Es war eine Madonna mit dem Jesuskindlein auf dem Arme. Ein goldener Heiligenschein umzog die keusche Stirn der Marie, ihr Haar fiel auf die Schultern herab und ein blaues Gewand mit weiten Aermelnließ in ihrer Haltung unschuldsvolle Anmuth und die zärtliche Besorgtheit einer jungen Mutter erblicken. Auf mich übte dies Gemälde, das ohne alle kunstreiche Erfindung war und den ausgeprägten Charakter eines Jahrhunderts des Glaubens, der Jugend und aufblühender Kunst trug, einen unwiderstehlichen Reiz. Die junge Madonna besaß meine Bewunderung, meine Liebe,meine Verehrung, und wenn ich hinauf zu meinem Oheim ging, so haftete mein erster und letzter Blick auf ihr.
Meinem Oheim aber schien das Alles mit dem Rechtsstudium gar nicht zusammenzupassen, er nahm das Gemälde herab und ließ es verschwinden.
Das Recht ging jedoch darum nicht besser; ich fand keinen Geschmack daran und als ich meine Jüdin verloren hatte, ließ ich von jeglicher Arbeit ab. Keinen Ehrgeiz fühlte ich mehr, keinen Hang zu irgend etwas, keine Zeichnungen, keine Bücher, ein einziges ausgenommen, das fast nimmer aus meinen Händen kam. Wochen, Monate verflossen so und mein armer Oheim bekümmerte sich sehr, allein er machte mir nicht den geringsten Vorwurf.
Eines Tages war ich zu ihm gegangen und setzte mich wie gewöhnlich neben seinen Schreibtisch. Er saß über seinen Büchern und beschäftigte sich, eine Belegstelle abzuschreiben. Ich bemerkte das Zittern seiner Hand, welches heute auffällig stark war; die schwankenden Buchstaben verriethen eine ungewöhnliche Unsicherheit. Diese zunehmenden Anzeichen des unmerklich sich steigernden Alters erweckten in mir eine Traurigkeit, welche meinem Gemüthe eigenthümlich zu werden begann und in Ermangelung andern Gegenstandes sich auf diese Wahrnehmungen richtete.
Und das hatte seinen Grund, denn der Oheim, welcher vor mir dasaß, war meine Vorsehung auf Erden, und so weit meine Erinnerung reichte, hatte ich keine andere Stütze als die seinige gehabt, keine väterliche Liebe als von ihm erfahren. Man hat dies bereits aus den bisherigen Erzählungen abnehmen können; wenn man aber bedenken will, daß ich diesem guten Oheime noch keine Seite widmete, um den Leser mit ihm bekannt zu machen, so wird man es entschuldigen, wenn ich mit freudiger Bereitwilligkeit jetzt von ihm rede.
Mein Oheim Tom ist unter den Gelehrten bekannt,allen denen zum Beispiel, die sich mit der griechischen Steinbildnerei oder der BulleUnigenitusbeschäftigen. Sein Name ist in den Verzeichnissen der öffentlichen Bibliotheken zu lesen, seine Werke findet man in besondern Fächern aufgestellt. Unsere Familie ist deutschen Ursprungs und ließ sich im verwichenen Jahrhunderte in Genf nieder. Gegen 1720 erblickte mein Oheim das Licht der Welt in dem alten Hause, welches am St. Petersbrunnen steht, einem alten Kloster, dessen einer Eckthurm noch zu sehen ist. Dies ist alles was ich von den Vorfahren meines Oheims und seinen ersten Lebensjahren weiß. Ich darf annehmen, daß er seine Schule durchmachte, die akademischen Grade erwarb und sich dem ehelosen Stande und den Wissenschaften widmete. Er ließ sich bald darauf in dem erwähnten Hause der französischen Stiftung nieder, gleichfalls ein altes Kloster, wo er die ganze Zeit seines langen Lebens verbrachte.
Mein Oheim lebte zwischen seinen Büchern, und da er keine Verbindungen in der Stadt unterhielt, so war sein Name wol manchem lebenden Gelehrten, besonders in Deutschland, bekannt, allein in seinem eigenen Stadtviertel fast gar nicht. Kein Geräusch in seiner Behausung, kein Wechsel in seinen Gewohnheiten, keine Aenderung in seiner alterthümlichen Tracht. Daher kam es, daß man, wie alles Eintönige und unwandelbar Gleichmäßige, als Häuser, Markzeichen, so auch ihn sah, ohne ihn zu bemerken. Zwei- oder dreimal wol redeten mich Vorübergehende an, und fragten, wer der Greiswäre; allein dies waren Fremde, welchen seine Haltung oder Tracht, die von der Anderer so wesentlich abstach, auffiel. »Es ist mein Oheim!« antwortete ich voll Stolz über ihre Neugierde.
Aus dieser Lebensweise, diesem Geschmacke entstanden auch gewisse geistige Gewohnheiten. Fremd wie mein Oheim, als Mann der Wissenschaft, der Welt war, schöpfte er in vollem Vertrauen auf seine Wissenschaft, seine Lehrsätze und Meinungen aus Büchern, wobei ihn nicht die verdächtige Unparteilichkeit eines Philosophen leitete, sondern ein ruhiger Geist, der den Leidenschaften und Triebfedern der Welt fremd war und weder Eile zum Beschließen noch Gründe zur Anhänglichkeit an eine Richtung hatte. Daher war er mit den gewagtesten Aufstellungen der Philosophie vertraut und hatte mit nicht minderer Genauigkeit in den spitzfindigsten Fragen der Theologie herumgearbeitet, ohne daß man so leicht herausbringen konnte, was denn eigentlich seine Ansicht war. Die Moral hatte er mit demselben wissenschaftlichen Geiste studirt, doch mehr um sie zu kennen als um einen Vergleich zur Anwendung darin zu ziehen. Darum war es eben so schwierig, die Grundsätze seiner Handlungsweise herauszufinden. In Betreff des Glaubens wie im Gebiete der Grundsätze erregte nichts sein Erstaunen, nichts seinen Eifer, und wenn seine Ueberzeugungen schwach waren, so war seine Duldsamkeit eine vollständige.
Dies Gemälde, das ich von meinem Oheim entwarf, wird ihm vielleicht die Liebe vieler Leser, wenn nichtgar ihre Achtung rauben. Es thut mir leid und dies um so mehr, als ich dieserhalb sich meine Freundschaft für sie verringern fühle. Ja, wenn es sich darum handelte, ob jene Art Skepticismus, die ich meinem Oheim beilege, an und für sich oder ihrer Richtung willen gut oder schlecht sei, so glaube ich, meine Ansicht würde mit jenem Theile der Leser zusammenpassen, allein ich sage mich von ihnen los, wenn sie sich um der Beschaffenheit einer Lehre willen für berechtigt halten, ihre Liebe und Achtung dem Manne, welcher ihr anhängt, zu entziehen, sobald dieser Mann gut und ehrenhaft ist.
Um aber gerecht zu sein, meine Leser sind zu entschuldigen. Ihre Ansicht entspringt aus achtbarer Quelle. In der That, der größte Theil der Menschen, ich meine diejenigen, welche ihrem Geschlechte Ehre machen, ist gewiß mehr als einmal in den Fall gekommen, an sich selbst zu erkennen, daß edle Triebe nicht ausreichen, um zum Guten zu führen, und wie oft sie unterliegen, wenn sie mit anderen minder edeln Trieben zu kämpfen haben. Deshalb sind in ihren Augen Grundsätze und Glaubensgesetze nothwendig als mächtige Hilfsleiter und allein vermögend, dem Guten den Sieg zu sichern, und deshalb sind sie gegen diejenigen mistrauisch, bei denen sie diese Bürgschaften nicht zu bemerken glauben.
Eben in dieser Meinung, die ich durchaus theile, finde ich die Erklärung und gewissermaßen den Schlüssel des Charakters meines Oheims und der scheinbaren Widersprüche, welche auf den ersten Blick zwischen seinenAnsichten und seinem Leben obwalteten. Dieser Mann war von einer so guten, ehrenhaften, wohlwollenden Gemüthsart, daß er vielleicht niemals gleich den Lesern, von denen ich redete, in die Lage gekommen ist, das Bedürfniß von Hilfsmitteln, die ihn zum Guten ermunterten, und noch weniger die ihn vom Schlechten abhielten, zu empfinden. Ein natürliches richtiges Gefühl bewahrte ihn vor allen Ausschweifungen, eine angeborne Schüchternheit und sein zurückgezogenes Leben hatten ihn in altväterlicher Einfachheit erhalten, während sein eher menschlich als empfindsam, eher edelmüthig als warm zu nennendes Herz, welches wenig von Enttäuschung und Mistrauen heimgesucht war, eine gewisse jugendliche Frische behalten hatte, die sich in allen seinen Gefühlen und Handlungen äußerte. Und dabei, was einzutreten pflegt, wenn die Tugenden keine Anstrengung kosteten, weder Stolz noch Härte, sondern echte Bescheidenheit, reine Güte und ein gewisser Zauber von Unschuld erhöheten alle liebenswürdigen Eigenschaften dieses vortrefflichen Greises.
Also trotz der mehr oder weniger sonderbaren und widersprechenden Ansichten, welche im Gemüthe meines Oheims wogen und neben einander bestehen oder unter sich im Kampfe begriffen sein mochten, trotz der moralischen oder Verhaltungs-Grundsätze, die folgerecht aus diesen Ansichten hervorgehen konnten, trugen alle seine Handlungen den Charakter der strengsten Ehrenhaftigkeit und wahrsten Güte. Wenn die Woche in den fleißigen Forschungen,die ihn ganz und gar beschäftigten, vergangen war, widmete er den Sonntag einer ehrbaren stillen Ruhe: Morgens besorgte ein alter Barbier, der einer Zeit mit ihm entsprossen, seinen Bart und ordnete seine Perrücke, dann that er einen kastanienbraunen Rock, neu, aber von altem Schnitt, an und begab sich in die Kirche seines Sprengels, auf den Rohrstab mit goldenem Knopfe gestützt und unter dem Arme einen Psalter, der sauber in genarbtes Leder gebunden und mit silbernem Schloß versehen war. Er setzte sich an seinen bestimmten Platz und hörte die Predigt mit gewissenhafter Aufmerksamkeit an, und sicherlich brachte keiner eine größere Bereitwilligkeit mit, die Ermahnungen auf sich anzuwenden. Seine unsichere Stimme ertönte beim Gesange und nachdem er seine reichliche, doch stets gleiche Gabe in den Opferstock gethan, kehrte er nach Hause zurück; wir aßen zusammen und der Abend ward den gemüthlichen Spaziergängen, wovon ich oben sprach, gewidmet.
Diese Züge, welche nur eine Lebensseite meines Oheims darstellen, genügen, um ein Bild von der ehrenhaften Einfachheit zu geben, die in allen Handlungen seines zurückgezogenen Lebens vorwaltete, obgleich sie keinen genügenden Maßstab von der eben so einfachen Güte seines Herzens geben; und ich fühle mich in Verlegenheit, dieselbe zu schildern, ohne ihren Reiz zu verwischen, ohne Gefahr zu laufen, das als Tugend hinzustellen, was bei ihm Natur, gewohnte Weise war.Soll ich erwähnen, daß er durch den Tod meiner ihm mancherlei Verpflichtungen hinterlassenden Eltern mein Beschützer geworden und geblieben war, ohne daß es ihm jemals in den Sinn kam, es nöthige ihn keine natürliche Pflicht, sein mäßiges Vermögen meinetwillen anzugreifen? Soll ich sagen, daß es ihm nie, auch nur einen Augenblick einfiel, daß ich kein Recht auf alle seine Opfer habe, ja daß er nicht einmal danach fragte, ob ich derselben würdig sei, seine Lehren befolge, oder seine Wohlthaten dankbar anerkenne? Doch in den Augen Vieler wird dies als eine sich von selbst verstehende Pflicht erscheinen und seine Güte zeigt sich am besten in seinen minder bedeutenden Handlungen.
Dies ist meine Meinung. Und darum bedauere ich, daß die alte Dienerin, die fünfunddreißig Jahre lang den kleinen Haushalt meines Oheims führte, nicht an meiner Statt die Feder führt. Besser bei Kräften als sie, fand er es weit einfacher, die Schwächen ihrer Wirthschaft selber zu verbessern als ihr eine Nebenbuhlerin zu geben, und statt darum übler Laune zu werden, ließ ihn seine natürliche Lebendigkeit die Alte mit lustigen, liebevollen Scherzworten necken. Allerdings, er zankte zuweilen mit ihr, aber nur weil sie nicht auf seine Vorschriften hörte, und indem er sie mit dem Hippokrates tyrannisirte, vertauschte der wackere Oheim gewissermaßen die Rollen und wurde ihr Diener. In den letzten Lebensmonaten dieser Frau räumte er ihr seinen lieben Lehnstuhl ein und machte jeden Tag eigenhändigdas Bett der alten Dienerin, wohin wir sie zusammen hinüberbrachten, um den bleichen Lippen noch ein Lächeln zu entlocken.
Eines Abends fühlte die arme Frau ungewöhnlich heftige Schmerzen; mein Oheim ließ sich auf's genaueste alle Symptome sagen, fragte sein Buch um Rath, ersann einen helfenden Trank und ging selbst um Mitternacht, um denselben unter seinen eigenen Augen von dem Apotheker bereiten zu lassen. Seine Abwesenheit dauerte etwas lange; Margarethe rief mich und theilte mir ihre Besorgniß mit. Schnell zog ich mich an und eilte auf dem nächsten Wege zum Apotheker. Mein Oheim war vor wenigen Augenblicken hier fortgegangen. Durch diese Versicherung beruhigt, nahm ich meinen Rückweg durch dieselbe Straße, die er gegangen sein mußte; es war die Altstädter Straße.
Ich hatte die Mitte der Straße, die sehr abschüssig ist, erreicht, da gewahrte ich in einiger Entfernung einen einzelnen Mann, den ich an seinen Bewegungen nicht sogleich für meinen Onkel erkannte. Er trug unter großer Anstrengung einen schweren Gegenstand, den er zwei Mal niedersetzte, wie um Athem zu holen, und als er am obern Ende der Straße angelangt war, stellte er seine Last in die Ecke eines Häuservorsprungs, wobei er mit dem Stocke versuchte, ob der Gegenstand nicht in die Straße zurückrollen könne.
Jetzt erkannte ich meinen Oheim, der sich sehr wunderte, mich zu erblicken. Ich erklärte ihm die Veranlassungmeines Nachgehens. – Ich, ich wäre schon zurück, antwortete er, wenn ich mich nicht an einen großen Stein tüchtig gestoßen hätte; und damit eilte er hinkend weiter.
Dieser Zug, glaube ich, zeichnet den edeln Mann. Alt, hinkend, trotz seiner Eile hatte er ganz allein den gewaltigen Stein an einen Ort getragen, wo er keinen Schaden mehr thun konnte, und diesen Umstand allein hatte er von seinem Begebnisse bereits vergessen.
Jetzt wird man eher begreifen, mit welcher Traurigkeit mich an jenem Tage das Zittern seiner Hand erfüllte. Ich brachte dies Zeichen mit anderen zusammen, welchen ich denselben Ursprung zuschrieb, seine mehr und mehr sich vermindernde Eßlust, die Abkürzung der Spaziergänge und Sonntags in der Kirche eine Erschöpfung, gegen die er nur mit sichtbarem Kraftaufwande ankämpfte.
Während ich mich diesen traurigen Gedanken hingab, fielen meine Augen mit einem Male auf die Madonna... sie war wieder an ihren Platz gehängt. Ich fühlte mich überrascht, denn ich glaubte, mein Oheim hätte sie an einen schon lange danach gehenden Juden verkauft. Ich erhob mich unwillkürlich, um sie zu betrachten.
Diese Madonna, sagte in diesem Augenblicke mein Oheim...
Seine Stimme zitterte vor Bewegung.
Das Einzige, worin ich gewissermaßen mit meinem Oheim im Widerspruche stand, war – und man hat gesehen, wie – mein Hang zu den schönen Künsten. Nur der unendliche Werth, den er darein setzte, den einzigen Sprößling der Familie in eine ruhmreichewissenschaftliche Laufbahn treten zu sehen, hatte ihn einzig und allein zu jenen Kunstgriffen vermocht, die, wie unschuldig sie auch waren, seinem geraden Sinne, wie seiner Herzensgüte namenlos viel gekostet hatten. Gewiß, er hatte es sich als eine gewaltige Härte vorgeworfen, mir den Anblick der Madonna entzogen zu haben. Und das war genug, um seine reine, heitere Seele zu beunruhigen und mit Scham vor sich selber zu erfüllen.
Diese Madonna, hub mein Oheim auf's neue an, habe ich wegnehmen lassen, weil es.... Ich hätte sie sollen nicht wegnehmen... Ich schenke sie Dir. Du magst sie in Dein Zimmer bringen lassen.
Während dieser Worte hatte mein Oheim seine gewöhnliche Ruhe wiedergewonnen. Jetzt war es an mir, mich verwirrt und gerührt zu fühlen; denn diese bedauernden Worte und das sie begleitende edle Geschenk überfielen mich mitten in meiner Traurigkeit.
Aber dafür, fuhr er lächelnd fort, gibst Du mir meine Bücher wieder. Mein Grotius langweilt sich da unten... Mein Pufendorf schläft... Die Alte hat mir von Spinnen gesagt, die zwischen den beiden ihre Netze weben... Nun jeder hat seinen Hang... Das Recht bietet freilich eine ehrenhafte Laufbahn dar!... Doch was? die Kunst hat auch ihr Gutes... Man malt die schöne Natur, man stellt mannichfache Scenen dar, man macht sich einen Namen... Wird man auch nicht reich dabei, so kann man doch bescheiden davonleben... Sparsamkeit, etwas Beihülfe;... über lang oder kurz, wenn ich nicht mehr bin, mein bischen Habe...
Hier konnte ich meine Thränen nicht mehr zurückhalten; ich gab ihnen freien Lauf und überließ mich ganz der Betrübniß, welche diese Worte in mir hervorriefen.
Mein Oheim schwieg, er hatte die Veranlassung meiner Thränen misdeutet und versuchte anfänglich nicht, mich zu trösten. Jedoch nach einigem Schweigen trat er näher:
Ein so verständiges Mädchen! sagte er;... so schön!... Ein so junges Mädchen!
Nicht um sie weine ich, guter Oheim; aber Sie haben mir so betrübende Dinge gesagt!... Was soll aus mir werden, wenn Sie nicht mehr sind? Diese Worte rissen meinen Oheim aus seinem Irrthume und erleichterten sein Herz so sehr, daß er augenblicklich seine Heiterkeit wiederfand.
Ohe! mein armer Julius, darum weinst Du?...
Schön! schön! wenn's weiter nichts ist, mein Sohn, werde schon leben... Mit vierundachtzig Jahren versteht man die Kunst... und dann habe ich meinen Hippokrates... weine nicht, Kind. Es handelt sich jetzt um weiter nichts, als um die schönen Künste.... unddann um Dein Geschick. Das Alter, siehst Du, kommt bei Dir, wie bei mir... das Recht behagt Dir nicht?... nun, nach Deinem Gefallen. Also, wirf Dich auf die schönen Künste.... denn freilich, jeder muß sich in seinem Geschäfte gefallen. Du nimmst die Madonna; wir suchen für Dich eine Werkstätte. Hier magst Du beginnen, in Rom endigen; so wird's am besten sein. Ein bloßes Scheinleben zu führen, wäre ja doch am Ende das größte Uebel; hat man ein Ziel vor Augen, so arbeitet man, und erstrebt, und erreicht es, vermählt sich...
Ich unterbrach ihn: nimmer, mein Oheim!
Nimmer? gut; wie Du willst... Aber weshalb, Julius, willst Du den Hagestolz spielen?
Weil, sagte ich verlegen, weil ich mir selbst gelobt habe, seitdem...
Armes Mädchen!... So verständig!... Nun, folge Deinem Hange, Dein Wille gilt ja. Ich bin nicht daran gestorben. Die Hauptsache ist, daß Du Dir einen Stand wählest; wir wollen darüber sprechen.
Ich mußte mir alle Mühe geben, um über die Vertauschung des Rechts mit den schönen Künsten erfreut zu scheinen; allein mein Herz war von Traurigkeit und Dankbarkeit so erfüllt, daß kein andres Gefühl darin Platz fand. Nach Verlauf weniger Augenblicke zog ich mich zurück, nachdem ich meinen Oheim herzlich umarmt hatte.
Hierdurch erklärt sich meine zweite Bemerkung. Und jetzt, Leser, wirst du begreifen, da ich nun Künstler geworden und einer aus dem Volke geblieben war, daß mich ein zwiefaches Verlangen nach den Weingeländen zieht oder mich antreibt, eine Rolle mitzuspielen. Und noch ein anderer Grund kommt dazu: das Vergnügen, dieselben Orte zu besuchen, wo ich vordem mit meinem Oheim gegangen war. Selber an der langen Tafel sitzend, stelle ich mir ihn vor, wie er durch die umliegenden Büsche streift, stehen bleibt, um zu hören, um dies oder jenes zu beobachten, sein Lächeln umschwebt mich wie ein Zephyrhauch und die Erinnerung an ihn wird lebendiger.
Uebrigens gewähren diese Orte, abgesehen von der Kunst, welche dort reichliche Nahrung findet, die wahrsten und achtbarsten Vergnügungen unter denen, die man im Familienkreise hat. Die Sitte beherrscht und zügelt die Freude, wie Einfachheit den Reiz derselben erhöht. Welch unschuldige, süße Spannung gewährt nicht an den oft so unangenehmen Wochentagen die Hoffnung auf die Augenblicke, wo man seine Familie mit der eines Freundes oder Nachbars vereint, um auf die Flur hinauszugehen, unter die reizenden Schatten der Buchen oder unter die Kastanienbäume auf die Berge! Wie strahlend erscheint nicht Sonntags die Sonne, wie glänzend das Blau des Himmels! Nach den frommen Pflichten, welche diesen Tag heiligen, gehen bei Zeiten, schon um Mittag, denn dieTageshitze scheint dem nicht schwer, dessen Schritt die Freude belebt, die Familien hinaus vor die Stadt und die fröhlichen Gesichter stehen im Einklange mit dem lebendigen Aussehen der Festkleider. Der Schritt der Eltern, der des Großvaters, wenn derselbe noch Theil an den Vergnügungen nimmt, regelt den Gang; nichts desto weniger scherzt man frei nach allen Seiten hin, und das junge Mädchen, welches den Jünglingen zu gefallen sucht, wie das ihr unvermeidlicher Trieb ist, fühlt sich vor dem bewachenden Auge der Mutter nicht durch falsche Zurückhaltung oder trauriges Sprödethun gefesselt. Gelächter, Spiele, neckische Munterkeit, eine frische Laune bringen die muthwillige Truppe durcheinander und beleben sie; die Eltern plaudern im Lärm dieser Lust, und hinter ihnen verjüngt selbst der Großvater sich am Gewühle dieser Freuden des ihm entgegengesetzten Alters.
Aber das sind nur erst die Vorspiele. Man kommt unter die Buchen: die Frische, die Ruhe, eine besetzte Tafel thut Allen wohl; die Speisen mögen sein wie sie wollen, Eßlust und Glück verleihen ihnen eine kostbare Würze. Selbst die verdrießlichen Uebelstände einer ländlichen Küche sind nur eine Veranlassung zur Fröhlichkeit, ein gefundenes Willkommen für die zum Scherz gestimmte Gesellschaft. Dem Großvater aber wird jede Rücksicht gezollt, man trifft die Anordnungen, wie sie ihm bequem sind, berücksichtigt, was ihn innerlich freuet, der Lärm wird seinetwegen gemildert, jeder Jüngling macht sicheine Ehre daraus, ihm Ehrerbietung zu zollen, und schätzt es sich zum Glücke, daß er so eine Gelegenheit findet, einen Anspruch auf die Nichte des Greises zu erlangen.
Und welch' entzückende Augenblicke folgen nicht jetzt! Die Gruppen zerstreuen sich, die weißen Gewänder glänzen hier und dort auf dem Rasen ringsum. Der Einfluß des Abends erweckt heitere Gespräche, eine größre Vertraulichkeit; auf die Ausgelassenheiten des Mahles folgt ein süßes Sichgehenlassen, und des herannahenden Tages Ende macht die Augenblicke kostbarer. Ich leugne es gar nicht, daß, während die Eltern an der Tafel sitzen bleiben, um fortzuplaudern, oder an einem ruhigen Plätzchen schlummern, nicht manch' zärtliches Wörtchen ausgetauscht ward; daß das Vergnügen, sich von den Uebrigen wegzustehlen, nicht lebhaft sei, daß Wonne und Verwirrung die Pulse nicht heftig pochen machen, daß endlich nicht auch mancher sich verrechnet hatte, wenn von der Buchenlaube das Zeichen der Wiedervereinigung und des Aufbruchs erschallt.
Wo wäre da etwas Uebles daran? Wie können junge Leute sich besser kennen, sich lieben lernen und zu Gatten erkiesen? Wahrlich, die plaudernden oder schlummernden Eltern haben Recht, daß sie nicht fürchten, was sie andrerseits nicht bemerken wollen; sie haben das Gefühl gegenseitiger Ehrbarkeit zum Bürgen, daß im Schoose der Familie sich alles rein gestaltet, daß sie in ihrer Vereinigung ein Heiligthum ist, aus dem jede Unlauterkeit verbannt ist.
So waren die Belustigungen unserer Eltern; Spuren davon sind allerdings noch da, aber sie verschwinden mehr und mehr in der allgemeinen Verschmelzung der Sitten, in der sie sich allzumal so die alte Derbheit wie die alte Gutmüthigkeit verlieren; in der sich die einfachen, durch Arbeit errungenen Freuden, die Annehmlichkeiten des Brudersinns und die heiligen Bande der Familie von Tag zu Tag gegen ein zunehmendes Wohlleben, das aber ohne Würze ist, austauschen.
Aber was zu allen Zeiten am meisten verheerend in die Einfachheit und Gemüthlichkeit der Vergnügungen fällt, das ist das Knötchen, das unbezähmbare Knötchen. Das Knötchen ist's, von dem die Reihen dieser liebenswürdigen, achtbaren Spaziergänger gelichtet werden, von ihm werden diese geräuschlosen und nicht kostspieligen Vergnügungen in Acht erklärt; das Knötchen stellt an seinen Mann die Anforderung, auf irgend einem öffentlichen Platze zu paradiren; es empfiehlt ihm Bart und Sporen, die nur in der Thüre eines Kaffeehauses oder auf dem Pflaster einer Straße von gutem Tone einen Werth haben; es ist's, das ihn Sonntags seine Straße, seinen Laden, seinen Vater selber und die Orte, wo derselbe weilt, meiden läßt; es läßt ihn Vergnügen an dem Rößlein finden, welches ihn in einem Stücklein Fiaker, das gelb wie eine alte Stiefelstulpe ist, hinschleppt bis zu einer räucherigen Kneipe; es ist's eben so sehrund gar noch mehr als das Vergnügen, das ihn aus der Gesellschaft der Seinigen scheucht und ihm jenen unehrbaren Ton, jene frechen Reden eingibt, worin er sich mit den Freunden seiner Wahl belustigt.
Ja, das Knötchen ist's, welches den Menschen regiert! Ist's nicht in dieser einen Gestalt, so ist's in einer andern, und zwar wird es stets heftiger, je besser die Verhältnisse des Menschen sich gestalten. Das Knötchen ist's, welches seine Vergnügungen verflacht, seinen Geist verdummt, sein Herz verdirbt. Wenn Leidenschaften oder die Wechselfälle des Lebens, wenn persönliches oder allgemeines Unglück seine Stimme nicht übertönen, so gebietet es unumschränkt über den Menschen wie über die Gesellschaft. Die Sitten, die Gebräuche, die Empfindungen des Einzelnen und Aller richten sich nach seinem Willen oder wechseln nach der geringsten seiner Launen. Dann trennen oder einen sich die Menschen, nicht wahren Unbills oder heiliger Sache willen, sondern um elende Vortheile, wegen des falschen Glanzes, worin sie strahlen, wegen des Flitterstaats, der ihr hohles Gemüth bedeckt. Dann sieht man sie Staub auf Ihresgleichen schütten, einzig und allein in dem glühenden Begehren, die ihnen Voranstehenden einzuholen; dann tritt die Gleichgiltigkeit an die Stelle des Brudersinns, ein neidisches Begehren an die des theilnehmenden Herzens und leben heißt nicht mehr lieben, sich freuen, sondern scheinen!
Und wenn Zeiten wie die unsrigen schon durch dieVerweichlichung des Wohllebens und die faden Schaubilder, die sie bieten, zur Erweiterung der Herrschaft des Knötchens geeignet sind, so sind sie es noch mehr durch die Lauheit der Gemüther, durch die Richtigkeit der Ueberzeugungen, durch jenen falschen Schimmer der Gleichheit, womit die Menschheit voll unsinnigem Begehren sich wohlgefällig brüstet. Wie viel Raum zu Wachsthum und maßloser Ausdehnung bieten nicht dem Knötchen jene Herzen dar, in denen keine Flamme lodert, kein Glaube wurzelt, keine Leidenschaft in den Tiefen rüttelt! Welch ungemeines Gebiet eröffnet ihm nicht das Prinzip der Gleichheit, so wie es ausgelegt und von denen gepredigt wird, die nicht daran glauben, noch daran halten; begierig aufgenommen von denen, die es nicht verstehen; angenommen nur als das Recht, die Pflicht, die Sucht, den Höherstehenden sich gleich zu stellen! Seht hin, wie sie sich alle in den Tummelplatz stürzen, wo, nichts destoweniger, obgleich man sich hat stoßen, erdrücken, verstümmeln lassen, die Einen immer an der Spitze stehen und die Anderen auf der untersten Stufe... Statt an ihrem Platze zu bleiben und denselben zu verbessern, verachten sie ihn voll Verdruß und Scham, daß sie denselben einnahmen, und brennen vor Ungeduld, einen andern einzunehmen, vor Begierde, auch sich zu brüsten. O ihr Einfältigen, Menschen ohne Herz, die an ihren dünnen, aber zahllosen Fäden die schmählichste aller Leidenschaften, die Eitelkeit, leitet!
Das Knötchen ist also, richtig erwogen, ein trauriger Rathgeber, ein erbärmlicher Herrscher; und wenn es auch nicht möglich ist, es mit der Wurzel auszureißen, so ist es wenigstens die Pflicht eines vernünftigen Menschen, es stets zurückzudrängen, und wo er einen Sproß desselben aufschießen sieht, ihm entgegenzuwirken.
Seit zwanzig Jahren habe ich dies ernstlich betrieben und glaube, daß ich manche Keime erstickt, manche Sprößlinge des Knötchens unterdrückt habe; aber kann ich behaupten, daß ich mein Knötchen vertilgt habe? das wäre eine Lüge. Ich fühle sein Dasein; obgleich es nicht mehr so gefräßig ist, so hat es doch noch eine beträchtliche Dicke, und ist bei der geringsten Veranlassung bereit, üppige Sprossen zu treiben und alle guten Keime zu ersticken, denen ich auf seine Unkosten ein Plätzchen angewiesen habe. Sonderbar! Ueber gewisse Grenzen hinaus schlägt unsre Kraft wider uns selbst zurück; will man das Knötchen ausrotten, so verleiht man einem andern Knötchen daneben das beste Gedeihen. Und man sagt: Ich kann mir schmeicheln, daß ich keine Eitelkeit besitze; aber das ist schon an und für sich eine Eitelkeit. Drum habe ich, weil ich das Ganze nicht vermochte, das Nothwendigste gethan. Ich habe ihm meine Gemälde, meine Bücher zum Spielplatze eingeräumt, doch dabei ihm jegliche Vorrede untersagt, obgleich es mir jedes Mal dazu rieth; aber es gibt noch weit wichtigere Dinge, die ich vor seiner Berührung in Sicherheit gebracht habe.
Und so nun sind meine Freundschaften. Ich will, daß daran gar nichts Bemerkenswerthes sei. Ich will, daß das Band derselben frei bleibe, aber stark; ich will, daß die Quelle derselben tief, stets frisch und rein sei, geschützt vor dem Zephyr und geschirmt vor dem Unwetter; es möge nicht der wilde Bach sein, der sich über jegliche Klippe stürzt, um jeden Vorsprung spaltet, und dessen bald erhitzte, bald kalte Welle jegliche Blume tränkt, sich mit jedem Dufte schwängert, nach der Farbe des Himmels oder mit dem Rande seines Bettes das Aussehen ändert. Ich will in meinem Freunde seine Zuneigung zu mir lieben, den Reiz, den ich empfinde, ihn wie mich selbst zu lieben, unsere gemeinschaftlichen Erinnerungen, unsere gegenseitigen Hoffnungen, unsere vertrauten Unterredungen, sein dem meinigen bekanntes Herz, seine Tugenden, welche meine Seele fesseln, seine Talente, aus denen mein Geist Genuß schöpft, und nicht seinen Wagen, sein Haus, seinen Rang, seine Stellung, seine Macht oder seinen Ruf will ich lieben. Ich will es, Knötchen! also schweig!
Und nun meine Freuden – die sind folgender Gestalt. Ich will sie suchen, wo mein Herz sie findet, ohne Rücksicht auf das Kleid der Leute oder die Vergoldung der Wände. Ich will einfache, wo möglich aber wahre, beständige; solche, die ihre Reize von irgend einer Würze des Herzens oder des Geistes, aus irgend einer lebendigen und anständigen Neigung, aus irgend einem unschuldigen Triumphe empfangen haben, der über Trägheit,Sünde, Eigennutz erfochten ist; ich will sie in dem Vergnügen Anderer weit eher finden, als in dem meinigen; denn das ist die beste Freude, die sich mittheilt, sich ausbreitet, im Kreise schwirrt und das Herz mit erweiternder Wärme durchzieht. Also, fort, Knötchen! Laß mich unter den Buchen bei den wackeren Leuten. – Aber man bemerkt dich! – Mir einerlei. – Aber du bist in Hemdärmeln! – Desto kühler befinde ich mich. – Aber es sieht aus, als gehörtest du zu ihres Gleichen! – Das meine ich auch. – Da, sieh ein Wagen!... – Laß ihn fahren. – Und dort Städter, die dich kennen! – Grüße sie von mir und scher' dich fort, Knötchen!
So schließlich ist meine Ansicht, meine Weise, nicht allein mich zu benehmen, sondern auch Andere zu beurtheilen, abzuwägen, was sie taugen, und sie in meiner Achtung abzuschätzen. Noch einmal, von hinnen, Knötchen! Du bist der Vater der Dummheit, wenn nicht die Dummheit selber. Von hinnen! Ich sehe, als was du dich vor mir darstellst, von wem du zu mir kommst, du triffst oft Gutes und Schönes bei dieser Außenseite, die dich verlockt, aber du triffst auch Gutes und Schönes unter dem Kittel, den du verachtest. Bevor du diese Menschen wägst, erlaube, daß ich sie, den Einen wie den Andern, entkleide. Knötchen! ich hatte einen Oheim, dessen du dich mehr geschämt als gerühmt hättest... ich habe eine Jüdin geliebt, die du nur mit Verachtung angeblickt hättest... Von hinnen! auf immer fort von mir!!
Außer meinem Oheim Tom, mir und dem bereits früher erwähnten Maler gab es noch andere Miethsleute in dem Hause. Ich will sie der Reihe nach von unten bis oben aufzählen, um so bis zu dem zu gelangen, der dem Himmel am nächsten wohnte und den Weg dahin um diese Zeit etwa einschlug, eine schöne Dachwohnung gen Norden freilassend, wo ich mich einrichtete.
Frage mich nicht, Leser, was all' diese neuen Personen mit meiner Geschichte zu thun haben. Nichts vielleicht. Allein, wenn du mir bis hierher gefolgt bist, was wird dich eine Abschweifung mehr kosten? Du bist daran gewöhnt, und ich werde diese Gestalten, die mir so theuer sind, wie jede Erinnerung des Jugendalters es ist, wieder aufleben sehen. Also herauf, ihr alten Miethsleute, Nachbarn von ehedem, die gegenwärtig vom Schauplatze der Welt verschwunden sind, deren ferne Erinnerung aber mein Herz mit Entzücken bewahrt!
Da war zuerst in demselben Stockwerke mit uns ein abgedankter Lehrer, ein alter, gutmüthiger Mann, dessen einzige Beschäftigung darin bestand, sein mit vierzig Jahren Arbeit verdientes Gnadenbrod gemächlich zu verzehren. Ein friedlicher, jovialer Epikuräer, begoß er Morgens die Blumen eines kleinen Gartens, Mittags hielt er regelmäßig sein Schläfchen. Nach dem Essen ging er, die Abendluft zu genießen, in Gemeinschaft mit einigen Kanarienvögeln, die er aufgezogen hatte und die pickend und flatternd ihm zur Seite blieben.
Er hatte indeß seinen frühern Stand nicht so gänzlich aufgeben können und sein Hauptvergnügen bestand darin, daß er allen Dingen, allen Personen ein Sprüchlein anhängte, welches seine Schulmeister-Erinnerungen ihm darboten. Ich war ehedem ihm durch die Hände gegangen und nicht ganz und gar gefühllos für den prosodischen Fluß seiner Kernsprüche; dazu hatte er mich lieb und es geschah nicht leicht, daß er mir begegnete, ohne mich in seiner Weise anzureden:
puer, si qua fata aspera rumpas,Tu Marcellus eris,
puer, si qua fata aspera rumpas,Tu Marcellus eris,
puer, si qua fata aspera rumpas,Tu Marcellus eris,
puer, si qua fata aspera rumpas,
Tu Marcellus eris,
und sein dicker Bauch schüttelte sich in langem, kräftigem Lachen, um das ich ihn beneidete, wenn ich auch nicht mit einstimmte. Wenn eine alte Magd ihm aus dem Dorfe irgend ein kleines, eigennütziges Geschenk brachte:
Timeo Danaos, et dona ferentes!
Timeo Danaos, et dona ferentes!
Timeo Danaos, et dona ferentes!
Timeo Danaos, et dona ferentes!
und das Bäuchlein setzte sich in Bewegung. Aber wenn es sich um seine Gemahlin handelte, dann nahm es kein Ende
Dum comuntur, dum moliuntur, annus est......... varium et mutabile semper foemina!..... notumque, furens quid foemina possit!
Dum comuntur, dum moliuntur, annus est......... varium et mutabile semper foemina!..... notumque, furens quid foemina possit!
Dum comuntur, dum moliuntur, annus est......... varium et mutabile semper foemina!..... notumque, furens quid foemina possit!
Dum comuntur, dum moliuntur, annus est....
..... varium et mutabile semper foemina!
..... notumque, furens quid foemina possit!
und manche andre Redensart. Madame bereitete indessen ihre Speisen und fand die Redeweise ihres Gemahls höchst abscheulich, worüber sich dieser bewogen fühlte zu murmeln:
melius nil coelibe vita.
melius nil coelibe vita.
melius nil coelibe vita.
melius nil coelibe vita.
Im Stockwerke drüber wohnte ein achtzigjähriger, brummiger, mürrischer alter Rathsherr der Republik. Sommers saß er in einem großen Sorgenstuhle und verbrachte seine Lebenszeit neben dem Fenster, um die Straße auf's Genaueste zu beobachten. In allen Dingen sah er den Verfall des Staats und die Verderbniß der Sitten. An den frisch getünchten Häusern, an den frisch beworfenen Mauern, an den runden Hüten, ander Seltenheit der Zöpfe und vor allen Dingen an der Jugend der jungen Leute
..... cuncta terrarum mutataPraeter atrocem animum Catonis,
..... cuncta terrarum mutataPraeter atrocem animum Catonis,
..... cuncta terrarum mutataPraeter atrocem animum Catonis,
..... cuncta terrarum mutata
Praeter atrocem animum Catonis,
sagte der Schulmeister. Winters steckte er seine mageren Beine in Pappenstiefeln und verlebte seine Stunden am Kamin, nur einmal alle Monate verließ er dasselbe, um an die Thür zu treten, versteht sich in Pappenstiefeln, und einigen Bettlern, seinen Zeitgenossen, eine Gabe zu verabreichen. In diesen alten, verwitterten Menschenrestenerkannte er noch die Spuren der guten Zeit, die wurmstichigen Reste jener alten, so veränderten, so verfallenen Republik.
Ueber diesem mürrischen Greise wohnte in stiller Zurückgezogenheit eine zahlreiche Familie, deren Haupt ein im Steuerwesen angestellter Feldmesser war. Dieser Mann saß den ganzen lieben Tag an seinem Meßtische und brachte selbst einen Theil der Nächte über seinen Zeichnungen zu. Ich erinnere mich, daß er stolz auf sein mühevolles, unabhängiges Leben war, und wenn er hin und wieder einmal sich mit seiner Familie eine Lustpartieerlaubte, so kostete er selbst die Freude mit einer ernsten stolzen Miene, die mir, dem Jünglinge, eine mit Bewunderung vermischte Ehrfurcht einflößte
Dos est magna, parentiumvirtus. . . . .
Dos est magna, parentiumvirtus. . . . .
Dos est magna, parentiumvirtus. . . . .
Dos est magna, parentium
virtus. . . . .
sagte mit ernster Miene selbst der Schulmeister.
Bevor wir zur Dachwohnung gelangen, kommen wir noch vor der Wohnung eines Baßspielers vorbei. Dieser gab den ganzen Tag über Stunden und behieltnur die Nacht für sich, um Weisen für sein Instrument zu componiren
modo summa,Modo hac resonat quae chordis quatuor ima.
modo summa,Modo hac resonat quae chordis quatuor ima.
modo summa,Modo hac resonat quae chordis quatuor ima.
modo summa,
Modo hac resonat quae chordis quatuor ima.
Rings um den Musikanten herum ging es in eine Menge von Zimmern und Kämmerchen, welche an Studenten vermiethet und veraftermiethet waren, die bei ihm in die Kost gingen; diese Herren waren starke Raucher, nahmen ihre Vorlesungen durch, sangen Lieder, bliesen Horn oder spielten Flageolet, so daß in diesem Bereiche die Musik niemals abriß.
Quousque tandem!!
Quousque tandem!!
Quousque tandem!!
Quousque tandem!!
Und nun die besagte Dachwohnung.
Diese Dachwohnung war groß und hatte ein vortreffliches Licht. Der Feldmesser wollte sie haben und ich ebenfalls. Man brach ein Fenster durch, zog eine Breterwand und so hatten wir jeder unser Dachstübchen.
Ich fand hier die Aussicht auf den See und die Berge wieder. Mein Fenster befand sich in gleicher Höhe und gar nahe bei den großen gothischen Rosen, die in der mittleren Höhe der Thürme der Hauptkirche sich befinden. Von dieser erhabenen Gegend aus beherrscht der Blick die öden Dächer, und das Geräusch der Stadt erstarb, ehe es so weit gelangte.
Aber ich begann bereits in jenes Alter zu treten, wo solche Eindrücke nicht mehr ihre gewaltige Kraft üben, und jeden neuen Tag suchte mein Herz mehr in sich selber Bewegung und Leben.
Aus demselben Grunde war auch mein Hang zur Nachahmung nicht mehr so lebendig; es bedarf zu einer solchen Neigung einer Ruhe, die ich nicht mehr besaß. Oft aufgeregt, verwirrt von den unbestimmten Regungen einer Sehnsucht ohne Gegenstand vermochte ich nicht mehr auf mein Modell zu sehen, ich betrachtete meine undankbare Nachbildung mit Widerwillen, warf den Pinselbei Seite und überließ mich meiner Träumerei ganze Stunden lang.
Dies innere Leben hat seine Wonne und seine Bitterkeit. Wenn diese Träume süß sind, so ist das Erwachen düster, niederschlagend; die Seele tritt wieder in die Wirklichkeit, nachdem sie ihre Kraft erschlafft oder verloren hat. Drum war ich denn nach solchen Stunden zur Wiederaufnahme meiner Arbeit unfähig und nicht weniger unfähig, die Träume wieder herbeizuführen; ich verließ dann das Haus, um meinen Unmuth draußen spazieren zu tragen.
Auf einem solchen Spaziergange geschah es, daß eine zufällige Begegnung mich aus diesem Zustande der Sehnsucht und halben Müßiggangs riß.
Eines Tages wollte ich in meine Wohnung durch die Thür, die auf der Kirchenseite unter den dicken Linden sich befindet, zurückkehren. Ein prächtiger Wagen hielt davor; kaum war ich an demselben vorüber, als eine Stimme, die ich augenblicklich wiedererkannte, mich voll Ueberraschung zurückkehren ließ.... »Herr Julius!« rief diese Stimme mit großer Bewegung.
In meiner Verwirrung zögerte ich näher zu treten, als ich zu bemerken glaubte, daß man mir winke. Ich wendete wieder um; in rascher Hast öffnete sich der Schlag und ich befand mich Angesichts der liebenswürdigen Lucy! Sie war in Trauerkleidern, ihre Augen naßvon Thränen... Bei diesem Anblick brachen auch mir die Thränen hervor.
Ich erinnerte mich alsbald an ihr weißes Gewand, ihre kindlichen Befürchtungen, an die Worte des Greises, an seine Güte gegen mich. O! wie sehr verdiente er noch zu leben, sprach ich nach einer Weile, der Verlust ist schmerzlich, mein Fräulein!... Erlauben Sie mir, daß ich diese Zähren dem Gedächtniß seiner herzlichen Güte, das in mir lebt, zolle. Lucy hinderten ihre Gefühle zu antworten, sie drückte mir die Hand mit einer Bewegung, deren dankbare Huld durch eine anmuthige Zurückhaltung in Schranken gehalten wurde.
Ich hoffe, sagte sie endlich, daß Sie glücklicher sind, als ich, und Ihren Herrn Oheim noch besitzen... – Er lebt, versetzte ich, aber das Alter kommt immer mehr und beugt ihn zur Erde. Wie oft, mein Fräulein, habe ich an Ihren Vater gedacht!... und jeden Tag begriff ich Ihre Betrübniß mehr.
Lucy wendete sich jetzt zu einem Herrn, der neben ihr saß, und erklärte ihm in wenigen Worten auf Englisch den Zufall, dem sie vor fünf Jahren meine Bekanntschaft und die meines Oheims verdankte, und wie mein Wiedersehen, das ihr so lebhaft einen Tag vorgeführt habe, da ihr Vater so glücklich und liebevoll war, ihr diese schmerzliche Bewegung verursachte. Sie fügte noch eine Lobeserhebung über mich und meinen Oheim hinzu, und als sie davon sprach, daß ich Waise sei, bemerkte ich in ihren Mienen und in ihren Wortendasselbe Mitleid, welches mich früher so sehr ergriffen hatte. Als sie mit ihrer Erzählung fertig war, reichte mir der Herr, welcher nicht Französisch zu sprechen schien, die Hand mit dem Ausdrucke wohlwollender Achtung.
Da wandte sich Lucy an mich: der Herr ist mein Gemahl; er ist der Beschützer und Freund, den mein Vater selbst für mich erwählt hat. Nach jenem Tage, wo Sie ihn sahen, Herr Julius, sollte ich ihn nicht mehr lange behalten... Achtzehn Monate später rief ihn Gott zu sich ab... Mehr als einmal erinnerte er sich lächelnd Ihrer Geschichte... Wenn, fügte sie hinzu, auch Sie ein dem meinigen ähnliches Leid erfahren werden, so bitte ich Sie, mich davon zu unterrichten; ich will Ihren Oheim begrüßen... wie alt ist er?
Er tritt in sein fünfundachtzigstes Jahr.
Meine Antwort machte großen Eindruck auf sie; erst nach einigem Schweigen versetzte sie: Ich bin gekommen, um mit dem Maler zu sprechen, der das Bild meines Vaters gefertigt hat... Glauben Sie, Herr Julius, daß ich ihn allein treffen kann?
Ohne Zweifel, gnädige Frau, ertheilen Sie mir Ihre Befehle, ich werde sie meinem Kunstgenossen überbringen.
Sie unterbrach mich.
O! so haben Sie Ihrer Neigung folgen können!... Schön, ich nehme Ihr Anerbieten an; ich werde die Zeit bestimmen. Allein zuvor möchten wir, mein Gemahl und ich, gern etwas von Ihren Leistungen sehen. Wohnen Sie hier im Hause?
Ja, gnädige Frau.... Obgleich es mich etwas in Verlegenheit setzt, daß ich Ihnen nichts, als einige schlechte Versuche zu zeigen vermag, so schlage ich doch aus Eigenliebe die Ehre, die Sie mir erweisen wollen, nicht aus.
Wir sprachen noch einige Worte. Ich trat zurück und der Wagen entfernte sich.
Diese unerwartete Begegnung gab alten süßen Regungen das Leben wieder und riß mich aus einem Zustande der Erschlaffung, worin ich mich seit einigen Monaten befand.
Doch darf ich's sagen? Wenn schon ich stets meine Jüdin geliebt und ihr Gedächtniß bewahrt hatte, so verlor doch nichts desto weniger mein Schmerz von diesem Tage an seine Bitterkeit, meine Seele wurde gleichsam von der Vergangenheit losgebunden und begann eine freie Erhebung nach der Zukunft, süß beladen mit einer Erinnerung, die ihr nicht mehr so schmerzlich war, ohne daß sie aufhörte, theuer und lieb zu sein.
Gleichwol war diese Begegnung nicht frei von jeglicher Wolke gewesen. Obgleich ich Lucy vergessen hatte, obgleich ich niemals, selbst nicht in den überschwänglichsten Träumen, im entferntesten den Gedanken hegen konnte, ihr etwas zu sein, so war mir doch vom ersten Augenblicke an der Anblick jenes neben ihr sitzenden Herrn beklemmend gewesen, und als ich aus Lucy's Munde vernahm, daß sie vermählt war, zuckte Verwirrung und Eifersucht durch mein Herz.
Doch war das ein Uebergang; noch ehe ich den Wagen verließ, hatte mein Herz sich mit dem Herrn ausgesöhnt und ich sah in Lucy nichts mehr als seine liebenswürdige Gemahlin, die er mir gestattete lieb zu haben.
Die nächsten Tage lebte ich in dieser Erinnerung und der Hoffnung, Lucy bald wiederzusehen; ich hatte einige Kopien verfertigt, unter anderen eine von der Madonna, zwei oder drei Portraits, so wie einige Compositionen, alles meistentheils mehr als mittelmäßig ausgeführt, jedoch nicht ohne gewisse Anzeichen von Talent. Nun, man kann denken, wie das Knötchen mir beistand, mit der größten Sorgfalt die Bilder in's vortheilhafteste Licht zu stellen, und alles war zum Empfange Lucy's bereitet, als sie in der That erschien. Ihr Gemahl begleitete sie.
Noch heute kann ich an diese junge Dame nicht denken, ohne daß mir bei der Erinnerung das Herz schwillt. Daß ich diese so wahre Güte, deren Reiz durch ihren Stand, ihren Schmuck, ihren Reichthum noch erhöht wurde, nicht schön genug malen kann; diese Einfachheit der Gefühle, welche die Manieren und Vorurtheile der großen Welt weder zu verfälschen noch zurückzudrängen vermochten! Obgleich ein schwermüthiger Zug ihr eigen war, so durchdrang doch der Hauch eines wohlwollenden Lächelns jedes ihrer Worte, und schon der freundliche Ausdruck ihres Blicks verlieh selbst ihrem Schweigen einen unwiderstehlichen Zauber. Kaum war sie in mein bescheidenes Dachstübchen eingetreten, so waren ihre ersten Worte ermuthigende Glückwünsche. Sie betrachtete meine Werke mit besonderer Theilnahme und in allem, was sie ihrem Gemahl auf Englisch sagte, athmete ein entzückendes Wohlwollen. Nur einen Augenblickredeten Beide flüsternd zu einander; allein mit einem Tone und einem Ausdruck, der nur zu geeignet war, mich in jene süße Verlegenheit zu setzen, welche die Begleiterin einer freudigen Erwartung ist.
Während ich alle meine Bilder auf Lucy's Ansuchen hervorholte, um sie ihren Blicken vorzuführen, vernahm ich den Schritt meines Oheims auf dem Vorsaal. Ich lief hin, um die Thür zu öffnen.