Chapter 7

Der Verband der Feldarbeiter giebt seit 1. Mai 1897 unter dem Titel „Der Feldarbeiter“ ein monatlich zweimal erscheinendes Organ heraus und wirkt daneben hauptsächlich durch Flugschriften und Wanderredner.

Die ungarische Regierung ist sich der Gefahr, die in der Bewegung liegt, wohl bewußt, aber sie handelt ganz nach deutschem Vorbilde, indem sie die Bewegung nicht durch Beseitigung der Uebelstände zu entkräften, sondern mit Gewalt zu unterdrücken sucht. Nicht allein hat man im Sommer 1897 Soldaten zu Erntearbeiten kommandiert und das Gleiche für ähnliche Fälle in Aussicht genommen, sondern auch ein am 1. März 1898 in Kraft getretenes Gesetz erlassen, nach dem die Aushaltung der Landarbeiterverträge durch Polizei und Militär erzwungen werden soll. Der Reichsrat hat bei Beratung des Gesetzes den Wunsch ausgesprochen, daß das gleiche Verfahren, welches bisher nur für Erntearbeiten vorgesehen ist, auf alle Arten landwirtschaftlicher Arbeiten ausgedehnt wird.

Auf den 25. Dezember 1898 war nach Czegled in Verbindung mit dem Parteitage der ungarischen Sozialdemokratie ein neuer Feldarbeiterkongreß einberufen, insbesondere um gegen das „Sklavengesetz“ zu protestieren. Beide Versammlungen sind von der Regierung verboten. Man hat deshalb beschlossen, den Schwerpunkt in die geheimen sozialdemokratischen Tischgenossenschaften zu verlegen, ihnen gedruckte Referate und Resolutionen zugehen zu lassen und über die erforderlichen Fragen eine schriftliche Abstimmung herbeizuführen.

Am 2. April 1899 hat der zu Weihnachten verbotene Kongreß in Budapest stattgefunden unter Beteiligung von 133 Vertretern aus 92 Orten. Die Verhandlung verlief durchaus ruhig, obgleich die Redner sich ausnahmslos alsAnhänger der sozialdemokratischen Partei bekannten. Man protestierte gegen das Feldarbeitergesetz und dagegen, daß die Regierung, wie sie es 1898 gethan und für 1899 wieder angekündigt hatte, während der Ernte eine Feldarbeiterreserve auf den Staatsdomänen zusammenziehe. Daneben forderte man Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Beseitigung der mit den Schnitterverträgen getriebenen Mißbräuche und auskömmlichen Lohn, sowie endlich die Einrichtung staatlicher Ackerbauinspektoren durch Wahl der Feldarbeiter.

Neben der unter sozialdemokratischem Einfluß stehenden Feldarbeiterbewegung hat sich aber in neuester Zeit auch eine christlich-soziale Bewegung entwickelt. Ein Verein dieser Richtung ist in Raab gebildet, ebenso hat im Dezember 1897 eine Konferenz in Budapest stattgefunden, auf der 20 Industriezweige durch etwa 200 Abgeordnete vertreten waren. Man beschloß die Durchführung einer allgemeinen Gewerkschaftsorganisation und ernannte zunächst einen Gewerkschaftsrat, der die Zentralstelle bilden soll.

Auch die Organisation der Arbeiterinnen ist von dieser Seite in die Hand genommen und vom 6. bis 8. September 1897 in Czegled ein Arbeiterinnenkongreß abgehalten, auf dem Einführung des Achtstundentages für die Industrie und des Zehnstundentages für die Landwirtschaft, sowie gewisse Mindestlöhne gefordert wurden. Das Organ dieser Bewegung ist das in Budapest erscheinende Wochenblatt „Die Freiheit.“

Auch für Ungarn ist in neuester Zeit eine dem österreichischen arbeitsstatistischen Amte entsprechende Behörde ins Leben getreten, nämlich der Landesindustrierat in Budapest, der am 1. Februar 1899 seine erste Sitzung abgehalten hat. Sein Arbeitsprogramm umfaßt folgende Aufgaben: Arbeiterstatistik, Arbeiterversicherung gegen Unfälle, Invalidität und Alter, Regelung der Frauen- und Kinderarbeit und Revision des Gesetzes über die Arbeiterkrankenkassen. Aber der karakteristische Unterschied der ungarischen Einrichtung gegenüber der österreichischen tritt am deutlichsten darin hervor, daß zu allen diesen Beratungen über Arbeiterangelegenheiten die Arbeiter selbst nicht zugelassen wurden, während die Handels- und Gewerbekammern Vertreter entsandten. Der hauptsächlichste Gegenstand der bisherigen Beratungen bildete die Regelung des Arbeitsnachweises. Man beschloß eine auf Beihülfe des Staates, der Gemeinden und der Handelskammern beruhende Zentralanstalt mit Filialen in den größeren Orten einzurichten, die unter staatlicher Aufsicht zu je einem Drittel aus Arbeitgebern, Arbeitern und unabhängigen Personen bestehen und ihre Thätigkeit unentgeltlich besorgen soll.

Fußnoten:[37]Vgl.Kautsky: „Die Arbeiterbewegung in Oesterreich“ in der „Neuen Zeit VIII (1890), S. 49 ff., 97 ff., 154 ff.“Kralik: Nutzen und Bedeutung der Gewerkschaften. Wien 1891. Oesterreichischer Arbeiterkalender seit 1891 (Brünn). Verhandlungen des I. und II. sozialdemokratischen Parteitages. Wien 1889 u. 1891. Bretschneider, Arbeiterzeitung, erscheint seit 1. Juli 1889. Rechenschaftsbericht der Gewerkschaftskommission Oesterreichs für die Zeit vom 1. Januar 1894 bis 31. Oktober 1896 und Protokoll des II. österreichischen Gewerkschaftskongresses. Wien 1896. Hueber: Einige sonstige Litteratur ist bei den einzelnen Organisationen angegeben.[38]Nach der Berufszählung von 1890 waren im cisleithanischen Oesterreich beschäftigt indie Landwirtschaft13351370Personen=55,9%die Industrie6155510„=25,8„Handel und Verkehr2115313„=8,8„öffentlichen Dienst und freien Berufen2273211„=9,5„Im Jahre 1880 betrug der Anteil der Landwirtschaft noch 59,9%, der Industrie 24,6%, des Handels 7%. In Deutschland ergab die Zählung von 1895 für Landwirtschaft 35,7%, für Industrie 39,1%.[39]Der Beschluß des Kongresses, seine Verhandlungen als Broschüre zu veröffentlichen, ist in Ermangelung ausreichender Beteiligung beim Absatze desselben nicht zur Ausführung gelangt. Als Quelle der Darstellung konnten deshalb nur die Berichte der Zeitungen benutzt werden.[40]Vgl. unten.[41]Das Organ der politischen Partei.[42]Die Verhandlungen sind nach dem stenographischen Protokoll herausgegeben vonAdolf Presl, Wien 1890, Mathias Eibensteiner.[43]Die Verhandlungen sind nach dem stenographischen Protokoll herausgegeben von E.Berner, Prag 1891, Verlag von Knorr.[44]Die Verhandlungen sind als Broschüre herausgegeben vonLudwig Exner, Wien 1891, im eigenen Verlage.[45]Das Protokoll ist erschienen im Verlage von Ignaz Brand, Wien. Ueber den I. Schneidertag habe ich nichts ermitteln können.[46]Die Protokolle beider Bäckertage sind im Verlage von J. Tobola in Wien 1891 und 1893 erschienen.[47]Das stenographische Protokoll ist in Wien 1894 im Verlage der Administration des „Zeitgeist“ erschienen.[48]Das Kongreßprotokoll ist, Wien 1897, im Verlage der „Einigkeit“ erschienen.[49]Das Material verdanke ich dem „Verbande der Vereine der Buchdrucker und Schriftgießer und verwandter Berufe Oesterreichs“. Die Thätigkeitsberichte 1. für 1894–96, 2. für 1896, 3. für 1897 sind im Verlage des Verbandes erschienen.

Fußnoten:

[37]Vgl.Kautsky: „Die Arbeiterbewegung in Oesterreich“ in der „Neuen Zeit VIII (1890), S. 49 ff., 97 ff., 154 ff.“Kralik: Nutzen und Bedeutung der Gewerkschaften. Wien 1891. Oesterreichischer Arbeiterkalender seit 1891 (Brünn). Verhandlungen des I. und II. sozialdemokratischen Parteitages. Wien 1889 u. 1891. Bretschneider, Arbeiterzeitung, erscheint seit 1. Juli 1889. Rechenschaftsbericht der Gewerkschaftskommission Oesterreichs für die Zeit vom 1. Januar 1894 bis 31. Oktober 1896 und Protokoll des II. österreichischen Gewerkschaftskongresses. Wien 1896. Hueber: Einige sonstige Litteratur ist bei den einzelnen Organisationen angegeben.

[37]Vgl.Kautsky: „Die Arbeiterbewegung in Oesterreich“ in der „Neuen Zeit VIII (1890), S. 49 ff., 97 ff., 154 ff.“Kralik: Nutzen und Bedeutung der Gewerkschaften. Wien 1891. Oesterreichischer Arbeiterkalender seit 1891 (Brünn). Verhandlungen des I. und II. sozialdemokratischen Parteitages. Wien 1889 u. 1891. Bretschneider, Arbeiterzeitung, erscheint seit 1. Juli 1889. Rechenschaftsbericht der Gewerkschaftskommission Oesterreichs für die Zeit vom 1. Januar 1894 bis 31. Oktober 1896 und Protokoll des II. österreichischen Gewerkschaftskongresses. Wien 1896. Hueber: Einige sonstige Litteratur ist bei den einzelnen Organisationen angegeben.

[38]Nach der Berufszählung von 1890 waren im cisleithanischen Oesterreich beschäftigt indie Landwirtschaft13351370Personen=55,9%die Industrie6155510„=25,8„Handel und Verkehr2115313„=8,8„öffentlichen Dienst und freien Berufen2273211„=9,5„Im Jahre 1880 betrug der Anteil der Landwirtschaft noch 59,9%, der Industrie 24,6%, des Handels 7%. In Deutschland ergab die Zählung von 1895 für Landwirtschaft 35,7%, für Industrie 39,1%.

Nach der Berufszählung von 1890 waren im cisleithanischen Oesterreich beschäftigt in

Im Jahre 1880 betrug der Anteil der Landwirtschaft noch 59,9%, der Industrie 24,6%, des Handels 7%. In Deutschland ergab die Zählung von 1895 für Landwirtschaft 35,7%, für Industrie 39,1%.

[39]Der Beschluß des Kongresses, seine Verhandlungen als Broschüre zu veröffentlichen, ist in Ermangelung ausreichender Beteiligung beim Absatze desselben nicht zur Ausführung gelangt. Als Quelle der Darstellung konnten deshalb nur die Berichte der Zeitungen benutzt werden.

[39]Der Beschluß des Kongresses, seine Verhandlungen als Broschüre zu veröffentlichen, ist in Ermangelung ausreichender Beteiligung beim Absatze desselben nicht zur Ausführung gelangt. Als Quelle der Darstellung konnten deshalb nur die Berichte der Zeitungen benutzt werden.

[40]Vgl. unten.

[40]Vgl. unten.

[41]Das Organ der politischen Partei.

[41]Das Organ der politischen Partei.

[42]Die Verhandlungen sind nach dem stenographischen Protokoll herausgegeben vonAdolf Presl, Wien 1890, Mathias Eibensteiner.

[42]Die Verhandlungen sind nach dem stenographischen Protokoll herausgegeben vonAdolf Presl, Wien 1890, Mathias Eibensteiner.

[43]Die Verhandlungen sind nach dem stenographischen Protokoll herausgegeben von E.Berner, Prag 1891, Verlag von Knorr.

[43]Die Verhandlungen sind nach dem stenographischen Protokoll herausgegeben von E.Berner, Prag 1891, Verlag von Knorr.

[44]Die Verhandlungen sind als Broschüre herausgegeben vonLudwig Exner, Wien 1891, im eigenen Verlage.

[44]Die Verhandlungen sind als Broschüre herausgegeben vonLudwig Exner, Wien 1891, im eigenen Verlage.

[45]Das Protokoll ist erschienen im Verlage von Ignaz Brand, Wien. Ueber den I. Schneidertag habe ich nichts ermitteln können.

[45]Das Protokoll ist erschienen im Verlage von Ignaz Brand, Wien. Ueber den I. Schneidertag habe ich nichts ermitteln können.

[46]Die Protokolle beider Bäckertage sind im Verlage von J. Tobola in Wien 1891 und 1893 erschienen.

[46]Die Protokolle beider Bäckertage sind im Verlage von J. Tobola in Wien 1891 und 1893 erschienen.

[47]Das stenographische Protokoll ist in Wien 1894 im Verlage der Administration des „Zeitgeist“ erschienen.

[47]Das stenographische Protokoll ist in Wien 1894 im Verlage der Administration des „Zeitgeist“ erschienen.

[48]Das Kongreßprotokoll ist, Wien 1897, im Verlage der „Einigkeit“ erschienen.

[48]Das Kongreßprotokoll ist, Wien 1897, im Verlage der „Einigkeit“ erschienen.

[49]Das Material verdanke ich dem „Verbande der Vereine der Buchdrucker und Schriftgießer und verwandter Berufe Oesterreichs“. Die Thätigkeitsberichte 1. für 1894–96, 2. für 1896, 3. für 1897 sind im Verlage des Verbandes erschienen.

[49]Das Material verdanke ich dem „Verbande der Vereine der Buchdrucker und Schriftgießer und verwandter Berufe Oesterreichs“. Die Thätigkeitsberichte 1. für 1894–96, 2. für 1896, 3. für 1897 sind im Verlage des Verbandes erschienen.

Die Verhältnisse in der Schweiz sind in mannigfacher Beziehung abweichend von denen anderer Länder, und gerade diese Abweichungen bieten hinsichtlich der Entwickelung, welche die Arbeiterbewegung hier genommen hat, ein besonderes Interesse. In erster Linie gilt dies von dem Umstande, daß es in der Schweiz an dem Hindernisse, das anderwärts der freien Entfaltung der eignen Leistungsfähigkeit der Arbeiterklasse sich in den Weg gestellt hat, nämlich dem Widerstande der staatlichen Gewalt, fast völlig fehlt. Die Verfassung sowohl der Eidgenossenschaft wie der einzelnen Kantone ist die denkbar freieste, das Wahlrecht durchaus demokratisch; die Regierung wird von dem Volke selbst gewählt, der Arbeiterklasse ist deshalb die Möglichkeit gewährt, alle ihre Bestrebungen insoweit durchzusetzen, wie sie im stande ist, die aus den Gesamtinteressen der Bevölkerung sich ergebenden natürlichen Beschränkungen zu überwinden, vor allem aber die Arbeiterschaft selbst zu gemeinsamer Stellungnahme zu veranlassen. Insbesondere die Bildung von Gewerkvereinen ist in keiner Weise beschränkt, dieselben bedürfen sogar, um juristische Persönlichkeit zu erlangen, lediglich der Anmeldung zum Handelsregister.

Ergeben sich hieraus für die soziale Entwickelung besonders günstige Verhältnisse, so liegen allerdings hindernde Umstände einerseits in der niedrigen Stufe, auf der sich die Industrie des Landes bisher im allgemeinen befindet und der hiermit zusammenhängenden Kleinheit und Enge der Verhältnisse, sowie andererseits in der staatlichen und sprachlichen Zerrissenheit.

Eine letzte Eigentümlichkeit, die man in Betracht ziehen muß, um die Entwicklung der Arbeiterbewegung in der Schweiz zu verstehen, liegt endlich in der eigentümlichen nationalen Abgeschlossenheit und Ablehnung aller fremden Einflüsse. Dies ist besonders aus dem Grunde von Bedeutung, weil die Schweiz seit Jahrhunderten ein Zufluchtsort solcher Elemente gewesen ist, die aus andern Ländern wegen ihres Widerstandes gegen die herrschenden Gewalten sich entfernen mußten, von denen also ein erheblicher Einfluß auf die Schweizer Verhältnisse hätte erwartet werden dürfen. Thatsächlich hat ein solcher nicht stattgefunden; man hat freilich die fremden Elemente, solange sie gewisse Grenzen nicht überschritten, gewähren lassen, aber ihnen eine Herrschaft nicht gestattet.

Dies gilt insbesondere von derSozialdemokratie, mit deren Entwicklung hier wie in den meisten übrigen Ländern diejenige der Gewerkschaftsbewegung so eng verknüpft ist, daß beide bei der Darstellung nicht getrennt werden können. Nachdem die PropagandaLassalle's im Anfange der sechziger Jahre Schiffbruch gelitten hatte, wurde ein neuer Versuch seitens der „Internationale“ von dem begeisterten SchülerKarl Marx',Johann Philipp Becker, unternommen, der schon 1864 in Genf eine „Sektionsgruppe deutscher Sprache der internationalen Arbeiterassoziation“ mit einem eigenen Organe, dem „Vorboten“, begründete, der ersten regelmäßigen Zeitung der Internationale.

Das neue Unternehmen fand bereits zwei ältere Arbeiterorganisationen vor, auf die der geübte Einfluß wesentlich verschieden war. Dieerstederselben waren diedeutschen Arbeiterbildungsvereine, die bereits in den dreißiger und vierziger Jahren entstanden waren. Unter dem Einflusse der Bewegung von 1848 waren sie stark in das revolutionäre Fahrwasser geraten, und als esLiebknechtund anderen deutschen Flüchtlingen gelang, 1850 eine „Vereinigung der deutschen Arbeitervereine in der Schweiz“ ins Leben zu rufen, bildete dieselbe einige Zeit lang den Sammelpunkt der revolutionären Elemente, bis der Bundesrat auf Drängen der deutschen Regierungen alle diese Vereine auflöste und ihre Mitglieder auswies. Im geheimen bestanden sie jedoch fort und konnten sogar 1858 in Horgen ein Zentralfest der deutschen Arbeitervereine abhalten; doch hatte sich die verfolgte Richtung wesentlich geändert, indem neben den eigentlichen Bildungszwecken auch die genossenschaftlichen BestrebungenSchulze-Delitzsch's weite Verbreitung fanden. In diesem Sinne wurde auch das 1862 begründete Organ „Das Felleisen“ geleitet. Aber bald wechselte die Stimmung, wobei sich insbesondere der Einfluß der deutschen Sozialdemokratie geltend machte, und auf der Zentralversammlung in Neuenburg am 9./10. August 1868 wurde offiziell der Anschluß der Vereinigung an die internationale Arbeiterassoziation beschlossen, wodurch derselben über 50 Lokalvereine mit 1500 bis 1600 Mitgliedern zugeführt wurden. Nachdem dann auch auf dem V. deutschen Arbeitertage in Nürnberg am 6. September 1868 eine Mehrheit von 61 Vereinen gegen eine Minderheit von 32 sich für den Anschluß erklärt hatte, stand die Internationale auf der Höhe ihrer Macht.

DiezweiteOrganisation war der „Grütliverein“, der im Mai 1838 in Genf begründet war und sich im bürgerlich-demokratischen Fahrwasser bewegte, auch seit Oktober 1851 ein eigenes Organ: „Der Grütlianer“ herausgab. Der Verein beschränkte sich streng auf Schweizer Bürger und schloß alle Ausländer aus. Obgleich von den anfangs bunt gemischten Elementen allmählich alle anderen bis auf die Arbeiter und kleinen Handwerker ausgeschiedenwaren, bot doch die Mischung dieser beiden Klassen ein Hemmnis gegen sozialdemokratischen Einfluß, das insbesondere dadurch verstärkt wurde, daß der Sozialismus in internationalem Gewande auftrat und deshalb das oben bezeichnete nationale Selbstgefühl verletzte. Die Folge dieser Umstände war, daß der Grütliverein gegenüber der Internationale eine wesentlich andere Haltung einnahm, als die deutschen Arbeitervereine. Fanden auch deren Bestrebungen in einzelnen Sektionen des Vereins Beifall, so verhielt sich doch die Mehrheit durchaus ablehnend und setzte es durch, daß auf dem Grütli-Zentralfest am 14./15. Juni 1868 ein Anschlußantrag abgelehnt und lediglich eine wohlwollende Neutralität beschlossen wurde.

Auch dieGewerkschaftsbewegungwurde von der Internationale in die Hand genommen. Die erste und einflußreichste Verbindung dieser Art war der im Jahre 1858 entstandene schweizerische Typographenbund; 1867 folgten die Schuhmacher und 1868 die Uhrmacher. Im allgemeinen freilich hatte man sich bis dahin auf lokale oder kantonale Unionen beschränkt, in denen Arbeiter der verschiedensten Berufe nebeneinander zusammengefaßt waren. Die Internationale hatte auf ihrem Kongreß in Brüssel im September 1868 den Arbeitern den fachgenossenschaftlichen Zusammenschluß empfohlen und den BemühungenBecker's war es bereits Anfang 1869 gelungen, einen Genfer Arbeiterbund mit 23, einen Baseler mit 11 und einen Züricher mit 5 Fachvereinen ins Leben zu rufen. Aber der Grundgedanke war die internationale Zusammenfassung und an ihm scheiterte der groß angelegte Plan, ja es gaben sogar die neu entstehenden Gewerkschaften, die sich regelmäßig auf nationale Abgrenzung beschränkten, den ersten Anstoß, daß die internationale BewegungBecker's zurückging und ihren Ersatz fand in einer auf die Schweiz beschränkten sozialdemokratischen Partei.

Einer der Ersten, der die Notwendigkeit einer solchen Schwenkung erkannte, war der frühere Buchbinder, spätere Arbeitersekretär HermannGreulich, der schon 1865 Vizepräsident des Verbandes der deutschen Arbeiterbildungsvereine war und seit 1. Januar 1870 ein neues Organ derselben, die „Tagwacht“ herausgab, in der er für die Gründung einer sozialdemokratischen Partei der Schweiz eintrat. Auf Grund eines von ihm entworfenen Programms wurde eine solche auf dem am 13./14. März 1870 in Zürich abgehaltenen allgemeinen sozialdemokratischen Kongreß beschlossen. Allerdings hielt man hier noch an der Notwendigkeit internationaler Berufsorganisationen fest, aber es war doch gegen dieBeckersche Richtung ein Gegengewicht geschaffen, und nachdem auf dem Kongresse des romanischen Bundes der Internationale in Chaux de Fonds (4.–6. April 1870) unterBakunindie Anarchisten, die ihre Thätigkeit ebenfalls auf die Schaffung von Berufsorganisationen (corps de métier) richtetenaber jede politische Thätigkeit verwarfen, mit 21 gegen 18 Stimmen den Sieg davon getragen hatten, ging der EinflußBeckersmit raschen Schritten zurück und der „Vorbote“ erschien im Dezember 1871 zum letztenmal.

Den Hauptanstoß zu einer wesentlichen Umgestaltung der Verhältnisse gab derdeutsch-französische Krieg, und zwar nach zwei Richtungen. Ergriff die Begeisterung über die deutschen Siege die Mehrzahl der Mitglieder der deutschen Arbeiterbildungsvereine, so mußte das zunächst eine Spaltung innerhalb derselben, insbesondere zwischen der durch das „Felleisen“ vertretenen demokratischen und der sozialistischen Richtung, deren Organ die „Tagwacht“ war, hervorrufen, indem die letztere ihrem internationalen Karakter gemäß für die Revolution Partei ergriff. Andererseits begeisterte sich auch der sonst gemäßigte „Grütliverein“ für die Schwesterrepublik und trat in einen scharfen Gegensatz gegen die deutschen „fremden“ Elemente. Ein Umschwung trat erst ein, als die „Tagwacht“ soweit ging, selbst die Schreckensherrschaft der Kommune zu verherrlichen. Jetzt erhob sich gegen die Internationale ein Sturm der Entrüstung ohne Unterschied der Parteien, und der Grütliverein beschloß in seiner Generalversammlung in Langenthal am 26./27. Mai 1872 die völlige Lossagung von ihr. Dieser Beschluß bildete zugleich den Anfang für einen neuen Aufschwung des Vereins, der jetzt wieder entschieden die Führung der Arbeiterbewegung übernahm.

Die Sozialdemokratie hatte demgegenüber einen schweren Stand. Ihr Versuch, einen allgemeinen schweizerischen Arbeiterkongreß zusammenzubringen, scheiterte an der Abneigung gegen die „Fremden“. Mehr Erfolg hatte sie auf gewerkschaftlichem Gebiete. Man suchte zunächst die vielen bestehenden Krankenkassen zu Invalidenkassen zu erweitern und stellte als Ziel auf, für die gesamte Schweiz einen Gewerkschaftsverband zu gründen, für den man zunächst einen Zentralausschuß aller Krankenkassen, Gewerkschaften, Produktivgenossenschaften und gemischten Arbeitervereine einsetzte.

Da man jedoch auf diese Weise das Politische stark in den Hintergrund drängte, so stieß man auf heftigen Widerstand bei den Anhängern der Internationale. Diese benutzten jetzt ihrerseits die Abneigung gegen die Fremden als Hebel für ihre Bestrebungen, indem sie dem Plane der Gründung einer schweizerischen sozialdemokratischen Partei entgegenhielten, daß die Schweizer den Fremden niemals die Einmischung in schweizerische Angelegenheiten politischer Art gestatten würden. Sie empfahlen demgegenüber in einem Rundschreiben vom 19. Februar 1873 eine rein gewerkschaftliche Organisation, indem es erst durch diese möglich werden würde, das Klassenbewußtsein der Arbeiter soweit zu stärken, um demnächst den nationalen Gegensatz zu überwinden und zur Grundlage einer sozialdemokratischen Landespartei zu gelangen.

Der Schachzug hatte Erfolg, und indem man bei den nichtsozialdemokratischen Gruppen, insbesondere auch bei dem Grütlivereine Beifall fand, gelang es, Pfingsten 1873 in Olten denersten schweizerischen Arbeiterkongreßzustande zu bringen, der zum Markstein einer neuen Periode der schweizerischen Arbeiterbewegung wurde.

Vertreten waren außer dem Grütlivereine, der mit 4000 Mitglieder die stärkste Organisation darstellte, 13 Arbeiterbildungsvereine mit etwa 1000 Mitgliedern und 35 gewerkschaftliche Vereine mit 3400 Mitgliedern sowie die Reste der Internationalen. Insgesamt waren 9900 Arbeiter durch 82 Abgeordnete vertreten, doch erscheint die Zahl infolge der Doppelzählungen zu hoch. Abgelehnt hatte die Beteiligung lediglich der schweizerische Typographenbund. Die fünf Mitglieder derBakuninschenFédération Jurassienneverließen nach kurzer Verhandlung den Kongreß mit der Erklärung, daß sie zwar mit den gewerkschaftlichen Zielen einverstanden seien, aber die Schaffung eines Zentralkomitees ablehnten, da ein solches die Gefahr einer Diktatur begründe.

Von den übrigen Mitgliedern wurde die Gründung einesschweizerischen Arbeiterbundeseinstimmig beschlossen, dessen Mitgliedschaft allen Gewerkschaften und Arbeitervereinen offen stehen sollte, die die Statuten anerkennen würden.

In diesen Statuten vermied man sorgfältig jeden Uebergriff auf das politische Gebiet und beschränkte sich lediglich auf gewerkschaftliche Forderungen; und zwar auf solche, die auf dem Boden der bestehenden Ordnung erreichbar waren, indem man allerdings in der Einleitung betonte, daß es sich nur eineeinstweiligeBesserung des Loses der Arbeiter und deshalb um „Uebergangsforderungen“ handele, wobei die Erringung des vollen Arbeitsertrages das Ziel bleiben müsse. Solche Forderungen waren: Verminderung der Arbeitszeit, insbesondere ein Normalarbeitstag von 10 Stunden, Feststellung der Löhne nach dem Erfordernisse einer auskömmlichen Existenz, Einschränkung der Kinderarbeit, gleiche Bezahlung von Männer- und Frauenarbeit, Gründung der Produktivgenossenschaften seitens der Gewerkschaften, Einrichtung von Arbeitsnachweisen seitens der Arbeiter, Gründung einer Arbeiter-, Kranken-, Invaliden- und Sterbekasse u. s. w. Die lokale Organisation sollte den beteiligten Arbeitern überlassen bleiben, doch wurde empfohlen, für jeden Beruf eine eigene Sektion zu bilden; aushülfsweise sollten gemischte Sektionen eintreten. Das aus neun Personen bestehende Bundeskomitee wurde durch die Sektionen des Vorortes gewählt. Seine Aufgabe bestand in Ueberwachung und Ausführung der Kongreßbeschlüsse und Verwaltung der Bundeskasse sowie Veranstaltung statistischer Erhebungen und Betreibung der Propaganda. Jedes Mitglied hatte jährlich 20 Cent. Beitrag an die Bundeskasse zu zahlen. Oberstes Organ war derjährlich zusammentretende Kongreß, zu dem die Sektionen auf je 50 Mitglieder einen Vertreter wählten, doch sollten alle das Programm und die Statuten berührenden Beschlüsse der Urabstimmung unterbreitet werden. Die Ordnung der Streiks war den einzelnen Gewerkschaftsverbänden überlassen, das Bundeskomitee war auf Sammlung freiwilliger Unterstützungen beschränkt. Zum Bundesorgan wurde die „Tagwacht“ bestimmt, die von Juni 1873 ab mit dem Zusatze: „Sozialdemokratische Zeitung“ wöchentlich zweimal erschien.

Durch die Gründung des Arbeiterbundes hatte die sozialdemokratische Richtung infolge weiser Mäßigung einen erheblichen Sieg erfochten. Immerhin konnten die Reibereien nicht ausbleiben, und zwar um so weniger, als man bald versuchte, den Sieg in dem Sinn auszunutzen, daß man die politische Thätigkeit und die letzten Endziele stärker betonte und mit der Internationale festere Fühlung zu gewinnen suchte. Dies führte insbesondere zu lebhaften Kämpfen zwischen der „Tagwacht“ und dem „Felleisen“, das die Traditionen der nationalen Richtung aufrecht erhielt. Doch siegte auch hier die schärfere Tonart, und nachdem auf dem II.KongresseinWinterthurim Mai 1874 die Züricher „Eintracht“ wegen ihrer Feindseligkeit gegen die „Tagwacht“ aus dem Bunde ausgeschlossen war, mußte auch das „Felleisen“ nach 13jähriger Wirksamkeit sein Erscheinen einstellen, ja der Verband der Arbeiterbildungsvereine selbst nebst der von ihnen eingerichteten Wanderunterstützungskasse wurde aufgelöst.

Auch imGrütlivereinwar die sozialdemokratische Richtung erstarkt, und obgleich der Antrag, den Gesamtverein als solchen an den Arbeiterbund anzuschließen, mit 1479 gegen 676 Stimmen abgelehnt wurde, so richtete sich doch die Thätigkeit des Vereins immer mehr auf das soziale und gewerkschaftliche Gebiet.

Der Aufschwung desArbeiterbundesdauerte in den Jahren bis 1876 und 1877 fort. Auf demzweitenKongresse inWinterthurMai 1874 waren 62 Vereine mit 4439, auf demdritteninBaselMai 1875 76 Vereine mit 4953 und auf demvierteninBernJuni 1876 71 Vereine mit 5815 Mitgliedern vertreten. Von diesen 71 Vereinen waren 38 Gewerkschaften mit 3342 Mitgliedern. Die nächststärkste Gruppe waren die 17 Arbeiterbildungsvereine mit 1113 Mitgliedern. Von dem Grütliverein hatten sich nur 5 Sektionen mit 524 Mitgliedern angeschlossen.

Aber bald begann der Rückschlag. Der Gegensatz zwischen den politischen und den gewerkschaftlichen Elementen machte sich in steten Streitigkeiten geltend. Der Plan einer Unterstützungskasse für Arbeitseinstellungen mußte wegen mangelnder Beteiligung fallen gelassen werden, auch die ins Leben gerufene Kranken- und Sterbekasse kam nicht zu einer befriedigenden Entwicklung. Das Bundesorgan,die „Tagwacht“ arbeitete bei 1200–1400 Abonnenten mit einem steten Defizit.

So mußte dann endlich auf demsiebenten Kongresse in Olten, 6. bis 8. November 1880, dieAuflösung des Bundesbeschlossen werden, nachdem die Beteiligung bereits auf 20 Sektionen mit 1400 Mitgliedern zurückgegangen war. Man hatte einsehen müssen, daß die Verschmelzung der schweizerischen und der ausländischen Elemente auf politischem Boden ebenso unmöglich war, wie die Gewinnung der ersteren für die sozialdemokratischen Grundanschauungen. So gründeten denn die Deutschen in Anlehnung an das Mutterland den „Landesausschuß der organisierten deutschen Sozialisten in der Schweiz“, während die Schweizer Sozialisten sich in der „sozialdemokratischen Partei der Schweiz“ zusammenfinden wollten. Endlich schuf man für die unpolitischen Zwecke den „allgemeinen schweizerischen Gewerkschaftsbund“, der allen Arbeitern ohne Unterschied der Nationalität offen stehen sollte. Zum Vororte wurde Genf bestimmt. An Stelle der „Tagwacht“ wurde als Organ der sozialdemokratischen Partei der Schweiz und des Gewerkschaftsbundes die „Arbeiterstimme“ ins Leben gerufen, die versuchen sollte, die auch im Gewerkschaftsbunde herrschenden sozialdemokratischen Traditionen fortzusetzen.

Alle diese Gründungen hatten wenig Lebenskraft. Dem Gewerkschaftsbunde gehörten zur Zeit seiner am 9./10. September 1882 in Olten abgehaltenen, von 16 Vertretern beschickten Konferenz nur 17 Sektionen mit 450 Mitgliedern an; die sozialdemokratische Partei der Schweiz erhob sich nicht über eine Anhängerzahl von 400.

Im Gegensatze hierzu hielt sich derGrütlivereinauf seiner früheren Höhe; er zählte Ende September 1882 185 Sektionen mit mehr als 7000 Mitgliedern. Allerdings hatte er gewisse sozialreformerische Gedanken in sich aufgenommen, ja auf der Delegiertenversammlung in Luzern, Pfingsten 1878, war sogar das von einem Ausschusse entworfene „Programm der sozialdemokratischen Partei der Schweiz“ mit 114 gegen 2 Stimmen angenommen, zugleich aber ein „Allianzvertrag“ mit dem Arbeiterbunde mit 119 gegen 28 Stimmen abgelehnt. „Grütlianer“ und „Arbeiterstimme“ lebten fortwährend in lebhaftester Fehde. An der Schaffung des allgemeinen Gewerkschaftsbundes hatte sich der Verein beteiligt, doch trat er schon 1887 mit der Begründung zurück, daß er „als nationaler Verein mit den internationalen Bestrebungen des Gewerkschaftsbundes und der Sozialisten sich nicht befreunden könne“.

Ein neuer Versuch, zu einer Einigung zu gelangen, wurde unternommen durch den „Allgemeinen schweizerischen Arbeitertag“, der von einflußreichen Personen im Grütliverein und in der sozialdemokratischenPartei einberufen wurde und vom 8. bis 10. September 1883 inZürichunter Beteiligung von 172 Abgeordneten zusammentrat, doch waren von den 183 Sektionen des Grütlivereins nur 60 vertreten. Das Ergebnis war die Einsetzung eines aus je 2 Mitgliedern des Grütlivereins, der schweizerischen sozialdemokratischen Partei, des Gewerkschaftsbundes, der deutschen sozialdemokratischen Mitgliedschaften und der deutschen Arbeiterbildungsvereine zusammengesetzten „Aktionskomitees des schweizerischen Arbeitertages“, dem es gelang, bis Ende 1883 eine Gesamtzahl von 3900 Mitgliedern zusammenzubringen, von denen 1500 dem Grütliverein, 300 der schweizerischen sozialdemokratischen Partei, 650 den deutschen sozialdemokratischen Mitgliedschaften und 550 den deutschen Arbeiterbildungsvereinen und kleinen Gruppen angehörten. Der Beitrag beschränkte sich auf ein Agitationsgeld von vierteljährlich 5 Cts. Auf eine eigentliche Zentralleitung hatte man ebenso verzichtet, wie auf größere praktische Aufgaben; es handelte sich lediglich um eine lose Verbindung zum Zwecke sozialistischer Propaganda. Außerdem versuchte man durch Eingaben an den Bundesrat und die Staatsregierungen, sowie Beeinflussung der öffentlichen Meinung für arbeiterfreundliche Maßregeln zu wirken. Dabei trat jedoch, wie bei der Stellung zum Branntweinmonopol, das von dem Grütliverein befürwortet, von den Sozialisten dagegen bekämpft wurde, vielfach der Gegensatz in den Grundanschauungen deutlich hervor.

Um den sozialistischen Elementen einen stärkeren Einfluß zu verschaffen, setzte man im Sommer 1887, wo die Mitgliederzahl übrigens bereits auf 6000 gestiegen war, durch, daß der Sitz des Aktionskomitees von Zürich nach Bern verlegt wurde. In der That wurde jetzt die Tonart schärfer und das Ziel der Gründung einer sozialdemokratischen Partei deutlicher in den Vordergrund gestellt. Insbesondere der Fürsprecher Stock in Bern und der Bezirksanwalt Otto Lang in Zürich, der seit dem 1. Januar 1888 in seinem Verlage ein neues Blatt, den „Schweizerischen Sozialdemokraten“ erscheinen ließ, waren die Führer der Bewegung, und obgleich der Grütliverein sich fern hielt, gelang es doch, auf den 21. Oktober 1888 nach Bern einenzweiten „schweizerischen Arbeitertag“ zusammenzuberufen, auf dem die neue „sozialdemokratische Partei der Schweiz“ gegründet wurde. Es sollten nicht mehr, wie früher, Vereine als solche, sondern nur noch einzelne Mitglieder beitreten können. Nur Schweizer Bürgern war der Beitritt gestattet. Der Beitrag belief sich auf jährlich 20 Cts. An der Spitze steht das aus 15 Personen bestehende Parteikomitee. Jährlich findet ein ordentlicher Parteitag statt, dessen Beschlüsse jedoch auf Verlangen einer Urabstimmung unterworfen werden müssen.

Der „schweizerische Gewerkschaftsbund“ hatte sich nach kümmerlichen Anfängen allmählich eine etwas festere Stellung erworben. Er zählte1886 1000 Mitglieder; die „Arbeiterstimme“ hatte sogar eine Auflage von 1700 und deckte ihre Ausgaben. Immerhin hatte der Bund wenig praktische Bedeutung, insbesondere fehlte ihm die Befugnis, bei Streiks einzugreifen, und so war es ganz naturgemäß, daß man nach dieser Richtung hin neuen Plänen nachging. In der That wurde auf dem Zentralfeste des Grütlivereins in Grenchen am 26. Juni 1886 dem Zentralkomitee des Vereins der Auftrag erteilt, mit anderen Vereinen zur Gründung einer „Allgemeinen schweizerischen Reservekasse“ in Verbindung zu treten, und es gelang, mit dem Gewerkschaftsbunde und dem Aktionskomitee des Arbeitertages eine Verständigung zu erzielen, nach der die für die Leitung der Kasse bestimmte Kommission aus 9 Mitgliedern bestehen und von diesen 5 dem Grütliverein und je 2 den beiden anderen Gruppen angehören sollten. Die Mitgliedschaft an der Kasse war keine direkte, sondern nur Vereine und Verbände konnten derselben beitreten. Die Einnahmen der Kasse bestanden aus jährlichen Beiträgen der beteiligten Verbände, die für den Grütliverein auf 1000, für das Aktionskomitee auf 800 und für den Gewerkschaftsbund auf 400 Frs. festgesetzt wurden. Doch wurden diese Beiträge von den einzelnen Verbänden selbständig verwaltet und von der Ablieferung derselben an eine eigene Kasse abgesehen. Ein fester Fonds von 5000 Frs. sollte stets unangetastet bleiben und erst bei Ansammlung von 10000 Frs. die Bewilligung von Unterstützungen eintreten. Diese sollte erst zulässig sein, wenn alle Mittel einer friedlichen Beilegung des Streites erschöpft waren.

Der Erfolg des Unternehmens war zunächst sehr erheblich. Allerdings waren die festen Einnahmen gering, aber es gelang, in einzelnen Fällen große Summen an freiwilligen Beiträgen zu sammeln, und den Arbeitern gab der bloße Bestand einer solchen Kasse einen moralischen Stützpunkt. Immerhin wünschte man mehrfach eine festere Organisation und die Einführung direkter Mitgliederbeiträge. Aber ein in diesem Sinne auf dem Delegiertentage inAarauam 1. April 1888 gefaßter Beschluß scheiterte an dem Widerspruche des Grütlivereins, und erst nach langen Verhandlungen einigte man sich im März 1889 dahin, daß die übrigen Mitglieder direkte Beiträge von monatlich 20 Cts. zu zahlen, der Grütliverein dagegen eine jährliche Pauschalsumme von 2000 Frs. zu leisten habe; außerdem wurde eine eigene Kassenverwaltung eingerichtet.

Aber die praktische Notwendigkeit drängte weiter. Es war ein unnatürlicher Zustand, daß neben den zentralisierten Verbänden der einzelnen Berufe noch zwei selbständige gewerkschaftliche Organe bestanden, und man forderte deshalb wiederholt die Verschmelzung der Reservekasse mit dem Gewerkschaftsbunde, sowie den engeren Anschluß an die Gewerkschaftsverbände.Trotz des Widerstandes des Grütlivereins gelang es auf dem am 25. Januar 1891 inZürichabgehaltenenDelegiertentage, diesen Plan durchzusetzen.Die Reservekasse wurde dem Gewerkschaftsbunde überwiesenund die Verwaltung dem aus 12 Mitgliedern bestehenden Bundeskomitee unterstellt.

Aber noch immer wurden weitere Umgestaltungen gewünscht, und nachdem inBern1893 beschlossen war, eine Neuregelung hinsichtlich der Behandlung von Streiks vorzunehmen und zu diesem Zwecke einenaußerordentlichen Kongreßzu berufen, wurde dieser am 5./6. Juni 1895 inLuzernabgehalten unter einer Beteiligung von 9 Zentralverbänden mit 83 Sektionen durch insgesamt 141 Vertreter.

Die Statuten wurden dahin geändert, daß der Beitritt zum Gewerkschaftsbunde allen Berufsverbänden offensteht, daß aber der Anschluß von Einzelmitgliedern nicht statthaft ist, diese vielmehr ihrem Berufsverbande beizutreten haben. Wo einzelne Berufe zu wenig Mitglieder für eine eigene Organisation besitzen, sollen gemischte Gewerkschaften zulässig sein. Alle zwei Jahre soll ein Bundeskongreß stattfinden; die Gewerkschaften können auf je 50 Mitglieder einen Vertreter entsenden. Gegen alle Beschlüsse kann von 1/3 der Vertreter oder 1/10 der Bundesmitglieder Urabstimmung gefordert werden. Um die durch den großen Uhrenarbeiterstreik erschöpften Mittel des Bundes zu ergänzen, wurde ein außerordentlicher Beitrag von 2 Frs. auf den Kopf beschlossen. Den Verbänden wurde empfohlen, Beitragsleistungen an die sozialdemokratische Partei einstweilen einzustellen. Hinsichtlich des Verhältnisses des Bundes zu den einzelnen Verbänden fand sowohl die straffere Organisation als auch die Lockerung derselben Vertreter. Einerseits wurde den einzelnen Verbänden dadurch ein größerer Einfluß eingeräumt, daß dem Bundesvorstande Vertreter der Verbände hinzutreten und mit ihm das erweiterte Bundeskomitee bilden sollen. Andrerseits wurde angeregt, die Zentralverbände sollten sich zu Gunsten des Bundes auflösen, doch wurde ein Beschluß hierüber nicht gefaßt. Auch die Regelung der Stellung des Bundeskomitees gegenüber Streiks wurde lebhaft erörtert: endlich wurde beschlossen, daß über die Genehmigung eines Streiks das Bundeskomitee, über dessen Beendigung dagegen dasselbe in Verbindung mit den beim Streik beteiligten Arbeitern entscheiden soll.

Auf dem Kongresse ließ der Typographenbund, der früher dem Gewerkschaftsbund angehört hatte, seinen Austritt anzeigen. Auch das Zentralkomitee des Grütlivereins hatte erklärt, auf Vertretung im Bundeskomitee zu verzichten. Trotzdem wurde beschlossen, ihm eine solche Vertretung gegen Zahlung eines festen jährlichen Beitrages einzuräumen, worauf der Verein dann später eingegangen ist.

Auf dem am 5. April 1896 im Schwurgerichtssaale inZürichabgehaltenen Kongresse, auf welchem 11 Zentralverbände mit 142 Sektionen durch 185 Abgeordnete vertreten waren, war als Vertreter der sozialdemokratischen Partei der Schweiz der StaatsanwaltZgraggenaus Bern zugegen. Ein Hauptgegenstand der Verhandlungen war das Verhältnis der bisher als Organ des Bundes benutzten „Arbeiterstimme“ zu der sozialdemokratischen „Tagwacht“. Es wurde beschlossen, die „Arbeiterstimme“ zum wirklichen Gewerkschaftsblatte umzugestalten und wöchentlich erscheinen zu lassen; politische Angelegenheiten soll dasselbe nur soweit bringen, wie sie eng mit der Gewerkschaftsbewegung verknüpft sind. Ferner wurde beschlossen, am 1. Januar 1897 ein selbständiges Sekretariat in Zürich einzurichten.

Der letzte Kongreß ist vom 8. bis 10. April 1898 inSolothurnabgehalten unter Beteiligung von 16 Verbänden mit 138 Sektionen, die durch 187 Abgeordnete vertreten waren. Der Typographenbund hatte mit einer kleinen Mehrheit gegen den Vorschlag seines Vorstandes beschlossen, mit dem Gewerkschaftsbunde einen Kartellvertrag abzuschließen, aber trotz lebhafter Befürwortung seitens derjenigen, die auf diese Weise die Wiederannäherung anbahnen wollten, wurde dies abgelehnt mit der Begründung, daß man dadurch auch andere Verbände bestimmen würde, ein solches loseres Verhältnis mit geringeren Opfern der eigentlichen Mitgliedschaft vorzuziehen. Das Verhältnis der Zentralverbände zum Gewerkschaftsbunde wurde wieder einer eingehenden Erörterung unterzogen, wobei angeregt wurde, einerseits den Bundesvorstand lediglich aus den Vorständen der Verbände zusammenzusetzen, andererseits die Verbände zu Gunsten des Bundes aufzulösen. Schließlich wurde zur Prüfung der Frage eine Kommission eingesetzt, die davon ausgehen soll, daß das gesamte Kassenwesen an den Bund abgetreten, hingegen die Berufsorganisation den Verbänden überlassen werden soll. Besonders interessant waren die Verhandlungen über die Organisation. Der Vorstand der sozialdemokratischen Partei hatte den Gewerkschaftsbund benachrichtigt, daß er eine Neuorganisation anstrebe und anheimgestellt, daß der Bund sich derselben anschließen möge. Obgleich von mehreren Seiten hiergegen mit dem Bemerken protestiert wurde, daß keineswegs alle Mitglieder Sozialdemokraten seien, wurde doch dem Bundesvorstande Vollmacht erteilt, unter Vorbehalt späterer Genehmigung seitens des Bundes in Verhandlungen einzutreten. Dagegen wurde der von einem Vertreter geäußerte Wunsch, es möge auch Nichtschweizern der Eintritt in die sozialdemokratische Partei gestattet werden, von allen Seiten unter dem Hinweise darauf abgelehnt, daß dies nach den bisherigen Erfahrungen den Tod der Partei bedeuten würde.

Diese Verhandlungen zeigen deutlich, daß der Gewerkschaftsbund stark unter sozialdemokratischem Einflusse steht, eine Thatsache, die auch durch mancherleiandere Umstände, z. B. dadurch, daß auf allen Bundeskongressen der sozialdemokratische Parteistand offiziell vertreten ist, bestätigt wird. Ihr ist auch zweifellos der Austritt des Typographenbundes zuzuschreiben, denn bei den einschlägigen Kongreßverhandlungen wurde stets betont, daß derselbe auf konservativem Standpunkte stehe und seine Mitglieder sich zu gut dünkten, um mit anderen Arbeitern zusammenzuwirken.

Die äußere Entwickelung und jetzige Bedeutung des Gewerkschaftsbundes zeigen folgende Zahlen.

Bei seiner Gründung im Jahre 1880 hatte er 13 Sektionen mit 133 Mitgliedern. In Olten (9. September 1882) hatten sich diese auf 17 Sektionen mit 450 Mitgliedern vermehrt. 1886 zählte der Bund 1000 Mitglieder, 1893 gab es bereits 260 Sektionen mit 9495 Mitgliedern.

Durch den Austritt des 1100 Mitglieder zählenden Typographenbundes trat ein starker Rückschlag ein, doch gab es nach dem auf dem Kongreß in Zürich (5. April 1896) erstatteten Berichte am 31. Dezember 1895 bereits wieder 9203 Mitglieder, die sich auf folgende Verbände verteilen: 1. Uhrmacher 3000, 2. Metallarbeiter 1750, 3. Schneider 500, 4. Lithographen 280, 5. Schuhmacher 220, 6. Buchbinder 200, 7. Glaser 150, 8. Tabakarbeiter 100, 9. Müller 40, 10. Korbmacher 20, 11. Holzarbeiter 1261, 12. verschiedene andere Gewerkschaften 1468, 13. politische Vereine 214.

Eine ausführliche Darstellung der äußeren Verhältnisse des Bundes giebt der von demselben zum Zwecke der Landesausstellung in Genf 1897 zusammengestellte und auf besonderen Erhebungen beruhende Bericht. Danach gab es folgende Verbände:

1. Der Metallarbeiterverband mit 53 Sektionen und 2620 Mitgliedern.

2. Die Brauerunion mit 8 Sektionen und 490 Mitgliedern.

3. Der Schneider- und Schneiderinnenverband mit 25 Sektionen und 746 Mitgliedern.

4. Der Schuhmacherverband mit 14 Sektionen, von denen 11 mit 424 Mitgliedern berichtet haben.

5. Der Tabak- und Zigarrenarbeiterverband mit 5 Sektionen und 108 Mitgliedern.

6. Der Müllerverband mit 6 Sektionen und 145 Mitgliedern.

7. Der Buchbinderverband mit 7 Sektionen und 236 Mitgliedern.

8. Der Lithographenbund mit 292 Mitgliedern.

9. Der Korbmacherverband mit 80 Mitgliedern.

10. Der Verband der Baugewerbe mit 22 Sektionen und 1374 Mitgliedern.

11. Der Verband der Holzarbeiter mit 26 Sektionen und 2080 Mitgliedern.

12. Zwei Gärtnerfachvereine mit 64 Mitgliedern.

13. Die Färbergewerkschaft in Zürich mit 90 Mitgliedern.

14. Allgemeine Arbeitervereine mit 477 Mitgliedern.

Dazu kommt noch der Uhrenarbeiterverband mit 3000 Mitgliedern.

Mit Rücksicht auf die zum Teil unvollständigen Antworten ist die Gesamtmitgliederzahl auf 12700 zu veranschlagen.

Auf dem Kongresse in Solothurn (8. April 1898) wurde mitgeteilt, daß der Bund 322 Sektionen mit rund 14000 zahlenden Mitgliedern umfasse, was etwa 10 % der gesamten schweizerischen Arbeiterschaft entspreche.

Von 1887–1897 hatte der Bund 203267 Frs. verausgabt. Einnahmen und Ausgaben belaufen sich jährlich auf etwa 20000 Frs., der Vermögensbestand betrug am 31. Dezember 1897 12319 Frs. 31 Cts. Das Organ des Bundes „Die Arbeiterstimme“ hat eine Auflage von etwa 4000.

In noch höherem Grade, als in dem Gewerkschaftsbunde, hat die sozialdemokratische Richtung allmählich das Uebergewicht erlangt in dem „Grütliverein“. Wie oben gezeigt, stand der Verein anfangs auf einem durchaus anderen Standpunkte, obgleich schon früh einzelne Sektionen sich dem Einflusse der Sozialdemokratie zugänglich erwiesen. Den Abschluß erreichte diese Bewegung auf dem am 8./9. Oktober 1892 in Olten abgehaltenen Delegiertentage. Nach dem hier gefaßten und dann Ende Mai 1893 durch Urabstimmung mit 4952 gegen 623 Stimmen angenommenen Beschlusse wurden die Statuten dahin geändert, daß sich der Verein nicht mehr, wie bisher, auf die „Grundlage der freisinnigen Demokratie“, sondern auf die „Grundlage der Sozialdemokratie“ stellen will. Demgemäß wurde die frühere Zweckbestimmung: „Förderung des nationalen Bewußtseins“ gestrichen und statt dessen betont, daß der Verein auch mit zweckverwandten Vereinen des Auslandes in freundschaftliche Verbindung treten will. Dieser Umschwung erregte großes Aufsehen und hatte zur Folge, daß eine Anzahl Mitglieder ihren Austritt erklärten. Freilich darf man die Bedeutung des Beschlusses nicht überschätzen. Muß zunächst schon auffallen, daß von 15241 Mitgliedern nur 5675 sich an der Abstimmung beteiligten, wie denn auf der Oltener Versammlung von den 352 Sektionen nur 78 vertreten waren, so bewies die im November 1892 erfolgte Wahl des Redakteurs für das Vereinsorgan, den „Grütlianer“, daß die eigentliche Sozialdemokratie noch immer im Vereine sich in der Minderheit befand. Der von ihr aufgestellte Kandidat, der Redakteur der „Arbeiterstimme“, R.Seidel, erhielt nur 2858 Stimmen, während 5379 sich auf den Redakteur des „Bieler Anzeigers“, H.Mettier, den Kandidaten der Grütlianer Partei, vereinigten. Der Verein lehnte deshalb anfangs auch, trotz seines Programms, die formelle Verbindung mit der Sozialdemokratie durchaus ab. Aber schon aus den Abstimmungsziffernergiebt sich, daß die sozialdemokratischen Elemente innerhalb des Vereins weitaus die energischeren waren, und so ist es denn begreiflich, daß diese immer mehr die andern aus ihrem Einflusse und schließlich aus dem Vereine verdrängten und dieser völlig zu einer sozialdemokratischen Organisation wurde. Die Jahresberichte für 1895, 1896 und 1897 stehen durchaus auf diesem Standpunkte, bezeichnen die sozialdemokratische Partei und den Grütliverein als „die beiden sozialdemokratischen Zentralverbände“, bekämpfen „die Geringschätzung, mit der einzelne Gewerkschaften und Genossenschaften auf die politische Arbeiterbewegung glauben herabschauen zu dürfen“ und erwarten von einer „Ausbreitung der sozialdemokratischen Ideen“ das Heil der Zukunft. Die Frage, ob die Bildung politisch neutraler oder ausdrücklich sozialdemokratischer Gewerkschaften und Genossenschaften den Vorzug verdiene, wird als eine solche der bloßen Zweckmäßigkeit bezeichnet. Allerdings sind gewerkschaftliche und genossenschaftliche Organisationen ein unentbehrliches Mittel im sozialen Emanzipationskampfe des Proletariates, aber „eine gänzliche Befreiung aus den Fesseln des Kapitalismus werden nur diejenigen dieser Bildungen finden, in denen der sozialdemokratische Geist am lebendigsten und konsequentesten sich äußert“.

Aus der öffentlichen Wirksamkeit des Vereins innerhalb der letzten Jahre ist insbesondere hervorzuheben das Eintreten für eine Revision des Fabrikgesetzes im Sinn einer Beschränkung der Nacht- und Sonntagsarbeit, der Herabsetzung des gesetzlichen Maximalarbeitstages von 11 auf 10 Stunden für Männer und 8 Stunden für Frauen, ferner die Unterstützung des Tabakmonopols und der Schaffung einer eidgenössischen Bundesbank mit alleinigem Banknotenrechte, die Agitation für ein gemeinsames bürgerliches Recht und obligatorische Kranken- und Unfallversicherung, sowie Vorbereitung der Arbeitslosenversicherung. Während in allen diesen Punkten die Bewegung fruchtlos verlief, wurde hinsichtlich des Eisenbahnrückkaufes durch den Bund ein Erfolg erzielt, indem dieser bei der Volksabstimmung am 20. Februar 1898 mit großer Mehrheit angenommen wurde. Daneben hat der Verein und seine Sektionen sich nachdrücklich der Unterstützung der Lohnbewegung gewidmet und eine Reihe von Streiks unterstützt. Der Verein besitzt eine Unterstützungskasse sowie eine eigene Buchhandlung und Buchdruckerei. Die offiziellen Blätter des Vereins sind „Der Grütlianer“ und „Le Grutli“; außerdem erhalten noch mehrere Blätter jährliche Zuschüsse.

Die Zahl der Mitglieder ist seit dem Jahre 1890, wo der Verein den Gipfel der Blüte erreicht hatte, stetig zurückgegangen. Die Mitgliederzahl betrug: am 1. Juli 1860: 2253; am 1. April 1872: 4217; am 1. Oktober 1876: 7332; am 1. Oktober 1881: 6165; am 1. Oktober 1886: 11080; am 1. Oktober 1889: 15363; am 31. Dezember 1890: 16391; zu dem gleichen Zeitpunkte1891: 15241; 1892: 14140; 1893: 13289; 1894: 12976; 1895: 12439; 1896: 11286 und 1897: 10919.

Allerdings ist die Zahl der Sektionen, die Ende 1897 324 betrug, nicht im gleichen Maße gesunken, da vielfach neue Sektionen gebildet wurden; um so größer ist der Rückgang der Mitglieder in vielen der bestehenden Sektionen. Der Bericht für 1897 giebt auch zu, daß neben anderen Gründen für das Herabgehen des Vereins die Abschwenkung zur Sozialdemokratie in Betracht komme, glaubt aber, daß dafür die Einheitlichkeit des Vereins um so mehr gewachsen sei. Da die sozialdemokratische Partei der Schweiz noch immer recht schwach ist, so bedeutet der Grütliverein augenblicklich, wie auch die Berichte betonen, die wichtigste Zusammenfassung der sozialdemokratischen Elemente.

Dem Rückgange der Mitglieder entspricht der schwache Besuch der Vereinstage, von denen der letzte, der am 2./3. Oktober 1897 in St. Gallen abgehalten wurde, nur 78 Abgeordnete als Vertreter von 62 Sektionen aufwies. Das Verbandsvermögen betrug am 31. Dezember 1897 5765 Frs. Die neben dem Vereine bestehende Kranken- und Sterbekasse hatte 4651 Mitglieder und ein Vermögen von 116011 Frs.

Der Verein hat übrigens trotz seines sozialdemokratischen Karakters in den letzten Jahren versucht, mit den sozialreformerischen Elementen anderer Parteien, insbesondere der bürgerlichen Demokratie, eine Verbindung anzuknüpfen. Nicht allein haben sich im Nationalrate die Abgeordneten dieser Richtungen zu einer gemeinsamen Gruppe zusammengeschlossen, sondern es hat auch am 6. Juni 1897 in Luzern eine Vertrauensmännerversammlung stattgefunden, auf der 91 Vertreter aus 15 ganzen und 5 halben Kantonen zugegen waren und nach eingehenden Vorträgen über wichtige Tagesfragen zur Beratung des weiteren Vorgehens eine Kommission aus 9 Mitgliedern eingesetzt wurde, von denen die sozialpolitische Gruppe 3 und die übrigen 3 Verbände, nämlich Grütliverein, sozialdemokratische Partei und Gewerkschaftsbund je 2 ernannten. Diese Kommission hat am 25. September 1897 in Olten ihre erste Sitzung gehalten und verschiedene Beschlüsse gefaßt. Die Fortsetzung dieser Beratungen ist beabsichtigt.

Der bereits erwähnte „Schweizerische Typographenbund“ hatte sich bis zu dem im Jahre 1889 zu Gunsten des Neunstundentages ausgebrochenen großen Streik in ausgesprochenem Gegensatze zu der Sozialdemokratie befunden und sich aus diesem Grunde auch von dem Gewerkschaftsbunde fern gehalten. Dieser unglücklich verlaufene Streik hat einen gewissen Umschwung der Anschauungen herbeigeführt, indem ein Teil der Vereinsmitglieder für einen Anschluß an die sozialdemokratische Partei eintritt. Trotzdem wurde ein entsprechender Antrag auf der Generalversammlung in Burgdorf 1892 abgelehntund lediglich unter Freistellung des Beitrittes für die einzelnen Mitglieder die Zahlung eines jährlichen Zuschusses von 200 Frs. beschlossen. Dem Gewerkschaftsbunde ist der Typographenbund 1892 beigetreten, doch hat, wie oben mitgeteilt, das Verhältnis nur bis Ende 1895 gedauert. Seitdem ist wegen des Wiedereintrittes mehrfach innerhalb des Typographenbundes verhandelt, wobei sich die beiden Vorschläge einer völligen Mitgliedschaft mit festen Beiträgen oder eines bloßen Kartellverhältnisses gegenüberstanden. Bei der am 26. März 1898 vorgenommenen Urabstimmung siegte die letztere, auch vom Zentralvorstande vertretene Ansicht mit 660 gegen 651 Stimmen, doch ist abzuwarten, ob der Gewerkschaftsbund auf dieses Angebot eingehen wird.

In der Schweiz besteht auch einVerein der Buchdruckereibesitzer, und das Verhältnis zwischen ihm und dem Gehülfenverbande ist ein friedliches, obgleich es nicht so weit entwickelt ist, wie in Deutschland, insbesondere besteht kein allgemeiner Tarif für die ganze Schweiz, und die Vorschläge, ihn herbeizuführen, haben innerhalb des Gehülfenverbandes bis jetzt noch nicht die Mehrheit gefunden. In den letzten Jahren hat man eingehend über die Frage der Setzmaschine verhandelt, aber zu einer festen Vereinbarung ist man bis jetzt noch nicht gelangt.

Auch die Bildung einergraphischen Unionist schon mehrfach, insbesondere von den Lithographen, angeregt, der Typographenbund hat sich aber bisher ablehnend verhalten mit der Begründung, daß dieselbe erst möglich sei, wenn die übrigen graphischen Berufe sich auf einer ähnlich hohen Stufe der Organisation befinden würden, wie die Buchdrucker.

In welchem Umfange der Bund in den letzten Jahren seinem Ziele, die Gesamtheit der Angehörigen des Gewerbes zu vereinigen, näher gekommen ist, zeigen folgende Ziffern. Die Zahlen der dem Bunde angehörigen und der außerhalb stehenden Setzer und Drucker waren 1890: 1034 und 524; 1891: 1118 und 560; 1892: 1147 und 509; 1893: 1183 und 526; 1894: 1332 und 543; 1895: 1417 und 563; 1896: 1556 und 494; 1897: 1563 und 559.

Der Bund besitzt Kranken-, Invaliden- und Sterbekasse, die 1896 zu einer einzigen verschmolzen sind, ferner ein eigenes Organ, die „Helvetische Typographia“ und eine eigene Vereinsdruckerei. Aus der allgemeinen Kasse werden außerdem Viatikum und Konditionslosenunterstützung, sowie Umzugsvergütung geleistet. Das Vermögen des Bundes belief sich am 31. Dezember 1897 auf 37000 Frs. neben 100654 Frs. der Kranken-, Invaliden- und Sterbekasse.

Für die französische Schweiz besteht ein gleicher Verband, dieFédération romande; zwischen beiden herrschen freundschaftliche Beziehungen. —

Eine ähnliche Stellung, wie die Buchdrucker haben in der Schweiz von je her dieUhrenarbeitereingenommen, indem sie sich insbesondere von derallgemeinen Arbeiterbewegung fern hielten und die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu den Arbeitgebern erstrebten. Obgleich man bereits 1868 eineFédération des Graveurs et Guillocheursbegründet hatte, beschränkte sich doch anfangs die gewerkschaftliche Bewegung auf kleine lokale Vereinigungen. Nachdem dann eine nach dem Muster des Stickereiverbandes am 31. Juli 1886 gegründetefédération horlogère, aus Arbeitern und Fabrikanten bestehend, nach kurzem Bestehen an dem Widerstande der beiderseitigen Interessen gescheitert war, wurde endlich auf einem am 16. Oktober 1892 in St. Immer abgehaltenen Kongresse der „Uhrenarbeiterverband“, die „Fédération Ouvrière Horlogère“ ins Leben gerufen, der sich freilich dem Gewerkschaftsbunde nicht formell anschloß, aber doch zu ihm freundschaftliche Beziehungen unterhält und sich an der Reservekasse in der Weise beteiligt hat, daß er für jedes Mitglied jährlich 50 Cent. an dieselbe zahlt. Auf dem am 3. Dezember 1893 in Biel abgehaltenen ersten ordentlichen Kongresse wurden 4500 Mitglieder gezählt. Das Verbandsorgan ist die von G.Reimannherausgegebene „Solidarité horlogère“, die in einer gemäßigt sozialdemokratischen Richtung geleitet wird. Es ist also nicht zu verkennen, daß die sozialdemokratischen Anschauungen unter der schweizerischen Arbeiterschaft allmählich einen größern Einfluß erlangt haben, als die ersten Entwickelungsstadien erwarten ließen. —

Die letzten Jahre haben endlich aber auch einen formellenZusammenschluß sämtlicher Arbeitervereine in der Schweizherbeigeführt. Schon auf dem Arbeitertage in Zürich 1883 war von dem Grütliverein die Schaffung eines eidgenössischen Bureaus für Arbeiterstatistik nach dem Vorbilde der nordamerikanischenboards of tradeangeregt, jedoch ohne Erfolg. Am 28. August 1886 richtete das Zentralkomitee des Grütlivereins an das Handelsdepartement des Bundes ein Gesuch um einen Zuschuß für ein im Rahmen des Vereins zu errichtendesArbeitersekretariat, dessen Aufgabe sich unabhängig von allen politischen Zielen lediglich auf Förderung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterschaft beschränken sollte. Schon am 7. September 1886 erfolgte eine grundsätzlich zustimmende Antwort. Auf ein Ausschreiben des Grütlivereins, in dem derselbe alle Arbeitervereine ohne Rücksicht auf Parteistellung und religiöses Bekenntnis zur Teilnahme aufforderte, erklärten sich nicht allein das „Aktionskomitee des schweizerischen Arbeitertages“ und der „Allgemeine schweizerische Gewerkschaftsbund“, sondern auch zahlreiche andere Gruppen, z. B. die katholischen Vereine, zur Mitwirkung bereit. Seitens der Bundesregierung wurden dann folgende Bedingungen gestellt:

1. daß ein Komitee gebildet werde, in dem alle schweizerischen Arbeiterverbände im Verhältnis ihrer Mitgliederzahl vertreten seien,

2. daß der Arbeitersekretär von diesem Komitee ernannt werde und von ihm seine Anweisungen erhalte,

3. daß jährlich ein Voranschlag über Einnahme und Ausgabe aufgestellt und am Schlusse des Jahres eine Rechnung mit Belegen eingesandt werde,

4. daß das Handelsdepartement sich bei den Beratungen des Komitees durch einen Abgesandten mit beratender Stimme vertreten lassen dürfe,

5. daß wahlberechtigt nur die Vereine sein sollten, die in ihrer Mehrheit aus schweizer Bürgern beständen, und daß stimmberechtigt nur die letzteren sein dürften: endlich sollte für den Arbeitersekretär und die Mitgliedschaft des Vorstandes die gleiche Eigenschaft erfordert werden.

In der zur endgültigen Beschlußfassung auf den 10. April 1887 nachAarauberufenen allgemeinen Delegiertenversammlung waren der Grütliverein mit 13000, der Piusverein mit 10000, dieFédération horlogèremit 15000, das Aktionskomitee des schweizerischen Arbeitertages mit 6000, die katholischen Gesellenvereine mit 2600, der allgemeine Gewerkschaftsbund mit 2000 Mitgliedern, sowie eine große Anzahl von Kranken- und Unterstützungskassen durch insgesamt 158 Abgeordnete vertreten. Die Gesamtzahl der Mitglieder wird auf 100000 angegeben, doch erscheint sie ebenso wie die Einzelziffern wesentlich zu hoch. Bei den Verhandlungen machte sich wieder der Gegensatz zwischen der Sozialdemokratie und dem Grütliverein geltend, doch überließ man schließlich dem letzteren die Leitung.

Das Ergebnis war die Gründung des „Schweizerischen Arbeiterbundes“. Der erste Paragraph der Statuten lautet: „Zur gemeinsamen Vertretung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse der Schweiz bilden die Arbeitervereine des Landes einen Verband unter den Namen: „Schweizerischer Arbeiterbund“. Beitrittsberechtigt ist jeder Verein, der in seiner Mehrzahl aus schweizerischen Arbeitern besteht und Arbeiterinteressen vertritt, ohne Unterschied seiner politischen und religiösen Richtung.“

Organedes Bundes sind

1. die alle drei Jahre zu berufendeDelegiertenversammlung(„Arbeitertag“), für die jeder Verein auf je 250 Mitglieder einen Vertreter zu entsenden berechtigt ist;

2. der aus 25 Mitgliedern bestehendeBundesvorstand, der auf je drei Jahre von der Delegiertenversammlung gewählt wird. Mitglieder können nur Schweizer Bürger werden; 2/3 müssen Arbeiter sein;

3. der aus drei Mitgliedern bestehendeleitende Ausschuß. Die Mitglieder müssen einem bestimmten Verbande angehören; das Amt wurde dem Grütliverein übertragen;

4. derArbeitersekretär, der vom Bundesvorstande auf drei Jahre gewählt wird, doch hat die Delegiertenversammlung ein Vorschlagsrecht. Der Sekretär ist ausschließlich dem Bundesvorstande unterstellt, aber verpflichtet, dem schweizerischen Bundesrate in allen Angelegenheiten, die Arbeiterfragen betreffen, Beihülfe zu leisten.

Der Versuch der sozialdemokratischen Gruppe unter Führung vonSteck, diesem Programme ein anderes gegenüberzustellen, nach dem von der Bildung eines Arbeiterbundes ganz abgesehen, vielmehr der Sekretär von einer jährlich zu berufenden allgemeinen Delegiertenversammlung gewählt und einem von ihr eingesetzten dreigliedrigen Ausschusse unterstellt werden sollte, mißlang ebenso, wie die Bestrebungen, einzelne Vereine, insbesondere den „Piusverein“ von dem Verbande auszuschließen. Immerhin erreichte man auf demersten ordentlichen Arbeitertage in OltenOstern 1890 eine Abänderung der Statuten dahin, daß die Wahl des Sekretärs dem Bundesvorstande genommen und der Delegiertenversammlung zugewiesen wurde. Der schweizerische Bundesrat erteilte hierzu seine Zustimmung.

Für die Stellung des Arbeitersekretärs wurde am 11. April 1887 vom Bundesvorstande mit 14 gegen 9 Stimmen, die auf R.Seidelfielen,Hermann Greulichgewählt, der das Amt bis jetzt bekleidet.

Der Zuschuß der Regierung wurde von ursprünglich 5000 seit 1891 auf 25000 Frs. erhöht. In diesem Jahre wurde auch eine Filiale des Sekretariates für die romanische Schweiz in Biel begründet.

AlsAufgabe des Sekretariateswaren von Anfang an in erster Linie statistische Arbeiten, insbesondere über Lohnhöhe, Unfälle u. dgl. ins Auge gefaßt. Allerdings ist die der Regierung gegebene Zustimmung, sich streng auf wirtschaftliche Fragen zu beschränken und politische Vereinsverwaltungsfragen vollständig unberührt zu lassen, nur unvollkommen erfüllt. Mit sehr günstigem Erfolge hat der Sekretär mehrfach eine vermittelnde Thätigkeit bei Streitigkeiten ausgeübt. Ein Hauptteil seiner Arbeit bezieht sich auf die Durchführung des eidgenössischen Fabrikgesetzes. Eine Beeinflussung seitens des schweizerischen Bundesrates ist von diesem stets entschieden abgelehnt, und gerade darauf beruht das Zutrauen, das die Arbeiterschaft dem Sekretariate entgegenbringt. Man ist sich seitens der Regierung wohl bewußt, daß die Arbeiterschaft in erheblichem Maße von den sozialdemokratischen Elementen geleitet wird und daß sich dieser Umstand auch in der Thätigkeit des Arbeitersekretariates wiederspiegelt, aber man hat trotzdem daran festgehalten, das letztere als eine eigene Einrichtung der Arbeiterschaft völlig deren selbständiger Leitung zu überlassen.

Der Ausschuß des Arbeiterbundes hatte seinen Sitz zunächst in St. Gallen; im Juni 1891 wurde er dann nach Winterthur und am 1. Januar 1897 nach Luzern verlegt. Der Bund erhebt bisher keine festen Mitgliederbeiträge, sondern bezieht nur freiwillige Zahlungen der beteiligten Vereine. Es ist schon mehrfach auf das Mangelhafte dieses Zustandes hingewiesen, doch steht einer Aenderung das Hindernis im Wege, daß die am Bunde beteiligten Krankenkassen gesetzlich ihre Mittel nicht anders, als zur Krankenunterstützung verwenden dürfen. Die Mitgliedschaft des Piusvereins ist mehrfach, insbesondere von sozialdemokratischer Seite, angegriffen, doch hat, nachdem der Piusverein den Nachweis erbracht hatte, daß von seinen 15000 Mitgliedern 9000 Lohnarbeiter und auch nur 1000 Ausländer sind, die Mehrheit des Zentralvorstandes sich dahin entschieden, daß der Verein den statutarischen Bedingungen entspreche.

Durch den 1895 erfolgten Beitritt des Eisenbahnerverbandes mit seinen 15000 Mitgliedern hat der Bund eine erhebliche Verstärkung erfahren, so daß auf dem am 6. April 1896 in Winterthur abgehaltenenvierten ordentlichen Schweizer Arbeitertageinsgesamt 174181 Mitglieder vertreten waren, von denen 66528 auf die Krankenkassen, 54562 auf Gewerkschaften und Berufsvereine, 16031 auf den Grütliverein, 11548 auf allgemeine Arbeitervereine, 10512 auf katholische Vereine und 15000 auf den Piusverein entfielen. Dabei waren sogar die 30000 Mitglieder des welschen Krankenkassenverbandes, die auf dem früheren Arbeitertage in Zürich vertreten waren, dieses Mal fern geblieben.

Unter den Angelegenheiten, mit denen sich der Bund bisher beschäftigt hat, ist die interessanteste die Errichtungobligatorischer Berufsgenossenschaften. Der Gedanke, Arbeiter und Arbeitgeber seitens des Staates zu korporativen Verbänden zusammenzufassen und diesen die Fassung verbindlicher Beschlüsse in gewerblichen Angelegenheiten zu übertragen, war schon mehrfach aufgetaucht, insbesondere unter den Uhrmachern, indem man glaubte, dadurch dem Uebergewichte der Großindustrie begegnen zu können. Man stützte sich dabei auf die günstigen Erfolge des Ostschweizerischen Stickereiverbandes. Anfangs hatte die Sozialdemokratie diesen Bestrebungen den schärfsten Widerspruch entgegengesetzt, indem sie fürchtete, daß das Klassenbewußtsein der Arbeiter hinter den Berufsinteressen zurücktreten könnten, allmählich aber war man auch in diesen Kreisen zu einer dem Plane günstigeren Auffassung gelangt.

Die erste öffentliche Beratung der Frage erfolgte auf dem Arbeitertage in Olten Ostern 1890. Der Referent, der radikale NationalratCornatzempfahl, in das Fabrikgesetz die Bestimmung aufzunehmen: „Die Kantone sind ermächtigt, für die Bedürfnisse gewisser Industrien obligatorische Berufsverbände zu schaffen.“ Die Beschlüsse derselben sollten durch die Vertreter der Meistervereinigungenund die der Arbeitervereinigungen in gemeinsamer Beratung gefaßt werden, wobei die Mehrheit entscheiden sollte. Die Berufsgenossenschaften sollten der Ueberwachung durch die öffentlichen Behörden unterliegen.

Der KorreferentGreulichforderte dagegen ausschließlich, daß den „Arbeitergewerkschaften“, sobald sie die Mehrzahl der Berufsgenossen umfassen — der Beitritt sollte also freiwillig bleiben — folgende Rechte zustehen sollten:

1. Begutachtung aller Gesetze und Verwaltungsmaßregeln, die den bezüglichen Beruf betreffen, insbesondere Anträge über Bewilligung von Ueberstunden, Nacht- und Sonntagsarbeit.

2. Begutachtung der Ortsgebräuche hinsichtlich der Arbeitszeit, Lohnzahlung, Kündigungszeit und anderer Streitpunkte des Arbeitsvertrages.

3. Vertretung der Arbeiter des Berufes vor Gericht, soweit berufliche Interessen in Frage kommen.

4. Das Recht, für die Arbeiter als Vertragspartei mit den Arbeitgebern über die Arbeitsbedingungen zu unterhandeln und Arbeitsverträge abzuschließen, die für alle Arbeiter der Gruppe verbindlich sind, sowie die Befugnis, die Innehaltung derselben zu überwachen und gegen Zuwiderhandelnde mit Strafen einzuschreiten.

Aus den Wahlen der Gewerkschaften aller Berufe werden diekantonalen Arbeiterkammernund aus Wahlen der letzteren dieschweizerische Arbeiterkammergebildet.

Gleiche Organisationen mit gleichen Rechten bestehen für die Arbeitgeber.

Beide Gruppen wählen Abgeordnete in gleicher Zahl, die zusammen diegemischten Gewerbekammernbilden unter einem neutralen Vorsitzenden. Sie können Beschlüsse fassen, die für alle Berufsangehörigen verbindlich sind. Auch hier erfolgt eine Zusammenfassung zukantonalen Industriekammernund einerschweizerischen Industriekammer.

Diese Körperschaften haben Gewerbeschiedsgerichte und Einigungsämter zu bilden und gemeinsame Einrichtungen für gewerbliche Ausbildung und Förderung der gewerblichen Interessen zu treffen.

Der Arbeitertag stellte sich auf den Boden derGreulich'schen Vorschläge, beschränkte sich aber auf einen allgemeinen Beschluß, „durch Schaffung von Berufsgenossenschaften mit korporativen Rechten und unter strenger Ausscheidung der Organisationen der Arbeiter und Gewerbsinhaber den Boden herzustellen, auf welchem die gegenseitige Verständigung der Gewerbsgenossen vor sich gehen und die Industrie- und Gewerbegesetzgebung erblühen kann.“

Nachdem am 20. Januar 1892 im Nationalrate ein AntragFavoneingebracht war, der sich in ähnlicher Richtung bewegte, und nachdem auch der schweizerische Gewerbeverein am 12. Juni 1892 auf seiner Versammlung in Schaffhausensich für staatlich geregelte Berufsgenossenschaften ausgesprochen und auf dem Kongresse des Gewerkschaftsbundes in Aarau am 17./18. April 1892Greulichvon neuem seine Vorschläge verteidigt hatte, gelang es endlich, auf dem Arbeitertage in Biel am 2./3. April 1893 nach einem Referate des ultramontanen NationalratsDecurtinseinen einstimmigen Beschluß herbeizuführen, daß jedes Gewerbegesetz als verfehlt zu betrachten sei, das nicht die obligatorischen Berufsgenossenschaften enthalte. Dabei wurde allerdings die Trennung der Unternehmer und Arbeiter in selbständige Gruppen gefordert, um einer Majorisierung der einen oder der anderen Partei vorzubeugen. Die Ausgleichung der Sonderinteressen soll einer aus beiden Gruppen gewählten Delegiertenkommission übertragen werden. Der Wortlaut des Beschlusses ist folgender:

1. Die obligatorischen Berufsgenossenschaften müssen in jedem Berufe zwei verschiedene Gruppen umfassen: die der Meister und die der Arbeiter. Diese Gruppen haben durch Verständigung zu regeln: a. die Lehrlingsverhältnisse, b. die Arbeitszeit, c. die Lohnverhältnisse.

2. Die obligatorischen Berufsgenossenschaften müssen in allen Gemeinden oder Bezirken organisiert werden, in dem sich die nötigen Berufselemente vorfinden.

3. Jeder Meister und jeder Arbeiter, der auf einem organisierten Berufe arbeitet, ist Mitglied der Berufsgenossenschaft.

4. Die von der Berufsgenossenschaft gefaßten Beschlüsse haben Gesetzeskraft für alle Prinzipale und Arbeiter, die in einer Gemeinde oder in einem Bezirke den organisierten Beruf ausüben.

5. In jedem Kanton besteht ein Kantonalverband obligatorischer Berufsgenossenschaften. Dessen Organ ist eine Kommission, bestehend aus einer gleichen Anzahl von Delegierten jeder Meister- und Arbeitergenossenschaft. Sie entscheidet über die Reklamationen gegen die Beschlüsse einer Gewerkschaft des Kantons und legt die Konflikte zwischen den Meister- und Arbeitergewerkschaften eines Berufes bei.

6. Alle Kantonalverbände bilden einen schweizerischen Verband, dessen Organ eine Kommission von gleich vielen Delegierten der Meister und Arbeiter aus den Kantonalverbänden ist. Diese entscheidet über die Reklamationen gegen die Beschlüsse der kantonalen Kommissionen und begleicht die Konflikte zwischen den letzteren.

7. Die eidgenössischen und kantonalen Behörden haben das Recht, sich in den eidgenössischen und kantonalen Kommissionen durch Mitglieder vertreten zu lassen, die beratende Stimmen haben.

Anfangs hatte insbesondere die Sozialdemokratie die Befürchtung geltend gemacht, daß nicht allein die Arbeiter in der gemeinsamen Organisation mit denUnternehmern der schwächere Teil sein, sondern daß insbesondere die zielbewußten Arbeiter von der großen Masse der indifferenten erdrückt werden würden. Später ließ man aber dieses Bedenken fallen in der Erwägung, daß die natürliche Führung doch stets den intelligenteren Arbeitern zufallen werde, und so erklärte sich schließlich selbst der Führer der radikalen sozialistischen Richtung,Seidel, mit dem AntrageGreulich's einverstanden. Einen praktischen Erfolg hat der gefaßte Beschluß bisher noch nicht gehabt, da die Verfassungsänderung, die bezweckte, dem Bunde die Zuständigkeit auf dem Gebiete des Gewerbewesens einzuräumen, bei der Volksabstimmung am 4. März 1894 mit 155000 gegen 134500 Stimmen verworfen wurde.


Back to IndexNext