen, um ihm eine öffentliche Genugtuung zu geben. Er glaubte, immer gerecht zu handeln, doch handelte er nur in dem gerecht, was er selbst für Recht erkannte. Er war religiös, aber nur in dem, was er bei sich selbst als Religion gelten ließ; es war eine Religion ganz nach eigenem Rezept. Bisweilen war er ernstlich gesonnen, abzudanken, weil er glaubte, seine Pflicht nicht gehörig erfüllen zu können. Er hielt sich in der genauen Bedeutung des Wortes für einen Knecht Gottes. So wenig er das Alte Testament achtete, seine Gesetze waren wie die des Alten Testaments. Aus königlicher Machtvollkommenheit kassierte und annullierte er die Urteile der Richter und verschärfte sie weit öfter als er sie milderte. Da galt kein Ansehen der Person. Ein Kriegs- und Domänenrat von Schlubhut in Königsberg hatte Gelder unterschlagen, die für die Salzburger Emigranten bestimmt gewesen waren, und das Gericht erkannte auf einige Jahre Festung. Der König wollte das Urteil nicht bestätigen, verschob den Spruch bis zu seiner Reise nach Königsberg, befahl den Kriegsrat vor sich und kündigte ihm an, daß er ihn hängen lassen werde. Schlubhut erwiderte frech, das sei nicht Manier, so mit einem preußischen Edelmann zu verfahren, er werde die fehlende Summe ersetzen. Der König geriet in den höchsten Zorn und schrie: »Ich will dein schelmisches Geld nicht haben.« Darauf ließ er einen Galgen vor dem Sessionszimmerder Kriegs- und Domänenkammer errichten und vor den Augen der versammelten Räte Schlubhut daran aufknüpfen.Er haßte die Juristen und hätte sie gerne alle vertilgt, besonders die Advokaten. Auf dem Lande durfte kein Advokat wohnen, damit die Bauern nicht prozeßsüchtig würden. Als er an die Stände Preußens das Verbot erließ, sich aller Beschwerden und Mahnungen und der Hinweisung auf alte Verheißungen zu enthalten, wagten die Stände einzuwenden, Gott, der allmächtige Vater, gestatte doch auch, daß man ihm Beschwerden vortrage, und bleibe nichtsdestoweniger allmächtig, mithin werde es Seine Majestät ebenfalls nicht ungnädig deuten. Aber Seine Majestät kehrte sich daran nicht, und in seinen Kabinettsbefehlen hieß es gewöhnlich: Wir sind Herr und König und tun, was Wir wollen.In Reden und Schriften war er ausbündig derb. Die Ehrentitel Hundsfott, Kujon, Halunke schwebten beständig auf seinen Lippen. Auf Eingaben, die ihm nicht behagten, malte er Eselsköpfe und -ohren an den Rand, und in den Resolutionen, die er ausgehen ließ, hieß es fortwährend: Wenn das und das nicht geschieht, so werde Ich es scharf ansehen, man wird den König zum Feinde haben, so wird Lärm werden, so wird der Donner dreinschlagen, eh man es sich vermutet. Wenn ein Minister zu spät in die Sitzungen kam, mußte er hundert Dukaten Strafe zahlen. »Die Herrn sollen arbeiten, wofür Wir sie bezahlen,« sagte der König. Einer seiner Kammerdiener sollte ihm einmal den Abendsegenvorlesen. Als die Worte kamen: Der Herr segne dich, glaubte der einfältige Mensch in seiner Unterwürfigkeit »der Herr segne Sie« lesen zu müssen. Da fuhr ihn der König an: »Hundsfott, lies, was dasteht, vor dem lieben Gott bin Ich genau so ein Hundsfott wie du.« Die Bedienten waren allerdings ihres Lebens nicht sicher; er hatte stets zwei mit Salz geladne Pistolen neben sich liegen, und wenn sie etwas versahen, feuerte er die Pistolen auf sie ab.Seine Sparsamkeit war so pedantisch, daß er sich alle Küchenzettel vorlegen ließ und an den geringfügigsten Ausgaben mäkelte. Die Zettel mußten bis auf jede Zitrone und auf jede Mandel Eier spezifiziert sein, und einmal schrieb er darunter: Ein Taler zu viel. Auf die Eingaben um Geldbewilligung schrieb er zumeist:Non habeo pecunia,oder:point d’argent,oder: Narrenspossen, Narrenspossen! Sogar auf die Papierersparnis richtete er sein Augenmerk; auf den Rand eines Berichts des Kammerkollegiums schrieb er: Der Quark ist das schöne Papier nicht wert, sollen schlecht Papier nehmen, das ist Mir genug.Bei alledem konnte er auch freigebig sein. Für den Hofstaat der Königin hatte er achtzigtausend Taler ausgesetzt, viel mehr, als die erste Königin gehabt. In ihrem Kabinett war sämtliches Gerät von Gold, Kron-, Wand- und Armleuchter, Geridone und Tafeln. Einmal schenkte er ihr zu Weihnachten eine goldene Brandrute für den Kamin, die sechzehnhundert Taler kostete.Er war ein rastlos tätiger Mann, kein Hauch von Phlegmawar in ihm. »Der König,« schreibt Seckendorf im Juni 1726, »kann allem menschlichen Ansehen nach unmöglich in die Länge die Art zu leben kontinuieren, ohne an Gemüt und Leib zu leiden, maßen der Herr vom frühen Morgen bis in die späte Nacht in kontinuierlichemmouvementist, bei sehr früher Tagesstunde das Gemüt mit verschiedenen und differenten Materien, Resolutionen und Arbeiten angreifet, hernach den ganzen Tag mit Reiten, Fahren, Gehen und Stehen sich unglaublich fatigiert, mit starkem Essen und ziemlichem, doch nicht bis zurdebauchekommenden starken Getränke sich erhitzet, wenig und dabei sehr unruhig schläft, folglich sein ohnedem vehementes Naturell dermaßen echauffiert, daß mit der Zeit üble Folgen daraus entstehen dürften.«Es kam vor, daß Friedrich Wilhelm irgendeinen faulenzenden Berliner Eckensteher mit eigenen Händen durchprügelte. Ein andres Mal prügelte er einen verschlafenen Torschreiber, der die Bauern vor dem Tor warten ließ, mit den Worten: »Guten Morgen, Herr Torschreiber« aus dem Bette. Recht mißlich war es, ihm zu begegnen. Wer ihm auffiel, an den ritt er so nahe heran, daß der Kopf des Pferdes dem Manne an die Brust stieß, und dann begann das Verhör. Sah er einen französischen Prediger, so fragte er jedesmal, ob sie Molière gelesen hatten, um ihnen damit anzudeuten, daß er sie für Komödianten halte. Am schlechtesten erging es denen, die vor ihm die Flucht ergriffen; einmal verfolgte er einen Juden, der Reißaus genommen hatte, und als er ihn gestellt hatte, sagte der Jude, er habe sich gefürchtet. Da prügelteihn der König mit seinem Stock und schrie dabei in einemfort: »Lieben sollt ihr mich, lieben und nicht fürchten.«So orthodox Friedrich Wilhelm auch war, erklärte er sich doch mit allem Nachdruck für die Toleranz. Er duldete alle Religionsparteien, nur die Jesuiten waren ihm zuwider, »die Vögels, die dem Satan Raum geben und sein Reich vermehren wollen«. Schon im Anfang seiner Regierung erließ er ein Edikt, worin er den lutherischen und reformierten Religionsverwandten gebot, aller Schmähungen sich zu enthalten und friedlich miteinander zu verkehren. Den lebhaftesten Anteil nahm er an dem Schicksal der Salzburger Emigranten. Er schickte nicht nur Kommissäre zu den Salzburger Bauern, um sie einzuladen, sich in seinen Staaten niederzulassen, sondern griff auch, um den Erzbischof Firmian von weiterer Verfolgung abzuschrecken, zu Repressalien gegen die Katholiken im Bistum Halberstadt und drohte die Einkünfte der Klöster in Beschlag zu nehmen. Zwanzigtausend Salzburger fanden damals in Preußen Zuflucht; als der erste Zug eintraf, begrüßte ihn der König selbst am Leipziger Tor und hieß die armen Leute als seine lieben Landeskinder willkommen; von der Königin wurden sie in Monbijou bewirtet.Um das Jahr 1727 verfiel Friedrich Wilhelm in eine tiefe religiöse Schwermut. Er sprach unaufhörlich davon, daß er die Krone niederlegen und sich in den Haag zurückziehen wollte, wo ihm aus der Erbschaft Wilhelms des Dritten das Lustschloß Honslardik zugefallen war. Es war August Hermann Franke, der einen solchen Einfluß auf das Gemütdes Königs gewonnen hatte. Die Markgräfin von Baireuth schreibt: »Dieser Geistliche machte die unschuldigsten Dinge zur Gewissenssache, er verwarf alle Vergnügungen als verdammlich, selbst die Musik und die Jagd, man sollte nur vom Worte Gottes sprechen, alles andre war verboten.« Grumbkow und Seckendorf legten dem König immer wieder die Hindernisse dar, die sich seiner Abdankung entgegensetzten, und wie er einen solchen Schritt später bereuen würde. Aber der König versank nur noch tiefer in seine Grübeleien, und man durfte in seiner Nähe nicht mehr lachen. Da nun alle Worte vergeblich waren, verfielen Grumbkow und Seckendorf auf ein anderes Mittel. Sie überredeten den König, dem sächsischen Hof einen Besuch abzustatten, der damals der glänzendste in Deutschland war. Politische Gründe bestimmten Friedrich Wilhelm, den Vorschlag anzunehmen. Sobald er nach Dresden kam, wurde er von Fest zu Fest fortgerissen, die Freuden der Tafel wurden nicht vergessen, der Ungarwein nicht gespart, und die Freundschaft der beiden Könige war die innigste. Eines Tages, als man weidlich geschmaust hatte, führte der König von Polen seinen Gastfreund im Domino auf eine Redute. Immerfort schwatzend, gingen sie von einem Zimmer in das andere, wobei die Hofleute und der Kronprinz Friedrich folgten. Endlich gelangten sie in einen schön verzierten Raum, und während Friedrich Wilhelm das prächtige Gerät bewunderte, sank eine Tapetenwand nieder, und ein seltsames Schauspiel bot sich den Blicken dar. Ein Mädchen von vollendeter Schönheit lag nachlässig auf einemRuhebette, nackt wie sie Gott erschaffen, mit einem Körper wie die mediceische Venus. Das Kabinett, worin sie sich befand, war von so vielen Kerzen erhellt, daß sie das Tageslicht überstrahlten. Der König von Polen sowohl als Grumbkow glaubten, daß Friedrich Wilhelm einer solchen Verlockung nicht werde widerstehen können; allein es kam anders. Bei dem ersten Blick nahm Friedrich Wilhelm seinen Hut, hielt ihn dem Kronprinzen vor das Gesicht und befahl ihm, sich zu entfernen. Er selbst wandte sich zum König von Polen, sagte trocken: »Sie ist recht schön,« und ging fort. An Seckendorf schrieb er ein paar Tage später: »Ich gehe zu kommendem Mittwoche nach Hause, fatigieret von allen guten Tagen und Wohlleben; ist gewiß nit christlich leben hier, aber Gott ist Mein Zeuge, daß Ich kein Pläsier daran gefunden und noch so rein bin als Ich von Hause hergekommen und mit Gottes Hilfe beharren werde bis an Mein Ende.«Schon im Winter 1735 hatte der König an der Wassersucht gelitten, und sein Leben war in großer Gefahr gewesen. In dem strengen Winter des Jahres 1740 erkrankte er von neuem. Er ließ den lutherischen Propst Roloff kommen, der ihn zum Tod vorbereiten sollte. Er verzieh allen seinen Feinden, schließlich sogar seinem Schwager, dem König von England, der ihm doch, wie er sagte, alles gebrannte Herzeleid angetan habe. Er bereute seine Sünden und zählte sie in Gegenwart vieler Umstehenden so ausführlich auf, daß Roloff ihn bitten mußte, es zu unterlassen. Worauf Roloff drang, war Sinnesänderung, dazu aber war der Herr lange nicht zu bewegen.Er führte auf, daß er die Geistlichkeit immer respektiert, Gottes Wort immer fleißig gehört habe und seiner Frau immer unverbrüchlich treu gewesen sei; er behauptete, immer recht gehandelt und alles zu Gottes Ehre getan zu haben. Roloff widersprach dem und erinnerte ihn an die Verschärfungen der Todesurteile, an die ungerechten Hinrichtungen, an das erzwungene Häuserbauen in Berlin, zur großen Bedrückung seiner Untertanen, und des Königs Verantwortung wollte er als vor Gott genügend nicht gelten lassen. Da sagte der König: »Er schont Meiner nicht. Er spricht als ein guter Geist und ein ehrlicher Mann mit Mir. Ich danke ihm dafür und erkenne nun, daß ich ein großer Sünder bin.« Im April 1740 konnte er noch nach seinem geliebten Potsdam fahren; er gab Anordnungen für sein Leichenbegängnis, bei dem das Leibregiment feuern sollte. Mitten in seinen Schmerzen ließ er sich das Lied vorsingen: Warum sollt ich mich doch grämen? Als die Stelle kam: Nackend werd auch ich hinziehen, unterbrach er die Sänger mit den Worten: »Nein, das ist erlogen, ich will in der Montur begraben sein.« Bescheiden stellte ihm der Feldprediger vor, daß es dort oben keine Soldaten gäbe; da rief der König: »Was? Sapperment! Wieso?« Und er schien nun sehr niedergeschlagen.Am Sterbetage, den 31. Mai, nahm er Abschied von seiner Frau, seinen Söhnen, allen Ministern, Beamten und Offizieren. Er ließ sich ans Fenster rücken, von wo er den Marstall überblicken konnte, und befahl, daß man die Pferdeherausführe, denn er wollte dem Fürsten von Dessau und dem General Haake noch ein Pferd schenken. Als ihm sein Leibarzt auf die Frage, wie lange er noch zu leben habe, antwortete, ungefähr eine halbe Stunde, forderte er einen Spiegel, schaute hinein und sagte lächelnd: »Ich bin recht verändert, ich werde beim Sterben ein garstiges Gesicht machen.« Später wiederholte er die Frage an den Arzt. Der Leibmedikus befühlte ihm den Puls, zuckte die Achseln und sagte: »Er steht still.« Da hob der König seinen Arm, schüttelte die Faust und rief: »Er soll nicht stillstehen.«Friedrich Wilhelm starb im zweiundfünfzigsten Jahre seines Alters; er starb, wie Friedrich der Große an Voltaire schrieb, mit der Neugierde eines Naturforschers, der beobachten will, was im Augenblick des Hinscheidens geschieht, und mit dem Heldenmute eines großen Mannes. Er ward in Potsdam begraben. Bei der Leichenfeier wurden die von ihm selbst ausgewählten Lieder gesungen und beim Trauermahl zwei von ihm eigens dazu bestimmte Eimer alten Rheinweins ausgetrunken.Joachim NettelbeckAls Sohn eines Brauers und Branntweinbrenners wurde Joachim Nettelbeck am 20. September 1738 zu Kolberg geboren. Seine Mutter war aus dem Geschlecht des Schiffers Blanken; seines Vaters Bruder war ebenfalls Schiffer. Seine größte Kinderfreude bestand darin, auf Schiffen herumzuspringen, und sobald er lallen konnte, war sein Sinn auf die Schifferei gestellt. Sein Hang war so groß, daß er aus jedem Span, aus jedem Stück Baumrinde, das ihm in die Hände fiel, kleine Schiffe schnitzelte, sie mit Segeln von Federn oder Papier ausrüstete und damit auf Rinnsteinen und Teichen oder auf der Persante hantierte. Kein größeres Vergnügen gab es für ihn, als wenn seines Onkels Schiff im Hafen lag; da hatte er zu Hause keine Ruhe und bat immerfort, man möchte ihn nach der Münde lassen.Nicht geringere Liebe zeigte er zum Gartenwesen. Sein Großvater war ein großer Gartenfreund, nahm ihn oft in seinen Garten mit und schenkte ihm sogar ein Fleckchen Land. Da legte er Obstkerne, pflanzte, verpfropfte und okulierte.Joachim NettelbeckJoachim Nettelbeck,nach einer Zeichnung von Ludwig Heine.Er mochte etwa sechs Jahre alt sein, da entstand eine Hungersnot im Lande. Es kamen viele arme Leute nach Kolberg, um Korn zu holen, weil man Getreideschiffe im Hafen erwartete. Als endlich ein Schiff mit Roggen auf der Reede anlangte, stieß es gegen den Hafendamm und sank in den Grund. Um es wieder emporzuwinden wurden zwei Schiffe benutzt, deren eines von seinem Onkel geführt wurde, und der Knabe war beständig zugegen. Das Fahrzeug wurde gehoben, doch das Korn war durchnäßt; bald waren alle Straßen mit Laken und Schürzen überdeckt, auf denen das Getreide der Luft und Sonne ausgesetzt wurde. Endlich kam ein zweites Kornschiff, und es konnte der Not gesteuert werden.Im nächsten Jahre schickte der Große Friedrich von Preußen eine Wagenladung mit Kartoffeln nach Kolberg. Diese Früchte waren aber damals noch völlig unbekannt, und die Bürger berieten hin und her, was wohl damit anzufangen sei. Sie warfen sie den Hunden vor, die sie beschnupperten und verschmähten. Was sollen uns die Dinger? hieß es; sie riechen nicht, sie schmecken nicht, und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen. Man glaubte, sie wüchsen auf den Bäumen und man müsse sie herunterschütteln wie die Äpfel. Alles dieses ward auf dem Markte, vor seiner Eltern Tür, verhandelt. Erst als der König im andern Jahr eine zweite Sendung von einem Landreiter begleiten ließ, der des Kartoffelbaues kundig war, gewann die neue Frucht das Wohlwollen der Bürger.Der Knabe war auch ein großer Liebhaber von Tauben, und er sparte sich von seinem Frühstücksgeld so viel ab, daß er sich ein paar Tauben kaufen konnte. Seine Spielereien hielten ihn vom Lernen und von der Schule ab, und erst die dringenden Ermahnungen seines Paten weckten seinen Ehrgeiz. In seinem achten Jahre schenkte ihm der Pate zu Weihnachten eine Anweisung zur Steuermannskunst, und bald ging sein Eifer für diese Sache soweit, daß er oft im Winter bei strenger Kälte des Nachts, wenn klarer Himmel war, heimlich auf den Wall ging und mit seinen Instrumenten die Entfernung der Sterne vom Horizont oder vom Zenit maß und danach die Polhöhe berechnete. Kam er des Morgens erfroren nach Hause, so verwunderte sich alles, erklärte ihn für einen überstudierten Narren, und der Vater schlug ihn.Da ein Seemann sich auf die Kletterkunst gut verstehen mußte, übte er sich in Gemeinschaft mit dem Sohn des Glöckners im Balkenwerk der großen Kirche in dieser Fertigkeit. Sie krochen überall herum, und oft verirrten sie sich in der gewaltigen Verzimmerung dergestalt, daß einer vom andern nichts mehr wußte, und wenn sie wieder zusammenkamen, war des Erzählens kein Ende, wo sie gewesen waren und was sie gesehen hatten. In dem inwendigen Holzverband krochen sie auch bis zur Spitze des Turmes hinauf, bis sie sich in dem beengten Raum nicht mehr rühren konnten. Diese Gewandtheit und Ortskenntnis kam ihm viele Jahre später wohl zustatten, als ein Wetterstrahl im Turm gezündet hatte und das Feuer gelöscht werden mußte.Als er elf Jahre alt war, nahm ihn sein Onkel als Kajütenwächter mit auf sein Schiff, und seine erste Fahrt ging nach Amsterdam. Dort sah er die großen Indienfahrer und verspürte eine unbezwingliche Sehnsucht, auf einem solchen Schiff zu dienen. Bei Nacht und Nebel floh er auf einer Jolle, betrat eines der Schiffe, das er sonderlich ins Auge gefaßt, und wurde nach vielen Verhandlungen als Seemannsjunge geheuert. Das Schiff war für den Sklavenhandel nach Guinea bestimmt. Einundzwanzig Monate später kam er nach Amsterdam zurück, schrieb an seine Eltern, die, froh erstaunt, ihn noch am Leben zu wissen, ihn nach Kolberg riefen; dort blieb er nun bis zu seinem vierzehnten Jahr. Länger vermochte er aber seinem Abenteuer- und Tätigkeitstrieb nicht zu widerstehen: er entfloh neuerdings und verdingte sich auf einem Schiff, das nach Surinam bestimmt war. Auf der Heimfahrt fiel der Steuermann über Bord und ertrank, und Nettelbeck wurde zum Untersteuermann gemacht.Im Jahre 1756 nahm er Dienst bei seinem Oheim, der eine Schiffsladung mit Holz von Rügenwalde nach Lissabon zu bringen hatte. Sein jüngerer Bruder, ein Knabe von vierzehn Jahren, und des Oheims junger Sohn waren ebenfalls auf dem Schiffe bedienstet. Sie erlitten an der flandrischen Küste Schiffbruch und wurden von österreichischen Soldaten gerettet. Der Oheim hatte aber eine tödliche Verletzung erlitten und starb in einem Kloster, wohin man ihn in Eile transportiert hatte. Als Ketzer und Preußen verdächtigt undgemieden, mußten sich die drei jungen Burschen durch das feindliche Land schlagen, und erst nach schrecklichen Mühsalen gelangten sie wieder nach Kolberg. Kaum hatte sich Nettelbeck von der überstandenen schweren Zeit erholt, so brach der Krieg aus, und die Werber des Königs kamen in die Stadt, um alle jungen Leute zum Soldatenstand zu pressen. Es war eine wahre Hetzjagd, der Schrecken für alle Eltern jener Zeit und für alles junge Volk, das eine Flinte schleppen konnte und nicht mochte.Die entschiedene Abneigung des Bürgers gegen den Soldatenstand hatte ihre Rechtfertigung in der unmenschlichen Art, womit die jungen Leute von den Unteroffizieren behandelt wurden; so sagt Nettelbeck selbst, und er fügt hinzu: unter den Fenstern der Eltern wurden sie von den rohen Menschen aufs Grausamste mißhandelt, und es war ein kläglicher Anblick, wenn bei solchen Auftritten die Mütter in Haufen daneben standen, weinten und schrien und von den rauhen Barbaren abgeführt wurden.Nettelbeck ergriff die Flucht. Bei Nacht, in Sturm und Schneegestöber wanderte er zu einem Bauern, welcher ihm genannt worden war, und mußte sich im Stadtholz eines Rudels Wölfe erwehren. Endlich erreichte er die Freistatt, hielt sich zwölf Tage dort verborgen, aber er ertrug es nicht, untätig zu sitzen, und er begab sich wieder nach der Münde. Eines Nachts erweckte ihn ein Klopfen an den Fensterladen des Kämmerchens, wo er schlief, und die bekannte Stimme einer getreuen Frauensperson rief ihm zu: »Joachim, auf!auf aus den Federn! Die Soldaten sind wieder auf der Münde!« In der Bestürzung griff er nach einem Bund Kleider, stahl sich im Hemd auf die Straße und bemerkte, als er sich anziehen wollte, daß er Frauenkleider mitgenommen hatte. Er warf einen roten Friesrock über die Schultern, da wurde er von den Soldaten gestört, er rannte zum Hafen, sprang in ein Boot und ruderte hinaus. Jenseits ging er an Land, wanderte so gut als nackend in der bitterkalten Märznacht vor mehrere Türen, wurde jedesmal abgewiesen und flüchtete endlich in einen alten Schiffsrumpf, der im Sommer als Bierschank benutzt wurde. Er kletterte in das Rauchfangloch und duckte sich vor der Kälte in einen Winkel zusammen. Am Morgen suchte er sein verlassenes Boot wieder auf und ruderte sich zu einem Schiffe heran, das einem Königsberger Schiffer gehörte. Der Mann nahm ihn auf und hielt ihn lange bei sich verborgen. Zwei Wochen später fuhr er mit einem anderen Schiffer nach Danzig, und dort wurde er Steuermann auf einer kleinen Jacht, die eine Ladung Hanf nach Westschottland bringen sollte. Die Schiffahrt in den Gewässern der Hebriden war der Klippen und starken Strömungen wegen sehr gefährlich, das Schiff irrte lange herum, geriet im Kanal mit sieben englischen Kapern zusammen, und alle diese Schnapphähne, so nennt sie Nettelbeck, stiegen an Bord seines Schiffes und nahmen mit, was nicht niet- und nagelfest war, Kessel und Pfannen, Tauwerk und Segel, Karten und Kompaß. Die Aufregung und das beständige Elend machten Nettelbeck krank. Er mußte inMetemblick zurückbleiben und begab sich zu einem Kompaßmacher in die Lehre; was er von ihm lernte, war ihm in der Folge von großem Nutzen.Bald darauf rief ihn sein Vater nach Kolberg zurück, und er war noch nicht vier Wochen in der Heimat, so begann die Belagerung Kolbergs durch die Russen. Durch die Entschlossenheit der Bürgerwehr blieben die feindlichen Anstrengungen fruchtlos, und nachdem die Russen eine Menge Pulver unnütz verschossen hatten, mußten sie wieder abziehen. Nettelbeck begab sich nach Amsterdam, traf dort mit seinem alten Kapitän Blanken zusammen und fuhr mit ihm neuerdings nach Surinam; von dort heimgekehrt, hielt es ihn wieder nicht lange, und er fuhr mit einem andern Schiff nach Sankt Eustaz. Als er dann in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, wurde diese zum zweitenmal von den Russen belagert, aber der Notstand dauerte nur drei Wochen. Während der Zeit des Siebenjährigen Krieges blieb den preußischen Schiffern, wenn sie Erwerb finden wollten, kaum etwas anderes übrig, als unter der neutralen Danziger Flagge zu fahren. In solcher Weise ging Nettelbeck von Danzig nach Königsberg und von Königsberg mit einem Getreideschiff nach Amsterdam.Es ist nicht erforderlich, alle diese Fahrten und die späteren im einzelnen zu verfolgen; diese Begegnungen mit Freund und Feind, dieses Hin und Her in allen Zonen der Erde, diese Kämpfe mit allen Gefahren und allen Elementen. Sie bilden ein Leben voll beständiger Unruhe und beständiger Tätigkeit. Die Kaufleute im fremden Land sind listig und verschlagen;ihrer Tücke Herr zu werden, gegen ihre Vorteilssucht nicht des eignen Vorteils verlustig zu gehen, verlangt viel Klugheit, ja beinahe Weisheit und unendliche Selbstverleugnung. Immer wieder Stürme, immer wieder Schiffbruch; kaum ist ein kümmerlicher Verdienst in Sicherheit gebracht, so geht er durch Wagnis oder Unglück wieder verloren. Bei einer Fahrt in der Nordsee wird der Kapitän wahnsinnig und trifft Verfügungen, die den Untergang des Schiffes herbeiführen müssen. Eines Morgens stürzt er vom Steuer in die See und ertrinkt. Nettelbeck nimmt ein Verzeichnis seiner Habseligkeiten auf, versiegelt die eingepackten Waren und wirft vor den Augen der Matrosen das hierzu gebrauchte Petschaft ins Meer. Zu seiner Verwunderung kann er nirgends die Gelder und Barschaften des verunglückten Schiffers finden, die Taschenuhr, die silbernen Schuh- und Knieschnallen, die goldenen und silbernen Galanteriewaren nicht, die er vordem bei ihm gesehen. Als er mit dem Schiff in den Hafen gelangt, taucht trotz eidlicher Erhärtung der Verdacht auf, daß er das Gut des Schiffers veruntreut habe. Lästerung und Verleumdung heftet sich an seine Fersen, und der Kummer, den er darüber empfindet, raubt ihm allen Mut. Erst viele Jahre später wurde das Eigentum des toten Schiffers zufällig in einem Verschlag der Kajüte entdeckt, die Witwe und die Verwandten leisteten Nettelbeck Abbitte, und die ihn geschmäht und bezichtigt hatten, erhoben ihn in den Himmel, aber man muß nicht eben Nettelbeck sein, um den von Zufalls Gnaden gereinigten Schild der Ehre mit bitterem Gefühlezu betrachten. Allmählich reifte er in der Schule des Lebens zur Resignation heran; doch seine Kraft, zu handeln, seine wunderbare Kraft, zu helfen, erlahmte dabei mitnichten. Während des großen Brandes in Königsberg rettete er auf einem Boote viele Menschen vor dem sicheren und schrecklichen Tod. Einige Zeit nachher geriet auf dem Pregel ein holländisches Schiff in Brand. Alle Menschen, so viel deren herbeigekommen, waren damit beschäftigt, Löcher in das Verdeck zu hauen, um von oben Wasser in den brennenden Raum zu gießen. Dadurch gewann aber das Feuer nur um so größeren Zug, und Nettelbeck, der ein so widersinniges Verfahren nicht gelassen mit anschauen konnte, schrie ihnen zu, sie arbeiteten sich ja zum Unglück, sie müßten das Schiff versenken. Es lief aber alles verwirrt durcheinander, und niemand wollte auf ihn hören. Da griff er einen von seinen Zimmerleuten auf, sprang mit ihm in das Boot, das zum brennenden Schiff gehörte, und zeigte ihm eine Planke dicht über dem Wasser, wo er ein Loch ins Schiff hauen sollte. Das lasse er wohl bleiben, war die Antwort des Mannes, da könne er schlimmen Lohn dafür haben. Nettelbeck riß ihm die Axt aus den Händen, schlug selber das Loch, eilte spornstreichs auf das Verdeck, wo sich Hunderte von Menschen drängten, und schrie: »Herunter vom Schiff, was nicht ersaufen will, in der Minute wird’s sinken.« Und das Schiff sank. Die holländischen Kaufleute aber verklagten ihn bei der Admiralität und forderten von ihm den vollen Ersatz des Schadens. Er wurde vor das Kollegium zitiert und sollte sich verantworten.Seine Rede war die: »Tausend Augen haben es mit angesehen, wie das Schiff in hellem Feuer stand. Hätte das nur noch eine halbe Viertelstunde so gedauert, so nahm die Flamme dergestalt überhand, daß es kein Mensch auf dem Schiff aushalten konnte und es mitsamt der Ladung preisgegeben werden mußte. Und wie sollte es dann fehlen, daß nicht die Taue mit verbrannten, die es am Bollwerk hielten; daß die flammende Masse stromabwärts und unter die vielen andern Schiffe trieb und diese mit ins Verderben zog? Jetzt ist großes und gewisses Unglück mit um so geringerem Schaden abgewandt, als Schiff und Ladung wohl wieder zu bergen sein werden. Ich bin daher auch des guten Glaubens, daß ich in keiner Weise strafbar gehandelt, sondern nur meine Bürgerpflicht erfüllt habe.«Die Sentenz lautete, daß der Schiffer Nettelbeck vollkommen recht und löblich gehandelt habe und das Kollegium sich vorbehalte, ihm seine Zufriedenheit und Dankbarkeit durch feierlichen Handschlag zu bezeugen. Der Kollegiumsdirektor stand von seinem Sitze auf, schüttelte ihm treuherzig die Hand, dankte ihm im Namen aller Schiffer und im Namen der Stadt und hieß ihn einen wackeren Mann. Kaufleute, Schiffer und Advokat sahen einander verlegen an, dann traten sie einer nach dem andern zu ihm und gaben ihm ebenfalls die Hand. Der Direktor fragte ihn zum Schluß, ob er nicht, wie er im vorigen Jahr mit dem Bording der Witwe Rollof getan, das versunkene Schiff aus dem Wasser zu heben versuchen wolle. Und Nettelbeck sagte zu. Die Hebung gelangunter großen Schwierigkeiten, und da er von den holländischen Kaufleuten außer dem Ersatz seiner Auslagen nichts annehmen wollte, machten sie ihm ein Geschenk von hundert preußischen Gulden samt zehn Pfund Kaffee und zwanzig Pfund Zucker. Er seinerseits schenkte davon fünfundzwanzig Gulden den Armen, damit sie auch einmal einen guten Tag haben sollten.Es war das Sonderbare seines Geschicks, daß es ihn immer wieder zwang, gegen die Elemente in den Kampf zu treten und er dem Wasser wie dem Feuer gegenüber stets die gleiche streitbare Rolle spielt. Als er nach vielen und gefährlichen Reisen, nach vielen und ermüdenden Versuchen, da und dort seinen Lebensunterhalt zu erwerben, als beinahe Vierzigjähriger 1777 wieder in seiner Vaterstadt saß, schlug eines Tages im April der Blitz in den Kirchturm, und im Nu brannte der Turm lichterloh. Die helle Flamme spritzte bei der Wetterstange gleich einem feurigen Springbrunnen empor, aus den Schallöchern sprühten die Funken wie Schneeflocken und fielen bereits in die Domstraße hinüber. Nettelbeck, dies sehend, rannte nach der Kirche und die Turmtreppe hinan. Im Hinaufsteigen überdachte er, wie groß das Unglück werden müsse, da es wohl schwerlich jemand unternehmen werde, bis in die höchste Spitze zu klimmen, wo er in den finstern Winkeln nicht so bekannt sei wie er selbst, der sie in seiner frühen Jugend oft mit Lebensgefahr durchkrochen hatte. Er wußte, daß auf dem Glockenboden stets Wasser und Löscheimer bereitstanden, aber an einer Handspritze, diehauptsächlich nottat, mochte es fehlen. Er machte auf der Stelle kehrt, drängte sich an den vielen Menschen vorüber, die alle hinauf wollten, eilte ins nächste Haus, dann ins zweite und ins dritte, bis er endlich eine Spritze bekam. Jetzt wieder, die Angst und der Eifer gaben ihm Flügel, zum Turm hinauf. In der sogenannten Kunstpfeiferstube, dicht unter der Spitze, fand er mehrere Maurer und Zimmerleute mit ihren Meistern, aber keiner wußte, was zu tun sei. »Liebe Leute,« sprach er, unter sie tretend, »hier ist nichts zu beginnen, wir müssen höher hinauf.« – »Leicht gesagt, aber schwer getan,« antwortete einer, »wir haben es schon versucht, doch es geht nicht. Sobald wir die Falltür über uns haben, fällt ein Regen von Flammen und glühenden Kohlen herunter und setzt auch hier die Zimmerung in Brand.« Nettelbeck aber ließ sich die Falltür öffnen, stieg hindurch, gebot, daß man ihm einen Eimer und die Spritze reiche und die Falltür wieder schließe, denn das Feuer durfte von unten keinen Zug bekommen. Er mußte sich den Kopf mit Wasser aus dem Eimer anfeuchten, damit seine Haare nicht in Brand gerieten, und um die Hände frei zu bekommen, schnitt er vorn in seinen Rock ein Loch, durch das er die Spritze steckte. Den Bügel des Eimers nahm er in den Mund und zwischen die Zähne; so klomm er empor. Die Holzriegel im Innern des Turms mußten ihm als Leitersprossen dienen, allein wohin er griff, um sich emporzuhelfen, fand er alles voll glühender Kohlen, nur hatte er nicht Zeit, an den Schmerz zu denken. Endlich hatte er sich so hochverstiegen, daß ihm in der engen Verzimmerung kein Raum blieb, sich noch weiter hinauf zu winden, und hier sah er den rechten Mittelpunkt des Feuers acht oder zehn Fuß über sich zischen und sprühen. Er klemmte den Wassereimer zwischen die Sparren fest, sog die Spritze daraus voll und richtete sie gegen den Feuerkern. Wasser, Feuer und Kohlen prasselten ihm ins Gesicht, aber das Feuer verminderte sich alsbald merklich. Nun war aber auch der Eimer geleert. Aus Leibeskräften schrie er nach Wasser; einer der Zimmermeister hob die Falltür und rief: »Wasser ist hier, aber wie bekommst du es hinauf?« Er sagte, sie sollten es ihm nur bis über den Glockenstuhl schaffen, da wolle er sichs schon selber langen. Jene wagten es, und er kletterte ihnen von Zeit zu Zeit entgegen, um die vollen Eimer in Empfang zu nehmen, von denen er dann auch so fleißigen Gebrauch machte, daß er endlich das Glück hatte, den Brand zu überwältigen und völlig zu löschen. Und es war hohe Zeit, mit jeder Minute wurde ihm übler: das zurückspritzende Wasser hatte ihn bis auf die Haut durchnäßt, und zugleich war eine unerträgliche Hitze im Turm. Er eilte hinunter, und in der schneidenden Luft bei den Schallöchern vergingen ihm die Sinne. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Kirchhof, ihm zur Seite standen zwei Chirurgen, die ihm an beiden Armen die Adern geöffnet hatten, und eine Menge neugieriger Menschen schaute zu. Seine Hände waren überall verletzt, die Haare auf dem Kopf abgesengt, der Kopf selbst wund und voller Brandblasen; an diesen Stellen wuchsen die Haare nie wieder,und zwei Finger an der rechten Hand blieben ihm zeitlebens verkrüppelt.Zehn Jahre lang befuhr er noch die Meere, von Danzig bis Lissabon, von Amsterdam bis Norwegen, von London bis Westindien; bald im eignen Interesse, das aber nie ein Gelingen bescherte, bald im Auftrag fremder Reeder. Seine Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit, soviel sie ihm auch Achtung und Sympathie erweckten, konnten ihm doch nicht zu großem Geld und Gut verhelfen. Und er war zu unruhig, zu leidenschaftlich und zu wenig kühler Rechner, um aus geringen Vorteilen mit der Zeit und viel Geduld bedeutende zu machen. Um das Jahr 1787 wurde er in Kolberg seßhaft, und seine Mitbürger erwiesen ihm die Ehre, ihn als Verwandten des Seglerhauses aufzunehmen, welches ein Kollegium war, vor dem alle Schiffahrtssachen in erster Instanz entschieden wurden. Auch ernannten sie ihn zum Schiffsvermesser, dessen Amt es war, die Tragkraft der Fahrzeuge zu berechnen, und wieviel Lasten sie laden und über See führen konnten. Es gab auch in Kolberg ein Kollegium, die Fünfzehnmänner geheißen, das die Gerechtsame der Bürgerschaft beim Magistrat zu vertreten hatte. In dieser Körperschaft waren große Mißstände bemerklich geworden; die Fünfzehnmänner hatten angefangen, ihr Ansehen mehr zu ihrem Privatnutzen als zum allgemeinen Besten geltend zu machen, und es war eine enge Verbrüderung daraus entstanden, die sich einander zu allerlei heimlichen Praktiken verhalf. Da waren Depositenkassen angegriffen,Scheinkäufe vorgenommen, Gemeingut widerrechtlich verschleudert und andere Greuel mehr begangen worden. Furchtlos trat Nettelbeck in den Sumpf und machte eine lange Reihe von Ungebührlichkeiten, Veruntreuungen und krummen Schlichen vor Gericht anhängig. Es kam darüber zu einem langen und verwickelten Prozeß, und keine Art von Ränken und Rabulistereien blieb gegen ihn unversucht. Beinahe vier Jahre lang schleppte sich der Rechtsstreit hin, und so wie er sich die Sache zu Herzen nahm, hatte er während der ganzen Zeit keine ruhige Stunde. Er gesteht, daß er oft mit Feuer und Schwert hätte dreinfahren mögen, wenn das heillose Gezücht immer ein neues Mäntelchen für seine aufgedeckte Bosheit zu erhaschen suchte. Endlich kam die unsaubere Geschichte doch zu einem leidlichen Schluß; das Kollegium wurde aufgelöst und durch ein anderes ersetzt, und man bewies ihm das Vertrauen, ihn in die Zahl der neuen Repräsentanten zu wählen.Ergreifend sind die wenigen Seiten seiner von ihm selbst erzählten Lebensgeschichte, wo er von seinen häuslichen und ehelichen Verhältnissen erzählt und die Bemerkung macht, daß ihm als Ehemann und Vater sein besserer Glücksstern erst spät erschienen sei. Nur der Anschein war günstig, als er sich im Jahre 1762 in Königsberg zu heiraten entschloß. Er war ein flinker und lebenslustiger Bursche von vier- oder fünfundzwanzig Jahren, sein junges Weib war sechzehn, und solange er dort lebte und als Schiffer ab- und anfuhr, war die Ehe ganz glücklich. Von drei Kindern, die ihm dieFrau gebar, blieb indessen nur ein Sohn am Leben, der ihn auf seinen letzten Seereisen als unzertrennlicher Gefährte begleitete. Nach siebenjähriger Ehe entdeckte er, daß ihn die Frau betrog; er verzieh ihr, aber sie zeigte sich unverbesserlich, da ließ er sich von ihr scheiden, und sie verkam im Elend. Der Sohn, den er sehr liebte, starb ihm in jungen Jahren, und er stand nun verlassen in der Welt und wußte nicht, für wen er sich’s noch sauer werden lassen sollte. Es fehlte am festen Kern im inneren Haushalt, und so wollte er es noch einmal mit der Ehe versuchen. Als Fünfzigjähriger warf er seine Augen auf eine Schifferswitwe in Stettin, die er als eine ordentliche und rechtliche Frau zu kennen glaubte. Die Verbindung kam zustande, aber nun erst gingen ihm die Augen auf. Die fromme Witwe hatte gern ihr Räuschchen und hielt es eifrig mit mancherlei andern Dingen, die den Ehefrieden stören mußten. An ein Zusammenhalten des ehrlich Erworbenen war länger nicht zu denken, vielmehr sah er den unvermeidlichen Untergang seines kleinen Wohlstands vor Augen, und was blieb ihm übrig, als eine abermalige Scheidung? Mit trüben Blicken schaute er in die Zukunft. Er gehörte keinem Menschen an, war nachgerade ein alter Mann geworden, und fühlte er gleich sein Herz noch frisch und seinen Geist lebendig, so wollten doch die stumpfgewordenen Knochen nicht mehr gut tun. Die paar Jahre, die noch übrig waren, dachte er wohl noch hinzustümpern, und wenn nur noch der Sarg ehrlich bezahlt werden konnte, mochte man ihn hintun, wo seine Väter schliefen. Jedoch das Geschick meinte esbesser mit ihm. So klang- und trostlos sollte sein Leben nicht enden.Das Jahr 1806 war herangekommen. Joachim Nettelbeck, dem feurigen Patrioten, der die alten Zeiten und des großen Friedrichs Taten noch im Sinn hatte, blutete gleich so vielen das Herz bei der Zeitung von den entsetzlichen Tagen bei Jena und Auerstädt und ihren Folgen. Er hätte kein Preuße und abtrünnig von König und Vaterland sein müssen, wenn ihm jetzt, wo alle Unglückswellen über sie zusammenschlugen, nicht so zu Sinn gewesen wäre, als müßte er Gut und Blut und die letzte Kraft seines Lebens für sie aufbieten. So lautet sein eigenes Geständnis; nicht mit Reden und Schreiben, dachte er, aber mit der Tat sei hier zu helfen; jeder auf seinem Posten, ohne sich erst lange, feig und klug, vor- und rückwärts umzusehen.Als nun Magdeburg und Stettin gefallen waren und die ungestüme französische Windsbraut sich immer näher und drohender gegen die Weichsel heranzog, da ließ sich’s voraussehen, daß bald genug auch die Feste Kolberg an die Reihe kommen mochte, und wirklich erschien im November ein französischer Offizier als Parlamentär in der Stadt und forderte die Übergabe. Diese wurde zwar verweigert, allein mit allem, was zu einer rechtschaffenen Verteidigung gehörte, sah es trübselig aus. Wall und Graben waren verfallen, von Palisaden keine Spur. Nur drei Kanonen standen in einer Bastion auf Lafetten und dienten bloß zu Lärmschüssen, wenn Ausreißer von der Besatzung verfolgt werden sollten; allesübrige Geschütz lag am Boden, hoch von Gras überwachsen, und die dazu gehörigen Lafetten vermoderten in den Remisen. Die Besatzung war gering an Zahl, entmutigt durch die Unglücksbotschaften, und der Kommandant, Oberst von Loucadou, ein alter abgestumpfter Mann, der seit dem bayrischen Erbfolgekrieg den Ruf eines tüchtigen Offiziers genoß und dessen Geist so blind an altem Herkommen hing, daß er sich in der neuen Zeit und Welt nicht mehr zurechtfinden konnte. Während alles, was Militär hieß, den trägen Schlummer mit ihm zu teilen schien, fühlte sich die ganze Bürgerschaft von der lebhaftesten Unruhe und Besorgnis ergriffen, und Nettelbeck wurde als einer der ältesten Bürger ausgewählt, sich mit dem Kommandanten über die Maßregeln zur Verteidigung zu verständigen. Dem Obersten erschien dies anmaßend, und er wußte nicht oder wollte es nicht wissen, daß von ältester Zeit her die Bürger von Kolberg sich als die natürlichen und gesetzlich berufenen Verteidiger ihrer Wälle und Mauern betrachteten. Vormals hatte jeder seinen Bürgereid mit Ober- und Untergewehr geschworen, hatte geschworen, daß diese Armatur ihm eigen angehöre, geschworen, daß er die Festung verteidigen helfen wolle mit Gut und Blut. Die Bürgerschaft war in fünf Kompanien eingeteilt, mit einem Bürgermajor an der Spitze, und wo es im Ernst gegolten, hatte der Kommandant sie nach seiner Einsicht gebraucht und wesentlichen Nutzen von ihrem Dienst gezogen. Nettelbeck eröffnete dem Obersten, daß die Bürger mit Gott entschlossen seien, in diesen bedenklichen Zeitläuften mit dem Militärgleiche Last und Gefahr zu bestehen, daß sie sich in ein Bataillon mit vollständiger Rüstung organisieren wollten und bäten, sich vor ihm aufstellen zu dürfen, damit er Musterung halte und jedem seinen Posten anweise, sie würden ihre Schuldigkeit tun. Als die Bürgerschaft sich versammelt hatte, kam der alte Oberst und sagte: »Macht dem Spiel ein Ende, ihr guten Leutchen! Geht in Gottes Namen nach Hause. Was soll mir’s helfen, daß ich euch sehe?« Und da Nettelbeck neuerdings Vorstellungen machte und sich und seine Leute zu den nötigen Arbeiten anbot, erwiderte der Kommandant mit einem höhnischen Lachen: »Die Bürgerschaft und immer wieder die Bürgerschaft! Ich brauche die Bürgerschaft nicht.«
Der gewöhnliche Preis eines langen Kerls von fünf Fußzehn Zoll rheinländischen Maßes war siebenhundert Taler; einer von sechs Fuß wurde mit tausend Talern bezahlt, und war er noch länger, so stieg der Preis noch höher. Einer der teuersten war der Irländer Kirkland; für diesen zahlte der preußische Gesandte in London neuntausend Taler. Für einen andern bekam der General Schmettau fünftausend Taler und eine Stiftsstelle für seine Schwester. Im Lande selbst ward alles aufgeboten, damit man sich der tauglichen Subjekte rechtzeitig versichern konnte. Kinder in der Wiege, die lang zu werden versprachen, bekamen eine rote Halsbinde und ihre Eltern das Handgeld. Es gab Dorfschulen, wo alle Knaben solche Binden trugen. Ein sonderbarer Versuch des Königs, recht lange Potsdamer mit recht langen Frauen zusammenzugeben, um von ihnen wieder recht lange Kinder zu erhalten und auf solche Art ein Geschlecht von Giganten aufzuziehen, mißglückte leider.
Das Infanterieregiment der blauen Grenadiere, das Königsregiment genannt, war das schönste in ganz Europa. Es bestand aus Leuten von allen Ecken und Enden der Welt, Deutschen, Holländern, Engländern, Schweden, Dänen, Russen, Walachen, Ungarn, Polen und Litauern. Franzosen waren grundsätzlich ausgeschlossen, aber wenn sie sechs Fuß maßen, konnte der König nicht widerstehen. Die »lieben blauen Kinder« waren seine größte Freude. Er ging mit ihnen um wie ein Kamerad und wie ein Vater; jeder Soldat hatte bei ihm freien Zutritt. Die größten hatte er malen lassen, und ihre Bilder hingen in den Gängen des PotsdamerSchlosses. Der Flügelmann Jonas mußte sogar in Stein gehauen werden, und zwar, befahl der König, so ähnlich wie möglich. Es war den lieben blauen Kindern gestattet, Bier- und Weinhäuser, Material- und Italienerläden zu halten und Gewerbe zu treiben. Einigen baute der König Häuser, andern schenkte er Geld und Grundstücke, verheiratete sie und hob ihre Kinder aus der Taufe.
Um eine solche durch Zwangswerbung entstandene Armee in Ordnung zu halten, bedurfte es der schärfsten Disziplin. Die Truppen wurden jährlich neu gekleidet, die Infanterie blau, die Kavallerie weiß, die Husaren rot. Alle trugen, wie der König selbst, den langen Zopf und Puder in den Haaren. Die Monturen waren so eng, daß die Leute oft nicht wagten, sich zu bewegen, aus Furcht, die Röcke könnten zerreißen. Einmal bemerkte der König vom Fenster des Schlosses aus einen Offizier, der einen zu langen Rock an hatte; er ließ ihn sogleich rufen und schnitt ihm eigenhändig mit der Schere das vorschriftswidrige Stück weg. Exerziert wurde unaufhörlich, und es war das größte Glück des Königs, wenn bei jedem Kommando in der ganzen Linie nur ein Griff zu sehen, beim Marschieren nur ein Tritt und beim Feuern der Rotten nur ein Schuß zu hören war. Der Ton im Heer war streng und rauh, die Strafen waren furchtbar. Wenn ein Soldat desertierte, mußten Bürger und Bauern die Sturmglocken läuten, und wer den Flüchtling wieder einbrachte, bekam zwölf Taler. Um dem allmählich überhand nehmenden Werbeunfug zu steuern, erließ der König im Jahre 1733 das berühmteKantonreglement, das den Keim und Anfang des allgemeinen Wehrpflichtgesetzes darstellt. Alle Einwohner des Landes wurden als für die Waffen geboren erklärt; ausgenommen waren nur die kleinen, die Söhne des Adels und die Söhne derjenigen Bürger, die einen gewissen Reichtum nachzuweisen vermochten.
Zeit seines Lebens bezeugte Friedrich Wilhelm für Kaiser und Reich eine Ehrerbietung und Treue der Gesinnung, die man bei einem so mächtigen Herrn, welcher achtzigtausend Soldaten unter sich stehen hatte, nicht vermuten konnte. Er warb um die Gunst der kaiserlichen Minister, und einmal sagte er: »Ich würde mich begnügen, wenn ich des Kaisers Kammerpräsident wäre.«
Alles was nicht deutsch war, war ihm nicht zu Sinne, und sonderlich waren ihm die Franzosen ein Greuel »mit ihren Quinten und französischen Winden«. Um den Berlinern die französischen Moden zu verleiden, ließ er seinen Profosen französische Kleider tragen, grüne Röcke mit großmächtigen Aufschlägen, gelbe Westen und gelbe Strümpfe, dazu ungeheuer große Hüte wie Wetterdächer und Haarbeutel wie riesige Säcke. Auf dem Theater ließ er einmal ein Stück aufführen, das den Titel hatte: »Der anfangs hitzig und großsprechende, zuletzt aber mit Schlägen abgefertigte Marquis«. Ebenso verhaßt waren dem König »die hoffärtigen Leute über dem großen Wassergraben«, wie er die Engländer nannte. Als ihn zwei reformierte Prediger um die Erlaubnis baten, ihre Söhne nach England zu den Erzbischöfen von Canterburyund York schicken zu dürfen, schlug er es mit der Begründung ab, daß in England keine Orthodoxie in der Religion statuiert werde und es überhaupt ein Sündenland sei. »Der König,« schreibt Seckendorf 1726 an Prinz Eugen, »ist sehr gegen die englische Nation pikiert und souteniert nicht ohne Grund, daß selbige durch ihre Seemacht das Comercium von ganz Europa an sich nehmen wolle.« Im Jahre 1730 wurden zwischen Deutschland und England Verhandlungen zu einer Doppelheirat gepflogen; der Kronprinz Friedrich sollte die Tochter Georgs II. und der Prinz von Wales die Prinzessin Friederike angetraut bekommen. England forderte nur, daß der König den Minister Grumbkow als einen Verräter im Dienst und Solde Österreichs entferne, und der Gesandte Hotham erbot sich, diese Anklage aus aufgefangenen Briefen Grumbkows zu beweisen. Der Graf Seckendorf stellte aber dem König vor, daß England den treuen Minister nur deshalb entfernen wolle, um mehr Einfluß am preußischen Hof zu gewinnen; die aufgefangenen Briefschaften seien unterschoben und künstlich fabriziert. Als nun Hotham zur Audienz kam und die Zuversicht aussprach, daß der König den Verräter sofort entlassen werde, geriet Friedrich Wilhelm in solchen Zorn, daß er dem Gesandten Großbritanniens die Dokumente ins Gesicht warf und sogar den Fuß aufhob, als wollte er ihn mit einem Tritt bedienen. Der Gesandte machte Anstalten zu seiner Abreise, Friedrich Wilhelm erkannte seine Übereilung und ließ sich zweimal entschuldigen, aber kurz darauf wollte er seine Gemahlin, die englische Prinzessin,bei der Tafel nötigen, auf Englands Untergang zu trinken.
Mit Holland und Sachsen-Polen stand der König gut, aber seine größte Sympathie hatten doch die Russen. Er war sehr für die russische Allianz, und der Gedanke des nordischen Drei-Adlerbündnisses schwebte ihm immer vor der Seele. Der große Kurfürst war anderer Meinung gewesen und hatte tiefer gesehen, wie sein Wort beweist: Die Russen sind Bären, die man nicht loslassen muß, weil es schwer ist, sie wieder anzubinden.
Die Königin Sophie Dorothea verübelte es ihrem Gemahl sehr, daß er sich allerwegen für das Interesse des Kaisers einsetzte. Einmal sagte sie bei Tisch vor seinen Vertrauten und Offizieren zu ihm: »Ich will noch erleben, daß ich Euch Ungläubige will gläubig machen und dartun, wie Ihr seid betrogen worden.« Aber der König ließ sich nicht irre machen. Einst schrieb er an Seckendorf: »Meine Feinde mögen tun was sie wollen, so gehe ich nit ab vom Kaiser, oder der Kaiser muß mich mit Füßen wegstoßen, sonsten ich mit Treu und Blut sein bin und bis in mein Grab verbleibe.« Er war auch der Ansicht, die deutschen Fürsten müßten geradezu gezwungen werden, die pragmatische Sanktion anzuerkennen. »Weigern sie sich, oder wollen sie sich nit explizieren,« schrieb er, »so muß man die Laus und Motten nit im Pelz lassen wuchern, daß der ganze Pelz nit verdorben sei.« Im Jahre 1729 schon drohte der Krieg, und da schrieb der König an Seckendorf: »Ich wünsche, daß es losgehe und kann versichern,daß ich mit Gut und Blut beistehen werde, aber es muß alles reichskonstitutionsmäßig sein, und die Auswärtigen müssen attackieren, dann ohne Räsonieren drup! drup! Mit die größte Pläsier von der Welt, die stolzen Leute zur Räson bringen zu helfen, sie sollen sehen, daß das deutsche Blut nit verwüstet ist.« Aber als es fünf Jahre später zum Krieg zwischen Frankreich und Österreich kam, wollte er seine Truppen doch nicht marschieren lassen und sagte: »Ich gebe keinen Mann und kein Geld. Ich muß wissen woher und wohin.« Dann ließ er aber doch zehntausend Blauröcke ins Feld rücken. Der Kardinal Fleury schickte ihm eine künstlich gearbeitete goldene Birne, in welcher ein Wechsel auf fünf Millionen Pistolen lag, zahlbar, wenn der König sich für Frankreich erklären würde. Er wies das Anerbieten zurück. In der Folge wurde er aber vom Kaiser mit Undank belohnt, und als es zum Frieden kam, wurde Preußens Stimme nicht einmal gehört. Ein halbes Jahr später sagte er bei einer Unterredung in Potsdam, indem er auf seinen so lange mißhandelten Sohn Friedrich wies, die berühmten Worte: »Da steht einer, der mich rächen wird.« Noch zwei Jahre früher freilich hatte er dieses Genie so über die Achsel angesehen, daß er sich geäußert hatte: »Fritzchenne sait rien du tout des affaires.Wenn du es nicht recht anfangen wirst und alles drunter und drüber gehen wird, so werde ich in meinem Grabe über dich lachen.«
Als der Kronprinz Friedrich sechs Jahre alt war, erhielt er zwei militärische Gouverneure von seinem Vater, und diesenward eingeschärft, ihn in der Furcht Gottes zu erziehen, denn dies sei das einzige Mittel, so schreibt der König selbst in seiner Instruktion, die von menschlichen Gesetzen und Strafen befreite suveräne Macht in den Schranken der Gebühr zu erhalten. Man müsse ihn zum Guten antreiben und die Begierde zum Ruhm und zur Bravur in ihm erwecken, von Opern, Komödien und andern weltlichen Eitelkeiten abhalten und ihm so viel als möglich Ekel davor machen. Aber alles was zu lernen sei, solle ihm ohne Ekel und Verdruß beigebracht werden. »Sie müssen ihn nicht bei Leib und Leben verzärteln oder gar zu weichlich gewöhnen. Vor der Faulheit, als woraus Verschwendung entsteht, soll ihm der allergrößte Abscheu von der Welt gemacht werden. Er soll nie allein gelassen werden, weder bei Tag noch bei Nacht, einer der Gouverneure soll jederzeit bei ihm schlafen. Da sich bei herannahenden Jahren oftmals das Laster der Hurerei einzuschleichen pflegt, soll sowohl der Oberhofmeister als auch der Subgouverneur vor allen Dingen achthaben, daß solches verhütet werde, widrigenfalls sie mir mit ihren Köpfen davor haften sollen.« Und in einem späteren Reglement heißt es: »Am Sonntag morgen soll er um sieben Uhr aufstehen; und sobald er die Pantoffel an hat, soll er vor dem Bette auf die Knie niederfallen und zu Gott kurz beten, und zwar laut, daß alle, die im Zimmer sind, es hören können. Dann soll er sich hurtig anziehen und proper waschen, schwänzen und pudern; dann soll er frühstücken in sieben Minuten Zeit. Dann sollen alle seine Domestiken und Duhan hereinkommen,das große Gebet gehalten, auf die Knie, darauf Duhan ein Kapitel aus der Bibel lesen soll und ein oder ander gutes Lied singen soll, da es dreiviertel auf acht sein wird. Alsdann wieder alle Domestiken herausgehen sollen. Duhan soll alsdann mit Meinem Sohn das Evangelium vom Sonntag lesen, kurz explizieren und dabei allegieren, was zum wahren Christentum nötig ist, auch etwas vonKatechismo nolteniirepetieren, und soll dies geschehen bis neun Uhr; alsdann mit Meinem Sohn zu Mir herunter kommen soll und mit Mir in die Kirche gehen und essen; der Rest des Tages ist vor Ihn. Des Abends soll er um halb zehn Uhr von Mir guten Abend sagen, dann gleich nach der Kammer gehen, sich sehr geschwind ausziehen, die Hände waschen, dann soll Duhan ein Gebet auf den Knien halten, ein Lied singen, dabei wieder alle Seine Domestiken zugegen sein sollen, alsdann Mein Sohn gleich zu Bette gehen soll.« So war auch für die Wochentage die Stundeneinteilung aufs genaueste geregelt. Das Budget des Prinzen ward ungemein kärglich bemessen, und der König prüfte alle Rechnungen selbst.
Friedrich sollte nach dem Willen seines Vaters vor allem ein guter Soldat werden; aber sein feiner, rascher und feuriger Geist war durch das pedantische Leben, das er führen mußte, das unablässige Exerzieren, das Absperren von Musik und Büchern, zu denen ihn seine innerste Herzensneigung zog und die ihm der Vater beharrlich verwehrte, aufs tiefste bedrückt. Er lehnte sich auf gegen die Tyrannei, gab sich Ausschweifungen hin und warf sich mit aller Glut einer jugendlichenund unbefriedigten Seele der französischen Philosophie in die Arme. Der König, dem die Änderung im Wesen des Sohnes nicht entgehen konnte, behandelte ihn nur um so strenger. Die Königin hatte Friedrich heimlich Unterricht im Flötenspiel geben lassen; er hatte oft in versteckten Gewölben Konzerte veranstaltet oder seine musikalischen Freunde in den Wald bestellt; während sein Vater Schweine hetzte, wurden die Flöten und Geigen aus den Jagdtaschen gezogen und im Waldesdunkel konzertiert. Der König kannte diese Neigung und nannte seinen Sohn verächtlich den Querpfeifer und Poeten. Auf Friedrichs Bitten hatte die Königin den berühmten Flötenspieler Quanz nach Berlin kommen lassen; der König hatte Nachricht davon erhalten und den Prinzen überrascht; Quanz konnte zwar noch glücklich in einem Kamin versteckt werden, er erzählte später, daß ihm nie eine Pause so schwer zu halten gewesen sei, aber der König hatte im Zimmer des Prinzen brokatne Schlafröcke und französische Gedichtbücher gefunden. Die Schlafröcke ließ er verbrennen, die Bücher verkaufen. Wütend darüber, daß sein Sohn den Petitmaitre machte, schickte der König eines Morgens den Hofbarbier Sternemann zu Friedrich mit dem Befehl, ihm die schönen, langen, braunen Seitenlocken abzuschneiden und ihn vorschriftsmäßig einzuschwänzen. Als der gutmütige Mann den Prinzen weinen sah, legte er die Schere weg und band die Locken in den Zopf mit ein. Als Friedrich sich bei seiner Tafel statt der zweizinkigen Eisengabeln gegen den Befehl dreizinkige silberne anschaffen ließ, ward er geschlagen.Auch bei anderen Gelegenheiten wurde er von seinem Vater mißhandelt, und seine Lage erschien ihm plötzlich so unerträglich, daß er den Plan faßte, zu entfliehen. Aber der unvorsichtige Katte, der überall in Berlin mit der Freundschaft des Kronprinzen prahlte, hatte geschwatzt, und der König, den sein Sohn auf einer Rheinreise begleitete, ließ ihn in Wesel verhaften und fragte ihn, warum er habe desertieren wollen. »Weil Sie mich nicht wie Ihren Sohn, sondern wie einen niederträchtigen Sklaven behandelt haben,« antwortete Friedrich. »Ihr seid also nichts weiter als ein feiger Desertör ohne Ehre?« sagte der König. »Ich habe so viel Ehre wie Sie,« antwortete Friedrich, »und habe nur das getan, was Sie mir hundertmal gesagt haben, Sie würden es an meiner Stelle tun.« Der König zog den Degen und wollte in der Hitze den Sohn erstechen. Der Mut des Kommandanten von Wesel rettete Friedrich; er warf sich zwischen Vater und Sohn und rief dem König zu: »Sire, durchbohren Sie mich, aber schonen Sie Ihres Sohnes!«
Der neunzehnjährige Prinz ward aus der preußischen Armee gestoßen und auf die Festung Küstrin gebracht. Sein Gefängnis war sehr hart. Die Tür war mit zwei großen Vorlegeschlössern versperrt, sein Essen, aus der Garküche mittags für sechs Groschen und abends für vier Groschen, mußte ihm vorher entzweigeschnitten werden, Messer und Gabel waren verboten, ebenso Tinte und Feder, Bücher und Flöte. Niemand durfte sich länger als vier Minuten bei ihm aufhalten, und um acht Uhr abends hatte der wachthabendeOffizier den Befehl, die Kerzen auszulöschen. Einmal erinnerte er den Prinzen daran, zu Bett zu gehen, und als dieser nicht darauf achtete, blies er die Lichter aus. Friedrich gab ihm eine Ohrfeige. Am andern Morgen erschoß sich der Offizier. Die beabsichtigte Desertion allein hätte nicht des Königs Zorn so erregen können, wie es der Fall war. Man hatte ihm hinterbracht, und hier hatte wahrscheinlich Grumbkow seine Hand im Spiele gehabt, daß Friedrich nach Österreich fliehen gewollt, um katholisch zu werden und sich mit Maria Theresia zu verheiraten. Katholisch werden, das war für den König der Schrecken und das Grauen. Grumbkow, der sich überzeugt hatte, daß die Königin und die Prinzessin Friederike die wichtigsten Papiere beiseite gebracht hatten, drängte den Prinzen zu Aussagen über einige Punkte. Friedrich antwortete mit stolzer Verachtung. Da hatte Grumbkow die Stirn, mit der Folter zu drohen. Friedrich erwiderte, ein Henker könne nur mit Vergnügen von seinem Henkerhandwerk reden, und er wolle sich nicht zu weiteren Geständnissen erniedrigen. Die Untersuchung ergab, daß er zur Flucht fünfzehntausend Taler geborgt hatte, auch wurde ihm ein Liebesverständnis mit der schönen Potsdamer Kantorstochter Doris Ritter zur Last gelegt. Der König befahl, das Mädchen auszupeitschen und nach Spandau ins Spinnhaus bringen zu lassen; der Vater verlor sein Amt. Das furchtbarste Schicksal aber hatte Katte. Er hatte mit der Flucht gezögert, weil ein Mädchen ihn hielt, war arretiert und vom Kriegsgericht zur Ausstoßung aus der Armee und zu lebenslänglicher Festung verurteilt worden.Der König verschärfte das Urteil auf die Todesstrafe. Am sechsten November früh sieben Uhr wurde der zweiundzwanzigjährige Mensch am Schlosse vorbei und auf den Wall geführt. Friedrich öffnete das Fenster und rief mit lauter Stimme: »Verzeih mir, lieber Katte.« Katte erwiderte: »Der Tod für einen solchen Prinzen ist süß.« Damit ging er mutig zum Richtplatz, wo sein Kopf fiel. Friedrich wurde ohnmächtig und blieb dann bis zum Abend regungslos am Fenster stehen, den Blick unverwandt auf die Richtstätte gerichtet. Wahrscheinlich begann mit diesem Tag seine völlige Umkehr und Verwandlung, zum Heil seines Volkes und der Welt. So ist, was grausam und dem einzelnen schwer zu tragen scheint, in einem höheren Sinne Notwendigkeit.
Der Areopag, vor welchem am Berliner Hofe die Angelegenheiten der innern und äußern Politik verhandelt wurden, war das Tabakskollegium. Die Tabaksstube war auf holländische Art wie eine Prachtküche mit einem hohen Gestell von blauen Tellern eingerichtet; jeden Abend gegen sechs Uhr kam das Tabakskollegium zusammen und blieb bis zehn Uhr und auch länger. Es gehörten dem Kollegium an: Grumbkow, der Alte Dessauer, der Graf Dönhoff, der Oberst von Derschau, die Generale von Gerstorf und von Sydow, Jean de Forcade, der Kommandant von Berlin, Peter von Blankensee, bei Hofe der Blitzpeter genannt, Kaspar Otto von Glasenapp, Christoph Adam von Flanz, der beste Rebhuhnschütze, Dubislav Gundomar von Natzmer, Heinrich Karl von der Marwitz, Friedrich Wilhelm von Rochow, Wilhelm Dietrich von Buddenbrock,Arnold Christoph von Waldow, Johann Christoph Friedrich von Haake und die von Fall zu Fall gebetenen Minister und Gesandten.
Um den Haupttisch saßen die Herren mit ihren breiten Ordensbändern und rauchten aus langen holländischen Pfeifen; vor jedem von ihnen stand ein weißer Krug mit Ducksteiner Bier und ein Glas. Die nicht wirklich rauchen konnten, wie der Alte Dessauer und der Graf Seckendorf, mußten wenigstens eine Pfeife in den Mund nehmen und kalt rauchen; Seckendorf war sogar so gefällig, sich durch fortwährendes Blasen mit den Lippen den Anschein eines geübten Rauchers zu geben. Es ergötzte den König höchlich, wenn fremde Prinzen, die als Gäste anwesend waren, betrunken gemacht werden konnten oder wenn ihnen das ungewohnte Tabakskraut Sterbensübelkeit verursachte. Er selbst rauchte passioniert, jeden Abend dreißig Pfeifen. Auf dem Tische lagen die Zeitungen, die Berliner, die Hamburger, die Leipziger, die Frankfurter, die Breslauer, die Wiener, auch holländische und französische. Ein Vorleser war bestellt, der sie vorlesen, und, was unverständlich war, erklären mußte. Dieser Vorleser hieß Jakob Paul Freiherr von Gundling.
Gundling war ein Franke, ein Pfarrerssohn aus Hersbruck bei Nürnberg. Er war durch Danckelmann nach Berlin gekommen und Professor an der Ritterakademie gewesen, der König erhob ihn auf Grumbkows Empfehlung zum Hofrat und Zeitungsreferenten beim Tabakskollegium; er erhielt freie Tafel bei Hof, Wohnung im Schlosse und mußte den Königauf allen seinen Gängen begleiten, um ihm mit seiner Gelahrtheit und instruktiven Unterhaltung nahe zu sein. Er galt als ein wichtiger Mann, und der russische wie der kaiserliche Hof verschmähten es nicht, ihn durch Gnadenketten zu gewinnen. Um die Gelehrsamkeit, die er wirklich besaß, recht lächerlich zu machen, mußte er beim König den Hofnarren abgeben. Der König erhob ihn zu einer bereits abgeschafften Würde, der des Oberzeremonienmeisters, und schenkte ihm den Anzug des verabschiedeten Besser, den dieser beim Krönungsfest getragen hatte; es war ein roter, mit schwarzem Samt ausgeschlagener Leibrock mit großen französischen Aufschlägen und goldenen Knopflöchern, dazu eine große Staatsperücke mit langen Locken aus weißen Ziegenhaaren, ein großer Hut mit weißen Straußfedern, gelbe Beinkleider, seidene Strümpfe mit goldenen Zwickeln und Schuhe mit roten Absätzen. Der König machte ihn, und zwar an Stelle des großen Leibniz, zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften. Er gab ihm den Freiherrntitel und die Kammerherrnwürde.
In der Trunkenheit schnitt man ihm einst den Kammerherrnschlüssel ab. Der König drohte, ihn wie einen Soldaten zu behandeln, der sein Gewehr verloren hat. Nachdem Gundling acht Tage hindurch einen ellenlangen hölzernen Schlüssel zur Strafe auf der Brust hatte tragen müssen, ward ihm der verlorene wieder eingehändigt, und er ließ ihn nun von einem Schlosser mit starkem Draht an seinem Rockschoß befestigen. Alle Würden und Chargen, auch die des geheimen Oberappellationsrats, des Kriegs- und Hofkammerrats, desHof- und Kammergerichtsrats, des Freiherrn und Historiographen erhielt Gundling nur, um ihn und die Ämter damit zu verspotten. Einmal machte Gundling den Vorschlag, Maulbeerbäume in der preußischen Monarchie anzupflanzen; da ernannte ihn der König zum geheimen Finanzrat mit der Weisung an den vorsitzenden Etatsminister, »man solle Gundling feierlich in das Kollegium introduzieren, ihncum voto sessionisanstellen und ihm das Departement aller seidenen Würmer im ganzen Land übertragen«.
Dem armen Gundling ward oftmals so stark zugesetzt, daß er seiner nicht mächtig blieb. Man heftete ihm allerlei Figuren von Eseln, Kamelen und Ochsen an sein Staatskleid und malte ihm einen Schnurrbart. Man ließ ihn aus den Zeitungen die boshaftesten Artikel über seine eigene Person vorlesen, die der König eigens an die Redaktionen hatte schicken lassen. Man setzte einen Affen, der genau wie Gundling gekleidet und mit dem Kammerherrnschlüssel geschmückt war, an seine Seite; der König behauptete, der Affe sei Gundlings natürlicher Sohn, und er wurde gezwungen, das Tier vor dem ganzen Tabakskollegium zu umarmen. In Wusterhausen, wo auf dem Schloßplatz immer mehrere junge Bären herumliefen, legte man ihm einige Bären in sein Bett, die Vorderfüße der Bestien waren zwar verstümmelt, dennoch hätten sie ihn mit ihren Umarmungen beinahe totgedrückt, und er bekam den Bluthusten. Einmal im Winter taumelte er betrunken über die Wusterhausener Schloßbrücke; da packten ihn auf Befehl des Königs vierhandfeste Grenadiere, und an Stricken ließen sie den schweren Mann solange in den gefrorenen Schloßgraben hinunter und wieder hinauf und wieder hinunter, bis er das Eis durchgestoßen hatte. Diese Szene mußte zur besonderen Ergötzlichkeit des Königs wiederholt und sogar gemalt werden. Einmal war Gundling zu Gaste geladen und ließ sich in einer Sänfte tragen. Plötzlich wich der Boden der Sänfte unter ihm, er schrie den Trägern zu, sie möchten halten, aber je lauter er rief, je schneller rannten die Träger und zwangen ihn so, nach Art des Pachter Feldkümmel mit ihnen zu laufen. Häufig fand Gundling, wenn er nachts nach Hause kam, sein Studierzimmer zugemauert; anstatt sich zur Ruhe legen zu können mußte er stundenlang die Türe suchen und endlich an der Treppe schlafen.
Eines Tages entfloh der schwergeplagte Mann zu seinem Bruder, dem Professor Nikolaus Hieronymus in Halle. Der König ließ ihn aber wieder holen und machte Miene, ihn als Desertör zu bestrafen. Da er aber eine ungewöhnliche Stille an ihm bemerkte, nahm er zu dem alten Köder der Eitelkeit seine Zuflucht: er erhob ihn in den Freiherrnstand, und zwar mit der Anciennität von sechzehn Ahnen väterlicher und mütterlicher Seite. Es dauerte aber nicht lange, und der König ließ wieder einen seiner derbsten Schwänke an ihm verüben. Auf seinen Befehl schrieb Faßmann, der Autor der damals beliebten »Gespräche im Reich der Toten« eine bösartige Satire auf Gundling, betitelt: »Der gelehrte Narr«, und erhielt den Auftrag, sie Gundlingim Tabakskollegium zu überreichen. Gundling wurde hochrot vor Zorn und kam so in Harnisch, daß er eine der zum Pfeifenanbrennen mit glühendem Torf gefüllten Pfannen ergriff und sie Faßmann ins Gesicht schleuderte, wovon diesem die Brauen und Wimpern versengt wurden. Sofort setzte sich Faßmann vor den Augen Seiner Majestät in Avantage, entblößte Gundling die hinteren Kleider und bearbeitete ihn mit der heißen Pfanne dermaßen, daß er vier Wochen lang nicht sitzen konnte. Seitdem begegneten sich die beiden gelehrten Herrn im Tabakskollegium niemals, ohne daß es zum Faustkampf kam. Der König, die Generale, die Minister und die Gesandten sahen den Turnieren zu. Schließlich verlangte der König, die beiden Herren sollten ihren Ehrenhandel durch ein Duell zum Austrag bringen. Faßmann forderte Gundling auf Pistolen, Gundling mußte die Forderung annehmen, er mochte wollen oder nicht. Als die Kombattanten auf dem Schloßplatz erschienen, warf Gundling die Pistole weg, Faßmann schoß ihm die seinige, die nur mit Pulver geladen war, in die Perücke, welche zu brennen anfing; Gundling fiel vor Schreck auf die Erde, und ein ganzer Eimer kalten Wassers, den man über ihn schüttete, konnte ihm nicht die Gewißheit geben, daß er noch lebte.
Achtundfünfzig Jahre alt, beschloß Gundling sein Dasein. Bei der Sektion ergab sich, daß er im Magen ein großes Loch hatte; der Magen war vom vielen Trinken geborsten. Seit zehn Jahren war vom König ein mächtiges Weinfaßzu seiner letzten Ruhestätte bestimmt worden. In seinem besten Staatskleid angetan, ward er in dieses Faß gelegt und so in Bornstädt bei Potsdam trotz des Widerspruchs der Geistlichkeit wirklich begraben. Faßmann hielt dem preußischen Freiherrn mit der Anciennität von sechzehn Ahnen, dem preußischen Kammerherrn, Präsidenten, Finanzrat und Historiographen die Nach- und Trauerrede über seine Weinfaß-Ruhestätte.
In Potsdam gab der König im Winter einige Assembleen, in Berlin unterließ er dies aus Sparsamkeitsgründen, da mußten die Generale und Minister auf ihre Kosten Assembleen geben, aber bei den Diners, wo Friedrich Wilhelm ein freies Gespräch liebte, verbat er sich die Anwesenheit von Damen. Der Hauptgastgeber war Grumbkow. Ein wegen seiner Knauserei bekannter General, bei dem sich der König zu Gast geladen hatte, entschuldigte sich einst, daß er keine eigene Wirtschaft führe. Der König verwies ihn zum Gastwirt Nikolai, erschien dort mit großem Gefolge, und es wurde vortrefflich gegessen und getrunken. Beim Aufstehen rief der General den Wirt herein und fragte ihn, was das Gedeck koste. »Ohne den Wein einen Gulden die Person,« antwortete der Wirt. »Schön,« sagte der General, »hier ist ein Gulden für mich und einer für Seine Majestät; die andern Herrn, die ich nicht gebeten habe, bezahlen für sich.« Der König lachte und erwiderte, das sei ganz fein; er habe den Herrn zu prellen geglaubt, und nun sei er selber geprellt. Darauf bezahlte er die ganze Rechnung.
Später wurde die Einrichtung der Assembleen einem herumreisenden Komödianten übertragen, einem gewissen Karl von Eggenberg. Er war ein Sattlersohn aus dem Bernburgischen, war vom König von Dänemark geadelt worden und hatte Friedrich Wilhelm durch seine Körperkraft in Erstaunen gesetzt; man hieß ihn nur den starken Mann, und er konnte eine zwei Zentner schwere Kanone samt einem Tambur in die Höhe heben und solange halten, bis der Tambur ein Glas Wein ausgetrunken hatte. Er kam reich nach Berlin, baute ein Haus, stand beim König, dem er die Husarenpferde, dänische Hengste, besorgte, in großer Gunst, und er war es auch, der das Theater wieder einigermaßen emporbrachte. Vordem hatten nur Seiltänzer, Gaukler, Taschenspieler, Marktschreier und Marionettenspieler von Zeit zu Zeit die Erlaubnis erhalten, in Berlin Vorstellungen zu geben, auch einzelne herumziehende Schauspieler, nur durfte nichts Ärgerliches und Skandalöses auf der Bühne erscheinen. Eggenberg bekam nun den Titel eines Königlichen Hofkomödianten und durfte mit einer vom König besoldeten Truppe Aufführungen veranstalten, »nur keine gottlosen und dem Christentum nachteilige Dinge, sondern lauter innozente Sachen zum honetten Amüsement.« Sie spielten auf dem Stallplatz und auf der breiten Straße; Hauptperson war der Hanswurst; es wurde der Doktor Faust aufgeführt, wie er vom Teufel geholt, und Haman, wie er gehängt wird. Der »Premierplatz« kostete acht Groschen. Zuletzt wurde die Komödie auch in Halle erlaubt, aber die theologischeFakultät erhob wegen des Gaukel- und Teufelsspiels beim König Protest. Der König schrieb zurück, es würden auch in Utrecht und Leyden Schauspiele geduldet, und kein Mensch könne zweifeln, daß dies die beiden ersten Universitäten der Welt seien.
Sonst war Friedrich Wilhelm allen Volkslustbarkeiten abhold, er sah darin nur Üppigkeit. Das Scheibenschießen hob er auf, Tee- und Kaffeeschenken verschwanden, und wer nach neun Uhr abends sich in den Wirtshäusern betreffen ließ, wurde von den Patrouillen arretiert. Wenn der König nach der Friedrichstadt kam, flüchteten die Leute, machten Türen und Fenster zu, und die Straßen waren öde. Für die Künste hatte Friedrich Wilhelm keinen Sinn. Er malte zwar selbst, besonders in den späteren Jahren, wo ihn die Gicht plagte; gewöhnlich waren es Bauern, die er porträtierte, einmal malte er auch Gundling als Polichinell, aber die Bilder wurden nur von seinen Schmeichlern gelobt. Für die Musik hatte er wenig übrig; einmal ließ er Glockenspiele aus Holland kommen, die von den Türmen geistliche Lieder spielten. Ein paarmal in der Woche ließ er an Winterabenden Arien und Chöre aus heroischen Opern vorführen, etwa aus Händels Alessandro oder Siroe, und zwar auf Blasinstrumenten von den Hoboisten des Garderegiments. Bei diesen Konzerten standen die Musiker mit ihren Pulten und Lichtern am einen Ende des langen Saals, und der König saß ganz allein am andern. Zuweilen, nach einem guten Diner, schlief er auch bei der heroischen Musik ein. Denhöchsten Spaß bereitete ihm ein von Kapellmeister Pepusch für sechs Fagotte komponiertes Konzert, betitelt:Porco primo, porco secondousw. Er hielt sich den Bauch dabei vor Lachen. Auch der Kronprinz Friedrich wollte einmal dieses Konzert hören, und um den Komponisten zu verspotten lud er eine große Gesellschaft dazu ein. Pepusch wollte ausweichen, mußte sich aber dem Willen des Prinzen fügen. Er kam nicht mit sechs, sondern mit sieben Hoboisten, legte die Noten auf die Pulte und schaute ganz ernsthaft im Saal herum. Der Kronprinz trat auf ihn zu und fragte: »Herr Kapellmeister, sucht Er etwas?« Pepusch antwortete, es fehle ihm noch ein Pult. »Ich dachte,« versetzte Friedrich lächelnd, »es seien nur sechs Schweine in seiner Musik?« – »Ganz recht, königliche Hoheit,« gab Pepusch zurück, »aber es ist da noch ein Ferkelchen gekommen,flauto solo.« Und Friedrich, der Flötenspieler, war angeführt.
Was der große Kurfürst begonnen hatte, vollendete Friedrich Wilhelm mit der Niederbeugung des Adels; er setzte die Besteuerung durch. Als der Graf Alexander Dohna, Marschall der Stände Preußens, in seinem Bericht an den König die Phrase gebracht hatte:Tout les pays seront ruinés,schrieb Friedrich Wilhelm die denkwürdigen, unsterblich gewordenen Worte: »les pays seront ruinés? Nihil credo,aber dascredo,daß die Junkers ihre Autorität wird ruiniert werden. Ich stabiliere die Suveränität wie einenrochervon Bronze.« Friedrich Wilhelms Herz neigte sich mehr zu den Bürgern als zu den Junkern. Wenn er einmal äußerte, daß er einwahrer Republikaner sei, so verstand er eigentlich seine bürgerliche Gesinnung darunter. Er liebte es, mit dem Volke unmittelbar zu verkehren, und besuchte Gastmähler und Hochzeiten, auch richtete er sich in Berlin und Potsdam ganz einfach bürgerlich ein, wie ein guter deutscher Haushalter. Fleißige Handwerker und reinliche Hausfrauen belobte er sehr. Mit der Reinlichkeit konnte er auch an seinem ganzen Körper nicht genug tun; ferner war er äußerst wahrheitsliebend. In der Instruktion für die Räte seines Generaldirektoriums schrieb er: »Wir wollen die flatterien durchaus nicht haben, sondern man soll Uns allemal nur die reine Wahrheit sagen.« Aber er war ein sehr gewalttätiger Herr und König, im Zorne wild und furchtbar. Friedrich der Große und seine Schwester hatten ihm den Spitznamenle ragotingegeben. Zuletzt war er so dick geworden, daß seine Weste fast vier Ellen weit war.
Er forderte unbedingten Gehorsam ohne Widerspruch. Die Universität Halle stellte einmal beweglich vor, daß ein Studiosus von einigen Soldaten des Abends auf der Straße angefallen und zum Tor hinausgeführt worden sei. Der Bescheid des Königs lautete: »Soll nicht räsonieren! Ist mein Untertan.«
Er wollte in seinem Lande nur gute Christen, fleißige Bürger und tapfere Soldaten haben. Voltaire nannte ihn den Vandalen; aber alle seine Strenge und Härte entschuldigte Friedrich Wilhelm mit der Pflicht, und öfters äußerte er: Ich bin nur der erste Diener des Staates; und den Staat regierte er nach seiner eigentümlichen Weise mit Gewalt, umihn zu beglücken. Dabei war er gewissenhaft; einmal hatte er in Stettin einen Beamten durch den Henker prügeln lassen, kurz darauf stellte sich die Unschuld des Mannes heraus, da ließ er ihn an seiner Tafel speisen, um ihm eine öffentliche Genugtuung zu geben. Er glaubte, immer gerecht zu handeln, doch handelte er nur in dem gerecht, was er selbst für Recht erkannte. Er war religiös, aber nur in dem, was er bei sich selbst als Religion gelten ließ; es war eine Religion ganz nach eigenem Rezept. Bisweilen war er ernstlich gesonnen, abzudanken, weil er glaubte, seine Pflicht nicht gehörig erfüllen zu können. Er hielt sich in der genauen Bedeutung des Wortes für einen Knecht Gottes. So wenig er das Alte Testament achtete, seine Gesetze waren wie die des Alten Testaments. Aus königlicher Machtvollkommenheit kassierte und annullierte er die Urteile der Richter und verschärfte sie weit öfter als er sie milderte. Da galt kein Ansehen der Person. Ein Kriegs- und Domänenrat von Schlubhut in Königsberg hatte Gelder unterschlagen, die für die Salzburger Emigranten bestimmt gewesen waren, und das Gericht erkannte auf einige Jahre Festung. Der König wollte das Urteil nicht bestätigen, verschob den Spruch bis zu seiner Reise nach Königsberg, befahl den Kriegsrat vor sich und kündigte ihm an, daß er ihn hängen lassen werde. Schlubhut erwiderte frech, das sei nicht Manier, so mit einem preußischen Edelmann zu verfahren, er werde die fehlende Summe ersetzen. Der König geriet in den höchsten Zorn und schrie: »Ich will dein schelmisches Geld nicht haben.« Darauf ließ er einen Galgen vor dem Sessionszimmerder Kriegs- und Domänenkammer errichten und vor den Augen der versammelten Räte Schlubhut daran aufknüpfen.
Er haßte die Juristen und hätte sie gerne alle vertilgt, besonders die Advokaten. Auf dem Lande durfte kein Advokat wohnen, damit die Bauern nicht prozeßsüchtig würden. Als er an die Stände Preußens das Verbot erließ, sich aller Beschwerden und Mahnungen und der Hinweisung auf alte Verheißungen zu enthalten, wagten die Stände einzuwenden, Gott, der allmächtige Vater, gestatte doch auch, daß man ihm Beschwerden vortrage, und bleibe nichtsdestoweniger allmächtig, mithin werde es Seine Majestät ebenfalls nicht ungnädig deuten. Aber Seine Majestät kehrte sich daran nicht, und in seinen Kabinettsbefehlen hieß es gewöhnlich: Wir sind Herr und König und tun, was Wir wollen.
In Reden und Schriften war er ausbündig derb. Die Ehrentitel Hundsfott, Kujon, Halunke schwebten beständig auf seinen Lippen. Auf Eingaben, die ihm nicht behagten, malte er Eselsköpfe und -ohren an den Rand, und in den Resolutionen, die er ausgehen ließ, hieß es fortwährend: Wenn das und das nicht geschieht, so werde Ich es scharf ansehen, man wird den König zum Feinde haben, so wird Lärm werden, so wird der Donner dreinschlagen, eh man es sich vermutet. Wenn ein Minister zu spät in die Sitzungen kam, mußte er hundert Dukaten Strafe zahlen. »Die Herrn sollen arbeiten, wofür Wir sie bezahlen,« sagte der König. Einer seiner Kammerdiener sollte ihm einmal den Abendsegenvorlesen. Als die Worte kamen: Der Herr segne dich, glaubte der einfältige Mensch in seiner Unterwürfigkeit »der Herr segne Sie« lesen zu müssen. Da fuhr ihn der König an: »Hundsfott, lies, was dasteht, vor dem lieben Gott bin Ich genau so ein Hundsfott wie du.« Die Bedienten waren allerdings ihres Lebens nicht sicher; er hatte stets zwei mit Salz geladne Pistolen neben sich liegen, und wenn sie etwas versahen, feuerte er die Pistolen auf sie ab.
Seine Sparsamkeit war so pedantisch, daß er sich alle Küchenzettel vorlegen ließ und an den geringfügigsten Ausgaben mäkelte. Die Zettel mußten bis auf jede Zitrone und auf jede Mandel Eier spezifiziert sein, und einmal schrieb er darunter: Ein Taler zu viel. Auf die Eingaben um Geldbewilligung schrieb er zumeist:Non habeo pecunia,oder:point d’argent,oder: Narrenspossen, Narrenspossen! Sogar auf die Papierersparnis richtete er sein Augenmerk; auf den Rand eines Berichts des Kammerkollegiums schrieb er: Der Quark ist das schöne Papier nicht wert, sollen schlecht Papier nehmen, das ist Mir genug.
Bei alledem konnte er auch freigebig sein. Für den Hofstaat der Königin hatte er achtzigtausend Taler ausgesetzt, viel mehr, als die erste Königin gehabt. In ihrem Kabinett war sämtliches Gerät von Gold, Kron-, Wand- und Armleuchter, Geridone und Tafeln. Einmal schenkte er ihr zu Weihnachten eine goldene Brandrute für den Kamin, die sechzehnhundert Taler kostete.
Er war ein rastlos tätiger Mann, kein Hauch von Phlegmawar in ihm. »Der König,« schreibt Seckendorf im Juni 1726, »kann allem menschlichen Ansehen nach unmöglich in die Länge die Art zu leben kontinuieren, ohne an Gemüt und Leib zu leiden, maßen der Herr vom frühen Morgen bis in die späte Nacht in kontinuierlichemmouvementist, bei sehr früher Tagesstunde das Gemüt mit verschiedenen und differenten Materien, Resolutionen und Arbeiten angreifet, hernach den ganzen Tag mit Reiten, Fahren, Gehen und Stehen sich unglaublich fatigiert, mit starkem Essen und ziemlichem, doch nicht bis zurdebauchekommenden starken Getränke sich erhitzet, wenig und dabei sehr unruhig schläft, folglich sein ohnedem vehementes Naturell dermaßen echauffiert, daß mit der Zeit üble Folgen daraus entstehen dürften.«
Es kam vor, daß Friedrich Wilhelm irgendeinen faulenzenden Berliner Eckensteher mit eigenen Händen durchprügelte. Ein andres Mal prügelte er einen verschlafenen Torschreiber, der die Bauern vor dem Tor warten ließ, mit den Worten: »Guten Morgen, Herr Torschreiber« aus dem Bette. Recht mißlich war es, ihm zu begegnen. Wer ihm auffiel, an den ritt er so nahe heran, daß der Kopf des Pferdes dem Manne an die Brust stieß, und dann begann das Verhör. Sah er einen französischen Prediger, so fragte er jedesmal, ob sie Molière gelesen hatten, um ihnen damit anzudeuten, daß er sie für Komödianten halte. Am schlechtesten erging es denen, die vor ihm die Flucht ergriffen; einmal verfolgte er einen Juden, der Reißaus genommen hatte, und als er ihn gestellt hatte, sagte der Jude, er habe sich gefürchtet. Da prügelteihn der König mit seinem Stock und schrie dabei in einemfort: »Lieben sollt ihr mich, lieben und nicht fürchten.«
So orthodox Friedrich Wilhelm auch war, erklärte er sich doch mit allem Nachdruck für die Toleranz. Er duldete alle Religionsparteien, nur die Jesuiten waren ihm zuwider, »die Vögels, die dem Satan Raum geben und sein Reich vermehren wollen«. Schon im Anfang seiner Regierung erließ er ein Edikt, worin er den lutherischen und reformierten Religionsverwandten gebot, aller Schmähungen sich zu enthalten und friedlich miteinander zu verkehren. Den lebhaftesten Anteil nahm er an dem Schicksal der Salzburger Emigranten. Er schickte nicht nur Kommissäre zu den Salzburger Bauern, um sie einzuladen, sich in seinen Staaten niederzulassen, sondern griff auch, um den Erzbischof Firmian von weiterer Verfolgung abzuschrecken, zu Repressalien gegen die Katholiken im Bistum Halberstadt und drohte die Einkünfte der Klöster in Beschlag zu nehmen. Zwanzigtausend Salzburger fanden damals in Preußen Zuflucht; als der erste Zug eintraf, begrüßte ihn der König selbst am Leipziger Tor und hieß die armen Leute als seine lieben Landeskinder willkommen; von der Königin wurden sie in Monbijou bewirtet.
Um das Jahr 1727 verfiel Friedrich Wilhelm in eine tiefe religiöse Schwermut. Er sprach unaufhörlich davon, daß er die Krone niederlegen und sich in den Haag zurückziehen wollte, wo ihm aus der Erbschaft Wilhelms des Dritten das Lustschloß Honslardik zugefallen war. Es war August Hermann Franke, der einen solchen Einfluß auf das Gemütdes Königs gewonnen hatte. Die Markgräfin von Baireuth schreibt: »Dieser Geistliche machte die unschuldigsten Dinge zur Gewissenssache, er verwarf alle Vergnügungen als verdammlich, selbst die Musik und die Jagd, man sollte nur vom Worte Gottes sprechen, alles andre war verboten.« Grumbkow und Seckendorf legten dem König immer wieder die Hindernisse dar, die sich seiner Abdankung entgegensetzten, und wie er einen solchen Schritt später bereuen würde. Aber der König versank nur noch tiefer in seine Grübeleien, und man durfte in seiner Nähe nicht mehr lachen. Da nun alle Worte vergeblich waren, verfielen Grumbkow und Seckendorf auf ein anderes Mittel. Sie überredeten den König, dem sächsischen Hof einen Besuch abzustatten, der damals der glänzendste in Deutschland war. Politische Gründe bestimmten Friedrich Wilhelm, den Vorschlag anzunehmen. Sobald er nach Dresden kam, wurde er von Fest zu Fest fortgerissen, die Freuden der Tafel wurden nicht vergessen, der Ungarwein nicht gespart, und die Freundschaft der beiden Könige war die innigste. Eines Tages, als man weidlich geschmaust hatte, führte der König von Polen seinen Gastfreund im Domino auf eine Redute. Immerfort schwatzend, gingen sie von einem Zimmer in das andere, wobei die Hofleute und der Kronprinz Friedrich folgten. Endlich gelangten sie in einen schön verzierten Raum, und während Friedrich Wilhelm das prächtige Gerät bewunderte, sank eine Tapetenwand nieder, und ein seltsames Schauspiel bot sich den Blicken dar. Ein Mädchen von vollendeter Schönheit lag nachlässig auf einemRuhebette, nackt wie sie Gott erschaffen, mit einem Körper wie die mediceische Venus. Das Kabinett, worin sie sich befand, war von so vielen Kerzen erhellt, daß sie das Tageslicht überstrahlten. Der König von Polen sowohl als Grumbkow glaubten, daß Friedrich Wilhelm einer solchen Verlockung nicht werde widerstehen können; allein es kam anders. Bei dem ersten Blick nahm Friedrich Wilhelm seinen Hut, hielt ihn dem Kronprinzen vor das Gesicht und befahl ihm, sich zu entfernen. Er selbst wandte sich zum König von Polen, sagte trocken: »Sie ist recht schön,« und ging fort. An Seckendorf schrieb er ein paar Tage später: »Ich gehe zu kommendem Mittwoche nach Hause, fatigieret von allen guten Tagen und Wohlleben; ist gewiß nit christlich leben hier, aber Gott ist Mein Zeuge, daß Ich kein Pläsier daran gefunden und noch so rein bin als Ich von Hause hergekommen und mit Gottes Hilfe beharren werde bis an Mein Ende.«
Schon im Winter 1735 hatte der König an der Wassersucht gelitten, und sein Leben war in großer Gefahr gewesen. In dem strengen Winter des Jahres 1740 erkrankte er von neuem. Er ließ den lutherischen Propst Roloff kommen, der ihn zum Tod vorbereiten sollte. Er verzieh allen seinen Feinden, schließlich sogar seinem Schwager, dem König von England, der ihm doch, wie er sagte, alles gebrannte Herzeleid angetan habe. Er bereute seine Sünden und zählte sie in Gegenwart vieler Umstehenden so ausführlich auf, daß Roloff ihn bitten mußte, es zu unterlassen. Worauf Roloff drang, war Sinnesänderung, dazu aber war der Herr lange nicht zu bewegen.Er führte auf, daß er die Geistlichkeit immer respektiert, Gottes Wort immer fleißig gehört habe und seiner Frau immer unverbrüchlich treu gewesen sei; er behauptete, immer recht gehandelt und alles zu Gottes Ehre getan zu haben. Roloff widersprach dem und erinnerte ihn an die Verschärfungen der Todesurteile, an die ungerechten Hinrichtungen, an das erzwungene Häuserbauen in Berlin, zur großen Bedrückung seiner Untertanen, und des Königs Verantwortung wollte er als vor Gott genügend nicht gelten lassen. Da sagte der König: »Er schont Meiner nicht. Er spricht als ein guter Geist und ein ehrlicher Mann mit Mir. Ich danke ihm dafür und erkenne nun, daß ich ein großer Sünder bin.« Im April 1740 konnte er noch nach seinem geliebten Potsdam fahren; er gab Anordnungen für sein Leichenbegängnis, bei dem das Leibregiment feuern sollte. Mitten in seinen Schmerzen ließ er sich das Lied vorsingen: Warum sollt ich mich doch grämen? Als die Stelle kam: Nackend werd auch ich hinziehen, unterbrach er die Sänger mit den Worten: »Nein, das ist erlogen, ich will in der Montur begraben sein.« Bescheiden stellte ihm der Feldprediger vor, daß es dort oben keine Soldaten gäbe; da rief der König: »Was? Sapperment! Wieso?« Und er schien nun sehr niedergeschlagen.
Am Sterbetage, den 31. Mai, nahm er Abschied von seiner Frau, seinen Söhnen, allen Ministern, Beamten und Offizieren. Er ließ sich ans Fenster rücken, von wo er den Marstall überblicken konnte, und befahl, daß man die Pferdeherausführe, denn er wollte dem Fürsten von Dessau und dem General Haake noch ein Pferd schenken. Als ihm sein Leibarzt auf die Frage, wie lange er noch zu leben habe, antwortete, ungefähr eine halbe Stunde, forderte er einen Spiegel, schaute hinein und sagte lächelnd: »Ich bin recht verändert, ich werde beim Sterben ein garstiges Gesicht machen.« Später wiederholte er die Frage an den Arzt. Der Leibmedikus befühlte ihm den Puls, zuckte die Achseln und sagte: »Er steht still.« Da hob der König seinen Arm, schüttelte die Faust und rief: »Er soll nicht stillstehen.«
Friedrich Wilhelm starb im zweiundfünfzigsten Jahre seines Alters; er starb, wie Friedrich der Große an Voltaire schrieb, mit der Neugierde eines Naturforschers, der beobachten will, was im Augenblick des Hinscheidens geschieht, und mit dem Heldenmute eines großen Mannes. Er ward in Potsdam begraben. Bei der Leichenfeier wurden die von ihm selbst ausgewählten Lieder gesungen und beim Trauermahl zwei von ihm eigens dazu bestimmte Eimer alten Rheinweins ausgetrunken.
Als Sohn eines Brauers und Branntweinbrenners wurde Joachim Nettelbeck am 20. September 1738 zu Kolberg geboren. Seine Mutter war aus dem Geschlecht des Schiffers Blanken; seines Vaters Bruder war ebenfalls Schiffer. Seine größte Kinderfreude bestand darin, auf Schiffen herumzuspringen, und sobald er lallen konnte, war sein Sinn auf die Schifferei gestellt. Sein Hang war so groß, daß er aus jedem Span, aus jedem Stück Baumrinde, das ihm in die Hände fiel, kleine Schiffe schnitzelte, sie mit Segeln von Federn oder Papier ausrüstete und damit auf Rinnsteinen und Teichen oder auf der Persante hantierte. Kein größeres Vergnügen gab es für ihn, als wenn seines Onkels Schiff im Hafen lag; da hatte er zu Hause keine Ruhe und bat immerfort, man möchte ihn nach der Münde lassen.
Nicht geringere Liebe zeigte er zum Gartenwesen. Sein Großvater war ein großer Gartenfreund, nahm ihn oft in seinen Garten mit und schenkte ihm sogar ein Fleckchen Land. Da legte er Obstkerne, pflanzte, verpfropfte und okulierte.
Er mochte etwa sechs Jahre alt sein, da entstand eine Hungersnot im Lande. Es kamen viele arme Leute nach Kolberg, um Korn zu holen, weil man Getreideschiffe im Hafen erwartete. Als endlich ein Schiff mit Roggen auf der Reede anlangte, stieß es gegen den Hafendamm und sank in den Grund. Um es wieder emporzuwinden wurden zwei Schiffe benutzt, deren eines von seinem Onkel geführt wurde, und der Knabe war beständig zugegen. Das Fahrzeug wurde gehoben, doch das Korn war durchnäßt; bald waren alle Straßen mit Laken und Schürzen überdeckt, auf denen das Getreide der Luft und Sonne ausgesetzt wurde. Endlich kam ein zweites Kornschiff, und es konnte der Not gesteuert werden.
Im nächsten Jahre schickte der Große Friedrich von Preußen eine Wagenladung mit Kartoffeln nach Kolberg. Diese Früchte waren aber damals noch völlig unbekannt, und die Bürger berieten hin und her, was wohl damit anzufangen sei. Sie warfen sie den Hunden vor, die sie beschnupperten und verschmähten. Was sollen uns die Dinger? hieß es; sie riechen nicht, sie schmecken nicht, und nicht einmal die Hunde mögen sie fressen. Man glaubte, sie wüchsen auf den Bäumen und man müsse sie herunterschütteln wie die Äpfel. Alles dieses ward auf dem Markte, vor seiner Eltern Tür, verhandelt. Erst als der König im andern Jahr eine zweite Sendung von einem Landreiter begleiten ließ, der des Kartoffelbaues kundig war, gewann die neue Frucht das Wohlwollen der Bürger.
Der Knabe war auch ein großer Liebhaber von Tauben, und er sparte sich von seinem Frühstücksgeld so viel ab, daß er sich ein paar Tauben kaufen konnte. Seine Spielereien hielten ihn vom Lernen und von der Schule ab, und erst die dringenden Ermahnungen seines Paten weckten seinen Ehrgeiz. In seinem achten Jahre schenkte ihm der Pate zu Weihnachten eine Anweisung zur Steuermannskunst, und bald ging sein Eifer für diese Sache soweit, daß er oft im Winter bei strenger Kälte des Nachts, wenn klarer Himmel war, heimlich auf den Wall ging und mit seinen Instrumenten die Entfernung der Sterne vom Horizont oder vom Zenit maß und danach die Polhöhe berechnete. Kam er des Morgens erfroren nach Hause, so verwunderte sich alles, erklärte ihn für einen überstudierten Narren, und der Vater schlug ihn.
Da ein Seemann sich auf die Kletterkunst gut verstehen mußte, übte er sich in Gemeinschaft mit dem Sohn des Glöckners im Balkenwerk der großen Kirche in dieser Fertigkeit. Sie krochen überall herum, und oft verirrten sie sich in der gewaltigen Verzimmerung dergestalt, daß einer vom andern nichts mehr wußte, und wenn sie wieder zusammenkamen, war des Erzählens kein Ende, wo sie gewesen waren und was sie gesehen hatten. In dem inwendigen Holzverband krochen sie auch bis zur Spitze des Turmes hinauf, bis sie sich in dem beengten Raum nicht mehr rühren konnten. Diese Gewandtheit und Ortskenntnis kam ihm viele Jahre später wohl zustatten, als ein Wetterstrahl im Turm gezündet hatte und das Feuer gelöscht werden mußte.
Als er elf Jahre alt war, nahm ihn sein Onkel als Kajütenwächter mit auf sein Schiff, und seine erste Fahrt ging nach Amsterdam. Dort sah er die großen Indienfahrer und verspürte eine unbezwingliche Sehnsucht, auf einem solchen Schiff zu dienen. Bei Nacht und Nebel floh er auf einer Jolle, betrat eines der Schiffe, das er sonderlich ins Auge gefaßt, und wurde nach vielen Verhandlungen als Seemannsjunge geheuert. Das Schiff war für den Sklavenhandel nach Guinea bestimmt. Einundzwanzig Monate später kam er nach Amsterdam zurück, schrieb an seine Eltern, die, froh erstaunt, ihn noch am Leben zu wissen, ihn nach Kolberg riefen; dort blieb er nun bis zu seinem vierzehnten Jahr. Länger vermochte er aber seinem Abenteuer- und Tätigkeitstrieb nicht zu widerstehen: er entfloh neuerdings und verdingte sich auf einem Schiff, das nach Surinam bestimmt war. Auf der Heimfahrt fiel der Steuermann über Bord und ertrank, und Nettelbeck wurde zum Untersteuermann gemacht.
Im Jahre 1756 nahm er Dienst bei seinem Oheim, der eine Schiffsladung mit Holz von Rügenwalde nach Lissabon zu bringen hatte. Sein jüngerer Bruder, ein Knabe von vierzehn Jahren, und des Oheims junger Sohn waren ebenfalls auf dem Schiffe bedienstet. Sie erlitten an der flandrischen Küste Schiffbruch und wurden von österreichischen Soldaten gerettet. Der Oheim hatte aber eine tödliche Verletzung erlitten und starb in einem Kloster, wohin man ihn in Eile transportiert hatte. Als Ketzer und Preußen verdächtigt undgemieden, mußten sich die drei jungen Burschen durch das feindliche Land schlagen, und erst nach schrecklichen Mühsalen gelangten sie wieder nach Kolberg. Kaum hatte sich Nettelbeck von der überstandenen schweren Zeit erholt, so brach der Krieg aus, und die Werber des Königs kamen in die Stadt, um alle jungen Leute zum Soldatenstand zu pressen. Es war eine wahre Hetzjagd, der Schrecken für alle Eltern jener Zeit und für alles junge Volk, das eine Flinte schleppen konnte und nicht mochte.
Die entschiedene Abneigung des Bürgers gegen den Soldatenstand hatte ihre Rechtfertigung in der unmenschlichen Art, womit die jungen Leute von den Unteroffizieren behandelt wurden; so sagt Nettelbeck selbst, und er fügt hinzu: unter den Fenstern der Eltern wurden sie von den rohen Menschen aufs Grausamste mißhandelt, und es war ein kläglicher Anblick, wenn bei solchen Auftritten die Mütter in Haufen daneben standen, weinten und schrien und von den rauhen Barbaren abgeführt wurden.
Nettelbeck ergriff die Flucht. Bei Nacht, in Sturm und Schneegestöber wanderte er zu einem Bauern, welcher ihm genannt worden war, und mußte sich im Stadtholz eines Rudels Wölfe erwehren. Endlich erreichte er die Freistatt, hielt sich zwölf Tage dort verborgen, aber er ertrug es nicht, untätig zu sitzen, und er begab sich wieder nach der Münde. Eines Nachts erweckte ihn ein Klopfen an den Fensterladen des Kämmerchens, wo er schlief, und die bekannte Stimme einer getreuen Frauensperson rief ihm zu: »Joachim, auf!auf aus den Federn! Die Soldaten sind wieder auf der Münde!« In der Bestürzung griff er nach einem Bund Kleider, stahl sich im Hemd auf die Straße und bemerkte, als er sich anziehen wollte, daß er Frauenkleider mitgenommen hatte. Er warf einen roten Friesrock über die Schultern, da wurde er von den Soldaten gestört, er rannte zum Hafen, sprang in ein Boot und ruderte hinaus. Jenseits ging er an Land, wanderte so gut als nackend in der bitterkalten Märznacht vor mehrere Türen, wurde jedesmal abgewiesen und flüchtete endlich in einen alten Schiffsrumpf, der im Sommer als Bierschank benutzt wurde. Er kletterte in das Rauchfangloch und duckte sich vor der Kälte in einen Winkel zusammen. Am Morgen suchte er sein verlassenes Boot wieder auf und ruderte sich zu einem Schiffe heran, das einem Königsberger Schiffer gehörte. Der Mann nahm ihn auf und hielt ihn lange bei sich verborgen. Zwei Wochen später fuhr er mit einem anderen Schiffer nach Danzig, und dort wurde er Steuermann auf einer kleinen Jacht, die eine Ladung Hanf nach Westschottland bringen sollte. Die Schiffahrt in den Gewässern der Hebriden war der Klippen und starken Strömungen wegen sehr gefährlich, das Schiff irrte lange herum, geriet im Kanal mit sieben englischen Kapern zusammen, und alle diese Schnapphähne, so nennt sie Nettelbeck, stiegen an Bord seines Schiffes und nahmen mit, was nicht niet- und nagelfest war, Kessel und Pfannen, Tauwerk und Segel, Karten und Kompaß. Die Aufregung und das beständige Elend machten Nettelbeck krank. Er mußte inMetemblick zurückbleiben und begab sich zu einem Kompaßmacher in die Lehre; was er von ihm lernte, war ihm in der Folge von großem Nutzen.
Bald darauf rief ihn sein Vater nach Kolberg zurück, und er war noch nicht vier Wochen in der Heimat, so begann die Belagerung Kolbergs durch die Russen. Durch die Entschlossenheit der Bürgerwehr blieben die feindlichen Anstrengungen fruchtlos, und nachdem die Russen eine Menge Pulver unnütz verschossen hatten, mußten sie wieder abziehen. Nettelbeck begab sich nach Amsterdam, traf dort mit seinem alten Kapitän Blanken zusammen und fuhr mit ihm neuerdings nach Surinam; von dort heimgekehrt, hielt es ihn wieder nicht lange, und er fuhr mit einem andern Schiff nach Sankt Eustaz. Als er dann in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, wurde diese zum zweitenmal von den Russen belagert, aber der Notstand dauerte nur drei Wochen. Während der Zeit des Siebenjährigen Krieges blieb den preußischen Schiffern, wenn sie Erwerb finden wollten, kaum etwas anderes übrig, als unter der neutralen Danziger Flagge zu fahren. In solcher Weise ging Nettelbeck von Danzig nach Königsberg und von Königsberg mit einem Getreideschiff nach Amsterdam.
Es ist nicht erforderlich, alle diese Fahrten und die späteren im einzelnen zu verfolgen; diese Begegnungen mit Freund und Feind, dieses Hin und Her in allen Zonen der Erde, diese Kämpfe mit allen Gefahren und allen Elementen. Sie bilden ein Leben voll beständiger Unruhe und beständiger Tätigkeit. Die Kaufleute im fremden Land sind listig und verschlagen;ihrer Tücke Herr zu werden, gegen ihre Vorteilssucht nicht des eignen Vorteils verlustig zu gehen, verlangt viel Klugheit, ja beinahe Weisheit und unendliche Selbstverleugnung. Immer wieder Stürme, immer wieder Schiffbruch; kaum ist ein kümmerlicher Verdienst in Sicherheit gebracht, so geht er durch Wagnis oder Unglück wieder verloren. Bei einer Fahrt in der Nordsee wird der Kapitän wahnsinnig und trifft Verfügungen, die den Untergang des Schiffes herbeiführen müssen. Eines Morgens stürzt er vom Steuer in die See und ertrinkt. Nettelbeck nimmt ein Verzeichnis seiner Habseligkeiten auf, versiegelt die eingepackten Waren und wirft vor den Augen der Matrosen das hierzu gebrauchte Petschaft ins Meer. Zu seiner Verwunderung kann er nirgends die Gelder und Barschaften des verunglückten Schiffers finden, die Taschenuhr, die silbernen Schuh- und Knieschnallen, die goldenen und silbernen Galanteriewaren nicht, die er vordem bei ihm gesehen. Als er mit dem Schiff in den Hafen gelangt, taucht trotz eidlicher Erhärtung der Verdacht auf, daß er das Gut des Schiffers veruntreut habe. Lästerung und Verleumdung heftet sich an seine Fersen, und der Kummer, den er darüber empfindet, raubt ihm allen Mut. Erst viele Jahre später wurde das Eigentum des toten Schiffers zufällig in einem Verschlag der Kajüte entdeckt, die Witwe und die Verwandten leisteten Nettelbeck Abbitte, und die ihn geschmäht und bezichtigt hatten, erhoben ihn in den Himmel, aber man muß nicht eben Nettelbeck sein, um den von Zufalls Gnaden gereinigten Schild der Ehre mit bitterem Gefühlezu betrachten. Allmählich reifte er in der Schule des Lebens zur Resignation heran; doch seine Kraft, zu handeln, seine wunderbare Kraft, zu helfen, erlahmte dabei mitnichten. Während des großen Brandes in Königsberg rettete er auf einem Boote viele Menschen vor dem sicheren und schrecklichen Tod. Einige Zeit nachher geriet auf dem Pregel ein holländisches Schiff in Brand. Alle Menschen, so viel deren herbeigekommen, waren damit beschäftigt, Löcher in das Verdeck zu hauen, um von oben Wasser in den brennenden Raum zu gießen. Dadurch gewann aber das Feuer nur um so größeren Zug, und Nettelbeck, der ein so widersinniges Verfahren nicht gelassen mit anschauen konnte, schrie ihnen zu, sie arbeiteten sich ja zum Unglück, sie müßten das Schiff versenken. Es lief aber alles verwirrt durcheinander, und niemand wollte auf ihn hören. Da griff er einen von seinen Zimmerleuten auf, sprang mit ihm in das Boot, das zum brennenden Schiff gehörte, und zeigte ihm eine Planke dicht über dem Wasser, wo er ein Loch ins Schiff hauen sollte. Das lasse er wohl bleiben, war die Antwort des Mannes, da könne er schlimmen Lohn dafür haben. Nettelbeck riß ihm die Axt aus den Händen, schlug selber das Loch, eilte spornstreichs auf das Verdeck, wo sich Hunderte von Menschen drängten, und schrie: »Herunter vom Schiff, was nicht ersaufen will, in der Minute wird’s sinken.« Und das Schiff sank. Die holländischen Kaufleute aber verklagten ihn bei der Admiralität und forderten von ihm den vollen Ersatz des Schadens. Er wurde vor das Kollegium zitiert und sollte sich verantworten.
Seine Rede war die: »Tausend Augen haben es mit angesehen, wie das Schiff in hellem Feuer stand. Hätte das nur noch eine halbe Viertelstunde so gedauert, so nahm die Flamme dergestalt überhand, daß es kein Mensch auf dem Schiff aushalten konnte und es mitsamt der Ladung preisgegeben werden mußte. Und wie sollte es dann fehlen, daß nicht die Taue mit verbrannten, die es am Bollwerk hielten; daß die flammende Masse stromabwärts und unter die vielen andern Schiffe trieb und diese mit ins Verderben zog? Jetzt ist großes und gewisses Unglück mit um so geringerem Schaden abgewandt, als Schiff und Ladung wohl wieder zu bergen sein werden. Ich bin daher auch des guten Glaubens, daß ich in keiner Weise strafbar gehandelt, sondern nur meine Bürgerpflicht erfüllt habe.«
Die Sentenz lautete, daß der Schiffer Nettelbeck vollkommen recht und löblich gehandelt habe und das Kollegium sich vorbehalte, ihm seine Zufriedenheit und Dankbarkeit durch feierlichen Handschlag zu bezeugen. Der Kollegiumsdirektor stand von seinem Sitze auf, schüttelte ihm treuherzig die Hand, dankte ihm im Namen aller Schiffer und im Namen der Stadt und hieß ihn einen wackeren Mann. Kaufleute, Schiffer und Advokat sahen einander verlegen an, dann traten sie einer nach dem andern zu ihm und gaben ihm ebenfalls die Hand. Der Direktor fragte ihn zum Schluß, ob er nicht, wie er im vorigen Jahr mit dem Bording der Witwe Rollof getan, das versunkene Schiff aus dem Wasser zu heben versuchen wolle. Und Nettelbeck sagte zu. Die Hebung gelangunter großen Schwierigkeiten, und da er von den holländischen Kaufleuten außer dem Ersatz seiner Auslagen nichts annehmen wollte, machten sie ihm ein Geschenk von hundert preußischen Gulden samt zehn Pfund Kaffee und zwanzig Pfund Zucker. Er seinerseits schenkte davon fünfundzwanzig Gulden den Armen, damit sie auch einmal einen guten Tag haben sollten.
Es war das Sonderbare seines Geschicks, daß es ihn immer wieder zwang, gegen die Elemente in den Kampf zu treten und er dem Wasser wie dem Feuer gegenüber stets die gleiche streitbare Rolle spielt. Als er nach vielen und gefährlichen Reisen, nach vielen und ermüdenden Versuchen, da und dort seinen Lebensunterhalt zu erwerben, als beinahe Vierzigjähriger 1777 wieder in seiner Vaterstadt saß, schlug eines Tages im April der Blitz in den Kirchturm, und im Nu brannte der Turm lichterloh. Die helle Flamme spritzte bei der Wetterstange gleich einem feurigen Springbrunnen empor, aus den Schallöchern sprühten die Funken wie Schneeflocken und fielen bereits in die Domstraße hinüber. Nettelbeck, dies sehend, rannte nach der Kirche und die Turmtreppe hinan. Im Hinaufsteigen überdachte er, wie groß das Unglück werden müsse, da es wohl schwerlich jemand unternehmen werde, bis in die höchste Spitze zu klimmen, wo er in den finstern Winkeln nicht so bekannt sei wie er selbst, der sie in seiner frühen Jugend oft mit Lebensgefahr durchkrochen hatte. Er wußte, daß auf dem Glockenboden stets Wasser und Löscheimer bereitstanden, aber an einer Handspritze, diehauptsächlich nottat, mochte es fehlen. Er machte auf der Stelle kehrt, drängte sich an den vielen Menschen vorüber, die alle hinauf wollten, eilte ins nächste Haus, dann ins zweite und ins dritte, bis er endlich eine Spritze bekam. Jetzt wieder, die Angst und der Eifer gaben ihm Flügel, zum Turm hinauf. In der sogenannten Kunstpfeiferstube, dicht unter der Spitze, fand er mehrere Maurer und Zimmerleute mit ihren Meistern, aber keiner wußte, was zu tun sei. »Liebe Leute,« sprach er, unter sie tretend, »hier ist nichts zu beginnen, wir müssen höher hinauf.« – »Leicht gesagt, aber schwer getan,« antwortete einer, »wir haben es schon versucht, doch es geht nicht. Sobald wir die Falltür über uns haben, fällt ein Regen von Flammen und glühenden Kohlen herunter und setzt auch hier die Zimmerung in Brand.« Nettelbeck aber ließ sich die Falltür öffnen, stieg hindurch, gebot, daß man ihm einen Eimer und die Spritze reiche und die Falltür wieder schließe, denn das Feuer durfte von unten keinen Zug bekommen. Er mußte sich den Kopf mit Wasser aus dem Eimer anfeuchten, damit seine Haare nicht in Brand gerieten, und um die Hände frei zu bekommen, schnitt er vorn in seinen Rock ein Loch, durch das er die Spritze steckte. Den Bügel des Eimers nahm er in den Mund und zwischen die Zähne; so klomm er empor. Die Holzriegel im Innern des Turms mußten ihm als Leitersprossen dienen, allein wohin er griff, um sich emporzuhelfen, fand er alles voll glühender Kohlen, nur hatte er nicht Zeit, an den Schmerz zu denken. Endlich hatte er sich so hochverstiegen, daß ihm in der engen Verzimmerung kein Raum blieb, sich noch weiter hinauf zu winden, und hier sah er den rechten Mittelpunkt des Feuers acht oder zehn Fuß über sich zischen und sprühen. Er klemmte den Wassereimer zwischen die Sparren fest, sog die Spritze daraus voll und richtete sie gegen den Feuerkern. Wasser, Feuer und Kohlen prasselten ihm ins Gesicht, aber das Feuer verminderte sich alsbald merklich. Nun war aber auch der Eimer geleert. Aus Leibeskräften schrie er nach Wasser; einer der Zimmermeister hob die Falltür und rief: »Wasser ist hier, aber wie bekommst du es hinauf?« Er sagte, sie sollten es ihm nur bis über den Glockenstuhl schaffen, da wolle er sichs schon selber langen. Jene wagten es, und er kletterte ihnen von Zeit zu Zeit entgegen, um die vollen Eimer in Empfang zu nehmen, von denen er dann auch so fleißigen Gebrauch machte, daß er endlich das Glück hatte, den Brand zu überwältigen und völlig zu löschen. Und es war hohe Zeit, mit jeder Minute wurde ihm übler: das zurückspritzende Wasser hatte ihn bis auf die Haut durchnäßt, und zugleich war eine unerträgliche Hitze im Turm. Er eilte hinunter, und in der schneidenden Luft bei den Schallöchern vergingen ihm die Sinne. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Kirchhof, ihm zur Seite standen zwei Chirurgen, die ihm an beiden Armen die Adern geöffnet hatten, und eine Menge neugieriger Menschen schaute zu. Seine Hände waren überall verletzt, die Haare auf dem Kopf abgesengt, der Kopf selbst wund und voller Brandblasen; an diesen Stellen wuchsen die Haare nie wieder,und zwei Finger an der rechten Hand blieben ihm zeitlebens verkrüppelt.
Zehn Jahre lang befuhr er noch die Meere, von Danzig bis Lissabon, von Amsterdam bis Norwegen, von London bis Westindien; bald im eignen Interesse, das aber nie ein Gelingen bescherte, bald im Auftrag fremder Reeder. Seine Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit, soviel sie ihm auch Achtung und Sympathie erweckten, konnten ihm doch nicht zu großem Geld und Gut verhelfen. Und er war zu unruhig, zu leidenschaftlich und zu wenig kühler Rechner, um aus geringen Vorteilen mit der Zeit und viel Geduld bedeutende zu machen. Um das Jahr 1787 wurde er in Kolberg seßhaft, und seine Mitbürger erwiesen ihm die Ehre, ihn als Verwandten des Seglerhauses aufzunehmen, welches ein Kollegium war, vor dem alle Schiffahrtssachen in erster Instanz entschieden wurden. Auch ernannten sie ihn zum Schiffsvermesser, dessen Amt es war, die Tragkraft der Fahrzeuge zu berechnen, und wieviel Lasten sie laden und über See führen konnten. Es gab auch in Kolberg ein Kollegium, die Fünfzehnmänner geheißen, das die Gerechtsame der Bürgerschaft beim Magistrat zu vertreten hatte. In dieser Körperschaft waren große Mißstände bemerklich geworden; die Fünfzehnmänner hatten angefangen, ihr Ansehen mehr zu ihrem Privatnutzen als zum allgemeinen Besten geltend zu machen, und es war eine enge Verbrüderung daraus entstanden, die sich einander zu allerlei heimlichen Praktiken verhalf. Da waren Depositenkassen angegriffen,Scheinkäufe vorgenommen, Gemeingut widerrechtlich verschleudert und andere Greuel mehr begangen worden. Furchtlos trat Nettelbeck in den Sumpf und machte eine lange Reihe von Ungebührlichkeiten, Veruntreuungen und krummen Schlichen vor Gericht anhängig. Es kam darüber zu einem langen und verwickelten Prozeß, und keine Art von Ränken und Rabulistereien blieb gegen ihn unversucht. Beinahe vier Jahre lang schleppte sich der Rechtsstreit hin, und so wie er sich die Sache zu Herzen nahm, hatte er während der ganzen Zeit keine ruhige Stunde. Er gesteht, daß er oft mit Feuer und Schwert hätte dreinfahren mögen, wenn das heillose Gezücht immer ein neues Mäntelchen für seine aufgedeckte Bosheit zu erhaschen suchte. Endlich kam die unsaubere Geschichte doch zu einem leidlichen Schluß; das Kollegium wurde aufgelöst und durch ein anderes ersetzt, und man bewies ihm das Vertrauen, ihn in die Zahl der neuen Repräsentanten zu wählen.
Ergreifend sind die wenigen Seiten seiner von ihm selbst erzählten Lebensgeschichte, wo er von seinen häuslichen und ehelichen Verhältnissen erzählt und die Bemerkung macht, daß ihm als Ehemann und Vater sein besserer Glücksstern erst spät erschienen sei. Nur der Anschein war günstig, als er sich im Jahre 1762 in Königsberg zu heiraten entschloß. Er war ein flinker und lebenslustiger Bursche von vier- oder fünfundzwanzig Jahren, sein junges Weib war sechzehn, und solange er dort lebte und als Schiffer ab- und anfuhr, war die Ehe ganz glücklich. Von drei Kindern, die ihm dieFrau gebar, blieb indessen nur ein Sohn am Leben, der ihn auf seinen letzten Seereisen als unzertrennlicher Gefährte begleitete. Nach siebenjähriger Ehe entdeckte er, daß ihn die Frau betrog; er verzieh ihr, aber sie zeigte sich unverbesserlich, da ließ er sich von ihr scheiden, und sie verkam im Elend. Der Sohn, den er sehr liebte, starb ihm in jungen Jahren, und er stand nun verlassen in der Welt und wußte nicht, für wen er sich’s noch sauer werden lassen sollte. Es fehlte am festen Kern im inneren Haushalt, und so wollte er es noch einmal mit der Ehe versuchen. Als Fünfzigjähriger warf er seine Augen auf eine Schifferswitwe in Stettin, die er als eine ordentliche und rechtliche Frau zu kennen glaubte. Die Verbindung kam zustande, aber nun erst gingen ihm die Augen auf. Die fromme Witwe hatte gern ihr Räuschchen und hielt es eifrig mit mancherlei andern Dingen, die den Ehefrieden stören mußten. An ein Zusammenhalten des ehrlich Erworbenen war länger nicht zu denken, vielmehr sah er den unvermeidlichen Untergang seines kleinen Wohlstands vor Augen, und was blieb ihm übrig, als eine abermalige Scheidung? Mit trüben Blicken schaute er in die Zukunft. Er gehörte keinem Menschen an, war nachgerade ein alter Mann geworden, und fühlte er gleich sein Herz noch frisch und seinen Geist lebendig, so wollten doch die stumpfgewordenen Knochen nicht mehr gut tun. Die paar Jahre, die noch übrig waren, dachte er wohl noch hinzustümpern, und wenn nur noch der Sarg ehrlich bezahlt werden konnte, mochte man ihn hintun, wo seine Väter schliefen. Jedoch das Geschick meinte esbesser mit ihm. So klang- und trostlos sollte sein Leben nicht enden.
Das Jahr 1806 war herangekommen. Joachim Nettelbeck, dem feurigen Patrioten, der die alten Zeiten und des großen Friedrichs Taten noch im Sinn hatte, blutete gleich so vielen das Herz bei der Zeitung von den entsetzlichen Tagen bei Jena und Auerstädt und ihren Folgen. Er hätte kein Preuße und abtrünnig von König und Vaterland sein müssen, wenn ihm jetzt, wo alle Unglückswellen über sie zusammenschlugen, nicht so zu Sinn gewesen wäre, als müßte er Gut und Blut und die letzte Kraft seines Lebens für sie aufbieten. So lautet sein eigenes Geständnis; nicht mit Reden und Schreiben, dachte er, aber mit der Tat sei hier zu helfen; jeder auf seinem Posten, ohne sich erst lange, feig und klug, vor- und rückwärts umzusehen.
Als nun Magdeburg und Stettin gefallen waren und die ungestüme französische Windsbraut sich immer näher und drohender gegen die Weichsel heranzog, da ließ sich’s voraussehen, daß bald genug auch die Feste Kolberg an die Reihe kommen mochte, und wirklich erschien im November ein französischer Offizier als Parlamentär in der Stadt und forderte die Übergabe. Diese wurde zwar verweigert, allein mit allem, was zu einer rechtschaffenen Verteidigung gehörte, sah es trübselig aus. Wall und Graben waren verfallen, von Palisaden keine Spur. Nur drei Kanonen standen in einer Bastion auf Lafetten und dienten bloß zu Lärmschüssen, wenn Ausreißer von der Besatzung verfolgt werden sollten; allesübrige Geschütz lag am Boden, hoch von Gras überwachsen, und die dazu gehörigen Lafetten vermoderten in den Remisen. Die Besatzung war gering an Zahl, entmutigt durch die Unglücksbotschaften, und der Kommandant, Oberst von Loucadou, ein alter abgestumpfter Mann, der seit dem bayrischen Erbfolgekrieg den Ruf eines tüchtigen Offiziers genoß und dessen Geist so blind an altem Herkommen hing, daß er sich in der neuen Zeit und Welt nicht mehr zurechtfinden konnte. Während alles, was Militär hieß, den trägen Schlummer mit ihm zu teilen schien, fühlte sich die ganze Bürgerschaft von der lebhaftesten Unruhe und Besorgnis ergriffen, und Nettelbeck wurde als einer der ältesten Bürger ausgewählt, sich mit dem Kommandanten über die Maßregeln zur Verteidigung zu verständigen. Dem Obersten erschien dies anmaßend, und er wußte nicht oder wollte es nicht wissen, daß von ältester Zeit her die Bürger von Kolberg sich als die natürlichen und gesetzlich berufenen Verteidiger ihrer Wälle und Mauern betrachteten. Vormals hatte jeder seinen Bürgereid mit Ober- und Untergewehr geschworen, hatte geschworen, daß diese Armatur ihm eigen angehöre, geschworen, daß er die Festung verteidigen helfen wolle mit Gut und Blut. Die Bürgerschaft war in fünf Kompanien eingeteilt, mit einem Bürgermajor an der Spitze, und wo es im Ernst gegolten, hatte der Kommandant sie nach seiner Einsicht gebraucht und wesentlichen Nutzen von ihrem Dienst gezogen. Nettelbeck eröffnete dem Obersten, daß die Bürger mit Gott entschlossen seien, in diesen bedenklichen Zeitläuften mit dem Militärgleiche Last und Gefahr zu bestehen, daß sie sich in ein Bataillon mit vollständiger Rüstung organisieren wollten und bäten, sich vor ihm aufstellen zu dürfen, damit er Musterung halte und jedem seinen Posten anweise, sie würden ihre Schuldigkeit tun. Als die Bürgerschaft sich versammelt hatte, kam der alte Oberst und sagte: »Macht dem Spiel ein Ende, ihr guten Leutchen! Geht in Gottes Namen nach Hause. Was soll mir’s helfen, daß ich euch sehe?« Und da Nettelbeck neuerdings Vorstellungen machte und sich und seine Leute zu den nötigen Arbeiten anbot, erwiderte der Kommandant mit einem höhnischen Lachen: »Die Bürgerschaft und immer wieder die Bürgerschaft! Ich brauche die Bürgerschaft nicht.«