Chapter 4

Allein wenn auch, streng genommen, ein Strohhalm genügt, um mit Nutzen herumzugaffen, so muß ich doch gestehen, daß ich dabei nicht stehen blieb; denn mein Fenster bot eine wunderbare Menge von Dingen dar.

Gegenüber ist das Hospital, ein gewaltiges Gebäude, wohinein nichts geht, woheraus nichts kommt, das mir nicht Zoll geben müßte. Ich erforsche die Absichten, ich errathe die Ursachen oder berechne die Folgen. Und nur selten täusche ich mich; denn wenn ich bei jedem neuen Falle die Mienen des Thürstehers befrage, so finde ich darin tausend merkwürdige Mittheilungen über die Leute. Nichts gibt über die geselligen Verhältnisse besser Auskunft als das Gesicht eines Pförtners. Es ist ein Wunderspiegel, worin sich in allen verschiedenen Abstufungen kriechende Ehrfurcht, erhabene Beschützermiene oder grobe Geringschätzung kundgeben, je nachdem der reiche Direktor, der untergeordnete Beamte oder das arme Findelkind sich in ihm abspiegelt. Ein wechselhafter Spiegel, aber treu.

Meinem Fenster gegenüber, ein klein wenig höher, befindet sich der eine Saal des Hospitals. Von dem Platze, wo ich arbeite, kann ich die dunkle Decke sehen; zuweilen steckt der widerwärtige Krankenwärter die Nase gegen die Fensterscheiben und schauet in die Straße. Wenn ich auf den Tisch steige, überblicken meine Augen den jammervollen Aufenthalt, wo Schmerzen, Sterberingen und Tod ihre Opfer auf zwei langen Reihen von Betten ausgestreckt haben. Ein grauenvoller Anblick, zu dem mich nichts desto weniger eine düstere Theilnahme hinzieht, wo bei dem Anblicke eines sterbenden Unglücklichen meine Einbildungskraft zu Häupten seines Lagers schweift, und bald sich zu dem erlöschenden Leben wendend, bald zu der sich öffnenden Zukunft zurückkehrend, sich in dem schwermuthsvollen Reize ergeht, der stets an dem Geheimnisse haftet, womit das menschliche Geschick umhüllt ist.

Links unten in der Straße ist die Kirche, einsam die Woche über, Sonntags angefüllt und von frommen Gesängen ertönend. Auch hier beobachte ich, was hineingeht,was herauskommt, ich fasse meine Muthmaßungen, jedoch mit minderer Sicherheit. Es ist ja kein Thürsteher da. Und gäbe es einen, so wäre mir damit schwerlich weiter geholfen, denn es ist ein Charakterzug des Thürstehers, sich an's Kleid zu halten; darüber hinaus ist er blind, stumm, taub und seine Mienen spiegeln nichts wider. Ich aber möchte die Seele derer kennen lernen, die die Kirche besuchen. Leider sitzt die Seeleunter dem Kleide, unter dem Brusttuche, unter dem Hemde, unter dem Fleische, und oft auch ist sie nicht da, sondern schweift umher während der Predigt. Ich tappe alsdann umher, muthmaße, setze voraus und befinde mich dabei auch nicht übel; denn gerade das Schwankende, Unbestimmte, Zweifelhafte ist eben die Nahrung und der Zauber des Umhergaffens.

Rechts ist ein Brunnen, um dessen blaue Fluth Mägde, Burschen, Knechte und Frau Basen Hof halten. Beim Geplätscher des sich füllenden Eimers sagt man sich Süßigkeiten, man erzählt sich das harte Benehmen der Herrschaft, die Unannehmlichkeiten des Dienstes, die geheimen Hausgeschichten. Dies ist meine Zeitung, die um so unterhaltender ist, als ich nicht alles vernehmen kann und oftmals rathen muß.

Oben zwischen den Dächern hin erblicke ich den Himmel, der bald hoch und blau ist, bald grau und von fliegenden Wolken bezogen; zuweilen zieht dann ein langer Vögelzug hin, der zu fernen Gestaden über unsere Städte und Felder wegwandert. Durch den Himmel stehe ich mit der Außenwelt, mit dem Raume und der Unendlichkeit in Verbindung: eine gewaltige Tiefe, wo hinein ich mich, das Kinn auf die Hand gestützt, mit Blick und Gedanken stürze.

Bin ich müde höher zu fliegen, so steige ich zu den Dächern zurück. Da sind die Katzen, die mager und lechzend in der Liebeszeit miauen oder fett und trägein der Augustsonne sich dehnen. Unter dem Dache die Schwalben mit ihren Jungen, die mit dem Frühlinge wiederkommen und mit dem Herbste weiterziehen, immer im Fluge Nahrung suchend und sie der schreienden Brut zutragend. Sie sind über meinen Anblick nicht mehr erschreckt, als über das Gefäß mit Kapuzinernelken im Fenster unter mir.

Endlich die Straße, dieses immer wechselnde, immer neue Schauspiel: hübsche Milchmädchen, ehrsame Rathsherren, muthwillige Schüler; Hunde, die murren oder närrisch spielen; Zugochsen, die Heu kauen und wiederkauen, indeß ihr Herr eins trinken gegangen. Und meint ihr etwa, daß ich meine Zeit unnütz verliere, wenn's regnet? Behüte, da gibt's erst recht zu thun. Tausend kleine Ströme einen sich zu einem starken Bache, der wächst, schwillt an, rauscht dahin und reißt in seinemLaufe allerlei Gegenstände fort, die ich alle einzeln in ihren Sprüngen mit wundersamer Aufmerksamkeit begleite. Oder irgend ein alter zerbrochener Topf sammelt all diese Flüchtlinge hinter seinem weiten Bauche und unternimmt's, der Wuth des Stromes zu widerstehen: Kiesel, Knochen, Späne füllen seinen Raum an und dehnen sich seitwärts aus, es bildet sich ein Meer und der Kampf beginnt. Da wird die Geschichte im höchsten Grade romantisch, ich nehme Partei und fast allemal für den zerbrochenen Topf. Ich spähe weithin, ob ihm Verstärkung kommt, ich zittere für seinen rechten Flügel, der nachgibt, ich fürchte für den linken Flügel, durch den schon eine Lücke gebrochen ist... aber der wackere Veteran hält im Kreise seiner Kerntruppen Stand, obschon die Fluth ihm fast über den Kopf schlägt. Doch wer vermag wider den Himmel zu streiten! Der Regen verdoppelt seine Wuth und der Dammbruch.... ein Dammbruch! welche Augenblicke gehen einem Dammbruch voraus! Das ist in Betreff der unschuldigen Vergnügen das ausgezeichnetste, wie ich's kenne. Blos wenn Damen den Bach überschreiten und ihr feines Füßchen zeigen, da lasse ich den Dammbruch und folge den weißen Strümpfen bis zur Straßenecke mit den Augen. Und das ist nur der kleinste Theil der Wunder, die man von meinem Fenster aus sieht.

Ja, ich finde den Tag manchmal zu kurz, und gar viele Dinge gehen verloren, weil mir's an Zeit gebricht.

Oberhalb meines Zimmers ist das meines Onkels Tom; er sitzt auf seinem Sessel mit Rollen, den Rücken vorwärts gebeugt, und so lange ein Sonnenstrahl seine Silberlocken erhellt, liest er, merkt an, trägt zusammen, ordnet und einverleibt seinem Gehirn die Quintessenz von einigen Tausend Bänden, welche rings in seinem Zimmer herum die Wände bekleiden.

Gerade das Gegentheil von seinem Neffen, weiß mein Onkel Tom alles, was man aus Büchern lernt, und nichts von dem, was man auf der Straße lernt. D'rum glaubt er an seine Wissenschaft mehr als an die wirklichen Dinge selber. Man könnte ihn als Zweifler anseiner eignen Existenz finden, dagegen als Buchstabengläubigen in Betreff so eines dunkeln philosophischen Systems. Sonst ist er gut und unschuldig wie ein Kind, dafür, daß er nimmer mit Leuten gelebt hat.

Drei verschiedene Geräusche zeigen mir fast alles an, was mein Oheim Tom vornimmt: wenn er aufsteht, schreiet die Rolle des Lehnstuhls; wenn er ein Buch nehmen will, rollt die Leiter; hat er sich an einer Prise Tabak erfrischt, so klopft die Dose auf dem Tisch.

Diese drei Geräusche folgen gemeinlich hintereinander und ich bin so daran gewöhnt, daß sie mich in meinen Beschäftigungen wenig stören; aber eines Tages...

Eines Tages kreischt die Rolle, die Leiter rollt nicht, ich warte auf die Dose... auch nichts. Ich wache aus meiner Träumerei auf, gleich dem Müller aus dem Schlafe, wenn das Mühlrad stillsteht. Ich horche; mein Onkel Tom plaudert, mein Onkel Tom lacht... eine andre Stimme... Also doch richtig! sagte ich in großer Aufregung zu mir.

Man muß nämlich wissen, daß ich in meinen Arbeiten am Fenster durchaus nicht bei den Allgemeinheiten stehen geblieben war. Ich hatte mich seit einigen Tagen ganz besonders mit einem Gegenstande beschäftigt, der meine Theilnahme, die ich den übrigen zollte, bedeutend verringerte. Eine Folge dieser Veränderung in der Richtung meiner Arbeiten waren bestimmte Symptome.

Morgens erwarte ich. Um zwei Uhr fängt mein Herz an zu pochen; wenn sie vorüber ist, so ist mein Tagewerk zu Ende.

Früher war es mir nie in den Sinn gekommen, daß ich allein war; denn waren wir nicht, mein Oheim und ich und der Bach und die Schwalben und die ganze Welt; jetzt aber fühle ich mich allein, ganz allein, außer gegen drei Uhr, wo alles um mich herum und in mir auf's neue Leben gewinnt.

Ich habe schon gesagt, wie früher meine Stunden so leicht dahinflossen, heute weiß ich nicht, was ich anfangen soll, ich kann weder arbeiten noch müßig sein, noch auf die Straße schauen, und das ist sehr bedeutsam. Dies geht so weit, daß eines Tages eine große Feder zwei Spannen weit von meiner Nase sich drehete, ohne daß mir nur der Gedanke kam, danach zu blasen. Und solcher Fälle könnte ich hundert anführen.

Statt dessen träume ich jetzt mit wachen Augen. Ich denke, daß sie mich kennt, daß sie mir zulächelt, daß ich ihr gefalle, oder ich suche wol Mittel und Wege ihretwas zu gelten, ich begegne ihr unterwegs, ich reise mit ihr, ich beschütze sie, ich vertheidige sie, ich rette sie in meine Arme und es betrübt mich ungemein tief, daß ich nicht mit ihr zusammen in einem finstern Walde bin, wo wir von schrecklichen Räubern angefallen werden, die ich in die Flucht schlage und wo ich bei ihrer Vertheidigung verwundet werde.

Doch ich muß wol auch sagen, wer denn dieser Gegenstand war. Ich weiß nicht, wie ich es anfangen soll, denn die Worte sind gar ungeschickt, das Bild zu malen, unter dem uns das erste Mädchen erschien, welches unser Herz pochen machte. Das sind frische, lebendigeEmpfindungen, die einer ganz jugendlichen Sprache bedürfen.

Ich sage also nur, daß sie alle Tage gegen drei Uhr aus einem Nachbarhause kam, die Straße hinabging und unter meinem Fenster vorüberkam.

Ihr Kleid war blau und so einfach, daß schwerlich jemand es unter den vielen andern blauen Kleidern, die vorübergingen, herauserkannt hätte, und ich selber auch nicht, aber ich fand darin eine ganz eigene Anmuth, womit es die jugendliche Gestalt umfloß. Und diese jugendliche Gestalt schien mir ihren Reiz von dem sittsamen Wesen des liebenswürdigen Mädchens, dessen Anblick so süß war, zu empfangen, und ich konnte von dem Kleide unmöglich glauben, daß irgend ein andres, auf hundert Meilen in der Runde, von den ersten Künstlerinnen gemacht, mir besser gefallen hätte.

Sobald also dieses Kleid in meinen Gesichtskreis kam, schien mir alles ringsum ein freundliches, festliches Ansehen zu bekommen, und war dasselbe verschwunden, so bedurfte es für meine seligen Träume noch eines blauen Kleides.

Diesen Tag nun sah ich sie wie gewöhnlich erscheinen und bis unter mein Fenster kommen; meine Augen schickten sich an, ihr bis zur Straßenecke zu folgen und meine Gedanken noch viel weiter: da bog sie ein und trat gerade unter mir in die Hausthür. Ich wurdeverwirrt und flog mit dem Kopfe zurück, als träte sie augenblicks in mein Zimmer.

Danach fing ich an zu bedenken, daß sie nach der andern Straße durchs Haus gegangen sei, als sich in der Bibliothek meines Oheims Tom jene bemeldeten ungewöhnlichen Dinge zutrugen, die mich so sehr bewegten. Wie! sie redet mit meinem Oheim!... Und ich strengte mein Gehör auf's unglaublichste an, einige Worte zu erhaschen, da kam ein unvorhergesehenes Ereigniß dazwischen und stürzte die Welt zusammen, die sich um mich zu gestalten begann.

Dieses so wichtige Ereigniß war in der That von höchst geringer Bedeutung: die Leiter rollte und ich hörte meinen Oheim unter fortwährendem Geplauder die Stufen hinansteigen; ich glaubte sogar aus seinem Munde das Wort: Hebräisch, zu vernehmen. Aus diesem allen ging klar hervor, daß mein Oheim Tom esin diesem Augenblicke mit irgend einem gelehrten Hebräer zu thun habe, der mit ihm über irgend eine nichtssagende Gelehrsamkeit verhandelte. Denn wer konnte sich einbilden, daß ihr junger Kopf sich mit wissenschaftlichen Dummheiten befasse, oder daß ihre schöne Hand in einem staubigen Folianten blättern wolle; kein Gedanke daran.

Ich begab mich maschinenmäßig, mit sehr getäuschter Hoffnung, wieder an's Fenster, wie man wol thut, wenn man einen Gedanken hat, der einen sich selber entfremdet. Indeß philosophirten gegenüber im wärmsten Sonnenschein zwei Esel, die zusammen angebunden waren. Nach einer kleinen Weile hoher Bedeutsamkeit stellte der eine Betrachtungen an, was ich aus einem unmerklichen Zucken seines linken Ohrs erkannte, dann streckte er den Kopf vor und zeigte lüstern sein altes Gebiß dem andern. Dieser verstand das Zeichen und hub alsbald eben so anund beide machten sich an's Werk und kratzten sich den Hals mit einer solchen gegenseitigen Dienstwilligkeit, mit einer so wollüstigen Nachlässigkeit, einer so süßen Trägheit, daß ich nicht umhin konnte, mich im Geiste als Dritten zu ihnen zu versetzen. Dies war zum ersten Male seit meiner Fensterträumerei der Fall. Es liegt in der Einfalt gewisser Schauspiele ein unwiderstehlicher Reiz, welcher die Seele sich selber entfremdet und sie ihren süßesten Empfindungen ungetreu macht; daher belustigte ich mich wahrlich daran, als ein blaues Gewand aus der Thür kam. Sie war es. Ha! rief ich, ohne es zu wissen.

Da das Mädchen etwas vernahm, so bog sie den Kopf ein wenig in die Höhe, so daß unter ihrem Hute hervor ihr schöner Blick mich traf, der mich mit Scham, Verwirrung und einem blitzschnellen Entzücken erfüllte. Sie erröthete und setzte ihren Weg fort.

Es ist ein eigener Zauber, daß man in diesem Alter beim Hauch des Windes, beim Rascheln eines Strohhalms erröthet: aber meinetwegen erröthen, das schien mir denn doch eine unbeschreibliche Gunst, ein Umstand, der meine Lage wesentlich veränderte, denn es war das erste Mal, daß etwas zwischen ihr und mir vorging.

Meine Freude verminderte sich übrigens sehr schnell, denn ich kam augenblicklich zu mir selber zurück; sie hatte mich »Ha!« mit aufgesperrtem Munde, mit verwirrtemAuge und mit der Miene eines Verblüfften, der seinen Hut in den Strom fallen sieht, ausrufen sehen. Der Gedanke des ersten Eindrucks, den ich damit auf sie gemacht haben mußte, war mir unbeschreiblich bitter.

Doch man rathe, was sie unter dem Arme trug? Einen Octavband in Pergament, mit silbernem Schloß versehen, eine jämmerliche Scharteke, die ich hundertmal im Zimmer meines Onkels hatte umherliegen sehen und die mir jetzt, so sanft unter ihrem Arm an die Seite gedrückt, das Buch der Bücher schien... Ich begriff zum ersten Male, daß so ein alter Schinken noch zu etwas gut sein kann. Wie weise war doch mein Oheim Tom, daß er sein ganzes Leben lang dergleichen Zeug gesammelt hatte! Ich, wie arm war ich, daß ich nicht der Besitzer dieses glücklichen Buchs gewesen war, dessen Titel ich nicht einmal kannte.

Sie ging quer über die Straße und begab sich geradeswegs zum Hospitalthore, wo sie einige Worte zu dem Pförtner sagte, der sie zu kennen schien und ihr genau so viel von seiner Gewogenheit zukommen ließ,daß sie hineinzugehen wagte. Obschon ich über dies rauhe Benehmen entrüstet war, so fühlte ich doch ein unbeschreibliches Vergnügen bei dem Gedanken, daß das Mädchen meiner Träume nicht allzu reichen oder hohen Standes war und ich mich nicht vor mir selber über die Wünsche, die in meinem Herzen zu keimen begannen, zu schämen brauchte.

Ich empfand ein großes Vergnügen, daß ich sie so nahe bei mir wußte, denn ich hatte schon gefürchtet, daß ich sie bis morgen verlieren würde. Ich brannte vor Begierde zu erfahren, was sie zu meinem Oheim geführt hatte und was sie in's Hospital führen mochte. Für den Augenblick aber fesselte mich das Verlangen, sie wieder herauskommen zu sehen; und ich legte mich in's Fenster und wartete, bis die Nacht gekommen war, da verlor ich die Hoffnung, sie heute noch zu sehen, und stieg eilig zu meinem Oheim Tom hinauf.

Er hatte bereits seine Lampe angezündet und ich fand ihn, wie er mit der größten Aufmerksamkeit eine Phiole mit bläulicher Flüssigkeit gegen das Licht beschauete. Guten Abend, Julius, sagte er, ohne sich stören zu lassen, setz dich, ich bin im Augenblicke fertig.

Ich setzte mich, voller Ungeduld, meinen Oheim zu fragen, und betrachtete die Bibliothek, die mir ein ganz andres Ansehen bekommen hatte. Mit höchster Achtung schaute ich auf die ehrwürdigen Bücher, die Geschwister jenes, welches ich unter ihrem Arme gesehen hatte, und die Gegenstände, die ich sah, die Luft, die ich athmete, erschienen mir anders, als ob der Besuch des Mädchens an diesem Orte Spuren ihrer Anwesenheit zurückgelassen hätte.

So! sagte mein Oheim; nun, Julius, du weißt nicht...

Nein, Oheim!...

Dank einem Mädchen, das hierher kam... Bei diesen Worten ging er zu seinem Tische, indeß ich mein Herz vor Erwartung klopfen hörte; jetzt kam er zurück:

Rathe... sagte er, als wolle er sich an meiner Ueberraschung weiden.

Ich war unfähig irgend etwas zu rathen.

Sie hat mit Ihnen von mir gesprochen? sagte ich mit steigenden: Spannung.

Viel Besseres, versetzte der Oheim mit schlauer Miene.

Sagen Sie, o sagen Sie, Oheim, ich bitte.

Da, schau, meinen Burlamaqui habe ich wiedergefunden!

Ich fiel vom Himmel auf die Erde und sprach im Herzen Verwünschungen gegen Burlamaqui aus, den ich's aus Ehrfurcht statt meines Onkels entgelten ließ.

Ich suchte ein Buch für sie, fuhr mein Oheim Tom fort, und da habe ich Dir dies wieder gefunden, das ich schon verloren gegeben.

Ein liebenswürdiges Kind, fuhr er fort, und ist meiner Treu mehr werth als ein Dutzend von Deinen Professoren.

Der Meinung war ich denn allerdings auch und diese Aeußerung meines Oheims Tom söhnte mich wieder etwas mit ihm aus.

Sie liest Hebräisch wie ein Engel!

Jetzt war es wieder mit mir vorbei! Sie liest Hebräisch? Aber, Onkel... Dieser Gedanke war mir unerträglich.

Es hat mir ein ausgezeichnetes Vergnügen gemacht, sie den Psalm 48 in der Ausgabe von Buxtorf lesen zu lassen; ich hab' ihr auseinandergesetzt, indem ich die Varianten mit der Ausgabe von Crösius verglich, wie sehr der Buxtorf'sche Text vorzuziehen ist.

Das haben Sie ihr in der That gesagt? ihr?

Nun, das ist doch natürlich, denn ich sprach ja mit ihr.

Sie war hier, vor Ihnen, und Sie konnten ihr so etwas sagen!

Ei ja doch; übrigens konnte ich das, was ich ihr sagte, schwerlich einer Andern, als einer Jüdin sagen.

Sie ist eine Jüdin!

Ist es Anderen auch so gegangen, wie mir? Jüdin! schön und Jüdin! Ich fand sie darum gleich zehnmal schöner und liebte sie darum zehnmal mehr.

Es ist wol nicht ganz christlich, indeß muß ich versichern, daß es dennoch so war und daß der Reiz, den ich bereits an ihr gefunden, frischer wurde, lebendiger, als wären dieselben Gegenstände, welche ich an ihr geliebt hatte, auf einmal ganz anders und neu geworden.

Ich weiß ferner, daß ich in diesem Punkte gar übel dachte und daß der schwächste Logiker mich fader Thorheit hätte zeihen können, wie viel mehr mein Oheim Tom; d'rum sagte ich ihm nichts davon, denn ich hatte ein größeres Vertrauen zu meinem Irrthum als zu seiner Logik.

Indeß war der Eindruck, so wie ich ihn beschrieben. Uebrigens... liebt man seine Schwester mit Liebe? Nein. Seine Landsmännin? Weit eher. Eine Fremde? Noch viel mehr. Und nun erst eine schöne Jüdin! Und vielleicht ist sie eine Verlassene, in den Augen der Welt übel angesehen: das war in meinen Augen ein Vorzug, als ob sie mir dadurch näher gebracht würde.

Sie will also Hebräisch treiben? fragte ich meinen Oheim Tom.

Nein, obgleich ich mein Möglichstes that, sie dazu zu bewegen. Es ist wegen eines armen Greises, der im Sterben liegt, sie wollte eine hebräische Bibel von mir leihen, um ihm einige erbauliche Sachen vorlesen zu können.

Sie kommt also nicht wieder?

Morgen um zehn Uhr wird sie mir das Buch zurückbringen.

Und mein Oheim hub auf's neue an, seine Phiole zu untersuchen, indeß ich immer mehr in Gedanken versank. Morgen, hier in diesem Zimmer! sagte ich zu mir; so nahe bei mir, und ich bin ihr nichts! nicht einmal so viel, als mein Oheim Tom und seine Phiole. Traurig stieg ich in mein Zimmer hinab.

Ich war sehr überrascht, als ich mein Zimmer von einem matten Scheine erhellt fand. Ich bemerkte, daßes der Schimmer eines Lichtes war, welches gegenüber in dem Saale des Hospitals, der gewöhnlich zu dieser Stunde finster war, brannte, und stieg auf einen Stuhl, von dem ich zuerst einen Schatten, der gegen die Rückwand des Zimmers fiel, entdeckte. Meine Neugierde wurde dadurch lebhaft angeregt, ich erhob mich zwischen Stuhl und Fenster, und konnte nun tief genug sehen, um an derselben Wand einen Frauenhut zu erblicken. Sie ist's! rief ich aus, den Stuhl auf den Tisch setzend, Grotius und Pufendorf unter den Stuhl und mich oben darauf, das war das Werk eines Augenblicks. Ichhielt den Athem an, um das Schauspiel, welches sich meinen Blicken darbot, besser zu genießen.

Zu Häupten eines bleichen, leidenden Greises sah ich sie fromm und andächtig sitzen, von allem Glanze verschönt, den ihre Jugend und Frische in dieser Umgebung von Krankheit und Alter erhielt; ihre schönen Wimpern neigten sich gegen das Buch meines Oheims, aus dem sie Worte des Trostes las. Zuweilen hielt sie ein, um dem Kranken Ruhe zu gönnen, dann rückte sie ihm die Kissen zurecht oder faßte theilnehmend seine Hand und sah ihn mit einem Mitleid an, welches mir himmlisch schien.

Glücklicher Sterbende! sagte ich, wie süß müssen ihm ihre Worte sein, wie beseligend ihre Sorgfalt!... O! könnte ich meine Jugend und Gesundheit gegen Dein Alter und Deine Gebrechen eintauschen!...

Ich weiß nicht, ob ich diese Betrachtungen mit lauter Stimme anstellte, oder ob es blos Zufall war – in diesem Augenblicke hielt das Mädchen ein, erhob das Haupt und blickte starr zu mir herüber. Ich wurde verwirrt, als hätte sie mich in der Dunkelheit, worin ich mich befand, sehen können, ich machte eine Bewegung nach rückwärts, ich fiel und mit mir stürzten Stuhl, Tisch, Grotius und Pufendorf.

Der Lärm war groß, einen Augenblick war ich betäubt von dem Falle. Eben als ich mich erhob, erschien mein Oheim Tom mit einem Lichte in der Hand.

Was gibt's, Julius? fragte er mich erschreckt.

Nichts, Onkel... ich... da oben an der Decke... (Mein Oheim kehrte den Blick nach der Decke.) Ich wollte aufhängen... (Der Onkel kehrte die Augen ringsumher, um zu sehen, was es denn aufzuhängen gäbe)... und da, als ich... da bin ich gefallen... und da... bin ich hingefallen...

Erhole dich, erhole dich, mein Sohn, sagte der Oheim Tom mit gütigem Tone. Der Fall hat wahrscheinlich deine Gehirnnerven angegriffen, darum ist deine Rede so unzusammenhängend. Er hieß mich sitzen, beeilte sich daneben die beiden Folianten aufzuheben, deren eingedrückte Ecken ihn ohne Zweifel weit mehr ergriffen, als die Unterredung mit der schönen Jüdin. Er legte sie behutsam wieder auf den Tisch und kam dann zu mirzurück: Und du wolltest etwas aufhängen? sprach er und faßte meine Hand in der Weise, daß er seinen Finger verstohlen auf meinen Puls bringen konnte.

Die Frage kam mir sehr ungelegen, denn in Wahrheit gab es in dem ganzen Zimmer auch nicht eine Spur von etwas, was aufzuhängen gewesen wäre. Da ich nun außerdem die nachsichtige Milde meines guten Oheims kannte, so wollte ich ihm alles erzählen bis auf diesen Augenblick, aber ich ließ es sein.

Ich ließ es sein; denn für das, was in meinem Herzen lebte, war Nachsicht schon nicht mehr ausreichend. Ich hätte Theilnahme verlangt und mein Oheim hätte mir keine gewähren können, als für seine abstrakten, wissenschaftlichen Ideen; dies erzeugte ein Widerstreben in mir, ihm mein Herz zu öffnen, ich fürchtete ein Gefühl zu entheiligen, das ich so sehr nach meiner Weise mir zu erhalten strebte.

Ja, ich wollte aufhängen... Ach! mein Gott! schon!

Was gibt's?

Ach! Oheim, es ist vorbei!

Was?

In diesem Augenblicke erlosch das Licht in dem Zimmer des Sterbenden und mit ihm meine ganze Hoffnung.

Meinem Oheim dagegen erschien bei diesem Ausbruche der Fall höchst bedenklich, er veranlaßte mich zu Bette zu gehen und prüfte mich daselbst mit der größtenAufmerksamkeit, indeß ich an das Mädchen dachte, deren Anblick mich entzückt hatte.

Mein Oheim Tom war weit entfernt, die Ursache meines Uebels zu ahnen. Indeß, nachdem er mich anatomisch untersucht und betastet hatte, kam er mit einer Sicherheit, die seiner Wissenschaft Ehre machte, zu der Ueberzeugung, daß meine Knochen im vollständigen Zustande sich befänden. Aller Unruhe über diesen Punkt entledigt, untersuchte er jetzt den Athem, den Umlauf des Blutes und alle Lebensthätigkeiten; darauf ging er zu ganz und gar äußerlichen Anzeichen über und schien endlich seine Wißbegierde befriedigt zu haben, denn er verließ mich mit der Miene eines Menschen, der irgend einen Gedanken zum Ueberlegen im Kopfe trägt.

Es war etwa Mitternacht. Ich blieb allein mit meinen Gedanken, in die ich mich ganz und gar verlor, als das Rollen der Leiter mich aufweckte, und bald darauf schlief ich ein.

Mein Schlaf war sehr unruhig. Tausend Bilder ohne Zusammenhang mit dem Gegenstande meiner Gedanken kreuzten sich, jagten sich vor meinem Blicke; es war weder Schlummer noch Wachen und noch weniger Ruhe. Endlich folgte auf diese Aufregung eine Erschöpfung und meine für einige Augenblicke unterbrochenen Träume kehrten wieder und nahmen eine andere Gestalt an.

Ich träumte, daß ich in einem einsamen Holze ging, leidend aber ruhig, meine Seele von, ich weiß nicht welchem, mich mit unbekanntem Entzücken erfüllenden Gefühle durchdrungen. Anfangs war niemand in meiner Nähe und nichts, was mich an die Wirklichkeit des Lebens hätte erinnern können. Ich war es wol, aber mit Schönheit, Anmuth und allen Vortheilen ausgestattet, die ich im wachen Zustande begehrte.

Ich fühlte mich ermüdet und setzte mich an einemeinsamen Plätzchen nieder. Es kam eine Gestalt auf mich zu, die ich nicht kannte, deren Züge aber von dem Ausdruck schwermüthiger Güte belebt waren; ganz unmerklich nahm dieselbe ein mir bekannteres Aussehen an... und endlich war es meine geliebte Jüdin. Auch sie war ganz so begabt, als ich wünschte, und schien ein Gefallen daran zu finden, mich zu betrachten, und obgleich sie nichts sprach, hatte ihr Blick doch eine Sprache, die mich tief im Herzen auf's angenehmste berührte. Ich sah ihr schönes Haupt sich auf meine Stirn neigen, ich fühlte ihren süßen Odem und endlich fand ich ihre Hand in der meinigen. Eine steigende Bewegung durchzuckte mich, mein Traum verlor mehr und mehr seine Ruhe, die Bilder verschwammen durcheinander und wurden ungewiß, und von Antlitz zu Antlitz sah ich zuletzt nichts mehr, als das meines Oheims Tom, der meine Hand gefaßt hatte, um den Puls zu fühlen, und dessen Antlitz auf das meinige herabgebeugt war und mich durch seine Brille betrachtete.

Ja! das Angesicht meines Oheims Tom kam mir in diesem Augenblicke sehr widerwärtig vor! Ich liebe ihn, ich liebe ihn von ganzem Herzen, meinen Oheim Tom; aber von dem süßesten Gegenstande auf's Gesicht seines Onkels gerathen, von den reizendsten Träumen des Herzens zur kalten Wirklichkeit! So viel ist nicht einmal nothwendig, um Leben und Oheim verhaßt zu machen.

Beruhige dich, Julius, sprach er, ich bin deinem Uebel auf der Spur. Und damit fuhr er fort mich zu beobachten und blätterte dabei in einem alten Quartanten, wie um dem Ausspruche des Verfassers gemäß das Mittel nach den Anzeichen einzurichten.

O! ich befinde mich nicht schlecht! Sie täuschen sich, Oheim! Das einzige Uebel ist nur, daß ich aufgeweckt bin. Ach! ich war so glücklich!

Du befandest dich wohl, du befandest Dich ruhig, glücklich?

Ach! ich befand mich im Himmel, warum haben Sie mich aufgeweckt?

Hier belebte eine sichtbare Freude, von einem Schimmer von Stolz und gelehrter Genugthuung untermischt, das Antlitz meines Oheims Tom und ich glaubte ihn sagen zu hören: Schön! das Mittel wirkt.

Was haben Sie denn mit mir angefangen? fragte ich.

Du sollst es erfahren. Sieh, hier habe ich Deinen Fall im Hippokrates, Seite 64 der haager Ausgabe. Jetzt für den Augenblick bedarf es vor allem der Ruhe.

Aber, Onkel...

Was?

Ich wußte nicht, wie ich's anfangen sollte, um meinen Oheim darauf zu bringen, daß er mir von der jungen Jüdin erzähle, ohne ihm meine Gefühle für dieselbe merken zu lassen. Und doch hätte ich ihn so gern darauf gebracht.

Nicht wahr, morgen, sagten Sie?... Und ich schwieg.

Morgen?

Sie kommt zu uns.

Wer?

Ich fürchtete schon zu viel gesagt zu haben.

Das Fieber...

Das Fieber?...

So waren denn meine Fragen und Antworten für ihn im höchsten Grade unzusammenhängend und ich vernahm, daß er das Wort: Fieberphantasien flüsterte. Hierauf ging er fort. Gleich darauf rollte die Leiter; ich zitterte. Aber das war alles, was mir in der Lage, aus welcher ich gekommen, wieder vortheilhaft sein konnte. Ich machte unglaubliche Anstrengungen, um meinen Schlummer und den Traum wieder zu gewinnen. Umsonst. Ich konnte nicht einmal die Wirklichkeit, welche mich früher befriedigt hatte, wieder erhaschen: der Traum hatte sie verwischt, ohne daß ich sie wieder herstellen konnte; alles war leer und wüst. Nur erst als meineGedanken sich auf den nächsten Morgen richteten, konnte ich das Bildniß meiner Jüdin, wie sie vor meinen Träumen war, wiederfinden. Ich stellte mir ihre Ankunft bei meinem Oheim in tausenderlei Weise vor und bildete die unsinnigsten Pläne, wie ich sie sehen, mit ihr reden, mich mit ihr bekannt machen könne.

Meinen Oheim entfernen... selber sie empfangen... mit Ihr sprechen... Aber was sollte ich ihr sagen? Zu wissen, was ich ihr sagen solle, war die erste Bedingung, um meinen Plan möglich zu machen; ich war darüber in großer Verlegenheit, denn zum erstenmale sollte ich von Liebe sprechen. Ich hatte als Vorbilder nichts als ein Paar Romane, welche ich gelesen hatte und in denen man mir so vortrefflich zu reden schien, daß ich daran verzweifelte, zu solcher Vollkommenheit zu gelangen.

O! wenn ich ihr nur den Zustand meines Herzens schildern könnte! rief ich aus. Ich glaube, jedes Mädchen würde die Gefühle, die ich für sie hege, entgegennehmen. Und ich sprang aus dem Bett, um zu versuchen, was ich ihr wol zu sagen vermöchte.

Das Licht wurde angezündet und mir gegenüber stellte ich einen Stuhl, und wandte mich an denselben. Ich sammelte mich einen Augenblick und hub dann folgendermaßen an:

Mein Fräulein!

Mein Fräulein? Das Wort gefiel mir nicht; ein andres? Ich konnte keins finden. Ihr Name? ich kannte ihn nicht. Ich dachte, wenn ich suchte... Ich suchte viel und lange. Nichts fiel mir ein, als »mein Fräulein.« Also gleich beim Anfange blieb ich stecken.

Aber ist sie denn ein Fräulein? Ist sie für mich ein Fräulein, wie die erste beste? Mein Fräulein! Unmöglich!Da müßte ich ja gleich hinterher den Hut ziehen und sagen: ich habe die Ehre u. s. w. Ich setzte mich höchst unzufrieden nieder.

Wol zehnmal begann ich, ohne etwas andres zu finden. Endlich beschloß ich dieser Schwierigkeit zu trotzen und dies Wort auszulassen, ich hob also mit leidenschaftlichem Tone an:

Sie sehen den vor sich, der nur für Sie leben, nur Sie lieben will.... Und von dieser Stunde.... schwöre ich Ihnen mit Herz und....

Ach! mein Himmel, das wird ja ein Vers! Ich bemerkte, daß ich auf einen schlechten Reim losrannte. Voll Verzweiflung setzte ich mich wieder.

Wie schwer ist es doch, seine Gefühle auszudrücken! dachte ich voll Bitterkeit. Was wird mir geschehen? Sie wird lachen... oder gar über meine Tölpelei mitleidig die Achseln zucken und ich bin verloren! Dieser Gedanke war mir entsetzlich und ich verzichtete bereits auf meinen Plan.

Indeß schwellten tausend Gefühle mein Herz, alssuchten sie einen Ausweg, und ohne daß ich es wollte, kreuzten in meinem Kopfe eine Masse von Redensarten, Betheuerungen, leidenschaftlichen Anreden, unter deren erdrückender Last ich erlag.

Um mir Erleichterung zu verschaffen, erhob ich mich und ging im Zimmer umher. Mir entschlüpften einzelne Worte, abgebrochene Redensarten:

.... Sie wissen nicht, wer ich bin, und doch erhält mich bereits nichts mehr am Leben als Sie oder Ihr Bild... Weswegen bin ich hier? Ich habe Sie sehen wollen... Ich habe auf die Gefahr hin, Ihnen zu misfallen, Sie wollen erkennen lassen, daß es einen Jüngling gibt, dessen einziger Gedanke Sie sind... Weshalb bin ich hier? Um meine Liebe, mein Geschick, mein Leben zu Ihren Füßen zu legen. Jüdin? Was thut's! Jüdin, ich werde Sie anbeten; Jüdin, ich werde Ihnen allenthalben hin folgen! O meine theure Jüdin, werden Sie irgendwo sonst jemand finden, der Sie liebt, wie ich?... Werden Sie die Zärtlichkeit, die Ergebenheit, das Glück finden, welches mein Herz für Sie bewahrt? Ach! könnten Sie nur die Hälfte von dem, was ich empfinde, theilen, Sie würden den Tag segnen, wo Sie mich zu Ihren Füßen sahen, und noch heute würden Sie mir die Hoffnung lassen, daß ich nicht umsonst zu Ihnen geredet habe...

Erleichtert hielt ich ein; ich hatte in diese Worte einen Theil der Gefühle gehaucht, welche meine Seele durchflutheten, und in dem Feuer, womit ich meine Rede begleitete, glaubte ich das Mädchen zu sehen, wie sie erröthete, von Rührung ergriffen wurde, und wie meine Worte ihr zu Herzen drangen. Ich legte die Hand auf das meinige und fuhr fort: Ach! nein, aus Mitleid gegen einen Unglücklichen verstoßen Sie mich nicht, Sie würden mich in einen Abgrund stürzen! für mich ist Leben, wo Sie sind!... Ha!... Hol ihn der Geier! O mein Onkel! mein Onkel!

Alles war verloren, ohne Rettung verloren und ich war im Begriff, bittere Thränen zu vergießen. Die Leidenschaft hatte mir in meinen eigenen Augen höhern Adel verliehen, auf einige Augenblicke war das Mistrauen in mich selber, jener Widerwille, jene Furcht, welche mir stets die Hoffnung vergifteten, verschwunden. Ich fühlte mich als ein Ebenbürtiger vor meiner Gottheit, und indem ich die Worte aussprach, führte ich meine Hand zum Herzen, welches ich bis auf die Haut brennen fühlte, da... Nein! Ich hätte keinen größern Ekel empfinden können, wenn ich die Hand auf eine kalte Natter, auf eine feuchte Kröte gelegt hätte, ein Zugpflaster lag auf meiner Brust – ich riß das Scheusal weg und schleuderte es von mir.

In diesem Augenblicke trat mein Oheim Tom in's Zimmer, ruhig wie eine Windstille, eine Phiole in der Hand und sein Buch unter dem Arme. Verwünscht sei Ihr Hippokrates! rief ich ihm heftig entgegen, verwünscht Ihre alten Scharteken und alle die... Was haben Sie gemacht? Sagen Sie, Oheim, was haben Sie gemacht?... Zweimal die süßesten Augenblicke meines Lebens vergiftet und was haben Sie da noch? Wollen Sie mich vergiften?

Ueber diese Anrede hatte sich mein Oheim Tom keineswegs entrüstet, vielmehr setzte er die Kette seiner Folgerungen da fort, wo er stehen geblieben war, undin der Meinung bekräftigt, daß der Paroxismus fortwähre, hatte er die Haltung eines scharfen, aufmerksamen Beobachters angenommen; ohne sich im geringsten um den Sinn meiner Worte zu kümmern, forschte er scharfsinnig an meinen Geberden, an der Heftigkeit meiner Stimme, an dem Feuer meines Blicks nach der Beschaffenheit und dem Fortgang meines Uebels, und merkte sich genau alle Anzeichen bis auf die allerkleinsten, um ihnen sogleich zu begegnen.

Er hat das Zugpflaster abgerissen, sagte er ganz leise. Julius!

Was?

Leg' dich hin, mein Lieber; leg' dich, Julius, thue mir den Gefallen. Ich überlegte mir die Sache und hielt es für das Gerathenste, mich hinzulegen, da ich meinen Oheim unmöglich von dem Gedanken abbringen konnte, ich sei närrisch, vorausgesetzt, daß ich ihm mein Geheimniß nicht offenbarte, was in diesem Augenblicke alle meine Pläne vernichtet hätte, ohne daß ihm damit mein gesunder Verstand bewiesen wäre.

Und hier bringe ich ein Tränklein für dich, trink', mein Söhnchen, trink.

Ich nahm die Phiole und indem ich that, als tränke ich, ließ ich den Inhalt zwischen Bett und Mauer niederfließen. Mein Oheim umband mir den Kopf mit einem Tuche, deckte mich bis über die Ohren zu, schloß die Vorhänge und Fensterläden und zog seine Uhr hervor. Es ist drei Uhr, sprach er, er muß bis zehn Uhr schlafen, um zehn Uhr weniger zwanzig Minuten wird es Zeit sein, wieder herabzukommen. Und er verließ mich.

Von Müdigkeit erschöpft, schlief ich einige Augenblicke, allein bald trieb mich meine Aufregung wieder aus dem Bette und ich beschäftigte mich mit Vorbereitungen zu meinem Plane. Ich machte eine Puppe, die mir so ähnlich als möglich sah, band ihr das Tuch meines Onkels um den Kopf und bedeckte sie über und über. Dann schloß ich die Vorhänge, fest überzeugt, daß meinOnkel sie auf das Ansehen des Hippokrates hin nicht vor zehn Uhr öffnen werde, und stellte mich an's Fenster.

Schon gingen einzelne Milchmädchen vorüber; man machte die Fenster auf und die Schwalben waren in voller Thätigkeit. Der Anbruch des Lichts, die Frische des Morgens, der Anblick der gewohnten Gegenstände gaben mir wieder größere Ruhe und zeigten mir mein Unternehmen in einem weit ungünstigeren Lichte; ich schwankte fast. Allein als die Eindrücke meines Traumes mir wieder in's Gedächtniß kamen, da schien es mir, daß auf diesen Plan verzichten, auf alles unwiderbringlich verzichten hieße, was es Herrlichstes inder Welt gebe. Und ich fand meinen ganzen Muth wieder.

Indeß verstrich die Zeit. Ich hatte eben meine Uhr angesehen, als die Stuhlrollen sich hören ließen. Es war neun und drei viertel Uhr. Ich ging rasch davon und ließ meinen Onkel zu dem Puppenmännchen gehen, indeß ich mich leise in die öde Bibliothek begab.

Mit großer Behutsamkeit trat ich hinein und eilte zum Fenster. Als ich so aufrecht hinter den Scheiben stand, die Augen auf die Ecke der Straße gerichtet, von woher sie kommen mußte, fing ich an vor Erwartung und Beklommenheit zu zittern. Um das Unglück voll zu machen, bemerkte ich, daß meine wohlgesetzte Anrede mir aus dem Sinne entschwand und indem ich die einzelnen Stellen daraus festhalten wollte, verfiel ich in so sonderbare Aufregung, daß ich vor Bewegung fast erstickte. Ich sah mich verloren und meine Furcht wurde so heftig, daß ich zu pfeifen anfing, um mich selbst zu übertäuben. In diesem Augenblick schlug die Uhr zehn; ich hegte die Hoffnung, daß, wenn es einmal zehn geschlagen habe, sie heute nicht kommen würde, und zählte die Stundenschläge, deren jeder eine Ewigkeit auf sich warten ließ. Endlich ertönte der zehnte Schlag und ich empfand eine große Erleichterung.

Schon fing ich an, mich zu erholen, als ein blaues Gewand sichtbar wurde. Sie war es!.... Mein Herzpochte, meine Anrede flog davon. Ich hatte keine andere Empfindung, als den allersehnlichsten Wunsch, sie möchte in irgend einer andern Absicht ausgegangen sein, und erwartete mit unaussprechlicher Angst, ob sie vor unserm Hause vorbeigehen oder hineintreten würde. Indem ich so die leichtesten Schwenkungen ihres Ganges beobachtete, zog ich daraus allerlei Folgerungen, die mich abwechselnd mit Freude und Furcht erfüllten, und das Einzige, was mich etwas beruhigte, war, daß sie auf der andern Seite des Baches ging.

Sie schritt über denselben! Und weil die Fensterscheiben mich hinderten den Kopf vorzubeugen, so verlor ich sie aus dem Gesichte. Alsbald sah ich sie auch in meiner Vorstellung in die Bibliothek treten und alle Geistesgegenwart wich von mir. Ich eilte gegen die Thür, um zu entfliehen; allein indem ich durch das Vorzimmer kam, mahnte mich der Schall von ihren Schritten, welche in dem stillen Hofe widerhallten, daß ich ihr hier begegnen mußte. Ich blieb stehen. Sie war da... Beim Schall der Glocke wurden meine Augen trübe, ich schwankte, ich setzte mich hin und war fest entschlossen nicht zu öffnen.

In diesem Augenblicke kam die Katze meines Onkels von einer Dachluke herab auf die Fensterbank gesprungen. Bei diesem Geräusche durchschauerte mich kalter Schrecken, als ginge die Thür mit einem Schlage auf. Das Thier hatte mich erkannt, ich bemerkte mit entsetzlicher Angst, daß es miauen wollte: es miaute!....da glaubte ich ganz sicher, daß meine Anwesenheit verrathen sei, und ich fühlte, wie Röthe mir über's Gesicht flog. Ein zweiter Glockenzug vollendete meine Vernichtung.


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