Es heißt dann weiter: „Der Verein steht treu zu König und Vaterland.
Die Mitglieder sind sich bewußt, daß zu einem geregelten Betriebe Disziplin notwendig ist, daß Unterordnung und strenge Pflichterfüllung die wichtigsteAufgabe eines jeden Eisenbahnbediensteten ist. Deshalb wird jedes Mitglied des Vereins seine Arbeit, seinen Dienst pünktlich, treu und gewissenhaft erfüllen, denn nur treue Pflichterfüllung giebt ein Recht, Verbesserung seiner Lage zu fordern. Der Verein will aber die Lage seiner Mitglieder nicht verbessern durch ständigen Kampf mit den vorgesetzten Stellen, sondern durch Pflege des Einvernehmens mit allen Eisenbahnbehörden. Nicht Umwälzung, sondern soziale Reform ist das Ziel des Vereins. Deshalb bekennt sich jeder Eisenbahnbedienstete durch seinen Eintritt in den Verein als Gegner der sozialdemokratischen Grundsätze und Bestrebungen und verpflichtet sich getreu nach den im Statut niedergelegten Grundsätzen zu handeln.
Die Erörterung konfessioneller und politischer Parteiangelegenheiten schließt der Verein aus.
Die Mittel zur Erreichung des Vereinszweckes sind:
Eingaben und Petitionen an die Eisenbahnbehörden, an die Regierung und die Parlamente; Verhandlungen mit den Behörden in Lohnfragen und bei berechtigten Wünschen und Beschwerden; belehrende und bildende Vorträge auf dem Gebiete der Arbeiterschutzgesetzgebung in ihrer besonderen Beziehung zum Eisenbahnbetrieb, Vorträge über den Eisenbahnbetrieb und die Bestrebungen der Eisenbahner anderer Länder.“
Die eingeleitete lebhafte Agitation hatte zur Folge, daß dem Verbande schon Ende 1897 9500 Mitglieder in 48 Obmannschaften angehörten. Im September 1898 betrug die Zahl 11000, am 31. Dezember 1898 15919 und am 1. Juli 1899 17500 in 84 Obmannschaften.
Die Wirksamkeit des Verbandes hat sich bisher hauptsächlich auf das Gebiet der Lohnerhöhung beschränkt. Um eine in dieser Richtung unternommene Petition zu unterstützen, wurde eine umfassende Erhebung durch Fragebogen veranstaltet. Der Erfolg war nicht unerheblich, vor allem wurden 3000 Tagelohnarbeiter „in den Status aufgenommen“ d. h. fest angestellt und die Zahl der den Militäranwärtern vorbehaltenen Stellen auf 800 beschränkt. Auch sonst sind Lohnerhöhungen zugesichert. Die Leistungen der Krankenkassen sind erhöht; die Errichtung von Arbeiterausschüssen an allen Oberämtern ist zugesagt, die bei allen wichtigeren Anordnungen gehört werden sollten. Daneben erstrebt der Verband Herabsetzung der Arbeitszeit und Besserung der Wohnungsverhältnisse. Der Verband ist dem Volksbureau beigetreten und gewährt dadurch seinen Mitgliedern unentgeltlichen Rechtsschutz. Eine auf der Generalversammlung Ostern 1897 beschlossene Kranken-, Invaliden- und Sterbeunterstützungskasse ist am 1. Oktober 1897 ins Leben getreten und zählte im Juli 1898 3000, im Juli 1899 9000 Mitglieder. Daneben hat man Bau- und Sparvereine gegründet, von denen im Juli 1899 10 bestanden; auch hat man einen gemeinsamenBezug von Steinkohlen eingerichtet. Man bemüht sich endlich, das jetzt bei dem Kohlenladegeschäft bestehende Zwischenmeistersystem abzuschaffen. Den anfänglich zu niedrigen Beitrag von monatlich 5 Pf. hat man auf 10 Pf. erhöht. Die Abrechnung für 1898 ergab 11081 Mk. an Einnahmen und 8982 Mk. an Ausgaben; das Baarvermögen betrug am 1. Februar 1899 2098 Mk.
Anfangs hatte man als Verbandsorgan den „Arbeiter“, das Organ der katholischen Arbeitervereine Süddeutschlands, gewählt, doch ist seit 6. Oktober 1898 in dem „Eisenbahner“ ein eigenes Organ ins Leben gerufen, das im Juli 1899 eine Auflage von 12500 hatte. Das Blatt will nach seiner Probenummer vom 29. September 1898 „ein gewerkschaftliches Organ sein, das für die Hebung und für die wirtschaftliche Besserstellung der Bahnbediensteten und der Bahnarbeiter eintritt“. Es will nur Standesinteressen und wirtschaftliche Ziele verfolgen, aber keine Politik treiben, auch auf die Unterstützung einsichtiger Männer aller Parteien zählen, aber „im Geiste der christlichen Weltanschauung gehalten sein“.
c)Verband bayrischer Eisenbahnwerkstätten- und Betriebs-Arbeiter[138].
Der Umstand, daß der „Bayrische Eisenbahnerverband“, wie erwähnt, von der Zentrumspartei unterstützt wird, hat die Gründung einer Gegenorganisation zur Folge gehabt, die auf dem Grundgedanken beruht, die gewerkschaftlichen Ziele unabhängig von jeder politischen oder religiösen Richtung zu verfolgen. Die Anregung ging aus von dem MonteurHeinrich Winklerin Schweinfurt, der am 13. August 1898 einen Aufruf erließ, einen Verein auf dieser Grundlage zu errichten, der außerdem ausschließlich gelernte Arbeiter, also Handwerker aufnehmen sollte. In dem Aufrufe ist gesagt: „Wir wollen nicht den Umsturz, sondern soziale Reformen und das gute Einvernehmen gegenüber unseren vorgesetzten Behörden“; aber eine gewerkschaftliche Organisation sei erforderlich, um die bisher nicht erfüllten berechtigten Wünsche durchzusetzen. Nach längeren Vorbereitungen gelang es, auf der am 23. Oktober 1898 in Nürnberg abgehaltenen Versammlung, den in der Ueberschrift genannten Verein ins Leben zu rufen. Nach dem Statut hat derselbe den Zweck, alle Handwerker und handwerksmäßig beschäftigten Arbeiter der bayrischen Staatsbahnen in einer großen Verbindung zu vereinigen, die Angehörigen derselben gemeinsam zu vertreten.
Das Bestreben des Verbandes ist insbesondere darauf gerichtet:
Der Verband und sein Organ dürfen sich nicht mit öffentlichen, religiösen oder kommunalen Angelegenheit beschäftigen.
Mitglied des Verbandes kann jeder bei der kgl. bayer. Staatsbahn beschäftigter Werkstättenarbeiter, sowie Handwerker und handwerksmäßige Gehülfen des Betriebes werden. Den Mitgliedern, welche in statutsmäßige Stellen eintreten, kann bei Fortzahlung der Beiträge ihre Mitgliedschaft gewahrt bleiben.
Durch Reskript der Generaldirektion der Eisenbahnen vom 10. Januar 1899 wurde dem Vereine auf Vorlegung seiner Statuten erklärt, daß gegen die Teilnahme des Eisenbahnpersonals vom Standpunkte der Dienstaufsicht im allgemeinen keine Einwendung zu erheben sei, doch sei zu dem mitgeteilten Punkte 2 zu bemerken, daß das Arbeiterpersonal Wünsche und Gesuche auf dem Dienstwege und unter Umständen durch die Arbeiterausschüsse vorbringen könne, die Eisenbahnverwaltung jedoch nicht in der Lage sei, mit Ausschüssen bestimmter Vereine über Petitionen des Personals in Verhandlung zu treten. Die hieran geknüpfte Aufforderung, die Ziffer 2 entsprechend abzuändern, ist aber in der Vorstandssitzung vom 22. Januar 1899 abgelehnt, da die Arbeiterausschüsse ihren Zweck nicht erfüllten und in vielen Werkstätten gar nicht vorhanden seien.
Der Verband erhebt einen Beitrag von monatlich 30 Pf. und hat auf seinem am 21./22. Mai 1899 in Nürnberg abgehaltenen außerordentlichen Verbandstage die Gründung einer Unterstützungskasse für Krankheit, Tod und außerordentliche Notfälle, sowie die Herausgabe eines eigenen Organs beschlossen; das Letztere erscheint seit dem 25. Mai 1899 unter dem Titel „Verbandszeitung bayrischer Eisenbahnwerkstätten- und Betriebsarbeiter.“ Der Verband zählt etwa 1000 Mitglieder, = 25% der Personen, auf die er berechnet ist.
d)Verband badischer Eisenbahnbediensteter[139].
Nach dem Vorbilde des bayrischen ist auf seiner am 25. September 1898 in Karlsruhe abgehaltenen und von 24 Vertretern aus acht Orten besuchten Delegiertenversammlung derVerband badischer Eisenbahnbedienstetergegründet, der am 17. November 1898 1300 Mitglieder in neun Obmannschaften zählte.
Der Zweck des Vereins ist in den Statuten wörtlich übereinstimmend mit dem oben mitgeteilten Statute des bayrischen Verbandes bezeichnet. Ebenso ist die prinzipielle Stellung wörtlich ebenso, wie dort formuliert, mit der einzigen Ausnahme, daß der Satz fehlt, daß die Mitglieder sich ausdrücklich als Gegner der sozialdemokratischen Grundsätze und Bestrebungen bekennen.
Die Mitglieder eines Oberamtsbezirkes wählen jährlich einen Obmann; diese Obmänner bilden die Generalversammlung.
Organ des Verbandes ist ebenfalls der „Eisenbahner“.
Die Thätigkeit des Verbandes hat sich bisher auf die Agitation zum Beitritte beschränkt.
e)Der Verband der deutschen Eisenbahner[140].
Die zweite der oben bezeichneten Gruppen, d. h. die oppositionelle Richtung, vertritt der „Verband der deutschen Eisenbahner“, über dessen Verfolgung seitens der Eisenbahnbehörden die Tageszeitungen in den letzten Jahren eingehend berichtet haben. Nachdem einige im Jahre 1890 in Hamburg, Halle, Magdeburg und Berlin gebildete Vereine, obgleich sie in erster Linie Unterstützungszwecke verfolgten, durch Maßregelungen der leitenden Personen ein rasches Ende gefunden hatten, begann im Winter 1896/97 in vielen Orten Deutschlands, sowie in Oesterreich gleichzeitig und unabhängig von einander eine umfassende Organisationsbewegung der „Eisenbahner“, die zuerst in Hamburg zu einem greifbaren Erfolge führte, indem dort auf Grund des Beschlusses einer am 8. Dezember 1896 stattgehabten Versammlung in einer ferneren auf den 13. Januar 1897 einberufenen die Bildung eines Verbandes erfolgte, der sich später mit den gleichartigen in Sachsen, Bayern u. s. w. gegründeten Vereinigungen zu einem einheitlichen Verbande verschmolz. Der Sitz desselben ist Hamburg; Vorsitzender und Seele des ganzen Unternehmens ist HeinrichBürger.
Der Verband umfaßt nach dem Statute die Personale sämtlicher staatlichen und privaten Eisenbahnbetriebe ohne Unterschied der Dienststellung. Als Zwecke werden aufgeführt: 1. Erzielung möglichst günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen; 2. Pflege der Berufsstatistik; 3. Hebung des Standesbewußtseins und Förderung der geistigen Interessen durch Errichtung einer Bibliothek und Abhaltung von Vorträgen beruflicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art, sowie Gründung einer in diesem Sinne geleiteten Zeitschrift; der Verband solleine Pflegestätte des geselligen Verkehrs der Mitglieder sein; 4. Schaffung von Unterstützungseinrichtungen, die den Mitgliedern nach Maßgabe einschlägiger Bestimmungen Schutz und Beistand in den verschiedenen Lebenslagen gewähren.
Der Verband besitzt in dem „Weckruf der Eisenbahner“ ein eigenes Organ, das seit 1. Juli 1897 zweimal im Monate erscheint und nach der eigenen Erklärung seines HerausgebersBürgereine „keineswegs zahme Sprache“ führt. Der Verband hat sich den unter der „Generalkommission“ vereinigten sozialistischen Gewerkschaften angeschlossen, lehnt es aber durchaus ab, sozialdemokratische oder überhaupt parteipolitische Bestrebungen zu verfolgen, behauptet vielmehr, ausschließlich sich den wirtschaftlichen und sozialen Interessen der unteren Eisenbahner zu widmen.
Seit 15. April 1898 ist eine Zuschußkasse in Kraft getreten, die Krankengeldzuschuß von wöchentlich 4 Mk. und Zuschuß zu dem beim Tode eines Mitgliedes gezahlten Sterbegelde bis zu 40 Mk., außerdem beim Tode der Ehefrau eine Unterstützung von 25 Mk. und für Wochenbett 10 Mk. gewährt. Der Beitrag beträgt wöchentlich 15 Pf., doch kann durch Zahlung des doppelten Beitrages bei dem Kranken- und Sterbegeld, sowie der Unterstützung beim Tode der Ehefrau eine Steigerung der Leistungen auf das Doppelte herbeigeführt werden. Auch eine Gemaßregelten-Unterstützung sowie eine Unterstützung bei Krankheiten und Unfällen ist seit 1. Januar 1899 in Kraft getreten; eine Waisen- und Altersunterstützung wird geplant.
Ueber die Mitgliederzahlen und die Leistungen lehnt der Vorstand alle Erklärungen mit der Begründung ab, daß man „angesichts der verwaltungsseitig ins Werk gesetzten Unterdrückungsmaßnahmen und Maßregelungen mit Angaben in der Oeffentlichkeit sehr vorsichtig sein müsse“. Es ist in der That ein Zeichen des heute in den Kreisen der Regierung vorhandenen Maßes sozialpolitischen Verständnisses, daß man die Mitgliedschaft des Verbandes mit Entlassung bedroht und das Verbandsorgan verbietet, als ob die Unterdrückung aller Aeußerungen der Unzufriedenheit diese selbst beseitigen könnte, wobei es ganz ohne Bedeutung bleibt, ob sie begründet ist oder nicht. Wenn der Staat Arbeiter wegen ihrer politischen Gesinnung entläßt, so handelt es sich natürlich nicht um Ausübung seines Hoheitsrechtes, sondern um einen Akt der privaten Unternehmerthätigkeit, und wenn er hierbei sich den engherzigsten Unternehmern an die Seite stellt, so ist das ein Hohn auf die Forderung des kaiserlichen Erlasses, daß die Staatsbetriebe soziale Musteranstalten sein sollten. Gerade der Staat sollte doch in der Ausübung des gesetzlich gewährten Koalitionsrechtes eine Einrichtung sehen, die er nicht auf dem Wege der Verwaltung wieder hinfällig und inhaltlos machen darf.
Der Verband hat, wie es scheint, durch sein bloßes Bestehen und die dadurch bei den Eisenbahnbehörden begründete Furcht vor einer umfassenden sozialdemokratischen oder wenigstens oppositionellen Bewegung, sehr segensreich gewirkt, indem verschiedentlich Verbesserungen eingeführt sind und den Wünschen des Personals mehr, wie früher, Entgegenkommen bewiesen ist. Auch haben die Behörden mehrfach als Gegengift die Bildung „königstreuer Eisenbahnvereine“ in die Hand genommen, z. B. sind in dem Direktionsbezirke Altona im Frühjahr 1898 ein Verein der Rangiermeister und ein solcher der Weichensteller ins Leben gerufen, die nach ihren Statuten den Zweck haben „allzeit Ehre und Achtung vor König und Vaterland, sowie vor der vorgesetzten Dienstbehörde zu bekunden und ein festes Zusammenhalten der Kollegen herbeizuführen, um etwa unter ihnen sich einschleichenden, für Kaiser und Reich nicht wohlgesinnten Elementen energisch entgegenzutreten und so einen Stand von Beamten in jeder Hinsicht ohne Makel heranzubilden und Standesinteresse, gute Sitte, Bildung und Moral zu fördern und zu pflegen, sowie das dienstliche Wissen derselben durch Erörterung besonderer Vorkommnisse im Dienstbetriebe zu wahren“. Religiöse und politische Angelegenheiten sind strengstens ausgeschlossen. Der offizielle Karakter ist bei dem Rangiermeisterverein sogar durch den Titel: „Königlich Preußischer Eisenbahn-Rangiermeisterverein für den Direktionsbezirk Altona“ zum Ausdruck gebracht.
Wie der Wunsch, oppositionellen Regungen durch Vereinigung der Arbeiter unter Leitung der Behörden entgegenzuwirken, zu der vorstehend erwähnten Bildung königstreuer Vereine geführt hat, so hat die gleiche Absicht zur Folge gehabt, daß an einzelnen Orten der Versuch unternommen ist, das gesamte Eisenbahnpersonal eines Bezirkes ohne Unterschied zwischen Beamten und Arbeitern in einem einheitlichen Verbande zusammenzuschließen. Naturgemäß muß dabei der gewerkschaftliche Karakter zurück und der bloß gesellige Zweck in den Vordergrund treten.
Der erste Versuch dieser Art ist von dem EisenbahndirektionspräsidentenUlrichin Cassel ausgegangen, auf dessen Anregung am 1. Januar 1897 der „Eisenbahnverein zu Kassel“ ins Leben getreten ist[141].
Derselbe ist nach dem Statut eine Vereinigung der bei der Staatseisenbahnverwaltung in Cassel beschäftigten Beamten und Arbeiter zu gemeinnützigenund geselligen Zwecken. Andere Zwecke insbesondere solche politischer oder religiöser Art, sind ausgeschlossen.
Demgemäß hat der Verein folgende Einrichtungen geschaffen:
Daneben besteht ein Eisenbahn-Haushaltungsverein. Er sowie die Spar- und Darlehnskasse sind selbständige Einrichtungen, an denen die Beteiligung den Mitgliedern frei steht.
Da die Zahl der am Vereine beteiligten Beamten und der Arbeiter annähernd gleich ist, so sind der Vorstand und die verschiedenen Ausschüsse je zur Hälfte durch beide Gruppen gebildet.
Die Mitgliederzahl war schon im ersten Jahre auf 1800 gestiegen und betrug am 1. Juli 1899 1856; sie umfaßt ziemlich das gesamte in Kassel stationierte Personal. Der Spar- und Darlehnskasse waren am 1. Oktober 1898 964 Mitglieder mit 1079 Geschäftsanteilen und einer Spareinlage von 7169 Mk. beigetreten: am 1. Juli 1899 war die Mitgliederzahl auf 1310 gestiegen. Die Kasse hatte im ersten Geschäftsjahre 31130 Mk. an Darlehen gewährt. Die Bibliothek umfaßte 1500 Bände.
Auch inArnsberg,Göttingen,PaderbornundSoesthaben sich gleiche Vereine gebildet, deren Mitgliederbestand am 1. Juli 1899 500 bezw. 1015, 600 und 700 betrug und die mit dem Kasseler Vereine insofern in einem festen Zusammenhange stehen, als sie mit ihm die Bücher der Bibliothek austauschen. Auch der Anschluß an die Spar- und Darlehnskasse wird vorbereitet. In Nordhausen und Holzminden sind gleiche Vereine in der Bildung begriffen.
Seitens der vorgesetzten Behörden ist das Beispiel von Kassel den anderen Direktionen zur Nachahmung empfohlen und ist demgemäß auch bereits inBreslauein ähnlicher Verein gegründet, der in jeder Beziehung seinem Vorbilde entspricht.
Handelte es sich bei den Beamten der Post und der Eisenbahn um staatliche Betriebe, bei denen, wie oben[143]ausgeführt, das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stark mit staatsrechtlichen Elementen durchsetzt ist, sotrifft dies nicht zu bei den Privatbeamten, da ihre Stellung ausschließlich auf privatrechtlichen Grundlagen beruht. Immerhin ist ihr Verhältnis zu den Arbeitgebern ein wesentlich anderes, als das der eigentlichen Arbeiter. Kann auch in Privatbetrieben von Hoheitsrechten im eigentlichen Sinne nicht die Rede sein, so hat sich doch das Verhältnis zwischen Arbeiter und Arbeitgeber weit über den rein privatrechtlichen Rahmen hinaus zu einem solchen der Ueber- und Unterordnung entwickelt, das mit demjenigen des Staates zu seinen Unterthanen eine erhebliche äußere Verwandtschaft zeigt. Dies beschränkt sich auch nicht auf Aeußerlichkeiten, wie die Formen des Verkehrs, die auf eine Höherstellung des Arbeitgebers hindeuten, zu der es in den rein vertragsmäßigen Beziehungen an jeder inneren Grundlage fehlt, sondern es findet auch in dem seitens der Gesetzgebung anerkannten Rechte des Arbeitgebers zur Verhängung von Strafen, die sich unter dem Gesichtspunkte der reinen Vertragsstrafe nicht erklären lassen, da sie ohne Richterspruch vollzogen werden, seine Bestätigung. Ruht nun die Fülle dieser gewissermaßen abgeleiteten obrigkeitlichen Macht selbstverständlich in den Händen des „Herren“, d. h. des Unternehmers selbst, so ist doch der Beamte in dem Verhältnisse zu den Arbeitern sein Vertreter, ein Abglanz der Herrscherstellung fällt auch auf ihn, und so ist es erklärlich, daß er nicht allein in der eignen Auffassung und derjenigen der Gesellschaft sozial weit über den Arbeitern steht, sondern auch bei einem Gegensatze zwischen diesen und ihrem Arbeitgeber ausnahmslos auf der Seite des letzteren steht. Gewährt diese Stellung dem Selbstgefühl Befriedigung, so hat sie freilich auch ihre Kehrseite. Naturgemäß können auch zwischen dem Geschäftsinhaber und seinen Beamten Interessengegensätze nicht ausbleiben, und bei ihnen sind die Beamten, da sie mit den Arbeitern nichts gemein haben wollen, auf sich selbst und ihre eigne Kraft angewiesen. Diese eigne Kraft kann aber, da in jedem Geschäfte naturgemäß nur eine geringe Anzahl von Beamten angestellt ist, nur gering sein, und so ist bei einem Streite mit dem Prinzipal der Beamte fast immer der schwächere und zum Nachgeben gezwungene Teil.
Es läge nahe, diesen Mangel dadurch auszugleichen, daß die Beamten umfassende Vereine bildeten, die das Interesse ihrer Mitglieder gegenüber den Geschäftsinhabern wahrzunehmen in der Lage wären. Aber das wäre nur zu erzielen, wenn die Vereine einen sehr großen Teil aller Beamten in sich schlössen, denn da die Thätigkeit der meisten von ihnen eine sehr ähnliche ist, so können sie sich gegenseitig verhältnismäßig leicht ersetzen. Bis jetzt ist ein solcher weitgreifender Zusammenschluß noch nicht erreicht, und deshalb haben auch die bestehenden Vereine die uns interessierende Seite ihrer Thätigkeit, die Vertretung der Interessen der Mitglieder gegenüber den Prinzipalen, also die gewerkschaftlicheAufgabe, stark vernachlässigt und sich überwiegend mit geselligen, Bildungs- und Unterstützungszwecken beschäftigt.
Dies gilt auch von dem größten derartigen Vereine, demDeutschen Privatbeamtenvereinein Magdeburg. Er steckt sich hinsichtlich des zugehörigen Personenkreises sehr weite Grenzen, indem er „alle in Privatanstalten, Gesellschaften und bei Einzelnen in kaufmännischer, industrieller, landwirtschaftlicher und ähnlicher Thätigkeit stehenden Privatbeamten, als Direktoren, Inspektoren, Buchhalter, Expedienten, Fabrik- und Werkmeister, Chemiker, Ingenieure, Lehrer u. s. w.“ umfassen will. Ja er geht selbst über diesen erweiterten Kreis noch hinaus und gestattet nicht allein öffentlichen Beamten, sondern auch „Kaufleuten und Privatleuten“ den Beitritt als vollberechtigten Mitgliedern. Indem er hiermit jede Grenze fallen läßt, verliert er eigentlich das für eine gewerkschaftliche Bildung erforderliche Moment des Klassenkarakters. Immerhin ist dies gewissermaßen nur ein wilder Zweig, der Schwerpunkt liegt in der Vertretung der Interessen der bei Privatleuten angestellten Beamten.
AlsZweckdes Vereins ist im Statute bezeichnet: „die Förderung der Sicherstellung der Zukunft der Mitglieder und ihrer Familien.“ In dem jährlich ausgegebenen Kalender wird die Aufgabe, die der Verein verfolgt, noch genauer umschrieben, indem es dort heißt:
„Der Deutsche Privat-Beamtenverein hat es sich zur Aufgabe gestellt, den Privatbeamten, d. h. denjenigen in den verschiedensten Zweigen und Stellungen des privatwirtschaftlichen Erwerbslebens (Industrie, Handel, Verkehrswesen, Forstfach, Bergwesen, Schulfach u. s. w.) Angestellten, welche sich durch die Art ihrer Stellung und den Grad ihrer Bildung von den nur physisch Arbeitenden unterscheiden, zur Vertretung und Verfolgung ihrer gemeinsamen Interessen einen Mittelpunkt zu schaffen und namentlich dafür einzutreten, daß ihnen — ohne staatlichen Zwang auf dem Wege der Selbsthülfe vielleicht mit verständnisvoller Unterstützung der Arbeitgeber — diejenigen Sicherungen für die eigene Zukunft und die ihrer Familien bestellt werden, wie sie die Staatsbeamten und die Mehrzahl aller öffentlichen Beamten durch die Alters- und Invaliditätspension, durch die Witwen und Waisenversorgung bereits genießen.“
Daß kein Gegensatz gegen die Prinzipale beabsichtigt ist, wird mehrfach hervorgehoben durch den Hinweis, daß auch die letzteren ein eigenes Interesse daran haben, ihre Beamten in der bezeichneten Weise sichergestellt zu sehen. Es heißt dann wörtlich:
„Kein Privatbeamter und kein Arbeitgeber, auf welchem Gebiete privatwirtschaftlicher Thätigkeit er auch sein Geschäft betreibt, wird zwischen den Bestrebungen und Endzielen des deutschen Privat-Beamtenvereins und den Interessen der „Arbeitgeber“ (dieses Wort immer im weitesten volkswirtschaftlichenSinne gebraucht) einen Gegensatz zu finden vermögen, der ihn abhalten könnte, diese Bestrebungen zu unterstützen, sondern nur eine Gemeinschaft der Interessen, die jedem die Unterstützung dieser Bestrebungen zur Pflicht macht.“
Hauptsächlich wird beklagt, daß die besser gestellten Privatbeamten kein Bedürfnis empfinden, dem Vereine beizutreten und an ihr Solidaritätsgefühl appelliert, da ohne ihre Mitwirkung das verfolgte Ziel nicht zu erreichen sei.
Die bezeichneten Zwecke erstrebt der Verein durch Unterstützung in Notfällen, insbesondere bei Krankheit, Tod und Stellenlosigkeit, durch Stellenvermittelung, Rechtsrat und gewisse Vergünstigungen. Während diese Vorteile unmittelbar mit der Mitgliedschaft verknüpft sind und keine besonderen Leistungen erfordern, andererseits aber die Unterstützungen in das Ermessen der Vereinsorgane gestellt sind, hat der Verein noch ferner einePensionskasse, eineWitwenkasse, eineKrankenkasseund eineBegräbniskasse, zu denen der Beitritt frei gelassen ist und die gegen gewisse Beiträge feste Rechtsansprüche gewähren. Auch mit Vertretung der Interessen der Privatbeamten im öffentlichen Leben beschäftigt sich der Verein, so mit der Frage der Kündigungsfristen, der Arbeitszeiten, des Lehrlingswesens, des unlauteren Wettbewerbes u. s. w., indem er zu denselben durch Beratungen und Beschlüsse, sowie Eingaben und Petitionen Stellung nimmt.
Das Recht auf die meisten Leistungen des Vereins, insbesondere auf Unterstützung in Notfällen, auf Rechtsrat und Rechtsschutz, auf Stellenvermittelung und Bezug des Vereinsorganes, sowie Rabattanteile in verschiedenen Geschäften und Begünstigung bei dem Abschlusse von Versicherungen erhält das Mitglied schon durch den Jahresbeitrag von 6 Mk. Die Pensions-, Witwen-, Begräbnis- und Krankenkasse sind auf versicherungstechnischen Grundlagen aufgebaut.
Die Mitgliederzahl betrug am 1. Oktober 1897 im Vereine 14201, in der Witwenkasse 1574, in der Pensionskasse 2763, der Begräbniskasse 2668 und der Krankenkasse 7362. Das Vermögen des Vereins belief sich am 1. Oktober 1897 auf 2435082 Mk. 38 Pf. Ende 1898 zählte der Verein 15234 Mitglieder, die sich auf 137 Zweigvereine und 86 Verwaltungsgruppen verteilen. Neben der Mitgliederzahl ist im verflossenen Jahre auch die Zahl derjenigen Firmen und Verbände erheblich gewachsen, welche ihre Angestellten — namentlich durch die Pensionskasse — versichern. Das Vermögen des Vereins und seiner Kassen belief sich Ende 1898 auf nahezu 3 Millionen Mk., wovon 286811 Mk. auf den Verein, 69646 Mk. auf die demselben gehörige Kaiser Wilhelm-Waisenstiftung, 1689851 Mk. auf die Pensionskasse, 635167 Mk. auf die Witwenkasse, 268900 Mk. auf die Begräbniskasse und 6277 Mk. auf die Krankenkasse entfallen. Direkt an die Mitglieder und deren Angehörige sind imLaufe des Jahres gezahlt: 14563 Mk. Unterstützungen an 144 Mitglieder, 2480 Mk. Waisengelder an 49 Witwen mit 112 Waisen, 20050 Mk. laufende Pensionen an 101 Rentenempfänger (31 Invaliditäts-, 70 Alterspensionäre), 14551 Mk. laufende Witwenrente an 113 Witwen, 26176 Mk. Begräbnisgeld in 49 Sterbefällen, ferner 61297 Mk. bares Krankengeld und 22735 Mk. Erstattung für Arzt und Arznei u. s. w. in 1293 Krankheitsfällen, zusammen 161856 Mk.
Das Vereinsorgan ist die „Privatbeamtenzeitung“, die 1899 im XV. Jahrgange erscheint.
Der Verein hat die Rechte der juristischen Persönlichkeit.
Beschränkte sich der Privatbeamtenverein auf „Beamte“ im Gegensatze zu „Arbeitern“, so bildet der im Jahre 1884 gegründete Deutsche Werkmeisterverband in Düsseldorf hier einen Uebergang, indem er auch solche Personen aufnimmt, die nach dem Sprachgebrauche zu den Arbeitern gerechnet werden. In der That ist die Unterscheidung zwischen beiden Klassen nicht mit irgend welcher Schärfe durchzuführen. Daß nicht etwa die Lebenslänglichkeit oder Kündbarkeit der Stellung eine Verschiedenheit begründet, ergiebt sich daraus, daß weitaus die meisten Privatbeamten auf Kündigung angestellt sind, ja selbst bei Staatsbeamten ist dies nicht selten. Gewöhnlich betrachtet man als maßgebend die Art der Zahlung der Arbeitsvergütung, die man in dem einen Falle als Gehalt, in dem andern als Lohn bezeichnet. Nun mag bei Beamten die monatliche Zahlung allgemein üblich sein; aber bildet auch bei Arbeitern die wöchentliche Zahlung die Regel, so sind doch vierzehntägige und auch monatliche Fristen durchaus nicht selten. Auch die Art der Beschäftigung bildet kein durchgreifendes Unterscheidungsmoment. Hat auch, wie oben hervorgehoben, der Beamte häufig gegenüber dem Arbeiter eine gewisse Aufsichtsstellung, so giebt es doch nicht allein viele Beamte, die, wie z. B. Buchhalter, niemand etwas zu befehlen haben, sondern ebenso haben vielfach Arbeiter in der Stellung als Vorarbeiter eine Aufsicht auszuüben und eine gewisse Verfügungsgewalt.
Nach dem Statut des Deutschen Werkmeisterverbandes ist aufnahmefähig „jeder Betriebs-Fachbeamte eines gewerblichen oder industriellen Etablissements, gleichviel ob dies Privat-, Kommunal- oder Staatsunternehmen ist“. Das Statut giebt dann eine umfassende Aufzählung derjenigen Personen, die als Werkmeister zu gelten haben und bezeichnet als solche:
Für die Aufnahmefähigkeit sollen folgende Grundsätze maßgebend sein:
Als Werkmeister sind stets Betriebsbeamte im Sinne des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes zu betrachten, welche einen Teil des Betriebes oder den ganzen Betrieb selbständig leiten. Hierbei ist stets vorausgesetzt, daß sie das Handwerk, welches in der Werkstatt betrieben wird, erlernt haben, oder daß sie die sonst in dem von ihnen geleiteten Betriebe oder Betriebsteile erforderliche fachmännische Bildung durchaus besitzen. Lediglich in der Spedition der produzierten Güter angestellte Betriebsbeamte, als Platzmeister, Packmeister, Expedienten oder im kaufmännischen Betriebe Angestellte sind ebenso wie Arbeiteraufseher ohne fachmännische Vorbildung nicht aufnahmefähig. Die Eigenschaft als selbständiger Meister setzt dann ferner voraus, daß demselben eine größere Anzahl von Arbeitern unterstellt ist, für deren Arbeiten er selbständig verantwortlich ist und deren Beaufsichtigung seine Hauptaufgabe ist.
Der Verband hat den Zweck, alle deutschen Werkmeister innerhalb einer großen Verbindung zu vereinigen, um die Interessen der Mitglieder dieser Vereinigung sowie der Angehörigen derselben gemeinsam zu vertreten, und zwar nicht allein in materieller Hinsicht, sondern auch in idealer Beziehung, indem er die geistige Bildung der Berufsgenossen durch Bibliotheken, Unterricht und Belehrung, sowie eine eigene Zeitschrift, die „deutsche Werkmeisterzeitung“, zu heben sucht. Die Förderung der wirtschaftlichen Interessen erreicht der Verband insbesondere durch Stellenvermittelung, Rechtsschutz und Unterstützung bei Stellenlosigkeit, Invalidität, Alter, Tod und in außerordentlichen Notfällen, sowie Witwen- und Waisengeld. Seit 1895 besteht eine besonderePensionskasse. Unabhängig vom Verein ist eine eigeneSterbekasse, der aber alle Mitglieder bis auf 16 angehören.
Das Wachstum des Vereins ergiebt sich aus folgenden Zahlen: Es gab
Der Verein hat 1898 gezahlt: Sterbegeld 305400 Mk., Wittwen- und Waisengeld 144055 Mk., Invalidengeld 103305 Mk., Unterstützung von Fall zu Fall 25705 Mk. Während der 15 Jahre seines Bestehens hat der Verein insgesamt geleistet: an Sterbegeld 2501050 Mk. und an Unterstützungen 1282414 Mk. Der Verband besaß Ende 1898 ein Vermögen von 1231000 Mk., die Sterbekasse ein solches von 706000 Mk.
Der Jahresbericht für 1898 bemerkt, daß das gute Verhältnis zu den Behörden und der Prinzipalität erhalten geblieben sei und die letzteren nachgerade den Bestrebungen des Vereins Verständnis und Wohlwollen entgegenzubringen beginnen. Ob man versuchen solle, Beiträge der Prinzipale zu der Invalidenkasse des Vereins zu erlangen, wird die nächste Generalversammlung entscheiden, die Ostern 1899 in Eisenach stattfindet. Bisher sei reine Selbsthülfe das Bestreben des Vereins gewesen, wobei man allerdings manches Hemmnis durch gesetzliche Bestimmungen kennen gelernt habe.
Bildete der Privatbeamtenverein und der Werkmeisterverband einen Uebergang von den Beamten zu den Arbeitern, so stehen auch noch die kaufmännischen Vereinigungen im allgemeinen auf dieser Uebergangsstufe, indem sich ihre Mitglieder nicht zu den Arbeitern gerechnet wissen wollen. In der gesellschaftlichen Auffassung mag ein solcher Unterschied bestehen, und gerade darin, daß der Handlungsgehülfe sich sozial höher stehend betrachtet als der Arbeiter, ist der Grund zu suchen, weshalb die kaufmännischen Hülfskräfte sich der modernen Arbeiterbewegung, der politischen wie der gewerkschaftlichen, im allgemeinen fern gehalten haben. Volkswirtschaftlich ist ein Unterschied zwischen dem Handlungsgehilfen und dem gelernten gewerblichen Arbeiter nicht anzuerkennen; daß die Stellung des einen im Handelsgesetzbuche, die des andern inder Gewerbeordnung geregelt ist, bedeutet eine Willkürlichkeit, für die es keinen inneren Grund gibt, wie auch im übrigen zwischen beiden Gesetzbüchern kaum eine scharfe Grenze zu ziehen ist.
Kaufmännische Vereine, welche den Zweck verfolgten, die Interessen des Gewerbes und der Mitglieder zu vertreten, hat es schon seit langer Zeit gegeben. Als ältester ist eine kaufmännische Vereinigung in Stettin anzusehen, die bereits 1687 erwähnt wird. Im 18. Jahrhundert finden wir nur drei ähnliche Gründungen, und erst mit dem Wachsen des Verkehrs scheint das Bedürfnis reger geworden zu sein, so daß erst das jetzige Jahrhundert einen stärkeren Aufschwung zeigt. Ende der 60 er Jahre gab es im norddeutschen Bunde 70, in Bayern 6, in Baden 4, in Oesterreich 1, in der Schweiz 16 kaufmännische Vereine, die zusammen aber nur etwa 9000 Mitglieder hatten und 33 Bibliotheken mit 10000 Bänden, 23 Lesekabinetts mit 300 Blättern besaßen; 46 dieser Vereine hatten ein Vermögen von zusammen 160000 Thalern.[145]
Verfolgten die kaufmännischen Vereine früher überwiegend Bildungszwecke, so mag in dem bereits bezeichneten Umstande, daß der Gehülfe sich nicht als Arbeiter betrachtet wissen will, der Hauptgrund dafür liegen, daß die soziale Entwickelung auf kaufmännischem Gebiete noch einigermaßen rückständig ist. Die älteren der bestehenden Vereine umfassen nicht allein Prinzipale und Gehülfen und können schon deshalb sich nicht die Aufgabe stellen, die zwischen beiden Gruppen auftauchenden Interessenfragen zum Austrage zu bringen, sondern sie verfolgten anfangs grundsätzlich andere Zwecke, insbesondere solche der Geselligkeit, der allgemeinen wie der fachlichen Bildung, der Stellenvermittelung und der Unterstützung. Erst in neuester Zeit hat eine Bewegung begonnen, die auch die soziale Seite ins Auge faßt, sich der nun einmal vorhandenen selbständigen Interessensphäre des Gehülfen gegenüber dem Prinzipale bewußt wird und deren Vertretung zu ihrer Aufgabe macht. Dabei sind naturgemäß verschiedene Stufen vertreten, je nachdem man die bezeichneten gegensätzlichen Momente schärfer oder weniger entschieden betont und demgemäß die Regelung mehr im feindlichen Sinne oder im Wege des freundlichen Uebereinkommens anstrebt. Es ist begreiflich, daß zwischen dieser neuen Richtung und der älteren sich ein mehr oder weniger scharfer Gegensatz entwickeln mußte, der auch in offener Feindseligkeit hervortritt. Trotzdem haben unter dem Drucke der sozialreformerischen Elemente auch die älteren Vereine den von jenen aufgeworfenen Fragen ein größeres Interesse als früher widmen müssen, und so ist denn dieganze Klasse der Handlungsgehülfen in einem gegen früher wesentlich verstärkten Maße in die soziale Bewegung hineingezogen.
In der folgenden Darstellung sind die bestehenden Vereine nach dem vorstehend erörterten Gesichtspunkte gruppiert.
a)Deutscher Verband kaufmännischer Vereine[146].
Die meisten Vereine der älteren Richtung haben sich seit 1890 zu dem „Deutschen Verbande kaufmännischer Vereine“ zusammengeschlossen. Hervorgegangen ist derselbe aus dem „Deutschen Verbande von Vereinen für öffentliche Vorträge“[147], der auf seiner Generalversammlung 1889 eine „kaufmännische Abteilung“ mit vorläufigen Satzungen ins Leben rief; diese Abteilung hat dann in der Versammlung vom 9. Juni 1890 in Frankfurt a. M. den in der Ueberschrift bezeichneten Namen angenommen und sich zu einem eigenen Verbande ausgestaltet. Der Grund für die Bildung eines solchen wurde von dem Vorsitzenden dahin bezeichnet, daß das frühere Verhältnis, nach welchem die Stellung der Handlungsgehülfen nur ein Uebergang vom Lehrling zum Prinzipal gewesen sei, nicht mehr zutreffe, viele Gehülfen zeitlebens in dieser Stellung blieben und deshalb ein eigener Handlungsgehülfenstand mit eigenen Interessen sich gebildet habe, so daß es angezeigt sei, eine eigene Standesbewegung ins Leben zu rufen, zumal die kaiserlichen Februarerlasse mit Recht die Notwendigkeit sozialer Reformen in den Vordergrund des politischen Lebens gerückt hätten.
Nach den Statuten ist der Zweck des Verbandes die Beratung und Förderung der Interessen der deutschen kaufmännischen Vereine, der Handlungsgehülfen sowie des gesamten Handelsstandes. Mitglied kann jeder kaufmännische Verein werden, der seinen Sitz im Deutschen Reiche hat, statutengemäß die Förderung kaufmännischer Interessen bezweckt und sich selbständig verwaltet. Versammlungen haben bisher stattgefunden 1. vom 7.–9. Juni 1890 in Frankfurt, 2. am 8. Juni 1891 in Braunschweig, 3. am 12. Juni 1892 in Köln, 4. am 4. Juni 1893 in Görlitz, 5. am 11. Juni 1894 in München, 6. am 10./11. Juni 1895 in Mainz, 7. am 8. Juni 1896 in Berlin, 8. am 14./15. Juni 1897 in Leipzig, 9. am 6./7. Juni 1898 in Hamburg, 10. am 5. /6. Juni 1899 in Eisenach.
Der Verband ist für die Ausdehnung der Krankenversicherung auf die Handlungsgehülfen und Lehrlinge, für statistische Erhebungen über die Arbeitsverhältnisse im Handelsgewerbe, für umfassende Sonntagsruhe, Regelung des Lehrlingswesens, für kaufmännische Fortbildungs- und Handelshochschulen eingetreten und hat sowohl in diesen Angelegenheiten, wie hinsichtlich der Regelung der Kündigungsvorschriften, der Konkurrenzklausel, des Zeugniszwanges u. s. w. wiederholt Eingaben an die Regierung und den Reichstag gemacht, wie er auch bei den Vorarbeiten für das neue Handelsgesetzbuch gutachtlich gehört ist. Die Fragen der Maximalarbeitszeit im Handelsgewerbe, der kaufmännischen Schiedsgerichte, der Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes, der Versicherung gegen Stellenlosigkeit, der Stellenvermittelung, der Invaliditäts- und Altersversicherung für Handlungsgehülfen, der Frauenarbeit im Handelsgewerbe u. a. sind in den Verbandsversammlungen wiederholt behandelt, wobei naturgemäß starke Meinungsverschiedenheiten hervortraten, doch hat der Verband, gemäß seinem föderalistischen Karakter, stets Gewicht darauf gelegt, die Selbständigkeit der einzelnen Vereine nicht zu beeinträchtigen. Bei Aufnahme von Vereinen hat der Verband den Grundsatz befolgt, solche mit politischen oder konfessionellen Tendenzen abzulehnen; ein Verein mit angeblich sozialdemokratischer Richtung wurde ausgeschlossen und dem „deutsch-nationalen Handlungsgehülfenverbande“ wegen angeblich antisemitischer Richtung die Aufnahme verweigert.
Aus dem Schoße des Verbandes hat sich ein von ihm unabhängiger „Stellenvermittelungsbund kaufmännischer Vereine“ entwickelt der am 26. Januar 1890 gegründet wurde und dem sich die Mehrzahl der Verbandsvereine angeschlossen hat.
Dem Verbande gehören ausweislich des letzten im Mai 1899 ausgegebenen Verzeichnisses 98 Vereine mit insgesamt 127115 Mitgliedern an, unter denen sich 2 österreichische (Wien und Brünn) befinden. Von den Mitgliedern sind 24832 Prinzipale, 95528 Gehülfen, 4893 Lehrlinge und 1862 Nichtkaufleute.
Es ist nicht möglich, alle 98 Vereine hier näher zu behandeln, auch ist dies um so weniger erforderlich, als die Verhältnisse in denselben im wesentlichen gleichartig sind. Unter diesen Umständen muß es genügen, nur über die größeren und zwar diejenigen mit mehr als 2000 Mitgliedern nähere Angaben zu machen[148].
b)Verein für Handlungskommis von1858[149].
Der älteste und zugleich der größte aller kaufmännischen Vereine ist der in der Ueberschrift genannte, der jetzt auf ein Alter von 41 Jahren zurücksieht. Die Mitgliederzahl betrug am 31. Dezember 1897 53951, am 31. Dezember 1898 56149, und im Juli 1899 über 58000 in 215 Bezirksvereinen, darunter 7500 Prinzipale und 363 unterstützende Mitglieder (z. B. Handelskammern) sowie 2500 Lehrlinge. Im Jahre 1898 betrugen die Einnahmen 313670 Mk. 2 Pf., die Ausgaben 313025 Mk. 31 Pf., das Gesamtvermögen 181394 Mk. 62 Pf.
Die Hauptaufgabe des Vereins ist dieStellenvermittelung; im Jahre 1898 wurden 6037, insgesamt bereits über 74000 Stellen vermittelt. DiePensionskassefür Alters-, Invaliden-, Witwen- und Waisenversorgung umfaßte Ende 1898 7355 Mitglieder, einschließlich 1851 Ehefrauen; das Kassenvermögen betrug 4824023 Mk. 91 Pf. DieKranken- undBegräbniskassehatte 6943 Mitglieder; die Einnahmen betrugen 229162 Mk. 93 Pf., die Ausgaben 212272 Mk. 96 Pf., der Vermögensbestand 185960 Mk. 21 Pf. Daneben besteht eine Unterstützungskommission für Bedürftige, die 1898 5301 Mk. 35 Pf. auszahlte. Außerdem besitzt der Verein eine Abteilung fürFortbildungund eine solche fürGeselligkeit.
In den letzten Jahren ist auch die Beschäftigung mit Fragen derSozialpolitikmehr in den Vordergrund getreten. Zu der Frauenarbeit im Handelsgewerbe hat der Verein die Stellung eingenommen, daß er freilich die darin liegende schwere Schädigung der männlichen Handlungsgehülfen anerkennt, jedoch eine Beschränkung der weiblichen Arbeit als ungerecht verwirft und eine teilweise Abhülfe nur darin findet, daß die Frauen denselben Grundsätzen hinsichtlichder Ausbildung und des Gehaltes wie die Männer unterworfen und daß die Schutzbestimmungen der Gewerbeordnung für jugendliche und weibliche Arbeiter auch auf die Handelslehrlinge und Handlungsgehülfinnen ausgedehnt werden. Dagegen wird die Organisation der Gehülfinnen nicht begünstigt.
Für Errichtung kaufmännischer Schiedsgerichte ist der Verein eingetreten, indem er das dagegen geltend gemachte Bedenken einer Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Prinzipal und Gehülfen nicht als zutreffend anerkannte, doch lehnte er den Anschluß an die gewerblichen Schiedsgerichte wegen der damit verbundenen Agitation und Verschärfung der Gegensätze ab und forderte vielmehr eine Verbindung mit den Amtsgerichten, indem das Gericht aus dem Amtsrichter als Obmann und je einem Prinzipal und Gehülfen gebildet werden soll.
Der Verein ist dem Verbande für das kaufmännische Unterrichtswesen beigetreten und hat sich für Gründung von Handelshochschulen ausgesprochen.
Auch für den Acht-Uhr-Ladenschluß und den Beginn der Sonntagsruhe um 1 Uhr mittags ist der Verein eingetreten. In Eingaben an den Bundesrat hat er bei Beratung des neuen Handelsgesetzbuches für bessere Regelung der Kündigungsbestimmungen und der Gehaltszahlung, für Schutzbestimmungen hinsichtlich der Wohnungs-, Schlaf- und Geschäftsräume und für Einschränkung der Konkurrenzklausel gewirkt.
Obgleich der Verein in diesen Angelegenheiten die staatliche Regelung fordert, so steht er doch grundsätzlich auf dem Boden der Selbsthülfe, verfolgt sogar, wie hinsichtlich der Frage des Zwanges zum Besuche der Fortbildungsschulen, eine etwas manchnerliche Auffassung. Daneben betont er die Notwendigkeit des Zusammengehens mit den Prinzipalen.
Der Verein besitzt in dem „Hamburger Vereinsblatt“ ein eigenes Organ.
c)Kaufmännischer Verein in Frankfurt a. M.[150].
Derselbe ist am 19. Dezember 1864 gegründet und ist mit den am 31. Dezember 1898 vorhandenen 15787 Mitgliedern, worunter sich 14777 ordentliche, 535 außerordentliche und unterstützende Mitglieder und 474 Lehrlinge befanden, der zweitgrößte Verein des Verbandes.
Der Verein bezweckt Verbreitung kaufmännischer und allgemeiner Kenntnisse bei seinen Mitgliedern, Förderung der gemeinsamen Interessen des Kaufmannsstandes, insbesondere der Handlungsgehülfen, sowie Unterstützung von Bestrebungen, um deren wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage zu verbessern, ferner Pflege des genossenschaftlichen Sinnes und des Bewußtseins der Zusammengehörigkeitunter den Mitgliedern und endlich deren Unterstützung in Fällen der Hülfsbedürftigkeit. Als Mittel sind u. a. bezeichnet Vorträge nebst Besprechung über kaufmännische und volkswirtschaftliche Gegenstände, Studienzirkel, Bibliothek, Stellenvermittelung, unentgeltliche Rechtsbelehrung, eine Kranken- und Begräbniskasse, sowie sonstige ähnliche Einrichtungen.
Im Vordergrunde steht thatsächlich die Stellenvermittelung, die Bildung und die Geselligkeit. Von den 1898 veranstalteten 22 Vorträgen behandelten nur drei volkswirtschaftliche Gegenstände; auch die „Diskussionsabteilung“, die stark besucht war, hat sich mit solchen Fragen nicht beschäftigt. Der Verein besitzt eine Fachschule und ein Lehrlingsheim, ist auch Mitglied des Verbandes für das kaufmännische Fortbildungsschulwesen. Er gewährt seinen Mitgliedern Rechtsauskunft und eine Reihe von Vergünstigungen in Geschäften; er besitzt ein eigenes Vereinshaus mit Bibliothek. Der mit dem Vereine verbundenen Kranken- und Begräbniskasse gehören 1368 Mitglieder an. Das Vereinsvermögen betrug am 31. Dezember 1897 107240 Mk. 65 Pf.
d)Kaufmännischer Verein in Mannheim[151].
Der am 11. Februar 1867 gegründete Verein verfolgt nach seinen Statuten als Zwecke: 1. Fortbildung und Hebung kaufmännischen und allgemeinen Wissens; 2. wirtschaftliche und gesellschaftliche Förderung des kaufmännischen Gehülfenstandes; 3. Pflege des gesellschaftlichen Sinnes und der Zusammengehörigkeit der Mitglieder. Er will diese Zwecke erreichen durch Unterrichtskurse, Vorträge, Bibliothek, Zeitschriften und Diskussionen, ferner durch Stellungnahme zur Gesetzgebung und Einwirkung auf dieselbe, soweit sie den kaufmännischen Gehülfenstand betrifft, durch Stellenvermittelung, eine Krankenkasse, eine Pensionskasse, durch Unterstützung hülfsbedürftiger Standesgenossen und unentgeltliche Rechtsberatung. Religiöse und parteipolitische Bestrebungen sind ausgeschlossen.
Ordentliche Mitglieder sind nur männliche Personen, die dem Handelsstande als Gehülfen, Beamte, Bevollmächtigte und Prokuristen angehören oder in gewerblichen Unternehmungen beschäftigt sind. Als außerordentliche Mitglieder können andere Personen, insbesondere selbständige Kaufleute aufgenommen werden; auch Lehrlinge können beitreten.
Am 1. April 1899 hatte der Verein 2896 Mitglieder, worunter 692 außerordentliche und 443 Lehrlinge. Das Vereinsvermögen betrug 41782 Mk. 39 Pf. Die Krankenkasse hatte 842 Mitglieder und 19771 Mk. 93 Pf. Vermögen. Neben ihr besitzt der Verein noch einen Unterstützungsfonds von23349 Mk. 81 Pf. Der Verein gewährt Rechtsberatung und hat ein Uebersetzungsbureau, bietet auch Vorzüge bei Versicherungen. Die veranstalteten Vorträge haben sich überwiegend mit volkswirtschaftlichen Gegenständen beschäftigt, insbesondere haben die ProfessorenMax Weberund v.Schultze-GävernitzVortragscyklen über die wirtschaftliche Entwickelung und die Handelspolitik abgehalten.
e)Kaufmännischer Verein Union in Bremen[152].
Seine Erwähnung in diesem Zusammenhange verdankt der Verein nur dem Umstande, daß er dem „Deutschen Verbände kaufmännischer Vereine“ angehört und über 2000 Mitglieder zählt. Im übrigen ist er der Typus eines Vereins der alten Richtung, dessen Bedeutung auf dem Gebiete der Geselligkeit liegt. Nach den Statuten hat der Verein den Zweck, „seinen Mitgliedern einen Vereinigungsplatz zu bieten, auf dem sie Gelegenheit finden zur wissenschaftlichen Fortbildung durch Unterricht, Vorträge und Lektüre, sowie zur geselligen Unterhaltung“, doch nimmt die letztere in Wirklichkeit den ersten Platz ein. Selbst die Vorträge, die der Verein nach seinem Jahresberichte für 1897 gehalten hat, vermeiden durchaus volkswirtschaftliche Fragen und auch die Unterrichtskurse, die sich auf Sprachen, Buchhaltung, Schönschreiben, Rechnen, Geographie und Stenographie beschränkten, sind unvollkommen besucht gewesen. Die Stellenvermittelung hat 273 Stellen besetzt. Der Verein besitzt ein eigenes Haus nebst Bibliothek und Lesezimmer. Im Jahre 1897 ist eine kostenlose Rechtsauskunft eingerichtet, dagegen ist der Versuch, eine Unfallversicherung zu schaffen, gescheitert. Gegenüber der Handelshochschul-Bewegung hat sich der Verein ablehnend verhalten. Der Mitgliederbestand betrug am 1. Januar 1898 2369, wovon 1088 etabliert und 1281 Gehülfen waren.
f)Kaufmännischer Verein München[153].
Der am 9. Oktober 1873 gegründete Verein zählte am 1. Oktober 1898 2760 Mitglieder. Er bezweckt: 1. kaufmännische und wissenschaftliche Fortbildung, 2. Förderung der Interessen des Handelsstandes im allgemeinen und der Mitglieder im besonderen, 3. Pflege des kollegialen Sinnes. Als Mittel werden bezeichnet: Stellenvermittelung, Unterrichtskurse für fremde Sprachen und Fachwissenschaften, Bibliothek und Lesezimmer, Besprechungen von kaufmännischen und allgemein wissenschaftlichen Gegenständen, Vorträge, Unterstützung stellenloser Mitglieder, Rechtsschutz und gesellige Unterhaltungen. Gegenständepolitischer und religiöser Natur sind von der Vereinsthätigkeit ausgeschlossen. Neben den ordentlichen giebt es auch unterstützende Mitglieder.
Der Schwerpunkt der Thätigkeit liegt in der Stellenvermittelung und der Förderung von Bildungszwecken durch die Unterrichtskurse und Vorträge. Diese zerfallen in populärwissenschaftliche und fachwissenschaftliche, doch sind auch unter den letzteren solche, welche sich mit sozialen Fragen beschäftigen, ziemlich spärlich vertreten. Der Verein besitzt außer einer Abteilung für Rechtsschutz nur eine Unterstützungskasse, deren Jahresausgabe aber nicht über 300 Mk. steigt, sowie eine Krankenkasse, auch ein Uebersetzungsbureau, dessen Benutzung auch Nichtmitgliedern offen steht.
g)Verein junger Kaufleute in Berlin[154].
Der Verein ist einer der ältesten, die in Deutschland bestehen. Im Jahre 1839 wurde gleichzeitig und unabhängig von einander, von einigen Handlungsgehülfen und von den Aeltesten der Kaufmannschaft der Plan gefaßt, einen Unterstützungsverein zu begründen, und nachdem die letzteren ein Grundkapital von 1500 Thalern zur Verfügung gestellt hatten, konnte die Vereinigung unter dem Namen: „Verein zur Unterstützung hülfsbedürftiger Handlungsdiener“ am 24. Juni 1840 mit 180 Mitgliedern ins Leben treten. Schon bald erweiterte derselbe sein Wirkungsgebiet über die bloßen Unterstützungszwecke hinaus, indem 1844 beschlossen wurde, handelswissenschaftliche Vorträge zu veranstalten. Die hierfür geschaffene und anfangs selbständige Handelslehranstalt wurde am 5. Februar 1846 mit dem Vereine verschmolzen. Dieser, dessen Mitgliederzahl bereits auf 450 gestiegen war, nahm dann am 8. Februar 1847 den jetzigen Namen an, um den erweiterten Wirkungskreis auch äußerlich zu bezeichnen. Am 21. September 1872 erhielt der Verein die Rechte der juristischen Persönlichkeit und erwarb ein eigenes Grundstück.
Nach dem Statute ist auch jetzt noch der Hauptzweck des Vereins die Unterstützung seiner Mitglieder, welche durch unverschuldeten Mangel, Krankheit oder Alter in eine hülfsbedürftige Lage gekommen sind.
Nur soweit die Mittel des Vereins hierfür nicht beansprucht werden, dürfen sie für die übrigen Zwecke: Fortbildung der Mitglieder in kaufmännischen und anderen Wissenschaften, Förderung der Kollegialität und Geselligkeit und Fürsorge für die Witwen und Waisen der Mitglieder verwandt werden. Ordentliche Mitglieder sind die in Berlin wohnenden Handlungsdiener, Handlungsbevollmächtigten und Prokuristen; als außerordentliche Mitglieder können selbstständige Kaufleute aufgenommen werden. Die Unterstützungsberechtigung derordentlichen Mitglieder tritt ein, wenn sie nicht imstande sind, sich ohne Beihülfe des Vereins angemessen zu erhalten und zwar bei Krankheit, Stellenlosigkeit und bei Alter oder Gebrechen. Die Beerdigung bedürftiger Mitglieder geschieht auf Kosten des Vereins. Daneben wird durch eine Deputation von 2 Mitgliedern Leichenfolge geleistet. Außerordentliche Mitglieder erhalten Unterstützung, wenn sie 5 Jahre lang ordentliche Mitglieder waren; ausnahmsweise können auch Nichtmitglieder unterstützt werden.
Der Verein veranstaltet wissenschaftliche Vorträge, von denen aber ebenso wie von den Vereinsversammlungen staatspolitische und religiöse Gegenstände ausgeschlossen sind. Zur Verbreitung von Fachkenntnissen finden Unterrichtskurse statt. Daneben besteht eine Bibliothek. Für Vereinsmitglieder und ausnahmsweise auch für Fremde übernimmt der Verein die Stellenvermittelung.
Der Mitgliederbestand betrug am 1. Januar 1898 3537. Die Gesamtsumme der bisher verausgabten Unterstützungen belief sich auf 427182 Mk. für Mitglieder und 141174 Mk. für Hinterbliebene.
h)Kaufmännischer und gewerblicher Hülfsverein für weibliche Angestellte[155].
Der am 19. Mai 1889 gegründete Verein ist den Bestrebungen wohlmeinender Leute entsprungen, die das Bedürfnis einsahen, den vielfach hülflosen und schutzbedürftigen in kaufmännischen Geschäften verwendeten weiblichen Personen zur Seite zu stehen. Diese zunächst rein humane Aufgabe findet auch in den Statuten ihren Ausdruck. Danach bezweckt der Verein, seinen Mitgliedern, welche durch Krankheit, Stellenlosigkeit und unverschuldete Not in eine hülfsbedürftige Lage gekommen sind, mit Rat und That zur Seite zu stehen, ferner durch Unterrichtskurse, Vorträge und ähnliche Veranstaltungen die Mitglieder in ihrer Ausbildung zu fördern und in der Ausübung ihres Berufes zu unterstützen. Auch die Wirksamkeit der ersten Jahren entsprach dieser Auffassung. Man schuf einen Stellennachweis, eine Rechtshülfe-, Rat- und Auskunfterteilung, sowie eine gewerbliche und eine kaufmännische Handelsschule nebst einer Schreibmaschinenschule, Bibliothek und Lesezimmer, eine Krankenunterstützung neben einer besonderen als eingeschriebene Hülfskasse eingerichteten Krankenkasse, einen Darlehnsfonds, man veranstaltet Vorträge und Unterhaltungsabende, vermittelt Ferienaufenthalte und Sommerfrischen; auch hat der Verein einen Turnzirkel und einen Sängerbund.
Aber der Verein ist bei diesenhumanitärenBestrebungen nicht stehen geblieben, sondern hat auch dassozialeund insbesonderegewerkschaftlicheGebiet betreten, indem er durch Eingabe an Behörden und auf andere Weise für die Interessen des weiblichen Handelshülfspersonales eingetreten ist. Insbesondere hat er sich an den Bestrebungen zu Gunsten einer Ermäßigung der Arbeitszeit und Einführung des Achtuhr-Ladenschlusses, sowie der Einführung kaufmännischer Schiedsgerichte beteiligt.
Seit 1. Juli 1896 besitzt der Verein ein eigenes Organ, in den „Mitteilungen für weibliche Angestellte“. Die Mitgliederzahl, die bei der Gründung nur 500, jedoch am Jahresschlusse schon 1600 betrug, ist seitdem stetig gewachsen und belief sich am 31. Dezember 1897 auf 10423, Ende Dezember 1898 sogar auf 11362, wovon 10700 Handlungs- und Gewerbegehülfinnen, 275 Geschäftsinhaber und die übrigen Privatpersonen waren: Ordentliche Mitglieder können nämlich nur sein: „unter Ausschluß der eigentlichen Arbeiterinnen Mädchen und Frauen, die als Handlungsgehülfinnen bezw. Lehrlinge oder als solche Gewerbegehülfinnen angestellt sind, deren Beruf eine höhere Vorbildung oder eine besondere längere Ausbildung erfordert.“ Der Beitrag beläuft sich auf jährlich 3 Mk. Das Vermögen des Vereins betrug am 31. Dezember 1897 77769 Mk. 38 Pf. Für Unterstützung seiner Mitglieder hat der Verein im Jahre 1898 4439 Mk. aufgewandt; die Gesamtausgabe hat sich auf 232000 Mk. belaufen.
Der Verein steht mit den übrigen 11 zur Zeit in Deutschland vorhandenen Vereinen für Handlungsgehülfinnen, nämlich in Augsburg, Barmen, Breslau, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Kassel, Köln, Königsberg, Leipzig und München in freundschaftlichem Verkehr.
Die bisher erwähnten Vereine gehören sämtlich zu dem deutschen Verbande kaufmännischer Vereine. Aber es giebt noch einige bedeutendere Vereine, die sich diesem Verbande nicht angeschlossen haben und doch zu der im Eingange bezeichneten älteren Richtung zu zählen sind; von ihnen sollen die wichtigsten hier genannt sein.
i)Verband deutscher Handlungsgehülfen[156].
Er ist im Jahre 1881 gegründet und nächst dem Hamburger Verein von 1858 der größeste kaufmännische Verein, denn seine Mitgliederzahl betrug am 1. Januar 1898 47208 und am 1. Januar 1899 49406, wovon 356 stiftende und außerordentliche Mitglieder und 689 Lehrlinge waren.
Der Verband, der seinen Sitz in Leipzig hat, ist nach seinen Satzungen „eine Vereinigung von Kaufleuten zu gegenseitiger Hülfe und Hebung desKaufmannsstandes“ und verfolgt als Zweck die Sicherung seiner Mitglieder in den Notfällen des Lebens durch Stellenvermittelung, Unterstützung bei Stellenlosigkeit, Rechtsschutz, Kranken-, Begräbnis-, Wittwen- und Waisen-, Alters- und Invaliditätsversorgung; will aber daneben auf Hebung des Kaufmannsstandes in sittlicher und sozialer Beziehung hinwirken und die Interessen der Handlungsgehülfen im allgemeinen und seiner Mitglieder im besonderen vertreten. Alle politischen und religiösen Bestrebungen sind ausgeschlossen. Der Verein hat das Recht der juristischen Persönlichkeit und besitzt ein eigenes Vereinshaus.
Eine wesentliche Aufgabe des Verbandes ist die Stellenvermittelung und die Unterstützung bei Stellenlosigkeit. Ferner besitzt er eine Witwen- und Waisenkasse und eine Altersversorgungs- und Invaliditätskasse, von denen am 30. September 1898 die erstere ein Vermögen von 360674 Mk. 59 Pf., die letztere ein solches von 249005 Mk. 71 Pf. besaß. Eine besondere Kranken- und Begräbniskasse hatte am 1. Januar 1898 17376 Mitglieder. Eine besondere Stiftung, deren Vermögen am 30. September 1898 auf 82977 Mk. 33 Pf. angewachsen war, bezweckte die Gründung eines Genesungsheimes, dessen Benutzung den Mitgliedern unentgeltlich gestattet ist. Der Verein gewährt Rechtsschutz und Vorzüge bei Versicherungen. Er besitzt in den „Verbandsblättern — Kaufmännische Reform“ ein eigenes Organ.
Der Verband hat in den neuesten Jahren bei der Beratung der für die Handelsgehülfen wichtigen Gesetze, insbesondere des neuen Handelsgesetzbuches und des Gesetzes über den unlautern Wettbewerb die Wünsche und Interessen seiner Mitglieder durch mehrfache Eingaben an den Reichstag und Bundesrat zu wahren gesucht; ebenso hat er über diese und andere sozialpolitische Gegenstände z. B. die Frage der kaufmännischen Schiedsgerichte, Regelung der Geschäftszeit, Lehrlingswesen und Frauenarbeit eine Reihe von Vorträgen veranstaltet.
k)Verband reisender Kaufleute Deutschlands[157].
Der Verband, der seinen Sitz ebenfalls in Leipzig hat, ist nach seiner rechtlichen Form eine Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht. Er bezweckt: 1. Pflege der Standesehre und Förderung der Standesinteressen, 2. Vermittelung gegenseitiger geschäftlicher Unterstützung durch Auskunft und Empfehlung; 3. Stellenvermittelung; 4. Gewährung von Rat und Belehrung bei geschäftlichen Rechtsfragen und Streitigkeiten; 5. Unterstützung der Mitglieder in Krankheitsfällen und für Fälle vorübergehender Notlage, sowie Gewährung einer Begräbnisunterstützung beim Tode eines Mitgliedes; 6. Unterstützung derWitwen und Waisen verstorbener Mitglieder; 7. Unterstützung altersschwacher und invalider Mitglieder; 8. Unterstützung der durch geleistete Kriegsdienste in Not geratener Mitglieder oder deren Familien; 9. Unterhaltung eines eigenen Preßorganes.
Neben den erwähnten Unterstützungen, die von dem Ermessen der Verbandsorgane abhängig sind und deshalb auch besondere Beiträge nicht erfordern, hat der Verband seit 1. Januar 1891 eine Kranken- und Begräbniskasse in der Form einer eingeschriebenen Hülfskasse, der jedes Mitglied beitreten kann.
Aufnahmefähig als ordentliches Mitglied ist jeder unbescholtene Kaufmann, welcher reist, gereist hat oder reisen läßt, die Handlung erlernt hat, in Deutschland wohnt und zwischen dem 21. und 40. Lebensjahre steht. Der Verband sucht bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern und deren Prinzipalen zu vermitteln, und hat das anfängliche Vorurteil der letzteren überwunden, wie sich daraus ergiebt, daß ihm 664 außerordentliche Mitglieder, darunter 33 Handelskammern beigetreten sind.
Die Zahl der ordentlichen Mitglieder betrug am 31. Dezember 1898 8337 unter Einschluß von 28 stiftenden Mitgliedern in 69 Sektionen. Das Gesamtvermögen belief sich auf 1358331 Mk. 68 Pf. Davon entfielen 802025 Mk. 61 Pf. auf den Witwen- und Waisenfonds, 262490 Mk. 56 Pf. auf den allgemeinen Unterstützungsfonds, 194143 Mk. 88 Pf. auf den Altersunterstützungsfonds, 19146 Mk. 95 Pf. auf den Kriegsreservefonds. Der Verein gewährt Stellenvermittelung, Rechtsschutz und Vergünstigungen bei Versicherungen. Derselbe hat auch gelegentlich, z. B. bei der Neugestaltung des Handelsgesetzbuches, sowie bei den Versuchen einer Eisenbahntarifreform die Interessen seiner Mitglieder durch Eingaben an die Behörden zu fördern gesucht. Das Vereinsorgan ist die „Post reisender Kaufleute Deutschlands“ mit einer Auflage von 10200.
l)Kaufmännischer Hülfsverein in Berlin[158].
Der am 29. Oktober 1880 gegründete Verein verfolgt den Zweck, Handlungsgehülfen auf Ansuchen nach Maßgabe der Vereinsmittel einmalige oder zeitweilige Unterstützungen zu gewähren. Daneben erhalten die Mitglieder für ihren Jahresbeitrag von 6 Mk. unentgeltliche Krankenhülfe, Rechtsrat und Stellenvermittelung, während sie einer Sterbekasse mittels eines besonderen Beitrags von jährlich 4 Mk. beitreten können. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder, die nur aus Handlungsgehülfen bestehen, betrug am 31. Dezember 1897 8467, die der außerordentlichen (Prinzipale) 951, das Vereinsvermögen 92668 Mk. 42 Pf. Der Verein hat in den „Nachrichten des kaufmännischenHülfsvereins in Berlin“ ein eigenes Organ, das in einer Auflage von 9400 erscheint.
Das gemeinsame Merkmal der neueren Richtung ist die stärkere Betonung der sozialen Fragen vor solchen der Geselligkeit, der Bildung und der Unterstützung. Damit steht im Zusammenhange eine entschiedenere Vertretung des Interesses der Handlungsgehülfen auch da, wo es sich mit demjenigen der Prinzipale nicht deckt oder gar zu ihm in Gegensatz tritt.
Hinsichtlich des Grades, in dem diesen Gesichtspunkten Rechnung getragen wird, können die hierher gehörigen Vereine in einer gewissen Reihenfolge geordnet werden, und diese ist in der folgenden Darstellung innegehalten:
a)Verein der deutschen Kaufleute[159].
Derselbe ist ein Gewerkverein derHirsch-Duncker'schen Richtung und gehört zu deren Verbande. Er steht deshalb auch auf deren grundsätzlichen Standpunkte und will die Interessen seiner Mitglieder thunlichst im guten Einvernehmen mit den Prinzipalen verfolgen. Noch den Statuten bezweckt der Verein „den Schutz und die Förderung der Rechte und Interessen seiner Mitglieder auf gesetzlichem Wege“.
Dieser Zweck soll hauptsächlich erreicht werden: