Die angenommene Resolution lautet: „Die Gewerkschaft der Buchdrucker ist daselbst anzumelden und der Generalkommission schriftlich wegen ihrer Stellungnahme zur Gewerkschaft der Tadel auszudrücken, event. auch dahin zu wirken, daß die Generalkommission durch andere Personen ersetzt wird.“
Es wurde dann noch eine Protestresolution gegen das Rundschreiben des Staatssekretärs Grafen v. Posadowsky angenommen und ein Referat gehalten über die Bestrebungen der bürgerlichen Sozialpolitiker, durch die Gewerkschaftsbewegung als „staatserhaltenden Faktor“ einen Keil in die allgemeine Arbeiterbewegung zu treiben und diese zu zerstückeln. Der alte Buchdruckervorstand verfahre nach diesen Tendenzen und die Generalkommission habe auch die Exklusivität der Berufsorganisationen anerkannt, eine Selbständigkeit der einzelnen Berufe, die die Gegner dem einheitlichen Vorgehen der Sozialdemokratie entgegensetzen wollen. Der Kongreß schließt sich dem Wunsche an, daß die Arbeiterschaft ein scharfes Auge auf die Quertreibereien werfen solle.
Die Generalkommission hat sich diesen Tadel nicht sehr zu Herzen genommen und sogar den beantragten Anschluß mit Berufung darauf, daß bei ihr nicht zwei Organisationen desselben Gewerbes vertreten sein könnten, abgelehnt. Sie faßt im „Correspondenzblatt“[110]ihr Urteil dahin zusammen: „Ein kleines Häuflein mit revolutionären Phrasen um sich werfender Leute bemüht sich heute in dem Berufe, in welchem eine völlige Einmütigkeit in der Organisation noch nicht erreicht ist, die Zersplitterungsversuche fortzusetzen. Noch kurze Zeit ruhiger Entwickelung, und auch sie werden einsehen, daß die Arbeiter Besseres zu thun haben, als sich zum eigenen Schaden zum Nutzen der Ausbeuter zu bekämpfen.“
Nach einer privaten Mitteilung des Verbandsvorstandes belief sich die Mitgliederzahl der neuen Gewerkschaft im September 1898 auf 270 und ist anzunehmen, daß die leitenden Personen nur beabsichtigen, dieselbe noch bis zu der 1899 stattfindenden Generalversammlung des Verbandes über Wasser zu halten, in der Hoffnung, daß dieser den Abtrünnigen den Wiederanschluß gestatten werde, eine Hoffnung, auf deren Erfüllung kaum zu rechnen sei.
Auch in den letzten Jahren hat in diesem Kampfe zwischen dem Verbande und der Opposition die sozialdemokratische Presse überwiegend gegen den Verband Partei genommen. Daß dieser nicht gewillt ist, sich dies gefallen zu lassen, ergiebt eine Reihe von Artikeln des „Korrespondent“, die in dessen Nummern vom November 1898 erschienen sind und eine sehr deutliche Sprache reden. So heißt es: „Selbst wenn die Auffassung der Mehrheit der sozialdemokratischen Blätter richtig wäre, daß der größte Teil der Buchdrucker nichts von der Sozialdemokratie wissen wollte, so könnten wir uns keine verkehrtere Taktik denken, als mit wüsten und blöden Schimpfereien die Buchdrucker zu Sozialdemokraten „erziehen“ zu wollen. Und dann noch eine Frage: Wie kommt es, daß fast ausschließlich in sozialdemokratischen Druckereien jene Kollegen zu finden sind, welche mit allen Mitteln die Organisation der Buchdruckergehilfen zu vernichten und die übrigen Arbeiter gegen dieselbe aufzuhetzen bemüht sind, wie kommt es, daß sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, Redakteure, Gewerkschaftsvorsitzende und ähnliche Arbeiterführer ihr Mandat mißbraucht haben und noch mißbrauchen, um durch Verdächtigungen unseres Verbandes, dessen Leitung wie seines Organs, und Förderung einer Gegenorganisation den Verband lahmzulegen oder den Unternehmern gegenüber zu schwächen und dann die Folgen dieser demoralisierenden Thätigkeit aufs Konto der Tarifgemeinschaft zusetzen? Wir sind jederzeit objektiv genug gewesen, nicht die Partei als solche für die Dinge verantwortlich zu machen, wenn es aber in derselben schon so weit gekommen sein sollte, daß jeder von persönlichen Leidenschaften oder Gehässigkeiten erfüllte Mensch namens der Partei die Bekämpfung von Arbeitern oder deren Organisationen zum „Prinzip“ erklären kann, wenn eine Abwehr persönlicher Angriffe und Gehässigkeiten mit dem Ausschluß aus der Partei geahndet und damit zur Parteisache gemacht wird, dann verzweifeln wir an dem Glauben, in der sozialdemokratischen Partei die Vertreterin unserer Interessen zu erblicken“. „Wir müßten ja geradezu feige Hunde sein, wenn wir uns auf die Dauer eine solche Behandlung gefallen ließen.“ Es könnte hiernach kaum unerwartet kommen, wenn der Buchdruckerverband demnächst sich in offnem Gegensatz zur Sozialdemokratie setzen sollte. —
Die Entwickelung des Buchdruckerverbandes hinsichtlich seines äußeren Umfanges und seiner inneren Wirksamkeit zeigt folgende Tabelle:
Um die Bedeutung der mitgeteilten Mitgliederzahlen zu würdigen, bedarf es einer Vergleichung mit der Gesamtzahl der im Buchdruckgewerbe beschäftigten Personen, da sich hieraus das Verhältnis der in dem Verbande organisierten Gehülfen zu den übrigen und die Berechtigung des Anspruches auf Vertretungder gesamten Gehülfenschaft ergiebt. Dies ist dadurch erschwert, daß die bisherigen Berufszählungen von 1875, 1882 und 1895 zwar die Anzahl der Betriebe sowie der Geschäftsleiter und der Hülfspersonen angeben, nicht aber die einzelnen Klassen der letzteren ersehen lassen. Nach der Zählung vom 14. Juni 1895 waren in Deutschland in 6303 Buchdruckereibetrieben 80942 Personen beschäftigt. Davon waren Geschäftsleiter 6034, Verwaltungspersonal 4946, technisches Aufsichtspersonal 1820, 43183 männliche und 10249 weibliche Gehülfen und 14512 Lehrlinge. Die Ende 1897 vorhandenen 22854 Verbandsmitglieder entsprechen mithin 53% aller Gehülfen[116].
Im Jahre 1887 hat die Buchdruckerberufsgenossenschaft eine Statistik veranstaltet, nach der in 3863 versicherungspflichtigen Betrieben 58000 Hülfspersonen beschäftigt waren, doch beschränkt sich diese Zählung auf den Umfang der Berufsgenossenschaft, der die Stein-, Metall- und Farbdruckereien und alle die nicht unfallversicherungspflichtigen Betriebe nicht angehören.
Von dem Herausgeber desKlimsch'schen Adreßbuches sind 1886 und 1890 ebenfalls Zählungen veranstaltet[117]. Diejenige von 1886 giebt folgende Zahlen:
Dieses Personal war beschäftigt in 3453 Buchdruckereien, 1295 Steindruckereien, 834 Buch- und Steindruckereien.
Die Zählung von 1889 erstreckt sich auf 5300 Druckereien und giebt an:
1647 Faktoren, 1028 Korrektoren, 21922 Setzer, 4382 Drucker und Maschinenmeister, 1056 Schweizerdegen, 10253 Setzerlehrlinge, 2519 Druckerlehrlinge.
Auch die Gehülfen haben Erhebungen veranstaltet. Dieersteaus dem Jahre 1885 umfaßte nur 2408 Druckereien mit 2708 Prinzipalen (1618 gelernten und 1090 Nicht-Buchdruckern) und ergab 923 Faktoren, 485 Korrektoren,13929 Setzer, 2916 Drucker und Maschinenmeister, 570 Gießer und 6699 Lehrlinge. Diezweitevom 15. Oktober 1894 umfaßte 4152 Druckereien und ergab 1309 Faktoren, 759 Korrektoren, 21922 Setzer, 4382 Drucker und Maschinenmeister, 1056 Schweizerdegen, 548 Stereotypeure, mithin insgesamt 30022 Hülfspersonen, von denen 14517 dem Verbande angehörten, während 14464 demselben fern standen. Diesen Gehülfen standen 10253 Setzerlehrlinge und 2519 Druckerlehrlinge gegenüber. Die neueste Zählung vom Dezember 1898 erstreckte sich auf 3826 Druckereien und ergab: 1589 Faktoren, 902 Korrektoren, 26481 Setzer, 5393 Drucker, 1060 Schweizerdegen, 277 Stereotypeure und 168 Maschinensetzer. Von der Gesamtziffer zu 35870 waren 21217 Mitglieder des Verbandes, während 14653 ihm nicht angehörten. Außerdem gab es 8189 Setzerlehrlinge und 2371 Druckerlehrlinge.
Obgleich der große Streik die Mittel des Verbandes sehr geschwächt hatte, so daß der Vermögensbestand der Allgemeinen Kasse, der am 31. März 1891 412411,92 Mk. betragen hatte, am 31. März 1892 auf 3025,25 Mk. gesunken war, ist derselbe doch rasch wieder gestiegen, indem er betrug: am 31. März 1893 20769,35 Mk., am 31. März 1894 56567,53 Mk., am 31. März 1895 578197,13 Mk., am 31. März 1896 931082,18 Mk., am 31. März 1897 1204141,28 Mk., am 31. März 1898 1594201,26 Mk. und am 31. März 1899 2106822,89 Mk. Allerdings sind die drei zuletzt genannten Zahlen mit den früheren nicht unmittelbar vergleichbar; wie erwähnt, sind die beiden früher selbständigen Kassen, die Verbands-, Kranken- und Begräbniskasse und die Zentralinvalidenkasse 1892 und 1893 aufgelöst; dabei ist das Vermögen der Ersteren, wie oben hervorgehoben, infolge Verzichts der Berechtigten im Betrage von 276923,51 Mk. ohne Gegenleistung auf die Verbandskasse übergegangen. Die Invalidenkasse wird freilich zunächst noch fortgeführt, aber nur zu dem Zwecke, die bestehenden Verpflichtungen abzuwickeln. Der Vermögensbestand derselben betrug am 31. März 1896 947835,75 Mk., am 31. März 1897 883423,94 Mk., am 31. März 1898 825383,27 Mk. und am 31. März 1899 769365,16 Mk. Die Gesamtausgabe hatte im Jahre 1895/6 111573,35 Mk., im Jahre 1896/7 97978,01 Mk., im Jahre 1897/8 88742,81 Mk. und 1898/99 82660,60 Mk. betragen. Die Gesamtzahl der Invaliden war Ende Dezember 1895 auf 262, Ende Dezember 1896 auf 239, Ende Dezember 1897 auf 220 und Ende Dezember 1898 auf 199 herabgegangen. Seit Auflösung der Invalidenkasse fließen die Invaliditätsbeiträge in die Verbandskasse.
Schon die Stuttgarter Generalversammlung 1894 hatte den Vorstand beauftragt, eingraphisches Kartelld. h. eine Verbindung der Buchdrucker mit den Lithographen, Steindruckern, Buchbindern u. s. w. herbeizuführen. Die Verhandlungen hatten zunächst Schwierigkeiten darin gefunden, daß die übrigenBerufe die Zahlung eines Beitrages zu einer Reservekasse beanstandeten. Am 9. Mai 1896 wurde jedoch von den betreffenden Bevollmächtigten die Bildung eines Kartells beschlossen. Zur Bestreitung größerer Kämpfe sollte jedes Mitglied der beteiligten Organisationen vierteljährlich 30 Pf. in den Reservefonds einzahlen. Die Verwaltung desselben sollte gemeinsam durch Bevollmächtigte der einzelnen Berufe besorgt, Unterstützungen aber erst bezahlt werden, wenn der Fonds auf 30000 Mk. angewachsen ist; die Höhe derselben wird von der Verwaltung in Verbindung mit den Verbandsvorständen bestimmt. Bei Streiks einzelner Berufe in einzelnen Anstalten haben die kartellierten Berufsgenossen, die in derselben Anstalt beschäftigt sind, nach erfolgter Zustimmung ihrer Verbandsvorstände ebenfalls die Arbeit niederzulegen, sobald damit voraussichtlich ein Erfolg erzielt wird. Trotz dieses Beschlusses ist aber das Kartell nicht zustande gekommen und auch keine Aussicht eines besseren Erfolges für die Zukunft vorhanden. Der Grund liegt teils darin, daß die Lithographen und Steindrucker nicht imstande sind, die erforderlichen Beiträge aufzubringen, teils darin, daß insbesondere die Buchbinder sich der Auffassung der Buchdrucker, die dem Kartell lediglich praktische Aufgaben zuweisen wollten, widersetzen.
Die Streitigkeiten, welche zum Ausbruche des Streiks von 1891 führten, gaben zugleich Anlaß zur Gründung einer zweiten Gehülfenorganisation, die der Erwähnung bedarf, nämlich des „Gutenbergbundes“[118]. Schon längere Zeit hatte unter den nicht zum Verbande gehörigen Gehülfen eine „Freie Vereinigung“ bestanden; ebenso gab es eine Reihe von örtlichen Unterstützungskassen. Die Einleitung des Streiks hatte zur Folge, daß auch eine Anzahl Mitglieder des Verbandes, die den Streik mißbilligten, austraten. Diese Nichtverbändler hatten nun einen Kampf nach zwei Seiten zu führen, nämlich einerseits gegen die schlecht zahlenden Prinzipale, andererseits gegen den Verband, von welchem gegen sie die schärfsten Angriffe gerichtet wurden. Das Bedürfnis, diesen doppelten Kampf mit Erfolg zu führen, hatte bereits die Schaffung eines besonderen Blattes für Nichtverbändler, des „Typograph“ in Stuttgart, zur Folge gehabt, und ebenso führte er im Herbst 1892 zur Gründung des „Berliner Buchdruckervereins“. Aber die Verhältnisse drängten dazu, eine feste Organisation für ganz Deutschland ins Leben zu rufen, und so trat am 3. September 1893 in Erfurt eine Anzahl Gehülfen zu dem „Gutenbergbunde“zusammen, dessen Statuten mit dem 1. April 1894 in Kraft traten. Die Schwierigkeiten, die aus dem Verhältnisse zu der früheren „Freien Vereinigung“ sowie daraus erwuchsen, daß die bestehenden örtlichen Unterstützungskassen nicht geneigt waren, sich zu Gunsten des Bundes aufzulösen, hatten zur Folge, daß derselbe eine eigentliche Wirksamkeit erst seit dem 1. April 1895 entfalten konnte.
Die Statuten in der durch die Generalversammlung von 29./31. August 1897 festgesetzten Form bezeichnen die Aufgabe des Bundes in folgender Weise:
„Der Gutenbergbund bezweckt den Zusammenschluß derjenigen Buchdrucker Deutschlands, welche dem „Verbande Deutscher Buchdrucker“ oder der „Gewerkschaft Deutscher Buchdrucker und Schriftgießer“nichtangehören.
Dieser Zweck wird erstrebt durch:
Die Kassen des Bundes stehen Lohnkämpfen gegenüber auf völlig neutralem Boden; es darf die Bezugsberechtigung der Mitglieder von der Beteiligung oder Nichtbeteiligung an solchen nicht abhängig gemacht werden.
Der Abschluß der Gegenseitigkeit mit außerdeutschen Vereinen gleicher Richtung wird angestrebt und werden dementsprechende Abschlüsse durch den Hauptvorstand bezw. durch die Generalversammlung vollzogen.“
Der Beitritt zu dem Verbande oder der Gewerkschaft hat das Ausscheiden aus dem Bunde zur Folge. Der Bund gewährt Unterstützungen an Arbeitslose auf der Reise und am Orte, bei Krankheit (seit 1898) und Invalidität (seit 1895), sowie einen Zuschuß zu den Umzugskosten, jedoch haben die Mitglieder kein klagbares Recht auf dieselben, sie werden vielmehr nach dem jeweiligen Vermögen des Bundes festgesetzt. Nur für die Invalidenunterstützung wird ein besonderes Entgelt von wöchentlich 20 Pf. erhoben, die übrigen Unterstützungen werden durch den Bundesbeitrag gedeckt, der 1894 und 1895 25 Pf., 1896 und 1897 55 Pf. betrug und seit 1898 auf 65 Pf. erhöht ist. Der Sitz des Bundes ist Berlin; das Organ desselben ist der „Typograph“, der den Mitgliedern unentgeltlich geliefert wird.
Die bisherige Entwickelung des Bundes ergiebt sich aus folgender Tabelle.
Es ergaben sich am Schlusse des
Der seitens des Verbandes erhobene Vorwurf, der Bund stehe im Solde der Prinzipale und seine Mitglieder gäben sich zu Streikbrechern her, wird von ihm mit Entrüstung zurückgewiesen mit der Behauptung, daß auch seine Arbeitsnachweise Arbeit nur in tariftreuen Geschäften vermitteln und daß der Bund das Interesse der Gehülfen nicht minder wirksam wahre als der Verband, daß er vielmehr lediglich dem Terrorismus des letzteren entgegentreten und die freie Selbstbestimmung der Gehülfen bei etwaigen vom Verbande beschlossenen Streiks wahren wolle. Deshalb dürfe kein Mitglied wegen Teilnahme oder Nichtteilnahme an Lohnbewegungen aus dem Bunde und von der Beteiligung an dessen Kassen ausgeschlossen werden.
Es ist bei den widersprechenden gegenseitigen Darstellungen schwer, in dem zwischen Verband und Bund geführten verbitterten und gehässigen Streite ein unbefangenes Urteil zu gewinnen. Daß seitens des Verbandes ein starker Druck zum Eintritte auf die Gehülfen ausgeübt wird, ist nicht zu bezweifeln, und ebenso wird vom Standpunkte der persönlichen Freiheit aus das an die Mitglieder gestellte Verlangen, sich einem Beschlusse des Verbandes wegen Einleitung eines Streiks auch da zu fügen, wo sie ihn für unberechtigt halten, verwerflich erscheinen. Aber es ist zu bedenken, daß Ziele, die einer größeren Gruppe gemeinsam sind, sich einfach nicht anders erreichen lassen, als wenn eine solche Gruppe sich zu einer straffen Organisation zusammenschließt und der Einzelne sich den Beschlüssen der Mehrheit unterordnet. Insofern liegt auch dem heute so viel angeschuldigten „Terrorismus“ im wirtschaftlichen Kampfe, mag er auf Seiten der Arbeiter oder der Unternehmer geübt werden, eine gewisse geschichtliche Notwendigkeit und ein soziales Recht zu Grunde, das allerdings mit unserem gesetzlich anerkannten Rechte in Widerspruch steht, aber wesentlich deshalb, weil dieses auf dem Boden der die letzten 100 Jahre beherrschenden individualistischen Anschauung erwachsen ist. Die letztere steht zur Zeit imBegriffe, durch eine andere, die soziale, abgelöst zu werden, und von dieser aus betrachtet, muß Manches als Recht erscheinen, was wir bisher gewohnt waren, als Unrecht zu betrachten.
Die Bergarbeiter haben sich von jeher durch eine gewisse konservative Anschauung von den meisten Gruppen der Industriearbeiter unterschieden, wobei die durch ihren Beruf geförderte Neigung zu ernster Lebensauffassung und religiöser Stimmung wesentlich ins Gewicht fielen; ist es doch meist üblich, daß der Bergmann vor seiner Einfahrt in den Schacht ein kurzes Gebet spricht. In vielen Gegenden sind die Bergleute auch regelmäßig im Besitze eines eigenen Hauses. Die mit dem Berufe verknüpften Gefahren haben früh zu der Ausbildung von Unterstützungskassen geführt, die meist unter der Aufsicht der Behörden stehen, an denen aber den Arbeitern (Knappen) ein wesentliches Mitbestimmungsrecht eingeräumt ist. Dieses sog.Knappschaftswesen[120]ist der erste Ansatz zu einer Organisation gewesen. In neuerer Zeit haben sich aber daneben nochBergarbeitervereinegebildet, in denen begreiflicherweise die verschiedenen Richtungen einander den Vorrang abzugewinnen suchen.
Die älteste Organisation dieser Art bestand imKönigreich Sachsen, wo schon 1868 die „Zwickauer Gruben- und Tagearbeitergenossenschaft“ 3000 Mitglieder zählte, die sich 1870 auf 6000 vermehrt hatten. Nachdem die Genossenschaft unter dem Einflusse des deutsch-französischen Krieges sich aufgelöst hatte, bildete sich im Mai 1876 der „Sächsische Berg- und Hüttenarbeiterverband,“ der am 10. September 1876 seine erste Generalversammlung abhielt und am 9. Oktober 1877 die Rechte der juristischen Persönlichkeit erlangte. Die Mitgliederzahl betrug 1879 1502, 1880 1331, 1885 3332, 1886 3669, 1888 4224, 1889 5661, 1890 6976, 1891 7226, 1892 7731, 1893 8013, 1894 9225. Der Verband besaß, neben der Verbandskasse eine Beerdigungskasse und ein eigenes Organ unter dem Titel „Glück auf“. Aber nachdem derselbe sich der Gewerkschaftskommission angeschlossen hatte und angeblich sozialdemokratische Bestrebungen in ihm hervorgetreten waren, wurde er auf Veranlassungder sächsischen Regierung durch Beschluß des Amtsgerichts Zwickau vom 2. Februar 1895 auf Grund des sächsischen Vereinsgesetzes aufgelöst.
InSchlesienhatte 1868Max Hirscheine erfolgreiche Agitation entfaltet, aber nach dem unglücklichen Waldenburger Streik lösten sich die Vereine fast sämtlich auf. In den 1880er Jahren entstand im Waldenburger Revier unter den Bergarbeitern eine Bewegung, die den Zweck hatte, durch öffentliche Versammlungen auf eine Verbesserung des Knappschaftswesens hinzuwirken. Bald zog dieselbe aber auch die Lohnverhältnisse, die Behandlung der Arbeiter und andere Punkte in ihren Bereich, und da in den mehrfach begründeten Knappenvereinen bald sozialdemokratischer Einfluß sich geltend machte, so suchte man von anderer Seite ein Gegengewicht zu schaffen. So bildete sich zuerst im Mai 1891 in Hermsdorf ein „Reichstreuer Bergarbeiterverein“, der nach seinem Statute den Zweck verfolgt, „die Kameradschaftlichkeit unter seinen Mitgliedern zu erwecken und zu pflegen, auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Ordnung die Berufsinteressen der Mitglieder in friedlichem Einverständnis mit den Arbeitgebern und deren Beamten zu fördern und durch Vorträge über Gegenstände, welche den Interessenkreis der Mitglieder berühren, belehrend zu wirken“. „Insofern es sich um die Förderung christlicher Bildung und Sitte, sowie um Kundgebungen politischen Sinnes handelt, dürfen auch ausnahmsweise Religion und Politik in die Vorträge hineingezogen werden, dagegen sind Debatten über Religion und Politik ausgeschlossen.“
Dem Beispiel von Hermsdorf folgten andere Orte, und so entstanden reichstreue Bergarbeitervereine in Altwasser, Charlottenbrunn, Dittersbach, Fellhammer, Waldenburg und Weißstein. Diese Vereine hielten untereinander rege Fühlung und im Oktober 1896 wurde ein „Verband der reichstreuen Bergarbeitervereine im Bezirke des niederschlesischen Bergreviers“ begründet, der seinen Sitz in Waldenburg hat und den Beitritt allen Vereinen freistellt, die den oben bezeichneten Zweck verfolgen; ergiebt sich, daß ein Verein von diesen Grundsätzen abweicht, so kann er durch den Verbandsvorstand ausgeschlossen werden. Dem Verbande ist außer den genannten Vereinen auch der auf ähnlicher Grundlage beruhende ältere Knappenverein in Rothenbach beigetreten. Dem Vorstande steht ein Ehrenbeirat zur Seite, dessen Mitglieder von den Einzelvereinen aus den Reihen der Werksbesitzer, der höheren Beamten, der Vorsteher von Kriegervereinen und anderer Gönner der Sache gewählt werden. Die Vereine erhalten von den Werksverwaltungen Zuwendungen, mit deren Hülfe sie humanitäre Bestrebungen, z. B. Weihnachtsbescheerungen veranstalten. Die Mitgliederzahl des Verbandes betrug[121]am 8. Septbr. 1898 1138.
ImSaargebietebestand bis 1889 keine eigentliche Organisation. Der große rheinisch-westfälische Streik von 1889 zog auch die Saarbergleute, von denen sich ihm 13000 anschlossen, in seinen Stromkreis, und nach dessen Beendigung versuchte man die einmal angeregte Bewegung in einer festen Verbindung der Arbeiter festzuhalten. Diese war derRechtsschutzverein, der im November 1889 ins Leben gerufen wurde, damals 24000 Mitglieder zählte und unter dem Namen „Schlägel und Eisen“ ein eigenes Organ besaß. Der Verein stand anfangs durchaus unter geistlichem Einflusse, aber bald begann auch die Sozialdemokratie Boden zu fassen, und der Streit zwischen beiden Richtungen zog sich lange hin, bis Mitte 1892 der Sieg der sozialdemokratischen Elemente endgültig entschieden war. Anfangs verfügte der Verein über erhebliche Mittel und erbaute sogar mit diesen einen eigenen Versammlungssaal in Bildstock, aber vielleicht war gerade dies ein Fehler und ein Grund für den späteren Mißerfolg, da es die Mittel zu stark erschöpfte. Nachdem man nämlich zu Gunsten der in der Versammlung vom 4. Mai 1890 in Völklingen gefaßten Beschlüsse, unter denen neben einer Lohnerhöhung der wichtigste Punkt die Achtstundenschicht war, eine umfassende Agitation eingeleitet hatte, kam es endlich am 29. Dezember 1892 zum Streik, wobei die Handhabung der Wahlen zu den Arbeiterausschüssen, die Maßregelung von Arbeiterführern, die Häufung der Feierschichten und die Kürzung der Gedinge die Hauptrolle spielten. Am 2. Januar 1893 hatten von den 30000 Bergarbeitern des Saargebietes etwa 5/6 die Arbeit niedergelegt, aber eine Aussicht auf Erfolg war in Ermangelung ausreichender Mittel von Anfang an ausgeschlossen, und schon nach kurzer Zeit war der Streik verloren. Die Folge war, daß überall nicht allein seitens der Behörden, sondern auch seitens der Kriegervereine, evangelischen Arbeitervereine u. s. w. gegen den Verein vorgegangen wurde, und, nachdem schon seit dem Streik keine Beiträge mehr gezahlt waren, mußte er sich im Juli 1893 auflösen.
Der größte und wichtigste Bezirk des Kohlenbergbaues in Deutschland istRheinland-Westfalenund insbesondere dasRuhrgebiet. Hier bestehen auch in erster Linie die im Eingange erwähnten Verhältnisse, und so hatten sich die Knappenvereine zunächst unter Führung der Geistlichen beider Bekenntnisse entwickelt. Allerdings gab es neben katholischen und evangelischen auch gemischte Vereine, in denen an Stelle des religiösen Elementes mehr die Förderung der Berufsinteressen in den Vordergrund trat; doch abgesehen von einem freilich umfaßenden oder kurzlebigen Verbande, der 1878 von sozialdemokratischer Seite ins Leben gerufen war, hatte sich eine eigentlich gewerkschaftliche Bewegung bis zum Jahre 1886 nicht entwickelt. Damals gründete der Redakteur der „Westdeutschen Volkszeitung“, der jetzige ReichtagsabgeordneteFußangel in Bochum den „Rechtsschutzverein“, der aber bald an Einfluß verlor und 1888 nur noch 4000 Mitglieder zählte.
Eine völlige Verschiebung der Verhältnisse brachte der große Streik vom Jahre 1889. Derselbe ist durchaus den Kreisen der Bergarbeiter selbst entsprungen, Einflüsse politischer Parteien sind dabei nicht nachzuweisen. Schon seit Anfang April bestand ein westfälisches Komitee zur Vertretung gewisser Forderungen der Bergarbeiter, unter denen neben einer Lohnerhöhung von 15 bis 25% die wichtigste die war, daß in die achtstündige Schicht die Zeit der Ein- und Ausfahrt eingerechnet werden sollte. Obgleich man anfangs eine Arbeitseinstellung nicht plante, vielmehr auf den 2. Juni eine allgemeine Delegiertenversammlung einberufen hatte, in der die erforderlichen Maßnahmen beraten werden sollten, brach doch infolge der Ungeduld der jüngeren Elemente schon in den ersten Tagen des Mai an verschiedenen Orten, insbesondere in Gelsenkirchen, der Streik aus und riß dann die Masse auch der älteren Arbeiter mit, so daß am 8. Mai 40000, am 10. Mai 70000 und am 14. Mai 100000 Bergleute die Arbeit, und zwar ohne Kündigung, niedergelegt hatten. Nachdem die in einer Versammlung in Essen am 12. Mai gewählten sog. Kaiserdelegierten Schröder, Bunte und Siegel am 14. Mai vom Kaiser empfangen und unter Zusicherung arbeiterfreundlicher Reformen aufgefordert waren, die Arbeit wieder aufzunehmen, führten die mit dem Vorstande des bergbaulichen Vereins eröffneten Verhandlungen am 19. Mai zu einem Abkommen, auf Grund dessen die große Mehrzahl der Streikenden zur Arbeit zurückkehrte. Einem Wiederausbruche des Streiks, der infolge der mißverständlichen Fassung des Abkommens vom 27. Mai drohte, wurde durch Verhaftung des Streikkomitees vorgebeugt, und so war am Ende des Monats die Arbeit überall wieder aufgenommen.
So wenig bei der Einleitung des Streiks ein Einfluß der Sozialdemokratie festzustellen ist, so hatte doch während dessen Dauer dieselben erheblich an Boden gewonnen, und vor allem wußte sie sich den Erfolg zu sichern, indem sie den „Verband zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen im Rheinland und Westfalen“ ins Leben rief, der freilich keinen ausgesprochenen politischen Karakter trug, in dem aber von Anfang an der sozialdemokratische Einfluß überwog. Der Verband war sogar bestrebt, sich über ganz Deutschland auszudehnen und berief deshalb denersten deutschen Bergarbeitertag, der Mitte September 1890 inHallea. S. tagte. In der That gelang es dort, einen „Verband deutscher Bergleute“ ins Leben zu rufen, der 1892 beschloß, auchHüttenarbeiteraufzunehmen und dementsprechend seinen Namen änderte und in der „Berg- und Hüttenarbeiterzeitung“ sich ein eigenes Organ schuf; aber obgleich in dem „Glück auf“ vom 4. Januar1891 die Mitgliederzahl für das Königreich Sachsen auf 4000 angegeben wird und auch in Oberschlesien ein Zweigverein ins Leben gerufen wurde, so blieb doch die Bedeutung des Verbandes im wesentlichen auf Rheinland-Westfalen beschränkt. Von Anfang an war derselbe natürlich für die Bergwerksbesitzer der Gegenstand der schärfsten Angriffe, und in der That war die bei der Gründung vorhandene Mitgliederzahl von 58000 bald wesentlich vermindert.
Bald nach dem Streik war auch katholischerseits der Versuch gemacht, die vorhandene Erregung auszunutzen, und im Mai 1890 wurde der „Rheinisch-westfälische Bergarbeiterverein Glück auf“ begründet, der aber nicht zu irgendwelcher Bedeutung zu gelangen vermochte und sich bald mit dem „Rechtsschutzverein“ verschmolz.
Der Erfolg des ersten Streiks in Verbindung mit der Fortdauer vieler Beschwerdepunkte bewirkte, daß unter den Bergleuten die Neigung Boden fand, eine neue Kraftprobe zu unternehmen, und so brachen denn im Winter 1890/91 in verschiedenen Orten Unruhen aus. Auf einem am 15. Februar 1891 in Bochum abgehaltenen Delegiertentage, auf dem sowohl die sozialdemokratischen wie die katholischen Elemente vertreten waren, wurde ein aus beiden Richtungen zusammengesetzter Ausschuß gewählt, um bestimmt formulierte 5 Forderungen, insbesondere Lohnerhöhung und Achtstundenschicht einschließlich Ein- und Ausfahrt durchzuführen. Wie das erste Mal, so brach auch jetzt der Streik aus, ohne daß ein entsprechender Beschluß gefaßt wäre, aber nicht allein erreichte er nicht den früheren Umfang, indem die genau zu verfolgende Zahl der Streikenden niemals über 18122 stieg, sondern er hatte auch keinerlei Erfolg und mußte, nachdem er vom 16. April bis 5. Mai gedauert hatte, wieder aufgehoben werden.
Die Schuld an dem Mißerfolge suchten die beiden Richtungen sich gegenseitig zuzuschieben, thatsächlich hatte der sozialdemokratische „alte Verband“, wie er meist genannt wird, den Nutzen davon, denn seine Mitgliederzahl stieg erheblich über ihre frühere Höhe und wird am 19. April auf 100000 angegeben. Aber der Aufschwung war von kurzer Dauer, und bald machte sich ein starker Rückgang geltend. Dazu trug bei einerseits ein völlig mißglückter Sympathiestreik zu Gunsten der streikenden Saarbergleute, der am 8. Januar 1893 ausbrach und an dem sich 11000 Mitglieder beteiligten, und andererseits der Verlust des größten Teils des Verbandsvermögens in Höhe von 16000 Mk., die in dem Konkurse eines gegründeten bergmännischen Konsumvereins verloren gingen. Auf der am 25. August 1895 in Bochum abgehaltenen 5. Generalversammlung wurde die Zahl der Mitglieder auf 11000 angegeben, bei einer Einnahme für das Jahr vom 1. Juli 1894/5 zu 11796 Mk. und einer Ausgabe von 14765 Mk., mithin einem Fehlbetrage von 2968 Mk. und einem Vermögensbestande von 3777 Mk. Auf dem Berliner Gewerkschaftskongressewurden nur noch 9500 Mitglieder gezählt, in der Statistik der Generalkommission für 1895 nur 8000 und von gegnerischer Seite wurde auch diese Zahl als erheblich zu hoch bezeichnet. Auf der 8. Generalversammlung in Helmstedt am 18. April 1897 wurde ohne nähere Ziffernangabe erwähnt, daß die Zahl der Mitglieder erheblich gestiegen sei; die Jahreseinnahme wurde auf 15704 Mk., die Ausgabe auf 13304 Mk., der Kassenbestand auf 7685 Mk. angegeben. Die letzte Statistik der Generalkommission Vom 1. August 1898 verzeichnet 18000 Mitglieder, 48847 Mk. 70 Pf. Jahreseinnahme, 29923 Mk. 3 Pf. Jahresausgabe und 15554 Mk. 35 Pf. Kassenbestand[122]. Der Verband hat sich der Generalkommission angeschlossen. Der Vorsitzende ist der Bergmann H.Möllerin Bochum, Redakteur des Verbandsorganes istHuéin Essen.
In den letzten Jahren ist unter den Bergarbeitern eine neue Art der Organisation entstanden. War bis dahin das religiöse Element der Grund eines scharfen Gegensatzes unter den nicht sozialdemokratisch beeinflußten Bergleuten, so hat man jetzt den Versuch unternommen, die beiden Bekenntnisse zu gemeinsamem Vorgehen zu vereinigen, indem man dabei im Anfange besonders den Gegensatz gegen die Sozialdemokratie betonte. Als nämlich der 1894 abgehaltene internationale Bergarbeiterkongreß in Berlin aus dem Ruhrgebiete von 6 sozialdemokratischen Abgeordneten beschickt wurde, die sich als Vertreter der dortigen Bergarbeiter ausgaben, protestirte eine am 3. Mai 1894 in Essen abgehaltene Delegiertenversammlung der christlichen Knappen- und Arbeitervereine des Kreises Essen hiergegen und erklärte gleichzeitig, daß die Aufgabe der christlichen Vereine darin bestehe, gleichfalls die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder zu wahren. Eine niedergesetzte Kommission berief dann auf den 26. August 1894 nach der Rotenburg bei Essen eine von 424 Abgeordnetenals Vertretern von 182 Vereinen besuchte Delegiertenversammlung, auf der eine Resolution gefaßt wurde, welche die gewerkschaftliche Organisation der christlichen Bergarbeiter des niederrheinisch-westfälischen Kohlenreviers für erforderlich erklärte und ein vorläufiges Statut annahm. In der am 28. Oktober 1894 in Essen abgehaltenen konstituierenden Versammlung wurde dann derGewerkverein christlicher Bergarbeiter für den Oberbergamtsbezirk Dortmundendgültig begründet.[123]
In der Versammlung war auch die Bergbehörde und die Knappschaftsdirektion vertreten, ohne sich jedoch an den Verhandlungen zu beteiligen. Ein in der Versammlung vom 26. August 1894 an den Kaiser gerichtetes Huldigungstelegramm war freundlich beantwortet. Der Hauptgrund der Unzufriedenheit der Bergleute lag in ihrer ungenügenden Beteiligung an der Verwaltung der durch ihre Beiträge unterstützten Knappschaftskassen. Nach einer gehaltenen Umfrage hatten von 88 Zechen des Oberbergamtsbezirkes Dortmund nur 26 entsprechende Bestimmungen; auf 34 Zechen geschah die Verwaltung und die Verteilung der Gelder ganz nach dem Ermessen der Grubenverwaltungen. Das Statut des neugegründeten Gewerkvereins betont deshalb diese Forderung, stellt aber neben sie noch einige andere Punkte. Als allgemeiner Zweck wird bezeichnet „die Hebung der moralischen und sozialen Lage der Bergarbeiter auf christlicher und gesetzlicher Grundlage und Anbahnung und Erhaltung einer friedlichen Uebereinkunft zwischen Arbeitgebern und Arbeitern“. Insbesondere wird erstrebt: „1. Die Herbeiführung eines gerechten Lohnes, welcher dem Werte der geleisteten Arbeit und der durch diese Arbeit bedingten Lebenshaltung entspricht, 2. die Einschränkung der Schichtdauer, soweit solche zum Schutze von Gesundheit, Leben und Familie geboten ist, 3. ein Mitbestimmungsrecht über die Verwendung der in die Zechenunterstützungskassen fließenden Beiträge, 4. eine Vermehrung der Kontrollorgane zur Ueberwachung der Durchführung der bergpolizeilichen Vorschriften unter Hinzuziehung praktisch erfahrener Bergleute, 5. eine zeitgemäße Reform des Knappschaftswesens“.
Als Mittel zur Erreichung dieser Zwecke sind bezeichnet „Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Lohnfragen und bei berechtigten Wünschen und Beschwerden, Eingaben und Petitionen an die Werkverwaltungen, Bergbehörden, Regierung, Parlamente, belehrende und bildende Vorträge auf dem Gebiete der Berggesetzgebung, des Bergbaues und der Bestrebungen der Bergarbeiter in anderen Revieren und Ländern“.
Der Verein steht treu zu Kaiser und Reich und schließt im übrigen die Erörterung konfessioneller und politischer Parteiangelegenheiten aus. Durchden Eintritt bekennt sich jedes Mitglied als Gegner der sozialdemokratischen Grundsätze und Bestrebungen.
Jeder Bezirk wählt auf je 100 Mitglieder ein Ausschußmitglied; die Gesamtheit der letzteren bildet die Generalversammlung und wählt den Zentralvorstand, der aus 16 Mitgliedern besteht, und zwar je 8 aus den beiden Konfessionen. Daneben besteht ein Ehrenrat, dem außer Bergarbeitern auch Geistliche beider Bekenntnisse als Ehrenmitglieder angehören. Im Vorstande wie im Ehrenrate findet Parität der Bekenntnisse statt. Neben einem Eintrittsgelde von 50 Pf. wird ein vierteljährlicher Beitrag von 25 Pf. bezahlt. Diejenigen Mitglieder, die wegen ihres Eintretens für die Interessen des Gewerkvereins ohne sonstigen Grund von der Zechenverwaltung entlassen werden, haben Anspruch auf Unterstützung aus der Vereinskasse, über deren Höhe der Vorstand nach den Mitteln derselben und dem Grade der Bedürftigkeit entscheidet. Das Organ des Vereins ist der „Bergknappe“, der anfangs monatlich einmal, jetzt monatlich zweimal erscheint. Der Vorsitzende des Vereins, Bergmann August Brust in Altenessen, ist zugleich Redakteur des „Bergknappen“. Seit Januar 1898 hat er seine Thätigkeit im Bergbau aufgegeben, um sich ganz dem Vereine zu widmen und bezieht ein Gehalt von monatlich 150 Mk.
Obgleich der Verein, wie bemerkt, durchaus auf dem Boden friedlichen Zusammenwirkens mit den Arbeitgebern steht, so fand er doch in deren Kreisen die erbittertste Feindschaft, und da er gleichzeitig gegen die Sozialdemokratie den Kampf aufgenommen hat, so hat er große Schwierigkeiten zu überwinden. So ist es denn auch erklärlich, daß, obgleich die 182 Vereine, welche am 26. August 1894 in Essen vertreten waren, angeblich über 30000 Mitglieder zählen sollten, und obgleich am 28. Oktober 1894 noch 137 Vereine teilnahmen, in der am 31. März 1895 in Essen abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung nur die Errichtung von 100 Meldestellen berichtet werden konnte, von denen 68 Listen mit insgesamt etwa 4000 Mitgliedern eingesandt hatten. Die Einnahme betrug bis dahin 1553 Mk. 75 Pf., das Vermögen 865 Mk.
In der am 16. Dezember 1895 in Altenessen abgehaltenen ersten ordentlichen Generalversammlung wurde mitgeteilt, daß die Mitgliederzahl sich inzwischen auf 5400 gehoben habe. Ein Sekretär im Nebenamte mit einer Vergütung von monatlich 30 Mk. ist angestellt. Die Einnahme hat 4261 Mk., die Ausgabe 3929 Mk. betragen, letztere einschließlich eines belegten Betrages von 1400 Mk.
Der Verein hat sich seitdem günstig entwickelt. In der am 1. Februar 1897 in Bochum abgehaltenen zweiten ordentlichen Generalversammlung betrug die Mitgliederzahl bereits 8270 mit 80 Anmeldestellen und einem Kassenbestandevon 6000 Mk. Die am 26. Juni 1897 in Essen stattgehabte außerordentliche Generalversammlung konnte sogar auf eine Zahl von 15000 Mitgliedern mit 113 Anmeldestellen und einen Kassenbestand von 6300 Mk. zurücksehen. Am 1. Januar 1898 war die Zahl der Mitglieder auf 21439 und der Vermögensbestand auf 12682 Mk. gestiegen. Die dritte ordentliche Generalversammlung wurde am 16. Januar 1898 in Gelsenkirchen unter Anwesenheit von 286 Ausschußmitgliedern als Vertretern von 103 Zahlstellen abgehalten. Nach einer Notiz im „Bergknappen“ vom 15. Dezember 1898 betrug am 27. November 1898 der Mitgliederbestand 27983 und das Vermögen 14014 Mk. 15 Pf. In der vierten ordentlichen Generalversammlung, die am 8. Januar 1899 in Essen stattfand, waren 400 Vertreter anwesend. Nach dem Rechenschaftsberichte betrug die Mitgliederzahl 27983 und der Kassenbestand 16771 Mk.
In dieser gedachten Generalversammlung wurde übrigens von mehreren Seiten das schroffe Auftreten des Vorsitzenden Brust gegenüber dem alten Verbande getadelt. Brust hatte im Oktober 1868 seinen Rücktritt von seinem Posten erklärt, und man hatte dies vielfach auf den Gegensatz zwischen ihm und anderen Vorstandsmitgliedern hinsichtlich dieses Punktes zurückgeführt, doch hatte er seine Erklärung schon vor der Generalversammlung wieder zurückgenommen. In der letzteren wurde die Erhöhung des monatlichen Beitrages von 10 auf 20 Pf. und zugleich das wöchentliche Erscheinen des „Bergknappen“ vom 1. April 1899 ab beschlossen. Außerdem forderte man in einer Resolution: 1. Erweiterung der Zuständigkeit der Gewerbegerichte als Einigungsämter und Zulassung von Arbeitervertretern als Rechtsbeistände. 2. Abänderung des Unfallversicherungsgesetzes, insbesondere Erhöhung der Renten. 3. Abänderung des Berggesetzes, insbesondere Zuziehung von Arbeitervertretern zu der Bergaufsicht. 4. Verleihung von Korporationsrechten an die eingetragenen Berufsvereine. 5. Errichtung von Arbeiterkammern. Auch erklärte man, daß die bisher eingetretene Erhöhung der Löhne den zu stellenden billigen Anforderungen noch nicht entspreche, war aber darüber einig, daß ein Lohnstreik zur Zeit nicht aussichtsvoll sei.
Aus derThätigkeit des Verbandessind insbesondere hervorzuheben die Bestrebungen wegen Reform desKnappschaftswesensin dem oben bereits bezeichneten Sinne; man ist dabei in scharfen Gegensatz zu der bisherigen Leitung der Knappschaftskassen getreten und hat ziemlich dieselben Forderungen gestellt, die auch von dem alten Verbande erhoben wurden. Da die Knappschaftskassen für Krankheit, Invalidität, Alter und Todesfall sowie für die Witwen- und Waisen Sorge tragen, so hatte der Verband keine Veranlassung, das Unterstützungswesen in dem Maße auszubilden, wie es beianderen Arbeiterklassen geboten war. Immerhin hat er 2 Kassen errichtet, an denen die Beteiligung freilich freiwillig ist, den Mitgliedern aber dringend ans Herz gelegt wird. Die erste ist eineKrankengeldzuschußkasse, deren Zweck, wie der Name besagt, darin besteht, zu dem durch die Knappschaftskasse gesicherten Krankengelde noch einen Zuschuß zu gewähren, die andere ist eineSpar- undSterbekasse, deren Aufgabe es ist, einerseits im Falle des Todes, der Invalidität oder sonstigen Bedürftigkeit durch die angesammelten Spargelder zu helfen, andererseits aber auch eine Vorsorge für Streikfälle zu treffen, indem bei solchen ebenfalls die Mitglieder in der Lage sind, ihr Guthaben anzugreifen. Die letztere Absicht ist bei den einschlägigen Beratungen ausdrücklich betont, wie denn auch in den Statuten der Kasse als deren Zweck „die Stärkung der Organisation“ bezeichnet wird. Uebrigens sind beide Kassen noch nicht in Kraft getreten, da, wie in der Generalversammlung am 8. Januar 1899 mitgeteilt wurde, das am 9. August 1897 eingereichte Statut noch immer nicht genehmigt ist.
Mehrfach hat der Verein in Eingaben an die Behörden und insbesondere den Reichstag und Landtag die Interessen der Arbeiter zu fördern gesucht, z. B. durch Vorschläge zur Reform der Unfallversicherung und Erweiterung der Rechte der Gewerbegerichte, insbesondere Einräumung der Befugnis, auch auf Anrufen nur eines Teiles einzugreifen und Ausdehnung der Einrichtung auf den Bergbau, endlich durch die Forderung von Arbeiterausschüssen und Beteiligung von Bergleuten an der Aufsicht im Betriebe, zu welchem Zwecke die Unabhängigstellung der hierzu berufenen Personen von der Werksverwaltung verlangt wird.
DieStellung der Grubenbesitzerzu dem Vereine ist von Anfang an kaum weniger schroff ablehnend gewesen, als wenn es sich um ein sozialdemokratisches Unternehmen handelte, ja selbst die auch von unternehmerfreundlichen Blättern als durchaus berechtigt anerkannte Beteiligung der Bergleute an der Grubenaufsicht ist vom „Bergbaulichen Verein“ mit dem Bemerken abgelehnt, daß dazu kein Bedürfnis vorliege. Noch schlimmer ist es dem Gewerkverein mit seinen Bestrebungen um Erhöhung der Löhne ergangen. Auf die schon in Bochum am 1. Februar 1897 beschlossene Eingabe wegen einer allgemeinen Lohnerhöhung von mindestens 10% und eines Minimallohnes für die Hauer von jährlich 1500 Mk., die unter Ablehnung weitergehender Wünsche gefordert und durch ausführliches Material über die gestiegenen Kohlenpreise gerechtfertigt wurde, erteilte der „Bergbauliche Verein“ die Antwort, daß die Bergleute mit den einzelnen Zechen verhandeln mögen, lehnte also die Befugnis des Gewerkvereins zur Einmischung ab. Spätere Eingaben wurden überhaupt keiner Antwort gewürdigt.
DieBergbehördehat anfangs dem Vereine eine entgegenkommende Haltung bewiesen, der BerghauptmannTäglichsbeckhat regelmäßig persönlich an den Verhandlungen teilgenommen und über einzelne Beschwerdepunkte Auskunft gegeben, was von den Bergleuten stets anerkannt und durch öffentliche Aussprache des Dankes erwidert ist. In neuester Zeit freilich, wo der Wind in den Regierungskreisen in die gegen früher gerade entgegengesetzte Richtung umgeschlagen ist, hat sich auch die Haltung der Bergbehörden etwas geändert.
Ueber dieStellungnahme gegenüber dem alten Verbandehat in dem Gewerkvereine seit seinem Bestehen ein Widerstreit der Ansichten geherrscht. Schon bei der Gründung vertrat der auf katholischer Seite in erster Linie beteiligte Kaplan Dr.Oberdörfferden Standpunkt, daß man bei aller Betonung des christlichen Karakters und bei entschiedener Bekämpfung sozialdemokratischer Bestrebungen doch in praktischen Fragen mit dem Verbande zusammengehen müsse und dadurch am besten dahin wirken werde, Jenen von dem Einfluße der Sozialdemokratie zu befreien. Damals erlangte aber die von dem evangelischen PfarrerWeberempfohlene Politik schroffster Ablehnung jeder Berührung mit der Sozialdemokratie die Oberhand, was wohl der Grund dafür war, daßOberdörfferaus dem Ehrenrate ausschied. An seine Stelle trat der bekannte ZentrumsabgeordneteHitze. Auch im Kreise der Vereinsmitglieder selbst fand die Neigung zur Anbahnung eines guten Verhältnisses zum alten Verbande Vertreter, insbesondere an dem zweiten VorsitzendenWahl-Wattenscheid, während der erste VorsitzendeBrust-Altenessen denWeberschen Standpunkt vertrat. DaWahlevangelisch undBrustkatholisch ist, so ergiebt sich, daß der Gegensatz mit dem Bekenntnisse nichts zu thun hat. Die Meinungsverschiedenheit fand schließlich in der Generalversammlung in Gelsenkirchen am 16. Januar 1898 ihren Abschluß dadurch, daß eine Resolution angenommen wurde, die jedes Paktieren mit dem alten Verbande verwarf und das AuftretenWahlsentschieden mißbilligte, infolge wovon er aus dem Vereine ausschied. In neuester Zeit hat übrigens auch hier das schroffe Auftreten der Grubenbesitzer seine einigende Wirkung auf die Arbeiterkreise dahin geäußert, daß in dem „Bergknappen“[124]mehrfach erklärt ist, es bleibe schließlich doch nichts übrig, als auf praktischen Gebiete gelegentlich mit dem „alten Verbande“ Hand in Hand zu gehen.
Seitens derHirsch-DunckerschenGewerkvereinehaben anfangs Annäherungsversuche stattgefunden, die aber ziemlich kühle Aufnahme fanden, und noch in neuester Zeit hat der VorsitzendeBrustmit Nachdruck erklärt, daß der Verein jede Berührung mit politischen Parteien, zu denen auch jener Verein zurechnen sei, durchaus vermeiden müsse; daßHitzein dem Ehrenrate sei, rechtfertige sich nur durch seine Stellung als hervorragender Sozialpolitiker.
Mit der Stellung gegenüber dem alten Verbande hängt diejenige zu der Frage derStreiksauf das engste zusammen. Das Vereinsstatut betont, wie oben angegeben, die „Anbahnung und Erhaltung einer friedlichen Uebereinkunft zwischen Arbeitgebern und Arbeitern.“ Hiernach und nach der Persönlichkeit der leitenden Personen kann es gar keinem Zweifel unterliegen, daß die Absicht eines Gegensatzes gegen die Grubenbesitzer anfangs völlig ausgeschlossen war, wurde doch gerade darin von den Vertretern einer entschiedeneren Haltung der Hauptmangel des Vereins gesehen, indem man sogar so weit ging, die führenden Personen zu verdächtigen, daß sie unter dem Einfluße der Regierung ständen und beabsichtigten, die Bergarbeiter in deren Lager überzuführen. Aber die Verhältnisse erwiesen sich stärker als die Menschen. Schon in Bochum sprachen selbst diejenigen, die für die möglichste Mäßigung eintraten, sich dahin aus, daß man, falls die Grubenbesitzer auf ihrer Politik der schroffen Ablehnung auch der gemäßigtsten Forderungen beständen, sich mit der Möglichkeit eines Streiks vertraut machen müsse, auch gut thun werde, die Einrichtung einer Streikkasse ins Auge zu fassen, „um gegebenenfalls, wenn man den berechtigten Wünschen der Arbeiter nicht entspricht und alle sonstigen Mittel vergeblich sind, durch den gesetzlichen Ausstand eine Besserung der Lage zu erzwingen[125].“ Trotzdem bewahrte man selbst harten Zumutungen gegenüber die Ruhe und ging sogar so weit, daß man, als im Frühjahr 1897 auf der Zeche Osterfeld einige Mitglieder wegen ihrer Zugehörigkeit zum Vereine entlassen wurden, also dem Vereine in schroffster Form der Fehdehandschuh hingeworfen und eine Provokation ausgesprochen war, die nur den Zweck haben konnte, diesen zu einer Unbesonnenheit zu verleiten und dann zu vernichten, desungeachtet von einem Streik absah und sich darauf beschränkte, die Entlassenen zu unterstützen.
Aber es ist begreiflich, daß solche und ähnliche Vorgänge allmählich auch in den Vertretern der Mäßigung das Blut in Wallung brachten, und es liegt eine eigentümliche Ironie des Schicksals darin, daß gerade der VorsitzendeBrust, der z. B. die Befreiung des internationalen Gewerkschaftskongresses (1896) mit äußerster Energie bekämpfte und die Aufhebung eines schon gefaßten, für Beteiligung eintretenden Beschlusses erzwungen, der ferner, als auf dem Kongresse in Bochum am 2. Februar 1897Naumanndie gemeinsame gewerkschaftliche Thätigkeit mit dem alten Verbande empfahl, dies in der schroffsten Weise abgelehnt, der endlich aus der gleichen Veranlassung die AusschließungWahlsdurchgesetzt hatte, — daß dieser selbeBrustzum Führer einer großen Streikbewegungwerden mußte, die ihn in scharfen Gegensatz zuWeberbrachte und dessen Ausscheiden aus dem Ehrenrate zur Folge hatte. Das Ereignis, um das es sich handelt und das für die weitere Entwickelung der Dinge in der Bergarbeiterbewegung von der größten Bedeutung sein muß, ist derStreik am Piesberge.
Der Piesberg ist ein dem „Georg- und Marien-Bergwerks- und Hüttenverein“ gehöriges, in der Nähe von Osnabrück gelegenes Bergwerk. Bei dessen Betriebe wurde seit Jahrhunderten an den sog. sieben kleinen katholischen Feiertagen nicht gearbeitet. Da seit November 1896 erhebliche Wassereinbrüche in die Gruben stattgefunden hatten, wünschte die Verwaltung, vom 1. Januar 1898 ab eine Beseitigung dieser Einrichtung und erhielt nicht allein die erforderliche polizeiliche Genehmigung, sondern auch unterm 27. November 1897 den bischöflichen Dispens gegen die Zusicherung, die mit Einrichtung eines Frühgottesdienstes verbundenen Kosten zu übernehmen. Aber die Bergleute sahen in der Entziehung der Festtage, soweit sie nicht nur zur Beseitigung einer augenblicklichen Notlage, sondern für die Dauer erfolgte, eine ungerechtfertigte Maßregel, indem sie geltend machten, daß sie vor einer anstrengenden Tagesarbeit nicht in der Lage seien, noch einen Frühgottesdienst zu besuchen, daß sie aber, abgesehen von diesem religiösen Gesichtspunkte, auch nicht geneigt seien, im Interesse einer Erhöhung der Dividenden auf die ihnen erforderlichen Ruhetage zu verzichten. Die Ortsgeistlichen stellten sich von Anfang an auf die Seite der Arbeiter, und schließlich hat auch der Bischof von Osnabrück unterm 29. Januar bezw. 24. Februar 1898 seinen Dispens zurückgezogen. Die Werkverwaltung hatte den ersten Festtag, den 6. Januar, vorübergehen lassen, ohne die Arbeit zu verlangen, hatte dann freilich für den 2. Februar 1898 eine Aufforderung zur Einfahrt an die Arbeiter erlassen, aber, als derselben keine Folge gegeben wurde, einstweilen von weiteren Schritten abgesehen. Als aber an dem folgenden Festtage, dem 25. März, eine unter Androhung der Entlassung erneute Aufforderung ebenfalls keinen Erfolg hatte, wurde am folgenden Tage 500 Arbeitern gekündigt. Am 30. März kündigten dann mehrere hundert Arbeiter ihrerseits, aber nicht allein war nach dem Statute eine Gesamtkündigung nur der Werkverwaltung, nicht den Arbeitern erlaubt, sondern am 12. April wurde auch von einer großen Anzahl Arbeiter die Arbeit ohne Kündigung niedergelegt. Obgleich am 17. Mai auf Grund einer von der Zentrumsfraktion gestellten Interpellation eine Verhandlung der Angelegenheit im Reichstage stattfand, bei der der HandelsministerBrefelderklärte, die Grubenverwaltung solle die ihr erteilte polizeiliche Erlaubnis nur so lange behalten, bis die durch den Wassereinbruch hervorgerufene Notlage beseitigt sei und die Arbeiter sollten deshalb im Vertrauen hierauf die Arbeit wieder aufnehmen, wurde doch eine Verständigung nicht erzielt, da dieWerkverwaltung auf bedingungsloser Aufnahme bestand, was von den Arbeitern in ihren Versammlungen vom 3. und 4. Juni abgelehnt wurde, und so fand schließlich der Streik erst dadurch seine Erledigung, daß die am 8. Juni tagende Generalversammlung der Aktiengesellschaft beschloß, die Gruben am Piesberge stillzulegen, d. h. den Betrieb aufzugeben. So hat keine Partei den Sieg davon getragen; die durch die Betriebseinstellung beschäftigungslos gewordenen Bergleute haben ohne Mühe an anderen Orten Arbeit erhalten.
In diesen Streik hat auch der Gewerkverein christlicher Bergarbeiter durch seinen VorsitzendenBrustin einer Weise eingegriffen, die ihm heftige Vorwürfe zugezogen hat; insbesondere hat PfarrerWeberin einer öffentlichen Erklärung das VorgehenBrust's, als im Widerspruche mit den Statuten und Beschlüssen des Ehrenrates stehend, angegriffen und ist, nachdem in der einberufenen gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und Ehrenrates vom 17. April nur noch ein Mitglied auf seine Seite getreten war, die übrigen aber das VerhaltenBrust's gebilligt hatten, aus dem Ehrenrate ausgeschieden. Der Verlauf der Dinge ist nach dem „Bergknappen“ folgender gewesen.
Als am 2. Februar (Mariä Lichtmeß) trotz der ergangenen Aufforderung 2/3 der Arbeiter nicht eingefahren waren und die Ergreifung von Zwangsmaßregeln zu erwarten stand, wandte man sich seitens der beteiligten Bergleute, obgleich bis dahin der Gewerkverein in dem dortigen Bezirke noch keine Mitglieder hatte, an diesen und ersuchteBrust, in einer Versammlung zu erscheinen. Diese fand am 27. Februar statt und hatte zur Folge, daß sofort 500 Bergleute dem Gewerkvereine beitraten.Brustforderte in ihr die Bergleute auf, sich die Feiertage nicht rauben zu lassen, stellte auch in Aussicht, daß der Gewerkverein eine Vermittelung versuchen werde. Diese erfolgte dann durch ein seitens des Vorstandes an die Zechenverwaltung gerichtetes Schreiben vom 17. März, in welchem unter Bezugnahme darauf, daß 500 der beteiligten Bergleute dem Gewerkvereine angehörten, um Zurücknahme der Anordnung ersucht und gleichzeitig um eine mündliche Besprechung des GeneraldirektorsHermannmitBrustgebeten wurde. Diese fand am 19. März statt, hatte aber keinen Erfolg. In einer am folgenden Tage in Osnabrück abgehaltenen Versammlung berichteteBrustüber die Lage, enthielt sich aber hinsichtlich der Frage, ob man am 25. März arbeiten solle, der eigenen Stellungnahme und erklärte vielmehr, die Entscheidung jedem einzelnen Bergmanne überlassen zu müssen. Als dann am 26. März infolge Nichteinfahrens gegen 333 Arbeiter die Kündigung ausgesprochen war, wurdeBrusttelegraphisch aufgefordert, am folgenden Tage in einer in Wallenhorst abzuhaltenden Versammlung zu erscheinen. Er that dies und trug nach Kräften dazu bei, die vorhandene Aufregung zu beschwichtigen, mahnte vor allem eindringlich, sich vor Kontraktbruch zu hüten und die gesetzlicheKündigungsfrist inne zu halten. Inzwischen hatte der Vorstand des Gewerkvereins in einer an den Handelsminister gerichteten Eingabe vom 24. März den Vorschlag gemacht, den Streik dadurch beizulegen, daß die Arbeiter sich nur insoweit zur Arbeit an Festtagen verpflichten sollten, wie die Wassergefahr es erfordere, doch wurde am 7. April durch das Oberbergamt im Namen des Ministers dem Vorstande eröffnet, daß ihm eine Befugnis zur Vertretung der beteiligten Arbeiter überhaupt nicht eingeräumt werde.Brust, der zum Zwecke einer persönlichen Audienz bei dem Handelsminister nach Berlin fuhr, erhielt die Antwort, daß dieselbe nicht bewilligt werden könne. Auch ein von dem Vorstande am 6. April an die Zechenverwaltung gerichtetes Schreiben gleichen Inhalts und eine UnterredungBrust's mit dem GeneralsekretärStumpf, in der er sogar versprach, sich dafür verwenden zu wollen, daß die Bergleute bedingungslos an den Festtagen arbeiten sollten, bis die im Bau begriffenen neuen Wasserhaltungsmaschinen fertig sein würden, hatten keinen Erfolg. Nachdem dann die Verhandlungen im Reichstage stattgefunden hatten, richtete der Vorstand am 23. Mai nochmals ein Schreiben an die Zechenverwaltung mit dem Vergleichsvorschlage, es sollten bis zum Mai 1899, wo die beiden Wasserhaltungsmaschinen eingebaut sein würden, die Bergleute an den Festtagen arbeiten, von da ab aber die Festtage frei bleiben. Auf dieses Schreiben, in dem zugleich um eine mündliche Unterredung gebeten war, erfolgte überhaupt keine Antwort. Unter diesen Umständen hielt es der Vorstand für seine Pflicht, sich der Streikenden nach Kräften anzunehmen, und es gelang ihm, insgesamt 54267,04 Mk. zur Verteilung zu bringen.
Es erschien gerechtfertigt, den Piesberger Streik etwas eingehender darzustellen, da er ein ganz besonderes Interesse verdient, wie ja auch die Verhandlung im Reichstage beweist. Zum erstenmale ist ein Gewerkverein, der nicht allein die Förderung des guten Verhältnisses zu den Arbeitgebern anstrebt, sondern zugleich auf ausgesprochen christlichem Boden und unter dem Einflusse der Geistlichen beider Bekenntnisse steht, in die Lage gekommen, einen Streik durchzuführen, und, wie schon bemerkt, wird dieser Vorgang nicht allein für die weitere Entwicklung dieses einzelnen Vereins von maßgebender Bedeutung sein, sondern es handelt sich auch zugleich um die Frage, welche Rolle diese neue Art von Gewerkvereinen in der sozialen Bewegung der Gegenwart spielen werden. Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß gegen die streikenden Bergleute und deshalb auch gegen den sich ihrer annehmenden Gewerkverein erhebliche Vorwürfe zu erheben sind. Dazu gehört nicht allein die Nichtinnehaltung der Kündigungsfrist, sondern es war auch der Gegenstand des Streites von der Art, daß man nicht ohne weiteres den Bergleuten Recht geben kann. Religiöse Bedenken waren durch den bischöflichen Dispens erledigt und sind auch wohlkaum das treibende Motiv gewesen. Obgleich man nun die Bestrebungen auf Herabsetzung der Arbeitszeit grundsätzlich durchaus zu billigen hat, so ist doch der eingeschlagene Weg, 7 Feiertage, die nur in einem ganz beschränkten Gebiete bestehen, aufrecht zu erhalten, wenig glücklich, und wenn die hohen Dividenden der Aktionäre ins Feld geführt wurden, so ist durch die Reichstagsverhandlungen erwiesen, daß dieselben seit 20 Jahren nicht mehr als 3% betragen haben.
Wenn man trotzdem das Verhalten der Zechenverwaltung und noch mehr dasjenige der Regierung mißbilligen muß, so liegt der Grund hierfür darin, daß beide sich nicht darauf beschränkt haben, die Forderung der Arbeiter zurückzuweisen, sondern sich auf den Standpunkt des hochmütigen Unternehmertums gestellt haben. Inhaltlich war der Streit von dem Augenblicke ab erledigt, daß beiderseits erklärt war, bis zur Fertigstellung der Wasserhaltungsmaschinen solle an den Feiertagen gearbeitet werden, von da ab aber nicht mehr. Weshalb war trotzdem eine Einigung nicht möglich? Nun lediglich deshalb, weil die Grubenbesitzer es ablehnten, dieses Zugeständnis in die Form eines Vergleiches zu kleiden; bedingungslos sollten die Arbeiter sich unterwerfen, dann wurde ihnen Gnade für Recht in Aussicht gestellt. Die Begründung dieses Vorgehens war die oft gehörte, daß die Disziplin und das Recht, Herr im eigenen Hause zu bleiben, eine andere Erledigung ausschließe; der Arbeiter soll eben in dem Arbeitgeber seinen Herrn sehen, der, wenn er artig ist, ihn gut behandelt, der aber sich niemals so weit erniedrigt, sich mit ihm auf dieselbe Bank zu setzen. Aber noch zweifelloser ist das Unrecht der Grubenverwaltung hinsichtlich der Ablehnung der von dem Vorstande des Gewerkvereins angebotenen Vermittelung. Ein großer Teil der beteiligten Bergleute waren dessen Mitglieder; wenn also dessen Legitimation trotzdem bestritten wurde, so bedeutet dies nichts weiter, als eine grundsätzliche Stellungnahme gegen die gewerkschaftliche Organisation überhaupt und findet seine Erklärung lediglich in dem Gesichtspunkte, daß natürlich die Stellung des Arbeitgebers dem einzelnen Arbeiter gegenüber stärker ist, als gegenüber einer Vereinigung derselben. Dieses Uebergewicht wollten sich die Grubenbesitzer nicht nehmen lassen, wie ja auch aus der bereits erwähnten Bestimmung des Statuts hervorgeht, die den Arbeitern eine gemeinschaftliche Kündigung verbietet, während sie der Zechenverwaltung gestattet ist. Der Arbeiter soll vereinzelt bleiben, um seine Kraft zu schwächen. Auf denselben engherzigen und ungerechten Standpunkt stellte sich auch der Handelsminister, indem er die Einmischung des Gewerkvereins ablehnte; wir leben eben in der Zeit der sozialen Reaktion.
In neuester Zeit hat übrigens der Gewerkverein zum zweitenmal Gelegenheit gehabt, einen Streik zu unterstützen, indem er auf der am 8. Januar1899 in Essen abgehaltenen Generalversammlung dem Niederrheinischen Gewerkverein christlicher Textilarbeiter in Krefeld als Beihülfe in dem von ihm unternommenen Streik[126]1000 Mk. bewilligte. Selbst einen Streik in die Hand zu nehmen, hat der Verein bisher abgelehnt, obgleich er wiederholt für eine Erhöhung der Löhne bei der augenblicklich günstigen Geschäftslage eingetreten ist; der Grund ist aber lediglich der, daß man einen Streik zur Zeit als aussichtslos ansieht.
Wie bereits erwähnt, hat der Piesberger Streik innerhalb des Christlichen Bergarbeitervereins insofern eine Sezession zur Folge gehabt, als PfarrerWeberund mit ihm das zweite evangelische Mitglied, KaufmannLegewitt, aus dem Ehrenrathe ausschieden, weil sie die Beteiligung am Streik mißbilligten.Brusthat sich gegen die vonWeberveröffentlichte Erklärung dahin verteidigt, daßWebersich nicht auf einen Rath beschränkt, sondern sich ein Recht der Oberleitung angemaßt habe, das ihm nicht zukomme. In neuester Zeit hat dieser Streit eine weitere Folge gehabt durch den Versuch, eine Gegenorganisation in's Leben zu rufen. Am 7. April 1899 veröffentlichte nämlich ein BergmannFürkötter, der seit einem Jahre eine „Evangelische Berg- und Hüttenarbeiterzeitung“ herausgiebt, eine Erklärung, durch welche mit der Begründung, daß viele Bergarbeiter weder in dem alten Verbande wegen dessen sozialdemokratischer Richtung, noch in dem christlichen Gewerkvereine wegen dessen „ultramontaner Allüren“ ihre Befriedigung fänden, zur Gründung einergroßen evangelischen Organisationaufgefordert wurde. In einer Versammlung des Evangelischen Arbeitervereins Mönchen-Gladbach vom 10. April in welcher PfarrerWeberden Plan befürwortete, wurde dessen Unterstützung beschlossen. Aber in der zum Zwecke der Gründung auf den 7. Mai nach Bochum einberufenen Versammlung, in der sich nur 30 Personen als Vertreter von 15 Vereinen eingefunden hatten, mußte man sich überzeugen, daß der Gedanke einer Gegenorganisation keinen Boden fand, hatten doch am 16. April die 9 evangelischen Vorstandsmitglieder desselben einen Protest erlassen, in welchem sie die Behauptung, daß innerhalb des Vereins ultramontane Propaganda getrieben werde, für völlig unberechtigt erklärten. So beschränkte man sich denn nach einem Referate des PfarrersWeberauf den Beschluß, der auch von dem anwesenden Vertreter des Gewerkvereins unterstützt wurde, einen lediglich zur Belebung des religiösen Bewußtseins bestimmten „evangelischen Knappenbund“ in's Leben zu rufen. —