Chapter 16

Das Beispiel des Christlichen Bergarbeitervereins im Ruhrgebiete hat zurFolge gehabt, daß auch imSiegerlande[127]eine ähnliche Organisation ins Leben gerufen ist. Am 1. Juli 1897 wurde nämlich nach mehreren Vorverhandlungen der „Verein christlicher Berg-, Eisen- und Metallarbeiter, im Sieg-Haller Industriebezirk“ mit 8 Anmeldestellen und 400 Mitgliedern begründet.

Der Zweck des Vereins ist die Hebung der moralischen und sozialen Lage der Arbeiter auf christlicher und gesetzlicher Grundlage und Anbahnung und Erhaltung einer friedlichen Uebereinkunft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Insbesondere erstrebt der Verein: a) die Herbeiführung eines gerechten Lohnes, welcher dem Werte der geleisteten Arbeit und der durch diese Arbeit bedingten Lebenshaltung entspricht; b) die Arbeitsdauer, soweit solche zum Schutze von Gesundheit, Leben und Familie geboten ist; c) eine Vermehrung der Kontrollorgane zur Ueberwachung der Durchführung der berg- und gewerbepolizeilichen Vorschriften unter Hinzuziehung praktisch erfahrener Arbeiter; d) eine zeitgemäße Reform des Krankenkassenwesens.

Der Verein steht treu zu Kaiser und Reich. Im übrigen schließt er die Erörterung konfessioneller und politischer Parteiangelegenheiten aus.

Die Mittel zur Erreichung des Zwecks sind: Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Lohnfragen und bei berechtigten Wünschen und Beschwerden, Eingaben und Petitionen an die Werksverwaltungen, Bergbehörden, Regierung, Parlamente, belehrende und bildende Vorträge auf dem Gebiete der sozialen Gesetzgebung.

Durch den Eintritt in den Verein bekennt sich jedes Mitglied als Gegner der sozialdemokratischen Grundsätze und Bestrebungen. Der Zentralvorstand ist aus Vertretern beider christlicher Bekenntnisse in gleicher Anzahl zusammengesetzt; dabei sollen Berg- und Industriearbeiter möglichst gleichmäßig berücksichtigt werden. Mitglieder, die wegen ihres Eintretens für die Interessen des Vereins entlassen werden, haben Anspruch auf Unterstützung aus der Vereinskasse. Nach dem Statute soll auch ein Ehrenrat bestehen, doch ist ein solcher bisher noch nicht errichtet, wie denn überhaupt der Verein sich mehr, wie andere ähnlicher Art, allein auf die eigene Kraft der Arbeiterschaft verläßt und Elemente aus anderen Klassen fernhält.

Der Verein hatte sofort Gelegenheit, das Wohlwollen der Werksbesitzer kennen zu lernen. Der zum Vorsitzenden gewählte BergmannArnold Utschin Mudersbach hatte nämlich in der am 5. September 1897 in Niederndorf abgehaltenen Generalversammlung die Aeußerung gethan, es sei richtiger, zuKnappschaftsältesten Bergleute und nicht, wie bisher, Beamte zu wählen, da diese weniger unabhängig seien, als die Arbeiter. Die Folge dieser staatsgefährlichen Aeußerung war, daß Utsch am 9. September 1897 gekündigt wurde. Der Grubenbesitzer Kommerzienrat Siebel in Kirchen, an den sich Utsch mit der Bitte um Rücknahme der Kündigung wandte, stellte als Bedingung, daß derselbe die Stellung als Vorsitzender des Vereins niederlege, nirgends mehr Versammlungen abhalte und die mißbilligte Aeußerung öffentlich widerrufe. Utsch lehnte diese Bedingungen ab und wandte sich um Vermittelung zunächst an das Oberbergamt in Bonn und dann an die Regierung in Arnsberg, doch beides ohne Erfolg. Natürlich hatte dieses Ereignis eine große Erregung der Bergarbeiter zur Folge, die in mehreren großen Protestversammlungen, u. a. am 3. Oktober in Gosenbach, am 14. November in Siegen unter Teilnahme des Hofpredigers Stöcker, des Vikars Brauns und des Bergmanns Wahl als zweiter Vorsitzender des christlichen Bergarbeitervereins im Ruhrgebiete und am 28. November in Mudersbach ihren Ausdruck fand. In der Letzteren wurde mitgetheilt, daß der Verein bereits 32 Anmeldestellen mit 2136 Mitgliedern besitze. Dem Vorsitzenden Utsch wurde für die Dauer seiner Beschäftigungslosigkeit eine Unterstützung von monatlich 100 Mk. bewilligt. Es wurde zugleich über den Anschluß an den christlichen Gewerkverein, dessen Vorsitzender Brust hiefür warm eintrat, verhandelt, doch wurde dagegen geltend gemacht, daß die Verhältnisse in beiden Bezirken wesentlich verschieden seien, da im Siegreviere der Kohlenbergbau zurücktritt und die Eisenförderung überwiegt. Man vertagte die Entscheidung auf eine andere Versammlung, die am 2. Januar 1898 in Siegen stattfand, in der aber beschlossen wurde, von dem Anschlusse abzusehen, auch ein eigenes Vereinsorgan zu gründen und das Statut dahin zu ändern, daß der Verein den ganzen Oberbergamtsbezirk umfaßt. Dementsprechend wurde der neue Name „Gewerkverein der christlichen Berg-, Eisen- und Metallarbeiter für den Oberbergamtsbezirk Bonn“ angenommen.

Das beschlossene eigene Organ ist unter dem Titel „Christliche Arbeiterzeitung“ mit dem 15. März 1898 ins Leben getreten.

Dieerste ordentliche Generalversammlungdes Vereins hat am 17. Juli 1898 inBetzdorfstattgefunden. Es wurde mitgeteilt, daß die Mitgliederzahl bereits 4000 bei 50 Anmeldestellen betrage und daß sich die Jahreseinnahme auf 4010 Mk., die Ausgabe auf 2220 Mk. und der Kassenbestand auf 1790 Mk. belaufe. Der VorsitzendeUtschlegte sein Amt nieder und wurde durchBreidebachersetzt. Es wurde beschlossen, daß der Verein seinen Mitgliedern in Unfallsachen Erstattung von Reisekosten und ärztliche Gutachten gewähren soll. Ein Antrag, die Bekämpfung der Sozialdemokratieals besondere Aufgabe in das Statut aufzunehmen, wurde abgelehnt. Dasselbe Schicksal hatte der Vorschlag des Vorstandes wegen Errichtung einer Krankengeldzuschußkasse, doch ist man seitdem der Ausführung von neuem nahe getreten. Der Verein hat sich auch an dem Piesberger Streik durch Sammlung von Unterstützungsgeldern beteiligt. Bisher erhalten die Mitglieder des Vorstandes keine Vergütung, doch beabsichtigt man, demnächst einen besoldeten Sekretär anzustellen.

In einer am 27. November 1898 in Siegen abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung wurde beschlossen, den monatlichen Beitrag von 10 auf 20 Pf. zu erhöhen und die „Christliche Arbeiterzeitung“ zweimal monatlich erscheinen zu lassen. Außerdem richtete man eine Eingabe an den Handelsminister, in der um Errichtung eines Berggewerbegerichts gebeten wird. Die Mitgliederzahl betrug am 1. April 1899 6500. —

Der Versuch, eine alle Bergleute in ganz Deutschland umfassende Organisation ohne Unterschied der religiösen und politischen Stellung ins Leben zu rufen, ist bis jetzt erfolglos gewesen. Allerdings hatte der „Alte Verband“ zu diesem Zwecke denersten nationalen Bergarbeiterkongreßberufen, der am 26. und 27. Dezember 1894 in Essen unter Beteiligung von 87 Abgeordneten tagte. Die letzteren waren jedoch fast ausschließlich aus Rheinland-Westphalen, nur drei aus dem Königreich Sachsen, einer aus Brandenburg, einer aus Ober- und einer aus Niederschlesien. Der christliche Bergarbeiterverband war zur Beteiligung eingeladen, aber nicht vertreten. Aus den Beschlüssen ist hervorzuheben: die achtstündige Arbeitsschicht einschließlich Ein- und Ausfahrt, einheitliches Berggesetz und Arbeitsordnung für ganz Deutschland, Wahl der Bergaufsichtsbeamten durch die Arbeiter. Der Antrag auf Nationalisierung der Bergwerke wurde abgelehnt, die Religion mit keinem Worte berührt, wie man überhaupt alles that, um den rein gewerkschaftlichen Karakter streng zu wahren und Anschluß allen Richtungen und Anschauungen offen zu halten.

Obgleich man beschloß, solche Kongresse jährlich stattfinden zu lassen, so vergingen doch zunächst über 2 Jahre, und erst am 19. und 20. April 1897 wurde in Helmstedt derzweite nationale Bergmannskongreßabgehalten, der von 57 Abgeordneten, und zwar 28 aus dem Ruhrgebiete, 7 aus dem Königreich Sachsen, 8 aus der Provinz Sachsen, 4 aus Sachsen-Altenburg, 4 aus Braunschweig, 1 aus Oberbayern, 2 aus Niederschlesien und 1 aus dem Saarbezirke besucht war. Man behandelte die Reform des Knappschaftswesens und der staatlichen Versicherung und forderte neben einem Maximalarbeitstage von 8 Stunden einschließlich Ein- und Ausfahrt einen einheitlichen Mindestlohn von 4 Mk. für ganz Deutschland, unter Ablehnung der weitergehenden Forderungvon 5 Mk. Der Kongreß sprach sich ferner dafür aus, daß die gewerkschaftlichen Organisationen einen rein wirtschaftlichen Karakter haben müßten, so daß jedem Arbeiter ohne Rücksicht auf seine religiösen oder politischen Ansichten der Eintritt offen stehe. Deshalb seien einseitige religiöse oder politische Arbeiterverbindungen hierzu nicht geeignet.

Derdritte Kongreßhat vom 2. bis 4. April 1899 in Halle a. S. stattgefunden unter Beteiligung von 74 Abgeordneten. Gegenstände der Verhandlungen waren der Arbeiterschutz und die ungenügenden sanitären Einrichtungen in den Gruben, insbesondere die mangelhaften Reinigungsvorrichtungen, sowie endlich die Lohn- und Arbeitsverhältnisse; man forderte den achtstündigen Arbeitstag und einen Durchschnittslohn von täglich 5 Mk., sowie Regelung des Knappschaftswesens durch Reichsgesetz.

Der christliche Bergarbeiterverein für den Oberbergamtsbezirk Dortmund hat sich, wie bemerkt, an diesen Versammlungen nicht beteiligt, dagegen seinerseits den Plan ins Auge gefaßt, auf christlicher Grundlage eine Organisation über ganz Deutschland herbeizuführen. Der Verein hatte auf den 31. Januar, 1. und 2. Februar 1897 einen „Delegiertentag christlicher Bergarbeitervereine Deutschlands“ nach Bochum einberufen, an dem außer den Vertretern des Vereins noch 2 Abgeordnete aus Niederschlesien, 2 aus Oberschlesien, 6 aus dem Sauerlande, 5 aus dem Siegerlande und einer aus dem Sulzthale erschienen waren. Die Gründung eines christlichen Bergarbeitervereins für ganz Deutschland scheiterte vorläufig an dem Umstande, daß die einzelnen Vereine erhebliches Vermögen angesammelt haben, das sie nicht einfach aufgeben wollten, während die Bildung eines die einzelnen Vereine in ihrer Selbständigkeit nicht antastenden Verbandes derselben durch das Vereinsgesetz zur Zeit verboten ist, da die von den Vereinen geübte Thätigkeit von den Behörden als eine politische aufgefaßt wird. Doch wurde die Anbahnung engerer Fühlungnahme ins Auge gefaßt.

Die übrigen Verhandlungsgegenstände betrafen: 1. Arbeitszeit, 2. Sonntagsruhe, 3. Frauenarbeit, 4. Schutz für Leben und Gesundheit der Arbeiter, 5. Arbeiterausschüsse, 6. das Kassenwesen der Bergleute, 7. die Lohnfrage.

An den Verhandlungen nahmen auch als eingeladene Gäste neben dem ProfessorHitzeals Mitglied des Ehrenrates der Geheimrat A.Wagnerund der Verfasser dieses Buches teil, indem sie Vorträge über ihnen gestellte Themata hielten. Sie alle, insbesondere aber A.Wagner, sind deshalb von der antisozialen Presse lebhaft angegriffen, ja gegen letzteren wurde sogar von dem Freiherrn v. Stumm bei dem Kultusminister die Einleitung eines Disziplinarverfahrens beantragt, doch hat dieser ein solches abgelehnt. —

Die Bergarbeiterbewegung befindet sich zweifellos noch in einem Zustande der Gärung und der Unklarheit, und es ist schwer, über ihre wahrscheinlicheEntwickelung eine Vermutung auszusprechen. Daß die vorhandene Zersplitterung der erfolgreichen Wirksamkeit nachteilig sein muß, liegt auf der Hand, und es sind dem Christlichen Bergarbeiterverbande wegen seiner Haltung von beachtenswerter Seite ernsthafte Vorwürfe gemacht, ja die ganze Schöpfung ist wegen ihrer ausschließenden Tendenz für ein totgeborenes Kind erklärt und behauptet, daß die heutigen Leiter des „alten Verbandes“ obgleich sie sich persönlich zur sozialdemokratischen Partei zählen, Selbstverleugnung genug besitzen würden, zurückzutreten und einer durchaus neutralen Leitung Platz zu machen, sobald Aussicht vorhanden sei, einen wirklich lebenskräftigen Verband zum thatkräftigen Schutze der Bergarbeiterinteressen zustande zu bringen. Es ist für den Fernstehenden schwer, die Berechtigung dieser Anschauungen zu prüfen. Wie oben dargelegt, besteht innerhalb des christlichen Gewerkvereins hinsichtlich der Grundanschauung und insbesondere des Verhaltens gegenüber der Sozialdemokratie eine wesentliche Meinungsverschiedenheit, wobei der weiterblickende und vorurteilslose Standpunkt als der richtigere anerkannt werden muß. Es ist ja gewiß berechtigt, den in der Sozialdemokratie herrschenden religionsfeindlichen und auf Verbitterung des Klassengegensatzes abzielenden Bestrebungen entschieden entgegenzutreten, aber den Schwerpunkt einer Arbeitervereinigung in diese Bekämpfung zu legen, ist verkehrt. Nicht allein ist ein solches bloß negatives Ziel nicht geeignet, einen Sammelpunkt für praktische Besserungsbestrebungen zu bieten, sondern unter der Flagge der Sozialdemokratie segeln auch sehr wertvolle Elemente der Arbeiterschaft, mit denen man wegen dieses einzigen Trennungspunktes die Verbindung nicht abbrechen sollte. Daß wenigstens zunächst die weitere Spaltung der christlichen Bergarbeiter durch Gründung einer evangelischen Gegenorganisation gescheitert ist, ist jedenfalls hocherfreulich als Beweis dafür, daß die Bergleute die Gefahr der Zersplitterung einsehen. Da auch der „alte Verband“ in den letzten Jahren in die gemäßigte und rein gewerkschaftliche Richtung eingelenkt hat, so ist die Hoffnung nicht aufzugeben, daß allmählich eine gegenseitige Annäherung stattfinden und die Möglichkeit gegeben sein wird, daß in rein praktisch-gewerkschaftlichen Fragen alle Bergarbeiter geschlossen vorgehen.

An sich sind ja offenbar Gewerkvereine auf religiöser Grundlage etwas Widersinniges, denn die Berufsinteressen sind von der Stellung zur Religion durchaus unabhängig. Sie erhalten ein relatives Recht nur als Reaktion gegen einen anderen Fehler. Genau so widersinnig wie religiöse Gewerkschaften sind politische, denn auch das politische Glaubensbekenntnis ist für die Verfolgung praktischer Berufsinteressen ohne Bedeutung. Solange also die in der Generalkommission vertretenen Gewerkschaften sich als Anhängsel der Sozialdemokratie betrachten, ist es eine natürliche Reaktion, daß sich antisozialdemokratische Gewerkvereinebilden, und da der gegen die Sozialdemokratie zu erhebende Vorwurf sich vor allem auf ihre Stellung zur Religion und die Monarchie richtet, müssen die hiergegen reagierenden Gewerkvereine gerade diese beiden Punkte zum Gegenstande ihres Gegensatzes nehmen. Da es nun aber bis jetzt außer der Sozialdemokratie eine Arbeiterpartei nicht giebt und deshalb die Arbeiterschaft sich gewöhnt hat, in ihr nicht die Sozialdemokratie, sondern die Arbeiterpartei zu sehen, so ist es begreiflich, daß gewerkschaftliche Vereinigungen, die sich zur Sozialdemokratie in Gegensatz stellen, dem Mißtrauen begegnen, daß sie überhaupt nicht oder wenigstens nicht mit dem erforderlichen Nachdruck die Vertretung der Arbeiterinteressen beabsichtigten. Diesem Mißtrauen können sie nur durch entschiedenes Auftreten die Spitze abbrechen. Setzte sich deshalb der christliche Gewerkverein, indem er für die vertragsbrüchigen Arbeiter von Piesberg Partei ergriff, ins Unrecht, so mußte er doch, falls er es nicht that, befürchten, dem bezeichneten Mißtrauen neue Nahrung zu geben, und es ist möglich, daß von den beiden Uebeln, zwischen denen er zu wählen hatte, die moralische Mitverantwortung für den Vertragsbruch als das geringere anzusehen war.

Aber die Schwierigkeiten, die sich für die Stellung des Vereins ergeben, sind hiermit noch nicht erschöpft. Wird er einerseits von kapitalistischer Seite der agitatorischen Verhetzung der Arbeiter beschuldigt, während, wie schon bemerkt, von anderer Seite gewünscht wird, daß er in praktischen Dingen mehr, wie bisher, sich dem alten Verbande nähern möge, so kommt dazu endlich noch die aus der Beteiligung von Arbeiternbeider Bekenntnissesich ergebende Schwierigkeit, die dadurch gesteigert ist, daß seit dem AusscheidenWebersder evangelischen Seite eine rechte Vertretung fehlt, woraus bereits die Behauptung hergeleitet ist, daß in dem Vereine das katholische Element stark überwiege. Es kann als sicher angenommen werden, daß eine solche Einseitigkeit von der Leitung des Vereins nicht beabsichtigt wird. Daß die Haltung gegenüber dem alten Verbande unnötig schroff ist, muß als Mangel anerkannt werden, denn gerade jetzt, wo der Gewerkverein dem alten Verbande gegenüber der stärkere Teil ist, würde ein Zusammenwirken mit ihm auf praktischem Gebiete nur zur Folge haben, die spezifisch sozialdemokratischen Elemente in den Hintergrund zu drängen und den Verband auf die Bahn einer rein gewerkschaftlichen Thätigkeit zu leiten.

Es muß auch als durchaus wahrscheinlich angesehen werden, daß die Entwicklung sich in dieser Richtung vollziehen wird, denn die Verhältnisse sind nun einmal stärker als die Menschen, und in der That ist der christliche Gewerkverein trotz seines Gegensatzes gegen die Sozialdemokratie seit dem Piesberger Streik immer mehr in die entschiedenere Haltung hineingedrängt; manche Aeußerungen gegen das Unternehmertum, die der antisozialistischeBrustin dem „Bergknappen“ anwendet, würden einem sozialdemokratischen Blatte keine Schande machen. Offenbar findet aber die entschiedenere Haltung den Beifall der Bergarbeiter und hat dazu gedient, das anfängliche Mißtrauen gegen den christlichen Verein zu zerstreuen, wie dessen steigende Mitgliederzahlen beweisen. Es bewahrheitet sich auch hier die oft beobachtete Erfahrung, daß Einseitigkeit auf der einen Seite stets als Reaktion die Einseitigkeit auf der andern hervorruft. Daraus läßt sich aber zugleich die weitere Entwicklung beurteilen. Der kurzsichtige Unternehmerhochmut, der in jeder Regung des Selbständigkeitsdranges unter der Arbeiterschaft sofort eine Gefahr der Staats- und Gesellschaftsordnung erblickt und gewerkschaftliche mit sozialdemokratischen Bestrebungen ohne weiteres in denselben Topf wirft, wird schon das Seinige dazu beitragen, die verschiedenen Gruppen in der Arbeiterbewegung Schulter an Schulter zu reihen; und die Ereignisse des letzten Jahres zeigen deutlich die Richtung, in der die Dinge in der nächsten Zukunft sich gestalten werden.

a)Allgemeines.

Die staatlichen Beamten befinden sich gegenüber ihrem Arbeitgeber, dem Staate, in einer wesentlich anderen Stellung, als die im Dienste von Privaten stehenden Beamten und Arbeiter. Insbesondere liegt dies daran, daß der Staat eben nicht nur Arbeitgeber und Unternehmer, sondern zugleich die Zusammenfassung der Gesamtheit ist. Freilich sollte man zwischen den aus beiden Eigenschaften sich ergebenden Befugnissen, den privatrechtlichen des Arbeitgebers und den öffentlich rechtlichen des Staates, streng unterscheiden. Aber das ist aus dem Grunde unmöglich, weil die Beamten vielfach Hoheitsrechte des Staates zur Geltung zu bringen haben und in dieser Eigenschaft eine Stellung einnehmen, die nur nach staatsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist, während in anderen Fällen die Thätigkeit keine grundsätzlich andere ist, als bei Privatangestellten.

Nun ist freilich durch diese Sonderstellung der staatlichen Beamten an sich kein Umstand gegeben, der ihre Zusammenfassung zu Berufsvereinen hinderte, denn diese verfolgen nach ihrem Begriffe kein anderes Ziel, als die Vertretung der gemeinsamen Interessen aller Berufsangehörigen, und solche sind vorhanden, mag das Wirkungsgebiet dem öffentlichen oder dem Privatrechte angehören. Aber trotzdem wäre es nicht unerklärlich, wenn das Bedürfnis zur Bildung von Berufsvereinen unter den staatlichen Beamten entweder gar nicht oder in geringerem Grade hervorträte, denn die Behörde, der gegenüber sie die Interessen der Mitglieder zu vertreten haben, steht diesen anders gegenüber als der Privatunternehmerseinen Beamten und Arbeitern. Läßt sich in letzterem Falle ein gewisser Gegensatz der Interessen nicht bestreiten, und mag man ihn auch hinsichtlich der verschiedenen Beamtenklassen gegeneinander und deshalb die Berechtigung eines sog. Ressortpartikularismus zugeben, so sollte doch bei verständiger Auffassung ein Gegensatz zwischen den Interessen der Beamten und denen ihrer Vorgesetzten nicht bestehen. Aber ein solcher Gedankengang hat nicht mit der psychologischen Thatsache des „Willens zur Macht“ gerechnet, der es mit sich bringt, daß der Durchschnittsmensch, wenn er in die Lage kommt, einen Untergebenen zu haben, eine Befriedigung darin findet, dieses Unterordnungsverhältnis in der Weise zum Ausdruck zu bringen, daß er ihn seine Gewalt fühlen läßt und selbst berechtigte Wünsche nicht erfüllt, um zu beweisen, daß eben er derjenige ist, dem die Entscheidung zusteht.

Aus dem Gesagten ergiebt sich ein doppeltes:einerseits, daß auch unter den staatlichen Beamten die Bildung von Berufsvereinen zum Schutze der gemeinsamen Interessen, also kurz gesagt von Gewerkvereinen, eine Notwendigkeit ist, die je nach der in den Kreisen der obersten Leitung herrschenden Richtung mehr oder weniger scharf hervortritt;andererseitsaber auch, daß gerade da, wo die Notwendigkeit am stärksten ist, diese Bestrebungen bei den Oberbehörden den entschiedensten Widerstand finden werden. Notwendigkeit und Widerstand stehen, wie der Mathematiker sagt, im geraden Verhältnisse. Es ist deshalb begreiflich, daß bis jetzt die Gewerkschaftsbewegung in den Staatsbetrieben nur da hervorgetreten ist, wo die Leitung, am sozialen Maßstabe gemessen, die schlechteste war, wo insbesondere Bureaukratismus und Fiskalismus am stärksten sich geltend machte.

Nun ist aber, wie schon bemerkt, in Staatsbetrieben die Bildung solcher Vereine schwierig, da die Behörde, gegen deren Willen sie ins Leben gerufen werden, den Beamten mit ganz anderen Machtmitteln gegenübersteht, als sie der Privatunternehmer gegen seine Angestellten besitzt. Und zwar aus einem doppelten Grunde. Einerseits macht sich bei den meisten Staatsbetrieben die Monopolstellung des Staates geltend, d. h. ein anderer ähnlicher Betrieb, in dem der entlassene Beamte Arbeit finden könnte, ist nicht vorhanden. Andererseits verfügt die Behörde nicht nur über die privaten Machtmittel des Arbeitgebers, sondern zugleich über die öffentlich-rechtlichen des Staates. Wird durch diese Umstände die Lage der Beamten erschwert, so kommt ihnen dagegen allerdings als ein gewisser Ausgleich zu statten, daß die Handlungsweise der staatlichen Behörden in höherem Maße, als die der Privatunternehmer, der öffentlichen Kritik untersteht und es deshalb leichter ist, durch die Macht politischer Faktoren einen Einfluß geltend zu machen. —

Die oben bezeichnete Voraussetzung für die Notwendigkeit von Berufsvereinen trifft in erster Linie zu für dieReichs-Postverwaltung. Hat zwarvon Stephansich zweifellos um das Postwesen außerordentliche Verdienste erworben, so hatte doch nicht allein in seinen letzteren Jahren die frühere Elastizität des Geistes einer bureaukratischen Verknöcherung Platz gemacht, sondern selbst in seinen besten Jahren hat in der Fürsorge für seine Beamten nicht der Schwerpunkt seiner Thätigkeit gelegen. Es ist deshalb ebenso verständlich, daß diese den Versuch unternahmen, ihre Interessen durch Berufsvereine zu schützen, als daß diese den heftigsten Zorn des Chefs erregten und daß ihre Mitglieder in jeder Weise gemaßregelt wurden. Daß diese Verfolgungen nicht im stande waren, die Vereine zu vernichten, ist ein ehrenvolles Zeichen karakterfester Gesinnung.

Der jetzige Staatssekretär des Reichspostamtes v.Podbielskyzeigte im Anfange seiner Amtsthätigkeit einen wesentlich freieren Blick, als sein Vorgänger und schien insbesondere hinsichtlich der Organisation der Postbeamten eine vorurteilslose Auffassung zu verfolgen. Aber die Luft des Bureaus und der Staub der Akten übt einen Einfluß, dem selbst die besten Nerven nicht standhalten, und so scheint auch unter dem neuen Regimente die Furcht, daß durch eine Organisation der Beamten die Disziplin untergraben werde, das Uebergewicht erlangt zu haben.

Es giebt naturgemäß unter den Postbeamten eine Reihe vonAbstufungenund Klassen, zwischen denen sogar zum Teil eine gewisse Rivalität besteht. Uns interessiert nur folgende Abstufung:

1. die oberen Beamten bis einschließlich der Sekretäre,

2. die Assistenten und Oberassistenten,

3. die Unterbeamten.

Die erste dieser 3 Gruppen kommt für unsere Frage nicht in Betracht. Allerdings bestehen an den meisten größeren Orten Postbeamtenvereine, deren Vorsitzende meist der Postdirektor ist, aber diese haben einen lediglich geselligen Karakter; Aufgaben, wie die Wahrung der gemeinsamen Berufsinteressen oder auch nur die Förderung fachwissenschaftlicher Kenntnisse liegen ihnen fern. Solche Ziele werden nur von den Klassen 2 und 3 verfolgt. Die einzige Ausnahme bildet der Bayrische Verkehrsbeamtenverein, in welchem auch die höchsten Beamten vertreten sind; er verdient deshalb eine besondere Darstellung.

b)Der Bayrische Verkehrsbeamten-Verein[128].

In Bayern wurden seitens der Beamten der Post-, Telegraphen- und Eisenbahnbeamten schon in den 70er Jahren Versuche zu einer Organisationgemacht, die sich allerdings zunächst auf die einzelnen Verkehrsgruppen und einzelnen Orte und Bezirke beschränkten. So entstand im Januar 1874 ein „Verein Münchener Telegraphenbeamten“ und Ende 1875 unter dem Namen „Postalia“ ein solcher der Münchener Postbeamten, der sich am 2. Januar 1876 zu dem „Verein Münchener Verkehrsbeamten“ erweiterte. Auch in Ingolstadt, Augsburg, Nürnberg und der Rheinpfalz bildeten sich ähnliche Vereine, die alle zunächst überwiegend geselligen Zwecken dienten, bald aber sich höhere Ziele steckten. Bald brach sich auch der Gedanke Bahn, daß eine Verschmelzung aller dieser Einzelvereine erforderlich sei, und so erfolgte am 13. Juni 1883 die Gründung des „Bayrischen Verkehrsbeamten-Vereins“, indem zunächst der Münchener Telegraphenverein und der Verein Münchener Verkehrsbeamten sich verschmolzen, doch konnte schon am 19. August 1883 eine von 80 Abgesandten aus ganz Bayern besuchte konstituierende Generalversammlung zusammentreten, die die Ausdehnung auf das ganze Königreich beschloß, indem ein Statut angenommen, ein Vorstand gewählt und ein Verbandsorgan geschaffen wurde, zugleich übernahm man die von dem Verein Münchener Verkehrsbeamten gegründete Spar- und Vorschußkasse auf den neuen Verein; schon 1884 wurde auch eine Witwen- und Waisenunterstützungskasse ins Leben gerufen.

Der neue Verein erfreute sich ebenso, wie seine Vorläufer, der Gunst der Regierung, die nicht allein den Mitgliedern zu den Versammlungen freie Fahrt, sondern zugleich für das Vereinsorgan und Geldsendungen Portofreiheit bewilligte. Aber bald erfolgte ein Umschwung, hervorgerufen durch einige Artikel des Vereinsorganes über Personal- und Dienstverhältnisse, in denen nach Auffassung der Behörde das zulässige Maß freier Aussprache überschritten war. Zunächst wurde dem Verein die Zulassung als „anerkannter Verein“[129]verweigert, und am 17. Januar 1885 wurde derselbe von der Polizeidirektion München als politischer Verein erklärt; am folgenden Tage wurde auch die Portofreiheit entzogen. Diese Maßregeln hatten den Austritt vieler Mitglieder zur Folge, viele der Spar- und Vorschußkasse gegebene Kapitalien wurden zurückgezogen, und der Verein kam so stark in Rückgang, daß das Vereinsorgan aufhören mußte, zu erscheinen. Unter diesen Umständen schien nur der Weg der Unterwerfung übrig zu bleiben, und er wurde gewählt. Der Vorstand trat zurück und im April 1885 löste der Verein sich auf, um sich dann sofort von neuem zu bilden; andere Personen wurden zur Leitung berufen, die das guteEinvernehmen mit der Regierung als obersten Grundsatz betrachteten, und so begann jetzt die Zeit der Blüte, die noch heute andauert. Die Portofreiheit wurde wieder bewilligt, der Verein als „anerkannter Verein“ eingetragen und der GeneraldirektorSchnorrv.Carolsfeldtrat demselben als ordentliches Mitglied bei.

Die Mitgliederzahl ist seitdem ständig gestiegen. Sie betrug 1885 etwa 1400; 1888: 1865; 1889: 2160; 1890: 2789; 1891: 3867; 1892: 4429; 1893: 4960; 1894: 5207; 1895: 5568; 1896: 5742; 1897: 5772.

An Stelle des 1884 eingegangenen Vereinsorganes traten zunächst Vereinsberichte in zwangloser Folge, aus denen 1888 die „Monatsschrift des Bayrischen Verkehrsbeamten-Vereins“ entstand, die endlich vom 1. Juli 1892 ab den Titel „Bayrische Verkehrsblätter“ erhielt. Die Auflage betrug 1897 6800.

Die „Spar- und Vorschußkasse“ sowie die „Witwen- und Waisenkasse“ wurden 1893 von dem Verein formell getrennt und zu selbständigen „anerkannten Vereinen“ umgebildet, doch ist der Beitritt zu der letzteren Kasse für jedes Vereinsmitglied obligatorisch.

Seit 1895 hat der Verein auch Fachunterrichtskurse eingeführt, ebenso gibt er Fachwerke heraus und stiftet Preise für die Lösung von Fachaufgaben unter seinen Mitgliedern. Am 1. Juli 1897 hat er ein eigenes Vereinshaus mit Bibliotheks- und Unterrichtsräumen, in dem auch die Verwaltungen der beiden Kassen untergebracht sind, errichtet.

In den Statuten ist als Zweck des Vereins bezeichnet: „Die Förderung und Pflege der geistigen und materiellen Interessen seiner Mitglieder“ und als Mittel zur Erreichung dieses Zweckes u. a. die Herausgabe eines Fach- und Vereinsorganes, die Schaffung von Einrichtungen, um den Mitgliedern bei ihrer beruflichen Fortbildung behülflich zu sein, die Anlegung einer Bibliothek, die Zirkulation von Fachzeitschriften, die Veranstaltung von Vorträgen und Diskussionen sachlichen und wissenschaftlichen Inhalts, die Pflege des geselligen Lebens und der Kollegialität, die Errichtung eines Unterstützungsfonds, Vermittelung von Versicherungsverträgen.

Als ordentliche Mitglieder können dem Verein beitreten alle im Dienste der bayrischen Verkehrsanstalten sowie der pfälzischen Bahnen stehenden Beamten, Aspiranten und Bahnärzte. Unterbeamte und Arbeiter werden nicht aufgenommen. Der Jahresbeitrag ist 8 Mk.

Wie die vorstehende Darstellung ersehen läßt, ist der gewerkschaftliche Karakter, der also auch die Vertretung der Interessen der Mitglieder gegenüber der Verwaltung erfordert, seit der Katastrophe im Jahre 1884 fast ganz zurückgetreten.

c)Verband deutscher Post- und Telegraphenassistenten.

Der Verband wurde am 6. Juni 1890 gegründet und bezweckt nach seinen Satzungen, „unter seinen Mitgliedern allgemeine und Berufsbildung zu fördern, Vaterlandsliebe, Geselligkeit und Kollegialität, wirtschaftliche Vorteile für die Mitglieder herbeizuführen und die Interessen des Post- und Telegraphenassistentenstandes zu vertreten“. Aufnahmefähig ist jeder Angehörige des Post- und Telegraphenassistentenstandes. Außer Unterstützungen, die nach freier Entschließung des Vorstandes an bedürftige Hinterbliebene verstorbener Mitglieder gegeben werden, gewährt der Verband seinen Mitgliedern günstigere als die allgemeinen Bedingungen bei verschiedenen Versicherungsgesellschaften. Außerdem ist in jedem Bezirke einFamilienbeiraterrichtet, der den Zweck hat, bei Sterbefällen von Mitgliedern dessen Hinterbliebenen mit Rat und That zur Seite zu stehen, insbesondere besorgt derselbe die Abwickelung der für die Beerdigung erforderlichen Geschäfte, die Flüssigmachung der Gnadenbezüge, der Sterbekassen-, Lebensversicherungs-, Witwen- und Waisengelder, die Vermögensregulierung, die Einleitung der Vormundschaft, nötigenfalls die Erwirkung von Unterstützungen, Stipendien, Erziehungsbeihülfen und ähnlichen Zuwendungen.

In dieser Beziehung liegen dem Familienbeirat namentlich folgende Geschäfte ob:

Anmeldung der Beerdigung bei dem Geistlichen, Besorgung der Traueranzeigen, Beschaffung des Sarges, Bestellung des Leichenwagens und der Wagen für das Trauergefolge, Besorgung der Auszüge aus dem Sterberegister, des ärztlichen Totenscheines, der Heiratsurkunde, der standesamtlichen Geburtsurkunden der Kinder unter 18 Jahren, Wahrnehmung des Schriftwechsels mit den Lebensversicherungsgesellschaften, Stellung des Antrages auf gerichtliche Eröffnung eines etwaigen Testaments, Erstattung einer Anzeige an die Einkommensteuer-Veranlagungskommission behufs Herabsetzung der Steuern und einer Anzeige an das Vormundschaftsgericht, Unterstützung bei Anfertigung von Gesuchen u. s. w.

Von besonderer Bedeutung ist die vom Verbande errichteteWarenkassenebst Warenhaus. In die Kasse muß jedes Mitglied monatlich mindestens 3 Mk. einzahlen, bis ein Bestand von 60 Mk. erreicht ist. Bei Bezügen aus dem Warenhause wird zunächst das Guthaben angerechnet; sonst wird es mit 4% verzinst. Das Warenhaus, das jetzt einen wesentlichen Teil der Einrichtungen des Verbandes ausmacht, verdankt seine Gründung dem Umstande, daß im Jahre 1891 der damalige VerbandsvorsitzendeFunk, durch dessen Einfluß überhaupt der Verband ins Leben gerufen war, wegen dieser Thätigkeit von der Postbehörde seines Amtes enthoben wurde und der Verbandden Wunsch hatte, ihm eine mit entsprechendem Einkommen verbundene Stellung zu verschaffen. Das Warenhaus hat jetzt eine erhebliche Bedeutung erreicht, es hat nach dem Abschlusse vom 31. Dezember 1895 während seines 4½ jährigen Bestehens für 920000 Mk. Waren umgesetzt. Die Waren sind ganz überwiegend Bekleidungsgegenstände; so entfielen auf diese im Jahre 1894/95 bei einem Gesamtumsatze von 360000 Mk. volle 320000 Mk., und den Vorwürfen gegenüber, daß der Verband durch sein Warenhaus die Kleingewerbetreibenden schädige, hat sich derselbe stets darauf berufen, daß diejenigen, denen er Konkurrenz mache, nicht diese, sondern etwa 40 große Konfektionsversandtgeschäfte seien, in deren Hände die jungen Leute bei Beschaffung ihrer Uniform fielen und die infolge des gewährten und selten wieder völlig getilgten Vorschusses den Betreffenden regelmäßig jahrelang zum weiteren Bezuge zwängen.

Das äußere Wachstum des Verbandes ist trotz aller Verfolgungen sehr rasch vor sich gegangen. Die Mitgliederzahl betrug Ende 1890: 1840; Februar 1892: 2197; Ende 1892: 2766; Ende 1893: 3923; Ende 1894: 5610; Ende 1895: 7703; am 6. Juni 1896: 8846; Ende 1896: 9710; Ende 1897: 12289; am 17. Oktober 1898: 14000 in 41 Bezirksvereinen und 87 Ortsvereinen. Da die Gesamtzahl der Assistenten 24000 und die der Gehülfen 10000 beträgt, so sind jetzt etwa 40% organisiert.

Der Umsatz der Warenkasse, die 11 Zweiggeschäfte besitzt, belief sich im Jahre 1897 auf 606939 Mk. Das Vermögen betrug Ende 1894: 77290 Mk., Ende 1895: 100776 Mk., Ende 1897: 136194 Mk. 60 Pf.

Der Vorsitzende des Verbandes ist OberpostassistentKahsnitzin Berlin. Das Vereinsorgan ist die „Deutsche Postzeitung“ die im 8. Jahrgange erscheint mit einer Auflage von 15800.

Der Verband hat bei den Beratungen des Reichstages über den Postetat im Frühjahr 1898 einen großen Erfolg erzielt, indem er durch seinen Einfluß auf die Abgeordneten es durchsetzte, daß bei der allgemeinen Gehaltserhöhung die in der Vorlage der Regierung gar nicht berücksichtigten Assistenten durch einstimmigen Beschluß des Reichstages mit einem Höchstgehalte von 3000 Mk. eingefügt wurden, obgleich die Regierung sich dem lebhaft widersetzte.

Im allgemeinen freilich ist an Stelle der früheren Verfolgung des Verbandes und Maßregelung seiner Mitglieder, die früher regelmäßig im Reichstage zu lebhaften Verhandlungen führte, jetzt das System der stillschweigenden Duldung getreten.

Um den grundsätzlichen Standpunkt des viel angegriffenen Verbandes authentisch darzulegen, mögen hier die „Leitsätze für die Mitglieder des Verbandes Deutscher Post- und Telegraphenassistenten“ abgedruckt werden, in denen die Grundauffassung desselben insbesondere auch hinsichtlich seiner Stellung zuden Behörden mit ausreichender Klarheit zum Ausdrucke gelangt ist. Dieselben lauten mit Auslassung eines hierfür nicht in Betracht kommenden Absatzes:

1. Der Verband Deutscher Post- und Telegraphenassistenten ist eine Vereinigung, die auf gesetzlicher Grundlage beruht und deren Wirken als ein staatserhaltendes und fortschrittförderndes bezeichnet werden muß.

2. Der Verband verfolgt die Hebung des Assistentenstandes der Reichspost- und Telegraphenverwaltung in dienstlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Beziehung. Er wirkt damit im Interesse sowohl seiner Mitglieder, als auch zum Wohle der Gesamtheit, letzterer insofern, als er ihr Kräfte nutzbar zu machen sucht, die unter den gegenwärtigen Verhältnissen gebunden sind. Die Besserung der dienstlichen und gesellschaftlichen Stellung des genannten Standes wird angestrebt durch sachgemäße und offenherzige, sich in angemessenen Bahnen bewegende Besprechung vorhandener Mißstände und durch dauerndes Hinweisen auf nicht mehr zeitgemäße Einrichtungen und Bestimmungen. Die wirtschaftliche Besserstellung des Assistentenstandes wird, soweit sie aus eigener Kraft erfolgen kann, erreicht durch gemeinschaftliche Einrichtungen, wie das Verbandswarenhaus, die Zweiggeschäfte des Verbandswarenhauses, die Warenkasse u. s. w.

3. Die Zugehörigkeit zum Verbande bringt die Mitglieder in keiner Weise mit ihren Pflichten als Beamte in Widerspruch, sie ist im Gegenteil geeignet, anregend auf den Einzelnen zu wirken, seinen Gesichtskreis zu erweitern und so, mittelbar, auch den Dienst zu fördern.

4. Es ist Ehrenpflicht eines jeden Verbandsmitgliedes, in dienstlicher Beziehung alles zu vermeiden, was ihn in Konflikt mit Vorgesetzten bringen könnte, damit aus vereinzelten Vorfällen nicht der Schluß gezogen werde, daß die Zugehörigkeit zum Verbande die Neigung zur Unbotmäßigkeit fördere oder den Wunsch erzeuge, den geordneten Organen der Verwaltung Schwierigkeiten zu machen. Ganz im Gegenteil liegt es durchaus im Sinne der Verbandsbestrebungen und entspricht nur der von der Verbandsleitung bisher stets beobachteten und empfohlenen Haltung, daß jedes Mitglied für seinen Teil danach trachte, den Vorgesetzten, und unseren Gegnern durch ernstes, pflichttreues Verhalten die höchste Achtung abzunötigen. Es muß dahin gestrebt werden, daß die Zugehörigkeit zum Verbande als eine Empfehlung, nicht als ein Nachteil gilt.

5. Wenn einerseits tadellose Dienstführung und angemessenes Benehmen gegen Vorgesetzte und Untergebene jedem Verbandsmitgliede zur Ehrenpflicht gemacht wird, so muß ihm andererseits empfohlen werden, auch seine staatsbürgerlichen Rechte in jeder Beziehung zu wahren, jeden Versuch einer Beschränkung derselben mit Festigkeit zurückzuweisen und Uebergriffen von Vorgesetzten in geziemender, aber nachdrücklicher Weise zu begegnen. Es suche einjeder, dem Unrecht gethan worden ist, sein Recht noch bis zur höchsten Instanz, damit nicht, wie es geschehen ist, aus dem Fehlen berechtigter Beschwerden der Beweis für die Behauptung hergeleitet werde, daß Uebergriffe und Maßregelungen nicht vorkommen.

6. Es ist mit allen gesetzlich und moralisch erlaubten Mitteln der Agitation, soweit der Dienst dadurch nicht beeinträchtigt wird, die Gewinnung neuer Mitglieder zu betreiben. Es muß der Beweis geliefert werden, daß der Verband, sobald ihm freie Bahn zu seiner Entwickelung gelassen wird, mit großer Schnelligkeit wächst.

7. Die Mitgliedschaft ist stets und überall offen zu bekennen; schwache Gemüter mögen es sich gesagt sein lassen, daß zaghafte, schwankende Haltung oder gar Leugnen das letzte ist, was Achtung einflößen kann, und daß ein solches Verhalten ganz gewiß keinen besseren Schutz gewährt, als freimütiges Bekennen eines als richtig erkannten Standpunktes und offenes, in angemessener Form sich äußerndes Vertreten einer gewonnenen Ueberzeugung.

8. Jedes Mitglied möge sich stets bewußt sein, daß unser Heil in uns selbst, in unserer eigenen Kraft und Einigkeit liegt. Fremde Hülfe ist uns stets willkommen, wird dankbar angenommen und kann unseren Weg uns ebnen, finden aber und beschreiten müssen wir ihn selbst. „Selbst ist der Mann!“ Können wir uns selbst nicht helfen, so hilft uns auch sonst niemand.

9. Der Verband hat sich von jedem, auch dem leisesten Versuch einer politischen Stellungnahme auf das Peinlichste fern zu halten. Er beansprucht keinerlei Einfluß auf die politische Meinung seiner Mitglieder und überläßt es jedem derselben, sich eine solche selbst zu bilden nach seiner eigenen Ueberzeugung.

Daß man einen Verband, der solche Ansichten vertritt, der ungeachtet der bis an die Grenze des Möglichen gehenden Ausnutzung der Arbeitskraft bei kärglicher Bezahlung, wie sie im Postdienste stattfindet, so entschieden die Ehrenpflicht seiner Mitglieder betont, durch pflichttreues Verhalten sich die Achtung der Vorgesetzten zu erringen, — daß man einen solchen Verband mit allen gesetzlichen und ungesetzlichen Mitteln verfolgte und ihm noch jetzt ablehnend gegenübersteht, ist ein Beweis, daß unsere Reichsbehörden sich noch auf einer unglaublich tiefen Stufe sozialpolitischen Verständnisses befinden. Weiß man denn gar nicht, daß die Sozialdemokratie unter dem niederen Beamtentum reißende Fortschritte macht? Hat man die Absicht, diese Thatsache dadurch zu rechtfertigen, daß man den Beteiligten den Weg, im gesetzlichen Rahmen ihre Interessen zu vertreten, gewaltsam versperrt? Und welchen Grund hat man für dieses Verfahren? Es scheint keine andere Erklärung dafür zu geben, als ein auf die äußerste Spitze getriebener Bureaukratismus, der so weit geht,daß er schon in den bloßer Vereinigung der Beamten ohne Rücksicht auf deren Zwecke einen Akt der Auflehnung sieht, der die Beamten wie Maschinen oder wenigstens wie Kinder behandeln will, für deren Interessen nicht sie selbst, sondern ihre Vorgesetzten zu sorgen haben.

Daß unter dem Verbande tüchtige Kräfte enthalten sind, von deren Wirksamkeit sich ein weiteres Gedeihen erwarten läßt, beweisen gewisse Reformgedanken, die in neuester Zeit in dem Verbandsorgan[130]von einem Postassistenten unter dem PseudonymLoheerörtert werden; danach will man eine grundsätzliche Erweiterung des gewerkschaftlichen Rahmens durch Einbeziehung derjenigen Thätigkeit, die man bisher als genossenschaftliche zu bezeichnen pflegt. Insbesondere ist vorgeschlagen, die Thätigkeit des Warenhauses nicht, wie bisher, auf das Gebiet der Konsumtion zu beschränken, sondern auch die Produktion einzubeziehen und z. B. die Herstellung von Kleidungsstücken in eigenen Werkstätten, die Einrichtung einer Verbandsdruckerei und -buchhandlung, die Herstellung von Wohnungen für die Mitglieder u. dgl. seitens des Verbandes in Angriff zu nehmen. Aber die genossenschaftliche Thätigkeit soll nicht auf das wirtschaftliche Gebiet beschränkt bleiben, sondern auch das Bildungs- und Geselligkeitsleben z. B. durch Einrichtung von Verbandsschulen, Veranstaltung von Vorträgen, Einrichtung von Lesezirkeln und Anschluß an die Bestrebungen sozialreformerischer Vereinigungen, wie des evangelisch-sozialen Kongresses u. dgl., in seinen Bereich ziehen, um so zu der mittelalterlichen Form einer den ganzen Menschen umfassenden Personalgenossenschaft zurückzukehren. — Solche Pläne beweisen nicht allein die in dem Verbande enthaltene geistige Triebkraft, sondern sind in der That interessant als Ausblicke auf eine mögliche Zukunftsentwickelung des ganzen Gewerkschaftswesens. Allerdings passen sie nicht in das Schema der allgemeinen Dienstanweisung und werden deshalb die Sympathieen für den Verband in den Kreisen des Postregimentes nicht vermehren.

In neuester Zeit hat sich in dem Verhältnisse des Verbandes zu dem Staatssekretär des Reichspostamtes eine eigenartige Umgestaltung vollzogen. Der Letztere berief auf dem 25. März drei Vorstandsmitglieder zu sich um ihnen mitzuteilen, daß der jetzige Zustand nicht bestehen bleiben könne. Der Verband bilde einen Staat im Staate, da er die Interessen einer einzelnen Beamtenklasse vertreten wolle, während seine Mitglieder sich vielmehr als Teile der ganzen Verwaltung zu fühlen hätten. Dadurch werde die Neigungzur Unbotmäßigkeit gereizt. Er, der Staatssekretär, vertrete die Interessen der Assistenten ebenso, wie die der andern Beamten und müsse verlangen, daß dieselben volles Vertrauen zu ihm hätten. Der Kaiser wolle zufriedene Beamte haben, und er sei bestrebt, solche zu schaffen. Die auf diese Auseinandersetzung gestützte Forderung ging dahin, daß aus den Statuten die „Vertretung der Interessen des Postassistentenstandes“ als Aufgabe des Verbandes gestrichen werde. Die Entfernung des gegenwärtigen Redakteurs des Verbandsorganes wurde nicht verlangt, wohl aber, daß der Vorstand für dasselbe die Verantwortung übernehme. Eine maßvolle Kritik solle nicht untersagt sein, aber die Spitze derselben dürfe sich nicht gegen die Verwaltung kehren.

Der Vorstand, ebenso wie die auf den 7. Mai einberufene außerordentliche Generalversammlung, in der übrigens mitgeteilt wurde, daß der Mitgliederbestand auf 14600 in 94 Ortsvereinen gestiegen sei, nahm den gemachten Friedensvorschlag mit Dank und ohne Widerspruch an. In den Satzungen wurde die „Vertretung der Interessen des Assistentenstandes“ als Aufgabe des Verbandes gestrichen und durch die „Pflege der Kameradschaft“ ersetzt; ebenso wurde das Verbandsorgan der Durchsicht des Verbandsvorsitzenden unterteilt.

Es mag sein, daß dem Verbande kaum etwas anderes übrig blieb, als die von dem Staatssekretär gebotene Hand anzunehmen, zumal Jener für den Fall des Widerstandes die entschiedensten Maßregeln in Aussicht gestellt hatte. Aber eine andere Frage ist es, ob der Staatssekretär sozialpolitisches Verständnis beweist, wenn er den Grundsatz aufstellt, daß, weil er die Interessen der Beamten vertrete, eine Organisation derselben zu gleichen Zwecke entbehrlich und schädlich sei. Offenbar ist es der Geist des patriarchalischen Bureaukratismus, der aus dieser Auffassung spricht und sich in den schärfsten Gegensatz stellt zu der modernen Anschauung, daß auch der Beamte Staatsbürger ist und alle Rechte desselben ausüben darf, soweit er nicht zu den Pflichten seines Amtes in Widerspruch tritt. Diese Pflichten verbieten ihm aber nicht, Wünsche auf Verbesserung seiner Lage auf gesetzlichem Wege geltend zu machen, und der Umstand, daß die Beamten dies gemeinsam thun, kann die an sich berechtigte Handlungsweise nicht zu einer unberechtigten machen.

Jedenfalls hat der Postassistentenverband durch seinen jüngsten Schritt seinen gewerkschaftlichen Karakter im wesentlichen verloren und damit auch das hohe sozialpolitische Interesse, das er vorher verdiente.

d)Die Postunterbeamten[131].

Bis zum Jahre 1895 gab es in den größeren Städten eine Anzahl Unterbeamtenvereine, die aber rein geselligen Karakter hatten. Gewöhnlich warder Postdirektor oder ein anderer Vorgesetzter ihr Ehrenmitglied. In einigen Städten, z. B. Breslau, Hannover, Bremen, Hamburg, Köln, Dresden, Leipzig hatte man auch Sterbeunterstützungskassen, welche mit den Vereinen in Verbindung standen. In Berlin gab es zwei große Sterbekassen, die zusammen von den 10000 Unterbeamten etwa 9500 umfaßten. Endlich bestand auch noch für ganz Preußen die 1827 gegründete amtliche Sterbekasse für Postunterbeamte, der aber nur 2900 Mitglieder angehörten.

Die Versuche, eine Gesamtorganisation der Postunterbeamten für das Reichspostgebiet zu schaffen, gingen von zwei verschiedenen Seiten aus. Die erste war der „Deutsche Postbote“, der am 1. Dezember 1895 ins Leben gerufen wurde und nach kurzer Zeit über 20000 Abonnenten zählte. Sein Begründer und Eigentümer ist der frühere PostassistentRemmers, der aber in der Zeit der gegen den Assistentenverband gerichteten Verfolgungen seine Stellung verlor und, nachdem er eine Zeit lang in der Leitung des Verbandes und an der „Deutschen Postzeitung“ beschäftigt gewesen war, den Plan faßte, ein Organ zur Förderung der Interessen der Unterbeamten zu schaffen.

Die Gründung des „Postboten“ gab den Anstoß, auch eine eigentliche Organisation ins Auge zu fassen, und zwar war der Urheber dieser Bestrebungen der langjährige Vorsitzende der „Sterbekasse der Briefträger“, der größten der beiden oben erwähnten Berliner Sterbekassen, Postpackmeister a. D.Allert. Er hatte schon früher die Gründung einer großen freien Sterbekasse der Postunterbeamten Deutschlands ins Auge gefaßt, aber das Preußische Ministerium des Innern verweigerte die hierzu erforderliche Genehmigung mit der Begründung, daß die Uebersicht zu schwierig und die Organisation zu teuer werden würde. Immerhin gelang es, in Dresden, Dortmund und Hannover Bezirkssterbekassen ins Leben zu rufen, obgleich die Postbehörde sich dazu feindlich stellte und vielmehr versuchte, die alte amtliche Sterbekasse von 1827 wieder zu beleben.

Als sich der Gedanke einer allgemeinen Sterbekasse nicht zur Ausführung bringen ließ, faßteAllertden Plan, einen Unterstützungsverband und eine Witwen- und Waisenkasse zu schaffen. Dieser Plan ist in dem „Verbande der deutschen Post- und Telegraphen-Unterbeamten“ verwirklicht, der am 30. Januar 1898 gegründet wurde und im Oktober 1898 bereits 6000 Mitglieder zählte, wovon allein auf Berlin und Hamburg 3000 entfallen. Insbesondere in Hamburg hat die Bewegung fruchtbaren Boden gefunden, und eine von den Post- und Eisenbahnunterbeamten auf den 15. Februar 1898 einberufene gemeinsame öffentliche Versammlung erklärte sich für die Notwendigkeit einer selbständigen gewerkschaftlichen Organisation der in staatlichen Betrieben beschäftigten unteren Beamten und empfahl deshalb allen Beteiligtenden Beitritt zu dem Postunterbeamtenverbande bezw. dem Verbande der Eisenbahner.

Der Verband hat nach seinen Statuten den Zweck: A. durch Gewährung einmaliger Unterstützungen an die Mitglieder, welche durch Schicksalsschläge und andere unvorhergesehene Unglücksfälle in Bedrängnis geraten sind, B. durch Errichtung einer Witwen- und Waisenunterstützungskasse, welche nach Maßgabe der verfügbaren Mittel den Witwen und Waisen der dieser Kasse angehörenden Mitglieder eine fortlaufende Unterstützung gewährleistet — die wirtschaftliche Lage der Unterbeamten zu verbessern.

Ein klagbares Recht erwächst den gedachten Personen aus den hiernach in Aussicht gestellten Unterstützungen gegen den Verband nicht, sondern die Unterstützungen werden nur gewährt, soweit die Mittel reichen.

Der Verband stellt sich ferner die Aufgabe: sonstigen geeigneten, auf die Hebung des Unterbeamtenstandes hinzielenden Einrichtungen oder Veranstaltungen, sowie dem auf die Pflege von Treue zu Kaiser und Reich, Vaterlandsliebe, Kollegialität und Geselligkeit gerichteten Streben der angeschlossenen Vereine seine Unterstützung angedeihen zu lassen.

Der Beitrag beläuft sich für die Unterstützungen unter A auf 10 Pf., für die unter B auf 25 Pf. monatlich. Der ersteren werden in Höhe von 25–100 Mk., der letzteren je nach der Dauer der Mitgliedschaft von 48–72 Mk. jährlich gewährt. Daneben hat der Verband in Uebereinstimmung mit dem Assistentenverbande die Einrichtung des Familienbeirates.

Der Verband überläßt dem „Postboten“ die Vertretung der eigentlichen Berufsinteressen und benutzt ihn lediglich als Organ für seine Veröffentlichungen.

Die Postbehörde, die unter Stephan den „Postboten“ nicht behelligte, hat jetzt gegen ihn ein Unterdrückungssystem ins Werk gesetzt, das die kleinlichsten Mittel nicht verschmäht. Nicht allein werden die Unterbeamten, die man als Besteller des Blattes ermittelt, von dem Postdirektor vorgeladen und unter entsprechenden Androhungen veranlaßt, dasselbe aufzugeben, ja in Hameln ist 19 Beamten wegen des Haltens des Blattes der Dienst gekündigt, sondern selbst die in dem Blatte aufgenommenen Familienanzeigen werden durchgesehen und die betreffenden Beamten auf Weisung der Oberpostdirektion hierüber zur Verantwortung gezogen[132]. Die Wirkung dieser Verfolgungen ist gewesen, daß die Abonnentenzahl des Blattes zunächst von 20000 auf 15000 herabging, doch beginnt sie schon wieder zu steigen, indem man statt des Postbezuges andere Wege findet. Gegen den Verband als solchen ist man bisher nicht eingeschritten,vielmehr sucht man auf seine Leiter einzuwirken, um ihn von dem Blatte zu trennen und dieses dadurch zu isolieren; bisher ist dies nicht gelungen.

Fragt man nach dem Grunde dieser Maßregelungen, so ist er nur in der grundsätzlichen Bekämpfung aller Organisationsbestrebungen unter den Beamten zu finden. Der Beamte soll bedingungslos in der Behörde seinen Vormund sehen, dem er einzeln demüthig seine Bitten vortragen darf, aber jeder Zusammenschluß bedeutet schon die „Hydra der Revolution“. In der Reichstagssitzung vom 4. Februar 1899 wußte der Staatssekretär des Reichspostamtes gegen den „Deutschen Postboten“ keinen anderen Vorwurf zu erheben, als daß er für die Postunterbeamten Gehälter fordern, die unmöglich gezahlt werden könnten. Also das ist ein Verbrechen einer Fachzeitung, das mit deren Tode gesühnt werden muß. Noch in den letzten Nummern schreibt das Blatt u. a.: „Die Entfernung derjenigen Elemente, die sozialdemokratischen Anschauungen Ausdruck geben, aus unsern Reihen, ist uns sehr lieb; ausgeschlossen aber sollte sein, daß jemand, der seine Rechte energisch verteidigt, zum Sozialdemokraten gestempelt und entlassen wird. Ein dergestalt Entlassener wird erst nach der Entlassung ein echter Staatsfeind und führt lediglich einige Dutzend neue Genossen dem Umsturz zu. —— Wir sind patriotische deutsche Männer, wir verfolgen keine unerlaubten Ziele, da sollte man uns bei unserer loyalen Haltung nicht in den Weg treten. Strengste Pflichterfüllung, unbedingte Unterordnung unter die Disziplin der Postverwaltung, treues Festhalten an Kaiser und Reich! In diesem Sinne werden wir unsere Thätigkeit fortsetzen. —— Unser Bestreben soll es sein, zu beweisen, daß wir loyale Männer sind, die nichts weiter wünschen, als die Vertretung der Berufsinteressen, wie sie jedem anderen Stande zugestanden wird.“ — Das sind jedenfalls für ein „sozialdemokratisches“ Blatt recht ungewöhnliche Erklärungen.

Die Wirkungen des Vorgehens der Postverwaltung auf die Stimmung der Beamten konnten natürlich nicht ausbleiben. In einem Briefe schreibt mir die Redaktion des „Postboten“: „Die Unterbeamten hingen mit geradezu kindlicher Liebe an dem neuen Staatssekretär, sind aber durch die falschen Maßnahmen der Behörde wieder so hochgradig erbittert, daß ein großer Teil wieder der Sozialdemokratie Material liefern wird, was fast ganz aufgehört hatte, solange der „Deutsche Postbote“ sich wirklich in energischer Weise ihrer Interessen annehmen konnte. Herr v.Podbielskywar schlecht beraten, als er eine nationalgesinnte, wenn auch dem Unterbeamtenstande entsprechend in etwas sehr freimütiger Weise geleitete Fachzeitschrift in der Weise angriff. Ein Teil Furchtsamer wird eingeschüchtert, ein großer Teil geht weiter links. Das sind die Folgen!“

Und dabei ist das derselbe Staatssekretär, der bei Antritt seiner Stellung erklärte, er verlange von seinen Beamten nur, daß sie ihre Schuldigkeit thäten; ihre persönlichen Angelegenheiten gingen ihn nichts an! Es muß wohl auch einem von Natur aus verständigen Menschen schwer werden, sich dem Einfluße der heute in den Regierungskreisen herrschenden antisozial-bureaukratischen Strömung zu entziehen.

Um den „Postboten“ zu unterdrücken hat die Postbehörde zugleich ein neues Konkurrenzblatt ins Leben gerufen, das unter dem Namen „Neue Post“ seit Oktober 1898 erscheint. Dasselbe will nach seiner Probenummer die Angelegenheiten der Postunterbeamten „in einer deren Interessen dienlichen Weise“ zur Erörterung bringen. Er will „kraftvolle Förderung des Wohles der Unterbeamten, aber mit der Verwaltung, nichtgegen sie.“ Auch die „deutsche Verkehrszeitung“ begrüßt das neue Unternehmen, für dessen Verbreitung auf amtlichem Wege lebhaft Propaganda gemacht wird. Man wird abwarten müssen, ob die Postunterbeamten das Urteil über die „ihren Interessen dienliche Weise“ der Erörterung ihrer Angelegenheiten ihren Vorgesetzten überlassen oder für sich selbst in Anspruch nehmen wollen.

Uebrigens sucht die Postbehörde auch ihrerseits an verschiedenen Orten Postunterbeamtenvereine ins Leben zu rufen, offenbar um dem Verbande Konkurrenz zu machen; auch hat man bereits Beamte gemaßregelt, die für den Verband agitiert hatten. In neuester Zeit ist der Kampf gegen ihn in aller Form aufgenommen durch einen Erlaß des Staatssekretärs vom 30. Mai 1899 in dem es heißt, daß Postunterbeamtenvereine, welche sich der Pflege kameradschaftlicher Geselligkeit und der Hebung der wirtschaftlichen Lage ihrer Mitglieder widmen, in vielen Fällen segensreich wirken können, aber nur insofern sie sich auf einzelne Orte und deren Umgebung beschränken, daß aber „bei der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse in den einzelnen Bezirken und in Hinblick auf die Größe des Reichspostgebietes die Ausdehnung solcher Vereine auf mehrere Oberpostdirektionsbezirke für unrichtig zu erachten“ sei. Zugleich wird bestimmt, daß „als Vorstände und in sonstige leitende Stellen nur solche Mitglieder gewählt werden dürfen, die noch in Dienst stehen“. Die Begründung mit der Verschiedenheit der Verhältnisse und der Größe des Reichspostgebietes ist das Muster einer Verlegenheitsphrase; weshalb sagt man nicht offen, daß solche Vereine nur solange geduldet werden sollen wie sie klein und machtlos sind und ihre Leiter der jederzeitigen Maßregelung ausgesetzt sind? Es wäre übrigens interessant, wenn sich einmal ein Vertreter dieses politischen Systems der Aufgabe unterziehen wollte, nachzuweisen, daß diese Beschränkung des Vereinsrechtes der Beamten, die doch auch sozusagen Staatsbürger sind, nicht in Widerspruch stehe mit dem Vereinsgesetze und der Verfassung, in welchen die Vereinsfreiheit allerStaatsbürger insoweit gewährleistet wird, wie sie nicht durch das Gesetz selbst beschränkt ist.

Dadurch, daß die Eisenbahnen in Deutschland in den letzten 3 Jahrzehnten ganz überwiegend in den Besitz des Staates übergegangen sind, haben sich auch die Verhältnisse des Personals verschoben, insbesondere hat sich ein gewisser Gegensatz zwischen den angestellten höheren und mittlerenBeamteneinerseits und den auf Kündigung angenommenenArbeiternund Unterbeamten andererseits entwickelt.

Wie schon oben bei den Postbeamten bemerkt wurde, ist der staatliche Karakter des Arbeitgebers für die Beamten kein ausreichender Schutz, um die gewerkschaftliche Organisation überflüssig zu machen, obgleich solche Bestrebungen gerade da, wo sie nötig werden, auch den Widerstand und die Verfolgungssucht der oberen Behörden hervorzurufen pflegen. Ein Beispiel hierfür bieten auch dieEisenbahnbeamten, nur daß hier die Maßregelungen den Erfolg gehabt haben, der ihnen bei den Postbeamten zum Teil versagt geblieben ist, nämlich die oppositionellen Tendenzen völlig zu unterdrücken.

a)Deutscher Eisenbahnbeamtenverein.

Das Gesagte tritt, abgesehen von dem bereits oben behandelten bayrischen Verkehrsbeamtenvereine, der, wie dort bemerkt, Post- und Eisenbahnbeamte gemeinsam umfaßt, insbesondere hervor bei der einzigen Vereinigung der Eisenbahnbeamten, die nach ihrem Zwecke alle Klassen derselben umfaßt, nämlich dem „deutschen Eisenbahnbeamtenvereine“ in Hannover[134].

Anfang 1892 entstand in Hannover der „Rechtsschutzverein deutscher Eisenbahn-Verkehrsbeamten“, dessen Zweck darin bestand, „seinen Mitgliedern in allen auf den Eisenbahndienst bezüglichen Strafsachen, sowie in denjenigen Zivilprozessen, welche aus dem Eisenbahndienste heraus entstehen, den nötigen Rechtsschutz angedeihen zu lassen“, außerdem auf Verhütung von Eisenbahnunfällen hinzuwirken, die Einrichtung besonderer Eisenbahngerichte zur Untersuchung der Betriebsunfälle anzustreben und Wohlfahrtseinrichtungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Vereinsmitglieder in die Hand zu nehmen. Zum Beitritte waren berechtigt „alle dauernd angestellten Eisenbahnbediensteten von deutschen Lokomotiveisenbahnen mit Ausschluß der selbständig betriebenen Bergwerks-, Industrie- u. dgl. Bahnen, soweit sie zum Betriebe oder zur Bahnbewachung in irgend welcher Beziehung stehen“, und zwar sowohl die aktiven als die pensionierten.

Der Verein stand anfangs in Oppositionsstellung zu den Behörden, wurde von ihnen verfolgt und war im Begriffe der Auflösung, als man im September 1892 sich entschloß, diese Haltung zu ändern und an die Stelle des Oppositionsprinzipes das Loyalitätsprinzip zu setzen und die unruhigen Elemente zu entfernen. Man erweiterte den „Rechtsschutzverein“ zu dem „deutschen Eisenbahnbeamtenverein“, dessen Zweck nach dem am 8. Juli 1894 beschlossenen Statute dahin geht, „die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Mitglieder zu fördern und die kollegialen und idealen Interessen, sowie den Sinn für Patriotismus und Pflichttreue derselben zu pflegen“.

Diese Bestimmungen sind auch in dem neuen Statut vom 15. Mai 1898 beibehalten, in dem überhaupt nur untergeordnete Punkte geändert sind. Der Verein hat wiederholt energische Beschlüsse gefaßt, um das Eindringen der Sozialdemokratie in seine Reihen zu verhindern und seine strenge Loyalität zu betonen; mehrere Eisenbahndirektionspräsidenten sind seine Ehrenmitglieder. Die ordentlichen Mitglieder zerfallen in aktive und passive, je nachdem sie noch im Dienst sind oder nicht. Der vierteljährliche Beitrag beträgt für die ersteren 50 Pf., für die letzteren 25 Pf.

Der Schwerpunkt der Vereinsthätigkeit liegt auch jetzt noch in der Rechtshülfe, insbesondere der Uebernahme der Verteidigung bei Anklagen gegen Vereinsmitglieder wegen Betriebsgefährdung. Solche Fälle wurden im Jahre 1898 90 erledigt. Daneben wird eine „allgemeine Interessenvertretung“ bezweckt, die sich auch auf das Verhältnis zu den vorgesetzten Behörden, Gehalt, Dienstwohnung, Pensionierung, Umzugskosten u. dgl. bezieht. Im Jahre 1898 wurden 130 solcher Fälle erledigt. Außerdem besitzt der Verein eine Unterstützungskasse, eine Spar- und Darlehenskasse und gewährt seinen Mitgliedern bei Unfallversicherung durch vertragsmäßige Uebereinkunft mit einer Versicherungsgesellschaft besondere Vorzüge. Die 1895 beschlossene Sterbegeldkasse hat wegen ungenügender Beteiligung noch nicht errichtet werden können.

Bis Ende 1896 hatte der Verein mit den Vereinen von Sachsen, Baden, Württemberg und Darmstadt hinsichtlich der Rechtshülfe eine gemeinsame Organisation, die aber seit 1897 aus dem Grunde aufgelöst ist, weil angeblich die Behandlung von Betriebsunfällen in den anderen Ländern eine viel mildere ist, als in Preußen, so daß durch die gemeinsame Rechtshülfe die außerpreußischen Mitglieder überlastet wurden. Auch die Zugehörigkeit des Vereins zu dem Verbande der deutschen und österreichischen Eisenbahnbeamtenvereine ist nach dem Beschlusse der am 16. Oktober 1898 abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung gelöst, dagegen wird die Errichtung eines Bundes mit allen Preußischen Eisenbahnbeamtenvereinen angestrebt.

Die Mitgliederzahl betrug Ende 1896 8146 in 217 Vertrauensmännerbezirken, aber obgleich 1897 1100 neue Mitglieder beitraten, ging die Zahl dennoch durch Bildung besonderer Vereine, insbesondere des Landesvereins für Elsaß-Lothringen, wodurch 2388 Mitglieder austraten, Ende 1897 auf 6858 herunter, doch war sie Ende 1898 wieder auf 7752 und am 1. Juli 1899 auf über 9000 gestiegen. In die Spar- und Darlehenskasse des Vereins waren bis Ende 1898 10120 Mk. eingezahlt. Vereinsorgan sind die „Deutschen Verkehrsblätter“.

b)Verein deutscher Lokomotivführer[135].

Der Verein ist im Jahre 1866 in Ludwigshafen von dem jetzigen Ehrenmitgliede desselben,Scotti, gegründet und zählte bei der letzten Generalversammlung am 14. Juni 1897 13640 Mitglieder. Aufnahmefähig ist jeder Lokomotivführer und zur selbständigen Führung einer Lokomotive Berechtigte, soweit ihm die Eigenschaft eines öffentlichen Beamten beigemessen ist, sowie höhere Betriebsbeamte solcher Bahnen, welche die deutsche Sprache als Geschäftsspracheführen. Zweck des Vereins ist nach den Statuten die Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen, insbesondere aber die Fortbildung und Belehrung in gemeinnützig wirkender Weise und die Unterstützung der Mitglieder. Demgemäß steht die Förderung der Fachbildung durch Zeitschriften, Lesezirkel, Bibliotheken und Bezirksversammlungen, sowie die Unterstützungseinrichtungen im Vordergrunde, obgleich der Verein gelegentlich auch Eingaben an Behörden und Parlamente gerichtet hat, z. B. wegen Aenderung des Strafverfahrens und des Strafvollzuges.

Die Unterstützungen bestehen einerseits in Geldzahlungen an die Mitglieder in Notfällen, die teils zurückgezahlt werden müssen, teils nicht, und andererseits in Unterstützungen an Hinterbliebene, insbesondere Witwen und Waisen, bis zum Betrage von 50 Mk. Der Schwerpunkt des Vereins aber liegt in dem seinen Mitgliedern insbesondere im Falle ihrer strafrechtlichen Verfolgung wegen fahrlässig herbeigeführter Eisenbahnunfälle gewährten Rechtsschutze, der in einem Geldzuschusse für die Verteidigung bis zu 300 Mk. besteht. Auch die Vorträge in den Vereinsversammlungen behandeln meist diesen Punkt.

Der Verein besitzt eine eigene „Zeitschrift für Lokomotivführer“, daneben ist Vereinsorgan die „Deutsche Eisenbahnzeitung“.

Die Haltung des Vereins ist bisher eine streng loyale gewesen, und als die „Zeitschrift“ in einigen Aufsätzen Maßregeln der Behörden abfällig beurteilt hatte, wurde in der letzten Generalversammlung von einem Bezirksverein beantragt, die Mißbilligung der Versammlung darüber auszusprechen, daß neuerdings das Vereinsorgan Artikel aufgenommen habe, die geeignet seien, das Wohlwollen der Dienstbehörden in Frage zu stellen. Man ging freilich über den Antrag zur Tagesordnung über, aber nur, nachdem von allen Seiten betont war, daß solche Artikel verhindert werden müßten, und daß es die Aufgabe des Vorstandes sei, für das gute Einvernehmen mit den Behörden zu sorgen, da der Verein ohne deren Protektion nicht vorwärts komme.

Unter den Vereinen der Eisenbahnarbeiter sind zwei entgegengesetzte Richtungen zu unterscheiden, nämlich einerseits eine mehr loyale, die hauptsächlich von der Zentrumspartei begünstigt wird, und eine oppositionelle, die mit der Sozialdemokratie Fühlung sucht. In neuester Zeit haben auch die Eisenbahnbehörden die Bildung von Vereinen in die Hand genommen, sodaß man im ganzen 3 Gruppen unterscheiden kann. Da aber die letztgedachten Vereine Beamte und Arbeiter gemeinschaftlich umfassen, so sollen sie gesondert behandelt werden.

a)Verband deutscher Eisenbahnhandwerker und Arbeiter[136].

Der Verband ist am 1. Mai 1884 unter dem Namen: Verband deutscher Eisenbahnhandwerker gegründet, da aber nach dem Statut die Mitgliedschaft jedem bei den Eisenbahnen Deutschlands beschäftigten Handwerker und ständig beschäftigten Arbeiter offen steht, so war dieser Name zu eng; derselbe ist deshalb in der am 28./29. Mai 1897 in Kassel abgehaltenen III. Delegiertenversammlung in der aus der Ueberschrift ersichtlichen Weise geändert, doch gehören ungelernte Arbeiter dem Verbande nicht an.

Zweck des Verbandes ist: 1. Pflege und Förderung treuer vaterländischer Gesinnung sowie des Einvernehmens mit allen obrigkeitlichen Behörden. 2. Unterstützung für kranke, invalide, verunglückte und durch Alter erwerbsunfähige Mitglieder und deren Angehörige. 3. Unterstützung der Mitglieder im Sterbefalle der Ehefrauen. 4. Unterstützung der Hinterbliebenen, besonders der Witwen und Waisen. 5. Unterstützung in außerordentlichen Notfällen. 6. Hebung des Standesbewußtseins und Förderung des Handwerkerstandes durch geeignete Einrichtungen, Vorträge und Belehrungen aller Art. 7. Unterstützung arbeitslos gewordener Mitglieder zur Erlangung einer neuen Stelle. 8. Hülfe und Rat in allen unverschuldeten Notfällen und bei Fragen des öffentlichen Rechts. 9. Vertretung der Interessen des Handwerkerstandes in jeder Hinsicht. 10. Reger Verkehr der Mitglieder unter sich sowie unter deren Familienangehörigen zu diesen Zwecken. Ein Rechtsanspruch auf bestimmte Unterstützungen steht den Mitgliedern nicht zu; deren Bewilligung steht im Ermessen des Vorstandes.

Eine hauptsächliche Forderung ist die feste Anstellung nach 10jähriger regelmäßiger Arbeit.

Wie die mitgeteilte Aeußerung des Statutes ergiebt, steht der Verband in Gegensatze zu der Sozialdemokratie, wie denn durch §3 den Mitgliedern ausdrücklich zur Pflicht gemacht ist, „alle staatsfeindlichen Bestrebungen zu meiden und abzuwehren“. Deshalb ist er auch zu dem unten zu erwähnenden Verbande der Eisenbahner Deutschlands von Anfang an in scharfen Gegensatz getreten, der auf der Generalversammlung in Kassel nur von einzelnen Seiten getadelt wurde. Der Sitz des Verbandes, der eine Reihe von Ortsvereinen umfaßt, ist Trier, wo auch der bisher gewählte Vorsitzende SattlerPeter Molzwohnt. Das Organ des Verbandes ist die „Zeitung des Verbandes deutscher Eisenbahnhandwerker“. Die Mitgliederzahl betrug im Oktober 1898 20000.

b)Der Bayrische Eisenbahnerverband[137].

Schon seit mehreren Jahren hatte unter den bayrischen Eisenbahnarbeitern der Gedanke der Organisation Anhänger gefunden, und insbesondere der frühere EisenbahnarbeiterMoritz Schmidhatte für denselben mit Erfolg gewirkt. So wurde, nachdem an allen größeren Orten in lebhaft besuchten Versammlungen Vertreter gewählt waren, Weihnachten 1896 in Regensburg ein Delegiertentag veranstaltet, an dem 17 Abgeordnete teilnahmen und auf dem der „Bayrische Eisenbahnerverband“ gegründet wurde. Der Zweck des Verbandes ist nach den Statuten, eine Verbesserung der Lage der Eisenbahnbediensteten und Arbeiter auf dem Boden der bestehenden Staatsverfassung mit allen gesetzlichen Mitteln herbeizuführen. Der Verband soll sich um religiöse und politische Streitfragen nicht kümmern und alle Eisenbahnbedienstete und Arbeiter aufnehmen, die mit treuer Pflichterfüllung das zielbewußte Streben verbinden, ihre materielle und geistige Lage zu verbessern.

Obgleich hiernach das Unternehmen gewiß nicht als ein „staatsgefährliches“ anzusehen war, so wurde es doch seitens der liberalen Zeitungen als solches bezeichnet, während es andererseits zugleich von sozialdemokratischer Seite heftig angegriffen wurde. Lediglich seitens der Zentrumspartei fand der Verband Unterstützung, und so ist es begreiflich, daß er an sie sich anlehnte, obgleich er nach seinen Statuten sich von allen Einflüssen der politischen Parteien fern halten will. Auch die Regierung stellte sich auf einen sehr vorsichtigen Standpunkt und forderte in dem sehr gemäßigten Statutenentwurfe bei Strafe des Verbotes mehrere Aenderungen, die den Zweck hatten, noch größere Sicherheit dagegen zu bieten, daß der Verband niemals versuchen werde, in Gegensatz zu den Behörden zu treten. Obgleich von sozialdemokratischer Seite versucht wurde, eine Ablehnung dieser Forderungen herbeizuführen und den Verband in die Oppositionsstellung zu drängen, gab derselbe doch der Regierung nach und beschloß auf seiner Ostern 1897 abgehaltenen Generalversammlung die verlangten Aenderungen. Das entsprechend abgeänderte Statut erhielt die Genehmigung des Eisenbahnministers. Nach demselben ist der Zweck des Verbandes:


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